Ein perfekter Tag

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von Hauptfeldwebel Atera (SEALS)
Online seit 12. 07. 2001
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Der Patrizier kommt in die Wache gestürmt und will soziale Arbeit verrichten.
Er übernimmt das Kommando über die Wache und versucht Verbrecher festzunehmen.
Kann das gutgehen?

Dafür vergebene Note: 12

Es war einer dieser Tage an denen alles perfekt schien. Die Sonne stand hoch am Himmel, der Wind wehte den bestialischen Gestank der Stadt davon, die Bürger Ankh-Morporks wirkten zufrieden und glücklich, sogar der Schatten wirkte nicht gar so düster. Oberfeldwebel Atera ruhte sich gerade in ihrem neuen Beweglichen Stuhl aus, der ihr von der Gilde der Kurzwarenhändler großzügig überlassen wurde, natürlich erst nachdem Atera den Kaufleuten dabei geholfen hatte verdächtige Subjekte zu vertreiben, die den Anschein erweckten, harmlose reiche Kaufleute überfallen zu wollen. Nun ja, was macht man nicht alles für einen Beweglichen Stuhl, der praktischerweise verhindert, dass einem beim zu schnellen Drehen die Gliedmaßen abfielen. Atera lehnte sich entspannt zurück...
„So arbeitet man also hier?“, zerstörte eine Stimme den perfekten Tag und prompt kippte Atera auch mit ihrem neuen Beweglichen Stuhl nach hinten.
„Aargh...“, stöhnte sie und rappelte sich wieder auf. Da dachte man an nichts böses und schon kommt ein dahergelaufener Trottel-
Ihr Blick fiel in die kalten starren Augen des Patriziers.
„Äh...“
„Wo ist Kommandeur Rince?“
„Äh..“
„Oberfeldwebel Atera?“ Lord Vetinari beugte sich ein wenig vor und sah Atera interessiert an. Nur der Schreibtisch, überladen mit unzähligen Papieren, trennte sie.
„Du bist doch noch Oberfeldwebel, Atera?“, fügte der Patrizier hinzu. Das „noch“ in der Frage machte sie ein wenig nervös.
„Äh...ja, euer Exzellenz.“ Sie waren alleine in Ateras Büro, die Türe hatte der Patrizier geschlossen, es gab kein Entkommen. Atera begann nervös mit einem ihrer Finger zu spielen.
„Da Kommandeur Rince offensichtlich nicht da ist, werde ich hier auf ihn warten.“
„Oh, gut.“, antwortete Atera darauf, einfach weil sie nichts anderes wusste was sie sagen konnte. Es entstand eine Pause des Schweigens, die Atera versuchte mit einer höflichen Floskel zu füllen. „Nehmt doch Platz, Exzellenz.“ Hinterher würde sie es noch oft genug bereuen. Anstatt sich auf den Besucherstuhl zu setzen, ging der Patrizier um den Schreibtisch herum und ließ sich wie selbstverständlich in Ateras neuen Beweglichen Stuhl nieder. Sie stand wie überrumpelt daneben.
„Äh.“ Sie nestelte unbehaglich an ihrer Uniform. „Ich glaube, ich glaube, ihr sitzt falsch, euer Exzellenz.“
„Oh, Kommandeur Vetinari reicht völlig, Oberfeldwebel.“
„Was?“
Der Patrizier lächelte sie kalt an. „Und dieser Platz ist vollkommen richtig. Ich habe beschlossen das Amt des befehlshabenden Kommandeurs zu übernehmen.“, erklärte er und faltete die Hände bedächtig zusammen. Leider behinderte ihn ein Haufen Dreck, der sich auf dem Schreibtisch befand, daran.
„Aber warum?“ Atera war noch immer völlig überrascht wie dieser Tag sich entwickelte. Nur eins war klar: eine Tendenz ins Positive war nicht zu erkennen. Nein, ganz und gar nicht.
„Ich beabsichtige das soziale Gefüge von Ankh-Morpork genauer zu prüfen. Die Denkweise jedes einzelnen kleinen Bürgers zu erfahren. Und was wäre da besser geeignet als die Stadtwache?“
„HaHa.“, lachte Atera pflichtschuldig. Erst als Vetinari eine Augenbraue leicht hochzog, merkte sie, dass etwas nicht in Ordnung war.
„Das war kein Scherz, oder? Ha Ha, ich dachte, es wäre einer. Äh... äh.“ Die Stille wurde unerträglich, ebenso die Miene des Patriziers.
„Ich sage euch Bescheid sobald Kom... äh Rince wieder zurück ist.“ So schnell sie ihre angenähten Beine trugen, ohne dass es zufällig wirkte, bewegte sie sich Richtung Tür.
