T.A.K.S.I.

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von Gefreite Drei Hungrige Mäuler (DOG)
Online seit 31. 07. 2004
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Ein neuer Fall für unseren achatischen Dobermann. Wird sie ihn lösen können?

Dafür vergebene Note: 13

"Wummm!" Wohl zum zwanzigsten mal innerhalb der letzten drei Minuten schlug im Boucherie Rouge eine nicht mehr ganz intakte Türe zu. Die Gefreite Drei Hungrige Mäuler war am verzweifeln. Durch den draußen tobenden Sturm, der nur der Vorbote eines anstehenden Gewitters war, zog es in ihrem Büro fürchterlich. Sie hatte schon alles versucht, ihre eigenwillige Bürotüre ins Schloss zu zwingen, was ihr einen Stuhl ohne zugehöriger Lehne, ein leicht verbogenes Schwert und ein windschiefes Regal einbrachte, als sie die Türklinke mit ihrem Gürtel daran befestigen wollte.
Schon waren die Protestlaute aus den Bürozimmern ihrer D.O.G.-Kollegen und jene der genervten Damen aus dem Erdgeschoss annähernd so laut wie das Tosen des Sturmes, als ein loser Dachziegel seinen Weg vom Dach des Boucherie hinab in die vermeintliche Freiheit der Strassen Ankh-Morporks antrat, um nach wenigen Sekunden der Schwerelosigkeit mit furchtbarem Krachen in ein Fenster des gegenüberliegenden Gebäudes einzuschlagen.
"Schließt verdammt noch mal endlich alle Fenster und Türen!" erscholl eine äußerst gereizte Stimme über die Flure. Offenbar gehörte die Stimme zu Hauptmann Daemon, der durch den Lärm in seiner Nachdenkphase, wie er es auszudrücken pflegte, erheblich gestört wurde.
"Ja, ja, natüllich Söl, wenn?s weitel nichts ist, kein Ploblem!" murmelte Drei Hungrige Mäuler vor sich hin.
Eifriges Ziehen, Drücken und Möbelschieben war nunmehr im ganzen Haus zu vernehmen und bevor sich die widerspenstige Bürotüre der Gefreiten erneut zu Wort melden konnte, herrschte angenehme Windstille im Gebäude.
"Sag mal, was ist denn hier los? Wie's hier aussieht! Schrecklich!" Auch ohne die gezierte Ausdrucksweise, wusste Drei Hungrige Mäuler, die mit dem Rücken zur Tür stand und ihre Aufzeichnungen, die während ihrer Türbändigungsversuche überall im Zimmer verstreut lagen wieder einsammelte, wer gerade ihr Zimmer betrat. Der süßlich-schwüle Duft eines offensichtlich zu gut gemischten Parfüms legte sich gleich eines exklusiven Pelzes auf ihre Zunge, umfasste ihre Geruchsnerven mit eisernem Griff und trieb ihr Tränen in die Augen. Angestrengt würgte sie ein "Hallo Vico", hervor. Ihre Gesichtsmuskeln waren im Kampf gegen die Duftwolke verkrampft, was ihr ein selten missmutiges Aussehen verlieh.
"Also, nein, wirklich, wie kannst du nur in so einem Chaos arbeiten? Und erst diese geschmacklose Einrichtung!" Mit gezierten Trippelschritten betrat der Dobermann das Büro. "Äh, also...", setzte die Angesprochene zu einer Erwiderung an. "Nein, nein, Schätzchen, in diesem Ambiänthe ist es ja nicht verwunderlich, dass du keinen Spaß an deiner Arbeit hast." Vico van Vermeer, der zwar ausgezeichnete Kenntnisse in Stilfragen besaß, wenn er selbst auch eher die skurril-kreative Variante bevorzugte, verfügte offenbar keineswegs über Erfahrungswerte der Wirkung seines Parfüms. "Weißt du was, da wir ja Kollegen sind und ein ausgeglichenes Verhalten der einzelnen Individuen einer Tiehmarbeit extremst förderlich ist, werde ich die Innenausstattung deines Büros in die Hand nehmen. Du wirst sehen, in einer neuen farblich optimal ausgerichteten Umgebung wird sich die Fröhlichkeit wie von selbst wieder einstellen. Na, was hältst du davon?" Vico strahlte vor Vorfreude über sein neues Projekt. "Äh, ja, das wäle fulchtbal nett von dil", die Expertin für Gildenangelegenheiten der Diebe und artverwandter Berufe brachte ein gequältes Lächeln hervor.
"Na das mache ich doch gerne, meine Liebe!" Mit einem letzten prüfenden Blick durchs Zimmer drehte sich der selbsternannte Spezialist für innenarchitektonisch erworbenes Seelenheil elegant herum und verließ mit wehenden Gewändern das Büro.
Gerade als die Gefreite mühsam das Fenster erreichte, Unwetter hin oder her, sie brauchte auf der Stelle Frischluft [1], rauschte Vico erneut zur Türe herein.
"Ich hab dich ja gar nicht gefragt, wie dir mein neues Hemd gefällt?" Stolz streckte der Dobermann die Arme zur Seite und drehte sich langsam im Kreis, was eine neuerliche Verbreitung seiner persönlichen Duftnote zur Folge hatte.
"Oh, hast du es selbst entwolfen? Es ist sehl .... hübsch. Wilklich. Besondels die losa Lüschen am Klagen." Die Achaterin ertappte sich dabei, wie sie begann die Luft anzuhalten und zählte in Gedanken die Sekunden die sie noch vor einer Ohnmacht trennten.
Ein freudiges Lächeln breitete sich über Vico's Gesicht. "Tatsächlich? Du magst also Rosa? Das ist gut zu wissen, ich werde das natürlich in meine Raumgestaltung einfließen lassen. Ach ja, du solltest dir aus der Dachkammer einen weniger, äh, gebrauchten Stuhl holen. Dieses Ding ist ja wahrlich eine Schande!" Abfällig deutete er auf die Reste ihrer improvisierten Türbarrikade um mit einem geflöteten "Ich werde mich jetzt gleich an die Arbeit machen. Bis nachher!" zu entschwinden.
Mit einem Keuchen entließ die Achaterin den angehaltenen Atem, sprang zum Fenster und öffnete es mit letzter Kraft. Mit einem gewaltigen Salto drang der Sturm, begleitet von Regen und Kälte in das Zimmer, fegte die Unterlagen wieder vom Tisch, verschaffte der Tür erneut Gehör und versetzte Vico's Parfüm einen Tritt dorthin, wo die Sonne nie scheint.
Erleichtert atmete Drei Hungrige Mäuler tief ein und aus. Dankbar kehrten ihre Muskel wieder in ihre ursprüngliche Position zurück und sie konnte, nicht ohne gehörige Kraftanwendung, das Fenster wieder schließen.
"Puh, das wal knapp!" Seufzend begann sie ihr Chaos wieder zu sichten und betrachtete dabei ihr Büro noch einmal sehnsüchtig in seinem alten Glanz. "Ausgelechnet Losa! Na hoffentlich velwechselt niemand mein Bülo mit einem Zimmel im Eldgeschoss." Resigniert zuckte sie mit den Schultern. Sie brachte es einfach nicht übers Herz den Tatendrang ihres extravaganten Kollegen zu stoppen.

