Rogis Nachlass

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von Feldwebel Rogi Feinstich (GRUND)
Online seit 21. 05. 2013
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 13. 04. 2012 datiert
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 Außerdem kommen vor: MaganeAraghast BreguyarOphelia Ziegenberger

Rogi Feinstich ist tot, allerdings haben gleich mehrere Personen etwas dagegen und tun alles was nötig ist um die Igorina wieder ins Leben zurück zu holen.

Anmerkung: Diese Geschichte spielt direkt nach den Singles „Rogi Feinstich“ und „Funktionsstörung“ und es ist natürlich von Vorteil diese gelesen zu haben, aber ich hoffe nicht notwendig.

Dafür vergebene Note: 14

Der Igor saß schon eine gefühlte Ewigkeit auf dem Stuhl im Verhörraum und der Kommandeur persönlich beaufsichtigte ihn. Durch die eng angelegten Handschellen spürte er seine Hände kaum noch. Jeder Körperteil tat ihm weh und langsam vermutete er mindestens eine geprellte Rippe. Roger Igoratius beugte sich etwas nach vorne in der Hoffnung es dadurch etwas bequemer zu haben. Zusätzlich machte ihn der Holzsplitter im rechten Auge schier wahnsinnig. Das helle Licht der Lampe, die auf ihn gerichtet war, machte seinen sonst so guten Augen zusätzlich Schwierigkeiten, den Wächter an der Wand ihm gegenüber zu erkennen. Breguyar und er schwiegen sich an. Denn egal was der Püschologe versuchte er sagte nichts, was nicht zu Letzt an seiner trockenen Kehle lag. Einen kurzen Moment glaubte er eine Regung vom Kommandeur zu sehen und hoffte dabei, dass dieser nicht wieder eine seiner Verhörmethoden anwenden würde. Roger wusste nicht, wie viel er noch einstecken konnte. Allein seine Verhaftung hatte ihm schon genug zugesetzt. Der Wächter blieb zu seiner Erleichterung an der Wand gelehnt und er ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Die Tür wurde geöffnet und gab die Silhouette von Ophelia preis. Er hob den Kopf und schaute ihr stumm entgegen. Er war noch immer wütend auf sie, doch im Grunde traf sie keine Schuld. Er musste sich zusammenreißen und ihr klar machen wie sehr er ihre Hilfe nun brauchte.
Roger richtete sich ruckartig auf als der Kommandeur sie sanft wieder hinaus schob. Sie ging rückwärts und starrte ihn noch immer entsetzt an. Sein Erscheinungsbild hatte sich in den letzten Stunden auch nicht verbessert. Er blickte ihr panisch entgegen und schüttelte den Kopf. Roger formte mit den Lippen. »Bitte sag nichts« und er sah nur noch ihren fragenden Blick als sich die Tür wieder schloss. Der Igor stand auf und starrte in den Spiegel an der Wand. Er sah furchtbar aus. Sein Haar klebte ihm von Schweiß und Blut am Kopf. Seine Kleidung war ebenfalls blutbesudelt und ruiniert. Hatte er wirklich geglaubt, Rogi so aus dem Wachhaus schmuggeln zu können? Nur hatte er keine Zeit. Er musste schnell handeln und er setzte sich wieder erleichtert mit dem Gedanken, dass Rogis Gehirn sicher auf Eis lag. Er hoffte die Wache würde das respektieren. Doch was wenn sie nun ihr Büro durchsuchten und alles auf den Kopf stellten? Würden sie vor der Truhe halt machen?
Sicher nicht!
Er stand wieder auf und lief einem Impuls folgend zur Tür. Ein kratzendes, schabendes Geräusch ertönte in der Nähe des Spiegels.
»Hey!«, brüllte eine Frauenstimme, »Hinsetzen! Sofort.«
Er gehorchte der Unbekannten und das Geräusch ertönte ein weiteres Mal, als die Sprechklappe wieder zugeschoben wurde. Er wurde also auch von dort aus beobachtet. Die Tür öffnete sich wieder, doch Breguyar betrat allein den Raum. Was nun? Wo war sie hin?
»So Freundchen, jetzt reden wir mal Klartext!«
Der Kommandeur lief direkt auf ihn zu und Roger befürchtete das Schlimmste, doch etwas hatte sich geändert. Der grimmige Gesichtsausdruck war anders als zuvor. Und das Auge fixierte ihn nicht mehr bedrohlich sondern wirkte fast mitleidig. Breguyar war hinter ihm angekommen und die Handschellen lösten sich. Es kribbelte in seinen Fingern als das Gefühl in ihnen langsam zurückkehrte. Roger massierte sich die schmerzenden Handgelenke und sah den Wächter fragend an. Der Püschologe seufze.
»Warum bitte hast du das mit dir machen lassen?«
Roger zog die Brauen in die Höhe, erwiderte jedoch nichts.
»Ophelia hat mir versichert, dass du unschuldig bist. Also gib mir besser keinen weiteren Grund, vom Gegenteil auszugehen.«
Wie hatte sie das gemacht? Und was konnte er sagen ohne in Widersprüche zu geraten?
»Herr?« Seine Stimme war schrill in seinen eigenen Ohren. Er räusperte sich. »Ich...« Die Stimme versagte ihm und er fasste sich an den Hals.
Der Einäugige setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber und schwenkte die Lampe beiseite. Bunte Lichtpunkte tanzten vor seinem Auge, als das grelle Licht verschwand.
Was war hier los?
Der Mann war wie ausgewechselt. Kurz darauf blendete ihn das Licht von draußen als die Tür geöffnet wurde. Ophelia betrat den Raum. An ihrer Seite baumelte etwas...eine Teekanne? An ihrem Zeigefinger hingen zwei Tassen.
War er in Ohnmacht gefallen und träumte?
Hinter der Wächterin erkannte er die Vampirin wieder, die sich um die bewusstlose Ophelia gekümmert hatte als sie ihn verhafteten. Sie ging geradewegs auf den Tisch zu und stellte schnell eine Waschschüssel ab. Über ihrem Arm hing ein Tuch, das sie ebenfalls ablegte. Sie verschwand wortlos und bedachte ihn nur mit einem neugierigen Blick ehe die Tür ins Schloss fiel.
»Roger? Mein Beileid.«
Der Igor schaute verwirrt von der verschlossenen Tür zu Ophelia. Sie umarmte ihn. »Ich teile deinen Verlust. Sie wird uns allen sehr fehlen und ich weiß nicht, wie ich meine Schuld jemals begleichen soll, nicht zur rechten Zeit in der Weise bei ihr gewesen zu sein, wie du es gewesen wärest.«
Der Kommandeur räusperte sich leise um wieder die Aufmerksamkeit zu erlangen nachdem Ophelia den Igor wieder atmen ließ.
»Roger also. Ich lasse euch jetzt allein, doch dann erwarte ich ein paar Antworten von dir.« Dabei stand er auf und überließ Ophelia den Stuhl. »Es tut mir Leid wie das verlaufen ist.«
Araghast verließ den Raum und er sah dem Püschologen lange hinterher bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Ophelia richtete. Sie schenkte ihnen Tee ein und das Kräuteraroma breite sich im Verhörraum aus. Sie schob ihm eine Tasse zu und er griff so schnell danach, dass er ein paar Tropfen verschüttete. Er trank den Tee in einem Zug und verbrühte sich dabei den Mund. Im Moment war es ihm egal. Die heiße Flüssigkeit spülte Staub und Dreck aus seinem Rachen und vor allem verflüchtigte sich der Geschmack von Blut. Er hielt ihr die leere Tasse hin und sie schenkte kommentarlos nach.
»Wie haft du daf gemacht?« Seine Stimme klang immer noch fremd in seinen Ohren, doch er hatte sie wenigstens wieder.
»Ich sagte die Wahrheit, Roger. Du bist unschuldig.«
»Aber Rogi...«
»...hatte ein schwaches Herz. Das weißt du.« Vollendete sie seinen Satz und neigte ihren Kopf zum Spiegel. Ophelia gab ihm so zu verstehen, dass sie nicht wirklich allein waren.
Er nickte langsam und trank einen Schluck Tee, jedoch wusste er genau, dass Rogis Herz durchaus stark war. Er hatte es ihr selbst eingepflanzt.
»Jeden Tag für Rogi das Medikament für ihr Herz vorzubereiten war sicher nicht leicht für dich.«
Sie gab ihm eine Vorlage? Er nickte ein weiteres Mal.
»Ef wäre fön gewefen ein neuef Herf fu finden, aber fie hatte fo viel fu tun und Organe wachfen nicht auf Bäumen.«
»Der letzte Einsatz war wohl zu viel für sie.«
Der Igor schaute kurz zum Spiegel als würde er eine Reaktion von dieser Seite erwarten und erblickte dabei wieder sein grauenvolles Erscheinungsbild.
Der letzte Einsatz also. Was war nur passiert was dich so verstört hat, Rogi?
Roger leerte seine Tasse und zog die Waschschüssel zu sich heran. Das Wasser war angenehm warm und er tauchte seine Hände gänzlich hinein und fing an sich den Schmutz abzureiben. Das Wasser verfärbte sich rosa und ging immer mehr ins rötliche. Ophelia sah in ihre Tasse.
»Waf ift paffiert?«, fragte er schließlich.
»Ein Wächter wurde erschossen und Rogi musste mit den FROG ausrücken. Sie konnte sein Leben nicht retten.«
»Verftehe. Fu viel für ihr Herf.«
Ophelia nickte bestätigend und so langsam ergab das alles einen Sinn. Innerlich fluchte er, doch äußerlich wusch er sich das Gesicht. Das alles bestätigte seine Vermutung, dass es kein Unfall war. Das Rogi genau wusste was sie mit der Überdosis erreichen würde – Ja erreicht hatte. Der Igor trocknete sich ab. Sein Spiegelbild war immer noch ein Grauen, doch wenigstens sah er nicht mehr wie ein mordender Irrer aus.
»Roger?«, fragte Ophelia zaghaft und er konzentrierte sich wieder auf sein Gegenüber. »Der Kommandeur will Antworten. Also...«
Er hob beschwichtigend die Hand. »Die wird er bekommen.« Roger atmete tief ein, denn bei seiner nächsten Frage hatte er Angst vor der Antwort. »Waf machen fie mit Rogi? Fie darf nicht hier bleiben.«
Ophelia stellte daraufhin ihre Tasse ab und drückte kurz seine Hand. »Ich werde tun was ich kann damit Rogi angemessen an dich übergeben wird, Roger.«
Sie tut was sie kann? Oh nein er konnte nicht sicher sein, dass die Wächter Rogis Körper nicht noch weiter zerstörten. Er musste zu ihr!
Er stand ruckartig auf und der Stuhl kippte hinter ihm um. Ophelia zog erschrocken ihre Hand zurück.
»Roger beruhige dich.« Sie schenkte ihm Tee nach. »Sie liegt in einem der Kühlfächer.«
»Waf ift mit den Organen. Nur eine kleine Unachtfamkeit und allef war umfonft!«
»Roger, ich bin sicher, dass ihnen kein Schaden zugefügt wird.«
Das Adrenalin brachte sein Herz zum Rasen. Sein verletztes Auge pulsierte und der Igor biss die Zähne zusammen. Gut sie hatte recht er musste sich beruhigen. Der Kommandeur wartete hinter dem Spiegel sicher nur auf eine passende Gelegenheit. Bedacht stellte er den Stuhl wieder auf, setzte sich jedoch nicht.
»Ich weiß, dass ihr euch sehr nahestandet und ich bin mir sicher, dass es voll und ganz in Rogis Sinne gewesen wäre, dir die Sorge um ihre sterbliche Hülle anzuvertrauen. Wie gesagt, ich werde mich eben dafür einsetzen und dir mein Vertrauen aussprechen. Was ich trotzdem nicht weiß... wie nehmt ihr Abschied?« Ophelia sah den Igor kurz hilflos an und er starrte sie ängstlich an bei dem Gedanken wie Menschen Abschied nahmen. »Versteh mich bitte nicht falsch! Es liegt mir fern, mich dabei aufdrängen zu wollen. Dies ist eine sehr persönliche Sache. Nur denke ich, dass es auch ihren Kollegen ein Bedürfnis sein wird, die Gelegenheit dazu eingeräumt zu bekommen. Und wo viele zumindest Totenwache halten und ihre Verstorbenen aufbahren, vermute ich beinahe, dass dies in euren Kreisen anders aussehen könnte.«
Totenwache. Er hasste dieses Wort. So unnötig den Körper der Luft auszusetzen und den Leichnam den unsichtbaren Dämonen zum Fraß vorzuwerfen. Allein bei dem Gedanken wurde ihm schlecht. Roger ließ sich auf den Stuhl fallen und seufzte.
»Daran hatte ich nicht gedacht, aber daf kann ich unmöglich fulaffen! Ich weif Menfen tun fo etwaf, aber daf geht nicht. Wir verabfieden unf nicht. Wir geben Körperteile und Organe weiter...«, er schluckte schwer ehe er weiter sprach »...da wo fie gebraucht werden.«
Roger vergrub das Gesicht in seinen Händen. Jetzt hatte er es gesagt. Dabei wollte er es gar nicht so enden lassen. Er wollte Rogi für sich und nicht der Igor-Lotterie überlassen. Und schon gar nicht den Wächtern. Er lies seine Hände wieder sinken und schniefte laut.
»Bitte kann ich fu ihr? Ich halte ef nicht mehr länger auf.«
Ophelia wich seinem Blick aus und er sah in den Spiegel.
»Wenn ich könnte würde ich ihr mein eigenef Herf einpflanfen.«
Sein rechtes Auge brannte, als ihm die Tränen überliefen. Er musste endlich etwas gegen diesen elendigen Holzsplitter unternehmen. Doch sein körperlicher Schmerz war nichts im Vergleich zu der Trauer die er empfand. Das war alles so falsch. Für Igors gab es nie einen Grund der Trauer. Nur war Rogi nicht irgendjemand. Roger betrachtete weiter den Spiegel an der Wand und sah dabei wie Ophelia die Tasse langsam, ja vorsichtig, abstellte. Ihre Hand verschwand unter den Tisch und sie senkte den Kopf. Er sog die Luft ein, als er versuchte die Anzeichen zu deuten. Er war ja so ein Egoist wenn es um Rogi ging, dass er nicht sehen wollte wie viel die Igorina diesen Menschen und vor allem Ophelia zu bedeuten schien. So viel Respekt an einem Ort. Kein Wunder, dass Rogi die Wache nicht verlassen wollte. Roger starrte noch einen kurzen Moment in den Spiegel.
Worauf wartete der Kommandeur? Das er etwas falsches sagen würde? Dass Ophelia ein weiteres Mal zusammenbrach?
Er fixierte wieder die Wächterin vor sich, die in ihren Gedanken gefangen schien.
»Ef tut mir Leid, Ophelia. Ich bin ein egoiftifer Miftkerl.«
Er seufzte schwer als Ophelia ihn wieder betrachtete. Ihr Gesicht war zu einer steinernen Miene geworden, bis auf ihre Augen. Warum hatte sich Rogi auf so einen Menschen eingelassen? Sie hatte Rogis Geheimnis bewahrt, gab er sich selbst die Antwort. Warum konnte er ihr nicht ebenso vertrauen? Er beugte sich etwas vor und legte seine Stirn in der rechten Hand ab.
»Wenn ef fo wichtig ift, könnt ihr Totenwache halten«, flüsterte er fast. »Aber ich muff ihren Körper dafür vorbereiten. Verftehft du daf?«
Er beobachtete sie durch seine Finger hindurch. Sie nickte kaum merklich.
»Und der Igor-Clan darf noch nicht benachrichtigt werden.« Er hob seinen Kopf und legte den Arm auf der Tischplatte ab. »Ef wäre eine Fande wenn alle wüfften wie ef um ihre Gefundheit ftand.«
Wenn er das mit der Totenwache richtig anstellte, bekam er vielleicht doch noch eine Gelegenheit Rogi zu retten und beide Parteien weiterhin aus dem Spiel zu lassen. Würde die Familie die Lotterie eröffnen hatte er kaum eine Chance Rogi in diesem Leben wieder zu sehen. Und er konnte nicht mal sicher sein wie die Verwandtschaft reagierte. Rogi war bekannt als die Eine. Ein zweifelhafter Ruf in der Familie. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich als er daran dachte. Nein, besser er versuchte es weiter allein. Ophelia oder den anderen Wächtern irgendwelche Hoffnungen zu machen stand ihm nicht im Sinn. Nein alles was er brauchte war ein ordentliches Gewitter und ein paar neue Organe. Zwei große Probleme. Aber hatte sie nicht von einem toten Wächter gesprochen?
»Ich danke dir für deine Unterftütfung, aber ich denke ich follte den Kommandeur nicht länger warten laffen.«
Ophelia stand wortlos auf und schien erleichtert zu sein den Raum verlassen zu können. An ihm nagte das schlechte Gewissen, als er daran dachte wie er ihr zugesetzt hatte. Der Igor fragte sich ohnehin schon seitdem sie wieder aufgetaucht war, wie sie das alles weg steckte.
»Ich werde ihm sagen, dass du nun bereit bist zu reden, Roger«, sagte sie als sie aus dem Raum trat.
Er bezweifelte, dass sie sich die Mühe machen musste und er hatte recht. Ophelia war nicht mal ein paar Sekunden aus dem Raum getreten, da öffnete sich die Tür schon wieder und der Halbvampir betrat das Zimmer. Er drehte den Stuhl herum und setzte sich verkehrt herum darauf. Der Kommandeur verschränkte die Arme und legte sie auf der Rückenlehne ab.
»Roger richtig?«
»Ja, Herr.«
»Gut, ich habe eine Frage die mir schon die ganze Zeit keine Ruhe lässt – wie verdammt noch mal bist du unbemerkt in das Wachhaus gekommen?«
»Ich nahm den Hintereingang über den Hof, Herr.«
Das Auge des Kommandeurs fixierte ihn regelrecht.
»Und alf Igor hat man gewiffe Talente...«, fügte er hinzu, doch Breguyar schnaubte abfällig.
»Willst du mir damit sagen, dass ein Igor hier freien Zugang hat ohne dass ein Wächter davon etwas mitbekommt?«
»Fobald ihm daf Gebäude bekannt ift, fürchte ich ja, Herr. Waf glaubft du wie Rogi fonft hinter dir erfeinen kö...konnte.«
Araghast presste die Lippen aufeinander. Er schien zu überlegen ob er mit dieser Erklärung leben konnte, doch eine andere konnte Roger dem Wächter nicht liefern. Der Kommandeur seufzte kurz als er beschloss das Problem zu vertagen.
»In welcher Beziehung standest du zu Rogi?«
Roger schluckte schwer.
»Ich liebe fie.«
Der Kommandeur löste die verschränkten Arme und umklammerte die Lehne. Er beugte sich nach vorne.
»Warum hast du nichts gesagt, Mann?«
Roger seufzte und hangelte sich an der Wahrheit entlang.
»Hätteft du mich reden laffen? Hätteft du mir geglaubt? Hätteft du mir von dem Einfatf erzählt?« Roger hatte so schnell gesprochen, dass er nun nach Luft schnappte. »Ich hätte alle Fuld auf mich genommen. Allef waf ihr mir vorgeworfen hättet hingenommen, damit niemand erfährt wie ef Rogi wirklich ging.«
Breguyars griff um den Stuhl lockerte sich wieder.
»Was bitte hattest du vor, Roger?«
»Ich weif nicht, Herr. Ich handelte den Traditionen gemäf um ihre Körperteile fu retten. Fie kann nicht hier bleiben. Fie muff nach Überwald, Herr« Der Igor versuchte die Gesichtszüge des Kommandeurs zu deuten, doch der Püschologe war für ihn undurchschaubar. »Bitte, Herr.«
»Warum muss sie unbedingt nach Überwald?«
Roger seufzte. An sich war die Frage leicht zu beantworten, doch dann würde er eingestehen was er wirklich vorhatte. Und die Worte 'Dort sind die Gewitter besser' lagen ihm auf der Zunge.
»Überwald ift unfere Heimat und die Gefäftftelle in Bad Füfein würde ef nicht akfeptieren wenn fie den Igorf hier überlaffen würde. Auferdem würde ihr Ruf unter den Igorf in der Ftadt keinen Faden nehmen.«
Damit blieb er zumindest bei der Wahrheit. Breguyar brummte unzufrieden und schien nachzudenken.
»Heißt das Rogi genoss einen besonderen Status unter Igors?«
»Daf kann man wohl fagen, Herr. Fie ift die Eine.«
»Die Eine?«
»Daf ift fwierig, Herr. Fie wird von Igorf bewundert und verachtet fugleich. Ef gibt keine Fweite ihrer Art. Fie dient der Ftadt und trifft Entfeidungen die eigentlich ihr Meifter übernehmen follte, doch fie hat keinen. Dank dir, Herr.«
Der Kommandeur nahm Haltung an und schien von Rogers Worten hart getroffen, doch den Igor kümmerte das nicht. Er selbst war immer im Zwiespalt, was Rogis Situation anging. Er bewunderte sie, doch richtig fand er es nicht, denn kaum jemand wusste was sie deswegen durchmachte und nun war es zu spät.
»Du wirst sie für die Totenwache vorbereiten?«
Roger nickte dem Kommandeur zu, auch wenn ihm dabei immer noch unwohl war.
»Die Beerdigung wird einen Tag später stattfinden.«
»Aber...« Roger wollte protestieren wurde jedoch sofort unterbrochen und er hatte das Gefühl in ein tiefes Loch zu fallen.
»Nichts aber! In der Verordnung der Stadt ist hinterlegt, dass Wächter auf dem Friedhof der geringen Götter beerdigt werden.« Breguyar holte tief Luft. »Sie war Wächterin und ich für meinen Teil werde ihr alle Ehre zukommen lassen die ihr die Stadtwache schuldig ist.«
Der Igor erhob sich hastig vom Stuhl und schüttelte energisch den Kopf.
»Nein«, hauchte er kaum hörbar.
Araghast trat um den Tisch zu ihm heran und beugte sich vor um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
»Danach kannst du machen was du willst, aber lass dich bloß nicht erwischen.«

Die Abteilungsleiterin und Gerichtsmedizinerin von SUSI drückte sich vor der anstehenden Aufgabe. Einen toten Wächter hatte man nicht jeden Tag auf dem Obduktionstisch und an diesem Tag waren es gleich zwei. Sie betrachtete den nackten Körper eines jungen Mannes und versuchte dabei den Gefreiten Michael Machwas auszublenden. Die wichtigsten Ikonographien hatte sie schon gemacht und sie atmete einmal tief durch. Sie erkannte deutlich den eingefallenen Brustkorb und den sauberen Schnitt zwischen dem vierten und fünften Rippenbogen. Das Einschussloch nachdem sie Ausschau gehalten hatte war jedoch kleiner als vermutet und sie nahm ein Maßband zur Hand. Knapp ein Zentimeter Durchmesser und von dem Bolzen keine Spur. Sie nahm einen feinen Draht zur Hand und führte ihn in die kreisrunde Wunde. Nach kurzer Zeit spürte sie einen Widerstand und nahm ein weiteres Mal Maß.
»Aufnahme: Start« Magane räusperte sich kurz bevor sie weiter sprach und ignorierte das typische Maulen aus dem Kasten des Aufnahme-Dämons. »Der Tote wurde nach Angaben der Kollegen von SEALS erschossen. Das Einschussloch durchmisst neun Komma fünf Millimeter und der Bolzen befindet sich etwa zwei Zentimeter innerhalb des linken Brustkorbs nahe am Brustbein. Aufnahme: Stop.«
Der Rippenspreizer war schwer und kam nur selten zum Einsatz. Hier bot er sich durch den Operationsschnitt geradezu an und ihr blieb die lästige Arbeit mit der Knochensäge erspart. Sie setzte das Gerät an und drehte an der Kurbel. Es ratterte laut gefolgt von einem Knacken, welches ihr verriet, dass die Rippen nun gebrochen waren. Magane schaute in das Innere und erkannte sofort woran Michael gestorben war. Das viele Blut war ein eindeutiger Hinweis. Der dünne Bolzen der zum Vorschein kam war eindeutig einer Handarmbrust vom Typ Wüstenadler zuzuordnen. Sie entnahm ihn mit einer großen Pinzette und legte ihn in eine Tüte für Beweismittel. Diese platzierte sie auf einen kleinen Tisch neben sich. Vorsichtig präparierte sie das Herz heraus und legte es in die Waagschale. Diese Arbeit würde sie bei Rogi nicht machen müssen oder eher gesagt nicht können. Ein kurzer Blick auf die Leiche der Igorina hatte gereicht, um festzustellen, dass sämtliche Organe fehlten. Der Anblick hatte sich in ihr Gehirn gebrannt und sie hatte so schnell sie konnte mit der Arbeit an Michael angefangen. Er war zwar ebenfalls ein Wächter gewesen und sein Tod nicht geringer, doch bei ihm hatte sie wenigstens einen Ansatzpunkt. Eine gewisse Routine erleichterte die Arbeit und bei der Obduktion von Rogi würde diese fehlen. Ein Organ nach dem anderen landete auf der Waage und wieder im Körper des Toten.
»Aufnahme Start: Der Gefreite Machwas ist an massiven Blutverlust gestorben. Ausgelöst durch das Geschoss einer Handarmbrust.« Sie horchte auf, als die Tür geöffnet wurde. »Aufnahme:Stop.«
Ein Igor schlurfte in den Raum und hinter ihm tauchte der Kommandeur auf.
Das war er also, der mutmaßliche Mörder von Rogi Feinstich. Die beiden waren wohl kaum hier um die Leiche zu identifizieren, anderseits, wenn er schuldig sein sollte, wäre er in einer Zelle und nicht bei ihr in der Pathologie.
»Was gibt es, Sir?«, fragte sie gerade heraus und Breguyar räusperte sich.
»Feldwebel, das ist Roger und er...« Der Kommandeur seufzte. »Er wird Rogi für die Beerdigung vorbereiten, sobald du mit der Obduktion fertig bist.«
Sie nickte ihm zu und betrachtete den Igor, der neben ihm eher klein wirkte. Er hob fast schon verschüchtert die Hand zum Gruß und trat auf sie zu, während Breguyar die Pathologie verließ. Er trug das Hemd einer Grunduniform und nachdem was sie gehört hatte war sein eigenes Hemd auch nicht mehr vorzeigbar. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen und tränte, doch das Linke fixierte regelrecht den Leichnam auf dem Tisch vor ihr.
»Kann ich affiftieren?«, fragte er und ihr wurde bewusst, dass sie ihn noch immer anstarrte.
»Zu zwei geschickten Händen mit Erfahrung sag ich nicht nein, aber allein lass ich dich mit ihm nicht.«
Er nickte und krempelte sich die Ärmel hoch, als er neben sie schlurfte. Er richtete sich etwas auf – reichte ihr aber trotzdem nur bis zum Kinn. Seine gekrümmte Haltung ließ allerdings durchaus noch Platz nach oben. Sie beobachtete ihn und es entging ihr nicht, dass er auf Michaels Herz starrte. Sein Blicke wirkte geradezu in eine andere Welt entrückt und sein blutunterlaufenes Auge ließ ihr keine Ruhe mehr.
»Roger?«, sprach sie ihn zaghaft an und er schaute tatsächlich zu ihr hoch, »Wenn du erlaubst sehe ich mir dein Auge an. Das sieht gar nicht gut aus.«
Er zuckte mit den Schultern, was bei ihm eher wie eine Lockerungsübung aussah.
»Daf ift nicht nötig.«
»Nein, keine Widerrede«, sagte sie bestimmt und zog die Keinesorge-Handschuhe aus nur um sich gleich frische anzuziehen. Sie zog seine Augenlider auseinander und der Igor ließ es sich kommentarlos gefallen.
»Ah ich seh schon, das haben wir gleich«, sagte sie als die den Holzsplitter in der Nähe der Iris entdeckte. »Setz dich bitte auf einen Hocker da hinten.«
Er schlurfte folgsam zu dem ihm zugewiesenen Platz an der gegenüberliegenden Seite, während sie eine saubere Pinzette aus dem Schrank holte.
»Meint der Kommandeur das ernst mit der Beerdigung?«, fragte sie auf dem Weg zu ihm.
»Ich fürchte ef.«
»Ich hab ja immer geglaubt ihr würdet auf Beerdigungen verzichten, wegen der Sauberkeit...«
»Daf ift nicht der Grund!«, unterbrach er sie und biss sich sogleich auf die Zunge.
Sie setzte sich ihm gegenüber und sah ihm in die Augen. Ihm war deutlich anzusehen wie verzweifelt er war und sie ließ seine heftige Reaktion unkommentiert.
»Standet ihr euch sehr nahe?«, fragte sie stattdessen um endlich ein Gefühl dafür zu kriegen, wen sie überhaupt vor sich hatte.
Roger nickte und ließ kurz darauf den Kopf sinken. Er schluckte schwer und sie registrierte seine angespannte Haltung. Deutlicher hätte er es ihr kaum sagen können. Er liebte die Igorina.
»Mein Beileid.« Sie rückte näher an ihn heran und beugte sich vor. »Darf ich?«
Der Igor blickte wieder zu ihr auf und blinzelte das Wasser aus seinen Augen. Sie presste die Lippen aufeinander und konzentrierte sich auf sein verletztes Auge. Mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand hielt sie die Lider offen. In der Rechten hielt sie die Pinzette. Er zuckte nicht einmal zurück, als sie den Fremdkörper entfernte. Vermutlich waren Igors einfach ebenso gute Patienten wie Ärzte. Sie lehnte sich zurück und betrachtete den Holzsplitter, der wesentlich größer war als sie vermutet hatte.
Wie hatte er das nur ausgehalten?
»Danke«, sagte er und kniff das behandelte Auge etwas zusammen.
»Geht es? Der war ziemlich groß und...«
»Allef in Ordnung. Ich werde mich fpäter darum kümmern«, unterbrach er sie und stand auf.
Er schlurfte zurück zu Michael und sie beeilte sich hinterher zu kommen. Der Igor hatte es sichtlich eilig und sie fragte sich, was er vor hatte. Rogi war tot. Sie lief ihnen nicht davon. Als sie bei ihm war schaute er gedankenverloren in den Brustkorb des Toten. Sie entnahm entschlossen den Rippenspreizer und der Igor zuckte zusammen, als das metallische Klappern ertönte.
»Du kannst ihn zumachen wenn du willst. Ich bin fertig mit ihm.«
»Fo gut wie neu«, flüsterte er kaum hörbar.
Sie hielt in der Bewegung inne. »Was meinst du?«
»Fein Herf«, sagte er immer noch in Gedanken, »Ef ift wunderfön.«
So etwas konnte auch nur ein Igor für ein Organ empfinden. Dies brachte sie nur wieder zu einem Gedanken, den sie verdrängt hatte.
»Roger, wo sind Rogis Organe?«
»In ihrer Truhe«, antwortete er während er Nadel und Faden bereit legte.
Sie bereitete den zweiten Obduktionstisch für die tote Igorina vor und ließ Roger in Ruhe Michaels Leichnam versorgen. Der Igor schien bei der Arbeit wieder mehr an Größe zu gewinnen und sie öffnete Kühlfach Nummer Vier. Kalter Rauch waberte zu Boden. Rogi ein weiteres Mal so zu sehen verpasste ihr einen Stich in die Magengrube. Von der Igorina war nur noch die äußere Hülle übrig geblieben. Sie entnahm etwas Blut für das Labor, bevor der Igor sie dabei beobachten konnte. Er machte auf sie einen ziemlich mitgenommen Eindruck und sie wollte nicht riskieren, dass er durchdrehte nur weil sie versuchte ihren Job zu machen. Sie beschriftete das Tütchen mit dem eben benutzen Spatel sorgfältig, als sich ihr Assistent schlurfend näherte.
Er war wirklich schnell und sie kontrollierte seine Arbeit mit einem kurzen Blick. Sie nickte ihm anerkennend zu, doch er hatte ihr schon den Rücken zugewandt und stand vor dem ausgefahrenen Kühlfach. Schweigend beförderten sie gemeinsam die Tote zum freien Obduktionstisch.
»Hattest du etwas Bestimmtes im Sinn, als du ihr die Organe entnommen hast?«, fragte sie vorsichtig.
Er schluckte bevor er seine Aufmerksamkeit von Rogis Körper, ihr zuwandte.
»Ich habe wohl inftinktiv gehandelt. Ihre Körperteile gehören der Familie und allef waf noch fu gebrauchen ift, wird auch weiter verwendet.«
Sie kaute auf ihrer Unterlippe und wagte einen Vorstoß in unbekanntes Terrain.
»Kannst du sie nicht wiederbeleben?«
Seinem Blick nach zu urteilen hatte sie die richtige Frage gestellt. Er zögerte und die Hoffnung die mit dieser Frage kam, schwand so schnell wie sie gekommen war.
Was wollte er verheimlichen? Hier ging es schließlich um Igors. Diese Möglichkeit musste doch bedacht werden.
»Ich meine was würdest du tun, wenn du freie Hand hättest?«, hakte sie nach.

Kathiopeja betrat ein weiteres Mal den Tatort des Grauen, wie sie ihn nannte. Sie hatte schon viel gesehen, aber die ausgeweidete Igorina schlug ihr auf den Magen. Wenigstens war die Leiche inzwischen in der Pathologie. Sie klammerte sich an die zehnte Kaffeetasse des Abends und beobachtete ihre Kollegin, die gerade dabei war die letzten Schubladen der Kommode zu katalogisieren.
»Irgendeine neue Erkenntnis?«, fragte sie und Olga schrieb erst zu Ende, bevor sie aufschaute.
»Leider nicht. Das sieht alles nach ihrem Eigentum aus.«
Sie seufzte und stellte ihre Tasse ins Regal. Sie betrachtete den inzwischen leeren Obduktionstisch auf dem nur noch die Knochensäge lag, die sie auf dem Boden aufgefunden hatten. Aber nach Rogis Zustand musste das nicht mal die Tatwaffe sein.
Das wird sicher eine lange Nacht. Immerhin ist es hier warm und der Kaffeedämon in der Nähe.
Die Igorina hatte über die Jahre hinweg einiges angesammelt. Noch dazu handelte es sich nicht nur um deren Büro, sondern sie hatte hier gewohnt. Kathiopejas Blick schweifte über die Einmachgläser im Regalaufsatz. Neben einem lag eine gewölbte Metallplatte. Sie versuchte den Inhalt des Glases zu erkennen und wich einen Schritt zurück als sie die Haare der Igorina erkannte.
Olga schaute von ihr zum Glas und nickte langsam.
»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. In der Truhe da drüben scheint auch der Rest von ihr zu sein.«
»Hast du die etwa auch schon durchsucht?«, fragte sie ungläubig.
Sie war doch nur einen Kaffee holen.
Ihre Kollegin schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nur einen kurzen Blick hineingeworfen. Wir haben hier noch genug zu tun.«
»Das habe ich befürchtet.«
Die Klatschianerin nahm ihre Tasse aus dem unteren Regalfach und trank sie in einem Zug leer. Sie zog sich ein paar neue Keinesorge-Handschuhe an und öffnete das Ersatzteillager der Igorina. Der Lance-Korporal blickte auf eine Vielzahl frischer Organe. Alle noch nicht durchgefroren. Erleichtert stellte sie fest, dass alle sorgsam verpackt waren und sie ergriff vorsichtig den Zipfel eines Beutels und hob ihn an. Einen nach dem anderen breitete sie auf dem Obduktionstisch aus. Der restliche Inhalt schien schon älter zu sein. Zumindest war er tiefgefroren und sie versuchte nicht die einzelnen Details zu erkennen. Bei dem gefrorenen Hund musste sie allerdings aufstoßen und sie hielt sich den Armrücken vor den Mund. Sie schnaufte und biss die Zähne zusammen, als sie auch diesen beiseite schob. Niemand sollte ihr vorwerfen können, dass sie etwas übersehen hatte. Und tatsächlich fand sie etwas, das in einer eisgekühlten Truhe eher nicht zu erwarten war. Andächtig nahm sie das Etwas heraus und betrachtete es von allen Seiten.
»Olga, schau mal.«, sagte sie als der Deckel der Truhe zuklappte.
»Ein Keinesorge?« Ihre Partnerin war schon längst neben ihr.
»Ja, aber was ist da drin?«
Der Gummi war spröde geworden und sie riss das verknotete Ende ab. Die Papierrolle, die zum Vorschein kam, wies eine dünne Naht in der Mitte auf und sie blickte durch das Papierrohr.
»Hast du sowas schon mal gesehen?«, fragte sie und reichte Olga das Beweisstück.
Sie schüttelte zur Antwort den Kopf.
Das feine Spinnennetz, dass sich im Inneren der Rolle abzeichnete war beeindruckend und sie fragte sich, welche Bedeutung dahinter steckte.
»Ich sag mal der Chefin Bescheid«, sagte sie und dachte dabei an den nächsten Kaffee.
Sie verließ die Zelle ohne auf eine Reaktion von Olga zu warten und ging auf direkten Weg in die Pathologie. Die Abteilungsleiterin arbeitete wie erwartet ebenfalls noch, aber wenn Wächter starben hatte das immer Priorität. Sie blieb abrupt stehen, als sie den Igor bemerkte und griff automatisch zu ihrem Dolch. Magane bemerkte ihren Blick.
»Er ist unschuldig.«, sagte ihre Chefin ruhig. »Was gibt es?«
Sie lockerte ihre angespannte Haltung wieder. »Das solltest du dir ansehen, Mä'äm.«
Die Gerichtsmedizinerin runzelte kurz die Stirn und bedeutete dem Igor mit einer Handbewegung ihr zu folgen. Kathiopeja hatte den Raum so schnell sie konnte verlassen. Die beiden hatten zusammen an der toten Igorina gearbeitet, was ihr in Anbetracht der Umstände doch merkwürdig vor kam. Sie würde dem Kerl zumindest nicht so einfach über den Weg trauen. Als sie wieder bei Rogis Zelle ankam, war Olga bei der letzten Schublade angekommen. Einen Sekundenbruchteil später stand die Abteilungsleiterin auch schon in der Tür und sie hörte einen schrillen Aufschrei. Der Igor drängte sich in den Raum und humpelte zum Obduktionstisch.
»Waf habt ihr getan?«, fragte er aufgebracht und strich behutsam ja fast schon zärtlich über die abgepackten Beutel. Seine Aufmerksam galt ihnen nicht lange und er öffnete die Truhe und schickte sich an die Organe wieder zurück zu legen.
»Roger, raus hier«, sagte Magane streng und betrat nun ebenfalls den Raum. »Ich warne dich –
leg die Milz wieder hin.«
Der Deckel der Truhe knallte laut, als er sich ruckartig wieder aufrichtete. Das verpackte Organ unschlüssig in den Händen.
»Bitte«, flehte er die Wächter an. »Wenigftenf ihr Gehirn.«
Kathiopeja beobachtete angespannt die Abteilungsleiterin, die ihre Lippen zusammenpresste. Sie ließ die Schultern hängen und nickte ihm zu. Er zögerte keinen Moment, als er nach einem andern Beutel griff und diesen vorsichtig in der Truhe ablegte. Unter dem strengen Blick der Vorgesetzten schlurfte der Igor gebeugt nach draußen und wartete im Gang.
»Ist das alles, was in der Truhe war?«
»Ja, Mä'äm. Zumindes alles was nicht länger als drei Stunden im Eis lag.«
»Ich habe auch schon eine Ikonographie gemacht, Mä'äm«, sagte Olga und beobachte ebenso kritisch wie sie selbst den Igor.
Wie gerne würde sie ihm die Tür vor der Nase zuknallen, aber der Rekrut Opal hatte von dieser nicht mehr als ein paar Sägespäne übrig gelassen.
»Habt ihr sonst etwas gefunden?«
Sie wechselte einen Blick mit ihrer Partnerin, die Magane schließlich die Papierrolle zeigte.
»Das war ebenfalls in der Truhe«, antwortete Kathiopeja.
Magane schaute ebenso verblüfft auf das Spinnennetz im Inneren und rief den Igor zu sich.
»Was ist das, Roger?«
Er betrachtete nur nervös die Tüten auf der Tischplatte. Ihre Vorgesetzte seufzte laut bevor sie weiter sprach. »Ok, tu was du nicht lassen kannst.«
»Danke!«, rief er erleichtert aus und packte alles auf dem Tisch wieder fein säuberlich auf Eis.
»Er kann doch nicht einfach...«
»Doch er kann«, sagte Magane ruhig und hob beschwichtigend eine Hand.
Kathiopeja schnaubte abfällig. Die Igorkultur mochte vielleicht anders sein, aber wenn das so weiter ging durften in Zukunft noch Igors in einen Tatort reinplatzen nur weil der Tote einen Organspendeausweis besaß. Olga klopfte ihr beschwichtigend auf die Schulter und deutete auf den Ikonographen. Es war nur ein schwacher Trost. Sie würde ihm das an Maganes Stelle jedenfalls nicht durchgehen lassen. Der Igor atmete tief durch, als er die Kiste wieder sorgsam verschlossen hatte. Er nahm der Chefin die Papierrolle ab und strich über die dünne Naht die von Außen zu sehen war. Sie knirschte mit den Zähnen, als er das Beweisstück befingerte. Als er hindurch sah, schluckte er.
»Daf ift ein Igorfiegel«, sagte er leise.
»Und was bedeutet das?«, fragte Magane.
»Daf ift eine fehr private Angelegenheit. Rogi wollte nicht daf ef geöffnet wird.«
»Woher weißt du das, Mann?«, fragte Kathiopeja ungeduldig und handelte sich ein tadelndes Kopfschütteln ihrer Chefin ein.
»Ich erkenne ef an dem Mufter und jeder Igor hält fich daran«, antwortete er und fixierte sie regelrecht. »Und jeder andere, müffte daf Fiegel fon ferftören.«
Sie wandte sich ab. Den kritischen Blick des Igors musste sie sich nicht antun. Er war hier der Verdächtige und sie wollte nur ihren Job machen. Ohne ein Wort verließ sie den Raum.
»Wo willst du hin?«, hörte sie die Stimme ihrer Abteilungsleiterin und ihre schlechte Laune des Abends verfinsterte sich.
»Ich brauche einen Kaffee.«

Der Kommandeur betrat mit einer heißen Tasse Kaffee sein Büro. Er öffnete die untere Schublade, als er an seinem Schreibtisch angekommen war und überlegte, sein Getränk etwas mit dem Untervektorrum zu verfeinern, schloss sie aber energisch wieder. Er war die ganze Nacht im Wachhaus geblieben und er hatte definitiv genug getrunken. Am Besten er würde sich heute in seinem Büro verschanzen und den Tag aussitzen. Mit leichten Kopfschmerzen dachte er an die Geschehnisse des letzten Tages und fragte sich ob er anders gehandelt hätte, wenn er von Rogis gesundheitlichem Zustand gewusst hätte. Er schüttelte den Kopf. Es nützte nichts, sich Vorwürfe zu machen. Wenn die Zeit kam, würde er mit Ophelia darüber reden müssen, denn sie hatte eindeutig etwas davon gewusst und das wurmte ihn. Nur fürchtete er, dass ein geeigneter Zeitpunkt nie kommen würde und er wollte sie in dieser Angelegenheit sicher nicht unter Druck setzten. Zumindest noch nicht. Er ließ wütend eine Faust auf den Tisch knallen. Der Kaffee schwappte über und Araghast schüttelte die gestauchte Hand. Prügel taten nicht nur dem weh der sie einsteckte, sondern auch demjenigen der sie austeilte. Er seufzte und dachte an den Igor, der in einer der Zellen saß. Natürlich wurde nicht abgeschlossen, aber solange die Untersuchungen in dem Fall noch liefen, hatte er dem Igor angeraten, in der Nähe zu bleiben. Roger hatte kommentarlos die Schläge bei seiner Verhaftung eingesteckt und er fragte sich ob er ihm wirklich Schaden zugefügt hatte. Wenn verbarg er es gut. Der Kommandeur wischte sich mit einer Hand über das Gesicht und versuchte die Müdigkeit zu verscheuchen, die langsam Überhand nahm. Er trank einen Schluck des schwarzen Gebräus, den er sich in der Küche zubereitet hatte und verschluckte sich am Kaffeesatz. Das hatte er nun davon, sich die Zeit für den Filter zu sparen. Er stand auf und öffnete ein Fenster. Die kühle Morgenluft würde ihm sicher gut tun und er atmete tief durch.
Es klopfte an seiner Tür. Er schreckte hoch und stieß sich dabei den Hinterkopf am Fensterrahmen. Er überlegte ob er jemanden erwartete und seufzte als es ihm einfiel. Er hatte Magane gebeten, Bericht zu erstatten, und nun war es soweit. Er setzte sich schnell und wischte mit seinem Ärmel den Kaffee von der Schreibtischplatte.
»Herein«, sagte er und rieb die schmerzende Stelle am Hinterkopf.
Wie erwartet betrat die Abteilungsleiterin von SUSI den Raum und grüßte mit einem Salut.
»Guten Morgen, Feldwebel Schneyder«, sagte er und seine üble Laune hellte sich ein wenig auf, als er ihren verbissenen Gesichtsausdruck sah.
»Sir, du wolltest mich sprechen?«
Er nickte und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. Sie legte einen Schlüsselbund auf seinem Schreibtisch ab, bevor sie sich setzte. Als er ihn erkannte zwickte er sich in den Nasenrücken. Die Zweitschlüssel der Wache hatte er bei seiner Ernennung zum Kommandeur an Rogi gegeben und er hatte auch schon die Nacht darüber sinniert, wem er die Verantwortung nach ihrem Tod übertragen wollte, doch mit der Präsenz der Schlüssel rückte dieses Gespräch in greifbare Nähe und er seufzte. Er griff kommentarlos nach dem Schlüsselbund und schmiss ihn in eine seiner Schubladen.
»Gibt es etwas, das ich wissen muss, Feldwebel?«
»Nun, Sir. Michaels Todesursache ist klar.«
»Ja, wir haben ein Geständnis. Komm zum Wesentlichen.«
Sie nickte ihm zu. Er musste ihr nicht deutlich machen, dass der Fall für ihn abgeschlossen war. Nachdem er das Geständnis von Michaels Mörder hatte, war alles weitere unwichtig.
»Die genaue Todesursache von Rogi wird sich kaum noch prüfen lassen, Sir.«
Er hob fragend die Brauen. »Was soll das heißen?«
»Zum einen ist das meine erste Obduktion eines Igors und zum anderen – ihr Herz fehlt.«
»Wie, es fehlt?«
Die Müdigkeit wurde von dieser Neuigkeit verscheucht und er setzte sich gerade auf.
»Roger hat es an Michaels Hund verfüttert. Er meinte, es sei nicht mehr zu gebrauchen gewesen.«
Verfluchte Igormentalität! Wenn Rogis Tod nicht genau bestimmt werden konnte, so musste er sich auf die Aussagen von Ophelia und Roger verlassen.
»Wo ist der Köter?«
»Bei ihm in der Zelle, Sir. Das Labor ist noch nicht ganz durch, aber in ihrem Blut wurden Rückstände eines Medikamentes gefunden.«
Das deckte sich mit der Aussage und dennoch hatte er das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er konnte noch solange darüber nachdenken er kam nicht darauf, was ihn an der ganzen Situation störte.
»Hast du sonst etwas von dem Igor erfahren?«
Roger hatte ihr schließlich einiges anvertraut, während er bei der Gerichtsmedizinerin war. Wenigstens war also dieser Plan aufgegangen. War zu hoffen, dass Magane ihm noch mehr zu berichten hatte.
Sie schüttelte den Kopf und er seufzte enttäuscht.
»Falls sich etwas Neues ergibt, ergänze ich das in meinem Bericht, Sir.«
»Ist er denn soweit...«, er suchte nach dem richtigen Wort, »fertig mit ihr?«
»Darum kümmern wir uns heute, Sir.«
Wir also. Interessant und sicher noch nützlich.
Seine Ahnung, dass etwas nicht stimmte verdichtete sich und es wurde Zeit, seine altbewährten Methoden der püschologischen Kriegsführung anzuwenden.
»Ich erwarte die Akte bis heute Mittag und zwar komplett.«, sagte er und sie knirschte mit den Zähnen. »Und nur, dass es klar ist – Obduktions- und Tatortbericht. Verstanden, Feldwebel Schneyder?«
Er nahm zufrieden zur Kenntnis, wie sie laut durch die Nase einatmete. Umso enttäuschender war ihre beherrschte Antwort.
»Ich bringe ihn persönlich vorbei, Sir.«
»Weggetreten.«, sagte er und unterdrückte den Drang sich seine Beule zu reiben, bis sie sein Büro verlassen hatte.
Wollen doch mal sehen, wer hier den längeren Atem hatte.
Er wartete einen Moment um sich etwas zu entspannen und trank in Ruhe seinen Kaffee aus. Diesmal ohne weitere Zwischenfälle. Er betrachtete den Aktenberg der sich wieder einmal auf seinem Schreibtisch zu stapeln begann und ignorierte ihn – wieder einmal. Ihm war nach dieser Nacht nicht nach Aktenschaufeln zu mute.
Nein es war an der Zeit, dem Igor auf den Zahn zu fühlen, ohne dass er dabei beobachtet oder protokolliert wurde.