„Ach, Oberfeldwebel?“
Atera zuckte innerlich zusammen. „Ja, euer... Kommandeur?“
„Beseitige doch diesen Klumpen Schlamm auf meinem Schreibtisch.“
Vorsichtig ging Atera auf den Tisch zu. „Das ist meine Kröte... Sir Henry.“
Lord Vetinari betrachtete die Kröte eingehend. „Ich erinnere mich nicht sie in irgendeinen Rang gehoben zu haben.“ Er gab Atera das Zeichen zum Wegtreten und sie schnappte sich ihre Kröte, um dann schnell aus dem Raum zu flüchten.
Draußen waren schon einige andere Wächter vor ihrem Büro versammelt und schauten sie fragend an. Sie schüttelte verwirrt den Kopf, als reiche das schon als Antwort vollkommen. Der Patrizier saß hinter ihrem Schreibtisch und es sah nicht so aus, als ob er bald wieder gehen würde.
„Wo ist Kommandeur Rince?“, fragte sie einen der herumstehenden Wächter, doch niemand wusste es genau. Atera ordnete an, eine Taube loszuschicken.
„Und er ist wirklich da drin?“ Ein Wächter deutete erregt auf die Tür.
„Ja, und wir können nur hoffen, dass der Kommandeur die Taube schnell erhält und den Patrizier zur Besinnung bringt.“ Sie ließ sich auf einen Schemel nieder und begann einen ihrer Finger zu flicken. Sie hatte gerade die ersten Stiche gemacht, da schritt der Patrizier aus ihrem Büro.
Beinahe hätte sie den Finger wieder abgerissen. Der Patrizier hatte eine standesgemäße Uniform an, der Harnisch blitzte ebenso wie seine Augen und er hatte die Abzeichen eines Kommandeurs angelegt.
„Äh..“ Atera begann an diesem Tag viele Sätze mit Äh, aber etwas besseres fiel ihr bei dem Anblick nicht ein.
„Wir gehen auf Streife.“
„Tatsächlich?“
„Ja, wir werden den Sumpf des Verbrechens ausheben.“
„Was meint er damit?“, flüsterte ein Wächter ihr zu. Getuschel begann. Atera straffte sich und trat Vetinari entgegen.
„Euer Exzellenz, ich halte das nicht für eine gute Idee...“, begann sie zögerlich.
„So, tust du das, Oberfeldwebel?“
„Okay, gehen wir auf Streife.“ Atera setzte ein Grinsen auf und marschierte so schnell es ging aus der Wache. Der S.E.A.L.S.-Wächter Kamikhan folgte ihr mit auf die Straße.
„Was willst du jetzt tun?“, fragte er. Atera blickte kurz zum Wachhaus, ob der Patrizier schon herauskam und beugte sich dann verschwörerisch zu Kamikhan.
„Pass auf, eine Gruppe von Freiwilligen begleitet Vetinari auf seiner Streife und ich schaue im Palast nach, ob dort jemand etwas von dem Vorhaben des Patriziers weiß.“
„Freiwillige?“
„Ja, Freiwillige. Und lasst ihn mir nicht aus den Augen. Wenn dem Patrizier etwas passiert...“
„Okay, ich hab verstanden.“ Gefreiter Kamikhan ging mit hängenden Schultern zurück ins Wachhaus und Atera beeilte sich zum Palast zu kommen. Ohne Rücksicht auf ihre Körperteile kam sie hechelnd am Palast an. Sie wollte direkt hereinrennen, immer in Gedanken beim Patrizier der wahrscheinlich gerade durch die Straßen von Ankh-Morpork auf Streife ging, doch zwei Kolosse von Palastwächtern hielten sie kurz vor dem Eingang auf.
„Halt! Kein Einlass!“, brüllten sie ihr entgegen.
„Lasst mich durch, ich bin Oberfeldwebel.“
„Und wir sind die Palastwache. Kein Termin, kein Einlass.“
„Sie sieht nicht gerade aus, als ob sie einen Termin hätte.“, sagte der andere Wächter, beide lachten.
„Ich muss mit dem Verantwortlichen sprechen, es geht um den Patrizier.“, versuchte Atera es erneut.
„Um den Patrizier? Ha, da könnte ja jeder kommen. Lord Vetinari ist gerade in einer äußerst wichtigen Sitzung mit den wichtigsten Gildenmitglieder der Stadt.“
„In einer Sitzung?“ Nun verstand Atera gar nichts mehr. Wenn der Patrizier im Palast war...
„Ihr seid sicher, dass der Patrizier mit den Gildenmitgliedern redet?“, hakte Atera nach.
„Wir können ihn ja mal rufen lassen, mal sehen was er dazu sagt, mitten aus einer Sitzung geholt zu werden.“ Der Palastwächter lachte dröhnend, aber da war der Oberfeldwebel schon verschwunden.