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"Hallo Hubert", die leicht rauchige, aber dennoch wohlklingende Stimme einer großen, sehr weiblichen Frau, drang an die Ohren des Mitarbeiters der ehrenwerten Druckerei Bleimann.
"Hallo, Fräulein Schnell! Ihr seid doch wohl nicht bei diesem schrecklichen Wetter mit eurem Karren unterwegs?" Besorgt musterte Hubert die durchfrorene, durchnässte Frau vor ihm. Die schulterlangen, schwarzen Locken kräuselten sich durch die Feuchtigkeit noch mehr als üblich, die rote Uniformjacke war nass, ihr schwarzes Barett wirkte, als hätte es jemand mit Farbtupf's Glanzlack No.5 bestrichen und die schwarze Kniebundhose sowie ihre entzückenden rot-schwarzen Ringelsocken troffen vor Nässe. Ihre Schuhe hinterließen kleine Pfützen bei jedem Schritt.
"Tja, mein lieber Hubert, es ist nun mal mein Beruf bei jedem Wetter mit dem T.A.K.S.I [2] unterwegs zu sein, das bin ich meinem Stand und meinem Großvater, möge er in Frieden ruhen, schuldig. Außerdem ist das T.A.K.S.I meine einzige Einnahmequelle, da kann ich es mir nicht leisten, gemütlich zu Hause zu sitzen." Ein traurig-verschwommener Blick aus grauen Augen, umrahmt von langen Wimpern traf den jungen Mann hinterm Tresen der Druckerei. "Und nennt mich doch bitte Marie Luise", raunte die verführerische Stimme in Huberts Ohr.
"Äh..", der schlaksige Geselle von Meister Bleimann, der sich mühsam aus seinem Tagtraum kämpfte [3], besann sich seiner guten Erziehung und fuhr fort, "Fräulein, ich meine, Marie Luise, wollt ihr euch nicht ein wenig aufwärmen? Im Hinterzimmer ist es schön warm und ich könnte euch eine Tasse heißen Tee aufsetzen, natürlich nur, wenn euch eure Tätigkeit eine kleine Pause erlaubt?" fragend sah er die Frau seiner Träume an.
"Oh, das wäre ganz reizend von euch mein Lieber, doch ich denke Meister Bleimann hätte etwas dagegen, wenn ich euch von der Arbeit abhalte?" Ihre Lippen öffneten sich zu einem Lächeln.
"Nein, nein, ganz und gar nicht, der große Auftrag für die Assassinengilde ist bereits gedruckt und wird am Nachmittag abgeholt, die anderen Dinge sind nicht so dringend", wehrte Hubert den Einwand seiner Angebeteten ab, "und außerdem ist Meister Bleimann ohnehin in geschäftlichen Dingen unterwegs und wird nicht so bald zurück sein." Geschäftig dirigierte er die Karrenlenkerin in Richtung Hinterzimmer, bevor diese weitere Einwände erheben konnte, schob ihr einen großen Ohrensessel vor den Kamin, der eine wohlige Wärme verströmte und legte eine große Wolldecke parat. "So, meine Liebe, vielleicht wollt ihr mir eure Jacke geben, dann hänge ich sie hier vor den Kamin, dann kann sie ein wenig trocknen, während ihr es euch hier vor dem Feuerchen bequem macht. Ich werde mich gleich um den Tee kümmern." Derart hektisch umsorgt, konnte Marie Luise Schnell, die Erbin von Ankh-Morpork's erstem und einzigem T.A.K.S.I Unternehmen, nur mehr dankbar nicken. Während Hubert im Nebenzimmer eiligst Tee zubereitete, schlang sie sich die Decke um die Schultern und machte es sich vor dem Kamin gemütlich, nicht ohne zuvor ihr nasses Halstuch abzulegen.
"Ihr arbeitet für die Assassinengilde, habe ich das richtig verstanden?" rief sie in die Richtung, in der sie Hubert vermutete.
"Ja, ja, schon seit drei Generationen lässt die Gilde ihre Quittungsblöcke bei den Bleimann's anfertigen", kam die prompte Antwort.
"Wie interessant", ließ sich die junge Frau nahezu lautlos vernehmen. In ihren grauen Augen blitzte es kurz auf, als ihr Gehirn einen Gedanken fasste.
"Was meintet ihr gerade?" Hubert kam mit einem vollen Tablett aus der Küche zurück und stellte es auf einen kleinen Tisch neben den Sessel. Die Tassen klapperten ein wenig und der Duft von heißem Tee mit Ingwer und Veilchenplätzchen stieg Marie Luise in die Nase.
"Ach, ich meinte, es müsste interessant sein, für eine derart angesehene Gilde zu arbeiten, nichts weiter." Das dunkle Timbre ihrer Stimme war kurz davor, Huberts Gehirn erfolgreich auszuschalten. "Ich habe noch nie ein derart wichtiges Dokument gesehen. Es muss aufregend sein, solche Quittungen in Händen zu halten, nicht wahr?" "Äh, ich weiß nicht, nun solange man nicht der Empfänger dieser Dokumente ist, hahaha." Nervöses Lachen begleitete den spritzigen Humor des Druckergesellen. "Aber nun esst und trinkt erst mal, Marie Luise, vielleicht kann ich euren gefährlichen Interessen ein wenig entgegenkommen." Hubert zwinkerte ihr verschwörerisch zu und erntete ein Lächeln, das ihn förmlich dahinschmelzen ließ.
Nach einer Weile belangloser Plauderei erhob sich Hubert, die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern gesenkt, "Ihr wolltet doch einmal einen Blick auf gefährliche Dokumente werfen, nicht wahr? Nun, wenn ihr mich nur einen kurzen Moment entschuldigt, ich bin gleich wieder da." Eilig verschwand Hubert in den hinteren Teil des Gebäudes, wo Fräulein Schnell die Druckerpresse vermutete.
Kurz darauf erschien Bleimann's Geselle mit einer handlichen Schachtel. Gerade als er den Deckel öffnete, meldete die Glocke an der Geschäftstür einen neuen Kunden.
"Äh, nur ein wenig Geduld, meine Liebe, ich komme sofort zurück." Der junge Mann begab sich in den Verkaufsraum.
Neugierig näherte sich Marie Luise der Schachtel und schob den leicht geöffneten Deckel gänzlich zur Seite. Da lagen sie - Unmengen druckfrischer, jungfräulicher Bestätigungen zukünftiger Schwierigkeiten - säuberlich geschlichtet und gebündelt. Vor ihrem geistigen Auge füllten sich die leeren Stellen mit Namen, geschrieben in gestochen scharfer, ein wenig schnörkeliger Schrift. Zufrieden lächelnd legte sie den Deckel sanft wieder zurück in die ursprüngliche Position.
Einige Minuten später kehrte Hubert aus dem Verkaufsraum zurück.
"Und, was meint ihr? Sind diese Dokumente nicht eine wahre Versuchung?" "Oh, ja, viele Leute würden alles für ein derartiges Original geben, glaube ich. Ist es nicht so?" Hauchte die Karrenlenkerin. "In der Tat, meine Liebe, in der Tat. Doch ihr möchtet gar nicht wissen, was diese Leute erwartet, sollten sie damit von der Assassinengilde erwischt werden." Der ernste Tonfall Huberts ließ Fräulein Schnell erzittern, ehe sie wahrheitsgemäß erwiderte, "Nein, da habt ihr recht, das möchte ich wirklich nicht wissen."

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Der nächste Tag gab sich große Mühe, seinen Vorgänger noch zu übertreffen. Das Heulen des Sturms vermischte sich mit rhythmischem Donnergrollen und dem Stakkato der niedergehenden Regentropfen zu einem hitverdächtigen harten Beat, der einer "Band-mit-Steinen-drin" zur Ehre gereicht hätte. Die tintige Dunkelheit des Himmels wurde lediglich durch wild zuckende Blitze und kleineren Explosionen diverser alchemistischer Versuchsreihen erhellt. Wer es sich leisten konnte, bei diesem Wetter zu Hause zu bleiben, machte es sich mit einem Becher dampfendem Tee und einem guten Buch in seinen vier Wänden gemütlich [4]. Der große Rest der Bewohner Ankh-Morporks kämpfte sich recht und schlecht durch die Strassen, um seinen täglichen Geschäften nachzugehen.
Die Gefreite Drei Hungrige Mäuler gehörte zu den weniger privilegierten Individuen des großen Rests. Mühsam stemmte sie sich gegen den Sturm, auf ihrem Weg in die Springstrasse 21. Ein kleiner knallgelber Punkt im großstädtischen Puzzle vielfältiger Grautöne.
Vor ihr lag ein weiterer langer Tag intensiver Aktenaufbereitung, eine Tätigkeit, für viele Leute so abwechslungsreich und interessant wie das farbenfrohe Ankh-Morpork an einem Tag wie diesem. Doch der Dobermann liebte seinen Job und war in Gedanken bereits wieder bei der begonnenen Überarbeitung diverser Gildengesetze. Voll und ganz darauf konzentriert, betrat sie das Boucherie Rouge. Im Erdgeschoss herrschte die übliche ruhig-entspannte Atmosphäre eines eben erst zu ende gegangenen Tages reger Betriebsamkeit, irgendwo klapperte leise Kaffeegeschirr, von müden Händen in Richtung des Capputschinodämons getragen. Vorsichtig schüttelte Drei Hungrige Mäuler ihren unansehnlichen aber praktischen Regenmantel in sonnigem Knallgelb in der Halle des Gebäudes aus, als sie Frau Palm's neuen Seidenteppich bemerkte. Wie auch der Rest der Einrichtung der unteren Räumlichkeiten war er in satten Rosa- und Rottönen gehalten. Die blassrosa Fransen des Teppichs brachten die Achaterin mit einem Schlag zurück in die Realität. "Au nein! Vico! Mein Bülo!" entfuhr es ihr und rasch stieg sie die Treppe ins Obergeschoß empor. Vorsichtig öffnete sie die Tür ihres Arbeitszimmers und blieb mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund wie erstarrt stehen. Vico hatte sich selbst übertroffen!