Ophelia las schon zum dritten Mal ein und den selben Satz in der Fallakte vor ihr und sie konnte sich einfach nicht weiter darauf konzentrieren. Sie seufzte entnervt und ließ sich in das Samtpolster sinken. Niemand erwartete von ihr, dass sie heute arbeitete und sicherlich würde Breguyar sie fort schicken, wenn er von ihrer Anwesenheit wüsste. Nur die leere Wohnung war schlimmer als alles andere. Sie strich sich mit dem Handrücken über die Augen. Rogi fehlte ihr so unendlich und die Schuldgefühle waren unerträglich. Sie stand einem Impuls nachgebend auf und verließ ihr Büro. Sie hatte kein Ziel vor Augen, als sie durch das Wachhaus streifte, bis sie sich in der Pathologie wieder fand.
»Ich hoffe, ich habe dir keinen Ärger bereitet«, sagte Roger zu der Gerichtsmedizinerin.
Er stand mit dem Rücken zu ihr und hatte ihre Anwesenheit nicht bemerkt. Magane jedoch sah sie erschrocken an und richtete sich von ihrer Arbeit auf.
»Kann ich etwas für dich tun?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie wagte nicht etwas zu sagen aus Angst, ihre Stimme könnte ihr versagen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie wollte nur allein sein und jetzt platzte sie mitten in etwas hinein, dass sie nichts anzugehen schien.
Der Igor drehte sich zu ihr um und gab den Blick auf den Obduktionstisch frei. Sie trat unbewusst näher, als sie erkannte wer dort lag. Sie hielt sich die zittrige Hand vor den Mund. Rogi sah von hier fast lebendig aus. Eine Unmöglichkeit, der sie fast Glauben geschenkt hätte, wenn sie das Bild der toten Igorina nicht vor Augen hätte. Roger hatte gute Arbeit geleistet. Sie schluckte den Kloß im Hals herunter und ging an das Kopfende des Tisches. Rogis Haar war noch klamm und ein beißender Geruch stieg ihr in die Nase, den sie nicht klar einordnen konnte. Roger trat kaum merklich etwas zurück, als sie in seine Nähe kam und sie bedachte ihn mit einem flüchtigen Blick. Seine Augen wanderten von Rogi zu Magane und auch kurz zu ihr.
»Ich werde euch mal alleine lassen«, sagte die Gerichtsmedizinerin und Ophelia sah schnell auf.
Sie sah nur noch ein Handzeichen von der Abteilungsleiterin, das dem Igor galt und verließ den Raum. Er verlagerte sein Gewicht von einer Seite zur anderen. Er knöpfte stumm das Uniformhemd der Igorina zu. Die Vorwürfe die er ihr gemacht hatte, kurz bevor sie das Bewusstsein verloren hatte, gingen ihr wieder durch den Kopf.
»Roger, es tut mir so Leid. Ich habe das nicht gewollt.«
Er hielt beim letzten Knopf inne und seufzte. Seine Schultern sanken herab und er setzte die Arbeit fort. Er schwieg beharrlich und sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Sie war schuld an diesem Chaos. Ohne sie hätte Rogi den Entzug nicht begonnen und würde noch leben. Roger hatte sie von Anfang an gewarnt. Sie presste die Lippen aufeinander.
»Kann ich irgend etwas tun?«, fragte sie vorsichtig und hoffte, dabei den Igor nicht gekränkt zu haben.
»Ich bin fertig«, sagte er nur und wandte sich zum Gehen. »Du kannft jetft...abfied nehmen.«
Nach allem was passiert war, tat seine Distanz zu ihr dennoch weh. Und wieder fühlte sie sich so hilflos und unbeholfen. Es musste doch etwas geben, das sie für Rogi tun konnte und wenn sie nur Roger beistand. Sie hatte ihm versprochen, dass Rogis Hülle an ihn gehen würde. Sie konnte ja nicht ahnen, dass gerade Breguyar auf das Stadtrecht pochen würde.
»Ich könnte mit dem Kommandeur reden«, sagte sie, als er bei der Tür angekommen war. »Vielleicht sagt er die Beerdigung doch ab?«
Er drehte sich zu ihr um. »Bitte, laff ef gut fein. Du haft fon genug getan.«
Diese Spitze traf sie unvorbereitet und sie sah ihn entsetzt an.
Hätte sie sich doch nur nie eingemischt.
Sie wandte den Blick von Roger ab und sah in das Gesicht der Igorina. Sie sah aus als würde sie schlafen. Als müsste sie Rogi nur kurz wachrütteln und alles wäre wieder in Ordnung.
»Ich wollte es doch nur richtig machen«, flüsterte sie fast schon.
»Ef tut mir Leid. Ich habe ef nicht fo gemeint«, sagte er schnell. »Du haft mir wirklich auf der Klemme geholfen.«
Sie nahm ihm die Entschuldigung nicht ab. Warum sollte er ihr auch verzeihen, nach dem was sie getan hatte? Sie hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Roger war gegangen und sie war allein. Sie zitterte am ganzen Körper und konnte sich nicht rühren. Ophelia stützte sich am Tisch ab und berührte dabei das Haar der Igorina. Sie zuckte zurück, als die Tür sich ein weiteres Mal öffnete.
Oh, bitte lass diese Tortur nicht weiter gehen.
Es betrat Magane anstatt wie erwartet der Igor den Raum.
»Entschuldige, dass es so lange gedauert hat. Ich musste erst Wasser aufsetzen.«
Sie schloss die Augen und unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Sie durfte sich jetzt keine Blöße geben.
»Ich dachte mir, wir könnten einen Tee trinken«, drang die ruhige Stimme der Gerichtsmedizinerin an ihr Ohr. »Und ich hatte gehofft, du könntest dich solange mit Roger aussprechen.«
Sie hörte ein Seufzen und das Klappern eines abgestellten Tabletts.
Was wollte sie ihr damit sagen?
»Anscheinend habe ich da falsch gedacht.«
Sie öffnete die Augen wieder, als sie merkte, dass Magane ganz nah bei ihr war. Sie reichte ihr eine Teetasse.
»Hier trink das. Es wird dir sicher gut tun.«
Ophelia nahm stumm die Tasse entgegen und das angenehme Aroma des Tees stieg ihr in die Nase.
»Ich fürchte, ich muss mich für sein Benehmen entschuldigen. Es tut mir Leid, dass ich dich mit ihm alleine gelassen habe.«
»Es ist auch nicht einfach für ihn«, sagte sie leise.
»Für dich genauso wenig, nehme ich an.«
Sie nickte der Gerichtsmedizinerin unwillkürlich zu und bereute es gleich wieder. Sie trank lieber schnell einen Schluck und Magane hatte recht – es tat gut.
»Verrat mich nicht, aber ich denke, Roger ist neidisch«, sagte ihr Gegenüber und lächelte kurz.
Sie verschluckte sich fast und sah fragend zurück.
»Er meint, du standest Rogi näher als er selbst. Deswegen erträgt er deine Anwesenheit nicht.«
Konnte sie das glauben? Sollte das der wirkliche Grund für sein Verhalten sein?
»Was hat er dir noch erzählt?«, fragte sie zaghaft und ihre Stimme brach.
»Mehr als ihm lieb war.«
Nein das konnte doch nicht wirklich sein? Roger konnte sich nicht ernsthaft Magane anvertraut haben, oder?
Magane seufzte, als sie ihren Blick sah: »Vertraust du ihm?«
Ophelia runzelte kurz die Stirn bevor sie zur Antwort nickte. Auch wenn er sie hassen musste, war Roger außer ihr der einzige der Rogis Geheimnis kannte. Sie bedachte Magane mit einem nachdenklichen Blick und fragte vorsichtig: »Du nicht?«
»Ich weiß es nicht. Die Geschichte ergibt auf eine grausame Weise sogar Sinn. Das schwache Herz und das Medikament. Es könnte sein, aber ich kann es nicht nachprüfen.«
Sie trank erleichtert einen weiteren Schluck Tee. Roger war bei ihrer Version geblieben und das war gewissermaßen beruhigend.
»Du glaubst die Geschichte nicht?«
»Ich weiß eher nicht, was ich sonst glauben soll«, kam die schnelle Antwort.
»Du vermutest etwas?«
Magane winkte ab. »Ach nur so ein Gedanke und ich möchte nicht unnötig Gerüchte in die Welt setzten. Wir reden hier schließlich von Rogi.«
Die Gerichtsmedizinerin ahnte etwas. Nur was, das wurde nicht deutlich.
»Wie kommt es eigentlich, dass du davon wusstest?«
»Von was?«, fragte sie aus Reflex zurück.
»Dem schwachen Herz. Ich meine bis auf dich und Roger scheint es keiner bemerkt zu haben.«
»Ich...«, sie stockte.
Was sollte sie auch sagen? Die Situation war einfach nur verfahren. Sie flüchtete sich in einen weiteren Schluck des feinen Tees.
»Ich habe viel von ihr erfahren, als sie mich über mehrere Wochen pflegte.«
Sie musste nicht hinzufügen, dass es um den Ascher Fall ging. Magane nickte ihr zu und wandte entschuldigend den Blick ab. Sie trank aus ihrer Tasse und stellte diese vorsichtig in ihrem Schoß ab.
»Wo ist Roger eigentlich hin? Ich wollte ihn nicht vertreiben.«, brach sie das Schweigen und sie wollte nicht, dass Magane sich wegen ihr Gedanken machte.
»Mach dir deswegen keinen Kopf. Er ist mit dem Hund eine Runde spazieren.«
»Muss er nicht hier bleiben?«
»Ich bin mir sicher, er läuft uns nicht weg«, zwinkerte ihr die Gerichtsmedizinerin zu und neigte den Kopf zu Rogi.
»Ja, du hast recht. Wie dumm von mir.«
Magane stand unvermittelt auf und lief zum Schrank hinüber. Ihr Aufenthalt dort dauerte nicht lange und sie kam mit einem kleinen Karton zurück. Ihre Teetasse hatte sie dort auf dem Tablett zurück gelassen.
»Möchtest du mir vielleicht dabei helfen?«, fragte die Gerichtsmedizinerin und öffnete den Karton so, dass auch sie hinein sehen konnte.
Sie berührte zaghaft die Dienstmarke die ihr entgegen blitze und erkannte noch ein paar weitere Abzeichen. Die Gerichtsmedizinerin nahm ihr kommentarlos die inzwischen leere Teetasse ab. Sie sah kurz zur schmucklosen Uniform der Igorina und nickte schließlich Magane zu.
»Ja, das würde ich gerne.«

Hendrik Lemm wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Er hatte nicht die Zeit, sich nach der Arbeit auch noch zu waschen und musste so wohl oder übel voll geschwitzt und dreckig wie er war in seinen schwarzen Anzug schlüpfen. Den ganzen Morgen hatte er die beiden Gräber ausgehoben und einen Teil der Erde in der Mitte angehäuft wie der Priester Gernot Alster ihn angewiesen hatte. Es ärgerte ihn, dass der alte Saufbold ihn immer wieder zurecht wies. Dabei musste dieser nie bei solch einen Wetter schuften, wie er selbst. Die Sonne brannte schon den ganzen Tag auf ihn runter, doch es war besser als Regen. Er sah aus dem kleinen Fenster des Geräteschuppens und entdeckte den Zug Wächter durch das Tor schreiten und beruhigte sich wieder. Er spuckte schnell in seine Hand und strich sich das Haar zurück. Er schloss die kleine Hütte mit dem Werkzeug hinter sich ab und eilte den Wächtern hinterher. Der Priester musterte ihn kritisch als er seine Anwesenheit bemerkte. Es war ihm egal. Dieser Beerdigung wollte er beiwohnen. Egal ob er dafür Ärger kriegen würde oder nicht. Er war es der Igorina schuldig, denn ohne sie wäre er nicht mehr am Leben. Deutlich hatte er das Bild vor Augen, wie er in der Gosse der Schatten beinahe verreckt war. Erschrocken weiteten sich seine Augen, als er daran dachte wie lange das schon her war.
Zehn verfluchte Jahre. Er war damals noch ein halber Mann – Ein Kind.
Er schüttelte sich kurz um die alten Erinnerungen zu verdrängen und konzentrierte sich auf das hier und jetzt. Er musterte die Anwesenden und runzelte unbewusst die Stirn. Er war der einzige außerhalb der Wache. Kein einziger aus der Igor-Familie war erschienen. Erst auf den zweiten Blick entdeckte er eine krumme Gestalt. Die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht gezogen. Vielleicht ein Igor; Vielleicht auch nicht. Er seufzte leise und richtete seinen Kragen. Er hatte gehofft, mehr über die Umstände zu erfahren. Rogis plötzlicher Tod war überraschend gekommen und er selbst hatte es auch nur erfahren, weil Gernot sich darüber beschwert hatte, einer Igorina die letzte Ehre zu erweisen.
Letzte Ehre, lächerlich. Der Trunkenbold wusste doch gar nicht, was das Wort für eine Bedeutung hatte.
Ihn ärgerte es umso mehr, dass mit der Igorina so verfahren wurde. Er kam aus Überwald und kannte sich mit den Gepflogenheiten des Clans sehr wohl aus. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass auch nur ein Igor dies zulassen würde.
Wusste die Familie überhaupt, was soeben geschah? Rogi sollte nicht hier sein.
Die beiden Särge wurden auf den Bohlen, die er bereit gelegt hatte, abgestellt. Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können. Der Eine musste aufgrund seines eigenen Gewichts schon von acht Männern getragen werden. Die einfache Holzkiste hingegen war so schlicht und einfach, dass man ihr nur einen Poststempel aufdrücken musste um die Igorina zu versenden. Nur der Vergleich passte nicht und sein Irrtum ging ihm auf, als er genauer hin sah. Der luxuriöse Sarg war zwar groß, aber nicht so lang wie sein Nachbar. Und Rogi war eine Kleine gewesen. Er hatte sie schon damals überragt. Nur mit halbem Ohr lauschte er der Rede, die der Priester leise vortrug und betete stattdessen seine eigenen Gedanken still in sich hinein. Er schloss die Augen und faltete die Hände ineinander.
Du gabst mir Hoffnung in einer Zeit der Dunkelheit. Niemals werde ich dich vergessen und ich bin froh, dass du in mein Leben getreten bist. Nie hätte ich den Absprung aus der Gosse geschafft, denn durch dich hatte ich erst eine Zukunft. Du weißt es nicht, aber wegen dir habe ich diesen Beruf ergriffen und es nie bereut. So konnte ich dir wenigstens helfen und die gemeinsamen Nächte auf diesem Friedhof werden mir immer in Erinnerung bleiben. Ich hoffe, man holt dich da raus, denn ich werde dich vermissen.
»Mögen die Götter ihren Seelen gnädig sein« , murmelte er die letzten Worte von Gernot Alster leise mit.
Als er seine Augen wieder öffnete sah er, wie der Trunkenbold von Priester seinen Flachmann aus dem Ärmel zog und daraus trank. Hendrik knirschte mit den Zähnen und schwor sich, diesem alten Mann eine Lektion in Sachen Ehre zu verpassen. Er atmete kurz tief ein um sich wieder zu beruhigen und beobachtete, wie einer der Wächter vortrat. Der goldene Stern zeichnete ihn klar als Kommandeur der Wache aus. Er dachte an die alten Zeiten, in denen die Ränge wie folgt zusammengefasst wurden: 'Bis zu zwei Streifen sind okay, bei dreien hast du ein Problem, ab vier sorge für Ablenkung, doch siehst du einen Stern, bleib stehen und tue so als wäre nichts passiert'. Der Kommandeur strich gerade einen abgegriffenen Zettel glatt und räusperte sich um der Versammlung zu verdeutlichen, dass er nun bereit war, seine Rede vorzutragen.
»Wächter, ich kann nicht viel zu den beiden Verstorbenen sagen. Rogi Feinstich und Michael Machwas waren ein Bestandteil der Wache, wie der Ankh ein Teil dieser Stadt ist, der wir alle den Eid geschworen haben.«
Der Kommandeur machte eine kurze Pause und der Blick des Totengräbers schweifte über die restlichen Anwesenden.
»Der Gefreite Michael Machwas war mir kaum bekannt und auch über seine Vergangenheit war nicht viel herauszufinden, doch Rogi Feinstich hatte ihn ausgebildet, was ihn in meinen Augen zu einem Wächter erster Klasse gemacht hat. Er war gerade zu der Inbegriff eines Wächters und jeder der ihn sah zweifelte nicht daran.«
Eine weitere Pause und er sah wie der Kommandeur den Zettel glatt strich und schluckte bevor er weiter sprach.
»Feldwebel Rogi Feinstich hingegen war nicht nur Wächterin sondern die loyalste Person, die ich kannte.« Eine weitere Atempause brachte den Redefluss ins Stocken. «Sie war schon in der Wache als ich noch Rekrut war und es gibt wenige, die dienstälter sind. Ich habe ihr bedingungslos vertraut und viele von uns wären ohne sie und ihre Fähigkeiten nicht mehr am Leben oder um das eine oder andere Körperteil leichter. Mit ihr verlieren wir eine unserer erfahrensten Wächterinnen und eine Igorina, die immer für einen da war wenn man sie brauchte. Rogi, ich werde dich vermissen.«
Der Einäugige faltete den Zettel vor sich zusammen und gab den Sargträgern ein Zeichen. Das Papier wanderte in die Brusttasche seiner Uniform.
»Wenn es einen Gott der Wächter gibt, so hoffe ich nimmt er sich unserer beiden Kollegen an. Mögen sie in Frieden ruhen«, lautete die letzten Worte und die Särge wurden angehoben.
Hendrik biss die Zähne zusammen als er sah wie die Bretter entfernt wurden und schloss die Augen. Er hatte viele Beerdigungen gesehen, aber er konnte nicht mit ansehen, wie Rogis Sarg gleich in dem Erdloch verschwinden würde. Er zuckte zusammen, als der schrille helle Ton der traditionellen Wächter-Pfeife erklang, doch seine Augen blieben geschlossen und er senkte den Kopf zum stillen Gebet. Erst als er den vertrauten dumpfen Aufschlag der Särge hörte, sah er wieder auf. Direkt in das bleiche Gesicht einer Wächterin, die zusammenbrach und nur durch die schnelle Reaktion ihres Nachbarn aufgefangen wurde.
Sie war wohl mehr als eine Kollegin oder einfach nur zimperlich.
Als die ersten Wächter an die beiden Gräber herantraten, reihte er sich in das Geschehen mit ein und versuchte näher an die Person heran zu treten, die ebenso wenig zu den Wächtern gehörte wie er. Doch die Gestalt in Kapuze hielt sich weiterhin im Hintergrund, während der Rest eine Schaufel voll Erde oder Blumen in die Gräber fallen ließ. Hendrik tat es ihnen gleich und spürte die Blicke auf sich ruhen. Kein Wächter kannte ihn und das wollte er so belassen. Sollten sie sich doch fragen zu welchen der Verstorbenen er nun gehörte. Der Totengräber wagte einen Versuch und bekundete der verhüllten Person sein Beileid. Verdutzt wurde sein Händedruck erwidert und er sah was er sehen wollte – eine vernarbte Hand mit zwei Daumen. Am liebsten hätte er den Igor mit Fragen gelöchert, doch die traurige Gestalt vor ihm sah nur stumm zu Boden, als wollte sie von all dem hier nichts wissen. Er lies ihm seine Ruhe und beobachtete wie eine Wächterin, die nur wenige Zentimeter kleiner war als er, selbst an den Igor heran trat. Sie legte ihm den Arm um die Schultern und sie redeten leise miteinander. Viele der Anwesenden begannen miteinander zu sprechen und Hendrik nutzte den Moment die Versammlung hinter sich zu lassen. Er ging zurück in den kleinen Schuppen in dem er sich notdürftig umgezogen hatte und schlüpfte wieder in seine dreckige Arbeiterkleidung. Als er fertig war sah er hinaus auf den Friedhof und beobachte, wie ein paar verbliebene Wächter seine Arbeit machten. Sie schütteten die Gräber zu und normalerweise, hatte er nichts gegen ein freien Nachmittag, aber Rogis Grab hätte er gerne unberührt gelassen. Als er sicher war, dass ein Igor unter den Trauernden war, fühlte er sich darin bestätigt, seinen Plan umzusetzen, doch nun musste er umdenken. Der kleine Hoffnungsschimmer, den der Trauergast aufleuchten ließ, veranlasste ihn die Werkzeuge ordentlich aufzuräumen und gewisse Vorbereitungen zu treffen. Der Totengräber und sein Chef Erster Ehelicher hatte ihm dies zwar schon vor Tagen aufgetragen, doch jetzt sah er wenigstens einen Nutzen darin.

Roger sah sich ein ums andere Mal um und sein Blick blieb immer wieder an der Gerichtsmedizinerin hängen, die ihn begleitete. Er biss die Zähne zusammen und fluchte in sich hinein. Diese Frau war einfach nicht abzuschütteln gewesen. Im Gegenteil, immer und immer wieder half sie ihm. Dabei hatte er nur angedeutet Rogi nach Überwald bringen zu wollen, wo sie zumindest eine Chance hatte wiederbelebt zu werden. Ab dem Punkt war Magane nicht mehr aufzuhalten gewesen. Nein, sie ging sogar so weit, dass sie ihrem Vorgesetzten Informationen vorenthielt, und überließ ihm die Organe des Toten, dessen Hund Mortimer er an einer Leine mit sich führte. Trotz allem wollte er sie nicht dabei haben, denn diese Angelegenheit war für ihn von unschätzbaren Wert und jeder Mitwisser war in seinen Augen eine Gefahr. Es war nicht mehr weit bis zum Friedhof der Geringen Götter und er beschleunigte seine Schritte. Die Beerdigung am Morgen des Tages schwirrte ihm immer noch im Kopf und der fremde Mann, der ihm sein Beileid bekundete, gab ihm Rätsel auf. Seitdem hatte ihn eine gewisse Unruhe gepackt und als die Stunde kam, unbemerkt das Wachhaus zu verlassen, hatte er keinen Moment gezögert. Nur musste er dazu durch die Pathologie und sie hatte dort auf ihn gewartet. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas wusste, und dies machte ihn von Stunde zu Stunde in ihrer Gegenwart nervöser. Am Friedhofstor angekommen drückte die Wächterin leicht dagegen und es öffnete sich quietschend. Erleichtert steckte sie ihre Dietriche weg und sie betraten das Gelände. Beide steuerten sie zielstrebig zu dem Geräteschuppen, der sich an die Tempelmauern schmiegte.
»Was zum...«, entfuhr es ihr als sie die Tür erreichten und auch er zog die Augenbrauen hoch, als er den Zettel sah, der zwischen Tür und Zarge eingeklemmt war.
Es ist offig. Schaufehl issig hinten rehechts und Schubkarren und Leihter nebig der Tür links. - Henne
Roger ließ den Sack mit Eis fallen und wirbelte um die eigne Achse. Mortimer wich aufgrund seiner Reaktion erschrocken zurück und sein kurzes Bellen halte von den Friedhofsmauern wieder.
»Wie es scheint, haben wir einen unbekannten Helfer«, sagte Magane leise und sah sich ebenfalls um. »Oder sagt dir der Name Henne etwas?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete er und überließ Mortimer sich selbst.
Er versuchte sich zu beruhigen und atmete tief durch, während die Wächterin im Schuppen verschwand. Er folgte ihr schnell um sich zumindest für einen kurzen Moment nicht beobachtet zu fühlen. Sie hatte schon zwei Schaufeln in der Hand und er fasste schnell nach dem Schubkarren. Sie legte die Grabwerkzeuge hinein und bewegte sich zögerlich zum Ausgang. Erst jetzt fiel dem Igor auf, dass sie deutlich unsicherer war, als noch auf dem Weg hierher. Der nächtliche Besuch auf einem Friedhof, war auch nicht wirklich alltäglich für einen Menschen. Er bugsierte den Schubkarren nach draußen und lud den Sack Eis auf. Auf dem Weg zu Rogis Grab erschauerte Magane kurz und rieb sich die Arme. Er seufzte innerlich.
Jemanden mit ihrem Glauben, war wirklich nicht die Hilfe die er brauchte.
»Du mufft nicht hier fein«, sagte er in der Hoffnung sie würde ihn endlich allein lassen, doch sie schüttelte den Kopf.
»Fragst du dich nicht, warum ich dir überhaupt helfe?«
Natürlich fragte er sich das. Er fragte sich vieles seitdem er Rogi tot aufgefunden hatte, aber der Kodex war das einzige, was ihm derzeit etwas Halt gab.
»Verfeihung, aber ich ftelle nicht folche Fragen«, antwortete er und verdrängte die tausenden Fragen, die ihm sonst noch durch den Kopf gingen.
»Sie war etwas Besonderes und hat ein solches Ende gewiss nicht verdient.«
Er nickte ihr nur zu. Er hatte ihr zwar viel zu verdanken und dies war auch ein Grund dafür, dass er sie nicht schon im Wachhaus für mehrere Stunden ausgeschaltet hatte. Ein Schlag nur, und er wäre sie los gewesen und hätte nicht erfahren, was diese Wächterin zu ihrem Handeln bewegte. Er konnte sich wirklich glücklich schätzen ihre Unterstützung zu haben, trotzdem wollte und konnte er sich ihr nicht öffnen. Er ahnte, dass sie mehr über Rogis Tod herausgefunden hatte, als ihm vermutlich lieb war, doch solange dies unausgesprochen blieb, musste er sich keine Sorgen machen.
Er seufzte laut, als sie beim Grab angekommen waren, und begann sofort mit der Arbeit. Vor allem hatte er Angst davor, wieder in ein Gedankenmuster zu fallen, das so gar nicht zu ihm passen wollte. Er musste wieder daran denken, wie er beinahe Ophelia für Rogis Wohl geopfert hätte. Deutlich hatte er sie vor Augen, als er sie in Rogis Büro zerrte und ihr Vorwürfe machte, die er sich selbst machen sollte. Er grub verbissen weiter, während Magane die Leiter holte. Die lockere Erde war ein Kinderspiel und er brauchte nicht lange um das Grab bis zu seinen Knöcheln[1] auszuheben. In dem Moment trat Magane neben ihn und sie gruben schweigend gemeinsam weiter. Die Arbeit half nur nicht, den einen immer wiederkehrenden Gedanken zu vertreiben. Als sie so weit waren, dass er nur noch auf Zehenspitzen nach draußen sehen konnte, gab er schließlich nach. Mortimer, der das ganze als ein Spiel empfand, hatte bis zu einen gewissen Punkt fleißig mitgegraben und beobachtete die beiden Grabräuber schwanzwedelnd. Roger stützte sich locker auf dem Spaten ab und beobachtete, wie sie die Leiter in das Grab zog. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und setzte die Schaufel erneut an, als sie merkte, dass er eine Pause machte.
»Bald ist es geschafft.«
Er reagierte nicht darauf, sondern sah sie weiterhin an, als könnte er so ihre Gedanken ergründen oder zumindest seine eigenen klären.
»Du weifft ef, oder?«
»Wie bitte?«, fragte sie verwundert, doch er war sich sicher, dass sie ihn verstanden hatte.
»Du weißt, woran Rogi gestorben ist.«
Er verzichtete bewusst auf das Lispeln und ihre Haltung spannte sich etwas an, als sie es merkte.
»Herzversagen.«
Er hatte die Antwort kommen sehen und presste die Lippen aufeinander. Sie war eine Wächterin, dass stellte sie nicht ab nur weil sie gerade dabei war ein Grab auszuheben. Und er war sich sicher, dass eine Wächterin so etwas nicht tun sollte. Seine Hände schlossen sich fest um den Griff, der Schaufel.
»Das steht in deinem Bericht. Und ich bin dir dankbar dafür, doch wir beide wissen, dass dies nicht der ganzen Wahrheit entspricht.«
Eine Feststellung, die sein Gegenüber nicht aus der Fassung brachte und somit seine Vermutung bestätigte.
»Dann weißt du auch, dass nur Rogi uns eine Erklärung liefern kann.«
Ah, sehr schlau. Darum ging es also. Sie wollte von Rogi selbst wissen, wie es dazu kommen konnte.
Er wollte es nicht wissen. Er wollte nur Rogi zurück. Sein größtes Problem dabei war nur weiterhin ein ordentliches Gewitter. Eines, wie es nur in Überwald zu finden war. Er musste Magane sobald er konnte los werden.
»Hey«, rief jemand über ihnen. »Da kommt wer. Ihr müsst verschwinden!«
Ein Kopf erschien in seinem Blickfeld und Roger holte aus. Die Schaufel kam kurz vor dem Kinn des Fremden zum abrupten Stillstand, als er in ihm den Mann von der Beerdigung erkannte.
»Wer bift du?«, fragte er und bemerkte, dass Mortimer nicht mehr zu sehen war.
Ein Wachhund war er also nicht.
»H-Hendrik. Ich...«
»Henne?«, fragte Magane und drückte sich von der Erdwand ab an die sie sich gepresst hatte.
Der Kopf nickte und Roger ließ die Schaufel sinken. Hendrik schaute sich kurz um und sprang schnell zu ihnen in des Grab.
»Zu spät! Leise!«, flüsterte er eindringlich und sie lauschten zusammen in die Nacht hinaus.
Es war ruhig. Zu ruhig, wie Roger fand. Der junge Mann nahm Magane die Schaufel ab und kletterte die Leiter nach oben. Er legte den Finger an den Mund und verschwand außerhalb ihrer Sicht. Roger blickte die Wächterin fragend an, doch sie zuckte nur mit den Schultern. Sie war ebenso ratlos wie er.
»Nachts ist der Zutritt zum Friedhof nicht erlaubt. Ich bitte dich zu gehen und die Ruhe der Toten nicht weiter zu stören.«
Mit wem auch immer ihr unbekannter Helfer redete, er bekam keine Antwort. Ein dumpfes Geräusch ertönte und etwas landete auf ihm. Er schüttelte das Gewicht ab und sah verwundert zu dem bewusstlos am Boden liegenden Hendrik.
»Ein interessantes Bild, mit dem ich nicht gerechnet habe«, sagte eine volle Frauenstimme über ihm.
Als er den Kopf hob, sah er in das blasse Gesicht einer Vampirin.
»Wir müssen reden, Igor«, sagte sie und wandte sich dann an Magane. »Allein.«
Der Tonfall gefiel ihm ganz und gar nicht und er beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten. Magane kniete sich zu Hendrik hinab, der wieder zur Besinnung kam. Roger nahm dies nur aus den Augenwinkel wahr, während er die Leiter hinauf eilte.
»Ihr solltet euch solange nützlich machen«, sagte die Unbekannte und schlenderte davon.
Er schlurfte hinterher. Jede Faser seines Körpers stand unter Strom und er konnte mit der fremden Frau nur einen Namen in Verbindung bringen. Sie musste Ayami Vetinari sein, alles andere ergab kaum einen Sinn.
Was wollte sie hier?
Er hatte schon zwei Menschen am Hals und nun sie. Das wachsende Unbehagen des Abends erreichte einen neuen Höhepunkt, als sie vor einer Kutsche zum Stehen kam und ihn mit einer Handbewegung bat einzusteigen. Roger schaute kurz zum Kutscher, der an der Seite des Wagens lehnte und gerade dabei war sein Abendessen einzupacken. Neben ihm saß Mortimer und bettelte.
Dieser Köter suchte sich sein Herrchen anscheinend alle fünf Minuten neu aus, seitdem Michael Machwas verstorben war. Der Kutscher beachtete den Hund kaum und öffnete die Tür des Wagens.
Er trat zögerlich in den Innenraum und nahm Platz. Ayami setzte sich ihm gegenüber und die Tür schloss sich wieder. Kurz darauf setzt sich das Gespann in Bewegung.
»Wo fahren wir hin?«
Die Frage hatte er so schnell gestellt, dass er selbst kaum registrierte, was er getan hatte. Er hatte nur nicht vor, ohne Rogi den Friedhof zu verlassen und jetzt saß er mit ihrer ehemaligen Herrin allein in einer Kutsche ins Unbekannte.
»Nirgendwo hin. Ich möchte nur nicht, dass wir belauscht werden.«
Er runzelte nur die Stirn und sah aus dem Fenster.
»Du hättest natürlich auch einfach die Wächterin erschlagen können. Das wolltest du doch, nicht wahr?«
Er nickte, denn es war sinnlos, es zu leugnen. Die Kutsche machte eine Kurve und er sah immer noch die Friedhofsmauer.
»Waf wünft du von mir?«, fragte er in der Hoffnung, Klarheit über die Situation zu erlangen und sah ihren missbilligenden Gesichtsausdruck. Er biss die Zähne zusammen, als er sich bewusst wurde, dass sie die für Igors eher untypische Höflichkeitsformeln gewohnt war.
»Ich möchte, dass du mir Zutritt in deinen Geist gewährst.«
Seine Hände krallten sich in das Sitzpolster und er schüttelte automatisch den Kopf. Das konnte sie nicht ernsthaft verlangen. Sie würde alles erfahren. Von Rogis Geheimnis bis hin zu der Tatsache, dass er dafür einen Mord riskiert hätte.
»Natürlich nicht ohne Gegenleistung, Igor«, sagte sie ruhig und beugte sich zu ihm vor.
Er schloss die Augen auch wenn er wusste, dass ihm das nicht vor den Kräften eines Vampirs ihres Alters schützen würde, doch so zeigte er wenigstens seinen Widerwillen.
»Ich biete dir ein Gewitter, das die Igorina ins Leben zurück holen könnte.«
Er öffnete die Augen und blinzelte. Sein Gehirn nahm die neuen Informationen verwundert auf. Sein Gespür sagte ihm weiterhin, dass es in Ankh-Morpork in nächster Zeit zu keinem ausreichenden Unwetter kommen würde. Ein Gespür, auf dass sich jeder Igor verlassen konnte. Ein Vampir hingegen konnte durchaus auf das Wetter Einfluss nehmen und er hätte sich am liebsten geohrfeigt, dass er selbst noch nicht daran gedacht hatte. Nur war es eben auch etwas anderes einen Vampir um etwas zu bitten, als selbst ein Angebot von einem zu bekommen. Sie sah ihn unbekümmert an, als wäre ihr egal, wie seine Antwort ausfallen würde.
»Ich muff Vorbereitungen treffen.«
»Wie viel Zeit benötigst du?«
Er dachte angestrengt nach. Das eigene Labor, dass er eingerichtet hatte, war fast komplett. Hier und da noch ein paar Leitungen und Sicherheitsvorkehrungen und das angemietete Dachgeschoss wäre voll einsatzbereit. Er musste nur die Organe aus dem Wachhaus schmuggeln und noch eine Lunge besorgen.
»Ich gebe dir zwei Tage«, sagte sie und lächelte ihn an.
Er nickte schnell. Er konnte kaum noch klar denken. Rogi würde wieder leben und das schneller als erwartet. Alles andere war unwichtig.
»Wir sind uns also einig.«
Es war keine Frage. Sie setzte sich neben ihn und ihr kalte Hand berührte ihn an der Wange. Sie übte keinen Druck aus, sondern neigte behutsam seinen Kopf in ihre Richtung. Er sah ihr in die Augen und verlor sich in der Tiefe der dunklen Pupillen, als ihre Hand zu seiner Schläfe wanderte.

Hendrik richtete sich schlagartig auf, als sie seinen Puls fühlen wollte. Er fasste sich entsetzt an den Hals und wich von ihr zurück.
»Alles in Ordnung?«, fragte Magane und zog sich den Handschuh wieder an.
Er sah immer noch mitgenommen aus und sie blickte die Leiter hinauf. Roger war höchstens eine Minute fort und sie wollte nicht weiter in einem Grab sitzen, wenn er zurück kam. Und noch weniger wollte sie hier sitzen, falls die Vampirin zurück kehrte. Sie packte Hendrik entschlossen am Oberarm und zerrte ihn auf die Beine.
»Vielleicht wäre es sinnvoll, jetzt zu verschwinden.«
»Und Rogi?«, stammelte er.
Dafür, dass Roger und Hendrik sich nicht kannten, schienen beide sehr genau zu wissen was mit der Igorina passieren sollte. Verwundert beobachte sie, wie er die Schaufel nahm und anfing weiter zu graben. Das war sicher der Schock und vielleicht war er hier fürs Erste besser aufgehoben. Die Wächterin hastete die Leiter hoch und schaute sich um. Keine Spur von dem Igor oder der Vampirin. Selbst der Hund war fort. Sie rannte zum Friedhofstor und sah, wie eine Kutsche um die nächste Straßenecke bog. Sie atmete tief durch und ging wieder zurück zum Grab in dem die Schaufel, dem Geräusch nach, auf harten Widerstand traf.
»Du bist der Totengräber hier. Richtig?«
»Ja«, antwortete er monoton und arbeitete ungebremst weiter.
»Woher kanntest du Rogi?«
Er stoppte abrupt und sah zu ihr hoch. Zufrieden stellte sie fest, dass er etwas zur Ruhe kam.
»Sie hat mir das Leben gerettet.« Er lehnte sich gegen die Erdwand und verschnaufte.
»Und sie verdankt mir ihren Namen«, sagte er nicht ohne Stolz.
»Die Geschichte würde ich gerne hören, wenn wir hier fertig sind.«
Die Gerichtsmedizinerin sammelte die Schaufel auf und stieg wieder zu ihm in das Loch. Sie war hier um Rogi zu helfen und das würde sie auch zu Ende bringen. Sie schaufelten gemeinsam den Sarg frei und Hendrik wischte mit den Händen den letzten Dreck von der Sargoberfläche. Das Licht der Straßenbeleuchtung, das zu ihnen herüber drang, reichte inzwischen nicht mehr aus um genug zu sehen und so konnte man sich nur noch durch Tasten voran arbeiten. Der Totengräber schien sich daran allerdings nicht zu stören. Ihr hingegen jagte es einen Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, eine Leiche aus der Dunkelheit zu ziehen, auch wenn sie wusste um wen es sich dabei handelte.
»Glaubst du, sie kommen wieder«, fragte er und öffnete den oberen Teil des Sargs.
»Ich hoffe es doch für Roger und vor allem für Rogi, aber auf die Vampirin kann ich verzichten«, sagte sie und verschnaufte kurz. »Was ist eigentlich passiert, als du auf sie gestoßen bist?«
»Ich weiß nicht genau. Ich bin in Panik geraten als ich gesehen habe, was sie ist.« Er sagte das mit einer Angst in der Stimme, die Magane eine vage Vorstellung der Vergangenheit des Totengräbers vermittelte. »Ich dachte, ich ende als ihre Mahlzeit.«
»Das lässt sich immer noch einrichten«, sagte die Vampirin über ihnen amüsiert.
Hendrik schrie auf und tastete nach der Schaufel, die er fallen gelassen hatte. Roger stieg unterdessen zu ihnen herunter. Die Enge wurde ihr zu viel und die Wächterin drängte sich an dem Igor vorbei, die Leiter hinauf. Magane atmete tief durch um den muffigen Geruch der Erde aus der Nase zu kriegen und trat instinktiv einen Schritt zurück, als sie sich der näher kommenden Vampirin bewusst wurde. Sie verlor das Gleichgewicht und wäre beinahe zurück in das Grab gestürzt, wenn die Fremde ihr nicht die Hand gereicht hätte.
»Hier geblieben.«
Die eisige Berührung spürte sie selbst noch durch ihren Handschuh.
»Magane, richtig?«, fragte ihr Gegenüber unschuldig und setzte unnötigerweise ein Fragezeichen.
Sie schaute automatisch hinunter zu Roger, doch er war im Dunkeln kaum auszumachen und sie vermutete, dass er Rogi gerade aus ihrer letzten Ruhestätte befreite. Hendrik hingegen stand immer noch steif an seinem Platz – die Schaufel wie ein Schutzschild erhoben.
»Und du bist...?«
»Ayami Vetinari, doch das dürfte für dich kaum von Belang sein.«
Magane schwieg und dachte einen kurzen Augenblick darüber nach in wie weit die Namensgleichheit zum Patrizier eine Rolle spielte.
Eine entfernte Verwandte?
Roger kam unterdessen aus dem Grab, über seiner Schulter die tote Igorina und drängte sich ohne ein Wort an ihr vorbei. Er legte Rogi in der Schubkarre ab und verließ sogleich das Friedhofsgelände. Sie sah ihm kurz hinterher, hin und her gerissen was sie nun tun sollte. Die Fremde lag regelrecht auf der Lauer. Die Wächterin konnte Hendrik unmöglich mit ihr allein lassen und Ayamis Worte machten ihr klar, dass die Vampirin nicht nur an Roger interessiert war.
»Ich habe ein paar Fragen an euch«, sagte die schlanke Frau ihr Gegenüber. »Sei doch so gut und hol ihn aus dem Grab.«
Ayami deutete dabei wie beiläufig auf den noch immer geschockten Totengräber, doch dieser rührte sich ganz von alleine und stieg zögerlich die Leiter nach oben. Ihm war wohl klar geworden, dass er in dem Loch eher in einer Falle saß. Ayamis Interesse an ihm gefiel der Wächterin ganz und gar nicht und der Totengräber hob wieder die Schaufel zur Verteidigung vor seinen Körper.
»Was hast du mit Roger gemacht?«, fragte sie um Ayami abzulenken und dachte dabei an den beängstigenden abwesenden Blick des Igors.
»Ich habe ihm nur ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen konnte, und nun kann er wie es scheint an nichts anderes mehr denken.«
Magane sah wieder zum Friedhofstor. Von Roger war nichts mehr zu sehen. Als sie sich wieder Ayami zuwandte trat diese an ihr vorbei auf Hendrik zu.
»Ich frage mich was einen Totengräber dazu veranlasst, einem Igor und einer Wächterin hierbei zu helfen.«, sagte Ayami und umfasste mit einer Geste das Grab.
»Ich...«, Hendrik stockte und stolperte rückwärts.
»Er verdankt Rogi sein Leben«, antworte Magane an seiner Stelle und trat vor ihn.
»Das erklärt natürlich einiges.« Ayami hob eine Braue und blieb stehen. »Und wie weit würdet ihr gehen?«
Die Wächterin runzelte die Stirn und trat einen Schritt zurück neben Hendrik.
Was meinte sie damit? Wie viel weiter konnte man überhaupt noch gehen?
»Ich nehme an, eure Vorgesetzten wissen nichts hier von?«
Hendrik und sie nickten gleichzeitig. Er zitterte neben ihr am ganzen Leib und sie ließ sich von seiner Unruhe anstecken.
»Ich habe eine lange Reise hinter mir«, sprach Ayami weiter und rieb sich mit den Fingerspitzen die Stirn. »Und ich habe noch einiges vor mir.«
»Oh bei Io, ich wusste es«, hauchte Hendrik neben ihr.
Sie blickte ihn kurz verwundert an.
»Ich sehe der Herr weiß, worauf ich hinaus will.«
Mit einem Wimpernschlag war die Vampirin bei Hendrik und sah ihm in die Augen. Er blinzelte nicht einmal, als sie ihn packte und ihre Zähne in seinen Hals versenkte. Magane schrie entsetzt auf. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals und ihre Beine waren drauf und dran ohne sie los zu laufen, doch sie konnte den Totengräber unmöglich so zurück lassen. Sie bewaffnete sich mit ihrem Dolch.
»Lass ihn los!«
Die Vetinari kam ihrer Aufforderung nach und er landete auf den Boden. Er kroch hektisch von der Vampirin weg und faste sich an den Hals. Er betrachtete verwundert seine Handfläche, die keinerlei Blutspuren aufwies. Die Halswunde hatte sich in dem Moment geschlossen, als Ayami ihn aus ihrem Griff entlassen hatte. Die Vetinari hob beschwichtigend die Hände und lächelte ihr zu. Die Gerichtsmedizinerin atmete einen Moment tief durch um sich zu beruhigen, als sie sich der Nähe des Igors bewusst wurde. Er nahm ihr mit einem Handgriff den Dolch ab, lies ihn zu Boden fallen und packte sie von hinten. Sie hatte keine Chance sich zu befreien.
»Danke Igor, aber ich werde auch allein mit ihr fertig.«
Was für ein Angebot, hatte Ayami ihm gemacht? Er war wie ausgewechselt.
Roger hatte seit seiner Rückkehr nicht gesprochen und nicht mal Blickkontakt gesucht, wie ihr nun unangenehm auffiel.
Er lies sie los und Ayami Vetinari kam auf sie zu.
»Der Totengräber bleibt am Leben, wenn du mir ebenso behilflich bist.«
»Mein Blut?«, fragte sie überrascht und bekam ein Nicken zur Antwort. »Keiner von uns wird sterben?«
»Zumindest nicht durch mich. Ich kann jedoch nicht für den Igor sprechen. Er hätte dir eben nur zu gerne den Schädel eingeschlagen.«
Roger schnaubte hinter ihr, erhob aber keinen Einspruch gegen die Anschuldigung.
Sie konnte kaum glauben in welcher Situation sie sich befand. Heute morgen bei der Beerdigung war Roger noch ein Häufchen Elend der Verzweiflung und kaum tauchte diese Frau auf, schreckte er vor nichts mehr zurück. Doch gerade Ayami hatte sie vermutlich vor dem Igor gerettet. Sie würde ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen, wenn das hier ausgestanden war.
»Bitte nimm deine Kette ab.«
Sie sah die Vetinari entgeistert an, bis diese auf den Anhänger deutete. Die Schildkröte, die dem Gott Om als heiliges Symbol diente.
Hatte sie das etwa bis jetzt vor der Vampirin geschützt?
Sie nahm langsam die Kette ab und warf sie dem verängstigten Hendrik zu. Der Anhänger landete auf seinen Bauch und er presste ihn an sich. Die Vampirin berührte sie sanft, als sie die störende Kleidung mit einer Hand beiseite hielt. Magane schloss die Augen, als sie das Schlimmste befürchtete, doch den Biss spürte sie kaum und sie fühlte sich mit einem Mal leicht in den Armen der Vetinari. Sie ließ ihre Gedanken treiben und vergaß dabei beinahe den Ernst der Lage. Sie fühlte sich nur seltsamerweise in genau diesem Moment sicher. Als Ayami sich von ihr löste kribbelte es leicht auf ihrer Haut und sie fasste sich automatisch an den Hals. Sie spürte keine Bisswunde. Ihr war leicht schwindelig und die Vampirin stützte sie, bis sich ihre Umgebung aufhörte zu drehen.
»Ich danke dir«, sagte Ayami und reichte ihr den Dolch.
Sie steckte ihn abwesend zurück.
»Wie geht es nun weiter?«
Die Vetinari sah an ihr vorbei zu Roger, der nur darauf gewartet hatte, dass Ayami ihm das Wort erteilte.
»Ich wäre foweit.«
»Gut, dann fahren wir, Igor.«, sagte Ayami und wandte sich an den noch immer am Boden liegenden Hendrik. «Ich kann mich darauf verlassen, dass diese Unordnung beseitigt wird?«
Er nickte schnell. Magane half dem Totengräber auf die Beine und sah Ayami und Roger nach, die das Friedhofsgelände verließen.
»Alles in Ordnung?«
»Ich glaub ich hab mir in die Hose gemacht.«
Das war vielleicht nicht der beste Zustand, aber den Umständen entsprechend konnte sie vermutlich nichts anderes erwarten. Die Wächterin sah ein weiteres Mal hinter sich zum Friedhofstor.
»Kann ich dich allein lassen?«
Hendrik sah sie ängstlich an.
«Ich komme wieder und hole meine Kette ab. Versprochen, aber ich kann Roger nicht so davon kommen lassen.«
»Na g-gut«, stotterte er und sie rannte los.
Am Tor angekommen sah sie der Kutsche nach, die zum Oberen Breiten Weg davon rollte.
Was war ihr Ziel?
Das Wachhaus, fiel es ihr ein. Roger würde nicht ohne die Organe die Stadt verlassen. Sie musste sich beeilen, wenn sie noch rechtzeitig am Pseudopolisplatz sein wollte, blieben ihr nur die Dächer von Ankh-Morpork. Sie atmete tief durch und dachte an ihre kriminelle Vergangenheit und ihr Training bei FROG. Eigentlich verlernte man so etwas nicht, doch ganz sicher fühlte sie sich bei ihrem Vorhaben nicht. Sie sah kritisch die Fassade des Hauses hoch und entschloss sich dafür den Hauseingang zu nehmen. Das Türschloss war leichter zu knacken als sie dachte und sie hastete die Treppen nach oben. Das Dach erreichte sie durch eine Luke im obersten Stockwerk. Kurz vor der Dachkante zum nächsten Haus blieb sie stehen. Das Gebäude war ein Stück niedriger und sie nahm etwas Anlauf. Magane atmete tief durch und machte sich für den Sprung bereit. Sie landete unsanft auf dem nächsten Dach, doch der Sprung war geglückt und durch den Erfolg bestärkt, sprintete sie weiter.
Hoffentlich kam sie nicht zu spät.