In der Nähe des Wachhauses war ein Kommandeur zu sehen, der hoch erhobenen Kopfes durch die Straßen marschierte und eine kümmerliche Truppe Wächter, die müde hinterher trottete. Atera verschränkte vorsichtig ihre Arme und trat energisch auf die Streife zu.
„Halt!“, befahl sie barsch.
„Mit welchem Recht-.“
„Mit dem Recht des befehlshabenden Ranghöchsten.“, unterbrach Atera den Patrizier rasch. Die anderen Wächter guckten erstaunt und der Patrizier sah sie anfeindend an.
„Ich bin der Kommandeur!“, fauchte er.
„Betrug! Du bist nichts weiter als Betrug!“ Noch während sie sprach stieß Atera den vermeintlichen Kommandeur zu Boden. „Gestehe.“, rief sie und Vetinari, der sich nun stark von einer Untoten bedrängt fühlte, fuchtelte an seinem Gesicht herum und plötzlich zog er seine Haut ab. Das Gesicht des Patriziers wölbte sich ab und gab den Blick auf ein schmales Jungengesicht frei.
„Eine Maske...“, begann Kamikhan staunend.
„Ja, der richtige Patrizier befindet sich nämlich immer noch im Palast. Wir sind hereingelegt worden.“
„Wer bist du, Bursche?“, fragte ein anderer Wächter. Der Junge schien in der Uniform des Kommandeurs zusammenzuschrumpfen.
„Ich... ich bin Reisig. Es tut mir leid, das mit dem Patrizier, aber ich wollte so gerne zur Wache gehören und einmal im Leben Kommandeur sein. Da habe ich mir gedacht, dass ich als Patrizier verkleidet problemlos ein Kommandeur werden könnte.“
„Hmm, und woher hast du diese Maske?“
Reisig setzte sich auf, legte vorsichtig die Maske beiseite und schraubte zwei Beinprothesen ab.
„Die haben mich größer gemacht.“, sagte er erklärend und wirkte aufeinmal ohne die ganze Verkleidung wie ein ziemlich kleiner unsicherer Junge. „Die Maske ist aus unserem Fundus. Alle aus meiner Familie sind Schauspieler. Wir fahren von Ort zu Ort und führen dort unsere Stücke auf.“ Er schniefte laut. „Aber ich wollte nie Schauspieler werden, ich wollte Kommandeur werden. Alle schauen auf uns Schauspieler herab, aber einen Kommandeur, den respektiert man.“
„Respekt kommt nicht durch den Rang, er kommt von jedem selbst.“
„Kommandeur Rince!“
„Der bin ich und ich sehe schon, sobald ich mal nicht da bin, geht es hier drunter und drüber.“ Er klopfte dem Jungen aufmunternd auf die Schulter und half ihm auf die Beine. Reisig schniefte wieder und Atera unterdrückte ein Seufzen. So viel Aufregung wegen einem kleinen Jungen. Aber als Patrizier war er ziemlich gut gewesen.
„Also, Reisig, wir müssen das deinen Eltern melden.“, begann Atera. Rince nickte zustimmend.
„Bitte nicht, es tut mir wirklich leid und was wirklich schlimmes habe ich doch nicht gemacht. Es kommt nie wieder vor.“ Der Junge sah mitleidig drein.
„Hmm, er war wirklich nicht schlecht in der Rolle des Patriziers.“, sagte Atera.
„Wirklich?“, fragte der Kommandeur.
„Ja, sehr überzeugend.“, bestätigte Kamikhan.
„Er ist ein guter Schauspieler.“, sagte Atera nochmals und zu Reisig gewandt: „Das solltest du für dich nutzen.“
„Aber ich will zur Wache.“, maulte der Junge.
„Du bist noch zu jung für die Wache.“, widersprach Kommandeur Rince. Reisig senkte den Kopf. „Aber-.“, fügte er hinzu. „-sollte deine Familie wieder einmal nach Ankh-Morpork kommen, dann ist hier in der Wache ein Platz für dich frei.“
Die Miene des Jungen veränderte sich und er bedankte sich überschwänglich.

Nachdem sie den Jungen laufen gelassen hatten, fanden die Wächter sich wieder im Wachhaus ein. Atera betrachtete gedankenverloren die Maske des Patriziers.
„Ein wirklich guter Schauspieler.“, merkte sie noch einmal an.
„Und eine gute Maske.“, fügte Kommandeur Rince hinzu.
„Ja, lebensecht.“
„Man könnte meinen, es wäre das wirkliche Gesicht von Vetinari.“
„Nicht auszudenken, was sie in den falschen Händen anrichten würde.“
Schweigen. Atera drehte die Maske hin und her, sie dachte an diverse Palastwächter, an Möglichkeiten und an vergessen geglaubte Gelegenheiten. Sie lächelte.





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