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Das Bild, das sich dem S.U.S.I. Team, bestehend aus den beiden Obergefreiten Alice und Charlie Holm bot, war auf den ersten Blick eigentlich unspektakulär. Sie betraten den Raum, in den sie ein gutgekleideter Dienstbote brachte. Es handelte sich um ein Schlafzimmer, mit dunkel getäfelter Holzverkleidung an den Wänden, einem großen Doppelbett, welches mit dem Kopfende an der, von der Türe aus gesehen, rechten Wand stand. Flankiert wurde das Bett von zwei Nachtkästchen aus dunklem Holz, mit weißen Spitzendeckchen und schön geschwungenen messingfarbenen Kerzenleuchtern. Unter einer riesigen Daunendecke ließ ein schwacher Umriss den Körper eines Menschen erahnen. Ein weißes Bärenfell, offenbar eines jener seltenen Exemplare, die aus den Nordischen Gebieten der Scheibenwelt stammten, diente als Bettvorleger. Es war in der Mitte zusammengeschoben und bildete eine Falte, geradeso als wäre jemand darüber gestolpert. Gegenüber der Türe befand sich ein großes Fenster, umrahmt von bauschigen weißen Gardinen und schweren, cremefarbenen Seitenteilen. Einer der beiden Fensterflügel stand offen, so dass eine leichte beständige Brise die Vorhänge sanft hin und her wehte. Zwischen zwei weiteren Türöffnungen an der linken Zimmerwand, die offenbar in das Ankleidezimmer und Bad führten, wie es bei Herrenhäusern oft üblich war, befand sich eine gepolsterte Chaiselonge, auf der eine weinende Dame mittleren Alters saß. Ein gutgekleideter Herr in den besten Jahren stand vor ihr und versuchte sie zu trösten.
"Guten Tag, Stadtwache Ankh-Morpork. Mein Name ist Charlie Holm und dies hier", er nickte kurz in Richtung seiner Kollegin, "ist Obergefreite Alice. Haben sie uns benachrichtigt?" Der Mann im dunklen Anzug, es handelte sich offenbar um eine Art Uniform, blickte auf. "In der Tat, das habe ich. Gestatten sie, Hermann Schaffnähr, Gildenvorsitzender der Gilde des öffentlichen Verkehrs. Ich bin der Herr des Hauses und dies ist meine Gattin Emilie." Herr Schaffnähr legte seiner Frau kurz den Arm auf die Schulter, was sie zu einem weiteren lauten Schluchzen veranlasste. Der Hausherr trat auf die beiden Wächter zu, um ihnen kurz und kräftig die Hand zu schütteln. "Vielen Dank, dass sie so rasch kommen konnten, ich hoffe sie sind alleine hier?" Ein fragender Blick traf die beiden S.U.S.I-Mitarbeiter. Erklärend fügte er hinzu, "Wissen sie, in dieser Gegend ist ein Besuch der Stadtwache nicht gerade, wie sagt man so schön, trö schieg, sie verstehen?" Obergefreite Alice verdrehte die Augen. Neureiche, und mit denen hatten sie es offenbar nunmehr zu tun, waren an sich schon eine Plage. Noch schlimmer aber waren jene, die versuchten Fremdsprachen in ihren Wortschatz aufzunehmen um ihrer gespielten Versnobtheit den entsprechenden Anstrich zu verpassen, ohne sich die Mühe zu machen, sich eine korrekte Aussprache anzueignen.
"Ja, wir beide wurden geschickt um einen Tatort zu sichern." Der Obergefreite Charlie Holm schlug einen dienstlichen Tonfall an. "Wenn sie vielleicht so nett wären, Herr Schaffnähr, uns zu erklären warum sie uns hierher beordert haben?" Ein neuerliches Schluchzen, etwas lauter als bisher, war vom Sofa her zu vernehmen.
"Ja, naturlemau." Hektisch polierte der Hausherr seine goldgefasste Brille, deren Rahmen mit den goldenen Uniformknöpfen um die Wette funkelte. "Es ist furchtbar, müssen sie wissen Herr Wächter, mein Cousin, mögen die Götter ihm gnädig sein, wurde heute nacht ermordet. Hier, in meinem Haus, in diesem Zimmer. Meine liebe Emilie ist noch immer ganz außer sich."
"Sie meinen, wir befinden uns hier gerade am Tatort?" meldete sich die Obergefreite Alice harsch zu Wort. "Bardoh? Was meinen sie mit Tatort?" "Der Ort, wo vermutlich ihr Herr Cousin zu Tode gekommen ist", schaltete sich Charlie Holm erneut in das Gespräch ein. "Ja, ja, das ist richtig. Burdinus liegt dort", der Vorsitzende der Gilde für öffentlichen Verkehr deutete auf das Doppelbett.
Entnervt blickten sich die beiden Spurensicherer an. "Wenn sie und ihre Frau Gemahlin dann bitte so freundlich wären, Herr Schaffnähr, den Tatort zu räumen...", auffordernd blickte die Obergefreite den Hausherrn an. "Ja, aber...", protestierte dieser, wurde aber bereits von der rothaarigen Wächterin mit sanftem Druck in Richtung Türe geschoben. Währenddessen trat der Obergefreite Holm auf dessen Gattin Emilie zu, bot ihr galant den Arm und geleitete auch sie aus dem Zimmer. "Wenn sie mir vorerst noch eine Frage gestatten Herr Schaffnähr", Charlie Holm zog sein Notizbuch aus der Manteltasche, "wurde am Tatort irgend etwas verändert?" Der Spurensicherer wartete, bereit die Informationen niederzuschreiben, auf eine Antwort. "Nein, wir haben alles so belassen, wie wir es vorgefunden haben. Ich habe Burdinus lediglich zugedeckt, um meiner lieben Emilie den furchtbaren Anblick zu ersparen." Der Spurensicherer verkniff sich einen Kommentar und notierte die Information. "Haben sie ihren Cousin gefunden?" fragte Alice, während sie begann, sich ihre Arbeitshandschuhe überzuziehen. "Nein, das war unsere brave Hermine, das Zimmermädchen." Erstmals war auch von Frau Schaffnähr etwas anderes als Schluchzen zu vernehmen. "Wenn sie möchten, kann ich sie gerne rufen." "Das wäre äußerst hilfreich, Mädäm, danke." Obergefreite Alice musste sich bemühen, den aufkeimenden Ärger zu unterdrücken. "Na, dann werde ich mich mal genauer umsehen", verkündete sie ihrem Kollegen, der einstweilen fortfuhr, die Herrschaften über den Sachverhalt zu befragen.


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Drei Hungrige Mäuler erkannte ihr Büro nicht wieder. Ihr Kollege hatte ihr kleines, eher rustikales [5] Büro in ein kleines Paradies verwandelt. Offenbar hatte er am Vortag noch stundenlang geschuftet, während sie ihren Dienst pünktlich beendet hatte. Der große Schreibtisch, der früher mitten im Zimmer gestanden hatte, war zur Seite gerückt worden und stand nunmehr direkt unter dem Fenster, welches mit hauchzarten rosa Vorhängen dekoriert worden war. Als Zugluftschutz diente eine Nackenrolle, überzogen mit einem dunkelviolett schimmernden Stoff mit achatischen Blütenmustern. Gleich neben dem Schreibtisch hatte Vico eine winzige private Ecke eingerichtet. Ein kleiner Tisch war als Abstellfläche für einen Kerzenleuchter, ihrem Teegeschirr und einer Schale mit geleeartigem Inhalt, welcher sich nach einer näheren Untersuchung als parfümierte Balsamierersalbe entpuppte, umfunktioniert worden. Der ganze Raum war bereits von leichtem Jasminduft erfüllt. An der Wand über dem kleinen Teetischchen hatte ihr Kollege einen kleinen Spiegel mit einem Rahmen aus Buntglasscherben, die in allen Farbtönen von rosa bis violett funkelten und einen Papierfächer, ebenfalls in passenden Farben und wie der Fensterpolster mit achatischen Blumenmustern verziert, montiert. Der Fächer war zwar ziemlich kitschig, jedoch war es die Geste, ihr ein kleines Stückchen Heimat ins Büro zu zaubern, die Drei Hungrige Mäuler Tränen der Rührung in die Augen steigen ließ. Die wackeligen Aktenschränke, welche früher einfach nur irgendwie in den Raum gestellt worden waren, standen nunmehr nebeneinander an der Längsseite des Raumes und waren so erstmals ohne körperliche Verrenkungen leicht zugänglich. Einzig das wackelige Regal hatte seinen Platz behalten, war aber an der Wand befestigt worden, so dass es seit geraumer Zeit endlich wieder einmal gerade und fest stand. Ein Vorhang aus blassvioletten Holzperlen verhinderte den direkten Blick auf die Unterlagen in den Regalfächern. Bilder mit Ansichten der Stadt und eine große Pinwand für wichtige Notizen füllten die leeren Flächen an den Wänden. Auch die Topfpflanze, die die Gefreite von ihrem Vorgänger übernommen hatte und die trotz [6] ihrer Bemühungen welk geworden war, fiel Vico van Vermeers Einrichtungsorgie zum Opfer. An ihrer Stelle prangte eine große Fächerpalme, die jahrelang ihr Dasein in einer dunklen Ecke des Flurs der Boucherie gefristet hatte. Die kleine Achaterin war begeistert von ihrem neuen Arbeitsplatz. Endlich fühlte sie sich in ihrer Dienststelle auch ein wenig zuhause.