Der Herzschlag hämmerte laut in ihrem Sinn und weckte ihre Instinkte. Ihr Muskeln spannten sich unbewusst an, obwohl sie wusste um wen es sich handelte. Die Wächterin hatte tatsächlich die Verfolgung aufgenommen. Diese Nacht bat mehr Überraschungen als sie vermutet hatte. Gleich drei Helferlein hatte sie angetroffen, wo sie doch nur mit dem Igor gerechnet hatte. Ayami beobachtete ihn, wie er den Leichnam der Igorina umklammerte. Er war eindeutig der kalkulierbarste Faktor. Für die Igorina würde er alles tun und das konnte ihr weiterhin von Nutzen sein. Ihr gefiel nur nicht, welche Vorwürfe er sich machte, jetzt wo er Zeit zum Nachdenken hatte. Einmal Zugang zu seinem Geist, war er auf dieser Ebene sehr mitteilsam. Immerhin hatte sie durch ihn ein ziemlich genaues Bild von den Ereignissen der letzten Tage und das Puzzle fügte sich langsam zusammen. Die Igorina hatte sich aufgrund der Wächterin Ophelia Ziegenberger auf einen Entzug eingelassen und dieser hat mehr geschadet als genutzt. Das Detail, dass die Igorina sich selbst die Überdosis verabreicht haben musste, war ihm deutlich unangenehm gewesen und auch wie lange diese Tortur schon ging, war nicht zu verachten. Dennoch waren seine Informationen einseitig und voreingenommen. Sie würde sich in den zwei Tagen die Zeit nehmen müssen, um weitere Erkundigungen einzuholen. Sie schloss die Augen und massierte sich mit einer Hand die Stirn. Die Gedanken des Igors kreisten inzwischen nur noch um seinen Verrat. Er hatte das Geheimnis der Sucht an sie verraten. Die Igorina hatte dabei alles daran gesetzt, dass gerade Ayami nichts davon erfahren würde. Die Wiederbelebung könnte durchaus interessant werden, doch sie hatte eigentlich nicht vor dieser beizuwohnen. Die Kutsche verlor langsam an Geschwindigkeit und der Igor legte vorsichtig die Igorina auf dem Polster der Bank ab. Das Gespann war noch nicht ganz zum Stehen gekommen, da hastete er auch schon mit dem Sack voll Eis hinaus. Sein doch recht impulsives Verhalten war etwas anstrengend und sie folgte ihm, bevor er noch auf dumme Gedanken kam. Auf dem Friedhof war der Igor kurz davor gewesen, die Wächterin niederzuschlagen, wenn sie ihn nicht gebremst hätte. Der Kutscher sprang vom Wagen als sie ihren Fuß auf das Kopfsteinpflaster setzte. Seine Frage sie begleiten zu dürfen, stand schon zwischen ihnen ehe er sie ausgesprochen hatte.
»Warte hier, Philipp«, blockte sie ihn ab und trat in den Hof des Wachhauses.
Sie ging durch den Hintereingang ehe die Tür ins Schloss fiel. Sie machte sich nicht die Mühe zum Igor aufzuschließen, sondern konzentrierte sich auf die Umgebung. Gerade mal fünfzehn schlagende Herzen waren anwesend, doch nur zwei in diesem und eines im unteren Stockwerk. Als sie beim Wachetresen ankam, wurde sie von den beiden wachhabenden Rekruten sofort bemerkt. Der Igor war sicherlich schon unbeachtet in den Keller gekommen. Er war von Natur aus unauffällig. Sie hingegen war allein durch ihre Anwesenheit Aufsehen erregend. Die beiden Wächter sprangen auf und griffen zu ihren Waffen. Sie hätte den Haupteingang nehmen sollen. Vor dem Tresen als normale Bittstellerin wäre ihr zumindest nicht soviel Misstrauen entgegen gekommen. Sie beschleunigte ihren Schritt bevor einer der Männer etwas sagen konnte und packte beide mit jeweils einer Hand am Kragen.
»Schlaft!«
Ein einfacher Befehl, der sofort ausgeführt wurde. Die Rekruten baumelten in ihrem Griff und sie lies sie langsam auf ihre Stühle sinken.
»Ich war niemals hier«, flüsterte sie ihnen noch zu, ehe sie die Treppe zum Keller hinab stieg.
Sie trat in den zerstörten Eingang der Zelle und die Bilder der berstenden Tür kamen ihr in den Sinn. Doch von den Resten der Tür oder dem vielen Blut war nichts mehr zu sehen. Noch immer hing der Gestank des Putzmittels in der Luft. Das Büro der Igorina hatte sich deutlich geändert, seit dem sie das letzte Mal hier war. Der Raum war belebter und auch der Umzug in eine Wohngemeinschaft hatte nichts daran geändert, dass diese Zelle das Zuhause der Igorina war. Es war fast ein trauriger Anblick, wie das Chaos selbst nach so kurzer Zeit schon überhand nahm. Auf dem Tisch waren mehrere Akten verteilt und ein paar Schubladen der Aktenschränke geöffnet worden. Und inmitten all dem stand der Igor vor einer Truhe und verstaute die Organe in den Beutel. Mit dem Letzten entnahm er noch etwas Eis aus der Kiste und schulterte den Sack vorsichtig, als er ihn fertig gepackt hatte. Dicht vor ihr blieb er stehen und sah sie zum ersten Mal seit ihrem Gespräch in der Kutsche wieder bewusst an.
»Hast du alles was du benötigst?«
Er schaute kurz hinter sie bevor er antwortete: »Ich brauche noch eine Lunge. In der Pathologie müffte fich etwaf finden laffen.«
Sie schloss kurz die Augen und konzentrierte sich auf die anwesenden Personen im Wachhaus, doch im Keller war nur ein weiteres Herz in der Nähe und das so ruhig, das es sich vermutlich um einen weiteren schlafenden Wächter handelte. Die einzige Aufregung kam von der Verfolgerin, die in jeden Augenblick das Wachhaus erreichen musste.
»Ich werde hier warten«, sagte sie und trat einen Schritt zur Seite.
Er lief schnell an ihr vorbei. Ayami sah ihm nach und entdeckte an der Garderobe die Umhängetasche der Toten. Er hatte eindeutig überlegt, diese mitzunehmen, doch er hatte es nicht getan. Sie betrachtete kurz den Inhalt. Es war nichts, das sich nicht ersetzen lassen würde, dennoch war diese Tasche der wichtigste und gefährlichste Besitz der Igorina. Sie trat an den Schreibtisch und überflog den darauf verteilten Aktenstapel. Über ihr reflektierte der Spiegel einen Teil der Tischplatte und den Stuhl, der neben ihr stand. Ihr eigenes Spiegelbild blieb ihr wie immer verwehrt und sie wandte den Blick schnell ab um sich der Apothekerkommode zu widmen. Sie strich mit geschlossenen Augen über die Griffe der Schubladen und zog mittig eine heraus, deren Knauf besonders abgenutzt schien. Sie war leer und ihr ging der Tatortbericht, den sie mit Hilfe von Havelocks Mitarbeitern eingefordert hatte, durch den Kopf. Hier würde sie nichts Neues mehr in Erfahrung bringen können. Zumindest nicht über die Igorina direkt. Sie betrachtete die Aktenschränke unter dem Tisch und öffnete die letzte Schublade. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie die Akte von Ophelia Ziegenberger entnahm. Sie machte es sich mit ihrer Lektüre auf dem Stuhl bequem und las die Akte aufmerksam bis das Herzklopfen, das sie schon die ganze Zeit verfolgte, zur Eile antrieb. Als Magane abgehetzt den Raum betrat, vermittelte sie der Wächterin einen eher gelangweilten Eindruck und legte die Mappe wieder zurück an ihren Platz. Ihre Hände legte sie locker auf dem Knie ihrer übereinander geschlagenen Beine ab. Viel gab die Akte nicht her, doch es war beachtlich, dass diese Frau schon öfter dem Tod entronnen war als der durchschnittliche Mensch. Und trotz allem blieb sie bei der Wache. Die Wächterin in der Tür kam zu Atem und ließ ihr keine weitere Zeit mehr über ihre Pläne mit Ophelia nachzudenken.
»Wo ist Roger?«
»Er wird gleich wieder hier sein, doch ich glaube nicht, dass er im Moment reden möchte. Weder mit dir, mir oder sonst jemanden«, antwortete sie gelassen, doch der noch immer schnelle Herzschlag Maganes brachte sie beinahe aus der Fassung.
Sie hatte das Blut gekostet und ihr Körper verlangte nach der anstrengenden Reise nach mehr. Noch hinzu kam das Wissen um das, was ihr noch bevor stand. Sie wandte den Blick von der pulsierenden Halsschlagader ab.
»Du bringst ihn nach Überwald, oder?«, fragte die Gerichtsmedizinerin und lenkte sie von ihrem inneren Kampf mit sich selbst ab.
»Ah, ich verstehe, deswegen die Eile. Nein, ich kann dich beruhigen – Er wird die Stadt nicht verlassen.«
Der fragende Ausdruck auf dem Gesicht der Wächterin amüsierte sie nur kurz und wenn sie nicht alles täuschte war der Igor auf dem Rückweg. Sie hatte nicht vor noch länger zu warten und erhob sich von ihrem Platz und rief ihn zu sich. Magane trat einen Schritt zurück, als er auf die typische Weise erschien.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte sie ihm zugewandt und er nickte ergeben, doch als er den Raum verlassen wollte versperrte die Wächterin den Weg.
»Oh Nein! Du bist mir noch eine Erklärung schuldig, Roger.«
Der Igor sank etwas in sich zusammen und verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere. Die Hände fest um den verknoteten Sack geschlossen schaute er schuldbewusst zu Boden.
Magane holte Luft und wollte gerade ihre Standpauke auf den Igor loslassen, als Ayami ihre Hand hob und ihr deutlich machte zu schweigen.
»Nicht hier und nicht jetzt«, sagte sie in einem schärferen Ton als beabsichtigt.
Ihr Gegenüber verschränkte die Arme und sah sie herausfordernd an.
Das hatte ihr gerade noch gefehlt.
Unter anderen Voraussetzungen wäre sie der Wächterin genau in diesem Moment überdrüssig geworden und ihr Durst nährte den Gedanken. Andererseits konnte sie noch von Nutzen sein und noch eine tote Wächterin würde letztlich auch ihren Urenkel auf den Plan rufen, wenn er von den Umständen erfuhr. Sie durchdachte die ihr gegebenen Möglichkeiten und seufzte, als ihr klar wurde, dass die meisten Optionen ihr nur unnötig die Kraft rauben würden.
»Du wirst uns begleiten, wenn ich weiterhin auf deine Hilfe vertrauen kann.«
Der Igor zuckte kaum merklich bei ihren Worten zusammen. Er war ebenso wenig von ihrer Entscheidung begeistert wie sie selbst, dennoch wagte er es nicht ihr zu widersprechen.
Immerhin hatte er das Denken nicht ganz eingestellt.
Magane nickte ernst und der energische Blick verriet Ayami, wie angespannt die Wächterin bis zu diesem Moment war. Sie machte den Weg frei, was der Igor auch sofort zu nutzen wusste.
Sie folgten ihm nebeneinander herlaufend.

Der Kutscher kaute auf dem letzten Bissen der Stulle herum, die er bei einem Bäcker erworben hatte, kurz bevor sie Sto Lat verlassen hatten. Ihre Hoheit hatte ihm heute keine weitere Pause gegönnt bis sie den Friedhof erreicht hatten und so wie er die Lage einschätzte, musste er jede Gelegenheit nutzen um bei Kräften zu bleiben. Sie würde sicher bald auf sein Blut zurückgreifen wollen und er kostete diese Momente aus so gut er konnte. Das Gefühl von ihr gebraucht zu werden war herrlich. Wenn es nach ihm ging, konnten ihre Reisen nicht weit und lang genug sein, denn nur er hatte ihr Vertrauen sie allein zu begleiten oder anders ausgedrückt – Er durfte mitfahren. Er war sicher nicht so anmaßend zu glauben, dass dies von Dauer sein könnte. Nur ein kleiner Fehler und sie würde ihn links liegen lassen und ihre Aufmerksamkeit jemanden anderen schenken. Er strich sich durch die kurz geschorenen, blonden Haare um den Gedanken zu vertreiben und streckte sich um die müden Glieder wach zu halten. Jeden Moment konnte sie mit dem Igor zurück kommen und es war noch nicht klar wie eilig Majestät es haben würde. Unter seinen Sitzplatz holte er eine Flasche Milch hervor, aus der er ein paar kräftige Schlucke trank, um die letzten Krümel hinunter zu spülen. Es gab nichts besseres als frische Milch vom Bauern und er wünschte auf den Märkten hier in Ankh-Morpork würde er die selbe Qualität vorfinden. Er packte die Flasche wieder weg, bevor er vom Kutschbock sprang und machte eine Runde um den Wagen. Er prüfte das allgemeine Befinden der Pferde und es wurde wirklich Zeit für den wohlverdienten Feierabend. Der Kutscher tätschelte die Flanke einer Stute, ehe er die Räder und Achsen kontrollierte. Glücklicherweise fand er nur die erwarteten Mängel nach solch einer Reise. Mit ein wenig Öl und einem Schraubenschlüssel wäre es wieder getan und einer ordentlichen Wäsche samt Politur. Kritisch fuhr er mit einem Finger über den Seitenflügel der Kutsche und starrte auf den Staub, der sich darauf gebildet hatte. Er sah an sich herab und seufzte resignierend. Sein Erscheinungsbild war ebenso unangemessen wie das des Wagens, doch daran ließ sich erstmal nichts ändern. Er nahm wieder seinen Platz ein und legte den Kutschermantel ab. Er stopfte das verdreckte Kleidungsstück zwischen das verzurrte Gepäck auf dem Dach. Die beiden großen Koffer, die ihrer Majestät gehörten, nahmen einen Großteil davon ein, während seine kleine Reisetasche nur unter dem Kutschbock Platz gefunden hatte. Er klopfte sich den Staub von der Kleidung, bevor er sich setzte. Letztlich griff er nach dem Zylinder, den er während seiner Mahlzeit auf der Bank abgelegt hatte, und wischte mit einer Hand den Staub von der Oberfläche bevor er ihn wieder aufsetzte. Die Straßen waren weiterhin leer und keine Geräusche aus dem Wachhaus zu hören. Der Kutscher musste sich weiter gedulden. Er war es durchaus gewohnt zu warten, allerdings hatte die lange Fahrt ihn erschöpft und er sehnte sich danach endlich schlafen zu dürfen. Er griff in ein kleines Körbchen zu seinen Füßen und entnahm ihm einen Apfel, den er an seiner Weste sauber rieb. Er biss herzhaft hinein und der süß-säuerliche Geschmack gab ihm wieder etwas Kraft um gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Als ihm die Augen dennoch zufielen, kam Unruhe in die Pferde und er sah sich erschrocken um. Der Igor kam aus dem Hoftor und öffnete sofort die Wagentür, als er bei ihr angekommen war. Den Beutel, der wenn er das richtig sah, deutlich an Umfang zugenommen hatte, wurde im Inneren verstaut. Es störte ihn ungemein. Mit welchem Recht beschmutzte der Igor das Eigentum seiner Königin. Der Diener gehörte an seine Seite auf den Kutschbock und gewiss nicht zu Hoheit als Fahrgast. Ebenso wenig wie eine Leiche, doch all sein Protest hatte nichts genutzt und Majestät erhob keine Einwände, als sie nach dem Friedhofsbesuch mit dem Igor in die Kutsche stieg. Sein Ärger verflog augenblicklich, als die Königin aus dem Eingang des Wachhauses kam. Sie war nicht allein, stellte er im selben Moment fest und erkannte mit Überraschung die Wächterin wieder, die er über die Friedhofsmauer hinweg beobachtet hatte.
»Igor, du übernimmst die Kutsche.«
Er verschluckte sich fast an seinem Apfel, als der Igor plötzlich neben ihm saß und die Zügel verlangte. Ihre Majestät verwies die Wächterin mit einem einfachen Fingerzeig ebenfalls auf die Karosse.
»Philipp, du kommst zu mir«, sagte sie und verschwand im Inneren des Wagens.
Er warf den angefangenen Apfel in den Picknick-Korb zurück und griff nach der Feldflasche mit seiner letzten Wasserreserve. Aus seiner Hose zog er ein sauberes Taschentuch und benutzte es als Waschlappen. Notdürftig rieb er sich das Gesicht ab und kümmerte sich vor allem um Hals und Nacken. Er sprang vom Kutschbock und ließ Tuch und Flasche achtlos auf der Bank zurück. Er nahm seine Kopfbedeckung ab, senkte den Kopf und hob seine rechte Schulter etwas an um seinen eigenen Körpergeruch wahrzunehmen. Er wünschte sich nichts sehnlicher als einen Zuber und sein Unbehagen wuchs, als er die Kutsche betrat. Der Geruch von Balsamierflüssigkeit stieg ihm in die Nase und er bedachte den Leichnam der Igorina, die den ganzen Platz der Bank gegen die Fahrtrichtung beanspruchte. Ihr Gesicht war halb von dem Sack verdeckt, der an ihrem Kopfende lag. Er stand noch immer gebeugt im Inneren des Wagens, als die Pferde anzogen. Der Ruck ließ ihn zu Seite kippen und er verlor das Gleichgewicht. Er fing sich mit einer Hand ab und zog diese schnell wieder zurück, als er feststellte, dass er nur knapp den Kopf ihrer Hoheit verfehlt hatte.
»Verzeiht mir, Majestät.«
»Setz dich endlich«, sagte sie erschöpft.
Er nahm unsicher neben ihr Platz und erkannte, wie müde sie aussah. Ihr Auftreten auf der Straße hatte einen anderen Eindruck gemacht und nun war ihm klar, warum sie ihn schon jetzt zu sich zitiert hatte. In den fünf Jahren als ihr Fahrer war er noch nie in dieser Kutsche selbst Gast gewesen und nun ausgerechnet bei ihr zu sitzen machte ihn nervös. Die Nähe zu ihr auf engstem Raum brachte ihn ins Schwitzen und seine Erregung blieb ihr nicht verborgen.
»Ich werde mehr benötigen, als üblich.«
Er nickte ihr zu und legte den Zylinder in seinen Händen zur Seite, als sie näher rückte. Sie setzte sich auf seinen Schoß und sein Herz hämmerte ihm gegen die Brust. Dieser Kontakt, so wünschenswert er auch war, kam so plötzlich und ungewohnt, dass es ihm schwindelig wurde.
»Entspanne dich, Philipp«, sagte sie und strich mit ihren kalten Fingern über seine müden Augen. Er lehnte sich zurück und ließ die Lider geschlossen, als ihre Hände zu seinem Hemd wanderten um den Kragen zu öffnen. Er atmete tief ein und der Geruch ihres Parfüms stieg ihm in die Nase, als sie sich zu ihm beugte. Den Biss spürte er wie immer kaum im Gegensatz zu dem Gefühl ihrer Zufriedenheit, welches sie mit ihm teilte.

Er zog an den Zügeln und brachte das Gespann zum Stehen. Die Wächterin neben ihm sah ihn verwundert an.
»Wir sind schon da?«
Er nickte knapp und ärgerte sich noch immer, dass sie ihn begleitete. Vermutlich hatte er es nicht anders verdient. Er sprang vom Wagen noch bevor die Räder zum Stillstand kamen und öffnete die Tür zum Innenraum. Der Anblick der sich ihm bot, lies ihn von seinem Vorhaben innehalten und er trat einen Schritt zurück. Nicht, dass ihm der Anblick eines Vampirs bei seiner Mahlzeit nicht vertraut wäre, allerdings ausgerechnet sie dabei zu überraschen, brachte ihn aus dem Konzept. Dies war nicht seine Nacht und er hatte schon zu viele Fehler begangen, die sich nicht wieder gut machen ließen.
»Was ist los?« Magane war neben ihn getreten. »Oh«, sagte sie leise, als sie ebenfalls in die Kutsche blickte.
Er schloss die Tür so schnell er konnte und stütze sich mit beiden Händen dagegen.
»Ich hab mich schon gefragt, was sie von ihm möchte.«
Das war ihm jetzt auch klar und er fluchte leise, dass er daran nicht gedacht hatte. Der Kutscher war kräftig und genoss ihr Vertrauen. Es war nur logisch. Er knirschte mit den Zähnen, als er sich von der Kutsche abwandte.
»Die beiden scheinen nichts bemerkt zu haben.«
»Fei ftill!«, zischte er ihr zu. »Fei einfach ftill.«
Er wurde dabei immer leiser. Seine Wut galt im Grunde ihm selbst, doch Magane war ein gutes Ventil, dabei wollte sie ihn mit ihren Worten wirklich beruhigen. Es half nur nichts. Er hätte sich nicht auf diesen Handel mit Ayami Vetinari einlassen dürfen. Er hatte Rogi verraten – in allen Belangen und jetzt würde er die Quittung bekommen.
»Geben irgendwie ein nettes Paar ab.«
»Paar?«, fragte er nur verblüfft und konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen.
»So wie er sie umarmt – die eine Hand an ihrer Taille, die andere auf ihrem Rücken nah der Schul...Was schaust du mich so entsetzt an?«
Er sah kurz hinter sich, doch vom Inneren der Kutsche kam keine Reaktion. Er ging schnell in die Gasse, die sein eigentliches Ziel war, und zerrte Magane mit sich.
»Ich hoffe du haft unrecht.«
Sie kam im ersten Moment ins Stolpern durch sein forsches Auftreten, ging jedoch bereitwillig mit.
»Was ist daran so schlimm?«
»Fo flimm? Fo flimm?« Er konnte sich kaum noch beruhigen. »Ich habe keine Ahnung von hoher Politik; ficher nicht, aber jemand mit ihrem Ftatuf...«
Er sah der Wächterin bedeutungsvoll in die Augen, als er stehen blieb.
»Ein Skandal?«
Er seufzte laut und ging zu der nahen Tür um diese aufzuschließen. Der Hausgang war schwach beleuchtet und er stieg die Treppen nach unten.
Skandal hin oder her. Dies war eine private Geschichte und er war einfach so hinein geplatzt. Jetzt kam es ganz darauf an, wie Ayami die Situation beurteilte.
Im Keller angekommen drehte er die Öllampe an der Decke auf und nahm sie vom Haken. Der schlauchige Gang, der sich vor ihm erstreckte, war kahl und mehrere Eisentüren führten in die verschiedenen Kellerräume der Mieter. Er blieb vor der Tür mit der Nummer Vier stehen und öffnete sie mit dem schweren Schlüssel an seinem Bund. Die Kälte, die ihm entgegen schlug, gab ihm wieder etwas Zuversicht. Ihre Organe und ihr Körper würden hier gut aufgehoben sein und er musste sich um keinen weiteren Nachschub an Eis kümmern. Zumindest nicht so bald.
»Das ist ja kälter als in der Pathologie«, entfuhr es der Wächterin neben ihm.
»Daf will ich wohl meinen.«
»Wo hast du das alles her?«, fragte sie und deutete in den Raum.
Er musste auflachen bei der Ironie die sich ihm bot. »Von da wo wir auch Rogi her haben.«
Sie antwortete wie erwartet nicht auf seine Bemerkung, sondern schluckte schwer und trat einen Schritt zurück. Er hatte viel angesammelt, doch das meiste waren nur Extremitäten. Alles andere war vom Friedhof nur schwer zu besorgen, da Organe nur frisch am besten waren. Wenn er genauer darüber nachdachte hatte Rogi mit der Pathologie der Wache eigentlich den besten Nachschub. Er biss die Zähne zusammen. Sie war mehr Wächterin als Igorina gewesen, sonst hätte sie sich sicherlich dort bedient. Er hatte es getan, nachdem was er dort gesehen hatte. Er hing die Lampe an den Haken neben dem Eingang und lehnte die Tür an. Ayami sollte nun genug Zeit gehabt haben für ihr Vergnügen, zumindest hoffte er das. Noch einmal würde er sie nicht stören. Als er die Gasse betrat und der Kutsche entgegen ging war von den beiden Insassen immer noch nichts zu sehen. Wenn ihn nicht alles täuschte, wäre der Kutscher in diesem Augenblick tot oder sie ließ ihn mit Absicht warten. Magane folgte ihm weiterhin und griff sich an den Hals. Ihr war wohl ein ähnlicher Gedanke gekommen.
»Sie hat doch nicht bei mir so lange...«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht mal im Anfatf.«
Die Tür öffnete sich langsam, als er mit der Wächterin bei der Kutsche angekommen war. Ayami kam heraus und trat ihnen beiden entgegen. Sie machte den Anschein als wäre nichts passiert, doch ihr Blick ruhte undefinierbar auf ihm.
»Verfeiht mir, Hoheit.«
Er senkte den Kopf, als sie dicht vor ihm stand. Er sah den Hieb nicht kommen, doch die Wucht ließ ihn zurück taumeln, als sie mit ihrem Handrücken zu schlug.
»Von einem Igor hätte ich mehr Diskretion erwartet.«
»Er hat sich doch entschuldigt«, sagte die Wächterin neben ihm aufgebracht.
Sie verteidigte ihn tatsächlich. Ihre Reaktion machte ihn verlegen und gleichzeitig fand er es lebensmüde Ayami so entgegen zu treten. Die Vampirin zog eine Braue in die Höhe.
»Mische dich nicht ein! Ich habe dir schon genug Zugeständnisse gemacht.«
Sie ging auf Magane zu, doch er trat zwischen die beiden.
»Bitte Hoheit daf ift mein Problem. Ef wird nicht wieder vorkommen.«
Ayami lachte spöttisch auf. »Das ändert nichts daran, dass sie zu viel weiß. Willst du dieses Risiko wirklich eingehen, Igor?«
Sie beugte sich zu ihm vor und hauchte ihm etwas kaum hörbar in sein Ohr: »Verlange nicht von mir, dass ich es tue.«
Sie hatte recht. Die Wächterin wusste zu viel. Ohne ihre Hilfe wäre er nur nie so weit gekommen.
»Also wenn es nach mir geht, hat diese Nacht nie stattgefunden«, sagte die Gerichtsmedizinerin und er beobachte gespannt Ayamis Reaktion. Sie lächelte.
»Geh, Feldwebel, bevor ich es mir anders überlege.«, sagte sie in einem eisigen Ton. «Ich werde nach dir schicken lassen, wenn ich dich benötige.«
Magane blieb unschlüssig stehen. Deutlich hörte er sie hinter sich atmen und er drehte sich zu ihr um. Er sah sie eindringlich an und stieß sie von sich. Erst als sie gezwungen war einen Schritt zu machen um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, wandte sie sich ab und ging nicht ohne noch einmal zu ihm zurück zu schauen. Er sah ihr mit gemischten Gefühlen nach.
»Hattest du nicht noch etwas vor, Igor?«
Er zuckte schuldbewusst zusammen und eilte zur Kutsche. Roger griff gleich zum Beutel und kam ins Stocken, als er den leblosen Mann erblickte. Der Kutscher war etwas zur Seite gerutscht und sein Kopf lehnte am Polster der Innenwand. Er wollte gerade den Puls fühlen, als er sah wie sich die Brust gleichmäßig hob und senkte. Das Lächeln im Gesicht des Fahrers passte nicht zu der neuen Blässe seines Gesichts. Erst recht nicht wenn man bedachte, dass der Mann beinahe sein Leben hergegeben hatte. Dabei kam ihm ein unwillkommener Gedanke. In zwei Tagen schon wollte Ayami ihm ein Gewitter bescheren. Da würde sie noch mehr brauchen, als der Kutscher ihr bieten konnte, und er griff sich instinktiv an den Hals.

Hendrik betrachtete zufrieden das wieder hergestellte Grab. Keiner würde merken, was sich diese Nacht hier abgespielt hatte. Erschöpft stützte er sich mit einem Arm auf dem Griff des Spatens ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sah an sich herab und verzog die Mundwinkel. Wie peinlich ihm das war, doch diese Frau hatte Erinnerungen geweckt die lange zurück lagen. Das ganze lief ab wie ein Klicker, ohne dass er etwas dagegen hätte unternehmen können. Er war erst etwa elf Jahre alt gewesen, als der Blutsauger in das Haus eingedrungen war. Er hatte erst nichts bemerkt, doch sein drei Jahre jüngere Bruder Michael hatte ihn wach gerüttelt. Er hatte ihn noch ausgelacht und unter dem Bett nach dem 'bösen Monster' geschaut, als er den Schrei seiner Mutter hörte. Er rannte in den Gang hinaus und erleichtert sah er wie sie ihm entgegen kam. Dicht gefolgt von einem wahren Monster, das in seiner Vorstellung jedes Mal größer wurde immer wenn er daran denken musste. Blut bedeckte das ganze Kinn des Vampirs und lief ihm den Hals hinab. Seine Zähne blitzen auf als er sie eingeholt hatte und lachend vor ihr zum Stehen kam. Er packte sie und drückte sie an sich. Sie setzte sich zur Wehr und Hendrik konnte nicht anders als ihr zu Hilfe zu eilen. Seine verzweifelten Schläge gegen den Rücken des Blutsaugers wurden einfach ignoriert und so biss er ihm in den Oberschenkel so fest er konnte. Die kalte Hand die ihn daraufhin packte, hob ihn auf Augenhöhe des Vampirs, der ihm mit sanfter Stimme mitteilte, dass er der nächste sein würde. Er bekam kaum noch Luft, als sich der Griff wieder löste und er unsanft auf den Dielen landete. Sein Bruder war bei ihm und zerrte ihn weinend auf die Beine, während seine Mutter sie anschrie: »Lauft!«
Und das waren sie. So weit sie konnten. An diesem Tag hatte er seiner Heimat den Rücken gekehrt und erst in Ankh-Morpork hatten sie ein zu Hause gefunden. Und dabei störte es ihn nicht, dass es auf der Straße begann. Seine kriminelle Vergangenheit lag hinter ihm, ebenso wie Überwald. Doch heute Nacht schien dieses ferne Land wieder so nah, dass es ihn fröstelte. Er rieb sich die Arme um die Gänsehaut wieder los zu werden. Es war endlich Zeit nach Hause zu gehen, doch vorher musste er noch hier aufräumen. Er lud die Schaufel in die Schubkarre, die er vor dem Tor erstmal wieder einsammeln musste und schlenderte zum Schuppen. Da er für Ordnung gesorgt hatte, fand alles schnell seinen Platz und er verschloss die Tür sorgfältig. Müde rieb er sich die Augen, als ihn ein Geräusch hellwach werden ließ. Es waren Schritte und er wirbelte um seine Achse.
»Schon gut ich bin es nur«, grüßte ihn die Wächterin.
Er atmete erleichtert aus und griff in seiner Jackentasche nach ihrer Kette. Der Schildkrötenanhänger baumelte daran hin und her als er ihr das Schmuckstück entgegen streckte.
»Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte er als sie sich die Kette wieder umlegte.
»Schon gut. Bei dir ist wirklich alles in Ordnung?«
Er nickte langsam, als er aus den Augenwinkeln etwas bei den frischen Gräbern wahr nahm. »Hey! Verschwinde!«
Sie drehte sich ebenfalls zum Geschehen.
»Mortimer, hier her!«, brüllte sie den Hund an während er schon auf das Tier zusteuerte, das sich an einem der Gräber zu schaffen machte. Er betrachtete die neue Unordnung und fluchte leise.
Diese Nacht wollte einfach nicht enden.
»Scheint so als will er sein Herrchen wieder haben«, sagte die Wächterin neben ihm und packte die Leine des Hundes, die inzwischen total verdreckt war. Der Totengräber strich die aufgewühlte Erde wieder mit bloßen Händen glatt und klatschte sich den Schmutz von den Fingern, als er damit fertig war. Die paar Erdkrümel die auf dem Grasstreifen lagen mussten fürs erste liegen bleiben. Morgen war auch noch ein Tag. Jetzt interessierte ihn nur noch, wofür er das Ganze auf sich genommen hatte.
»Wird Rogi wiederbelebt?«, fragte er während er sich wieder aufrichtete.
»Roger hat es fest vor«, antwortete sie ihm und er brauchte eine Weile, den Namen mit dem Igor in Verbindung zu bringen.
»Was ist mit dieser Blutsaugerin?«
Er kratzte sich an der Stelle wo eigentlich Bisswunden hätten sein müssen, als er an ihren Angriff dachte. So schrecklich der Gedanke daran auch sein mochte, er konnte sich an keinen Schmerz erinnern.
»Ich wünschte ich wüsste es. Sie scheint die Sache jedenfalls zu unterstützen.«
Er legte die Stirn in Falten und es fiel ihm schwer sich auf seine Frage zu konzentrieren.
»Wann...also weißt du wann er es tun wird?«
»Nein«, sagte sie und er versuchte sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Aber ich weiß mit ziemlicher Sicherheit, wo das Ganze stattfinden wird.«
Hendrik sah sie überrascht an.
»Kann ich dabei sein?«
Die Worte kamen wie aus der Armbrust geschossen und er knetete seine Hände um sich von der peinlichen Situation abzulenken.
»Das wird Roger gar nicht gefallen«, sagte sie und lächelte ihn an.
»Ich will sicher keinen Ärger mit ihm.«
»Glaub mir, er hat schon genug Schwierigkeiten, da bist du sein geringstes Problem.«
Das konnte er sich durchaus vorstellen und er wollte wirklich nicht in der Haut[2] des Igors stecken. Diese Vampirin war ihm immer noch unheimlich.
»Mach dir mal keinen Kopf deswegen.«
Er nahm etwas Haltung an.
»Bist du hier fertig?«
Er schaute sich mit einem Blick auf dem Friedhofsgelände um und nickte ihr schließlich zu.
»Gut, dann lass uns gehen«, sagte sie und lief mit dem Hund im Schlepptau zum Ausgang.
Er sah ihr verwundert nach und musste sich beeilen um zu ihr aufzuschließen.
»Wo gehen wir hin?«, fragte er vorsichtig.
»Zu Roger. Ich hoffe zumindest, dass er nun allein ist.«
»Und wenn nicht?«
Sie zuckte mit den Schultern und er gewann den Eindruck, dass er es mit einer Verrückten zu tun haben musste, wenn sie sich freiwillig mit einem Vampir anlegen wollte. Sie gingen die Heldenstraße hinunter, als er schon aus ein paar Metern Entfernung die schwarze Kutsche sah. Die Wächterin wurde ebenfalls langsamer und drängte ihn zum Anhalten, als jemand aus der Blutgasse auf das Gespann zuging. Die Gestalt stieg auf den Kutschbock und an den Bewegungen erkannte er Roger wieder. Als der Wagen sich von ihnen entfernte, entspannte Hendrik sich etwas.
»Ich würde sagen die Luft ist rein«, sagte sie und holte einen Bund Dietriche aus ihrer Tasche. Er erkannte die Marke sofort wieder. Es waren gute solide 'Tresor' von einer Zwergenschmiede am Stadtrand.
»Was hast du vor?«, fragte er entsetzt.
So hatte er die Wächterin wirklich nicht eingeschätzt.
»Ich? Nichts.«, sagte sie unschuldig. »Nur wenn Roger sich nicht helfen lassen möchte, muss man ihn eben zu seinem Glück zwingen.«

Die Kutsche schaukelte auf dem Kopfsteinpflaster und lies Philipps Kopf in ihrem Schoß hin und her wippen. Ihre linke Hand ruhte auf seiner Brust und fühlte den ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag, im Gegensatz zu dem Nervenbündel an Igor, der sie zum Hotel fuhr, war dies eine Wohltat. Sie strich ihrem Kutscher in Gedanken durch das kurze Haar, während sie aus dem Fenster sah. Ankh-Morpork bei Nacht war herrlich anzusehen. Keine anderer Stadt war so lebendig und gleichzeitig mit soviel Verderben angefüllt. Manchmal glaubte sie sogar es könnte das ihre sein. Die Stadt hatte ihr schon viel abverlangt und jetzt war sie hier um ein für alle Mal ihre Meinungsverschiedenheit mit Racul zu bereinigen, doch vorher würde er für seine Frechheit sie herauszufordern büßen. Er hatte die Igorina als gescheitertes Experiment bezeichnet, dabei hatte er ja keine Ahnung. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sich ihre Wege nie getrennt. Der Clan hatte nur nicht locker gelassen und ihr sogar einen Vampirjäger auf den Hals gehetzt. Es war gerade mal ein Jahrzehnt her und die Erinnerungen an diesen Tag ließen die Wut in ihr wieder aufbrodeln. Sie hatte keine andere Wahl gehabt, als das Vertrauen der Igorina zu missbrauchen um selbst zu überleben. Und so war aus dem Plan, die Igorina dem Clan zuliebe fort zu schicken, ein Abschied für immer geworden. Hätte die Igorina sich nicht die ein oder andere Verfehlung in der Wache geleistet, hätte sie sich vielleicht damit abgefunden, doch so kam sie nicht umhin die Dienerin zu bestrafen. Ihre Weitergabe an Araghast Breguyar hatte auch einen anderen Zweck erfüllt. Er hatte wie erwartet das Geschenk nicht angenommen und etwas getan, dass es der Igorina eigentlich leichter machen sollte sich ihrer Aufgabe zu widmen. Er hatte sie der Stadt selbst vermacht. Anfangs hatte es funktioniert – So gut, dass die Wächterin die Karriereleiter zu Ayamis Zufriedenheit empor kletterte. Wie so oft trügt der Schein und nun lag es an ihr den Scherbenhaufen zu beseitigen. Sobald der Igorina wieder Leben eingehaucht wurde, konnte diese hoffentlich mit ein paar Antworten dienen, doch in der Zwischenzeit galt es andere Pläne zu verfolgen. Auf der langen Fahrt nach Ankh-Morpork hatte sie lange genug Zeit gehabt, die letzten Fälle der Stadtwache zu studieren und die Gruppierung der 'Heimlichen Infragesteller Rücksichtsvoller Neuordnung' war ihr dabei sauer aufgestoßen. Es stand außer Frage, dass die HIRN nicht geduldet werden durfte und sie hatte schon die perfekte Kandidatin für ihr Vorhaben im Sinn: Ophelia Ziegenberger. Racul würde kochen vor Wut und vielleicht dadurch einen entscheidenden Fehler machen.
Er konnte sich nicht ewig verstecken.
Die Verbindung des alten Vampirs zu der Wächterin war ebenso rätselhaft wie interessant. Hätte er auch nur irgendeinen Einfluss darauf, wäre der Kontakt zu dieser Frau schon lange abgebrochen.
Die Kutsche wurde langsamer und aus dem Fenster sah sie die Fassade des berühmten Parkweg Hotels mit seinem imposanten Eingangbereich. Mit einer gewissen Genugtuung beobachtete sie den Portier, der nervös zu ihr herüber schaute, ohne die geringste Chance sie in der Dunkelheit wahrzunehmen.
Der Herzschlag des Kutschers beschleunigte sich, als das Gespann mit einem Ruck zum Stehen kam und sie sah zu ihm herab. Er wollte sich aufrichten um wieder den angemessenen Abstand zu wahren, doch ihre Hand ruhte noch immer auf seiner Brust und hielt ihn zurück.
»Verzeiht mir«, stammelte er, als wäre es ein Vergehen ihr so nah zu sein. »Ich sollte nicht...Es...«
»Es sei dir gestattet, Philipp.«
Er war hin und her gerissen zwischen Schamgefühl und Glückseligkeit. Sie hätte am liebsten laut gelacht, so sehr amüsierte sie sein Anblick. Allerdings war er schon verunsichert genug und er musste sich ausruhen. So gesund und kräftig er auch sein mochte, soviel Blut wie sie sich von ihm genommen hatte, würde er etwas Zeit brauchen um sich zu regenerieren. Der Igor hatte derweil dazu gelernt und klopfte an. Sie ließ ihn warten und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Philipp.
»Fühlst du dich imstande aufzustehen?«
Er nickte schnell und richtete sich im selben Moment auf. Sie stützte ihn und gemahnte ihn zur Ruhe. Seine Eile konnte ihr irgendwann zum Verhängnis werden. Sie trat nach draußen und wartete nur einen kurzen Augenblick bis der Kutscher ihr folgte. Er war wie erwartet schwach auf den Beinen und als er drohte aus der Kutsche zu stürzen, dirigierte sie ihn in Rogers Arme. Sie schritt auf den Eingang des Hotels zu und sah wie der Portier gerade seine Hand von der Glocke nahm, die ihr Kommen dem Hotelpersonal ankündigen sollte. Er deutete eine Verbeugung an als sie an ihm vorbei kam und hielt ihr die Tür auf. Der Empfangsbereich war hell erleuchtet und sie musste die Augen schließen um sich daran zu gewöhnen. Ein Mann kam auf sie zu und stellte sich als Hoteldirektor vor. Nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass er sie persönlich zu ihrer Suite begleiten wollte, hörte sie ihm nicht weiter zu. Sie kehrte schon im Parkweg Hotel ein, als es seine Neueröffnung feierte und seither wurde es von Männern geführt, die sich bei ihr einschmeicheln wollten. Solcherlei Verhalten langweilte sie schon lange und war es nicht wert beachtet zu werden. Ein Hotelpage schob das Gitter des Aufzugs beiseite. Es war einer der ersten die in Ankh-Morpork von den Zwergen erbaut wurden. Er wurde allerdings schlicht von einem Golem angetrieben und wurde somit dem Handwerk der Zwerge nicht wirklich gerecht. Der Direktor rümpfte die Nase als der Igor mit Philipp den Lift betrat, sagte zu seinem Glück jedoch nichts. Der Fahrstuhl setzte sich rumpelnd in Bewegung, als der Page den Hebel betätigte und es schien selbst für ihr Empfinden ewig zu dauern. Philipps Herzschlag machte ihr Sorgen im direkten Vergleich zu dem des Igors war er zu schwach. Es musste eine Qual für ihn sein, sich aufrecht zu halten und es war ihrer Meinung nach nicht der richtige Zeitpunkt den Helden zu spielen. Sie trieb den Hotelleiter unbewusst zur Eile an, als sie das oberste Stockwerk erreicht hatten. Er schloss den Zugang zur Suite beflissen auf und hielt ihr einen Vortrag über den Stil der Einrichtung, als er die Tür aufschwingen ließ. Innenarchitektur war noch nie von großem Interesse für sie gewesen, doch sie ließ den Blick über das Mobiliar schweifen um die Bemühungen des Direktors anzuerkennen.
»Das Gepäck dürfte jeden Augenblick ebenfalls bei Euch eintreffen, Euer Majestät.«
»Der Igor wird sich darum kümmern«, sagte sie abweisend und verlangte den Schlüssel.
»Natürlich. Kann ich Euch sonst noch etwas Gutes tun?«
Er legte den verzierten Schlüssel in ihrer Hand ab und sie umschloss den glatten Anhänger mit der Gravur der Zimmernummer.
»Ich werde die Dienste der Küche in Anspruch nehmen.«
Sein Gesicht sprach Bände. Ihr war klar, dass die Küche schon längst geschlossen hatte, doch er wäre nicht in seiner Position, wenn er dies ihr gegenüber erwähnen würde. Er nickte ihr mit einer Selbstverständlichkeit zu, die nicht jeder aufbringen konnte, wenn er noch nicht wusste wie er seine Aufgabe erfüllen sollte.
»Wünscht ihr etwas Bestimmtes?«, hakte er vorsichtig nach.
»Überrasche mich«, antwortete sie und sein Lächeln gefror.
Er verbeugte sich bevor er regelrecht aus dem Zimmer floh. Als das Schloss der Tür einrastete gaben die Beine von Philipp endgültig nach und selbst der Igor hatte Mühe ihn zu halten. Sie nahm ihm die Last ab und drückte ihm stattdessen den Schlüssel in die Hand. Philipps Kopf sank dankbar auf ihre Schulter. Er war viel zu müde und geschwächt um sich über sein Verhalten Gedanken zu machen. Seine Gefühle waren so aufrichtig und ehrlich, dass es eine Schande wäre sie nicht zu erwidern und nur selten gönnte sie sich diese Art von Zweisamkeit.
»Du musst wach bleiben und zu Kräften kommen«, flüsterte sie ihm ins Ohr und er versuchte Haltung anzunehmen.
Sie nahm ihn kurzerhand hoch und trug ihn zu der Sitzgarnitur. Sie legte ihn auf dem Sofa ab und setzte sich zu ihm an den Rand. Seine Gesichtsfarbe glich so sehr der ihren, dass sie einen Moment zögerte ehe sie ihm über die Wange strich. Seine Augen waren geschlossen doch sie wurde mit einem Lächeln belohnt. Der Igor öffnete die Tür noch bevor der Page klopfen konnte und nahm ihm das Gepäck ab. Rogers Diensteifer hätte sich durchaus schon früher präsentieren können und er platzierte Taschen und Koffer mitten im Raum.
»Braucht Ihr mich noch?«
»Was glaubst du, Igor?«
Seine Schultern sanken herab, als er sich selbst die Antwort gab.
»Geh und lass dir eine Kanne Tee zubereiten«, sagte sie bestimmt. »Und wenn du schon dabei bist, treib das Küchenpersonal an und bringe mit was auch immer sie zubereiten.«
Er sah sie kurz verwundert an und nickte schließlich verstehend. Essen und Trinken war keinesfalls für sie bestimmt und gerade er sollte wissen, das Philipp nur so vernünftig geholfen werden konnte. Der Igor verließ lautlos das Zimmer.
»Ich habe Euch enttäuscht, Hoheit«, sagte Philipp leise und sie schüttelte leicht den Kopf.
»Du kannst mich nicht enttäuschen. Das ist nicht möglich.«
Jetzt da sie für sich waren, gab sie dem Drang nach und küsste ihn. Als sich ihre Lippen wieder von seinen lösten, war seine Müdigkeit verflogen.
»Wenn das ein Traum ist, möchte ich nicht mehr erwachen.«
Sie musste über seine Worte schmunzeln und ihre Sorge, dass sie zu viel von ihm verlangt hatte, wich seiner Unbeschwertheit.

Nachdem was sie im Keller gesehen hatte, hätte sie im Dachgeschoss sicherlich nicht diesen Anblick erwartet. Das Labor der Wache war nichts dagegen. Weder FROG noch SUSI konnten da mithalten. Hendrik neben ihr hatte seine Unsicherheit abgelegt und betrat staunend den Raum. Es war überraschend leicht gewesen, die richtige Wohnungstür des Igors zu finden. Alle anderen waren beschriftet. Sicherheitshalber hatte sie an die Tür geklopft und auf ein Lebenszeichen gewartet, bis ihrer Dietriche zum Einsatz kamen. Eine Laterne beim Eingang half schnell für die nötige Beleuchtung zu sorgen. Doch so eindrucksvoll der Steintisch und die Glasaufbauten darauf auch waren, so schäbig präsentierte sich der Rest. Die Einrichtung war alt und das Dach nicht isoliert. Man sah direkt auf die Holzverstrebungen der Dachkonstruktion und die aufliegenden Dachschindeln. Dies war nie als Wohnraum gedacht gewesen, sondern eigentlich ein weiterer Nutzraum für die Mieter. Der muffige Geruch des Taubenschlags lag in der Luft und ließ vermuten, dass es hier noch weitere Mitbewohner gab. Spinnweben hingen zwischen den Dachgiebeln und sie war sich nicht sicher was davon natürlichen Ursprungs war oder von Roger bewusst so platziert wurde. Sie folgte dem Totengräber etwas weiter in den Raum und hinter dem Labortisch in einigem Abstand war eine Plattform aufgebaut die von der Decke hing. Von der Größe glich sie einem Obduktionstisch und bot somit gut Platz für einen Körper. Mortimer schnüffelte aufgeregt und zog an der Leine. Magane band ihn kurzerhand am Treppengeländer fest bevor die Einrichtung des Igors Schaden nehmen konnte. Es gab viele offene Regale. Viele davon vermutlich selbst zusammen genagelt. Das einzige robuste Möbelstück außer dem Steintisch war ein antiker Schrank mit einem kleinen Vorhängeschloss. Er war auch das einzige Möbelstück, das höher als einen Meter war und stand somit an der Wand am Ende des Zimmers, wo die Dachschrägen nicht störten. Daneben stand ein einfacher Waschtisch mit einer Blechkanne.
»Und was jetzt?«, fragte Hendrik und gähnte laut.
»Warten wir«, antwortete sie und suchte sich einen Sitzplatz.
Roger musste zurückkommen und sie wollte ihn nicht verpassen. Nicht nach allem was sie schon mitgemacht hatte. Dem Totengräber schien es genauso zu gehen, denn er legte sich in die staubige Hängematte, die zwischen zwei Balken befestigt war. Sie überlegte wann sie das letzte Mal ausgeschlafen hatte und konnte sich nicht mehr daran erinnern. Wenigstens war Tom gut bei seinen Urgroßeltern versorgt. Das schlechte Gewissen ihm keine gute Mutter zu sein, nagte an ihr und sie konnte nichts daran ändern. Es würde sicher auch wieder andere Zeiten geben in denen sie am Nachmittag nach Hause kam, mit ihm zusammen aß und ihm eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas. Oder er ihr, korrigierte sie sich. Seitdem er die Schule besuchte nahm er jedes Buch zur Hand. Sie ließ den Blick ein weiteres Mal durch den Raum schweifen und blieb wieder einmal an dem verschlossenen Schrank hängen. Kräuter und Chemikalien sah sie viele in den Regalen stehen, was also hielt der Igor unter Verschluss? Sie hörte Hendrik schnaufen und die Hängematte schaukelt hin und her, als würde er sich heftig bewegen. Nach dieser Nacht waren Alpträume nur zu verständlich und sie dachte noch daran ihn zu wecken, allerdings hatte die Müdigkeit sie auf ihren Stuhl verbannt und ihr Kopf sank ihr auf die Brust.

Die kleine Last des Tabletts auf seinen Händen wurde mit jedem Schritt schwerer. Er wollte gewiss nicht zurück zu ihr. Er wusste genau was ihn dort erwarten würde. Stufe um Stufe wurde sein Leid größer. Was war er nur für ein jämmerlicher Igor. Von überall bekam er Hilfe und wies sie ab, doch dann kam Rogis ehemalige Herrin daher und ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Ihr Angebot konnte er einfach nicht ablehnen, so egoistisch es auch war. Es wurde ihm allerdings erst jetzt bewusst. Sein Verrat an Rogi war so schwerwiegend und unverzeihlich, dass er den Gedanken daran kaum ertragen konnte. Die Igorina würde ihm nie verzeihen, wenn sie es erfuhr. Und erfahren würde sie es, daran bestand kaum ein Zweifel. Die Vampirin mischte sich nicht ohne Grund ein. Er würde sicher nicht erfahren worum es Ayami wirklich ging, allerdings würde er ihr seine Igorina nicht kampflos aushändigen. Er war es Rogi schuldig. Er klopfte vorsichtig an, als er vor der Suite stand und musste dieses Mal nicht weiter warten. Ayami Vetinari bat ihn sofort herein und er stellte wie gewünscht das Tablett auf dem kleinen Tischchen inmitten der Sitzgruppe ab. Der Kutscher war wach und stützte sich langsam auf, als Roger den silbernen Deckel vom Teller nahm. Der Koch oder eher gesagt die aufgeschreckte Küchenhilfe hatte sich alle Mühe gegeben und ein blutiges Steak zubereitet, dazu noch etwas grünen Spargel auf einen Soßenspiegel. Ein einfaches Mahl, doch in einem Hotel, wie diesem hatte alles einen königlichen Anklang. Ayami stand wie beiläufig neben ihrem Fahrer und stütze ihn an der Schulter. Roger gab sich alle Mühe seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, während er die Tasse mit Tee füllte. Er spürte ihren Blick auf sich ruhen und er hielt den Kopf weiter gesenkt, die Augen auf den Boden gerichtet. Philipp begann dem klappernden Geschirr nach zu urteilen mit dem Essen und das anhaltende Schweigen zerrte an seinen Nerven.
»Könnten wir ef endlich hinter unf bringen?«, sagte er schließlich und hielt den Atem an, als er ihr in die Augen sah. Es war anmaßend und dumm von ihm, das wusste er nur zu gut. Er konnte und wollte aber keine weitere Sekunde verschenken. Zwei Tage waren ausreichend genug Zeit und doch so schnell vorbei, wie er leidvoll miterleben musste. An den letzten zwei Tagen in Rogis Leben hatte er kaum Anteil gehabt. Ophelia war es gewesen – nicht er. Es plagte ihn noch immer, wenn er an Rogis Umarmung dachte, als er ihr zugestand der Verdeckten Ermittlerin zu helfen. Nochmal sollte ihm das nicht passieren. Ayami hob amüsiert eine Braue und schritt auf ihn zu. Sie löste sich jedoch so vorsichtig von dem Kutscher, dass Roger nur zu deutlich wurde, welche Prioritäten die Königin derzeit hatte.
»Du kannst es keine Minute länger abwarten, Igor?«
Er konnte auf diesen Teil sehr gut verzichten und Ayamis Lächeln nach, wusste sie was er dachte, doch das spielte jetzt auch keine Rolle mehr.
»Nun gut, dann folge mir«, sagte sie und schritt in das angrenzende Schlafgemach. Als sie an ihm vorbei ging, strich sie mit ihrem Zeigefinger über seinen Hals und seine Nackenhaare stellten sich auf. Er folgte ihr und sie befahl ihn mit einer Handbewegung, die Doppeltür hinter sich zu schließen.
»Du weißt was du deinem Körper zumuten kannst?«
Er nickte ihr zu, dankbar dafür dass sie sofort zum Wesentlichen kam.
»Gut, denn ich werde keine Rücksicht nehmen«, sagte sie und trat dicht an ihn heran. »Du wirst mich rechtzeitig aufhalten müssen.«
Sie deutet auf die Bettkante und er setzte sich, während sie seine Hand nahm. Sie umklammerte seinen Unterarm mit ihren kalten Händen so stark, dass er ein Kribbeln in seinen Fingern spürte. Seine Adern traten wie gewünscht hervor und sie zögerte keinen weiteren Augenblick. Es war eine merkwürdige Erfahrung, wie ihre Zähne durch die Haut stachen. Er beobachtete es genau um sich selbst zu schützen und gleichzeitig schien es ihm falsch zu sein dabei zuzusehen. Es dauerte nicht lange, da spürte er den Sog deutlich. Der Zug im Arm wurde immer stärker und der Schmerz zog sich so rasch zur Schulter hinauf, dass es ihm kurz schwarz vor Augen wurde. Es ging viel zu schnell! Sie nahm wirklich keine Rücksicht und er versuchte den Arm aus ihrem Griff zu befreien. Sie bemerkte seine Bemühungen nicht einmal. Er sank auf das Bett und sie folgte seiner Bewegung indem sie sich über ihn beugte.
»Es reicht«, sagte er so deutlich er konnte und er krümmte sich erleichtert zusammen, als sie ihn los ließ. Er presste den pulsierenden Arm an sich und rang nach Atem, als hätte ihm etwas die Luftröhre zugeschnürt.
»Ich hatte dich gewarnt, Igor.«
Er nahm Ayami nur aus den Augenwinkeln wahr und klassifizierte dabei seinen Zustand so ruhig er konnte. Es war für ihn schwer abzuschätzen wie viel Blut er verloren hatte, dafür war es zu schnell gegangen. Der Durst den er plötzlich verspürte verriet ihm, dass seine Halsvenen kollabiert waren und sein Puls war deutlich erhöht. Er stand unter Schock. Sein Kopf wurde angehoben und er sah die Vampirin verschwommen über sich aufragen. Sie drückte ihm eine Tasse an die Lippen und zwang ihn so zum Trinken. Der warme Tee floss ihm über die Wangen und er verschluckte sich so heftig, dass ihm die Lunge brannte. Kaum hatte der Hustenkrampf aufgehört, drückte sie die Tasse wieder an seinen Mund, doch dieses Mal nahm er jeden Tropfen gierig auf.
»Mehr«, sagte er und seine Stimme war so rau, als hätte er Sand zu sich genommen.
»Bedaure, Igor.«
Er richtete sich panisch auf, die Augen weit aufgerissen auf der Suche nach etwas Trinkbarem. Er musste den Blutverlust ausgleichen – Egal wie. Er stand schwankend auf und steuerte auf die Kommode zu. Er nahm die dort stehende Vase mit beiden Händen auf und trank das Blumenwasser mit einen Zug leer. Der Strauß fiel achtlos zu Boden.

Als er aufwachte, fiel er fast aus der Hängematte auf die staubigen Holzdielen. Er konnte sich noch rechtzeitig abfangen und er stand mit rasendem Herz auf. Seine Vergangenheit hatte ihn ein weiteres Mal diese Nacht eingeholt, doch in seinem Traum hatte Ayami Vetinari den Platz des Vampirs eingenommen, der seine Eltern getötet hatte. Er brauchte einen Moment um sich in dem unbekannten Raum zu orientieren. Durch die kleinen Dachluken die zwischen den Dachschindeln eingesetzt waren drang etwas frische Luft in das Zimmer. Magane saß auf der anderen Dachseite und schlief ruhig. Nur zu gerne hätte er mit ihr getauscht. Er trat so leise auf wie er konnte, die alten Dielen verrieten dennoch jeden seiner Schritte. Die Wächterin schlief trotzdem weiter und als er an einer Dachluke vorbei kam, sah er, dass es schon wieder dämmerte. Von dem Igor weiterhin keine Spur. Ob die Blutsaugerin ihn nicht mehr gehen ließ? Die Wächterin wollte nichts genaueres sagen, doch die Vampirin war wütend auf Roger. Wenn er Hilfe brauchte wussten sie nicht einmal wo er steckte. Ihm hier aufzulauern empfand der Totengräber nicht richtig. Sie hätten der Kutsche folgen sollen und er musste beinahe über sich selbst lachen. Das hätte er sich nie getraut! Er blieb an dem verschlossenen Schrank stehen und betrachtete das Vorhängeschloss eingehend. Einer Eingebung folgend tastete er auf Zehenspitzen den Rand der Oberkante des Schranks entlang. Er stieß tatsächlich auf kühles Metall und zog den kleinen Schlüssel herunter. Aufgeregt öffnete er das Schloss und er befürchtete schon, dass die Türen gleich aufschwingen und ihn der Inhalt erschlagen könnte, so unvorsichtig wie er war. Nichts dergleichen passierte. Er musste sogar kräftig ziehen damit die Türen überhaupt aufgingen und taumelte geblendet zurück. Er hielt sich die Hand vor Augen, doch bunte Lichtpunkte wandertet vor ihm in der Dunkelheit. Er blinzelte einige Male um sich an das seltsame Licht zu gewöhnen mit dem auch ein leises Summen an seine Ohren drang. Er sah ein weiteres Mal in den Schrank und er traute seinen Augen kaum. Dort tanzten Blitze in Gläsern.
»Ist es das was ich denke?«, fragte die Wächterin von ihrem Platz aus und er zuckte leicht zusammen.
Das Licht musste sie geweckt haben und der Schrank war so abgedichtet worden, dass durch die Ritzen nichts nach draußen drang, als er noch geschlossen war.
»Hast du so was schon mal gesehen?«, fragte er immer noch gebannt von dem Anblick.
Inzwischen hatte er sich an das Licht gewöhnt und konnte den weiteren Inhalt des Möbels erkennen. Die Blitze machten nur einen kleinen Teil aus. Schläuche, Metallzangen und Behälter aller Art waren so eng gestapelt, dass es sicher einer bestimmten Reihenfolge bedarf um an das Gewünschte heran zu kommen.
»Ich habe noch nicht mal etwas vergleichbares gesehen.«
Er auch nicht und es wunderte ihn nicht mehr, dass der Schrank verschlossen war sondern die nicht vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen des Igors. Eine Naturgewalt einfach so gebändigt. Er wollte das Glas berühren und schreckte ein weiteres Mal hoch, als der Hund winselte. Die Wächterin und er drehten sich gleichzeitig zu Mortimer um, der erwartungsfreudig mit dem Schwanz wedelte und die Treppe nach unten blickte. Das Heulen des Hundes wurde dabei immer lauter und schließlich sprang er auf und zerrte an der Leine. Magane band ihn schnell los bevor das Halsband ihn erwürgte. Der Hund polterte ungebremst die Treppe nach unten und die Wächterin sprintete hinterher. Der Totengräber sah kurz hinter sich und schloss die Schranktüren mitsamt Vorhängeschloss sorgfältig. Wenn das Roger war, wollte er ihn sicherlich nicht noch mehr verärgern. Er legte den Schlüssel dort ab wo er ihn gefunden hatte und folgte dem Winseln in den Keller.

Der Igor wurde unsanft geweckt und fand sich auf dem Teppich neben dem Bett wieder. Er musste bis vor kurzem darin gelegen haben und konnte sich nicht daran erinnern wie er dort hingekommen war. Nachdem er das Wasser getrunken hatte, musste er zusammengebrochen sein. Zumindest konnte er sich an nichts weiter erinnern und er stemmte sich mühsam auf bis ihn die kühle Hand Ayamis an seinem Oberarm hoch zerrte.
»Geh jetzt«, sagte sie und schleifte ihn geradewegs zum Ausgang der Suite. »Du hast dich genug ausgeruht.«
Das hatte er bei weitem nicht, allerdings wollte er ebenso wenig bleiben. Mit Entsetzen sah er wie der Kutscher die Vorhänge zuzog und ihm wurde klar warum Ayami ihn so vehement raus warf. Die Dämmerung stand kurz bevor und sie wollte ihre Ruhe haben. Er hatte viel zu viel Zeit vergeudet und er stolperte der Tür entgegen.
»Sei bereit, wenn wir uns das nächste Mal sehen, Igor«, hörte er sie sagen bevor er sich allein auf dem Gang wieder fand.
Er stürzte regelrecht aus dem Hotel und spürte die verwunderten Blicke des Personals auf sich ruhen. Draußen sah er sich in der dunklen Scheibe eines Ladengeschäfts. Er war kreidebleich und seine Haut glänzte vom kalten Schweiß. Das war mehr als knapp gewesen. Ayami hätte sein Leben ohne zu zögern genommen und er schluckte schwer. Natürlich war er nicht unersetzlich, doch der Gedanke nicht selbst für Rogis Rückkehr sorgen zu können, jagte ihm Angst ein und er beschleunigte seine Schritte. Nach nur kurzer Zeit war er außer Atem und stützte sich auf seinem Weg an den Häuserwänden ab. Er durfte sich jetzt keine Pause gönnen. Er musste nach Hause. Dort hatte er alles um sich wieder auf die Beine zu bringen. Der Weg von einer Seite des Ankhs zur anderen war ihm noch nie so lang vorgekommen. Inzwischen ging das geschäftige Treiben auf den Straßen wieder los. Ein paar Händler zogen mit ihren Karren an ihm vorbei und nur zu gerne hätte er nach den Waren gegriffen, als Obst und Gemüse seinen Weg kreuzten. Die Karren rumpelten an ihm vorbei bevor er überhaupt daran denken konnte, den Händlern etwas abzukaufen. Als er die Blutgasse vor sich erkannte, schaffte er es wieder an Tempo zuzulegen, nur um dann vor der Tür mit seinem Schlüsselbund zu kämpfen. Beim dritten Anlauf hatte er es erst geschafft, als wäre er betrunken. Er blickte die Treppen nach oben und bezweifelte, dass er die Höhenmeter ohne weiteres überwinden konnte. Die Treppe nach unten war viel verlockender und er stieg zum Keller hinab. Er griff automatisch zu der Laterne am Eingang und schwankte weiter zu seinem Kellerabteil. Die Eisentür öffnete sich mit einen vertrauten Quietschen und die kalte Luft kam ihm entgegen. Rogi hing an einer Seilkonstruktion mitten im Raum und machte ihn blind und taub für alles andere. Er hatte das Seil in Schlaufen um sie gelegt, so dass sie ähnlich einem Spinnenkokon eingewickelt war. Nur die Füße und ihr Kopf waren frei, doch der Rest so festgezurrt, dass das bisschen Blut in ihrem Körper keine Möglichkeit hatte Totenflecken zu bilden. Er stellte die Lampe auf den Boden ab und trat näher an sie heran. Seine Vorbereitungen müssten eigentlich schon längst beginnen. Er musste sich weiter um ihren Körper kümmern oder war es doch besser ihr den Frieden zu lassen? Er war so besessen davon sie zurück zu holen, dass er bisher keinen Gedanken daran verschwendet hatte, was sie davon halten würde. Rogi hatte sich das Leben genommen, daran bestand kein Zweifel. Roger richtete sich zu seiner vollen Größe auf und strich ihr über das Haar an dem sich inzwischen Raureif gebildet hatte.
»Waf foll ich nur ohne dich tun?«
Die Kälte kroch ihm allmählich in die Knochen, doch er wollte Rogi nicht verlassen. Er wollte ihr noch ein Mal nah sein und löste den Knoten des Seils an der Wand. Er ließ die Igorina mit Hilfe des Flaschenzugs langsam zu sich herunter und die Schlaufen lösten sich als ihre Füße den Boden berührten. Er umarmte den inzwischen eisigen Körper und merkte im selben Moment, dass er sie nicht halten konnte. Er kippte nach hinten, löste seine Umarmung jedoch nicht und prallte somit unsanft auf den Steinboden. Rogis Kopf ruhte auf seiner Schulter und er drückte sie an sich bevor er das Bewusstsein verlor.

Dieser Hund war schlimmer als einen Sack Flöhe hüten. Magane nahm zwei Stufen auf einmal um den Hund einzuholen und verschnaufte kurz beim Kellereingang. Die Tür zu Rogers Abteil war offen und sie legte ihre Hand an den Griff ihres Dolches. Mortimer war zur Hälfte noch im Gang, als er aufgeregt stehen blieb und jetzt sah sie auch weshalb. Igor und Igorina lagen am Boden und der Hund nutze die Gelegenheit Roger das Gesicht abzulecken.
»Laff mich«, stöhnte er und drehte den Kopf weg, was nur dazu führte, dass Mortimer auf die andere Seite sprang um mit der Waschung weiter zu machen.
»Henne, beeil dich!«, rief sie dem Totengräber zu dessen Schritte sich dem Kellergewölbe näherten.
Sie zog den Hund an der Leine aus dem Raum und hob den Zeigefinger, als sie sich seiner Aufmerksamkeit sicher war. Mortimer setzte sich gehorsam und ließ ein Brummeln von sich.
»Was ist denn passiert?«, fragte Hendrik hinter ihr.
»Das wüsste ich auch gerne«, sagte sie und versuchte den Leichnam der Igorina von Roger zu schieben. »Hilf mir mal.«
Der Totengräber packte zögerlich mit an, doch als sie den Igor auf die Beine helfen wollte schlug er ihre Hände weg.
»Lafft mich in Ruhe!«
»Spinn nicht rum, Mann! Du wirst erfrieren«, sagte Hendrik und zog ein weiteres Mal an Rogers Kragen.
Sie würden hier alle erfrieren.
Roger schlug ein weiteres Mal um sich und Hendrik biss die Zähne zusammen, als sein Arm getroffen wurde. Sie beugte sich zu dem Igor herunter und verpasste ihm eine Ohrfeige.
»Jetzt reiß dich zusammen und steh auf«, befahl sie ihm und der Schlag hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
Er öffnete blinzelnd die Augen und stöhnte genervt auf.
»Bitte geht einfach«, flehte der Igor sie beide an und schloss wieder seine Lider.
»Roger, ich riskiere hier meinen Job, habe kaum geschlafen und bin sicher nicht so weit gegangen um dich hier sterben zu lassen.«
»Mitgegangen, mit gehangen«, pflichtete Hendrik ihr bei und rieb sich seinen schmerzenden Oberarm.
»Ich habe euch nicht darum gebeten mir fu helfen«, rief der Igor aus und rappelte sich wütend auf.
Er konnte kaum das Gleichgewicht halten und fasste sich an den Kopf bevor er wieder in sich zusammen sackte. Dieses Mal war er völlig weggetreten und reagierte nicht auf ihre Berührungen. Hendrik zog ihn hoch und legte einen Arm des Igors um seine Schultern.
»Ist schwerer als er aussieht«, ächzte der Totengräber und sie stützte den Igor auf der anderen Seite ehe er wieder zu Boden fiel.
Obwohl sie sich das Gewicht von Roger teilten, war es alles andere als leicht ihn zu transportieren. Seine Füße schleiften auf dem Boden und auf dem Weg nach oben wurde jede Treppenstufe zu einer Hürde. Sie schleppten ihn zu der Holzplatte die von der Decke hing und das Konstrukt schaukelte an den vier Ketten leicht hin und her. Die Wächterin sah nach oben und bemerkte, dass genau über der Plattform die Dachkonstruktion unterbrochen war. Anstatt Holzverstrebungen und Dachziegeln, waren dort zwei Metallplatten und es sah ganz so aus als ließen diese sich verschieben.
Ob der Igor so seine Blitze fing?
»Er sieht gar nicht gut aus«, sagte Hendrik und brachte sie wieder dazu sich auf Roger zu konzentrieren.
Igors sahen eigentlich nie gut aus, doch so blass wie er war konnte er als Zombie durchgehen. Sie taste nach seinem Puls und bemerkte dabei wie kalt er war.
»Bleib ja bei uns, Roger«, sagte sie und sah sich in dem Raum um. »Henne, wickele ihn in Decken oder irgendwas ein.«
Sie ging geradewegs zu dem Ofen, den der Igor selbst eingebaut haben musste, und entfachte die schon bereit gelegten Holzscheite. Roger war ein sorgfältiger Hausmann wie sie feststellte. Alles was sie brauchte war auf einen Blick zu sehen. Sie setzte den Kessel mit Wasser auf und suchte sich die nötigen Kräuter zusammen. Für diese Arbeit zog sie ihre Handschuhe aus und zerrieb die Kräutersammlung zwischen ihren Fingern. Magane nahm die Kanne vom Ofen bevor das Wasser kochte und gab die Kräuter hinzu. Der angenehme Duft breitete sich sofort aus. Sie hätte gerne noch etwas Kardamom gehabt, doch der Tee würde auch so sicher seine Wirkung nicht verfehlen. Sie nahm einen Becher von der kleinen Anrichte und füllte ihn zur Hälfte auf. Hendrik hatte inzwischen eine zerlumpte Decke gefunden und über Roger ausgebreitet. Mortimer hatte sich unter der leicht schwingenden Platte zusammen gerollt. Sie flößte Roger behutsam den Tee ein und sie war erleichtert, dass er bereitwillig alles trank.
»Was ist passiert?«, fragte sie ihn, als er kurz die Augen öffnete.
»Ayamis Rache«, sagte er so leise, dass es einem Flüstern gleich kam.

Was auch immer er zu trinken bekommen hatte, es hatte geholfen. Er fühlte sich zumindest etwas besser. Wie lange mochte er jetzt schon hier liegen? Es war schon hell draußen und aus seinen zwei Tagen waren somit anderthalb geworden. Er befreite sich von der Decke und zog sich an einer der Ketten hoch.
»Geht es dir besser?«, fragte ihn die Wächterin und er sah sie kurz irritiert an.
Was machte sie hier? Er konnte sich im besten Willen nicht daran erinnern sie herein gelassen zu haben und den Schlüsselbund spürte er noch immer in seiner Hose. Er nickte nur knapp und schwang die Beine von der Holzplatte.
»Sollte er nicht lieber liegen blieben?«, fragte jemand und er erkannte die Stimme des Totengräbers wieder.
Die zwei Menschen hatten sich also immer noch in den Kopf gesetzt ihm zu helfen. Er rutsche von der Konstruktion herunter und hielt sich weiterhin mit beiden Händen an der Kette fest. Seine Erinnerung an die letzten Stunden war verschwommen, doch Ayamis Anblick, wie sie ihm das Blut abzapfte, hatte sich fest gebrannt. Er rekonstruierte gedanklich was passiert war und ihm wurde klar, dass er diese Nacht ohne die beiden Menschen nicht überstanden hätte. Die Frage war nur ob er das wollte. Wenn er an so etwas wie Götter und das Paradies glauben könnte, wäre es eine schöne Aussicht gewesen – Mit Rogi im Tod vereint. Nur glaubte er nicht daran und die Vampirin hätte sich einfach einen anderen Igor gesucht oder hätte sie ihre Pläne geändert? Hendrik war plötzlich an seiner Seite und stützte ihn und Roger fiel auf, dass er sich noch immer an der Kette fest klammerte. Er ließ langsam los und der Totengräber packte fester zu, bevor er in die Knie gehen konnte.
»Was hast du vor, Mann?«, fragte Hendrik und Roger deutete auf eine Holzbox im Regal gegenüber.
»Ich geh schon«, sagte die Wächterin und umrundete die beiden.
Sie nahm die Box aus dem Fach und öffnete sie, während sie wieder zurück zu ihnen kam. Magane entnahm nachdenklich ein Fläschchen und runzelte die Stirn.
»Das ist doch Rogis Handschrift. Was ist das?«
Er seufzte schwer und konnte sich zu keiner Antwort durchringen. Er hätte das verfluchte Beruhigungsmittel besser gleich in den Ausguss schütten sollen. Stattdessen griff er in die Schachtel und holte ein anderes Fläschchen mitsamt Spritze heraus. Er zog das Mittel auf und reichte die fertige Injektion an die Gerichtsmedizinerin. Sie sah ihn skeptisch an.
»Daf wird mir helfen.«
»Wirklich?«
Sie war misstrauisch, nachdem wie er sich im Keller benommen hatte, dass sah er ihr deutlich an.
»Andernfallf würde ich diefef bevorfugen«, antwortete er und deutet auf das Beruhigungsmittel, das sie in die Holzschachtel zurückgelegt hatte. Magane seufzte und nahm seinen Arm um nach einer Ader zu tasten. Er wehrte sie ab und tippte auf sein Herz.
»Ist das dein Ernst?«, fragte Hendrik ängstlich und beobachte ihn dabei wie er sein Hemd aufknöpfte. »Das ist sein Ernst.«
Sie sah ihn immer noch misstrauisch an.
»Willst du dich nicht lieber weiter ausruhen?«
»Dafür habe ich keine Feit! Und jede Fekunde die du vergeudeft macht ef nur flimmer«, setzte er sie unter Druck. »Du mufft mit der Nadel nur kräftig fuftoffen...den Reft faffe ich allein.«
Sie presste die Lippen aufeinander, doch sie hatte sich endlich durchgerungen und holte aus. Sie war kräftiger als er dachte und hatte es wider Erwarten auf Anhieb geschafft. Roger übernahm schnell alle weiteren Handgriffe und das Adrenalin jagte durch seinen Körper. Es war zugegebenermaßen nicht die beste Lösung um wieder fit zu werden, doch sein Körper konnte sich noch früh genug erholen. Er befreite sich von Hendriks Griff und gab den Drang seiner Beine nach und lief quer durch den Raum. Er nahm den Schlüssel vom Schrank und hielt verwundert inne bevor er ihn ins Schloss steckte. Er sah auf den Gegenstand in seiner Hand herab und zog die Brauen in die Höhe. Der Griff war immer zur Kante hin ausgerichtet. Dieses Mal nicht. Und was noch verräterischer war: Der Staub fehlte. Roger drehte sich wütend um und deutete anklagend auf seine Besucher.
»Wenn auch nur irgendetwaf fehlt oder befädigt ift, dann Gnade euch...«
Wut und Adrenalin waren keine gute Kombination. Er fasste sich an die schmerzende Brust und atmete tief durch um sich zu beruhigen. Hendrik entschuldigte sich leise und Magane versuchte ihn zu beschwichtigen, doch im Grunde war all das egal, wenn er rechtzeitig fertig wurde. Er drehte sich wieder um und schloss den Schrank auf. Alles war an seinen Platz und er zog Drähte und Kabel aus einem Fach. Wehmütig schaute er auf die Blitze, als er im oberen Fach nach einer Zange tastete.
»Wenn ihr mir helfen wollt habt ihr jetft Gelegenheit dafu«, sagte er und die beiden sahen ihn immer noch verschüchtert an.
Kabel und Drähte hing er sich über die Schulter, die Zange nahm er zwischen die Zähne und öffnete ein Fenster. Der Igor zog sich am Fensterrahmen hoch und winkte den Totengräber zu sich, bevor er auf das Dach kletterte.

Er hatte sich die nötige Zeit genommen und die Times ordentlich zusammen gelegt, bevor er dem Igor aus dem Hotel gefolgt war. Seine Lordschaft hatte ihm eindringlich befohlen, herauszufinden mit wem seine Verwandte in der Stadt verkehrte und schon in der ersten Nacht war Ayami Vetinari aktiv geworden. Zuerst hatte er vermutet, dass der Igor zu den Mitreisenden der Vampirin gehörte, doch als der Diener die Treppe hinunter geschwankt kam, musste er sein Urteil revidieren und seinen Feierabend verschieben. Den nächsten Abend würde jemand anderer seinen Posten einnehmen, damit er der Vetinari nicht auffiel – um so dringlicher war es also zu erfahren, ob hinter dem Igor mehr steckte. Es war leichter als erwartet den Buckligen nicht aus den Augen zu verlieren, da er den sonst üblichen Sicherheitsabstand kaum berücksichtigen musste. Der Igor hatte keinen Verfolger im Sinn und auch mehr Schwierigkeiten auf den Beinen zu bleiben als ein Betrunkener.
Sie musste ganz schön zugelangt haben.
Nur langsam zeichnete sich eine Richtung ab, doch es ging vom schönen Stadtteil Ankh ins verwahrloste Morpork. Die ersten Händler machten sich in der Dämmerung auf dem Weg zu ihrem Verkaufsstand und der Igor hielt auf seinem Weg kurz inne und sah einem Karren nach, bevor er seinen Weg fortsetzte. Rach Flanellfuß lief dennoch weiter, als wäre nichts gewesen und staunte nicht schlecht, als sein Opfer doch noch an Tempo zulegte. Die Blutgasse war schmal und er verlangsamte seine Schritte, als der Igor stehen blieb.
Ziel erreicht.
Rach positionierte sich auf der Kreuzung so, dass er gerade noch die Wand hinter dem Igor erkennen konnte. Als der schwache Lichtschein den Umriss des Igors auf die Wand warf, spannte der Dunkle Beamte seine Muskeln an und sprintete los. Kurz bevor die Tür ins Schloss fiel, fing er sie mit seinen Fingern ab und sah den Igor die Stufen nach unten steigen. Als er außer Sicht war, betrat Rach ebenfalls das Treppenhaus. Ein altes Haus mit alten Dielen und Holztreppen. Jeder Schritt konnte seine Anwesenheit verraten. Glücklicherweise lernte man in der Assassinengilde mit dieser Problematik umzugehen. Er prüfte kurz das Geländer und rutschte daran runter. Auf halber Strecke verlagerte er sein Gewicht und schwang sich auf die anderer Seite. Er federte sich mit seinem ganzen Körper ab und glitt langsam dem Steinboden entgegen. Rach landete im Schutz der Dunkelheit unter dem Treppenaufgang in die oberen Etagen, als er die knarrende Tür vernahm. Er wartete einen kurzen Moment bevor er in den Gang schritt und lief an der offenen Tür vorbei als würde er sein eigenes Kellerabteil aufsuchen. Der kurze Blick hinein, verleitete ihn dennoch zum Stehen bleiben. Die Kälte die ihm entgegen kam ließ ihn frösteln, doch das imposante Ersatzteillager war gleichermaßen furchteinflößend und er trat instinktiv einen Schritt zurück. Er hatte damit gerechnet, dass der Igor hier in der Nähe seines Herrn wohnte und nicht, dass sich dort Körperteile stapelten. Gebannt beobachtete er wie der Igor vor einem verschnürten Körper stand.
»Waf foll ich nur ohne dich tun?«, sagte der Igor leise und Rach wurde sich wieder der Situation bewusst in der er sich befand. Er trat weiter in den dunklen Gang und hörte kurz darauf das Quietschen eines Flaschenzugs, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Er schaute durch den Spalt zwischen Tür und Angel und sah Igor und Igorina am Boden liegen, als er das Gewinsel eines Hundes hörte. Dicht darauf folgten Schritte von gleich zwei Personen und er nahm weiter Abstand von der Tür. Der Weg zurück blieb ihn somit versperrt und er ging weiter in den Gang hinein, der nach links abzweigte. Der rettende Hinterausgang war in Sicht, doch er wollte nicht gehen ohne zu wissen, was hier vorging. In dem Keller lag eine tote Igorina in Uniform der Spezialeinheit der Wache. Er riskierte noch einen Blick um sich sicher zu sein, doch der herannahende Hund trieb ihn zum Rückzug an. Das Biest war größer als die durchschnittliche Töle in der Stadt und es war gewiss nicht so, dass er Angst vor Hunden hatte. Sein Problem war nur, dass Tiere im allgemeinen ihn nicht mochten und somit seine Arbeit unnötig kompliziert machten. Selbst wenn er wusste, dass bei einem Auftrag mit Wachhunden oder ähnlichem zu rechnen war, hatte Rach immer ein gewisses Unbehagen. Dieses Mal wusste er nicht mal ob der Köter überhaupt eine ernsthafte Gefahr darstellte und er wollte kein Risiko eingehen. Er wandte sich schnell ab und öffnete die Hintertür bevor der Hund ihn witterte. Er nahm eines seiner Stofftaschentücher und klemmte es zwischen das Schloss damit die Tür sich zum einen leise schließen ließ und zum anderen damit er das Haus ohne größeren Aufwand wieder betreten konnte. Er schaute auf seine brünierte Taschenuhr und zählte die Sekunden. Er hasste diese ungewissen Momente, doch er wusste sich nicht anders zu helfen. Er beobachtete den leichten Lichtschimmer unterhalb des Eingangs und öffnete die Tür als dieser endlich verlosch. Rach Flanellfuß tastete sich den dunklen Gang entlang und lauschte den schweren Schritten der unbekannten Personen. Ganz oben also. Der dunkle Sekretär fasste einen Entschluss und verließ das Haus. Er atmete tief durch, als er sich auf dem kleinen Innenhof umschaute. Die Blutgasse hatte einen Vorteil. Hier standen alle Häuser eng beieinander und es wäre ein Kinderspiel auf die Dächer zu gelangen. Falls er Glück hatte würde er so zumindest die beiden weiteren Personen, die zum Igor gehörten erkennen und vielleicht würde so die Verbindung zu Ayami Vetinari endlich einen Sinn ergeben. Mit den bisherigen Informationen würde er nur mehr Fragen als Antworten aufwerfen und das führte unweigerlich zu einer anstrengenden Laune des Patriziers. Manchmal fragte er sich wie Drumknott das aushielt, doch Rufus hatte in dieser Hinsicht einfach die Ruhe weg. Er betrachtete kurz die Fassade der Häuser und nickte zufrieden. Die Rückseite des Hauses war im Gegensatz zu der glatten Hausfront wie geschaffen um daran hinauf zu klettern. Hier gab es alles was das Assassinenherz höher schlagen ließ: Alter Backstein und Fachwerk mit hervor stehenden Balken. Er war schon lange kein Mitglied der Gilde mehr, doch es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass es einer gewissen Ausbildung bedurfte um als Palastmitarbeiter eingestellt zu werden. Zumindest bei der Abteilung in der er tätig war. Er nahm Anlauf und nutzte den Schwung um den ersten Meter zu einem Vorsprung zu überbrücken an dem er sich hochziehen konnte. Stück für Stück arbeitete er sich zum Dach empor und musste sich eingestehen, dass er in letzter Zeit zu wenig trainiert hatte. Normalerweise kam er nicht so leicht ins Schwitzen, doch oben angekommen wischte er sich angewidert den Schweiß von der Stirn. Er visierte das Dach gegenüber an und war nicht ganz glücklich über die Situation, die sich ihm bot. Es brannte zwar noch Licht und er sah auch schemenhaft was sich dort abspielte, allerdings wurde es schon hell und er würde so auf Dauer durch die kleinen Fenster nichts erkennen können. Er suchte sich dennoch einen Platz von dem er einen guten Einblick bekam und setzte sich auf die Dachschindeln. Die Menschen, zumindest ging Rach von Menschen aus, kümmerten sich um den Igor und ihm wurde bewusst, dass die Vampirin den Igor eventuell los werden wollte. Ein interessanter und merkwürdiger Fakt zugleich, denn Igors waren in gewisser Weise unersetzlich oder zumindest für die meisten unbezahlbar. Es wäre eine Verschwendung, wenn sich dies bewahrheiten sollte. Und da war dieser Leichnam im Keller gewesen – Eine Igorina. Noch dazu Feldwebel in der Wache. Rach versuchte seine Gedanken zu ordnen und lehnte sich etwas zurück. Was er bisher gesehen hatte, ergab nicht viel Sinn und er schaute auf seine Uhr. Auf eine Überstunde mehr oder weniger würde es jetzt auch nicht mehr ankommen.
Er musste eine Stunde und zweiundvierzig Minuten warten bis sich der Igor regte. Rach hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet und als es soweit war richtete er sich kerzengerade auf. Fasziniert beobachtete er die Szene und fasste sich unbewusst an die eigene Brust, als die Frau die Spritze in das Herz des Igors rammte. Das Mittel zeigte sofort Wirkung und der Bucklige verschwand aus seinem Blickfeld. Rach hastete schnell hinterher zur anderen Dachluke. Etwas Grelles leuchtete aus dem Schrank heraus, doch die Türen verdeckten seine Sicht. Der Diener hatte sich mit Schläuchen und Drähten bepackt und steuerte nun geradewegs auf ihn zu. Der dunkle Sekretär rutschte schnell zurück und schwang sich mit einem Sprung auf die andere Dachseite hinter einen Kaminschlot. Der Igor öffnete das Fenster und sagte irgendetwas, bevor er sich hinaus auf das Dach zog. Kurz darauf kam der Mann heraus geklettert und folgte dem buckligen Mann unsicher.
Gab hier der Igor die Anweisungen?
Der junge Mann war in etwa seinem Alter und sah nicht so aus, als könnte er sich einen solchen Diener leisten. Die Frau ebenso wenig und sie trug keine offene Naht, die sie als Mitglied des Clans ausweisen würde. Er beobachtete wie die beiden so unterschiedlichen Männer auf die Metallplatten zusteuerten, die die Dachkonstruktion unterbrachen. Der Igor schob einen Riegel beiseite und verpasste der Platte einen kurzen Stoß, die daraufhin geräuschlos zur Seite glitt. Das erklärte zumindest auf gewisse Weise auch die schwebende Holzplattform auf welcher der Igor gelegen hatte. Gerade schraubten die Männer ein paar Eisenstangen zusammen und es sah aus als würde eine Fahnenstange entstehen. Mit einem Mal war ihm klar was hier vorbereitet wurde. Dies war eindeutig eine Anlage mit der sich Blitze fangen ließen und eventuell konnte hier sogar jemand wiederbelebt werden. Rach musste wieder an die Igorina im Keller denken. Was nur hatten die Menschen und vor allem Ayami Vetinari damit zu tun? Rach duckte sich und und schlich gebeugt wieder zu dem Punkt von dem er besser in das Zimmer schauen konnte. Der Igor hatte die Kabel herabgelassen und er sah wie die Frau die Enden ordentlich aufwickelte und auf dem Holzbrett platzierte. Sie sagte etwas und der Igor nickte nur und kümmerte sich weiter um die Verdrahtung mit der Stange. Die Frau verschwand aus seinem Blickfeld Richtung Ausgang und er rutschte weiter an die Kante des Daches um den Eingang des Hauses im Blick zu haben. Rach musste nicht lange warten und er ließ sich sofort das Dach runter gleiten als er die Frau in der Gasse erblickte. Sie schlug den selben Weg ein, den der Igor gekommen war und überquerte die Kreuzung auf die Billigseite zu. Ihr Weg führte somit über die Vertragsbrücke ins Stadtzentrum. Wenn sie nicht vorher in einem der Häuser verschwand. Er musste sich also beeilen, wenn er sie nicht verlieren wollte. Die Häuserblocks auf der anderen Seite der Blutgasse waren etwa einen Meter entfernt und er ließ sich die Dachkante herab bis er mit einen Fuß halt in dem Backstein fand. Er verlagerte sein Gewicht zur gegenüberliegenden Hauswand und streckte das andere Bein der Mauer entgegen. Breitbeinig stand er zwischen den Häusern der Gasse und zog seine dünnen Lederhandschuhe über, bevor er seine Handflächen gegen den kalten Stein presste. Rach atmete tief ein und rauschte dem Kopfsteinpflaster entgegen, als er ausatmete. Er bremste seinen Fall mit Händen und Füßen ab. Den letzten Meter sprang er und rollte sich ab. Er legte einen Sprint ein und trauerte seinen guten Schuhen hinterer, deren Sohlen qualmten. Auf halben Weg der Vertragsbrücke sah er sie endlich wieder und wurde langsamer. Er tauchte in die Menschenmenge ein, die um diese Tageszeit dem Zentrum Ankh-Morporks entgegen strömte. Er klopfte sich beiläufig seine Kleidung ab und steckte die Handschuhe wieder in die Innentasche seines Jacketts. Als sie in den eher leeren Hachsenweg einbog, achtete er wieder mehr auf seinen Abstand zu ihr. Verwundert blieb er stehen, als er bemerkte auf welches Haus sie zuging und schaute auf seine Taschenuhr. Sie betrat tatsächlich den Innenhof und er beschleunigte seine Schritte. Rach umrundete das Gebäude und betrat das Wachhaus am Pseudopolisplatz über den Haupteingang. Er ging auf die beiden Wächter am Tresen zu und klopfte seine Taschen ab.
»Was können wir für dich tun, Herr?«, fragte ihn die Wächterin, während der Zwerg neben ihr die Arme verschränkte.
Rach holte ein silbernes Etui aus seiner Hosentasche und entnahm ihm eine Zigarette.
»Ich wollte fragen ob ihr vielleicht Feuer für mich habt.« Er steckte sich den Glimmstängel in den Mund.
Die Wächterin zückte sofort eine Packung Zündhölzer und Rach nahm einen kräftigen Zug und blies den Rauch über sich in die Luft.
»Vielen Dank, Madame.«
Er hob die Hand zum Abschied und wandte sich grinsend ab als er seine Zielperson an den Rekruten vorbei laufen sah. Draußen nahm er einen weiteren tiefen Zug, bevor er die Zigarette an der Wand ausdrückte. Den Rest des Glimmstängels steckte er sich in die Brusttasche zu seinem Feuerzeug. Er entnahm einer kleinen Tüte aus seiner Hosentasche ein frisches Pfefferminzblatt und kaute zufrieden darauf herum. Eine Wächterin war sie also. Das Ganze wurde immer interessanter und er schlenderte gemütlich zurück zu dem Wohnsitz des Igors.