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Vorsichtig, um keine etwaig vorhandenen Spuren zu zerstören, näherte sich Obergefreite Alice dem breiten Bett, in dem sich das Opfer nach Angaben des Hausherrn befand. Eine Vorsichtsmaßnahme, die sie eher aus beruflichem Instinkt, denn aus der gegebenen Situation traf. "Nein, ich habe nichts verändert, ich habe ihn bloß zugedeckt", äffte sie den Vorsitzenden der Gilde für öffentlichen Verkehr nach, "und dabei auch den letzten Rest an Spuren verwischt, den unsere liebe Hermine übergelassen hat", fügte sie zynisch hinzu. Allerdings in einer Lautstärke, dass sie nur jemand hören konnte, der im Bett vor ihr lag. Dieser Jemand war allerdings tot, sehr tot sogar, wie sie dem Hausherrn beipflichten musste, als sie die wuchtige Daunendecke zur Seite schlug. Das Opfer, ein Mann von schätzungsweise vierzig Jahren, genaueres konnte die Spurensichererin derzeit nicht feststellen, da er bis knapp über das Kinn, in einen rot-weiß gestreiften Wollschal gewickelt war und eine weiße Zipfelmütze aus Flanell bis über die Augenbrauen gezogen hatte. Er wirkte sehr blass, ein Umstand, der bei Toten nicht weiter verwunderlich war, noch dazu, wenn sie, wie der Leichnam vor ihr, relativ viel Blut verloren hatten. Der selige Burdinus, in der Eile, den Tatort zu räumen, hatten die beiden S.U.S.I-Mitarbeiter ganz darauf vergessen, den vollständigen Namen des Opfers zu erfragen, lag auf dem Rücken, in einem sowohl farblich als auch stofflich zur Mütze passenden Schlafanzug. Dank eines Armbrustbolzens, der im Herzen des Opfers stak, wies der Schlafanzug im Bauchbereich bis hin zur linken Hüfte eine rote, leicht bräunliche Verfärbung auf, ebenso die Innenseite der Decke. Anhand des so entstandenen Negativs, konnte die Obergefreite die ursprüngliche Lage des Opfers zur Tatzeit problemlos rekonstruieren. Herr Schaffnähr hatte tatsächlich nichts an der Lage des Opfers verändert, lediglich die Decke, die zuvor bis knapp unter die Brust reichte, hatte er dem Leichnam bis über den Kopf gezogen. "Verdammte Schweinerei", murmelte die Wächterin vor sich hin, "schlechte Arbeit, bei einem sauberen Schuss sollte nicht so viel Blut aus der Wunde austreten. Dem Armen muss ja regelrecht das Herz zerfetzt worden sein." Kopfschüttelnd suchte Alice nach weiteren Hinweisen. Sie bemerkte eine kleine Feder, die sich in den winzigen Härchen des Schales verfangen hatte. Behutsam zog sie den Kopf von Burdinus sterblichen Überresten zu sich. Rechts neben seinem Kopf war deutlich ein Loch im Kopfkissen zu erkennen. Es war in etwa fingerdick und wies ausgefranste Ränder auf. "Na sieh einer an, hat da jemand erst beim zweiten Versuch getroffen?", verwundert untersuchte die Obergefreite das Kissen näher. Kein Zweifel, die Beschädigung stammte ebenfalls von einem Armbrustbolzen, der ruckartig wieder entfernt worden war, was die unsauberen Ränder des Einschusslochs erklärte. Allerdings deutete eine kleine Unregelmäßigkeit desselben darauf hin, dass der Eintrittswinkel des Bolzens nicht mit dem übereinstimmte, in dem er entfernt worden war. Im Geiste zog Alice eine Linie, die der ungefähren Flugbahn beider Geschosse entsprach und folgerte daraus, dass der Täter direkt vor dem Bett gestanden haben musste als er die Armbrust abfeuerte, da beide Bolzen relativ steil in ihr jeweiliges Ziel eingeschlagen hatten, daraus konnte ein Abschuss aus größerer Höhe, gemessen am Zielobjekt, und kurzer Distanz gefolgert werden. "Hallo mein Bärchen", erinnerte sich die überwaldische Schönheit wieder an die Falte im Bettvorleger. Sachte rollte sie den Kopf des Leichnams wieder zurück und ging hinüber zu dem Bärenfell, um ihre Theorie zu überprüfen. "Gehen wir davon aus, dass der Täter im Dunkeln durch das Fenster hereinkam, über das Fell stolperte und von hier aus die Tatwaffe abfeuerte, hmm", kritisch beäugte sie die Szene, "ja, das könnte hinkommen." Zufrieden kniete sie sich nieder, um nach weiteren Einzelteilen in dem Tatortpuzzle zu suchen. Ein kurzer Blick nach rechts zeigte ihr, dass sich ihr Kollege bereits im Gespräch mit dem Zimmermädchen der Schaffnähr's befand.
"Also, ich bin um sieben ins Zimmer gegangen, um nach dem Herrn Doktor Grautlich zu sehen, weil er ja krank ist, ich meine war", die Stimme der Dienstbotin zitterte vor Nervosität, einem Mitglied der Stadtwache gegenüber eine Aussage tätigen zu müssen, "und da hab ich gemerkt, dass das Fenster offen ist. Ich dachte noch, 'Der holt sich ja den Tod, bei dem Wetter', weil?s ja so geschüttet und gestürmt hat, in der Nacht, und es war halt sehr frisch im Zimmer. Und dann bin ich weiter hinein, um das Fenster zu schließen und denk mir noch, dass da was nicht stimmt, weil es so ruhig war. Der gute Herr Doktor hat ja normalerweise immer geschnarcht, müssen sie wissen, aber heute früh eben nicht. Da bin ich vorher zum Bett hin, um nachzuschauen und", sie schluckte schwer, "dann hab ich ihn gesehn. Halb zugedeckt und alles voller Blut und der Stock ragt aus seiner Brust..." Stockend fuhr sie fort, "Na und dann.." "Dann haben sie Herrn Schaffnähr geholt, ja?" half ihr Charlie Holm weiter. "Na ja, ja, nein, nicht gleich. Ich bin halt weiter hin, um zu schauen, ob er noch lebt und hab dann, weil ich's so gewöhnt bin, die leere Tasse mit dem Kamillentee von gestern abend genommen und den Zettel der drunter war und hab gemerkt, dass die goldene Uhr vom Herrn weg ist. Aber der andere Schmuck, der in der Lade vom Nachtkästchen ist, ist noch da." "Langsam, Frau...?" "Fräulein. Fräulein Schuppich." "Also Fräulein Schuppich, sie haben also die Tasse genommen und den Zettel. Und dann?" ruhig sprach der Spurensicherer auf die verängstigt wirkende Angestellte ein während er eifrig in sein Notizbuch kritzelte. "Na dann hab ich das Geschirr in die Küche gebracht zum Spülen und den Teebeutel weggeworfen." "Aha, sie erwähnten vorhin einen Zettel, was war denn das für ein Zettel?" "Ist das wichtig? Ich dachte das war nur irgendeine Notiz vom Herrn Doktor und weil er halt voll Tee war, hab ich ihn weggeworfen." 'Bleib ruhig, Charlie, ganz ruhig.', ermunterte sich der Obergefreite selbst. "Wäre es eventuell möglich, mir diesen Zettel zu bringen, Fräulein Schuppich?" "Aber der ist doch schon im Müll!" jammerte das Zimmermädchen. Ein strenger Blick des Wächters veranlasste sie jedoch zu einem kleinlauten "Ich werde sehen, ob ich ihn noch finden kann, der Herr." Charlie Holm, der einen vagen Verdacht hatte, was das Papier anbelangte, setzte hinzu "Ach ja, noch etwas, die Tasse, könnten sie mir diese auch bringen?" Verwirrt blickte die Dienstbotin den Wächter an. "Nur die Tasse? Wollen sie nicht einen Kaffee oder Tee hinein?" "Nein, danke, ich möchte lediglich die Tasse, die sie vom Tatort entfernt haben, um sie auf eventuelle Fingerabdrücke zu untersuchen." Langsam bereute Charlie, dass er Alice die eigentliche Spurensicherung überlassen hatte. "Na da werden sie aber kein Glück haben, der Herr, um die Zeit ist Dora schon längst mit dem Abwasch fertig." Ungläubig starrte der S.U.S.I-Mitarbeiter die Frau an. "Sie...die...Wollen sie damit sagen, dass sie ein mögliches Beweismittel zerstört haben?" Beleidigt schnappte das Zimmermädchen zurück, "Ich habe überhaupt nichts zerstört, ich tu hier nur meine Pflicht!" 'Ich geb's auf', dachte der Obergefreite bei sich und schob sich die Kappe aus der Stirn. "Nun gut, wenn sie dann bitte so freundlich wären und nachsehen könnten, ob sie wenigstens das Schriftstück noch finden?" "Den Zettel?" "Ja, genau den, Fräulein Schuppich, genau den."


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"ANERKANNTER VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER INHUMIERT!"

Gestern wurde Mag. Phil. Dr. Burdinus Grautlich, im Hause seines Cousins, dem Oberhaupt der Gilde für Öffentlichen Verkehr, Herrn Hermann Schaffnähr, in Siebenschläfer Nr. 3, tot aufgefunden. Er wurde, nach Angaben der Stadtwache, mit einer Armbrust aus nächster Nähe mitten ins Herz getroffen. Die beim Opfer aufgefundene Quittung weist auf eine legale Inhumierung der Assassinengilde hin. Wer waren die Auftraggeber? Hatte Dr. Grautlich mit seiner letzten Theorie recht? Sind ausländische Machthaber dabei, den Patrizier zu stürzen? Steht Ankh-Morpork vor der entscheidenden politischen Wende? Fragen über Fragen, die zum derzeitigen Stand der Ermittlungen noch unbeantwortet bleiben. Wir werden selbstverständlich weiter darüber berichten.