Der Totengräber war erleichtert, als er endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Die Dachziegel hatten ihm nicht gerade den Eindruck gemacht wirklich fest zu sitzen und Roger wies ihn auch deutlich an auf seine Schritte zu achten. Hendrik schaute nach oben und sah die baumelnden Füße des Igors, der noch immer oben saß und sich an der Konstruktion zu schaffen machte. Nichts von allem hatte Roger erklärt, doch ihm war klar wozu das alles gut war. Er hätte es nur gerne genauer gewusst. Als der Igor ihm keine neue Aufgabe mehr gegeben hatte, war er wieder zurück in das Zimmer geklettert und der Hund begrüßte ihn freudig. Mortimer stank aus dem Maul und er schob den Hund angewidert von sich. Er seufzte, als er an die Worte der Wächterin dachte und leinte Mortimer an. Irgendwer musste sich ja um das Tier kümmern.
»Roger?«, fragte er Richtung Dach, doch eine Reaktion des Igors blieb aus. »Soll ich dir was mitbringen?«
Er sah wie Igoratius sich nach vorne beugte und nach einer der Ketten griff. Roger ließ sich an ihr hinab gleiten und landete mit einem Satz direkt vor Hendriks Füßen. Der Totengräber war immer noch verblüfft wie schnell sich der Igor zu erholen schien. Vor einer Stunde hätte er nicht mit so etwas gerechnet.
»Waf willft du?«
»Naja...ähm« Die bedrohliche Nähe schüchterte ihn doch etwas ein. »Ich hab Hunger. Der Hund hat Hunger. Und du solltest etwas essen.«
Roger schien darüber nachzudenken und Hendrik vermutete, dass es eine Überlegung der Art war ob überhaupt Zeit zum Essen war.
»Der Curry Garten ift hier um die Ecke.«
»Du kannst dir das leisten?«, fragte er verblüfft auf diese Antwort.
Der Curry Garten war ein Ort an dem nur die reichen Schnösel ein und aus gingen. Der Igor drückte ihm etwas Kleingeld in die Hand und schüttelte den Kopf.
»Geh an den Hinteraufgang und kauf dem Koch die Refte ab, wenn er dir nichtf geben will, frag ihn wie ef feiner Hand geht.«
»Oh, äh ja alles klar.«
Der Igor lächelte ihn tatsächlich an und drückte ihm die Schlüssel in die Hand, bevor er sich wieder einmal dem Inhalt des Schranks widmete.
»Bin bald zurück«, sagte der Totengräber schnell und starrte verwundert auf die Schlüssel in seiner Hand.
Roger machte nicht den Eindruck, dass er bisher irgend jemandem vertraute, doch dann rückte er einfach so Schlüssel und Geld raus, als wären sie beste Freunde. Er wandte sich zum Gehen und der Hund zog ihn regelrecht aus dem Treppenhaus in die ersehnte Freiheit. Hendrik schlug den Weg zur Zehntes-Ei-Straße ein, da es dort einen Metzger gab der sowohl seinen Hunger als auch den des Hundes für lau stillen konnte. Er machte einen kleinen Schlenker über die Zupferstraße und ließ Mortimer frei über die dort vorhandene Grünfläche laufen, als ihm klar wurde, dass etwas nicht stimmte. Die ganze Zeit schon hatte er dieses altvertraute Kribbeln im Nacken und hier am menschenleeren Stadtrand wurde das Gefühl nur um so stärker. Er wurde beobachtet. Er blieb stehen und unterdrückte den Drang sich umzusehen. Mit klopfenden Herzen setzte er sich auf die nächste Bank. Er ließ seinen Blick schweifen, konnte auf den ersten Blick allerdings niemand Verdächtiges ausmachen. Normalerweise täuschten ihn seine Instinkte nicht und er überlegte ob er seinen Verfolger stellen oder lieber abschütteln sollte. Er bevorzugte eindeutig Zweiteres, doch wenn er von Anfang an beobachtet wurde, war das aussichtslos. Er atmete tief durch und beäugte misstrauisch den Mann, der an ihm vorbei lief. Hendrik schaute sich ein weiteres mal um bevor er aufstand. Ein weiterer Gassigänger, ein alter Mann der Tauben fütterte und eine Frau mit Kinderwagen. Er sah dem Mann im schwarzen Anzug hinterher und konnte das Gefühl verfolgt zu werden immer noch nicht abschütteln. Er pfiff Mortimer zu sich und ging schnellen Schrittes zur Fleischerei von Herrn Rollkutscher. Mit vollem Bauch ließ es sich besser denken. Er band Mortimer an bevor er den Laden betrat und die Türglocke kündigte sein Kommen an.
»Ah der Herr Lemm«, grüßte ihn der Metzgermeister. »Eine Bulette im Brötchen?«
Er nickte Herrn Rollkutscher zu.
»Wie immer, aber eine Frage: Kann ich eventuell ein paar Reste haben?«
Herr Rollkutscher sah seinen Stammkunden verwirrt an.
»Für meinen Hund«, fügte Hendrik schnell hinzu.
»Sag das doch gleich! Natürlich gerne, aber seit wann hast du einen Hund?«
»Äh, ich kümmere mich nur heute um ihn«, antwortete er schnell und dem Fleischer schien das zu reichen.
Während der Metzger alles zusammenstellte und in einen Beutel packte, sah er nach draußen und Mortimer blickte durch die Scheibe zu ihm, als wüsste der Hund, dass es auch für ihn was geben würde.
»Das macht dann bitte Dreißig Cent.«
»Acht Cent für die Reste? Das ist doch nicht dein Ernst?«
Hendrik drehte sich zu dem Metzger um. Der Preis schockte ihn bei seinem geringen Gehalt regelrecht und er vergaß beinahe seine ernste Lage bis die Türglocke hinter ihm läutete.
»Pisse Paul gibt mir Zehn dafür. Ein besseres Angebot kann ich dir nicht machen.«
Hendrik seufzte und reichte das Geld über die Theke. Er schnappte sich die Tüte und verließ schnell den Laden. Er stieß beinahe mit dem Mann zusammen, der eben den Laden betreten hatte, doch dieser wich ihm aus bevor er ihn selbst wirklich wahrgenommen hatte. Erst als er draußen war und den Hund losgebunden hatte, fiel ihm auf was eben passiert war.
Derselbe verdammte schwarze Anzug.
Er sah in den Laden und der Fremde nahm gerade ein Frikadellen-Brötchen entgegen. Hendrik entnahm der Tüte seine Mahlzeit um noch etwas Zeit zu schinden und nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Metzger kam sein mutmaßlicher Verfolger zurück auf die Straße. Der Mann biss herzhaft in das Brötchen und hob die Hand zum Gruß, was Mortimer dazu brachte zu knurren. Er schaute der Gestalt im schwarzen Anzug hinterher, die den selben Weg nahm wie er gekommen war, doch Hendrik hatte nicht vor sich von dem unschuldigen Auftreten täuschen zu lassen.
Was jetzt? Den Spieß umdrehen oder Herrn Rollkutscher fragen ob er den feinen Pinkel kannte.
Der Metzger rannte ihm nicht davon im Gegensatz zu dem Schnösel und Hendrik nahm die Verfolgung auf. Als er um die nächste Ecke bog, war nur niemand mehr zu sehen und Hendrik blieb verdutzt stehen. Wie vom Erdboden verschluckt. Der Totengräber lehnte sich an die nächste Wand und begann genüsslich sein Brötchen zu verputzen. Irgendwo hier war der Kerl und irgendwie würde er ihn schon noch dran kriegen, doch jetzt durfte er erstmal warten. Er wischte sich seine Finger an seiner Jacke ab, nachdem er sich den letzten Bissen in den Mund geschoben hatte. Er nahm entschlossen Beutel und Leine in die linke Hand und spannte seine Muskeln an. Er rannte los und nahm jede Abbiegung die er kriegen konnte, wenn es klappte würde sein Verfolger sich beeilen müssen um noch Schritt zu halten und wenn Hendrik etwas konnte dann war das Rennen. Mortimer lief freudig mit und für den Hund war das ganze wieder mal ein Spiel. Hendrik hoffte nur, dass das Tier seinen Plan nicht vermasseln würde. Mit jedem Schritt fühlte sich der Totengräber sicherer und bei der nächstem Ecke bremste er abrupt ab und drückte sich in einen Hauseingang. Den Hund schob er hinter sich und lauschte. Als er die schnellen Schritte hörte, beugte er sich nach vorne und ließ seinen Verfolger in die Faust rennen, zumindest dachte er das. Der Mann zuckte reflexartig mit dem Oberkörper zurück und ging in die Knie. Hendriks Faust wurde gepackt und der Schwung des Mannes richtete sich gegen ihn. Die Straße drehte sich für einen Moment und er kam hart auf dem Kopfsteinpflaster auf. Mortimer knurrte und der Fremde über ihm warf dem Tier etwas zu, das für Ruhe sorgte. Hendrik stand schnell auf und sah das der Köter auf den Resten eines Brötchens herum kaute.
»Ich habe dich wohl unterschätzt«, sagte der Mann im Anzug und reichte ihm seine Metzgertüte zurück.
»Was willst du von mir, Herr?«, fragte er gerade heraus und nahm den Beutel verwundert entgegen.
Alles deutete bei dem Schnösel auf Assassine hin, nur irgendwie war das Schwarz eher ein sehr dunkles Grau und das passte wiederum so gar nicht zur Gilde. Hendrik atmete tief durch, wenn der Kerl ihn umbringen wollte hätte er schon genug Gelegenheiten gehabt.
»Ein paar Antworten, danach werde ich dich, den Igor und die Wächterin in Ruhe lassen.«
Der Totengräber sog die Luft ein und sah sein Gegenüber entsetzt an.
»Und wenn ich mich weigere?«
Er hatte definitiv nicht vor sich aushorchen zu lassen, doch der Mann lächelte ihn einfach nur an und das so freundlich, dass es einem fast schon wieder Angst machte.
»Dann wird das noch ein langer Tag für mich, Herr Lemm.«
»Woher?« Er biss sich auf die Zunge.
Hendrik presste die Lippen aufeinander, als ihm klar wurde welche Dummheit er begangen hatte. Wie auch immer der Fremde dem Metzger seinen Namen entlockt hatte – er durfte nicht den selben Fehler machen.
»Und dein Name ist?«
»Nenn mich einfach Joe«, antwortete der Mann und reichte ihm die Hand.
Hendrik ging nicht darauf ein und verschränkte die Arme. Wenn Joe schon nicht ehrlich zu ihm war brauchte er es auch nicht sein. Der Mann neigte den Kopf leicht zur Seite und zog seine Hand schließlich zurück um einen Blick auf seine Taschenuhr zu werfen.
»Gut, Herr Lemm, ein Angebot: Ich lade dich zum Essen ein.« Joe knöpfte sein Jackett wieder zu, nachdem er die Uhr zurück in die Westentasche geschoben hatte und richtete seinen Kragen. »Wo soll es hin gehen?«
»Was soll das werden? Sehe ich so bescheuert aus?«
»Nein, nur etwas müde und erschöpft. Und etwas blass um die Nase, da schadet es nicht mal etwas Ordentliches zu essen, nicht wahr?«
Eine richtige Mahlzeit würde ihm wirklich nicht schaden, allerdings roch das gerade zu nach einem billigen Trick ihn zum Reden zu bringen. Andererseits würde der Kerl eh nicht locker lassen, da konnte er das ganze genauso gut ausnutzen und dabei vielleicht sogar selber etwas erfahren. Es ging hier schließlich nicht um ihn. Der Mann wusste von Magane und Roger. Vielleicht waren sie also in Gefahr und Hendrik der Dumme der sie verraten sollte.
»Wie wäre es mit dem Curry Garten?«
»Ausgezeichnete Wahl, Herr Lemm«, sagte der feine Pinkel und ging los.
»Ein Sache noch, Joe«, sagte der Totengräber und der Angesprochene blieb stehen, drehte ihm allerdings weiter den Rücken zu. »Wie ist dein richtiger Name?«
»Rach«, antwortete er ihm und ging weiter. »Rach Flanellfuß.«

Sie stand im Türrahmen der Zelle und beobachtete das Spinnennetz am vergitterten Fenster, das sich im Wind wölbte. Ophelia war immer noch unschlüssig, doch sie musste handeln! Die Zelle war nach so wenigen Tagen schon ein Durcheinander. Akten lagen zerstreut auf dem Schreibtisch der Igorina und jetzt nach der Beerdigung hatte es keinen Sinn, das weiter aufzuschieben. Niemand sonst würde sich um den Nachlass kümmern. Sie atmete tief ein und betrat das Büro. Wo sollte sie nur anfangen? Sie drehte sich um ihre eigene Achse und ihr Blick blieb an Rogis Umhängetasche hängen. Sie ging zögerlich darauf zu und nahm sie vom Haken. Die Tasche war schwer und die Igorina hatte diese jeden Tag mit sich getragen. Sie stellte die Tasche auf dem Stuhl ab und nestelte an dem Verschluss. Der Inhalt war seltsamerweise so vertraut, dass sie nur eine kurze Bestandsaufnahme machte. Rogi hatte nach dem Einsatz nicht mal mehr ihr Inventar aufgefüllt. Die verdeckte Ermittlerin seufzte tief und verschloss die Umhängetasche schnell wieder. Alles nur nicht an diesen Tag denken, doch die Ereignisse hatten sie schon längst eingeholt. 'Wir sehen uns heute Abend' Das waren die letzten Worte der Igorina an sie gewesen. Was würde sie dafür geben noch einmal die Stimme hören zu können, die sie mehrere Wochen lang begleitet hatte. Sie presste ihre Lippen aufeinander und versuchte sich wieder auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Ophelia betrachtete die Einmachgläser im Regal und wandte sich schnell wieder ab als mehrere Augen ihren Blick zu erwidern schienen. Die Truhe war ebenso noch hier. Das waren alles Dinge um die sich Roger kümmern sollte. Sie hatte keine Ahnung ob diese Sachen einer bestimmten Pflege bedurften. Sie würde ihm eine Nachricht schreiben müssen und sie schloss die Augen bei dem Gedanken. Seit der Beerdigung hatte sie ihn nicht mehr gesehen und seit dem letzten Gespräch einen Tag zuvor, hatte er sie nicht mehr beachtet. Vielleicht war es besser so? Gerne hätte sie sich mit ihm versöhnt, doch ab jetzt musste das von ihm aus kommen. Sie hatte alles getan was ihr möglich war und trotzdem... Es war nicht genug gewesen. Und es würde nie genug sein, kam es ihr in den Sinn als Rogis manipulative Worte ihr wieder einfielen. Sie schuldete der Igorina mehr als nur zwei Leben, doch dass deren Vorwurf, sie könnte Schuld an Rogis Tod sein, sich bewahrheiten würde...
Was soll das werden? Hatten wir dieses Gespräch nicht schon?
Oh nein nicht jetzt! Lass mich allein.
Mit Freuden, meine Liebe, aber auch dieses Gespräch haben wir schon hinter uns.
Sie fasste sich an den Kopf und atmete tief ein um sich zu sammeln. Was wollte Racul nur wieder von ihr?
Ich will nur sicher gehen, dass du nicht wieder in Selbstvorwürfe versinkst und auf törichte Gedanken kommst. Das fühlt sich gerade doch sehr stark danach an und das letzte Mal hat mir durchaus gereicht. Wenn du also die Güte hättest dich zusammenzureißen, werde ich dich ignorieren soweit es mir möglich ist. Mach es mir also nicht unnötig schwer.
Als würde sie es darauf anlegen. So etwas passierte nun mal, dennoch hatte er recht. Es hatte keinen Zweck – was geschehen war, war geschehen.
So ist es recht.
Sie entspannte sich merklich als die Anwesenheit des alten Vampirs nachließ und sie sich wieder auf das hier und jetzt konzentrieren konnte. Ophelia strich sich über die Stirn und drehte sich der Apothekerkommode zu. Sie öffnete die Schublade in der Rogi ihr eigenes Beruhigungsmittel aufbewahrt hatte. Sie war leer. SUSI hatte alles für den Fall wichtige beschlagnahmt, doch sie konnte den Tatortbericht nicht lesen. Sie konnte die Bilder nicht ein weiteres Mal ertragen. Mit einem Seufzer schob sie die Schublade zurück und öffnete dafür eine andere. Sie berührte vorsichtig die Griffe der darin aufgereihten Skalpelle. Keines glich dem anderen und die verdeckte Ermittlerin war sich mit einem Mal nicht sicher, ob dies nun wirklich zu Rogis Nachlass gehörte oder vielleicht dem Lazarett der Wache zu Gute kommen sollte. Sie zog die nächste Lade auf und die Problematik setzte sich mit den Verbandsrollen fort. Die Wächterin entschloss sich eine Liste für die Sanitäter anzufertigen und öffnete eine weitere Schublade. Quittungen, allerlei Papiere und Briefe kamen zum Vorschein. Die Igorina hatte jeden Kauf fein säuberlich dokumentiert und sie strich mit den Fingern über die vertraue Handschrift. Ophelia nahm sich einen Stapel heraus und bemerkte dabei eine Holzschachtel die die Hälfte des Schubfachs ausfüllte. Die Schachtel war aus einfachem Holz, das allerdings aufwändig gebeizt und lackiert war. Sie legte die Papiere in ihrer Hand zurück und griff stattdessen zu der Holzkiste. Sie stellte den Kasten auf der Ablage ab und öffnete den Deckel zögerlich. Der Inhalt bestand aus mehreren Papierschnipseln und auf dem ersten Blick stammten diese nicht nur von einem einzigen Dokument. Sie griff hinein und zog wahllos, wie bei einer Verlosung, einen Fetzen heraus. Das Papier war beidseitig beschrieben. Die Schrift allerdings so gekritzelt und unleserlich, dass sie nicht mal mit Sicherheit sagen konnte um welche Sprache es sich handelte. Sie fischte nach einem weiteren Schnipsel, der deutlich lesbarer dafür jedoch auf überwaldisch war und somit blieb der Inhalt der Holzkiste ein Rätsel. Sie klappte den Deckel mit gemischten Gefühlen zu. Einerseits war sie neugierig was es mit den Papierschnipseln auf sich hatte, andererseits war es offensichtlich etwas das Rogi wichtig genug gewesen war um es aufzubewahren obwohl es kaum noch zu rekonstruieren war. Ophelia wurde klar, dass sie die Igorina nur oberflächlich gekannt hatte. Vielleicht etwas besser als die meisten anderen Wächter, aber nicht gut genug.

Der Igor betrachtete erschöpft sein Werk und setzte sich auf seinen Stuhl. Er lehnte sich soweit zurück bis er ins Kippen kam und die Lehne auf den Balken dahinter traf. Alle Kabel waren verlegt und verdrahtet. Die Antenne justiert und der Drache bereit, doch das wichtigste stand ihm noch bevor. Roger schloss die Augen und wurde sich der Stille bewusst, die ihn umgab. Der Totengräber war noch immer nicht zurück. Hatte er dem jungen Mann, doch zu voreilig vertraut? Er sah aus dem Fenster und der Stand der Sonne gefiel ihm ganz und gar nicht. Er richtete sich schnell wieder auf, als er Geräusche vor der Tür hörte. Er stand schwungvoll auf und ging schnell zum Eingang.
»Wo warft du fo lange?«, sagte er nachdem er die Tür geöffnet hatte, doch Magane stand vor ihm statt wie erwartet Hendrik. »Oh, du bift ef.«
Die Wächterin packte ihre Dietriche weg und sah ihn fragend an, bis ihr aufging wen er meinte.
»Wo ist Henne?«
Der Igor zuckte mit den Schultern und sie betrat den Raum.
»Daf wüffte ich auch gerne. Er ift mit dem Hund weg und wollte etwaf fu effen holen, doch feitdem find fon ein paar Ftunden vergangen.«
Sie sah ihn vorwurfsvoll an und er zog die Stirn in Falten. Sie konnte ihm doch nicht das Verschwinden von Hendrik anlasten wollen.
»Ich weif wirklich nicht wo er ift!«
»Sicher?«, fragte sie und er wollte schon etwas erwidern, als sie weiter sprach. »Das klären wir später. Ich habe vorher ein Wörtchen mit dir zu reden.«
Was war denn jetzt los? War etwas in der Wache passiert?
Der Blick der Gerichtsmedizinerin gefiel ihm ganz und gar nicht. Sie stach mit ihrem Finger in seine Brust.
»Warum weiß sie nichts davon? Sie ist völlig am Ende und ich konnte es ihr nicht sagen. Nicht in dieser Situation.«
Roger runzelte die Stirn und trat einen Schritt zurück als ihr Finger ihn ein weiteres Mal berührte.
»Wovon redeft du?«
»Ophelia ist im Wachhaus und kümmert sich um den Nachlass von Rogi. Ich dachte sie wüsste was du vorhast.«
Er schüttelte nur den Kopf und überlegte ob er nicht Rogis Umhängetasche doch hätte an sich nehmen sollen. Die Ohrfeige traf ihn unvorbereitet und er hielt sich die schmerzende Wange.
»Warum hast du ihr nichts gesagt? Wenn jemand ein Anrecht darauf hat, dann sie!«
»Und wenn ef nicht klappt? Wenn Ayami ihr Wort bricht?«, entgegnete der Igor prompt. »Foll ich Ophelia wirklich Hoffnungen machen, wenn ich felbt kaum welche habe?«
Maganes Gesichtszüge wurden wieder weicher und sie legte den Kopf schief.
»Was meinst du damit? Was hat Ayami überhaupt damit zu tun?«
»Fie wird für daf nötige Gewitter forgen«, sagte er so ruhig er konnte, obwohl alles in ihm aufschreien wollte um seinem Frust heraus zu lassen.
»Das war ihr Angebot – Ein Gewitter?«, fragte sie und deutete schließlich auf den Schrank hinter ihm. »Was ist mit deinen Blitzen?«
Roger lachte bitter auf und schüttelte den Kopf.
»Daf find Blitze auf Ankh-Morpork und nicht vergleichbar mit einem Fturm auf Überwald, wo fich die Wolken an den Berghängen auftürmen und ein Gewitter feine volle Kraft entfalten kann.«, entgegnete er nun doch aufgebracht. »Hier in der Ebene ift daf kaum möglich. Felbft wenn, müffte ich noch hunderte fammeln um ficher fu fein.«
»Du willst mir nach den letzten Tagen nicht wirklich sagen, dass Rogi nicht mit Sicherheit wiederbelebt werden kann?«
Er konnte darauf nicht antworten und senkte den Kopf. Er hatte nie behauptet, dass sein Vorhaben funktionieren würde. Magane war schlichtweg davon ausgegangen.
»Dann war es wohl besser, Ophelia nichts zu sagen.«

Rach beobachtete Hendrik dabei wie er sein grünes Curry verschlang und stocherte dabei in seinem Salat nach achatischer Art. Er schob die scharfen Peperoni beiseite ehe er etwas davon zu sich nahm. Der Mann ihm gegenüber war von einfacher Herkunft, Körperbau und Schwielen verrieten dem ehemaligen Assassinen einiges über seinen Gast.
Immerhin konnte er mit Messer und Gabel umgehen.
»Schmeckt es, Herr Lemm?«, fragte Rach Flanellfuß und lehnte sich etwas zurück.
Er bekam ein zufriedenes Nicken zur Antwort.
Der Haut nach zu urteilen arbeitete er hauptsächlich draußen und ein leichter Geruch von Erde haftete der Kleidung an. Für einen Gärtner war er allerdings zu grob in seinen Bewegungen und Rach konnte sich den Mann kaum dabei vorstellen wie er einen Rosenstrauch zurechtstutzte und dies führte nur zu einem einleuchtenden Schluss – Ein Totengräber. Zumindest würde das die Verbindung zum Igor und der toten Igorina logisch erklären.
»Etwas dagegen wenn ich dich Hendrik nenne?«
Sein Gegenüber verschluckte sich fast und trank einen kräftigen Schluck von seinem Bier. Rach nippte an seinem kalten Minz-Tee um sein Grinsen zu verbergen.
»Wie hast du das gemacht? Wie konntest du so schnell meinen Namen erfahren?«
»Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich einen meiner besten Tricks verrate.«
»Dann erwarte auch nicht, dass ich auch nur eine deiner Fragen beantworte, Herr Flanellfuß.«
Eine sehr bissige Antwort, doch damit hatte der Sekretär gerechnet. Dennoch gab er sich einem leisen Seufzer hin, bevor er etwas erwiderte.
»Wir wissen beide, dass du dies nie vor hattest. Also genieße dein Essen und entspanne dich. Ich möchte nichts von dir und deinen Freunden«
»Warum sitze ich dann hier? Was soll der Mist?«
»Vielleicht weil ich einem armen Totengräber etwas gutes tun will?«
Hendriks Gesichtszüge entgleisten und es klimperte als seine Gabel auf den Tellerrand traf.
Volltreffer!
Dem Totengräber war in diesem Moment viel an seiner Miene abzulesen, vor allem Verwirrung und Furcht. Zweiteres war manchmal hilfreich um die Zunge zu lockern und da Hendrik so auf stur geschaltet hatte erlaubte sich der ehemalige Assassine einen besonderen Spaß.
»Du willst sicher wissen woher ich das weiß?«
Ein stummes verschüchtertes Nicken kam von seinem Gegenüber.
»Wenn ich dir das sage, muss ich dich umbringen«, sagte er gelassen, doch als jegliche Farbe aus Hendrik wich musste er lachen. »Verzeihung ich konnte nicht widerstehen.«
Der Totengräber ließ den angehaltenen Atem entweichen und leerte seinen Krug Bier in einem Zug. Rach lächelte in sich hinein und winkte die Bedienung zu sich. Aus dem Verhalten von Herrn Lemm konnte man mehr heraus lesen, als aus einer Schlagzeile in der Times.
»Noch einen Wunsch, die Herren?«, fragte der Kellner, als er am Tisch angekommen war.
»Ich hätte gerne nochmals einen erfrischenden Minz-Tee und für meinen Gast hier noch etwas beruhigendes für den Magen.«
»Darf ich unseren Kräuterschnaps empfehlen?«
Der Totengräber nickte langsam, woraufhin der Ober sein fragendes Starren unterbrach und sich wieder entfernte. Der dunkle Sekretär lehnte sich entspannt zurück und leerte sein Getränk bevor der Bedienstete mit der neuen Bestellung zurück kam. So langsam hatte er Hendrik da, wo er ihn haben wollte und wenn sich noch herausstellen sollte, dass der junge Mann auch mit Ayami Vetinari in Verbindung stand, hatten sich die Überstunden rundum gelohnt. Als die bestellten Getränke abgestellt wurden kippte der Totengräber den hochprozentigen die Kehle runter und verlangte sofort noch einen Schnaps. Der Kellner entfernte sich mit einem abfälligen Blick und Rach beugte sich zu Hendrik vor.
»Wann wird die Igorina wiederbelebt?«, fragte er leise und beobachte sein Gegenüber genau.
Der junge Mann hielt ein weiteres Mal den Atem an. Die Augen verrieten ihm allerdings, dass der Totengräber es nicht wusste. Rach musste also das Wetter und die Geschehnisse auf dem Dach weiter verfolgen, zumindest war er sich sicher, dass dies Havelocks Auftrag sein würde. Die Vampirin wurde auch ohne ihn weiter beobachtet und es würde ihn nicht wundern, wenn sie in dieser Geschichte ein zentrale Rolle spielen würde, doch dafür musste er mit dem Igor selbst reden.

Magane rieb sich die müden Augen und versuchte der Arbeit des Igors zu folgen. Sie hatten zusammen Rogi nach oben gebracht und auf der Holzplatte aufgebahrt. Die Gerichtsmedizinerin hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass er Arme und Beine ersetzen würde, doch das Argument, dass diese frischeres Blut enthielten, leuchtete ihr auf eine merkwürdige Art und Weise ein. Allerdings dachte sie dabei mehr an die Entgiftung des Körpers. Hände und Füße hingegen würden wieder wie gewohnt, die von Rogi sein, wenn man das so sagen konnte. Sie konnte sich nur schwer auf ihre Assistenzrolle konzentrieren und sah immer wieder zur Tür. Hendrik war verängstigt gewesen, doch dass er einfach abhaute traute sie ihm nicht zu. Dass Roger ihn loswerden wollte umso eher, allerdings war im Keller kein Anzeichen von dem Totengräber gewesen. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden und ihre Sorge um Hendrik wuchs weiter an, während der Igor sich seelenruhig um die Beleuchtung mit Hilfe seiner Blitze kümmerte. Ein geeigneter Zeitpunkt um den müden Geist zu beleben und einen Moment an sich selbst zu denken, wenn auch nur für einen Augenblick. Die Wächterin ging zum Ofen und entfachte das Feuer neu um den Wasserkessel zu erhitzen. Roger hielt sie nicht auf oder bemerkte es wahrscheinlich gar nicht, so sehr war er in seine Aufgabe vertieft. Sie suchte sich beiläufig Kräuter und Gewürze zusammen, während sie den Igor beobachtete. Er musste erschöpft sein, allerdings sah man es ihm nur bedingt an. Er schlurfte weniger und seine Bewegungen wurden überlegter.
»Sag mal...«, setzte Magane vorsichtig an. »Hast du schon mal jemanden wiederbelebt?«
Er hielt mitten in seiner Bewegung inne und starrte auf seine Hände, die gerade dabei waren das feine Garn vorzubereiten. Er verharrte in dieser Position einige Sekunden bevor er zu ihr auf sah.
»Ich kenne jeden Fritt, jeden Handgriff der nötig ift und durfte bei einigen Gewittern den Hebel fiehen alf ich noch klein war, aber alleine und unter diefen Bedingungen ift ef mein erfter Verfuch.«
Er seufzte laut und legte Nadel und Faden ab. Magane wusste nicht so recht wie sie darauf reagieren sollte und war etwas enttäuscht, dass er sich noch immer nur auf sich selbst verließ. Genug Hilfe hatte er allemal erhalten und sie selbst hatte mehr als genug dafür riskiert.
»Du bist nicht allein«, sagte sie mehr aus dem Verlangen heraus ihr Handeln zu verteidigen und warf ein paar zerriebene Kräuter in den Teekessel. Der aufsteigende Duft beruhigte sie etwas und sie konzentrierte sich wieder auf den Igor. Er ließ die Schultern hängen und blickte auf Rogi hinab. Sie seufzte innerlich, als ihr klar wurde, dass ihre Worte bei ihm nicht angekommen waren. Für Roger bestand die Welt derzeit einzig und allein aus Kummer und Leid und sie konnte dies nicht länger mit ansehen. Sie suchte weitere Zutaten aus dem Bestand des Igors zusammen und ergänzte den Tee um diese. Sie fächelte sich etwas von dem Aroma zu und atmete tief ein. Etwas um die Nerven zu beruhigen und vielleicht in etwas bessere Stimmung zu kommen, war jetzt genau das richtige. Sie füllte zwei Tassen und trat direkt auf Roger zu und hielt ihm den Tee unter die Nase.
»Trink das«, sagte sie entschlossen und der Igor sah sie irritiert an. »Na los, bevor er kalt wird.«
Er gehorchte mehr verwundert, als gehorsam und auch wenn ihr Auftreten ihm gegenüber ihr unangenehm war, half es wenigstens ihn daran zu hindern weiter in Selbstmitleid zu versinken. Nach seinem ersten Schluck sah er von seiner Tasse überrascht zu ihr auf und trank gleich einen weiteren Schluck.
»Nicht flecht!«
Das war sein einziger Kommentar und die Wächterin hatte Schwierigkeiten ihn zu deuten. Sie versuchte gelassen zu bleiben und entspannte sich etwas als Roger die Augen schloss und tief einatmete. Seine Worte konnte sie wohl als Lob verbuchen und sie klammerte sich erleichtert an ihre Teetasse. Die Wiederherstellung der Toten hatte eisige Finger zur Folge und bisher hatten sie sich nur um das Äußere der Igorina gekümmert. Magane fragte sich wann das Gewitter kommen würde, denn viel länger würde sie kaum aushalten können und sie bezweifelte, dass Roger noch genug Kräfte mobilisieren konnte um jetzt noch weiter zu machen. Der schwierige Teil stand ihnen erst bevor und so wie sie den Igor einschätzte würde sie bei der Feinarbeit kaum zur Hand gehen dürfen.
»Wir sollten etwas schlafen«, sagte sie leise, aber dennoch bestimmt und hoffte, dass er zustimmen würde. Roger setzte zu einer Antwort an als es vor der Tür rumpelte und etwas klirrend zu Boden fiel. Kurz darauf klapperte es im Schloss und sie sah fragend zum Igor, der sofort seine Tasse abstellte und zur Tür eilte. Als er sie öffnete fiel ihm Hendrik entgegen und Roger fing ihn auf. Kurz darauf kam Mortimer schwanzwedelnd herein.
Die Wächerin eilte dazu und befürchtete das Schlimmste, doch in der Nähe des Totengräbers bemerkte sie seine Fahne. Hendrik richtete sich schwankend wieder auf und hielt zwei Tüten in die Höhe. Eine in der rechten und eine in der linken Hand.
»Hab was zu Eschen besorgt«, lallte er leicht und Magane sah ihn sprachlos an. Sie hatte sich unendlich Sorgen gemacht und er kam in diesem Zustand zurück.
»Das is für disch«, sagte er Roger zugewandt und hob den linken Arm. »Und das für Mortimer.«
Der Totengräber hob den rechten Arm und blinkte zwischen den beiden Tüten hin und her. »Oder anderschrum?«
Roger nahm ihm kommentarlos die Tüten ab und sammelte den Schlüssel vom Boden auf. Der Igor war angespannt und sah misstrauisch in das schwach beleuchtete Treppenhaus, bevor er die Tür zuzog und sorgfältig absperrte.
»Was ist passiert?«, fragte Roger die Frage die ihr die ganze Zeit durch den Kopf ging und sein fehlendes Lispeln hatte wieder etwas Bedrohliches an sich.
»Hab jemand kennen gelernt«, sagte der Totengräber und sah sich gleich verschwörerisch um. »Aber pscht! Is'n Geheimnis.«
»Wen hast du kennen gelernt?«, fragte Magane und runzelte die Stirn.
»Pscht!«
Der Totengräber legte einen Finger auf die Lippen und schüttelte leicht den Kopf. Er verlor dabei das Gleichgewicht und landete mit dem Hintern voran auf den Boden. Der Igor hatte die Tüten auf ein Regal abgelegt und stand nun mit verschränkten Armen vor Hendrik. Sein Gesichtsausdruck gefiel der Wächterin ganz und gar nicht. Roger packte den jungen Mann energisch und zerrte ihn wieder auf die Beine um ihn abzutasten. Zum Vorschein kam etwas Kleingeld, ein benutztes Taschentuch, ein kleines Klappmesser und eine Serviette mit dem Emblem des Curry Gartens.

Er richtete sich kerzengerade auf, als das kalte Wasser ihn traf, doch der stechende Schmerz in seinem Kopf lies ihn sofort wieder zurück sinken. Sein Kopf landete glücklicherweise auf etwas Weichem, doch der Rest von ihm lag anscheinend auf dem nackten Boden.
»Feit auffuftehen«, sagte die ihm bekannte Stimme des Igors und ein weiterer Schwall Wasser traf den Totengräber. Hendrik richtete sich ein weiteres Mal auf und hielt sich den schmerzenden Kopf. Er wagte es zu blinzeln und erkannte das Dachgeschoss von Roger wieder. Der Igor packte ihn am Kragen und zerrte ihn nach oben, was dazu führte dass es ihm schlecht wurde. Er stöhnte hilflos auf und der Igor hatte Erbarmen und ließ ihn los. Der Totengräber sank dankbar zurück auf alle Viere und atmete tief durch.
»Da hat sich jemand einen ordentlichen Kater geholt«, sagte jemand und er blickte nach oben zu Magane, die in der Hängematte saß. Sie sah alles andere als erfreut aus.
Der letzte Kater an den er sich erinnern konnte war vor ein paar Jahren gewesen, als er die Volljährigkeit seines Bruders feierte und er hatte sich geschworen nie wieder so viel zu trinken. Nur langsam konnte er wieder klar denken und ihm dämmerte welchen Mist er gebaut hatte. Hendrik kam so schnell er konnte auf die Beine und sah sich hektisch um. Das Tageslicht schmerzte in den Augen und er wandte sich von den Fenstern ab.
»Wir werden beobachtet«, brachte er mühsam hervor und spürte darauf hin den kräftigen Griff des Igors der ihn gegen den Balken hinter ihm presste.
»Waf foll daf heifen?«, fragte Roger aufgebracht und drückte noch fester zu.
»Das hilft jetzt auch nicht weiter. Wir haben wichtigeres zu tun.«, sagte Magane ruhig und der Griff löste sich widerwillig.
»Was ist gestern passiert?«, fragte ihn die Wächterin, während der Igor wieder seine Arbeit aufnahm.
Was sollte er den beiden nur sagen. Er wusste selbst kaum was passiert war und das ganze wirkte so unwirklich wie ein Klicker. Er konnte ja selbst kaum glauben in was er da rein geraten war und verstand es immer noch nicht. Rach Flanellfuß hatte ihm keinerlei Informationen preis gegeben. Bis auf den Namen und selbst darauf konnte er sich nicht verlassen.
»Jemand hat mich verfolgt und ich...ich hab es geschafft denjenigen zu konfrontieren. Also naja...« Er brach ab und rieb sich unwillkürlich das Handgelenk, als er daran dachte wie schnell der Mann ihn zu Fall gebracht hatte. Roger brummelte vor sich hin und irgendetwas knackte laut, dass der Totengräber nicht einordnen konnte.
»Und weiter?«, fragte Magane und er versuchte sich an die Geschehnisse zu erinnern, doch es fiel ihm immer schwerer sich darauf zu konzentrieren.
»Ich...der Kerl hat mich zum Essen eingeladen und er wusste einfach alles«, presste Hendrik hervor und lehnte den Kopf gegen den Balken hinter sich.
»Ihr wart nicht zufällig im Curry Garten?«
Er sah überrascht auf und erblickte die Serviette, die ihm Magane vor die Nase hielt. Hendrik nickte stumm und eine weitere Welle der Übelkeit plagte ihn.
»Hat der Mann einen Namen?«
Hendrik wollte antworten und hielt inne als ihm aufging, dass dies ein Fehler sein könnte. Die unterschwellige Bedrohung die von Herrn Flanellfuß ausging spürte er noch immer und die Worte Wir sind uns nie begegnet tauchten in seinem Sinn auf.
»Waf wollte er«, mischte sich der Igor ein und trat wieder näher auf ihn zu.
Der Totengräber wollte instinktiv zurückweichen, doch er lehnte noch immer an dem Balken. Er atmete tief ein und kratzte seinen Mut zusammen bevor er antwortete.
»Nichts...«
Roger ragte mit einem mal bedrohlich vor ihm auf und er fühlte sich klein. Der Igor sah ihm grimmig in die Augen. Hendrik konnte dem nicht stand halten und schloss die Lider bis Roger diese aufzog und ihn intensiv beobachtete. Er lies sich die Untersuchung gefallen, die dazu über ging, dass der Igor seinen Mund öffnete und die Nase rümpfte.
»Dir wurde waf unter daf Effen oder Trinken gemift«, sagte der Igor schroff und Hendrik wäre am liebsten im Boden versunken.
Der Totengräber sah bedrückt auf und die Wächterin sah ihn nachdenklich an.
»Hast du denn nichts gemerkt?«, fragte sie ihn und er schüttelte den Kopf.
»Ich war zu verblüfft von seinem Auftreten. Er weiß von euch beiden und auch von Rogi und hat sogar gefragt, wann sie wiederbelebt wird...«
»Waf?«, schrie der Igor entsetzt.
»Na dann wusste er ja doch nicht alles, wenn er danach gefragt hat«, versuchte die Wächterin die Situation wieder aufzulockern, klang dabei allerdings verunsichert.
»Glaubft du wir werden in diefen Moment beobachtet?«
Der Igor knurrte fast schon bei seinen Worten und Hendrik atmete nochmals tief durch. Im Normalfall konnte er sich auf seine Instinkte verlassen, doch der letzte Abend hatte ihm ganz schön zugesetzt und auch der Igor wirkte in diesem Moment so bedrohlich auf ihn, dass er sich nicht auf sein Gespür verlassen konnte.
»Ich fürchte schon«, antwortete er wahrheitsgemäß und Roger sah aus dem Fenster.
»Kannft du überhaupt etwaf dafu fagen?«
»Du hast ein ziemliches Geheimnis daraus gemacht als du wieder gekommen bist.«
Er sah die beiden nur irritiert an und konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern wie er überhaupt hierher zurückgekommen war. Er wusste ja nicht mal wie lange er geschlafen hatte und umso stärker er versuchte den letzten Abend zu rekonstruieren umso größer wurden die Kopfschmerzen. Er presste sich die Handfläche an die Stirn und schloss kurz die Augen. So viel konnte er doch gar nicht getrunken haben, das seinen Zustand erklärte. Es beunruhigte Hendrik allerdings mehr, wenn Roger recht haben sollte. Was nur hatte Rach ihm untergejubelt?
»Fwecklof«, sagte Roger noch immer geladen und wandte sich von ihm ab.
Der Totengräber entspannte sich etwas, als er nicht mehr verhört wurde, doch als der Igor den Raum verlassen wollte krampfte sich sein Magen zusammen.
»Halt, wo willst du hin?«
Roger drehte sich überrascht um und auch Magane sah ihn verblüfft an, die gerade Richtung Ofen ging.
»Ef wird höchfte Feit, die Organe einfufetfen«, sagte der Igor nur und ging weiter.
Der Totengräber stieß sich von dem Holzbalken ab und hastete hinterher. Er wusste nicht genau warum, doch er war sich sicher, dass der Igor keine Alleingänge machen sollte.
»Waf foll daf?«
Hendrik schnappte nach Luft und hatte Mühe mit Roger mitzuhalten ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
»Ich bin mir nicht sicher...«, setzte er an und wunderte sich selbst über seine Reaktion, doch wenn er sich nicht auf sein Gedächtnis verlassen konnte, dann auf seine Instinkte und diese schrien nach Aufmerksamkeit. Er war sich sicher, dass Rach Flanellfuß die unbeantworteten Fragen durch Roger klären wollen würde.
»Dann mach dich wenigftenf nütflich«, brummte der Igor und humpelte die Treppen hinunter.
Im Keller angekommen, fühlte der Totengräber sich noch unwohler und verlangsamte seine Schritte. Er sah sich kritisch um und starrte lange in den dunklen Bereich unter dem Treppenaufgang in den ersten Stock. Kein Geräusch war zu hören und doch hatte er das Gefühl, dass eine Bedrohung von dieser Dunkelheit ausging, die er nicht richtig zu fassen bekam. Seine Instinkte schrien allerdings um Aufmerksamkeit und er blieb endgültig stehen. Seine Hand klammerte sich verkrampft um das Treppengeländer und er schaute kurz dem Igor hinterher, der in sein Kellerabteil verschwand. Aus den Augenwinkeln nahm er sogleich ein kurzes Aufblitzen war kurz gefolgt von einem leisen Seufzer und etwas stach ihn gleich einer lästigen Mücke in den Hals. Hendrik griff sich sofort in den Nacken und zog voller Verwunderung an den Daunen die er spürte.
Er betrachte den Betäubungspfeil nur kurz bis sich sein Blickfeld zu Verdunkeln schien und das letzte was er sah, bevor er wie ein Baum fiel, war Rach Flanellfuß, der ihm mit einer behandschuhten Hand die gefiederte Nadel aus den Fingern nahm.