Inga Federkiel für die A.M. Times


"Verdammt!" Höchst undamenhaft fluchte die junge Frau in roter Jacke, die auf dem Kutschbock des Eselskarrens saß. Der schwarze Lack des überdachten Karrens glänzte frisch poliert, so dass die Aufschrift "T.A.K.S.I.", die in gelben Lettern an der Seitenwand prangte, bestens zur Geltung kam. Es handelte sich um niemand anderes als Fräulein Marie Luise Schnell, die am Standplatz ihres Unternehmens am Hier-gibt?s-alles-Platz auf mögliche Kundschaft wartete. Die beiden Grautiere, die vor den Karren gespannt waren, kauten gelangweilt am Stroh ihres Futtertrogs herum. Entnervt faltete die junge Frau die neueste Ausgabe der Ankh-Morpork Times zusammen und ließ ihren Blick über den Platz schweifen. Ihr gegenüber befand sich das Caffeh Aurelia, ein hübsches, neu eröffnetes Bistro mit kleinen Tischen und bunten Holzstühlen vor dem eigentlichen Lokal. Einige Bürger hatten bereits an den Tischen Platz genommen, um bei einer Tasse Kaffee und der Morgenzeitung die ersten Sonnenstrahlen nach den letzten Tagen verheerender Unwetter zu genießen. Ihr Blick blieb an einem schwarzen Hut mit breiter Krempe über einer auseinandergefalteten Ausgabe der Times hängen. Form und Farbe des Hutes ließen nur einen logischen Schluss auf dessen Besitzer zu. Es musste sich um ein Mitglied der hiesigen Assassinengilde handeln. Marie Luise erbleichte. Nervös rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her ohne den Hut auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen. Langsam, ganz langsam senkte sich die Times und gab den Blick auf das Gesicht unter dem Hut frei. Ein gutaussehender, blonder Mann nickte ihr freundlich zu und tippte zum Gruß kurz an die Hutkrempe.
Zutiefst erschrocken packte Marie Luise schnell die Zeitung unter den Sitz, setzte ihr Barett auf die schwarzen Locken, packte die Zügel ihrer beiden Esel und verließ ihren Standplatz so rasch und unauffällig wie es ihr nur möglich war, in Richtung der Mobilien.

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Missmutig kratzte sich Hauptmann Daemon den Kopf. Vor ihm lag ein Bericht von S.U.S.I, genauer gesagt, der Bericht des Spurensicherers Charlie Holm und seiner Kollegin Alice. Laut dem Bericht handelte sich um die lizenzierte Inhumierung des Verschwörungstheoretikers Mag. Phil. Dr. Burdinus Grautlich. "Pah, S.U.S.I macht sichs hier ein wenig zu einfach", brummte er vor sich hin. "Wenn das Assassinenarbeit ist, bin ich der erste Näher im Boucherie." Der angefügte Bericht von Herrn Made bestärkte ihn in der Vermutung, dass der gegenständliche Fall noch lange nicht abgeschlossen war. Bei der Tatwaffe handelte es sich zwar um eine Armbrust, allerdings konnte der Ballistiker aufgrund des Bolzens und der Beschaffenheit der Wunde des Opfers feststellen, dass sie von minderer Qualität war. "Offenbar eine von diesen illegalen Billigwaffen aus Klatsch", überlegte der Llamedianer, sich auf Leutnant Mückensturms diverse Vorträge über dessen Leidenschaft besinnend. Ein kurzer Blick auf die unzähligen Schachteln und Kisten in seinem Büro hoben seine Laune allerdings wieder. Er würde sich über diesen Fall nicht mehr den Kopf zerbrechen müssen. Es war ohnehin an der Zeit, seinem Nachfolger einen Besuch abzustatten.

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Zaghaft klopfte Herr Windling an die Tür. "Herein." Die Stimme war ruhig und kräftig und doch erinnerte der Tonfall vage an eine lauernde Katze. "Verzeihung, mein Lord, aber es gibt eine kleine Unregelmäßigkeit bei der letzten Lieferung der Druckerei." "Unregelmäßigkeit, Windling?" Der Lord hob fragend eine Augenbraue. "Und was gedenken wir dagegen zu unternehmen?" "Nun, mein Lord", Windlings Gesicht blieb ausdruckslos, "ich habe mir erlaubt, Nachforschungen anstellen zu lassen. Die übliche Vorgangsweise, mein Lord, wenn ihr gestattet. Die Fehlmenge habe ich natürlich von der Rechnung abgezogen." Lord Witwenmacher kannte die Beharrlichkeit und Umsicht seines Sekretärs und wusste, dass er auf ihn zählen konnte, wenn er ihm auch nicht in allen Dingen vertraute. Vertrauen war etwas, das einem Gildenoberhaupt sehr schnell zum Verhängnis werden konnte, wie sein Vorgänger schmerzlich erfahren musste. "Ausgezeichnet, Windling. Ich weiß, ich kann mich auf euch verlassen." Mit knappem Nicken entließ er seinen Sekretär. Bevor dieser aus dem Raum gehen konnte, bemerkte der oberste Assassine Ankh-Morporks noch, "Und teilt Meister Bleimann mein Bedauern mit, dass wir uns leider gezwungen sehen, uns nach einem vertrauenswürdigeren Lieferanten umzusehen." "Sehr wohl, mein Lord." Mit einer angedeuteten Verbeugung trat Herr Windling aus dem Büro.

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Ein riesiger Blumenstrauß aus rosafarbenen Rosen bewegte sich schwankend auf zwei Beinen die Treppe des Boucherie Rouge hinauf. Vor Vico van Vermeers Büro hielt er kurz inne, klopfte und betrat, nachdem er keine Antwort erhielt, unaufgefordert das Reich des Gildenexperten der Balsamierergilde. Der Dobermann war offensichtlich nicht hier, daher ließen sich die Rosen mit einem Ächzen auf einer freien Stelle seines Schreibtisches nieder und gaben die Sicht auf ein verschwitztes, rotes Gesicht mit unverkennbar achatischen Merkmalen frei. "Hm, schade, dass el nicht hiel ist, da kann ich mich gal nicht pelsönlich bei ihm bedanken." Die Erinnerung an Vico's neuestes Parfüm ließ die kurze Enttäuschung von Drei Hungrige Mäuler über die Abwesenheit ihres Kollegen rasch verblassen. "Dann weld ich ihm eben eine Nachlicht hintellassen." Nach einigem Suchen fand die Gefreite endlich ein Fäßchen schwarzer Tinte, ein dünnes Holzstäbchen und ein Stückchen blassblauen Musselin. "Das wild auch leichen, denke ich." Rasch kritzelte sie, so gut es mit den improvisierten Utensilien möglich war, einige Dankesworte für seine großartige Arbeit an den Dobermann.

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"Wie sagtet ihr, lautete nochmals der Name?"
"F.E.R. Geltunk". Feldwebel Picardo saß sichtlich unbehaglich dem Oberhaupt der Assassinengilde, Lord Witwenmacher, gegenüber. Seit mehreren Minuten versuchte er Informationen über den Fall "Grautlich" zu erhalten, bisher leider ohne Erfolg. In Gedanken sah er das leise Lächeln auf Hauptmann Daemons Gesicht deutlich vor sich, als dieser ihm den Fall samt all den anderen Agenden des Leiters der Dienststelle zur Observation von Gildenangelegenheiten übertragen hatte. Mangels eines Experten für die Assassinengilde blieb dem neuen Abteilungsleiter nichts anderes übrig, als selbst in den sauren Apfel zu beißen und hier saß er nun. Das Gildenoberhaupt hielt sich, wie befürchtet, in der gegenständlichen Sache sehr bedeckt. Nachdenklich blätterte Lord Witwenmacher in den unzähligen Unterlagen auf seinem Schreibtisch. "So, so...", mit ausdrucksloser Miene hob der Assassine den Kopf. "Werter Herr Feldwebel, die Gilde ist der Stadtwache natürlich sehr verbunden und ich persönlich schätze die Zusammenarbeit mit euch und euren Kollegen sehr..." Es entstand eine kurze Pause, als ob sich Lord Witwenmacher wieder von seinen Gedanken lösen und weiter auf das Gespräch konzentrieren müsste, "aber in diesem Falle ist eine weiterführende Überprüfung seitens der Stadtwache keineswegs zweckmäßig. Wie ihr schon bemerktet, handelt es sich um eine offizielle Quittung unserer Vereinigung und ihr könnt diesen Fall getrost zu euren Akten legen. Ich bin mir sicher, werter Herr Feldwebel Picardo, dass euer Wissen und eure Fähigkeiten von weitaus komplizierteren Vorfällen beansprucht werden, die euren gewissenhaften Einsatz erfordern." Zorn über diese Abkanzelung machte sich in dem Wächter breit. Die offensichtliche Warnung des Assassinen, dass sich die Stadtwache gefälligst nicht weiter in diese Gildenangelegenheit einmischen sollte, bestärkte ihn nur in seiner Vermutung, dass bei der Inhumierung des Burdinus Grautlich etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Steif erwiderte er, "Natürlich respektiere ich, dass die Angelegenheiten in diesem Fall nicht weiter in die Kompetenzen meiner Abteilung fallen, Lord Witwenmacher, ich wundere mich nur, dass die Gilde ihre Toleranzgrenze bei Abschlussprüfungen abgesenkt hat." Es war ein Schuss ins Blaue, aber die Schlussfolgerung des D.O.G.-Leiters war durchaus nicht unlogisch. Nach dem Bericht von S.U.S.I. zufolge, hatte der ausführende Assassine erst beim zweiten Mal das Opfer getroffen, ein Umstand, der auf ein unerfahrenes Mitglied schließen ließ. Einen Neuling, einen Schüler der seine Abschlussprüfung zu absolvieren hatte. Dies würde auch das Fehlen des Namens im Mitgliederverzeichnis erklären. Allerdings fehlte jede Spur einer weiteren Leiche, was bedeuten musste, dass der Prüfling trotz allem seine Ausbildung erfolgreich absolviert hatte. Robin setzte noch hinzu, "Auch ist mir neu, dass Prüflinge einen Beweis über die absolvierte Prüfung, in Form eines persönlichen Gegenstandes des Kunden, erbringen müssen." Ihm fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass in dem Bericht das Fehlen einer goldenen Uhr erwähnt worden war.
"Herr Feldwebel", der Tonfall des Assassinen war zu einer unverhohlenen Drohung geworden, "ich denke nicht, dass es euch zusteht, Kritik an einer alteingesessenen und ehrbaren Institution wie dieser, auszuüben. Oder wollt ihr mir unterstellen, ich wüsste nicht, wie ich mein Unternehmen zu führen hätte?" "Nein, nein, Lord Witwenmacher, keineswegs. Ich war nur ein wenig verwundert, das ist alles. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, sollten meine Worte diesen Eindruck hinterlassen haben." "Dann solltet ihr ein wenig mehr auf eure Wortwahl achten." Lord Witwenmachers Ausstrahlung war eisig aber dennoch beherrscht, wenn auch nur mühsam. "Ich denke, ich sollte euch nun nicht weiter von eurer Arbeit abhalten, ihr habt gewiss viel zu tun, in einer Stadt wie dieser. Ich wünsche euch noch einen erfolgreichen Tag." Der Assassine erhob sich ein wenig aus seinem Stuhl.
"Allerdings, Lord Witwenmacher, allerdings. Ich danke euch vielmals für die kurzfristige Unterredung. Guten Tag." Der gebürtige Quirmianer nickte dem Gildenoberhaupt kurz zu und verließ dessen Büro. 'Höchst interessant. Ich muss Daemon recht geben, der Fall kann wohl kaum schon ad acta gelegt werden.' Gedankenversunken stieg der Wächter die breite Treppe des Gildenhauses hinunter. Es hatte erneut wieder zu regnen begonnen.

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Der Raum war erfüllt von Stimmengemurmel. Ab und zu erhob sich ein verärgertes "warum wir?" über das gleichmäßige Summen. Sämtliche Mitarbeiter der D.O.G. waren im Besprechungsraum versammelt worden, um von ihrem neuen Abteilungsleiter in die Einzelheiten des Falles "Grautlich" eingeweiht zu werden.
"Bitte, seid doch mal alle ruhig", Robin Picardo versuchte vergeblich seine "Hündchen" zum Schweigen zu bringen. Im Moment wiesen diese allerdings eher Gemeinsamkeiten mit einer verärgerten Meute Strassenköter auf. "Kollegen, bitte...", verzweifelt versuchte er weiter sein Glück. 'Was solls', dachte Robin, 'ich bin ja jetzt wohl hier die absolute Autorität'. "RUHEEEE!" Schlagartig verstummte sein Rudel. 'Na bitte, geht doch', schien ihm Leopold von Leermach, sein Zimmergenosse und jetziger Stellvertreter mit seinem Blick sagen zu wollen. "Also, der Grund, warum wir uns dem Fall zuwenden, ist einzig und allein der, dass sich keine andere Abteilung dafür zuständig fühlt, da die Akte nach außen hin als legale Inhumierung angesehen wird." Kurz erläuterte er den Anwesenden die Einzelheiten des Falles zum derzeitigen Ermittlungsstand. Auch den Umstand, dass die Inhumierungsquittung nicht, wie bisher üblich, am Opfer selbst befestigt, sondern mit einer Teetasse beschwert auf dem Nachtkästchen hinterlassen wurde, ließ er nicht unerwähnt. "Weiters wurde vom Täter eine goldene Taschenuhr vom Nachtkästchen entwendet. Der restlichen Familienschmuck, der sich in der Lade des Möbelstückes befand, wurde jedoch nicht angerührt. Auffällig ist, dass die Uhr keinen besonders großen materiellen Wert besitzt, sie ist lediglich so etwas wie ein Talisman von Herrn Schaffnähr und steht mit dem Opfer nicht in direkter Verbindung." Mit einem erleichterten Seufzen schloss Robin seinen Vortrag. "Na, die Assassinenausbildung ist wohl auch keinen Silberling mehr wert heutzutage", feixte Patrick Nichts. "Die nehmen wohl auch schon jeden dahergelaufenen Raubmörder in ihre erlesenen Kreise auf." "Ja, das ist wohl einer der unstimmigsten Punkte in der Sache", stimmte ihm Robin zu. Er teilte seinen Mitarbeitern noch seine ursprüngliche Theorie einer Abschlussprüfung der Assassinengilde mit. "Aber wenn es ein Prüfling war, dessen reiche Familie unbedingt wollte, dass der Nachwuchs in die Gilde aufgenommen wird? Vielleicht wurde der Prüfer bestochen?", mutmaßte Khai el Sali. "Warum sollte ein erfahrener Meuchelmörder, der zweifellos genug Geld hat, seine Ehre und sein Ansehen für so was riskieren?" Saiyana ibn Abyadh schüttelte den Kopf. In Spieß Erschreckja's Augen blitzte es kurz auf. "Na ja, wenn der Betrag hoch genug war...". "Abel ich habe noch nie von einel Familie Geltunk hiel in del Stadt gehölt", Drei Hungrige Mäuler blickte fragend in die Runde. "Vielleicht isses ja nur der Künstlername, schon mal daran gedacht?", erwiderte der Obergefreite Nichts. In geziertem Tonfall entgegnete Vico van Vermeer, "Ach nein, bitte, wer nennt sich denn freiwillig so? F.E.R. Geltunk hat ja wohl nichts mit Kunst zu tun! Das ist so nichtssagend. Diese Assassinen haben doch sonst einen Sinn für Stil und Theatralik. Klingende Namen mit einem tieferen Sinn!" "Verzeihung, Sir", Camilles leise Stimme war gerade noch zu vernehmen, "wie schreibt sich der Assassine? 'Vergeltung' so wie 'Rache'?"
"Wieso?" Feldwebel Picardo, der der Diskussion nur mit halbem Ohr folgte, war ein wenig verwirrt über das Anliegen der Gefreiten, als er plötzlich erkannte, "Natürlich! Rache!" Die versammelten Mitglieder der D.O.G. blickten ihn erwartungsvoll an. "Ja, das wäre doch eine Möglichkeit, nicht wahr? Jemand, der sich an dem Opfer rächen wollte, täuscht eine Inhumierung durch die Gilde vor." Leopold von Leermach, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, warf ein, "Tja, das würde die schlampige Art und Weise der Tat erklären, auch, warum der Täter lediglich eine billige anstatt der üblichen hochwertigen Waffen benutzte, die die Gilde sonst verwendet. Allerdings ist mir unklar, wie jemand an eine Originalquittung der Assassinen kommen sollte." "Vielleicht hat er die Quittung gestohlen?", vermutete Leutnant Mückensturm. "Hmm, wäre durchaus möglich", räumte der Vampir ein, "aber dazu wäre vermutlich nur ein exzellenter Dieb in der Lage, oder was meinst du Gefreite Drei Hungrige Mäuler?" "Ja, das denke ich auch. Abel walum sollte ein bestens ausgebildetel Einblechel bei del Assassinengilde einsteigen, um ein Folmulal zu stehlen? Die Diebesgilde hat helvollagende Fälschel und Hell Boggis wülde jede Konflontation mit Lold Witwenmachel velmeiden." "Aber Tatsache ist doch, dass am Tatort auch etwas gestohlen wurde, nämlich eine goldene Uhr. Das würde doch auf die Diebesgilde passen. Vielleicht war Professor Grautlich auf etwas gestoßen, dass denen erhebliche Probleme bereitet hätte..." Der altgediente Wächter in der Position einer Bulldogge ließ sich nicht so leicht überzeugen. "Nein, das glaube ich nicht, Söl", widersprach die Achaterin, "nach dem was wil bishel wissen, gehölte die Uhl nicht mal dem Opfel. Ausseldem hätte ein Mitglied del Diebesgilde den lestlichen Schmuck auch mitgenommen."
"Halt, nein, stopp. So kommen wir nicht weiter", unterbrach Feldwebel Picardo seine Mitarbeiter. "Aber es sind zwei Punkte aufgekommen, die mich stutzig gemacht haben. Nämlich das mögliche Motiv einer Rache und die Uhr des Herrn Schaffnähr. Wäre es nicht denkbar, dass der Täter sich eigentlich an Herrn Schaffnähr rächen wollte? Wie hätte er auch wissen können, dass Professor Grautlich im Schlafzimmer seines Cousins lag und nicht in einem Gästezimmer. Weiters war es dunkel und das Opfer so dick vermummt, dass der Täter ihn mit seinem eigentlichen Opfer verwechselt haben könnte." Nach einer weiteren halben Stunde mehr oder weniger hitziger Debatten, hatten die D.O.G.-Mitarbeiter einen Plan für die weitere Vorgangsweise beschlossen. Harry und Severius Kurz sollten sich nochmals bei der Assassinengilde umhören, ob sie etwas über die Quittung herausfinden konnten, Ecatherina Erschreckja und Hatscha al Nasa wurden zum Hause der Schaffnährs geschickt, um nähere Informationen über das Umfeld von Professor Grautlich und Herrn Schaffnähr zu erhalten. Der Rest der Truppe hatte die weniger dankbare Aufgabe erhalten, diverse Schmuggler, Waffenschieber und Hehlereibetriebe abzuklappern, um mehr über die Tatwaffe herauszufinden. Die beiden Abteilungsleiter und Leutnant Mückensturm blieben in der Boucherie, um den Ablauf der Aktion zu koordinieren.