Der Igor nahm den Sack mit Rogis Organen vom Haken an der Decke und wandte sich wieder der Tür zu. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass der Totengräber im Eingang stehen würde, doch stattdessen fiel die Tür mit einem Knall ins Schloss und es klickte zweimal, als abgeschlossen wurde. Roger blieb verdutzt stehen.
»Hendrik?«, fragte er und trat näher an die Tür heran.
»Verzeihung, aber Herr Lemm schläft seinen Rausch aus«, sagte eine unbekannte Stimme laut genug, dass er es durch die dicke Tür wahrnehmen konnte.
Er schwieg und wartete darauf was der Fremde noch zu sagen hatte, doch innerlich brodelte er und er hängte die Organe zur Sicherheit wieder auf.
»Ich möchte deine Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen, Herr Igoratius, allerdings konnte Herr Lemm mir nicht alle meine Fragen beantworten.«
Roger schnaubte und ließ seine Knöchel knacken. Seine eigene Tür einzutreten war kaum eine Option. Die schwere Eisentür würde selbst ihm nicht nachgeben.
»Laf mich hier raus«, schrie er der Tür entgegen und fluchte ausgiebig. »Ich habe keine Feit fu verlieren!«
»Dann ist es heute Nacht soweit?«
Roger hielt den Atem an um sich wieder zu beruhigen. Wer auch immer das war, er nutzte jeden Fehler aus und er konnte es dem Totengräber nicht mehr verübeln, dass er einem Profi auf den Leim gegangen war.
»Ich interpretiere dein Schweigen mal als ein Ja, doch was hat Ayami Vetinari damit zu tun?«
Der Igor spannte sich an und dachte nach. Wenn es hier die ganze Zeit um Ayami ging, gab es nicht viele Möglichkeiten was die Person auf der anderen Seite betraf.
»Für wen arbeiteft du, Herr?«
»Ich bitte dich, Herr Igoratius, du bist hier in der Zeitnot nicht ich und ich nehme an es wird langsam etwas kalt, also beantworte mir meine Frage.«
Roger seufzte laut. Der Fremde hatte recht. Zwar konnte er die Kälte gut ertragen, doch er war eindeutig nicht für einen längeren Aufenthalt in seinem Keller gerüstet. Selbst ein Winter in Überwald konnte nicht die Minus-Temperaturen überbieten, die das Eis des Zukunftsschweinelager erreichte.
»Fie forgt für daf nötige Gewitter.«
Eine lange Pause entstand bevor ein verblüfftes »Wieso?« auf der anderen Seite der Tür ertönte. Roger musste grinsen und verspürte eine gewisse Genugtuung, dass der Fremde in diesem Fall nicht alles wusste.
»Fie war Rogis Herrin, doch warum fie mir hilft, ift mir ebenfallf ein Rätfel, Herr«, sagte er so ruhig er konnte und lauschte angespannt.
»Vielen Dank, Herr Igoratius. Ich verabschiede mich.«
Der Igor rüttelte an der Klinke, als sich Schritte entfernten und schlug auf die Tür ein. Es entstand eine kleine Delle und seine Fingerknöchel schmerzten.
»Mach auf!«
Schließlich wurde der Schlüssel schnell herum gedreht und Roger stürmte auf die Gestalt zu, die ihm geöffnet hatte.
»Roger, halt ich bin es!«
Der Igor sah auf und bemerkte, dass er Hendrik am Kragen gepackt hatte. Er ließ ihn sofort los und der Totengräber schnappte nach Luft.
»Tut mir leid, er hat mich...überrumpelt«
»War daf der felbe Mann von geftern?«, unterbrach er den Totengräber und bekam ein Nicken zur Antwort.
Er schnaubte abfällig und Hendrik zuckte zusammen, als er ihn am Arm packte und wieder aufrichtete um ihn in die Augen zu sehen.
»Wenn du feinen Namen kennft, dann fag ihn mir!«
Wenn Ayami nichts davon wissen sollte, war es von Vorteil ein paar Informationen in der Hand zu haben, falls es nötig sein sollte. Der junge Mann sah ihn hilflos an und schloss die Augen als er antwortete: »Er heißt Rach Flanellfuß.«

Es war so weit. Die Frist die sie dem Igor gesetzt hatte neigte sich dem Ende entgegen und sie ließ ihre Kutsche vorbereiten. Philipp ließ es sich dabei nicht nehmen dem Hotelpersonal auf die Finger zu schauen und so war sie allein in der Suite. Ayami Vetinari beobachtete das Treiben auf der Straße und ihre Haltung spannte sich mit jeder Minute an. In dieser Nacht durfte nichts schief gehen. Sie hatte nicht vor sich umsonst zu verausgaben. Die Igorina war zwar nicht mehr unter ihrem direkten Einfluss, allerdings für die Familie umso wichtiger und somit auch für sie. Wenn sie noch immer die Vorzüge von Kräuterblut genießen wollte, musste die Wiederbelebung glücken. Ihr Tod würde nicht auf Dauer verborgen bleiben und die werte Verwandtschaft der Igorina würde sicherlich wieder die Schuld bei ihr suchen. Es war so schon schwer genug, doch seit Bela de Elstyr sich mal wieder ein Jahrzehnt unter den Lebenden gönnte, wurden die Lieferungen immer knapper. Sie suchte keinen Streit mit dem alten Vampir, doch er beanspruchte seinen Igor zu ihrem Bedauern mehr als ihr lieb war. Bald würden ihre Vorräte sich dem Ende zuneigen.
Philipp näherte sich dem Zimmer. Sein Herzschlag war für sie unverkennbar und sie ging ihm entgegen.
»Die Kutsche steht bereit, Majestät«, sagte er mit gesenkten Haupt und schloss die Tür hinter sich.
»Eine Sache noch bevor wir gehen, Philipp.« Sie trat näher an ihn heran, ehe sie weiter sprach. »Sobald wir wieder hier sind musst du mir fern bleiben.«
Er sah sie erschrocken an und wollte etwas sagen, doch sie legte ihm den Finger auf die Lippen.
»Versprich es mir!«, sagte sie eindringlich und legte ihre Hände auf seinen Schultern ab.
Er nickte ihr verstehend zu und sie war erleichtert ihm nichts erklären zu müssen.
»Versprochen, Hoheit.«

Magane hatte sich die Geschichte zweimal berichten lassen. Der Igor war in seiner Wut kaum zu verstehen gewesen und er hatte sich nur unter Protest die Hand verbinden lassen, also ging sie mit Hendrik und Mortimer spazieren und ließ sich von ihm alles noch einmal erzählen. Die Wächterin beschloss einen kurzen Schlenker über den Pseudopolisplatz zu machen, doch im Archiv konnte sie nichts über diesen Flanellfuß herausfinden. Sie sendete eine Anfrage an die DOG, mit der Bitte dort das Register durchsuchen zu dürfen und kehrte wieder zurück zu Rogers Labor. Sie wollte den Igor in dieser Phase nicht unnötig lang allein lassen und auch der Totengräber war erleichtert, als sie wieder zurück waren. Die Gerichtsmedizinerin half dem Igor so gut sie konnte oder zumindest soviel er sie machen ließ und so kümmerte sie sich die meiste Zeit um Hendriks Beschwerden. Seinen Kopfschmerzen konnte sie zumindest Abhilfe schaffen, doch sie konnte ihn nicht dazu überreden etwas zu schlafen. Er starrte die ganze Zeit aus den Fenstern und hielt vermutlich nach dem fremden Mann Ausschau.
»Kann ich noch etwas tun?«, fragte sie Roger, der gerade dabei war die Metallplatte mit dem Schädel der Igorina zu verschrauben.
Er schüttelte langsam den Kopf und konzentrierte sich voll und ganz auf seine Aufgabe.
Der Anblick war immer noch befremdlich, doch der Igor hatte Hendriks Gemüt zuliebe den Rest von Rogi mit einem Laken abgedeckt. Ihre Kleidung oder viel mehr ihre Uniform lag fein säuberlich zusammen gefaltet in einem Regal.
Wie würde die Igorina wohl reagieren, wenn sie erfuhr, dass Ophelia all ihren Besitz hortete?
Roger hielt abrupt inne und sah zu ihr auf.
»Fie ift da!«, sagte er und drückte ihr den Schraubenzieher in die Hand, bevor er vor ihren Augen verschwand.
Der Totengräber wirbelte um seine Achse, als Roger gesprochen hatte und ließ zischend die Luft aus seinen Lungen entweichen.
»Sollen wir unten nachsehen?«
»Nein das hilft ihm nicht weiter«, sagte sie und nahm die Arbeit des Igors wieder auf, während Hendrik ein Fenster öffnete und auf das Dach kletterte.

Am Ziel angekommen sprang er vom Kutschbock und öffnete ihrer Majestät die Tür. Philipp reichte ihr die Hand und seine Finger kribbelten als sie zugriff. Er machte einen Diener, als sie auf die Straße trat und ließ den Blick solange von ihr abgewandt, bis sie sich von ihm entfernte. Der Kutscher verriegelte schnell die Tür und folgte der Vampirin in die Blutgasse. Vor einem Eingang blieb sie stehen und er hielt respektvoll Abstand, als sie an der Fassade empor blickte. Er folgte ihrem Blick, als ihre Stimme unvermittelt die Stille in der Gasse durchbrach.
»Igor!«
Er erwartete, dass die bucklige Gestalt des Igors jeden Moment auftauchen würde, doch es passierte nichts. Hatte der Igor sich der Vereinbarung mit ihrer Majestät entzogen?
»Ihr wünft, Hoheit?«, fragte der Igor plötzlich neben ihm und der Kutscher zuckte zusammen.
Ayami wandte sich elegant dem Igor zu und er meinte sie streifte kurz seinem Blick. Philipp errötete und wandte schnell seine Augen von ihr ab.
»Bist du soweit, Igor?«
Ihre Worte klangen ruhig und bedacht, dennoch hatte er den Eindruck, dass sie jeden Moment auf den Igor losgehen könnte, wenn dieser nicht die richtige Antwort parat hatte. Sein Kopf wackelte kurz merkwürdig hin und her, bevor er nickte. Philipp spannte sich etwas an, als er auf Ayamis Reaktion schaute. Sie hob eine Braue.
»Nur noch Kleinigkeiten, Hoheit!«, sagte der Igor schnell um sein zögerliches Nicken zu erklären. »Ef kann lof gehen.«
Der Kutscher bedachte die Vampirin mit einem kurzen Blick und er beobachtete, wie sich ihre Haltung anspannte. Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich, als sie die Zähne zusammen biss und er hatte das Gefühl, dass es kälter wurde.
»Gut«, sagte sie und die Härte ihre Stimme ließ ihn frösteln. »Wenn ich wieder komme, rate ich dir, dass die Igorina am Leben ist.«
Wind zog auf und zerrte an seinem Mantel. Er griff schnell zu seinem Hut, der ihm drohte davon zu fliegen und sah verunsichert zu den Pferden.
»Haben wir uns verstanden, Igor?«, fragte sie und er konnte nicht anders, als gebannt die Reaktion des Igors zu beobachten, doch er nickte nur und ging auf den Eingang zu.
»Achja, falls du deine unerwünschten Besucher los werden möchtest, sind sie gerne bei mir im Hotel eingeladen.«
Ayamis Worte waren alles andere als freundlich, dennoch versetzte es ihm einen kleinen Stich, als er daran dachte, dass er ihr fern bleiben musste. Er konnte es einfach nicht glauben, dass es eventuell nötig sein würde, sich vor ihr zu schützen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als der Igor sie erschrocken anstarrte und ihre Majestät wandte sich zum Gehen. Philipp drückte sich den Hut fester auf den Kopf und eilte schnell voran. Als sie die Kutsche betrat zuckte der erste Blitz vom Himmel und er starrte kurz zur heranziehenden Wolkendecke empor. Donner grollte, als er auf den Kutschbock stieg und die Pferde scharrten mit den Hufen. Er ließ die Zügel knallen und die Pferde schnaubten. Die Kutsche zog an und brachte ihn – so hoffte er – wieder in sicheres Terrain.

Der Igor sprintete die Treppen nach oben und sowohl Magane als auch Hendrik sahen ihn erwartungsvoll an, als der erste Donner ertönte.
»Ef geht lof!«, sagte er und hastete ohne zu bremsen weiter zu Rogi und drängte die Wächterin beiseite.
Sie hatte die Schrauben zu seiner Zufriedenheit und Überraschung angezogen. Die nächsten Blitze erhellten kurz das Zimmer und er legte die Wundränder sorgfältig aneinander, bevor er sie grob vernähte. Das würde Rogi gar nicht gefallen, doch für Feinarbeit hatte er jetzt keine Zeit.
»Ich hab den Mast schon aufgestellt«, sagte Hendrik schüchtern und er sah erstaunt auf. »Und der Drache liegt bereit.«
Der Igor war sprachlos. Der Junge dachte tatsächlich mit und er nickte ihm anerkennend zu. Kritisch bedachte er die Stirn der Igorina und öffnete die angefangene grobe Naht wieder. Blitz und Donner kamen inzwischen in kürzeren Abständen hintereinander.
»Und das ist wirklich Ayamis Werk?«, fragte Magane erstaunt und er musste lachen.
»Daf ift nur die Aufwärmphase. Gleich wird ef richtig feppern.«
»Und wo ist sie?«, fragte nun der Totengräber verunsichert.
»Hoffentlich weit genug weg von unf«, sagte er nur und dachte an Ayamis Einladung.
Blitz und Donner kamen fast im Gleichklang und das Haus erzitterte. Er sah wie die beiden Menschen zusammen zuckten und sah nach oben zu der offenen Dachkonstruktion. Die Anlage musste sich aufladen und er legte Nadel und Faden beiseite. Der Igor schlüpfte schnell durch das noch offene Fenster und wäre beinahe vom Dach gefegt worden, so stark zerrte der Wind an ihm.
»Was hast du vor?«, schrie Hendrik ihm hinterher.
»Ich laffe einen Drachen fteigen«, antworte er, doch der Windstoß trug seine Worte davon und er krabbelte auf allen Vieren nach oben. Bei der Antenne angekommen sah er zum Himmel und beobachtete kurz die heranziehenden Wolken. Ein Blitz zuckte auf einmal in der Ferne und eine nicht geahnte Sehnsucht regte sich in ihm.

Das Gewitter, war gerade erst dabei seine volle Kraft zu entfalten, als sie das Hotel erreichten und ihr wurde mehr als deutlich, wie stark es ihr schon zusetzte. Es war ein erheblicher Unterschied ein paar Wolken vor die Sonne zu schieben oder eben ein Gewitter aufrecht zu erhalten. Ayami nahm dankbar Philipps Hand und er geleitete sie wortlos zu ihrem Apartment, während sie sich darauf konzentrierte den Sturm im Zentrum des Geschehens zu halten. Jeder weiterer Blitz der vom Himmel zuckte ließ ihren Körper erzittern und als der erste darauf folgende Donnerschlag ertönte ging sie in die Knie. Der Kutscher reagierte schnell und nahm sie in seine Arme. Er trug sie in das Schlafgemach und legte sie auf dem Bett ab.
»Ihr müsst das nicht tun, Hoheit«, sagte er sanft und seine Sorge um sie war rührend, allerdings kannte er ihre Beweggründe nicht. Sie musste es tun, dafür hatte sie genug Gründe. Racul sollte mit seinen Anschuldigungen nicht so einfach davon kommen.
»Geh!«, antworte sie ihm. »Sofort!«
Er sollte nicht mit ansehen, was gleich passieren würde, wenn ihre Kraft weiter schwand. Sie hatte ihm gegenüber schon zu viel Schwäche gezeigt – mehr als ihr Stolz verkraftete. Philipp verließ widerwillig, den Raum und sie erhob sich langsam um hinter ihm abzuschließen. Sie ignorierte seinen leisen Protest auf der anderen Seite und lauschte stattdessen kurz seinem angenehm ruhigen Herzschlag. Ayami Vetinari wandte sich dem Panoramafenster zu und sah der Gewitterfront entgegen, die sich immer weiter auftürmte. Sie berührte die Glasfläche um sich abzustützen und sah dabei wie ihre Hände immer weiter skelettierten. In diesem Moment war sie unendlich erleichtert, dass sich ihr Antlitz nicht in der Scheibe spiegelte. Sie wusste nur zu gut, dass sie durch diese Anstrengung ihren Körper dem Verfall preisgab und es schnürte ihr die Kehle zu. Obwohl sie schon lange nicht mehr atmen musste, schien es als würde der Körper umso mehr nach menschlichen Bedürfnissen verlangen, desto schwächer er wurde. Sie lehnte ihre Stirn gegen das kühle Glas und schloss die Augen. Das Feuerwerk an Blitzen und Donner folgte dicht aufeinander und das Licht brannte selbst hinter verschlossenen Lidern. Sogar in Überwald gab es selten ein solches Gewitter. Ein Sekundenbruchteil herrschte Stille, bevor der Regen losbrach. Die Tropfen trommelten gegen die Fensterscheibe und Ayami blinzelte kurz. Das Unwetter hatte sich ohne ihr Zutun weiter ausgebreitet, doch im Zentrum wütete es noch am stärksten. Sie sank erschöpft auf das Bett und breitete ihre Arme aus.
Das musste reichen.

Der Totengräber beobachtete angespannt den Igor bei den letzten Vorbereitungen und rieb sich kurz über den Nacken, als Roger die letzten beiden Anschlüssen in den Hals der Igorina steckte. Inzwischen ragten unzählige der hauchdünnen Nadeln aus ihrem Körper und viele waren mit den dünnen Schläuchen verbunden, doch manche stecken einfach so in der Haut, als wäre Rogi ein überdimensionales Nadelkissen. Das ganze hatte ihn schon immer fasziniert, allerdings hätte er nie gedacht einmal hautnah miterleben zu dürfen, wie ein Igor ins Leben gerufen wurde. Das Gewitter war inzwischen an einem Punkt angekommen, in dem es mehr Licht spendete als die normale Beleuchtung, und das Haus erbebte. Der Totengräber presste sich die Hände auf die Ohren und beobachtete wie Roger mehrere Lederriemen um die Holzplattform samt Igorina schnallte. Manch einer sah aus als käme er aus einem Bekleidungsgeschäft für Trolle. Die Wächterin half tatkräftig mit und Hendrik schämte sich für sein feiges Benehmen, doch er wagte es nicht bei der Naturgewalt auch nur einen Schritt auf die Plattform zu zugehen. Der Igor trat an die Kurbel und Rogi schaukelte dem offenen Dach entgegen. Einen Augenblick grollte der Himmel über ihnen und er hörte sein eigenes Herz schlagen.

Er griff angespannt nach dem alles entscheidenden Hebel und umschloss ihn so fest, dass seine verletzte Hand schmerzte. Der Igor sah kurz hoch zu der leicht schwingenden Plattform und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Jetzt würde sich zeigen, was wirklich in diesem Gewitter steckte und ob ihm keine Fehler unterlaufen waren. Er atmete tief durch und fühlte die Blicke seiner Mitstreiter auf sich ruhen. Vieles wäre vermutlich anders verlaufen, wenn er nicht die Hilfe der beiden Menschen gehabt hätte, doch sie jetzt dabei zu haben bereitete ihm Unbehagen. Er wusste ja nicht einmal wie Rogi auf ihn reagieren würde. Natürlich hoffte er, dass sie wieder vollständig und ohne bleibende Schäden wiederbelebt werden konnte. Allerdings hoffte er auch nach allem was passiert war, dass seine Igorina sich nicht an ihren Tod erinnern würde. Amnesie war zumindest nicht selten bei Wiederbelebungen und umso länger das Gehirn auf Eis lag, desto höher war der Gedächtnisverlust.
»Alles in Ordnung, Roger?«, fragte ihn Magane auf einmal und er nickte nur.
Der Sturm war genau über ihnen, denn für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille, bis auf das leise Winseln des Hundes.
»Zieh den Hebel, Mann«, rief Hendrik voller Ungeduld.
Die ganze Zeit hielt er den Griff umklammert und seine Hand pulsierte inzwischen. Roger schaute ein weiteres Mal nach oben und sah gleich mehrere Blitze vom Himmel zucken. Der Donner überschlug sich, als er den Hebel zog und die Ladung durch die Leitungen jagen konnte. Die Luft knisterte und der typische Geruch der Elektrizität erfüllte den Raum. Er schaute trotz der grellen Lichtblitze nach oben und sah wie Rogis Körper sich gegen die Lederriemen aufbäumte, doch er wusste genau, dass dies nur die natürliche Reaktion der Muskeln war, die er unter Strom gesetzt hatte.
»Sie lebt!«, schrie Hendrik fast einem verrückten Wissenschaftler gleich und Roger fühlte sich für einen kurzen Moment etwas besser.
Ein einzelner Regentropfen landete auf seiner Stirn und Roger brachte den Hebel wieder in seine ursprüngliche Position, als der Himmel seine Schleusen öffnete.

Es roch nach verbrannten Haaren und sie schmeckte Gummi der Firma Keinesorge. Regen prasselte auf ihre nackte Haut. Die Liege auf der sie festgeschnallt war schwankte leicht und sie hörte das Rasseln von Ketten. Erst als das Rattern der Kurbel aufhörte, wagte sie es, die Augen zu öffnen. Sie sah kurz den Nachthimmel über sich, bevor die Luke sich komplett verschloss und den Regen wieder aussperrte. Igor trat in ihr Blickfeld und lächelte, als er sie von dem Mundstück befreite. Er fragte sie etwas, doch sie verstand kein Wort. Die Sprache klang vertraut und dennoch fremd in ihren Ohren.
»Mach mich los!«, sagte sie nur und sein Lächeln verflog.
Schnell fast schon erschrocken löste er die Schnallen. Als ihre Arme frei waren begann sie damit sich selbst von den restlichen Anschlüssen zu befreien, die sie wieder ins Leben zurück gerufen hatten.
»Warte bitte!«, flehte er und hinderte sie daran sich aufzurichten.
Er zog weitere Nadeln aus ihrem noch tauben Körper und erst nach der Letzten half er ihr auf. Die Liege kam wieder mehr ins Schwanken und er legte ihr ein Laken um die Schultern. Sie setzte sich an den Rand und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Sie hatte das schon mal erlebt. Schon mal durchgemacht als sie noch klein war. Als ihre Eltern gestorben waren. Man sagt wenn man stirbt zieht das ganze Leben an einem vorbei. Bei einem Igor der wieder zurück geholt wurde, traf das genauso zu. So viele Erinnerungen, die sie versuchte zu verdrängen. Eine ganz besonders und sie sah den Igor verzweifelt an.
»Wiefo?«
»Ich..«, er stockte als sich zwei weitere Stimmen einmischten und sie sah sich hektisch um.
Die Menschen verstummten, als sie die beiden ansah und mit Entsetzen wieder erkannte.
»Warum sind die hier?«, fragte sie laut und ihr fiel auf, dass sie nicht mal wusste wo sie war, allerdings fiel Überwald mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit weg.
Der Totengräber würde niemals wieder einen Fuß auf sein Heimatland setzten. Die Wächterin redete los, doch die einzigen Worte die sie heraus hörte waren Rogi und Roger.
»Ich verftehe kein Wort«, sagte die Igorina so ruhig sie konnte und ihr ging langsam auf, wem sie die Namen zuordnen musste.
Sie hatte so viele Erinnerungen klar vor Augen, wieso vergaß sie ausgerechnet ihren Namen oder eher gesagt den Namen den sie sich ausgesucht hatte. Rogi massierte sich die Schläfen, als ihr klar wurde, dass sie eine ganze Sprache vergessen hatte.
Roger sagte wieder etwas in der ihr unverständlichen Sprache und die Menschen verließen langsam das Zimmer. Hendrik sah sich noch mal zu ihr um und errötete leicht.
»Schön, dass du wieder da bist!«, sagte der Totengräber in ihrer gemeinsamen Sprache und sie sah ihm verwundert hinterher, bevor er mit Magane endgültig den Raum verließ.
»Rogi...«, sagte er vorsichtig.. »Ich wollte dir nur helfen.«
Langsam ließ sie ihre Hände in den Schoß sinken. Sie war ganz blass und die einzelnen Hautpartien waren kaum zu unterscheiden.
»Ich habe dich nicht darum gebeten, Roger.«
»Aber ich..«, er brach ab und sah sie voller Schmerz an. »Ich dachte...«
Rogi ließ sich langsam von der Kante der Liege herunter gleiten und landete auf ihren nackten Füßen. Kleidung verbrannte nur allzu schnell. Sie sah sich ungeniert um und entdeckte schließlich den Hund, der auf sie zu gestürmt kam.
»Stop, Aus«, rief sie dem Tier entgegen, doch schließlich packte der Igor den Hund am Halsband.
»Ich fürchte, Mortimer verfteht kein Überwaldif.«
Sie seufzte und ihre Knie wurden weich, als sie an den eigentlichen Besitzer des Hundes dachte. Rogi schlang das Laken fester um sich und kraulte den Hund kurz hinter dem Ohr um ihre Tränen vor Roger zu verbergen. Erfolglos.
»Hör fu!«, sagte er plötzlich. »Ich konnte dich nicht einfach fterben laffen!«
»Warum nicht?«, schrie sie ihn an und der Hund klemmte den Schwanz ein. »Weißt du überhaupt, waf passiert ift?«
Er nickte langsam und kam auf sie zu. Sie wich zurück und das Laken glitt von ihren Schultern. Sie ballte die Fäuste. Wenn er es wusste, warum konnte er ihre Entscheidung nicht einfach akzeptieren.
»Und jetft? Was soll ich deiner Meinung nach tun? Daf ganze vergeffen?«
So einfach war das nicht. Sie hätte Michael Machwas retten können, doch sie hatte versagt und es war unverzeihlich. Roger blieb unschlüssig stehen und deutet auf das Regal hinter ihr. Sie drehte ihm den Rücken zu und sah die dort bereitliegende Kleidung für sie. Es waren Hemd und Hose von ihm, allerdings die Stiefel waren von ihrer Uniform, die sie ebenfalls in der Nähe entdeckte. Sie griff nach dem grünen FROG-Hemd und der beißende Geruch von Balsamierflüssigkeit stieg ihr in die Nase.
»Ich fürchte, daf wird dir nicht mehr paffen«, sagte der Igor und sie sah an sich herab.
Er hatte tatsächlich ihre Beine ausgetauscht und dementsprechend die Arme angepasst, doch dabei hatte er es belassen. Die ein oder andere Narbe an ihrem Körper war nicht mehr so wie sie es in Erinnerung hatte, jedoch war ihr Äußeres nebensächlich. Allerdings fragte sie sich wo er die Organe her hatte. Nachdem wie sie ihren Körper mit dem Beruhigungsmittel zerstört hatte, konnte sie kaum glauben, dass es eine Möglichkeit gab, sie zurück zu holen. Sie schwiegen sich an während die Igorina sich die schwarzen Klamotten anzog.
»Liebft du mich denn überhaupt noch?«, fragte Roger, als sie sich die Stiefel zuschnürte.
War das seine einzige Sorge? Ihre Gefühle für ihn?
Rogi richtete sich zu ihrer vollen und neu gewonnen Größe auf und sah dem Igor in die Augen. Er war ihr so vertraut und trotzdem konnte sie ihm nicht die gewünschte Antwort geben. Sie trat näher an ihn heran und nahm sein Gesicht in beide Hände.
»Wo warft du, als ich dich gebraucht habe.«
»Ef tut mir fo Leid!«, sagte er und schloss die Augen. »Ich konnte einfach nicht weiter mit anfehen, wie du dich felbft ferftört haft.«
Sie atmete tief durch und sah sich um. Die Igorina wollte auf andere Gedanken kommen. Sie kannte diesen Ort nicht, doch soweit sie das beurteilen konnte, stand dieses Labor keinem das sie aus Überwald kannte nach. Erstaunt hob sie die Brauen und betrachte die Apparate und berührte alles ungläubig.
»Ich wollte ef dir eigentlich unter anderen Umftänden feigen«, meldete sich der Igor zaghaft zu Wort.
»Wo find wir?«
»In meinem Labor«, antwortete er nicht ohne Stolz.
»Dein Labor?«, fragte sie ungläubig. »Wie ift daf möglich?«
»Ich habe viel dafür getan, doch die Feit die ich hier inveftiert habe, hätte ich lieber dir widmen follen.«
Sie sagte nichts darauf sondern sah sich weiter um und etwas ließ ihr keine Ruhe mehr. Draußen tobte noch das Gewitter, das sie zurück geholt hatte und war nicht ganz unschuldig an ihrem Unbehagen.
»Wir sind noch in Ankh-Morpork, oder?«, fragte sie und Roger nickte. »Das ift nicht möglich...«
Wie hatte er das geschafft? Ankh-Morpork war nicht berühmt für seine Gewitter. Hier herrschte einfach nur schlechtes Wetter aber nicht schlechtes Wetter. Wenn sich ein Neureicher einen Igor zulegte, kam dieser immer noch aus Überwald.
»Ich hatte Hilfe«, sagte der Igor, als er ahnte was ihr durch den Kopf ging und sie sah ihn eindringlich an. »Von Ayami Vetinari.«
Sie machte einen Schritt rückwärts und stieß gegen das Regal. Die Igorina hielt sich verkrampft an der Kante fest.
»Ayami?«, fragte sie ungläubig und Roger schien kleiner zu werden. »Muss ich sonst noch etwas wissen?«

Die Wächterin lehnte an der Wand und legte den Kopf so weit wie möglich in den Nacken, während Hendrik immer noch versuchte die beiden Igors zu belauschen. Magane schloss die Augen und konnte immer noch nicht glauben, wovon sie Zeuge geworden war. Rogi war zurück! Allerdings beunruhigte sie die Tatsache, dass die Igorina kein Morporkisch mehr verstand. Was wenn sich noch mehr geändert hatte?
»Oh-oh«, sagte Hendrik leise und zuckte etwas zurück und auch sie bemerkte trotz des Sturms der über ihnen toste, dass es drinnen lauter geworden war.
»Was ist los?«
Die Gerichtsmedizinerin stieß sich von der Wand ab und der Totengräber richtete sich auf.
»Die beiden streiten, das hört sich gar nicht gut an.«
»Worum geht es?«
»So um ziemlich alles, aber vor allem um diese Blutsaugerin«, antwortete er und trat schnell einen Schritt zurück, als die Tür aufgerissen wurde.
Rogi sah sie beide grimmig an und sagte etwas, das sie nicht verstand. Es hörte sich nicht freundlich an, allerdings war Überwaldisch auch keine freundliche Sprache. Die Igorina rauschte an ihnen vorbei und kurz darauf folgte Roger und polterte ihr hinter her, die Treppe nach unten. Der Igor rief etwas und klang sehr verzweifelt.
»Das ist nicht gut«, sagte der Totengräber und starrte den Beiden entsetzt hinterher.
»Was ist jetzt?«, fragte Magane und war schon dabei den Igors zu folgen.
»Sie will zu der Vetinari!«
Ja, das war wirklich nicht ihr Lieblingsziel im Moment.
Roger redete auf die Igorina ein, doch von Rogi kam keine Reaktion und Magane nahm an, dass er sie davon abhalten wollte. Sie sah kurz zu Hendrik, der schon dabei war die Tür zu schließen und rannte dem Igor hinter her.
»Tut mir leid, Mortimer, aber du bleibst besser hier«, hörte sie den Totengräber sagen, bevor er ebenfalls die Verfolgung aufnahm.
Das war das reinste Selbstmordkommando. Ayami Vetinari war jetzt mit Sicherheit am Ende ihrer Kräfte und das bedeutete, sie war hungrig. Die Wächterin beschleunigte ihre Schritte um zu dem Igor aufzuschließen, der einen gebührenden Abstand zu Rogi hielt.
»Was hat sie vor?«, flüsterte sie fast schon bis ihr einfiel, dass Rogi sie ebenso wenig verstand wie sie selbst die Igorina und der Regen tat sein übriges.
Ihre Kleidung war schon nach wenigen Sekunden durchnässt und klebte an ihrem Körper.
»Nichtf gutef fürchte ich«, antwortete er und sie sah seine gerötete Wange. Ein Handabdruck zeichnete sich auf ihr ab.
»Wollen wir sie dann nicht aufhalten?«
»Ich glaube derfeit könnten wir auch fu dritt nicht viel aufrichten. Fie ift wortwörtlich geladen und ftinkfauer.«
»Und jetzt?«, fragte Hendrik, der ihr und Roger dicht auf den Fersen war.
»Jetft hoffe ich wenigftenf, daf Flimmfte verhindern fu können.«
»Das ist verrückt!«, sagte die Wächterin lauter als beabsichtigt und schaute kurz zu der Igorina, die sich nicht mal darum bemühte ihre Verfolger los zu werden. »Einen hungrigen Vampir zu besuchen ist ja so als würde man allein in die Schatten gehen.«
»Glaub mir, daf weif fie genaufo gut, wie wir.«

Er strich die Uniform glatt und rückte das Namensschildchen zurecht auf dem in Druckbuchstaben deutlich der Name M. Lemm eingraviert war. Jeden vergoldeten Knopf der Uniform hatte er einzeln poliert und kein einziges Staubkorn war auf seiner Kappe zu finden. Michael liebte seine Arbeit und hatte sich von ganz unten hochgearbeitet. Zugegebenermaßen war Page nicht wirklich das höchste der Gefühle, doch er hatte für diese Woche die Verantwortung für den Aufzug und konnte es gar nicht erwarten, seinem älteren Bruder davon zu erzählen. Henne würde sicher stolz auf ihn sein. Jahre lang hatte er sich abgemüht und jede Drecksarbeit gemacht, die ihm aufgetragen wurde und endlich wurde er belohnt. Die Vorfreude darauf war so groß, dass nichts seine Laune trüben konnte. Selbst nicht die allabendlichen Erscheinungen von Cirone dem zweiten. Das Parkweg Hotel war ein lukrativer, aber auch kein einfacher Arbeitsplatz und Geister gehörten nun mal dazu. Immerhin hatten sie alle Anstand und Benehmen und erschreckten niemanden mit Absicht, doch nach all den Jahren war dem jungen Pagen, der alte König von Ankh-Morpork noch immer unheimlich. Er war für die Nachtschicht eingeteilt und die war im Hotel nicht wirklich beliebt[3]. Das Unwetter tat dazu sein Übriges. Man spürte es zwar kaum in dem Gebäude, doch das Grollen des Donners ließ sich kaum ignorieren. Ein kurzer Schauer lief ihm den Rücken runter und er straffte die Schultern, als ein Fahrgast den Aufzug betrat.
»In welchen Stock darf ich dich bringen, Herr?«, fragte er und versuchte das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.
Der Mann in dem maßgeschneiderten Anzug lächelte ihn kurz an und deutete mit dem Zeigefinger zur Decke.
»Ganz nach oben«, antwortete der Fahrgast und lehnte sich an das Geländer hinter ihm.
»Wie du wünschst, Herr.«
Michael zog das Gitter vorschriftsmäßig an seinen Platz und verriegelte es von innen, bevor er den Hebel betätigte und somit den Golem das Signal gab, die Winde anzutreiben. Der Lift kam mit einem kurzen Ruck in Bewegung und sein Fahrgast verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
»Darf ich fragen, wofür das M steht?«
»Michael«, antworte er verwundert über die Neugier des Mannes und fragte sich, was dieser überhaupt hier machte. Er hatte nicht den Eindruck, dass der Mann hier ein Zimmer hatte und der obere Bereich war sehr luxuriös und somit auch sehr teuer. Vermutlich ein Besucher, allerdings ging ihn das nichts an und Neugier war bei seinem Beruf fehl am Platz.
»Du bist nicht zufällig mit Hendrik Lemm verwandt?«, fragte der Gast aus heiterem Himmel und wippte mit seinen Füßen auf und ab.
»Was?«, stieß er perplex aus, »Woher...«
Michael biss sich auf die Zunge. Natürlich kannte er nicht alle Bekannten und Freunde seines Bruders, aber jemand in einem maßgeschneiderten Anzug gehörte nicht gerade zu dem Umgang eines Totengräbers. Der Lift kam zum Stehen und Michaels Magen krampfte sich zusammen, als der Fremde näher kam.
»Ja, eindeutig der kleine Bruder.«
Der Page streckte den Rücken durch und spannte die Muskeln an. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.
»Henne steckt doch nicht in Schwierigkeiten?«, fragte er und versuchte zurück zu weichen, doch der Hebel drückte sich in die Seite. »Wenn er Schulden bei dir hat, Herr, können wir das sicher klären...«
»Ich fürchte das ist ein Missverständnis. Keine Sorge ich habe ihn kennen gelernt, als er sich um das Grab meines Großvaters gekümmert hat.«
Michael entspannte sich und das Lächeln des Fremden tat sein übriges. Er öffnete erleichtert das Gitter und machte einen kurzen Diener. Wie dumm gleich das schlimmste anzunehmen, allerdings hatte er noch immer den Eindruck, dass etwas nicht stimmte.
»Verzeihung, Herr. Einen angenehmen Aufenthalt.«
Der Mann ging an ihm vorbei und er richtete sich wieder auf um gleich wieder nach unten zu fahren, doch soweit kam er nicht. Er spürte einen kurzen Druck an seiner Schulter, bevor er das Bewusstsein verlor.

Der Totengräber blieb abrupt stehen, als er erkannte welches Hotel das Ziel der Igorina war und beschleunigte seine Schritte schnell wieder um nicht den Anschluss zu verlieren.
»Musstest du ihr ausgerechnet sagen in welchem Hotel sie steckt?«, sagte Magane zu dem Igor, doch sie hatte den Streit der beiden nicht wie er miterlebt. Er selbst hatte den einen oder anderen Fluch gehört, den er vorher selbst nicht gekannt hatte.
»Ich habe fon genug Mift gebaut, erwarte nicht von mir daf ich fie anlüge.«
Das hatte gesessen.
Die Wächterin biss sich auf die Unterlippe und seine Gedanken kreisten wieder um das Problem, das sich gleich anbahnen würde.
»Will sie wirklich den Haupteingang nehmen?«, fragte Hendrik aufgeregt und der Igor zuckte mit den Schultern.
»Die werden uns so nicht rein lassen, Roger«, sagte Magane schließlich. »Und ich kann jetzt keine IA-Anzeige von einem Hotel gebrauchen.«
Die Wächterin war zwar in Zivil, doch ihre Anmerkung war nicht ganz unberechtigt. Alle Vier waren sie nass biss auf die Knochen und von seinem Bruder wusste er, dass das Hotel sehr empfindlich war wenn es um seine Teppiche ging.
»Ich kenne noch einen Eingang«, sagte der Totengräber und biss sich so gleich auf die Zunge.
Er wollte zwar helfen, doch Michael wollte er ganz sicher nicht in die Sache mit rein ziehen.
»War mal Küchenhilfe vor langer Zeit«, sagte er schnell als er den Blick von Magane sah und schämte sich für seine Lüge.
»Dann übernimm die Führung bevor es zu spät ist«, sagte sie und sah daraufhin den Igor an der sein möglichstes tat um die Igorina zu beruhigen.
Der Totengräber machte ein paar große Schritte um nach vorne zu kommen und ihm wurde ganz elend als er an Rogi vorbei ging. Er führte die anderen schnurstracks zum Hintereingang, der genutzt wurde um die Vorräte der Küche aufzustocken. Die Küche war um diese Zeit nicht mehr im Betrieb und er war froh darum, dennoch war er vorsichtig und steckte den Kopf langsam durch die Tür. Die Igorina hatte allerdings keine Geduld und drängte sich an ihm vorbei.
»Einfach gerade durch und dann findet ihr schon den Treppenaufgang«, murmelte er nur und blieb stehen. »Wenn es recht ist warte ich hier...«
Rogi und Roger waren schon weiter gegangen und beachteten ihn vermutlich gar nicht, doch Magane blieb bei ihm stehen.
»Was ist los?«, fragte sie besorgt.
»Nimm es mir nicht übel, aber mir hat die eine Begegnung mit der Blutsaugerin gereicht.«
Sie sah ihn kurz fragend an und er hoffte, dass sie nicht nachhaken würde. Erst als sie sich wieder umdrehte und den Igors folgte atmete Hendrik erleichtert aus. Er musste dringend herausfinden ob sein Bruder heute Dienst hatte und ihn hier raus schaffen.