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Am frühen Nachmittag traf eine der Tauben mit einer Nachricht von Harry im Boucherie Rouge ein. Er hatte die Adresse der Druckerei 'Brief und Siegel' herausgefunden, die sich für den Druck diverser Formulare der Assassinengilde verantwortlich zeichnete. Leopold von Leermach, der es satt hatte, untätig herumzusitzen, erbot sich, sich dort ein wenig näher umzuhören. "Vielleicht hat ja einer der Mitarbeiter dort ein paar extra Formulare für sich anfertigen lassen, was meinst du Robs?"
"Ja, das wäre durchaus möglich."

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"Ich? Feinde?" Hermann Schaffnähr blickte die beiden Wächterinnen, Hatscha al Nasa und Ecatherina Erschreckja verwundert an.
"Nun, Herr Schaffnähr, wir ha- hatschi -ben aufgrund unserer Ermittlungen den Verdacht, dass der Anschlag, dem ihr Herr Cousin zum Opfer gefallen ist, möglicherweise ihnen gelten sollte." Die Hauptgefreite konnte ein weiteres Niesen gerade noch zurückhalten.
"Mir? Aber wer sollte mich beseitigen wollen?" "Deshalb versuchen wir ja gerade herauszufinden, ob es in ihrem Umfeld jemanden gibt, der sich, möglicherweise, an Ihnen rächen wollte", übernahm Spieß Erschreckja die Befragung, da der Husky gerade verzweifelt auf der Suche nach einem Taschentuch seine Uniform durchwühlte.
"Hmm", überlegte er, während er aufgeregt die Gläser seiner Brille polierte, "da gab es einmal eine unangenehme Geschichte. Ist allerdings schon ein wenig länger her." Der Inhaber der Esels-Karren-Gesellschaft hielt kurz inne, bevor er den beiden Wächterinnen die Begebenheit erzählte.

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"...aaatschiii", beendete Hatscha ihre Berichterstattung.
"Also nochmals", Feldwebel Picardo fasste kurz zusammen, was seine beiden Mitarbeiterinnen herausgefunden hatten, "Schaffnähr war Teilhaber eines kleinen Personentransportunternehmens. Als sein Partner, ein Ingmar Schnell, einer Verlobung mit dessen Enkelin nicht zustimmen wollte, verließ er wütend die Firma und verschwand. Irgendwann heiratete er eine reiche Bürgerstochter, gründete die Esels-Karren-Gesellschaft, hatte Erfolg mit seiner Idee der Billigtransporte und mehrte sein Vermögen. Schnell, der mit den Tarifen der EKG nicht konkurrieren konnte, verlor nach und nach seine Kunden und schlitterte unaufhaltsam seinem Bankrott entgegen. Wirtschaftlich ruiniert, wählt er den Freitod und stürzt sich in den Ankh. Zurück bleibt Schaffnährs ehemalige Liebste, Marie Luise, verarmt und verlassen." Robin zuckte zusammen, als Ecatherina unvermittelt neben ihm auftauchte.
"Tja, wen wunderts, dass die arme Frau nicht allzu gut auf Schaffnähr zu sprechen ist", bemerkte sie leichthin. "Das heißt noch lange nicht, dass sie's getan hat", ließ sich der neue Abteilungsleiter vernehmen, "aber..." "Ich hab ne heiße Spur", platze Leopold von Leermach in die kleine Versammlung. Der Vampir ließ sich auf einen freien Stuhl nieder. Kurz schilderte er, was er bei seinen Nachforschungen dank eines geschwätzigen Mitarbeiters der Druckerei "Brief und Siegel" herausbekommen hatte. Der Informant hatte ihm bereitwillig Auskunft über den bei der Assassinengilde in Ungnade gefallenen Meister Bleimann erteilt, sodass der Vampir dem ehemaligen Lieferanten der Gilde einen Besuch abstattete. Er war offenbar nicht der erste Besucher gewesen, denn der Druckereibesitzer wich im ersten Moment zu Tode erschrocken vor ihm zurück. Erst als sich der Hasensauger vorgestellt hatte, klagte dieser ihm verzweifelt sein Leid. Leo hatte gerade soviel verstanden, als dass eine Lieferung Inhumierungsquittungen nicht ordnungsgemäß von Bleimanns Gehilfen Hubert abgefertigt worden war. Der Meister selbst war zum Zeitpunkt der Lieferung geschäftlich unterwegs gewesen und hatte keine Ahnung, was genau geschehen war. Faktum war, dass er bei seiner Rückkehr zwei schwarzgekleidete Abgesandte der Gilde antraf, die ihm unmissverständlich klargemacht hatten, dass sich Lord Witwenmacher künftig außerstande fühlte, seine Dienste weiterhin in Anspruch zu nehmen. Des weiteren hatten sie ihn wieder und wieder nach dem Verbleib seines Gehilfen befragt, nicht ohne ihm die Wirksamkeit diverser mitgeführter Utensilien zu demonstrieren.
"Schlussendlich hat er ihnen Huberts Wohnadresse verraten." Der Vampir zog einen Zettel hervor, "Biberweg 38. Was Witwenmachers Leute aber nicht wissen", er grinste triumphierend, "ist, dass Hubert seit einer Woche seine kranke Mutter pflegt. Und die wohnt in der Affenstrasse."