Rach fing den bewusstlosen Michael ab und schleifte ihn zur Abstellkammer im Flur. Die einzige Tür ohne Zimmernummer war schnell gefunden und das Schloss kaum der Mühe wert die Dietriche auszupacken, dennoch wollte er nicht riskieren, dass der Page ihm in die Quere kam. Es war schon schwer genug gewesen sich einen kleinen Vorsprung zu verschaffen um noch vor der Igorina und ihren Verfolgern das Hotel zu erreichen. Wenigstens mussten sie jetzt die Treppe nehmen und vielleicht ergab sich noch ein kleiner Vorteil aus der Situation. Hendrik wird mit hoher Wahrscheinlichkeit erst seinen Bruder aufsuchen wollen. Das waren vielleicht wertvolle Sekunden die er nutzen konnte um die Geschichte zu einem guten Ende zu führen und da war der Totengräber sicher keine Hilfe, wenn er ihn vor den anderen anklagte. Er sah kurz an sich herab und entkleidete kurzerhand Michael um sich selbst die Pagenuniform anzulegen. Seinen Anzug faltete er ordentlich zusammen und entnahm ihm vorher noch seine Utensilien. Rach Flanellfuß verstaute seine Kleidung in dem Regal, das den meisten Platz in der Kammer beanspruchte. Ein Stöhnen kam von dem jungen Mann und er beugte sich schnell zu ihm hinab.
»Tut mir leid, aber das ist nur zu deinem Besten«, sagte er und schob eine Pastille unter die Zunge von Michael.
Das würde ihn eine Weile schlafen lassen, zumindest lange genug um seinen Auftrag zufrieden stellend abzuschließen. Wenn man es denn einen Auftrag nennen konnte. Nachdem er Lord Vetinari Bericht erstattet hatte, konnte er gerade noch genug Nachforschungen über die Igorina anstellen, bevor das Gewitter aufzog, allerdings war der Patrizier ziemlich deutlich gewesen, dass er dieses Mal keine Leichen durch seine Urahnin wünschte. Der Sturm würde so oder so das ein oder andere Opfer einfordern. Rach fragte sich nur, was Havelock über Ayami Vetinari alles wusste, dass er in der Situation intervenieren sollte, statt wie sonst nur zu beobachten. Andererseits war er durch seinen Fauxpas mit Hendrik schon mehr im Geschehen als üblich. Er seufzte kurz und strich die Ärmel der Uniform glatt, bevor er die Abstellkammer verließ. Die Kleidung saß zwar nicht zu hundert Prozent wie sein Anzug, doch das hatte sie auch nicht bei dem echten Pagen. Rach betrat den Aufzug und vertrieb sich die Zeit mit der Mechanik. Er musste nicht lange warten, da hörte er schon Stimmen aus dem Treppenaufgang neben ihm und der Dunkle Sekretär zählte automatisch die Schritte. Er lächelte zufrieden als er auf drei Personen kam. Hendrik und Michael hatten also genau die enge Beziehung, die er nach dem Gespräch mit dem jüngeren erwartet hatte. Das könnte leichter werden als gedacht. Er trat hinaus auf den Gang kurz bevor die Igorina an ihm vorbei laufen konnte, allerdings machte sie keinerlei Anstalten abzubremsen.
»Aus dem Weg!«, sagte Rogi zu seiner Verwunderung auf überwaldisch.
Er wich aus bevor sie ihn umrannte, stellte ihr dabei jedoch ein Bein und sie stolperte wie gewünscht.
»Dürfte ich erst mal erfahren wo es hingehen soll?«, fragte er betont freundlich und stellte sich ihr wieder in den Weg. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass euch jemand freiwillig rein gelassen hat.«
Rach musterte die drei so abfällig wie möglich und der Igor räusperte sich. Die Igorina beachtete weder ihn noch Roger und versuchte sich an dem Dunklen Sekretär vorbei zu drücken, doch bevor sie ihn berührte griff er ihrem Arm und verdrehte ihn auf ihren Rücken. Allerdings hielt sie dagegen, obwohl dies höllische Schmerzen verursachen musste und sie war kurz davor sich die Schulter auszukugeln um sich zu befreien, wenn er sie weiter im Kreuzfesselgriff hielt. Er ließ schnell los, als der Igor auf ihn zu kam um wieder sicheren Abstand zu gewinnen. Die Wächterin beobachtete das ganze anscheinend mit Sorge, mischte sich jedoch nicht in das Geschehen ein. Rach trat einen weiteren Schritt zurück und hob beschwichtigend die Hände. Mit zwei Igors wollte er sich wirklich nicht anlegen. Die Gegenwehr der Igorina hatte ihm deutlich gezeigt, dass es ein aussichtsloses Unterfangen wäre.
»Nur die Ruhe. Ich mache nur meine Arbeit«, sagte er während Rogi ein weiteres Mal auf ihn zuging. »Und ich kann nicht zulassen, dass unsere Gäste mitten in der Nacht gestört werden.«
»Sie versteht dich leider nicht.«, sagte Magane. »Aber ich vermute es wäre ihr auch egal, wenn sie Morporkianisch verstehen würde.«
Inzwischen waren sie fast bei Ayamis Apartment angekommen und ihm gingen die Optionen aus, da war diese Information nicht gerade erbaulich.
»Stop«, sagte er auf überwaldisch und blieb stehen, als er Hendrik aus dem Treppenaufgang kommen sah.
Rogi packte den falschen Pagen am Kragen und er unternahm keinen Versuch auszuweichen, während sie schon ausholte. Ihren ersten gezielten Schlag gegen seine Schläfe blockte er ab und ihr zweiter Schlag zielte wie erwartet auf seinen Bauch. Er spannte jeden Muskel an und drehte sich leicht zur Seite um den Leberhaken nicht mit voller Wucht zu spüren, doch was er merkte, reichte völlig aus und er ließ die Luft aus seinen Lungen zischend entweichen. Sie ließ ihn los und er ging dankbar zu Boden. Jetzt lag es nicht mehr an ihm.

Endlich war sie diesen lästigen Menschen los. Sie beachtete ihn nicht weiter und schritt auf die Tür mit der Nummer Vier zu.
»Michael!«, schrie es auf einmal hinter ihr und als sie sich umdrehte stürmte Hendrik auf sie zu und rannte sie über den Haufen.
Sie fiel mit ihm auf den Boden und er packte sie sogleich mit beiden Händen am Kragen. Er schüttelte sie durch und sie war zu überrascht um darauf zu reagieren.
»Verdammt noch mal was soll das? Was hat er dir getan?«
In der Stimme des Totengräbers schwang Wut und Verzweiflung zugleich mit und die Igorina überlegte ob sie etwas entscheidendes vergessen hatte. Sie sah neben sich zu dem am Boden liegenden Pagen, als Roger Hendrik von ihr fort zerrte. Rogi rappelte sich auf und starrte verwirrt auf das Namensschild. Sie hatte Hendriks Bruder Michael lange nicht mehr gesehen, doch dass er sich so verändert haben sollte, bezweifelte sie. Sie war sich allerdings nicht sicher. Andernfalls war es auch kein gutes Zeichen, wenn ein Fremder mit Michaels Namensschild herum lief. Der Totengräber zappelte in Rogers Umklammerung und verteilte Schläge und Tritte so gut er konnte. Magane redete beruhigend auf ihn ein und Rogi wurmte es zusehends, dass sie Morporkianisch nicht mehr verstehen konnte und die Angst noch etwas wesentlich wichtigeres vergessen zu haben wuchs immer weiter an. Hendrik fluchte ausgiebig und Roger hatte schließlich Erbarmen. Er ging in die Knie und rutschte zu dem Pagen der sich vor Schmerz krümmte, doch der Totengräber stockte, als er das Gesicht des Mannes sah.
»Überraschung«, stöhnte dieser und wurde dafür von Hendrik am Kragen hoch gezerrt.
Der Totengräber presste den Diener an die nächste Wand und zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen etwas hervor.
»Was ist hier eigentlich los?«, fragte Rogi und beobachtete das Ganze verwirrt und Rogers Verhalten trug nicht zur Aufklärung bei, als er ebenfalls auf den Pagen los ging. Die Igorina ballte kurz die Fäuste und wandte sich schließlich wieder ihrem eigentlichen Ziel zu. Vermutlich war es fürs erste besser, wenn sie nicht wusste was hier vorging, und dass die Herren abgelenkt waren, konnte ihr gerade nur recht sein. Magane versuchte zwischen den Männern zu schlichten, statt ihr zu folgen, hatte aber eher minderen Erfolg dabei. Rogi machte vor der Tür halt und betätigte den Türknauf, doch es war wie befürchtet abgeschlossen. Sie hämmerte gegen die Tür und zu ihrer Überraschung öffnete jemand. Der Mann wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, erkannte die Igorina allerdings zu ihrer Verblüffung und schlug die Tür schnell wieder zu, doch da hatte sie schon längst den Fuß dazwischen und sie drückte sich an ihm vorbei in den Raum.
»Wo ist sie?«, sagte Rogi und wirbelte um ihre Achse.

»Wo ist mein Bruder, du mieses Schwein«, zischte der Totengräber und zog den Pagen am Kragen zu sich, nur um ihn gleich wieder gegen die Wand zu stoßen.
Die flache Kopfbedeckung fiel dabei zu Boden. Entsetzt riss Roger die Augen auf als er merkte wen sie wirklich vor sich hatten und ihn packte die Wut ebenso wie Hendrik. Der Igor trat ebenfalls auf Rach Flanellfuß zu.
»Laff mich daf regeln«, sagte er ruhig und schob Hendrik zur Seite.
Der Totengräber ging nur widerwillig aus dem Weg. Der Igor packte Rach nun selbst mit einer Hand und drückte ihm gezielt die Luft ab.
»Jungs, beruhigt euch«, sagte Magane, doch er dachte nicht daran.
Mit dem Mann hatte er noch eine Rechnung offen.
»Für wen arbeitest du?«, fragte er eindringlich. »Ich habe unser letztes Treffen nicht vergessen.«
Zu Rogers Überraschung gab der Schnüffler nicht klein bei und zwei schnelle Schläge gegen seinen Oberarm zwangen ihn den Griff zu lockern, was zu einem weiteren gezielten Schlag gegen seine Schulter führte. Der Mann wusste genau was er tat und er wich schnell weiter zurück.
»Nebensächlich! Die Igorina ist uns entwischt.«, sagte Rach Flanellfuß und rang nach Luft.
Der Igor sah sich hektisch um und sah die offene Zimmertür mit der Nummer Vier. Voller Panik rannte er auf die Suite zu und beachtete die Menschen nicht weiter, allerdings hatte er den Anblick nicht erwartet. Der Kutscher saß auf Rogi und drückte ihre beiden Arme zu Boden. Von Ayami war nichts zu sehen und sein Blick glitt zur Doppeltür des Schlafgemachs. Er war zwar erleichtert, dass Philipp sie aufgehalten hatte, doch wie er mit seiner Igorina umging, machte ihn wütend. Rogi gab sich jedoch nicht so einfach geschlagen und verpasste dem Menschen eine Kopfnuss. Philipp fasste sich automatisch an die Stirn. Blut kam zwischen seinen Fingern zum Vorschein. Rogi nutzte die Gelegenheit um wieder auf die Beine zu kommen und ging auf die Doppeltür zu. Die Igorina rüttelte an der Tür und er folgte ihr schnell.
»Rogi, ich flehe dich an. Bitte beruhige dich.«
Sie trat gegen das Türschloss und drehte sich schlagartig zu ihm um, während die Türen hinter ihr auf schwangen und den Blick auf das Bett und Ayami freigaben. Roger hielt bei dem Anblick unwillkürlich die Luft an.
»Sag du mir nicht, dass ich mich beruhigen foll!«, schrie die Igorina ihn an. »Ich bin ef endgültig leid. Sie kann nicht einfach über mein Leben entscheiden. Nein, ich werde das hier und jetzt mit ihr klären.«
»Das kann ich nicht zulassen«, sagte der Kutscher hinter ihnen und stürzte sich auf Rogi.

Ihr Hunger wurde immer unerträglicher. Ayami Vetinari lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Die Arme noch immer ausgebreitet, hatte sie alles um sich herum ausgeblendet. Nur das Prasseln des Regens drang noch an ihre Ohren. Noch ein paar Stunden verblieben der Nacht und die Vampirin konzentrierte sich weiterhin darauf nicht ihren niederen Instinkten nach zu geben. Eine Flasche Kräuterblut stand für sie bereit und würde ihr über den Tag helfen. Erst in der nächsten Nacht konnte sie sicher sein ihren Hunger gebändigt zu haben und nicht in einen Blutrausch zu verfallen. Sie öffnete schlagartig die Augen, als sich die Türen mit einem Krachen öffneten. Sofort stieg ihr der Geruch von Blut in die Nase und sie fletschte die Zähne. Ihr Hunger wurde übermächtig, während sich ihre Sinne schärften. Gleich drei Herzen kamen ihr immer näher und sie spürte die pulsierenden Adern regelrecht. Ayami mobilisierte ihre letzten Kräfte und brachte ihren Körper in die Vertikale ohne ihre Gliedmaßen zu benutzen. Ihre ausgebreiteten Arme schlang sie um einen der Eindringlinge. Um wen es sich dabei handelte war belanglos. Ihr jetziger Zustand war nicht akzeptabel und sie versenkte ihre Zähne in den Hals. Das Blut rauschte in ihren Ohren so gierig bediente sie sich, doch ihr blieb kaum Zeit, da wurde der Körper von ihr weg gezerrt. Sie blinzelte und besann sich auf die ihr gegebene Situation. Der Igor hielt die Igorina in ihren Armen und schleifte sie weiter fort. Der Hals war blutverschmiert und Ayami ahnte was geschehen war. Philipp kam vorsichtig näher und der verführerische Duft seines Blutes stieg ihr in die Nase. Er war verletzt und Ayami knurrte regelrecht. Sie ging auf den Igor zu.
»Gib sie mir«, befahl sie und er schüttelte entsetzt den Kopf. »Sie wird verbluten.«
Sie musste den Biss vollenden um die Wunde zu verschließen. Der Igor betrachtete ein weiteres Mal den Hals und ihm musste klar sein, dass sie recht hatte. Ayami nahm ihm die Igorina wortlos ab und kümmerte sich um die Bisswunde. Welch Ironie, dass in der Nacht in der die Igorina dank ihr wieder unter den Lebenden weilte, selbige auch durch sie fast umgekommen wäre. Es kostete Ayami all ihre Beherrschung, doch sie gönnte der Igorina nicht ein weiteres Mal den Tod und schon gar nicht durch ihre Hand. Die Vampirin nahm dennoch jeden weiteren Tropfen mit Genuss auf, bevor sie sich wieder von der Igorina löste und Roger riss sie ihr ein weiteres Mal aus den Händen. Ihr Körper schrie nach mehr und sie betrachtete ihre noch immer faltigen Hände.
»Geht«, fauchte sie und unterdrückte den Impuls, sich auf Philipp zu stürzen, dessen Blut ihr fast den Verstand raubte.
Dieser Narr war ihr viel zu nah und Ayami wandte sich von ihm ab, doch sein Blut erfüllte all ihre Sinne und sie traf eine Entscheidung um endlich wieder klar denken zu können. Der Igor war schon dabei das Zimmer zu verlassen, doch die Gelegenheit würde sie ihm nicht mehr geben. Sie folgte ihm schnellen Schrittes und packte ihn von hinten. Sein Herzschlag machte einen Aussetzer, doch die Igorina in seinen Armen ließ er nicht los, während die Vampirin zubiss. Nach kurzer Zeit hörte sie den dumpfen Aufschlag der davon zeugte, dass die Igorina auf dem Boden gelandet war. Ayami nahm ihm all sein Blut. Bis auf den letzten Tropfen trank sie und ließ seinen Körper achtlos fallen, als sie fertig war. Sie schloss die Augen und ließ die neu gewonnene Kraft auf sich wirken. Ayami sah auf ihre Hände hinab und stellte mit Erleichterung fest, dass sie zu ihrer Jugend zurückgefunden hatten und betrachtete schließlich die am Boden liegenden Igors. Bedauerlich, doch er kannte das Risiko.
Sie drehte sich zu Philipp um, der immer noch wie erstarrt an Ort und Stelle stand. Er musste ihren Verjüngungsprozess mit angesehen haben und sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken, wie er sie gesehen hatte. Sie trat ruhig auf ihn zu und war froh, seine Verletzung wieder mit den Augen eines Menschen und nicht eines Vampirs zu sehen. Der Kutscher blickte ängstlich in ihre Augen, als sie vor ihm stand, doch er war ebenso erleichtert.
»Hattest du mir nicht etwas versprochen, Philipp?«

Magane sah dem Igor hinterher. Der Gedanke ihm zu folgen war nur kurz aufgetaucht, doch sie würde sicher nicht den Fehler begehen und eine hungrige Vampirin aufscheuchen. Hendrik war wieder dabei auf den falschen Pagen los zu gehen, doch dieser hielt den Totengräber mit einem gezielten Tritt in den Magen außer Reichweite. Hendrik krümmte sich zusammen und rang nach Luft. Sie trat schnell zwischen die beiden Männer.
»Jetzt reicht es aber!«, sagte sie bestimmt. »Wo ist sein Bruder?«
Rach hob in Ruhe die Kappe auf und seufzte als er sie von imaginären Dreck befreite indem er sie ausklopfte.
»Bitte! Wo ist er?«, sagte der Totengräber hinter ihr gequält.
»Wie ihr wollt...«, sagte Rach und ging an ihr vorbei in die Richtung aus der sie gekommen waren.
Sie folgte ihm und Hendrik überholte sie. Vor einer Tür machte der falsche Page halt und drückte die Klinke nach unten und gab ihr einen kleinen Schubs. Sie blieb misstrauisch hinter Rach Flanellfuß stehen, doch Hendrik ging sofort in die Knie zu dem nur in Unterwäsche gekleideten Mann.
Das musste also Michael sein.
Der kleine Bruder saß gegen ein Regal gelehnt in der Abstellkammer und seine Beine waren angewinkelt.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, fragte sie und befürchtete das schlimmste.
»Er schläft nur. Keine Sorge«, antwortete er und drehte sich zu ihr um. »Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Rach drückte ihr eine Tablette in die Hand und zwinkerte ihr zu, bevor er wieder zurück zu Ayamis Zimmer ging.
»Mein Anzug ist im obersten Regalfach«, sagte er im Gehen. »Ich rate euch nicht länger hier zu bleiben.«
Die Wächterin sah ihm verwirrt hinterher und wusste nicht, was sie von dem Mann halten sollte.
»Michael wach auf!«, sagte der Totengräber verzweifelt und brachte sie wieder dazu, sich auf die beiden Brüder zu konzentrieren. »Komm schon.«
»Lass mich mal sehen«, sagte sie ruhig und untersuchte Michael.
Puls und Atmung waren normal und es deutete nichts auf eine Verletzung hin. Was auch immer Rach ihm verabreicht hatte, wirkte sehr stark und sie betrachte die Tablette in ihrer Hand.
»Was ist das?«, fragte Hendrik misstrauisch und ahnte sicher von wem sie das hatte.
»Werde ich hoffentlich gleich wissen«, sagte sie und nahm ihren Dolch aus der Scheide.
Sie kratzte etwas Pulver von der Tablette und probierte es vorsichtig. Sie hatte keinen Grund Rach zu vertrauen und würde sicher nicht etwas verabreichen, das sie nicht kannte. Am liebsten wären ihr auch ihre eigenen Methoden, allerdings wusste sie nicht wovon Michael schlief und das machte es schwer ein geeignetes Mittel zu finden. Sie presste ihre Zunge gegen den Gaumen und hob überrascht ihre Brauen.
War es wirklich so einfach?
Ein Präparat aus Vitaminen, da war sie sich ziemlich sicher. Vermutlich noch das ein oder andere Aufputschmittel, doch es war keine der Wache bekannte Droge, das hätte sie mit Sicherheit gemerkt. Sie wartete noch einen kurzen Moment, bevor sie das Medikament auf Michaels Zunge legte und richtete sich wieder auf. Hendrik hielt die Hand seines Bruders und wartete gebannt. Magane nahm den Anzug aus dem Regalfach und betrachtete das feine Stück kurz. Sie tastete die Taschen ab und fand ein Feuerzeug und Zigaretten in einem versilberten Etui. Rach Flanellfuß hatte Stil, das musste sie ihm lassen.
»Zieh ihm das an«, sagte die Wächterin und reichte dem Totengräber die Kleidung. »Sobald dein Bruder wach ist sollten wir bereit sein zu gehen.«
»Wieso? Was hat der Kerl vor?«
Sie konnte sein Misstrauen gut verstehen, doch bisher hatte Rach nicht gegen sie gearbeitet. Er hätte sie durchaus sabotieren können, doch die Wächterin hatte eher das Gefühl, dass er das selbe Ziel verfolgte.
»Ich habe keine Ahnung, aber ich hoffe er schafft es.«

»Verzeiht mir, Hoheit«, sagte er schnell und sah zu Boden. »Ich habe versucht, sie aufzuhalten.«
Sie nahm ein Taschentuch mit ihrem Monogramm aus ihrem Ärmel und drückte es vorsichtig auf seine Wunde. Er biss die Zähne zusammen und schloss die Augen.
»Es sieht schlimmer aus, als es ist«, sagte sie erleichtert und er übernahm das Taschentuch, während sie die beiden Igors aus dem Zimmer schaffte. Er folgte ihr in den Nebenraum und ging zur noch immer offen stehenden Tür. Philipp hörte von draußen Stimmen und hielt in der Bewegung inne.
»Hoheit, ich fürchte die Wächterin und der Totengräber sind auch hier«, sagte er und wartete ihre Reaktion ab.
»Sie sollen gehen. Wenn nötig bringe sie selbst von hier fort. Ich bin gerade nicht in der Stimmung mich mit diesen Menschen abzugeben.«
Sie war vor allem nicht in der Verfassung, wie er fand. Ihr Haar hatte an den Schläfen noch immer einen silbernen Schleier und wie um seine Gedanken zu unterstreichen ließ sie sich erschöpft in den Sessel sinken. Er wandte sich wieder der Tür zu und schnappte überrascht nach Luft, als im Rahmen jemand stand und gerade dazu ansetzte an diesen zu klopfen. Der Page räusperte sich, als seine Anwesenheit bemerkt wurde und zog einen Umschlag aus dem Jackett.
»Verzeiht die Störung, doch es ist dringend.«, sagte der Hoteldiener und hielt ihm den Brief entgegen. »Doch wie es scheint komme ich ungelegen?«
Dabei sah der Page auf seine Wunde, deren Blutung er noch immer mit dem Taschentuch Ihrer Majestät unterband. Philipp trat schnell vor um den Umschlag entgegnen zu nehmen und erkannte sogleich das Siegel. Das schlichte V war unverkennbar und Ayami würde alles andere als erfreut sein. Er hatte bisher zumindest immer den Eindruck, dass die beiden grundsätzlich verschiedener Meinung waren.
»Soll ich nach einem Arzt schicken lassen?«, fragte der Page als nächstes und betrachtete noch immer seine Platzwunde.
»Danke, nicht nötig«, sagte er abweisend und baute sich vor dem Mann auf um ihn den weiteren Blick in das Zimmer zu versperren. »Wenn du jetzt so freundlich wärst zu gehen. Ihre Majestät möchte heute nicht mehr gestört werden.«
»Natürlich«, sagte der Page und machte einen Diener bevor er ging.
Erleichtert schloss Philipp die Tür und lehnte sich dagegen. Die beiden Igors hatte Ayami auf dem Sofa drapiert und Ihre Majestät betrachtete die beiden Nachdenklich. Der Kutscher trat vorsichtig näher und legte den Brief auf dem Beistelltisch neben ihr ab, wagte es jedoch nicht sie darauf anzusprechen und machte sich anderweitig nützlich. Er holte schnell die Flasche Kräuterblut aus dem angrenzenden Schlafgemach und schenkte ihr ein Glas voll ein. Seine Verletzung war für ihn nebensächlich, solange Ayami nicht bei Kräften war.
»Weck sie auf«, sagte sie völlig unvermittelt und massierte sich dabei die Stirn.
»Hoheit?«
»Die Igorina. Weck sie auf.«

Ihr Zustand hatte etwas vertrautes, doch es war keinesfalls ein angenehmes Gefühl. Rogi war in einem Dämmerzustand und war sich dessen voll bewusst, doch ihr Körper weigerte sich dies zu ändern. Die Igorina merkte wie ihre Halsschlagader pulsierte und mit jedem weiteren Herzschlag ließ der Schmerz langsam nach. Sie entspannte sich allmählich und spürte das weiche Polster in dem sie saß. Rogi wurde klar, dass sie ein weiteres Mal dem Tod entkommen war. Nach allem was passiert war, hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, doch es wurde ihr vergönnt.
Etwas nasses landete in ihrem Gesicht und ließ sie hochfahren. Die Igorina schnappte erschrocken nach Luft und wischte den kalten Lappen mit einer Handbewegung beiseite. Sie öffnete die Augen und blinzelte. Ihr gegenüber saß Ayami und beobachtete sie. Ihre ehemalige Herrin hatte eindeutig schon bessere Zeiten gesehen und die Igorina sah sich weiter um. Zu ihrer Rechten stand der Mann, der sie so vehement aufgehalten hatte, und seine Stirn war noch immer blutverschmiert. Neben ihr saß Roger und sie hielt die Luft an. Sie tastete automatisch nach seinen Puls, doch sie wusste auch so, dass sie kein Lebenszeichen mehr spüren würde. Sie betrachtete ihn eine Zeit lang und sein Anblick schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Wut und ihr ganzer Zorn verpuffte im Nichts.
»Dich trifft keine Schuld«, drang die Stimme der Vampirin dumpf an ihr Ohr.
Seine warme Hand strich ihr über die Wange und sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust. Sein Bett bot wenig Platz für eine Person, dennoch lagen sie ineinander Verschlungen darauf und sie lauschte seiner ruhigen Atmung. Lunge und Herz waren im Einklang und sie würde am liebsten ewig hier verweilen.
»Kannft du wirklich nicht länger bleiben?«, fragte er sie und nur zu gerne würde die Igorina dem Vorschlag zustimmen.
»Ef tut mir leid. Ich wünfte daf ginge, doch wir müffen fo fnell wie möglich weiter.«
»Können die anderen nicht ohne dich gehen?«
Seine Frage war nicht aufdringlich oder flehend und sie dachte einen weiteren Moment über sein Angebot nach, bei ihm zu bleiben.
»Und wenn etwaf paffiert?«, erwiderte Rogi und richtete sich leicht auf um ihm in die Augen zu sehen. »Ich muff meiner Pflicht nachkommen.«
Er seufzte schwer und seine Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Wir werden unf wieder fehen«, sagte er entschlossen und drückte sie an sich.

Jemand rüttelte an ihr und riss sie aus ihrer Erinnerung. Es war ihre erste gemeinsame Nacht gewesen. Sie hatten sich nicht gekannt und dennoch sofort verstanden. Ihr Blick fiel wieder auf den leblosen Körper des Igors und sie sank weiter in das Polster. Die fremde Hand ließ sie los und Rogi zwang sich, den Blick von Roger abzuwenden. Es fiel ihr unendlich schwer, denn Ayamis Worte an sie hatten keinerlei Bedeutung. Sie war für Rogers Tod verantwortlich.
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte sie müde und schloss die Augen um ihre aufkommenden Tränen zu verbergen.
Vor ihrer ehemaligen Herrin wollte sie nicht ihre Trauer zur Schau stellen.
»Nur, dass du am Leben bleibst«, antwortete Ayami und Rogi zog die Stirn in Falten. »Ob du es glaubst oder nicht. Mein Wohl hängt auch von deinem ab.«
Das war absurd, doch Rogi war nicht der Sinn danach zu protestieren.
»Deine werte Verwandtschaft hat mir immer unterstellt deine Lebensschuld mir gegenüber auszunutzen und du weißt sicher noch wie das endete.«
Die Vampirin spielte auf den Vertrauensbruch an und die Igorina erinnerte sich sehr wohl an den Tag an dem Ayami sich von ihrem Blut bedient hatte um ihr eigenes Leben zu schützen. Sie strich nachdenklich über ihr linkes Auge, das seit diesem Tag ersetzt worden war, doch sie verstand noch immer nicht, was Ayami Vetinari ihr eigentlich sagen wollte.
»Dabei hatte ich mit deinem Onkel zuvor schon eine Vereinbarung getroffen, die alle zufrieden stellen sollte.« Die Igorina wurde hellhörig und setzte sich unbewusst auf, während Ayami weiter sprach. »Der Clan, weil ich dich fort schickte und ich, weil dein Onkel deiner statt weiter Kräuterblut für mich herstellte.«
»Das war nicht gerade von Vorteil für die Familie«, sagte die Igorina prompt, als ihr klar wurde worum es ging. »Meine Tante kann ziemlich eklig werden, wenn man fie betrügt.«
»Wie kannst du es wagen...«, sagte der Mann neben ihr aufgebracht, doch eine Handbewegung ihrer Majestät genügte um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Betrug – Wirklich?«Ayami zog eine Braue in die Höhe. »Warst du nicht erfreut, Überwald verlassen zu dürfen, Igorina?«
Igorina – Ein Name der ausdrückte was sie einst war, doch diese Zeit war endgültig vorbei. Sie war nur noch der Schatten eines Igors.
»Meine Name ist Rogi Feinstich«, sagte sie ohne auf die Frage einzugehen.
»Ich weiß«, sagte die Vampirin nur und faltete die Hände ineinander. »Aber jemand von uns muss dich wohl daran erinnern – Wer du bist.«
Rogi ließ sich wieder in das Polster sinken, erwiderte allerdings nichts auf Ayamis Worte. Igors waren nicht besonders philosophisch veranlagt, zumindest stellte sich kaum die Frage – Wer man war und woher man kam. Wer aus einer Familie stammte deren Eigenschaften nicht nur natürlich sondern auch direkt vererbt wurden, musste sich darüber keine Gedanken machen. Sie wusste genau wo sie im Stammbaum des Clans stand und trotzdem hatte sie schon lange den Eindruck, dass sie nicht mehr dazu gehörte.
Die Eine.
Ihre Hände krallten sich in das Sofa, als sie an ihren speziellen Ruf dachte und die Igorina seufzte. Sie betrachtete ein weiteres Mal Roger und berührte seine Hand vorsichtig.
Sein Ausdruck in den Augen war hart und abweisend, als er das Fläschchen wieder in die Schublade zurück legte. Ihr Beruhigungsmittel wurde wieder einmal zur Belastung ihrer Beziehung und dieses Mal zeigte er seinen Abscheu so deutlich, dass es weh tat. Sonst waren sein Kummer und die Sorge um sie immer größer gewesen. Er sah sie nicht einmal direkt an als er sich wieder aufrichtete, doch seine zusammengepressten Lippen verrieten ihr, dass er etwas los werden wollte. Ihr Magen krampfte sich zusammen, als er wortlos an ihr vorbei ging.
»Bitte geh nicht«, brachte sie hastig hervor, wagte es jedoch nicht sich zu ihm umzudrehen.
Das lang gezogene Knarren ertönte, gefolgt von einem kurzen Quietschen und die Tür fiel ins Schloss. Er war ohne ein Wort gegangen und sie kauerte sich auf ihren Stuhl.

Ihre Hand löste sich zögerlich von Roger und sie wandte sich wieder Ayami zu.
»Ich weiß leider sehr genau, wer ich bin.«
»Ich denke du weißt nur für wen alle anderen dich halten«, sagte die Vampirin und griff zu ihrem Glas bevor sie weiter sprach. »Doch das musst du nicht sein, Igorina.«
»Ach, aber Ihr wisst wer ich sein sollte?«, erwiderte Rogi sarkastisch und stand auf. »Oh nein, zu spät! Ihr seid nicht mehr meine Herrin.«
Die Hand des Kutschers legte sich auf ihre Schulter und hielt sie fest, während Ayami in Ruhe aus ihrem Glas trank. Die Igorina sah ihn einen kurzen Moment wütend an und machte eine Drehung um dessen Hand zu packen. Sie verrenkte seinen Arm schmerzhaft und er ging zu Rogis Zufriedenheit in die Knie.
»Fass mich nicht an!«, sagte sie eindringlich und verstärkte den Schmerz zum Nachdruck ihrer Worte.
»Genug!« Ayami war aufgestanden, als der Kutscher aufschrie und ihr Tonfall ließ die Igorina zögern. »Es reicht jetzt. Lass ihn los!«
Rogi betrachtete den Mann ein weiteres Mal mit anderen Augen und ließ ihn frei. Das war nicht der normale Befehlston, den sie von Ayami kannte. Da war noch etwas Bittendes beinahe Flehentliches gewesen, das sie stutzig machte.
»Philipp, geh und lass die Pferde anspannen«, sagte die Vampirin schnell und der Kutscher sah die Igorina noch einmal misstrauisch an, bevor er das Zimmer verließ.
Rogi sah ihm hinterher und einen kurzen Moment dachte sie daran ihn aufzuhalten und als Druckmittel gegen Ayami einzusetzen, als ihr klar wurde, dass die Vampirin ihn zu seinem Schutz fort geschickt hatte. Sie setzte sich langsam wieder, während Ayami auf sie hinab blickte und dem fassungslosen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sehr genau wusste, woran die Igorina eben dachte.
»Lass ihn aus dem Spiel!«, sagte ihre ehemalige Herrin unvermittelt und Rogi lachte kurz auf.
Ein Spiel. Das war es für Hoheit schon immer gewesen und unwichtige Figuren konnte man opfern so wie es mit Roger geschehen war, doch ihr war er wichtig gewesen.
»Ihr meint das wirklich ernst«, stellte sie fest und Ayami setzte sich ebenfalls wieder auf ihren Platz. Die Vampirin stütze ihren Ellenbogen auf der Lehne ab und legte ihr Kinn in der Hand ab.
»Verzeih wenn ich gerade nicht in der Verfassung bin die sonst so gewohnte Fassade aufrecht zu erhalten, aber ich habe dieses Treffen nicht gesucht.«
Die folgende Frage blieb unausgesprochen und Rogi seufzte innerlich. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie hatte alle in Gefahr gebracht um Ayami die Stirn zu bieten und herausgekommen ist dabei nur Unheil. Sie schaute ein weiteres Mal zu Roger neben sich und knirschte mit den Zähnen, ehe sie sich wieder Ayami zuwandte.
»Es sind genug meinetwegen gestorben und ich werde diese Bürde wie Ihr wünscht tragen, doch das ist alles. Ich bin euch nichts schuldig und treffe ab sofort meine eigenen Entscheidungen.«
»Das genügt mir«, sagte Ayami kühl und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, das Rogi nur zu gut kannte.

Diese Nacht würde ihr sicher noch lange in Erinnerung bleiben, doch wenigstens war die Igorina wieder zu Verstand gekommen. Einen kurzen Augenblick hatte Ayami wirklich geglaubt, dass die Igorina vor nichts mehr zurückschrecken würde. Sie beobachtete ihr Gegenüber, doch Rogi war mit ihren Gedanken beschäftigt und Ayamis Geduld war für diese Nacht erschöpft.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte sie unschuldig, doch im Grunde war es ihr egal solange die Igorina sich nicht in ihre Angelegenheiten einmischte, allerdings bot sich jetzt noch eine Gelegenheit in der ihr die Dienerin von Nutzen sein konnte.
»Daf geht Euch nichtf an«, kam die schnelle Antwort.
Zu schnell wie sie fand und der Grund war naheliegend – Die Igorina wusste nicht was sie tun sollte. Sie hatte keine Aufgabe und Ayami beschloss dem Gespräch eine neue Richtung zu geben.
»Es geht hier nicht nur um dich oder mich«, sagte sie fast schon beschwörend. »Die Wache braucht dich.«
»Danke, ich kenne daf Rekrutierungsplakat«, schnaubte die Igorina. »Niemand braucht mich.«
»Sicher?«, sagte sie amüsiert. »Was ist mit Ophelia Ziegenberger?«
Die Igorina hielt die Luft an und Ayami lehnte sich zufrieden zurück. Jetzt war ihr die Aufmerksamkeit der Igorina sicher und wenn sie es geschickt anstellte konnte sie den ein oder anderen Gefallen aushandeln.
»Was ist mit ihr?«
Die Igorina versuchte gefasst zu klingen, doch es gelang ihr nicht.
»Eine interessante Person und eine erstaunliche Vergangenheit, findest du nicht? Du hast ihr mehrfach das Leben gerettet und sie verbindet mit dir mehr als du anscheinend wahr haben willst« Sie machte eine kurze Pause bevor sie die nächste Information Preis gab. »Sie hat sich vorgenommen deinen Tod zu rächen.«
»Waf habt ihr getan?«
Wie erwartet suchte die Igorina bei ihr die Schuld und Ayamis Mundwinkel zuckten kurz nach oben.
»Ich habe ihr nur einen kleinen Denkanstoß gegeben. Weiter nichts.«
Die Igorina rang mit sich selbst und Ayami nahm jede leichte Regung zur Kenntnis. Es war ein Risiko diese Information an sie weiter zu geben, doch so hatte sie noch immer die Kontrolle und konnte Einfluss auf die nächsten Handlungen der Igorina nehmen oder es zumindest versuchen, wie sie sich eingestand.
»Oh, nein«, brach es aus der Dienerin heraus, als sie das ganze Ausmaß begriff. »Sie will fich an HIRN rächen?«
Sie bestätigte mit einem leichten Nicken und die Igorina, sah sie ungläubig an. »Wie sollte fie...«
»Oh, ich denke du weißt ganz genau wie sie vorgehen wird, nicht wahr?«, unterbrach sie ihr Gegenüber um diese Unterhaltung schneller voran zu bringen.
Die Heimlichen Infragesteller Rücksichtsvoller Neuordnung waren eine lästige Gruppierung, doch es ging ihr um jemand anderen.
»Breguyar wird daf nicht zulassen!«
»Sie hat dein kleines Geheimnis, zu dem wir noch zu sprechen kommen, auch nicht weitergegeben.«
Rogi sank wieder etwas in sich zusammen, nachdem sie dachte mit dem Kommandeur einen Trumpf ausgespielt zu haben. Araghast war zugegeben sicher keine Hilfe und ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, würde Ophelias Chancen eher verschlechtern. Allerdings war es im Grunde egal ob Ophelia scheitern würde und HIRN weiter bestünde, so lange Racul aus seinem Loch gekrochen kam.
»Du weißt von der Verbindung zwischen ihr und einem Vampir?«
»Ihr meint Parsival Ascher?«, fragte die Igorina und sprach den Namen voller Abscheu aus.
Ayami konnte den Impuls zu lachen nicht unterdrücken und schüttelte belustigt den Kopf.
»Diese kleine Made interessiert mich nicht. Ich rede von Racul Alexeij Sargolan Pada Ivanowitsch der Dritte von Ankh« Ayami legte ihre Fingerspitzen aufeinander und die gerunzelte Stirn der Igorina enttäuschte sie etwas, doch der verbissene Gesichtsausdruck zeigte ihr deutlich, dass Rogi diese Information zu schaffen machte. Nach all der Zeit konnte sie die Mimik der Dienerin noch immer mühelos lesen.
»Er war so dreist mich auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen, die dich und das Fräulein Ziegenberger betrifft, und nannte dich mein gescheitertes Experiment. Etwas, das ich nicht auf mir sitzen lassen möchte.«
»Bin ich ef denn?«, fragte die Igorina und zog die Stirn in Falten. »Ein gescheitertes Experiment?«
Ayami Vetinari verzog gekränkt das Gesicht und wandte kurz den Blick von der Igorina ab.
»Du warst nie ein Experiment! Deine Familie war es die uns entzweit hat und ich habe wider meinen Interessen gehandelt, als ich dich fort schickte, dass meine Wahl auf Ankh-Morpork fiel um meinen Platz bei der Wache einzunehmen, kannst du auslegen wie du willst, aber ich bin der Meinung – und da kannst du mir kaum widersprechen – dass deine Talente dort gut aufgehoben waren.«
»Warum habt Ihr mich dann an Breguyar weiter gegeben?«
»Ein Versuch, Abstand zu dir zu gewinnen, denn zu dieser Zeit habe ich schon lange nicht mehr geglaubt, dass du je wieder zu mir zurückkehren könntest. Dafür war deine Verwandtschaft zu stur.« Ayami gestattete sich einen Seufzer und legte ihre Hände im Schoß ab. »Ich bin dieses Thema leid.«
»Was ist mit diefem Racul?«, fragte die Igorina und konzentrierte sich endlich auf ihr eigentliches Anliegen.
»Er hat sich gut versteckt und ich möchte ihn finden. Du könntest das Igornetzwerk benutzen um ihn ausfindig zu machen. Es würde mich zumindest wundern, wenn er ganz auf diese Art von Bediensteten verzichten würde.«
»Warum follte ich daf für Euch tun?«
»Ich bitte dich lediglich um einen Gefallen. Dir steht frei was du tust, doch du solltest wissen, dass Ophelia und er mental verbunden sind und ich fürchte was sie weiß, weiß auch er. Eine Gefahr für sie selbst, für die Wache und vermutlich auch für dich.«
Die Igorina zog zischend die Luft ein und sah sie entsetzt an.
»Was uns wieder zu deinem kleinen Geheimnis bringt. Ich hoffe du hast kein Verlangen mehr nach diesem Medikament.«
Die Dienerin hob leicht ihre Hände und Ayami entging das Zittern nicht, bevor die Igorina sie schnell wieder ablegte.
»Waf habt Ihr vor, wenn Ihr ihn gefunden habt?«, sagte die Igorina und versuchte mit ihrer Frage vom Thema abzulenken.
»Dann werde ich ihm einen kleinen Besuch abstatten.«

So viele Informationen schlugen auf sie ein. Ophelias Leben stand auf dem Spiel und sie musste handeln, dabei wusste sie noch nicht mal mit Sicherheit, wie es um sie selbst bestellt war. Bisher hatte sie kein Verlangen nach ihren Beruhigungsmittel gehabt, doch wie lange war das jetzt her? Drei bis vier Stunden vielleicht und Roger hatte sicher alles daran gesetzt ihren Körper zu entgiften. Ihre zitternden Hände mussten also nicht zwangsweise von ihrer Abhängigkeit kommen. Rogi atmete tief durch und versuchte sich wieder auf ihre jetzige Situation zu besinnen. Sie sah dabei kurz zu ihrer ehemaligen Herrin, die sich wieder an ihr Glas Kräuterblut geklammert hatte und auf ihre Entscheidung wartete. Würde sie darauf eingehen und sie hätte Erfolg, war Ayami ihr etwas schuldig – mehr oder weniger zumindest. Wichtiger dabei war allerdings, dass Ophelia sich in etwas verstrickt hatte, das Ayami angezettelt hatte, und sie wollte in erster Linie der Wächterin helfen. Das einfachste war mit Ophelia Kontakt aufzunehmen, doch dies war zugleich auch unvorstellbar. Sie wusste nicht wie sie es anstellen sollte und dabei war die sprachliche Barriere noch ihr geringstes Problem.
»Ich helfe Euch unter einer Bedingung«, sagte die Igorina während sie gleichzeitig versuchte ihre Gedanken weiter zu ordnen.
»Ich höre«, antwortete Ayami ruhig und stellte ihr Glas ab.
»Ihr müfft Ophelia wieder von diesem Vorhaben abbringen«, sagte sie bestimmt und Ayami hob amüsiert eine Braue.
»Und wie soll ich das anstellen? Willst du wirklich, dass sie durch mich erfährt, dass du am Leben bist? Oder soll ich tatsächlich ihren Geist manipulieren?«
»Nein«, schrie sie entsetzt auf und biss sich sogleich auf die Unterlippe.
»Dachte ich es mir«, sagte die Vampirin und beobachtete sie eingehend. »Doch selbst wenn ich wollte, würde Racul mich daran hindern, denn inzwischen müsste er wissen, dass ich in der Stadt bin.«
»Dann sollte diefe Verbindung wohl besser beftehen bleiben«, sagte sie schnell und bereute es, als Ayamis Blick sich verfinsterte.
»Du würdest es vorziehen sie weiter diesem Feigling zu überlassen, um sie vor mir zu schützen?«, sagte die Vampirin und schnaubte verächtlich. »Du beleidigst mich, Igorina. Du hast dein Leben beendet und einen regelrechten Scherbenhaufen zurück gelassen. Ich schaffe lediglich etwas Ordnung, wenn du gestattest. Sie hat die letzten Tage ausnahmslos um dich getrauert und wenn du nicht bereit bist ihr entgegen zu treten, solltest du mich nicht anklagen.«
Rogi knirschte mit den Zähnen und verschränkte ihre Arme vor dem Körper, als könnte sie so alles abblocken, doch es war aussichtslos. Ihr Gedanken kreisten unentwegt um die Wächterin, die eindeutig in den Fokus zu vieler Vampire geraten war. Damit musste Schluss sein und sie wusste genau bei wem sie anfangen würde – Parsival Ascher. Er hatte lange genug mit den Gefühlen anderer gespielt und Ophelia sollte das letzte Opfer sein, das er so schamlos beeinflusst hatte, dafür würde sie sorgen. Rogi musste unbewusst grinsen, als sie ihre eigene Rache plante.
»Hast du dich endlich entschieden?«, fragte die Vampirin gereizt und die Igorina nickte langsam.
»Ich muff Euch fürs Erfte enttäuschen. Ich habe meine eigenen Pläne.«
»Tatsächlich?«, antwortete Ayami überrascht. »Kann ich etwas tun um dich umzustimmen?«
»Forgt dafür, dass Ophelia nicht feitert! Noch ein traumatisches Erlebnif kann sie, fürchte ich, nicht verkraften.«
»Und wenn sie dennoch versagt?«
»Dann habt Ihr ein Problem.«
»Wage es ja nicht mir zu drohen, Igorina«, sagte Ayami mit eisiger Stimme, doch sie ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Das war keine Drohung, Hoheit. Es reicht, dass Ihr ein Leben, das mir wichtig war, zerstört habt – noch eines werde ich nicht dulden.«
Die Vampirin sah sie einen Moment abschätzend an und lag regelrecht auf der Lauer, bevor sie mit einem leichten Nicken ihre Zustimmung gab.
»Ich habe verstanden«, sagte ihre ehemalige Herrin und griff wieder zu dem begehrten Kräuterblut. »Was hast du jetzt vor?«
Rogi stand entschlossen auf und sah noch einmal voller Wehmut zu Roger, bevor sie sich wieder Ayami zuwandte.
»Ich werde jetzt gehen.«

Er blinzelte, sah aber noch immer verschwommen, doch zwei Gestalten hatten sich über ihn gebeugt und er versuchte sich aufzurichten.
»Den Göttern sei Dank!«, sagte jemand und er erkannte die Stimme seines Bruders, der ihn sofort an sich drückte.
»Lass ihn erst mal wieder die Orientierung finden«, sagte eine unbekannte Stimme und er hätte gerne zugestimmt.
Die Umarmung seinen Bruders lockerte sich etwas und er atmete tief durch. Michael stand langsam auf und Hendrik half ihm dabei. Er schaute sich verwundert um und fragte sich was er in der Abstellkammer zu suchen hatte.
Er hatte ja nicht mal einen Schlüssel. Und was machten sein Bruder und diese Frau hier? Was war passiert?
Er sah an sich herab und bemerkte die fremde Kleidung und er erkannte den Anzug seines letzten Fahrgastes wieder.
»Was bei den Göttern ist hier los?«
»Später«, sagte sein großer Bruder bestimmt und packte ihm am Arm. »Wir müssen hier verschwinden!«
Von Hendrik mitgerissen blieb ihm gar nichts anderes übrig, als seine volle Aufmerksamkeit der Koordination seiner Beine zu widmen und seine Fragen auf den Moment zu verschieben, wenn er wieder saß. Ja, sitzen wäre jetzt eine schöne Sache. Sie polterten zu dritt die Treppe runter und erst als sie im Erdgeschoss angekommen waren, verlangsamte sein Bruder das Tempo und Michael hielt sich dankbar den Kopf, der ihm noch immer dröhnte. Der Page zwang seine Beine zum Anhalten und der Ruck an seinem Arm brachte ihn ins Stolpern, allerdings hielt sein Bruder wie gewünscht an.
»Alles ok?«
»Nichts ist ok! Ich verliere meinen Job, wenn der Direktor hiervon erfährt«, sagte er aufgebracht und schüttelte die Hand von Hendrik ab.
»Glaub mir, du willst nicht hier bleiben.«
»Da kann ich nur zustimmen«, sagte die Frau und ging weiter in Richtung Küche.
Hendrik nickte zustimmend und schob ihn weiter und er gab es schließlich auf, sich zu widersetzten. Sein großer Bruder war ohnehin kräftiger als er es je sein könnte.
»Schon gut. Ich kann alleine laufen!«, sagte er und versuchte sich ein weiteres Mal loszureißen, doch erst als sie draußen waren, ließ Hendrik ihn endlich los. Michael atmete tief durch, während der Regen auf ihn einprasselte. Das Unwetter hatte er ganz vergessen und er schlug den Kragen des Anzugs hoch. Sein Bruder führte ihn Richtung Stadtzentrum und er hielt mit Mühe Schritt. Die Fremde folgte ihnen dichtauf und der Page blieb abrupt stehen, als sie den Parkweg noch nicht ganz verlassen hatten.
»OK, ich will ein paar Antworten und zwar jetzt.«
Hendrik und die Frau sahen sich einen Moment an und sie deutete schließlich auf das Holzschild einer Taverne.
»Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich könnte jetzt ein Bier vertragen.«