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"Na was darf's denn sein, Fräulein? Eine hübsche Vase aus der Zeit der Monarchie, oder lieber Perlenohrringe, wie sie die klatschianischen Wüstenblumen tragen?" Achmed, der Inhaber des Altwarenladens '1001 Geschenke' rieb sich freudig die Hände. Es kam nicht oft vor, dass sich Touristen in seinen Laden verirrten. Das Wetter in Ankh-Morpork hatte sich wieder verschlechtert, weshalb die Kundin in einen knallgelben Regenmantel gehüllt war und dem Bild des typischen unbedarften Besuchers voll und ganz entsprach.
"Nein, vielen Dank. Ich suche ehel etwas Spezielleles, alleldings auch ein klatschianisches Plodukt. Ich habe gehölt, ihl hättet gewisse Spezialitäten anzubieten?" Drei Hungrige Mäuler hatte bereits dutzende einschlägige Läden besucht, jedoch keiner der ihr bekannten Hehler führte derzeit klatschianische Armbrüste. Als sie an dem südländisch anmutenden Trödelladen vorbeikam, hatte sie jedoch einen Burschen aus dem Laden kommen sehen, der dem Dobermann vage bekannt vorkam. Auf gut Glück beschloss sie den Laden näher in Augenschein zu nehmen. "Ach ja?" Zweifelnd blickte der schmierige Händler seine Kundin an, die entgegen seiner ersten Einschätzung doch nicht so leicht mit billigem Ramsch abzufertigen war. "Wer hat euch denn dies erzählt, wenn ich fragen darf?"
"Nun, weltel Hell, ich habe so meine Infolmationen." Die Wächterin kratzte sich kurz die linke Augenbraue. Ein gängiges Zeichen in Diebeskreisen, um Interesse an nicht ganz so alltäglichen Einkäufen zu demonstrieren. Tatsächlich, ihr Instinkt hatte sie nicht im Stich gelassen. Nach kurzem Zögern, der zuvorkommende, anbiedernde Tonfall war gänzlich aus seiner Stimme verflogen, fragte er sie, "Womit kann ich ihnen dienen, Verehrteste?"
"Ich intelessiele mich fül eine Almblust. Eine von den speziellen impoltielten Exemplalen, genauel gesagt."
"Was? Kauft sich denn heutzutage schon jede Frau eine Armbrust?" entfuhr es dem Ladeninhaber.
"Habt ihl denn vol kulzem eine velkauft?" bohrte die Gefreite nach. Achmed, den sein Ausspruch bereits reute, erwiderte drohend,
"Wieso? Wer will das wissen?"
"Stadtwache Ankh-Molpolk", Drei Hungrige Mäuler zog ihre Dienstmarke, "ich elmittle in einem Moldfall und es wäle bessel fül sie, mil zu sagen, was ich wissen möchte, denn...", sie richtete sich zu voller Größe auf [7], "ich kann mich nicht dalan elinneln, eulen Laden im Velzeichnis del Diebesgilde gefunden zu haben. Ich bin übelzeugt, Hell Boggis wäle sehl an einel Infolmation übel eule unlizensielte Gewelbsausübung intelessielt." Die Gildenexpertin ließ den Händler nicht aus den Augen. Blitzschnell zog dieser einen Dolch und sprang auf die Achaterin zu. Drei Hungrige Mäuler, die mit einem Überraschungsangriff rechnete, wich zur Seite, sodass der Dolch lediglich einen hässlichen Schnitt in ihrem Mantelärmel hinterließ, duckte sich und drehte sich mit gestrecktem Bein halb um die eigene Achse und versetzte dem Angreifer so einen schmerzhaften Tritt in die Kniekehlen, der ihn zu Boden gehen ließ. Mit einem kurzen, heftigen Schlag ihrer Handkante auf seine rechte Schulter verlieh sie ihrer Forderung noch ein wenig Nachdruck. "Ihl solltet Menschen nicht nach ihlem Äusselen beulteilen", meinte die Gefreite in ihrem üblichen freundlichen Tonfall. "Nun? Was weldet ihl jetzt tun? Wollt ihl mil nun helfen, odel möchtet ihl euch liebel vol Helln Boggis und seinen Mitalbeiteln lechtfeltigen? Ich könnte euch abel auch wegen tätlichen Angliffs auf einen Wächtel festnehmen." Abwartend stand sie neben dem, sich mühsam ob der Schmerzen wieder aufrichtenden Händler.
"War ne Frau, sehr attraktiv, Hurtig oder so. Hab sie schon ein paar Mal hier in der Gegend gesehen, glaub sie is ne Bekannte vom Krummen Tom." Widerwillig gab Achmed Auskunft. "Aha, und wo finde ich den?"
"'n paar Gassen weiter, im alten Stall. Und jetzt mach, dass du raus kommst und wehe du verpfeifst mich bei der Gilde!"

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"Nein, Mama, sie ist nicht meine Freundin. Nur eine Bekannte." 'Leider', fügte Hubert in Gedanken hinzu. "Ich gehe jetzt und bring Ma.., Fräulein Schnell das Halstuch zurück, das sie in der Druckerei vergessen hat. Ich bin bald wieder da." Bevor seine Mutter ihn weiter über die Frau seiner Träume ausfragen konnte, eilte der junge Mann die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Aus Vorfreude über ein Wiedersehen mit 'seiner' Marie Luise achtete er kaum auf den schwarzgekleideten Mann mit Hut, der ihm an der Haustüre entgegentrat.

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Nach einigem Suchen fand Drei Hungrige Mäuler tatsächlich ein heruntergekommenes Gebäude, das zumindest so roch, als würden ab und zu Pferde darin untergebracht werden. Außer einem jungen Burschen, der gelangweilt den Schmutz des Stallbodens mit einem Besen verteilte, war niemand anwesend. Unter dem Vorwand, sie wolle ihre alte Schulfreundin besuchen, wüsste aber nicht, ob diese noch ihren Mädchennamen trug und an welcher Adresse sie genau wohnte, erkundigte sich die Gefreite nach Frau Hurtig. Ihr harmloses Aussehen gepaart mit einem freundlichen Lächeln, brachte sie in dieser Sache weiter, als es ihre Dienstmarke je fertiggebracht hätte. Möglicherweise lag es auch an dem Dollar, den sie dem Burschen in die Hand drückte, der ihr Namen und Adresse der Gesuchten einbrachte. Vielleicht hatte sie die Information aber auch nur dem Umstand zu verdanken, dass außer einer Marie Luise Schnell, wohnhaft Haufenweg 7, niemand freiwillig seine Tiere in dieser Baracke versorgen ließ. Gut gelaunt begab sich die Wächterin auf die Suche nach einem nahegelegenen Signalturm um ihren Vorgesetzten eine Nachricht zu übermitteln, da sie keine der Brieftauben mitgenommen hatte. Danach machte sie sich auf, um die mögliche Spur weiterzuverfolgen.

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"Leo du gehst mit Ecatherina in die Affenstrasse, Hatscha und ich werden mal dem Fräulein Schnell auf den Zahn fühlen. Wo hat Schaffnähr nochmals gesagt, wohnt sie?" Robin wandte sich an die Hauptgefreite.
"Hau ? tschiii ? aufenweg 7", nieste diese zur Antwort.
"Gut. Und Leo, nehmt euch eine Taube mit, ich will sofort informiert werden, wenn ihr was herausfindet."

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Vorsichtig lugte sie aus dem Fenster. Ja, dort bewegte sich etwas. Ein Schatten. Nein, ein Mann in Schwarz. Ihr Herz raste. Keine Zeit mehr das T.A.K.S.I. zu erreichen. Die kalten Finger nackter Angst schnürten ihr die Kehle zu. 'Hintertür!' Ihr gelähmtes Gehirn gestattete dem letzten Gedanken ihren Körper zu lenken. Gehetzt sprang sie auf die Tür zu, stob hinaus in die nasse, feindliche Welt. Mit fast übermenschlicher Anstrengung erklomm sie die Mauer, die sie von der Strasse trennte. Panisch lief sie die Gasse entlang. Gerade noch rechtzeitig wurde ihr bewusst, dass das von Unrat verunzierte Gässchen keinen Ausgang hatte, als ihre Beine bereits instinktiv den Weg durch Nachbar's Garten einschlugen. Endlich, zurück im Haufenweg. Mit rasendem Herzen lief sie weiter. 'Nur weg, weg von daheim. Weg von der Gefahr!' Ruhig setzte sich ein zweiter Schatten auf den Dächern in Bewegung und folgte ihr.

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Drei Hungrige Mäuler bog gerade in den Haufenweg ein und versuchte trotz des Regens die Türnummern der Häuser zu entziffern, als sie am Ende der Straße den vagen Umriss eines überdachten Karrens erkannte. "Ah, das dolt muss es - aaaaargh!" Eine Gestalt mit schwarzem Barett rannte wie gehetzt die Strasse entlang und stieß sie mit voller Wucht zu Boden. Noch im Fallen konnte die Wächterin einen dunklen Schemen über ihr von einer Dachschräge heruntergleiten sehen, dann wurde ihr schwarz vor Augen. Ihr Kopf hatte heftig Bekanntschaft mit einem Pflasterstein geschlossen.

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Langsam schlug die Expertin der Diebesgilde die Augen auf und blickte in ein narbenzerfurchtes Gesicht. "Allef in Ordnung?" Rogi Feinstich, die Sanitäterin der F.R.O.G. kniete besorgt vor ihr. Benommen betastete Drei Hungrige Mäuler ihren Hinterkopf. "Nicht anfaffen, die Naht ift noch fu friff!"
"Was...?" Langsam erinnerte sich die Achaterin wieder an das Geschehene. "Flau .... Balett ....Dach .... Schläge ... Mann", stammelte sie.
"Waf hat fie?", die Igorina lehnte sich verwirrt an ihren Tisch, auf dem diverse Operationsbestecke verstreut lagen. Mitten in der Unordnung hatte es sich eine Nachrichtentaube des Boucherie gemütlich gemacht. "Ein Typ hat feine tanfende Frau am Dach ferprügelt?" Der Stimme war die Verwirrung deutlich anzuhören. "Nein, ich glaube, sie war die letzte, die Professor Grautlichs Mörderin noch gesehen hat, bevor die Assassinen sie erwischt haben", erwiderte eine männliche Stimme hinter dem Dobermann. Drei Hungrige Mäuler registrierte noch, dass die Stimme ihrem Vorgesetzten gehörte, als ihr die Sinne erneut schwanden.

[1] Ja, in Notsituationen kann selbst der eigentümlich-unverwechselbare Duft der großen Wahoonie als Wohltat empfunden werden.

[2] Transporte aller Art und Klassen - Schnell Ingmar

[3] in welchem eine Blumenwiese, Sonnenschein und ein leicht bekleidetes Fräulein Schnell, äh, Marie Luise, die Hauptrolle spielten

[4] oder mit einigen Kumpels und ein paar Humpen Bier in einer der unzähligen Tavernen der Stadt

[5] es hatte in etwa das Flair einer zweckmäßigen, schäbigen Besenkammer

[6] oder dank?

[7] was nicht sehr beeindruckend wirkte

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