Rach seufzte, als sich die Tür hinter ihm schloss. Das waren keine guten Aussichten. Der Igor war mit Sicherheit tot, doch immerhin waren durch sein Auftreten nicht alle der Igorina blind gefolgt. Natürlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie nicht so stur gewesen wäre, allerdings konnte er nun darauf hoffen, an neue Informationen zu kommen. Vielleicht bekam er sogar schon eine Reaktion auf den Brief. Natürlich kannte er den Inhalt nicht, allerdings war Havelock in seiner Wortwahl schon immer treffsicher gewesen. Es würde sicher eine Antwort folgen. Er blickte den Gang entlang und stellte mit Erleichterung fest, dass die anderen gegangen waren. Hendrik hatte sich sicher zu sehr um seinen Bruder gesorgt und die Wächterin hatte genug Verstand, die beiden von hier fort zu führen. Rach Flanellfuß drehte sich wieder zur Tür. Er hatte nur zwei sinnvolle Optionen. Warten oder Lauschen und die Vampirin war sichtlich geschwächt. Eine bessere Gelegenheit würde er sicher nicht bekommen. Er sah sich noch einmal um, bevor er sein Ohr in der Nähe des Türschlosses anlegte, und lauschte gespannt. Die Igorina war wach, doch das Gespräch ging nur langsam voran und die fremde Sprache machte es nicht gerade leichter, etwas zu verstehen. Er hatte zwar Überwaldisch in der königlichen Schule gelernt, jedoch war sein Gehör nicht darauf trainiert. Es wurde allerdings deutlich, dass die beiden Frauen mehr als ein ehemaliges Angestelltenverhältnis verband und Rach notierte sich geistig das Wort 'Lebensschuld'. Die Unterhaltung spitze sich langsam zu und eine Wortkonstellation störte seine Konzentration, als er versuchte sie gleich zu übersetzen. Er hatte noch nie etwas von Kräuterblut gehört, doch er war sich sicher, dass dafür keine andere Bedeutung in Frage kam. Die Igorina wurde immer lauter und das Ganze manifestiere sich zu einem Streit. Ein plötzlicher Aufschrei ließ den dunklen Sekretär zurückzucken und trotzdem hörte er noch die sonst so ruhige Stimme von Ayami Vetinari durch die Tür klingen. Er näherte sich wieder vorsichtig dem Eingang und hastete sogleich wieder zurück, als sich Schritte näherten. Er ging ein paar Meter zurück zum Aufzug, bevor er sich an die Wand lehnte und den gelangweilten Angestellten spielte.
Keine Sekunde zu spät.
Der Kutscher trat auf den Gang und Rach richtete sich auf, als dieser ihn misstrauisch anstarrte. Der dunkle Sekretär ergriff die Initiative und rückte gespielt nervös seine Kappe zurecht.
»Gibt es schon Antwort auf den Brief seiner Exzellenz?«
Philipp schloss schnell die Tür und schüttelte den Kopf.
»Was geht dich das an?«, sagte der große Mann und schritt an ihm vorbei.
Rach räusperte sich verlegen und überholte den Kutscher schnell um ihn zum Lift zu geleiten. Gerne hätte er ihn einfach gehen lassen, doch Philipp war schon misstrauisch genug und er musste seine Rolle als Page durchziehen. Ayami durfte nichts von seinen Nachforschungen erfahren.
»Nun, Herr, die Aufregung war ziemlich groß als der Brief kam und es wird wohl rasch Antwort erwartet, denn der Bote meinte, er würde so lange bleiben.«
Der Kutscher betrat mit ihm den Aufzug und beachtete ihn nicht weiter, während er das Gitter vorschob. Rach Flanellfuß betätigte den Hebel und der Lift setzte sich rumpelnd in Bewegung.
»Und naja, seit dem sind die Wetten in der Belegschaft am laufen und ich habe eine ziemlich große Summe darauf gesetzt, dass dies noch vor Sonnenaufgang geschehen wird.«
Damit musste er nicht mal lügen. Die Wette gab es wirklich und Jules, sein Arbeitskollege und Mitbewohner, hielt hartnäckig dagegen. Ebenso wie einige andere Mitarbeiter des Palastes, die von dem Umschlag wussten. Der große Mann schenkte ihm nun doch etwas Aufmerksamkeit und lockerte seine ablehnende Haltung.
»Bis wann kann man noch einsteigen?«, fragte der Kutscher und zeigte ein Grinsen, das jeder Mann aufsetzte, wenn er daran dachte schnelles Geld zu verdienen.
»Du hast Glück, Herr«, antwortete er schnell und grinste ebenfalls. »Solange noch keine der platzierten Wetten eingetreten ist, kann noch gesetzt werden. Die Quoten werden jede Stunde angepasst.«
»Du hast nicht zufällig eine Übersicht für mich?«
»Oh, ich fürchte dafür müsste ich den Buchmacher eine Klackernachricht schicken«, sagte er und streckte dem Kutscher die offene Hand entgegen.
Philipp starrte nur kurz irritiert auf die fordernde Hand und seufzte schließlich.
»Wieviel?«
»Zehn Cent, Herr. Nur für die Klackergebühr«, antwortete er und der Kutscher kramte in seinen Hosentaschen.
Der Lift kam zum Stehen und dreißig Cent wechselten den Besitzer. Philipp hatte mehr Verstand als Rach ihm zugetraut hätte. Damit waren nicht nur die üblichen Gebühren für Klacker, Buchmacher und Boten abgedeckt, sondern auch noch ein kleines Trinkgeld für ihn. Er setzte zur Anerkennung sein freundlichstes Lächeln auf und machte einen Diener, als Philipp den Aufzug verließ.
»Wo finde ich dich, Herr?«, fragte er noch schnell, bevor der Kutscher außer Reichweite war.
»Ich werde, wenn ich nicht mehr bei den Ställen bin, im Foyer warten«, sagte Philipp über seine Schulter hinweg und Rach folgte ihm einen kurzen Moment Richtung Rezeption.
»Ich eile, Herr«, sagte er als sich ihre Wege trennten und machte gleich wieder kehrt als der Kutscher nicht mehr zu sehen war. Der dunkle Sekretär steuerte die Treppen neben dem Lift an und nahm gleich mehrere Stufen auf einmal. Der Aufzug war ihm viel zu langsam und der Weg nach unten hatte genug an seinen Nerven gezerrt. Er warf einen kurzen Blick auf seine Taschenuhr und fluchte innerlich über die verlorene Zeit. Oben angekommen schritt er schnell auf die Suite zu und versuchte gleichzeitig seine Atmung wieder zu beruhigen. Zu seiner Überraschung öffnete sich die Tür kurz bevor er ankam und er hatte keine Möglichkeit mehr einfach weiter zu gehen. Er hob schnell die Hand als wolle er anklopfen, als die Igorina ihn schließlich wahrnahm. Sie zog einen Schrankkoffer hinter sich her und er ahnte was beziehungsweise wer sich darin befand. Rach machte schnell Platz als er ihren Blick sah und dachte an die schmerzvolle Begegnung mit ihrer Faust. Die Igorina ging wortlos an ihm vorbei und stellte den Koffer im Flur ab, ehe sie sich wieder zu ihm drehte nur um die Tür zu schließen. Sie baute sich vor ihm auf und er trat vorsichtshalber einen Schritt zurück.
»Wer bift du?«
Der falsche Page versuchte die Situation einzuschätzen. Die Igorina sah nicht so aus als würde sie ihn ohne Antworten davon kommen lassen und er seufzte leise.
»Mein Name ist Rach Flanellfuß«, sagte er ohne weiter zu zögern. »Und das hier wollte ich eigentlich vermeiden.«
Sie sah ihn irritiert an bis er schließlich auf den Koffer deutete.
»Für wen arbeitest du?«, zischte Rogi und kam auf ihn zu.
»Können wir woanders darüber reden?«, sagte er und er machte eine wage Handbewegung in Richtung Eingang zur Suite.
Mit ihr zu sprechen konnte sicher nicht schaden oder zumindest hoffte er, dass sich die Situation sich nicht verschlimmerte, allerdings war er nicht so dumm, dies in direkter Nähe der Vampirin in Betracht zu ziehen. Rogi sah ihn einen Augenblick nachdenklich an bevor sie sich den Koffer schnappte und los marschierte.
»Komm mit«, sagte sie und er suchte schnell Anschluss, solange sie noch so kooperativ war.

Er hatte immer noch leichte Kopfschmerzen nach der Kopfnuss der Igorina, doch die Wunde blutete nur noch vereinzelt und nachdem er sich vorsichtig gewaschen hatte, war die Schramme kleiner ausgefallen als gedacht. Es würde über seiner rechten Augenbraue keine Narbe zurück bleiben. Philipp strich einem der Pferde über die Flanke und überprüfte noch einmal die Spanngurte, ehe er die Ställe verließ und über den Hof zurück in das Foyer kam. Die Stallburschen denen er auf dem Weg begegnete traten respektvoll beiseite, dabei war er selbst nur ein einfacher Diener, allerdings war man als Gast des Park Weg Hotels nie einfach nur ein Angestellter. Der Kutscher kam sich vor wie ein Lord und fühlte sich nicht sonderlich wohl bei dem Gedanken. Umso mehr achtete er darauf, alles was mit der Kutsche zu tun hatte nicht den Hotelangestellten zu überlassen. Als er den Eingangsbereich betrat, kam ihm zu seiner Überraschung die Igorina entgegen und er blieb wie angewurzelt stehen. Sie trug einen Koffer Ihrer Majestät und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie ihn mit Ayamis Einverständnis an sich genommen hatte.
»Halt!«, sagte er schließlich und stellte sich ihr in den Weg. »Was hast du vor?«
Die Igorina stellte den Koffer ab und sah kurz hinter sich als erwarte sie noch jemanden, allerdings war sonst niemand im Gang zu sehen. Sie wandte sich ihm zu und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Geh lieber zu Ayami bevor ich ef mir anders überlege und da weiter mache wo ich aufgehört habe.«
Der Kutscher blieb regungslos stehen und überdachte seine Möglichkeiten, doch die gesamte Situation gefiel ihm ganz und gar nicht. Ayami war mit dieser Irren alleine gewesen und bisher hatte er nichts von Hoheit gehört. Normalerweise rief sie ihn mittels Gedanken und er war es so gewohnt sie in seinem Kopf zu hören, dass es inzwischen beängstigend ruhig war, allerdings hatte er Ayami auch noch nie so entkräftet erlebt.
»Ist die Kutsche fertig?«, fragte sie und riss ihn aus den Gedanken.
»Die Kutsche?«, sagte er und sah sie fragend an. »Ich werde dich sicher nirgendwo hinbringen.«
»Nicht nötig. Ich lenke felbft.«
»Was bildest du dir ein...«
Lass sie gehen, Philipp
Ayamis Worte unterbrachen ihn und er sah die Igorina vor sich unschlüssig an. Sie schien zu jeder Art der Konfrontation bereit, dennoch protestierte alles in ihm und er atmete tief durch.
»Morgen Früh ist alles wieder an seinen Platz!«, sagte er bestimmt und zu seiner Überraschung nickte sie ihm zu.
»Einverftanden.«

Sie saßen zu dritt an einem kleinen runden Tisch in der Taverne zum alten Herzog und Hendrik erzählte seinem Bruder die ganze Geschichte. Michael hörte ruhig zu und stellte keine Zwischenfragen, doch Magane konnte sehen wie es in ihm brodelte und als der Totengräber fertig war brach es aus ihm heraus.
»Ihr zwei seid völlig verrückt!«
Sie beobachtete wie er den Bierkrug in einem Zug leerte und mit dem letzten Schluck forderte er den Wirt mit einer Handbewegung auf ihm das selbe noch mal zu bringen. Magane hatte Verständnis für seine Reaktion. Die ganze Geschichte am Stück klang tatsächlich verrückt und war es gewissermaßen auch.
»Tut mir leid«, sagte der Totengräber. »Aber ich hab Rogi viel zu verdanken und...«
»Was tut dir leid?«, unterbrach Michael seinen Bruder. »Dass du mir nichts gesagt hast? Dass ich meinen Job verliere? Was glaubst du, wie soll das noch weiter gehen?«
Hendrik sah Hilfe suchend zu ihr und die Wächterin räusperte sich leicht.
»Ok, ich verstehe dich durchaus, aber wir können auch nichts dafür, dass du da mit rein gezogen wurdest«, versuchte sie etwas zu schlichten.
»Wie hieß der Kerl dem ich das zu verdanken habe noch mal?«, fragte er und knirschte mit den Zähnen.
»Rach Flanellfuß und ich glaube, ohne ihn hätten wir noch mehr Ärger an der Backe«, antwortete sie ruhig.
»Wie verdammt, soll das noch möglich sein?«
»Wir könnten tot sein. Du könntest tot sein«, erwiderte sie gereizt und Michael sah zu seinem Bruder, der leicht nickte.
Michael brummte genervt und raufte sich die Haare. Der Page atmete noch einmal tief durch und der Wirt brachte ihm sein bestelltes Bier, das er ebenso schnell leerte wie das erste. In Gedanken fürchtete sie schon, dass das Geld, das sie dem Wirt hingelegt hatte, der eigentlich schon als sie kamen am aufräumen war, nicht reichen könnte.
»Das kann doch alles nicht wahr sein«, sagte Michael verzweifelt und legte seine Stirn auf der Tischplatte ab.
»Noch ist die Nacht nicht vorbei und Rach will sicher seine Sachen zurück.«
Sie hatte den Satz kaum beendet, da schnellte der Kopf des Pagen schon wieder nach oben.
»Ich soll hier sitzen bleiben und Däumchen drehen?«
»Michael, bitte, wir kriegen das schon wieder hin. Egal was passiert«, sagte nun Hendrik, doch sie hörte nicht mehr richtig zu.
Ihr Blick hatte sich auf das Fenster gerichtet, an das sie sich extra gesetzt hatte um auf die Straße blicken zu können. Draußen sah sie im Schein einer Laterne die Umrisse einer Kutsche. Natürlich waren mitten der Nacht die Straßen Ankh-Morporks nicht leer, doch meistens handelte es sich um einfache Passanten, Eselskarren oder die ein oder andere kleine Droschke.
»Ayamis Kutsche«, sagte sie und dachte dabei laut.
Die beiden Männer sahen sie verwirrt an während sie schon ihre noch immer nasse Jacke beim Ofen schnappte und die Taverne verließ. Die Brüder folgten ihr kurz auf, während sie der Kutsche entgegen trat. Auf dem Kutschbock erkannte sie zwei Gestalten eine davon hatte einen Regenschirm aufgespannt, doch soweit sie das beurteilen konnte, hatte keiner der beiden die Statur von Ayamis Kutscher.
Hatte sie sich geirrt?
Sie wurde etwas langsamer und blieb bei einer Laterne stehen.
»Was soll das werden?«, fragte Hendrik neben ihr und wollte sie weg zerren.
»Lass uns gehen!«, mischte sich nun auch der Page ein.
Sie schüttelte ihn ab und konzentrierte sich weiter auf die Kutsche. Innen war sie nicht beleuchtet, doch das war für eine Vampirin auch nicht nötig. Ihr Herz schlug automatisch schneller und sie musste sich selbst beruhigen. Wenn Ayami dort drinnen war, würde sie nicht mehr hungrig sein. Das Gespann wurde langsamer und hielt direkt neben ihr an, was Hendrik und seinen Bruder veranlasste in die Dunkelheit zurück zu weichen.
»Guten Abend, Madame«, sagte die Stimme von Rach Flanellfuß vom Kutschbock aus. »Braucht ihr vielleicht eine Mitfahrgelegenheit?«

Dieses Büro hatte immer etwas Vertrautes, allerdings war er im seltensten Fall gerne hier. Dieses Mal kam er sich wieder vor wie ein kleiner Schuljunge, der zur Strafe zum Direktor musste und Rach musste damals oft zum Schulleiter. Der Patrizier beachtete ihn wie so oft erst nach einigen Minuten und er war geübt darin, diese Zeit geduldig zu überbrücken. Drumknott stand neben seiner Lordschaft und nahm die unterzeichneten Dokumente entgegen. Gerade verließ das dreizehnte Papier den Schreibtisch in die Hände des Sekretärs und Rach nahm Haltung an als die Augen des Patriziers sich auf ihn richteten.
»Was gibt es neues von Ayami?«
»Sie ist definitiv für dieses Unwetter verantwortlich, Herr.«
Havelock winkte ab und lehnte sich etwas zurück.
»Sie wird es abstreiten. Wozu dieser Aufwand für eine Igorina?«
»Ich konnte leider nur erfahren, dass es um eine Substanz ging, die sie pe bază de plante de sânge nannte. Etwas das auch unter Igors ein streng gehütetes Geheimnis zu sein scheint.«
»Kräuterblut?«, fragte seine Lordschaft prompt und bewies damit mehr Sprachgeschick, als er selbst.
Der dunkle Sekretär nickte.
»Interessant.«, der Patrizier faltete die Hände ineinander, bis auf die Fingerspitzen, die er zusammenlegte und nachdenklich gegen seinen Mund tippte. Dabei sah er zu dem Klonk-Spiel, das auf einem separaten Tisch stand und Rach folgte dem Blick. Jeder wusste mit wem er dieses Spiel regelmäßig bestritt – Lady Margolotta. »Und diese Igorina kennt das Geheimnis?«
»Ich habe dafür leider keine Bestätigung, doch davon ist auszugehen.«
Havelock zog eine Braue in die Höhe und Rach spannte sich an. Vermutungen konnte seine Lordschaft nicht ausstehen, doch früher oder später würde die Information eintreffen, die etwas bestätigte oder widerlegte. So lange war man den Launen des Patriziers ausgesetzt.
»Sonst hast du nichts dazu zu sagen?«
»Ayami hat keine weiteren Pläne mit der Igorina, zumindest keine offensichtlichen und Rogi Feinstich hat klar gemacht, dass sie ihre eigenen Pläne verfolgt.«
»Wird sie zur Wache zurückkehren?«, fragte Havelock und Rach verneinte mit einem einem kurzem Kopfschütteln. »Was ist mit den Personen, die mit in die Sache verwickelt waren.«
»Jeder von ihnen wird die Ereignisse für sich zu behalten. Die Brüder Hendrik und Michael Lemm sind froh, das Ganze ohne Konsequenzen überstanden zu haben. Die Wächterin scheint mit der Situation allerdings nicht zufrieden, doch alle haben sie Rogis Entscheidung respektiert.«
»Gut.«, sagte seine Lordschaft nach einer kurzen nachdenklichen Pause. »Du wirst die Igorina weiter beobachten.«
Der dunkle Sekretär nickte kurz. Er hatte nichts anderes erwartet und wartete nur noch darauf, dass seine Lordschaft ihn entließ, allerdings legte der Patrizier seine Fingerspitzen zusammen und diese so typische Geste war alles andere als ein Abschiedsgruß.
»Und hast du deine Wette gewonnen?«
Rach seufzte innerlich und streckte den Rücken durch, bevor er antwortete.
»Nein, Herr.«
»Das sollte dir zu denken geben.«
Dass seine Leidenschaft für das Glücksspiel wieder einmal zum Thema wurde hatte er kommen sehen, doch ausgerechnet bei dieser Wette war es ihm unangenehm. Es ging immerhin um eine Angelegenheit, die privater war als die sonstigen diplomatischen Korrespondenzen des Patriziers.
»Ich konnte der Quote von sechs einfach nicht widerstehen.«
»Ein sechsfacher Gewinn bedeutet eine Wahrscheinlichkeit von 16,67% und dabei habe ich nicht mal die Gebühr des Buchmachers miteinbezogen. Hast du wirklich geglaubt sie antwortet kurz vor Sonnenaufgang?«
Er antwortete nicht darauf und zuckte nur kurz mit den Schultern. Es war eine Wette, da spielte es keine Rolle was er glaubte, sondern nur welcher Einsatz sich lohnte.
»Drumknott, wie viel zahle ich meinen Mitarbeiten unserer speziellen Abteilung.«
»Etwa zweihundert Dollar im Monat, Herr«, antwortete der erste Sekretär prompt, dabei war die Buchhaltung eine der wenigen Aufgaben, die nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. «Je nach Auftrag und Zuschlag abzüglich Spesen mal mehr mal weniger.«
»Und wie viel verwettet unser Herr Flanellfuß?«
»Die Hälfte, Herr.«
»Bemerkenswert, findest du nicht auch?«
Bei den Worten sah der Patrizier ihn wieder direkt an und er sank leicht in den Stuhl.
So genau hatte er sich das nie ausgerechnet.

Sie hatte lange genug das Anwesen beobachtet und es war allmählich an der Zeit, ihren Plan umzusetzen. Sie spannte ihre Muskeln an und neigte ihren Kopf von einer Seite zur anderen, dass ihre Wirbel dabei knackten. Rogi zog die Kapuze ihres Umhangs tiefer ins Gesicht und schritt auf das Haus zu. Sie hatte über einen Monat damit verbracht, allein die Routinen der Hausbewohner auszukundschaften, doch dies würde ihr alles nichts nützen, wenn der junge Igor ihr nicht helfen würde.
Hoffentlich erinnerte er sich noch an ihre Abmachung.
Die Igorina hatte ihn vor ein paar Tagen bei seinen Besorgungen abgefangen und er war sichtlich überrascht sie zu sehen. Dass sie offiziell unter den Toten weilte hatte sich schnell in der Familie herum gesprochen, doch das Thema wurde schnell von dem kurz darauf folgenden Gewitter abgelöst. Kein Igor hatte es kommen sehen und die wildesten Spekulationen waren im Umlauf wie es dazu gekommen war. Die Zauberer wiesen jede Schuld von sich und auch jeder Vampir in der Stadt der dazu in der Lage wäre stritt ab, etwas damit zu tun zu haben. Das war jedoch nicht verwunderlich, schließlich hatte das Gewitter beträchtliche Schäden an Häusern angerichtet, die bezahlt werden mussten und wie so oft in solchen Fällen suchte man nach einem Sündenbock. Selbst der Igor-Clan blieb nicht verschont von Anschuldigungen und Rogi musste anerkennen, dass Ayami das Ganze durchaus geschickt eingefädelt hatte. Die Vampirin hielt sich bisher noch immer im Verborgenen und kaum wer wusste von ihrer Anwesenheit in der Stadt. Lord Vetinari war sicherlich im Bilde, doch er würde nicht in aller Öffentlichkeit seine Urahnin angreifen. Letztlich profitierten die Götter von dem Aufruhr, denn der Sturm konnte nur noch einer ihrer Launen zugeschoben werden, was viele dazu veranlasste, wieder einen Tempel von innen zu betrachten. Rogi blieb in Gedanken vor der Tür des Dienstboteneinganges stehen und tastete nach Pflock und Hammer, bevor sie ihr Hand zum Klopfen hob. Wie vereinbart öffnete sich die Tür ehe ihre Knöchel das massive Holz berührten.
»Fnell komm rein! Igor ift noch nicht lange weg.«
Sie nickte ihm wissend zu und schritt durch den Eingang. Sie hatte genau beobachtet wie der Alte das Haus verlassen hatte und sich nur noch vergewissert, dass er außer Reichweite war, bevor sie sich dem Anwesen genähert hatte.
»Waf ist mit Igorina?«, fragte sie und strich ihre Kapuze zurück.
Er schaute verlegen zu Boden und war in ihrer Gegenwart sichtlich aufgeregt.
»Fie kocht für die Fpender def Haufef.«
Sie knurrte regelrecht bei seinen Worten und der Gedanke den ganzen Clan auszulöschen rückte wieder in ihren Fokus. Natürlich hatten Vampire Bedürfnisse und es gab sicher Vereinbarungen mit denen sowohl Blutsauger als auch Menschen leben konnten, allerdings fand sie keine davon erstrebenswert. Sie musste wieder an den Kutscher denken und wie Ayami ihn in Schutz nahm. Im Ascher-Clan konnte sie sich nichts gleichwertiges vorstellen und so wie Parsival Ophelia beeinflusst hatte so ging es sicher den meisten im Haus. Sie schüttelte sich voller Ekel und besann sich wieder auf ihr Vorhaben. Sie war wegen Parsival hier und sonst niemandem. So sehr es sie auch in den Fingern juckte. Es war zu riskant sich gleich acht Vampire vorzunehmen.
»Bring mich zu ihm.«
Er zögerte einen Moment, doch er war einer der wenigen, die ihren Ruf nicht verachteten, was ihr zwar einen Vorteil brachte, jedoch ebenso unangenehm war.
»Entfuldige, hier entlang«, sagte er und griff nach einen Kerzenleuchter. »Ich habe nur wie du weift, mehr alf einen Fehltritt begangen, alf ich damalf die Wache rief.«
»Ich will dich nicht in Fwierigkeiten bringen, Igor.«
»Danke, aber daf habe ich mir felber fufufreiben«, antwortete er nur und führte sie eine Treppe hinunter.
Sie biss die Zähne zusammen und schwieg. Er war wirklich nicht zu beneiden und es tat ihr leid, dass sie ihn so bedrängt hatte, doch ohne ihn wäre sie noch immer am überlegen, wie sie das Anwesen unbemerkt betreten sollte.
Der Igor blieb vor einer Tür stehen und vergewisserte sich, dass sie nicht beobachtet wurden, bevor er sie öffnete. Sie betraten ein Büro, das mit falschen Fenstern ausgestattet war und ihre Instinkte sagten ihr, dass sich hier ein geheimer Zugang zu einem weiteren Raum befand. Die Attrappen der Fenster in einen innen gelegenen Raum mochten für Parsival vermutlich ein Stück Normalität bringen oder eventuellen Besuchern etwas vorspielen, allerdings empfand sie es gewissermaßen etwas verrückt. Etwas, das durchaus für Parsival als Meister sprach, doch das war die einzig positive Eigenschaft die sie an ihm fand. Der Igor trat hinter den wuchtigen Schreibtisch und zog die Vorhänge beiseite. Die nun sichtbare Steintür glitt beiseite und der Igor drückte das bodentiefe Fenster nach innen. Sie ging auf den geheimen Durchgang zu und nahm den Kerzenleuchter von ihm entgegen, bevor sie in die Dunkelheit hinab stieg. Er folgte ihr zu ihrer Verwunderung in kurzem Abstand. Die Wände des Raums waren mit Waffen verschiedener Jahrhunderte bestückt und sie fragte sich ob eine Sammelleidenschaft dahinter steckte oder doch ein fairer Sportsgeist, wie ihr Onkel sagen würde. Das Schlafgemach war eindrucksvoll ausgestattet und das große Himmelbett nahm einen Großteil davon ein. Ein Bett statt eines Sargs war etwas, das der Vampir mit Ayami gemeinsam hatte, und allein dieser Vergleich würde ihrer ehemalige Herrn sicherlich ein abfälliges Schnauben abringen, wenn sie davon wüsste. Im Bett befand sich wie der Igor berichtet hatte niemand, doch sie konnte es noch immer nicht glauben. Am Fußende stand eine kleine Säule auf der eine Urne platziert worden war und Rogi trat etwas näher heran, während der Igor am Ende der Treppe stehen blieb.
»Wie ist ef dafu gekommen, Igor?«
»Ich weif nicht genau. Irgendetwaf ift paffiert und die Herfogin von Lomond hat die Gelegenheit genutft um ihn fu befeitigen.«
»Katharina Ascher richtig?«, fragte sie und er nickte zustimmend. »Fie ist jetft also daf Clansoberhaupt?«
Ein weiteres Nicken und sie atmete tief durch.
Sie stellte den Kerzenständer auf dem Boden ab und nahm einen Beutel aus ihrer Tasche. Sie musste die Asche nur umfüllen, doch sie hielt in der Bewegung inne. Das war zu leicht und der Gedanke mit seinen Überresten einfach hinaus zu spazieren hinterließ einen bitteren Beigeschmack. Sie packte entschlossen die Urne und entleerte dessen Inhalt auf den Boden. Die Igorina sah sich in dem Raum um und griff nach einem der Dolche an der Wand. Als dem Igor bewusst wurde was sie vor hatte, kam er schnell auf sie zu.
»Bitte nicht, daf ift Wahnfinn!«
»Tut mir leid, aber ich muff mit ihm reden bevor ich es fu Ende bringe.«
»Aber daf muff doch nicht hier und jetft fein!«, flehte er sie an.
»Wo sonst«, entgegnete sie, «Es ift Tag. Keiner wird ihn hier unten hören und selbst wenn, feine werte Verwandtschaft wird jetft keinen Finger für ihn rühren oder irre ich mich?«
Igor seufzte und ließ die Schultern hängen. Natürlich war es riskant, schließlich hatte Parsival Ascher hier gewissermaßen einen Heimvorteil, doch ihn einfach zu beseitigen war keinesfalls zufrieden stellend.
»Du follteft besser gehen«, sagte sie und er sah sie voller Furcht an, während sie die Kapuze tief in das Gesicht zog.
Er wandte sich schweigend von ihr ab und ging die Treppe nach oben, doch der stille Vorwurf blieb zurück. Sie schob ihre Schuldgefühle ihm gegenüber beiseite und betrachtete den Haufen Asche zu ihren Füßen. Rogi umschloss den Dolch fester und stach sich in den kleinen Finger. Das Blut quoll langsam hervor und ein kleiner Tropfen bildete sich auf der Haut. Sie strich mit dem Dolch die Hälfte davon ab und führte den verletzen Finger an ihre Lippen. Sie lutschte das restliche Blut mit einem schmatzenden Geräusch von der Fingerkuppe und führte die Spitze des Dolches an die Überreste des Vampirs.
Die Asche wirbelte auf und schraubte sich langsam in die Höhe. Die Konturen eines Mannes wurden sichtbar und immer mehr Details bauten sich auf bis Parsival Ascher zum Vorschein kam. Sie hatte gerade genug Blut verwendet um ihn zurück zu holen und er hatte Mühe sich auf den Beinen zu halten.
»Igor, du Narr, das war nicht genug!«, sagte er voller Wut und im vollen Vertrauen, dass ihm in seinen Gemächern keine Gefahr drohte. »Bring sofort Susanne zu mir.«
Bei der Selbstverständlichkeit, mit der er nach seiner Spenderin verlangte, drehte sich ihr der Magen um und ihre Hand schloss sich fester um den Griff der Waffe.
»Halt den Mund!«
Die Worte presste sie regelrecht zwischen ihren Zähnen hervor und die Igorina richtete den Dolch wie einen verlängerten Finger auf ihn. Er sah verwundert zu ihr auf und nahm die Igorina erst jetzt richtig wahr, doch sein Augenmerk lag vor allem auf der Waffe in ihrer Hand.
»Was soll das werden?«, fragte er neugierig und ein Lächeln umspielte seine Lippen, das sie ihm am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte.
»Liebst du sie wirklich?«, sagte sie und er sah sie nur verständnislos an. »Ophelia Ziegenberger, liebst du sie?«
Sein Lächeln erstarb augenblicklich und seine Miene verfinsterte sich.
»Mit wem habe ich das Vergnügen
Seine Stimme schlug von freundlich zu frostig um und Rogi seufzte innerlich. Natürlich ging er nicht auf sie ein und sie schlug energisch die Kapuze zurück.
»Igorina?«, fragte er irritiert und wich zurück. »Nein, du bist tot!«
»Antworte!«
Eigentlich war es ihr egal, welche Gefühle er für Ophelia hegte. In ihren Augen musste er so oder so sterben und sie ging auf ihn zu.
»Schluss mit dem Unsinn!«
Sein gebieterischer Tonfall beeindruckte sie nicht im geringsten, doch er ließ sich ebenso wenig von ihr einschüchtern. Im Gegenteil! Er wähnte sich weiterhin in Sicherheit, trotz seines geschwächten Zustandes und sie verlor allmählich die Geduld.
»Du wirst niemandem mehr falsche Gefühle aufzwingen!«
Der Dolch berührte nun fast seine Brust und das Lächeln kehrte wieder in sein Gesicht zurück.
»Manus refelli!«
Die Igorina zog die Brauen in die Höhe, als ein Prickeln ihren Arm durchfuhr. Die Waffe entwickelte in ihrer Hand ein Eigenleben und die Spitze neigte sich ihr entgegen und zwang ihren Arm seiner natürlichen Bewegung folgend, sich gegen sie zu wenden. Es ging so schnell, dass sie nur mit Entsetzen beobachten konnte, wie die Klinge durch ihr Fleisch drang und der Schmerz ihr die Kehle zuschnürte. Ihre Hand löste sich von dem mit Leder umwickelten Griff und sie sah ungläubig von dem Blut auf ihrer Haut zu dem Dolch, der sich durch die latatianischen Worte gegen sie gerichtet hatte.
»Diese Waffen sind alles Antiquitäten und allesamt tödlich für einen Vampir. Meine Sammlung ist meine Leidenschaft und du greift ausgerechnet zu diesem guten Stück!« Parsival lachte herzhaft während sie noch immer auf den Griff starrte der aus ihrem Bauch ragte. »Herrlich. Ich bin dir wirklich zu Dank verpflichtet.«
Er trat an sie heran und packte die blutverschmierte Hand. Er sog den Duft ihres Blutes genüsslich ein bevor er es von der Handfläche leckte und sie war außerstande es zu verhindern.
»Oh, Igorina«, sagte er wieder freundlich und griff dabei zu dem Dolch. »Du wirst Ophelia zu mir zurück bringen!«
»Niemals!«, brachte sie gepresst hervor und langte ebenfalls schnell nach der Waffe. Sie bekam die kleine Parierstange zu fassen, doch das hinderte ihn nicht daran die Klinge zu neigen um ihr weiteren Schmerz hinzuzufügen.
»Wenn das so ist, lässt du mir keine Wahl.«
Parsival wollte den Dolch aus ihr herausziehen, doch das durfte sie unter keinen Umständen zulassen. Sie würde nicht durch seine Hand sterben. Sie hielt mit aller Kraft dagegen und ging schwer atmend in die Knie, während sich die zu vertraute Kälte in ihr ausbreitete. Der Vampir gab es zu ihrer Erleichterung auf ihr die Waffe zu entreißen, doch in diesem Raum hatte er schnell eine andere gefunden, die ihren Zweck ebenso erfüllte. Sie nutzte die kurze Verschnaufpause und tastete nach dem Pflock, der hinter ihrem Rücken verborgen am Gürtel befestigt war.
»Warum stellst du dich überhaupt zwischen unsere Liebe?«, fragte er unschuldig und kam wieder auf sie zu. »Sie wäre glücklich hier bei mir.«
Seine Worte waren so absurd und lächerlich, dass sie am liebsten gelacht hätte, doch sie war dazu weder in der Lage noch hatte sie die Kraft dazu. Er glaube wirklich was er von sich gab und das machte ihn für sein Umfeld nur gefährlicher. Mit dieser Gewissheit stand sie langsam wieder auf, während er auf sie zu schritt in der festen Absicht, ihrem Leben ein Ende zu setzen, und sie spannte ihren Körper an.
»Leb wohl, Igorina.«
Er holte mit einer langen gebogenen Klinge aus, doch sie ließ sich nach vorne fallen und nutze die Bewegung um den Pflock direkt in sein Herz zu stoßen.
»Ich heiße Rogi Feinstich!«
Er sah sie einen kurzen Augenblick ungläubig an und ihr gefiel der ängstliche Ausdruck in seinem Gesicht. Gerne hätte sie den Moment länger ausgekostet, doch das Naturell des Vampirs gab nach und seine Konturen verschwammen wieder zu Asche. Sie taumelte ein paar Schritte, als der Halt seines Körpers sich verflüchtigte und stürzte dem Boden entgegen. Sie rollte sich auf die Seite und blieb in ihrer gekrümmten Haltung liegen. Der Geschmack von Asche breitete sich in ihrem Mund aus und sie versuchte sich aufzurichten, rutschte jedoch mit der Hand weg. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr war bewusst, dass dies kein gutes Zeichen war. Sie schloss ihre Augen und erwiderte die kalte Umarmung, doch eine Stimme drang an ihr Ohr. Ihr Körper wurde hoch gehoben und der Schmerz durchzuckte sie wieder. Rogi blinzelte und streckte ihr Hand dem Gesicht entgegen, das sie erkannte.
»Roger?«, hauchte sie und strich dem Igor über die Wange.
Nein, er war tot. Es war der junge Igor der sie hielt und diesmal hörte sie seine Worte.
»Halte durch, Rogi.«, sagte er und etwas wurde ihr in den Mund geschoben.
Sie blinzelte ein weiteres mal und Rach Flanellfuß trat in ihr Blickfeld.
»Man kann dich keine Sekunde aus den Augen lassen.«

Die Nachricht hatte sie mehr als unerwartet ereilt und sie hatte das Wachhaus sofort verlassen. Es waren mehrere Wochen vergangen in denen es kein Lebenszeichen von der eingeschworenen Gemeinschaft gab und dann das. Magane sprintete den ganzen Weg bis zur Blutgasse und blieb nicht mal stehen, als ein Igor ihr die Tür aufhielt. Er folgte ihr, doch sie hatte nur das Dachgeschoss vor Augen und blieb wie angewurzelt stehen, als sie den Labortisch umrundet hatte. Rogi stand vor ihr und hielt sich an einer der Ketten fest und die Wächterin hatte ein kleines Déjà-vu, als sie an Roger dachte, doch was sie entsetzte war der Griff einer Waffe, der aus dem Bauch der Igorina ragte. Der Igor, den sie nun zum ersten Mal richtig wahrnahm, trat an Rogis Seite um sie zu stützen und im Hintergrund war Rach Flanellfuß dabei, das Operationsbesteck auf einem kleinen Klapptisch aufzureihen. Sie unterdrückte ihr Verlangen, zu fragen was passiert war, und trat an Rogi heran, die sich mit Hilfe des Igors auf die Holzplattform hievte.
»Du mufft operieren«, sagte die Igorina, als hätte sie ihre Gedanken erraten und Magane schaute Hilfe suchend zum Igor. »Er hat nicht die nötige Ausbildung.«
»Ich werde affiftieren fo gut ich kann«, versicherte er sofort und sie betrachtete wieder die Igorina.
Die Situation war so befremdlich, dass ihr nur am Rande dämmerte, dass Rogi wieder Morporkianisch sprach, doch der überwaldische Akzent machte klar, dass die Igorina es mühsam erlernt hatte.
»Soll nicht lieber jemand...«, sagte sie verunsichert. »Das Gratis Hospital ist nicht weit.«
»Nein«, antwortete die Igorina sofort. »Ich werde dich anleiten.«
Sie atmete tief durch, während Rogi sich hinlegte. Als Gerichtsmedizinerin war sie natürlich nicht gänzlich unerfahren, doch jemanden lebendiges aufzuschneiden gehörte wirklich nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Sie trat auf die andere Seite der Plattform, wo das Operationsbesteck inzwischen bereit stand, während Rach sich an das Kopfende stellte. Das Vertrauen, das Rogi in sie setzte, machte sie etwas nervös und sie mochte gar nicht daran denken, dass etwas schief gehen könnte.
»Ok, was soll ich tun, Rogi?«
»Die Klinge kann erft entfernt werden, wenn du den Magen freigelegt hast.«
Das hatte sie befürchtet und ihr eigener Magen rebellierte bei dem Gedanken. Bauchwunden waren oftmals gefährlichere Verletzungen als man im allgemeinen annahm. Magane nahm das Skalpell zur Hand, während der Igor mit einer Schere das Operationsfeld frei legte.
»Keine Betäubung?«, fragte sie zögerlich und das Skalpell verharrte über der Bauchdecke.
Die Igorina verneinte und die Wächterin atmete ein weiteres mal tief durch, bevor sie die Wunde des Dolches zu beiden Seiten verlängerte. Blut quoll hervor und machte der Gerichtsmedizinerin deutlich, dass es sich hier nicht um eine Leiche handelte. Rogi gab keinen Laut von sich, sondern biss nur die Zähne zusammen, wenn es jedoch von Nöten war, gab die Igorina sofort die nächste Anweisung. Magane kämpfte mit ihrer Übelkeit, doch die Unterweisungen der ehemaligen Sanitäterin halfen ihr sich weiter zu konzentrieren. Erst als der Magen entnommen und keine direkte Gefahr mehr für den Blutkreislauf darstellte fiel die Anspannung der Igorina deutlich ab. Der Igor bekam die Aufgabe die Klinge zu entfernen und Magane beeilte sich die Wunden zu vernähen. Bei einer Obduktion war es nie nötig die Nähte zu überlappen und umso angespannter war sie nun, dass hier alles von einer sauberen Naht abhing. Rogi begutachtete ihr Werk mithilfe eines Handspiegels genau und Magane legte Nadel und Klammer erleichtert beiseite um wieder etwas Gefühl in ihre Finger zu pumpen. Der Igor übernahm das zurücklegen des Organs und sie lies kurz den Kopf kreisen.
»Ich glaube ab jetzt kommft du ohne mich zurecht«, sagte die Igorina plötzlich zu ihr und schloss die Augen.
Sie beobachtete entsetzt wie Rogi das Bewusstsein verlor und ihr Körper spannte sich sofort wieder an.
»Keine Sorge ihr Puls ist immer noch normal«, sagte Rach Flanellfuß, den sie beinahe vergessen hatte so unauffällig hatte er der Operation beigewohnt.
Sie nickte ihm nur zu und setzte ihre Arbeit fort. Jetzt wo es nur noch darum ging die Wunde zu verschließen fühlte sie sich sicherer. Als sie mit Hilfe des Igors auch einen Verband angelegt hatte, betrachtete sie den Dolch näher und lies ihrer Neugier freien Lauf.
»Was ist passiert?«
Der Igor druckste deutlich um das Thema herum, doch Rach Flanellfuß berichtete was er wusste und schließlich fügte der Igor auch das ein oder andere Detail hinzu.
»Und Parsival Ascher ist...?«
»Hier«, sagte der Igor und hob dabei einen Lederbeutel an. »Rogi würde mir ficher den Kopf abreifen, wenn ich ihn nicht mitgenommen hätte.«
»Und jetzt was hat sie vor, wenn das hier ausgestanden ist?«
Keiner der beiden antwortete sondern alle Blicke richteten sich auf Rogi, die sich leicht aufgerichtet hatte und nun den Verband abtastete.
»Ich gehe nach Haufe.«

ENDE

[1] Zugegeben sie waren nicht auf einer Höhe. Das waren sie bei Igors im seltensten Fall. Gehen wir einfach von dem Mittelwert aus.

[2] Es war auch nicht nur seine, sondern auch die von Herrn Immertreu, Herrn Mümmelstein, Herrn Petzold und sogar von Frau Petzold[4]

[3] Man könnte meinen, dass dies an den Geistern lag, doch die waren wie schon gesagt sehr gut erzogen. In dem Fall waren eher die Gäste das Problem. Wer Nachts das Hotel aufsuchte gehörte entweder einer Personenschicht an die es vorzug, Nachts zu arbeiten oder eine Spezies die sich am Tag nicht wohl fühlte. Ganz zu schweigen von den Näherinnen, die sich so manch reicher Hotelgast bestellte.

[4] Tragisches Familienunglück




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Feedback:

Von Braggasch Goldwart

02.6.2013

Da ich ja glücklicherweise bei der Entstehung mit dabei sein durfte, kann ich ohne Zweifel behaupten: Ein wundervolles Werk! Jede Kritik, die ich hatte, hatte ich brereits angebracht. ;)

Von Ophelia Ziegenberger

21.5.2013

Sowohl das allmähliche Werden der Single, als auch das endgültige Resultat, haben mir viel Vergnügen bereitet. Die (Beinahe-) Sterbensrate einer gewissen Igorina war mir zwar etwas hoch gegriffen aber ich ließ mich gerne mit jeder Menge Ayami und Rach darüber hinweg trösten. ;-) Logischerweise hatte ich ein besonderes Augenmerk auf all die kleinen Bezüge, die Du zu Ophelia eingeflochten hast und ich habe an keinem davon etwas auszusetzen. Ich bin hochgradig gespannt, was aus den achsoverachtenswerten Rachüberresten werden wird oder wie Rogis Charakter sich noch entwickeln wird, jetzt, wo sie eine gewisse, brachiale Art von Selbständigkeit entdeckt hat. ;-) Husch-husch! Schreib schnell weiter! ^^

Von Rabbe Schraubenndrehr

10.6.2013

„Danach kannst du machen was du willst, lass dich nur nicht erwischen“

Dieser Satz (kann sein das er etwas anders war, aber sinngemäß halt) war die erste von wenigen Szenen innerhalb der Geschichte bei denen ich wirklich grinsen musste. Im weiteren gehe ich jetzt einfach mal kurz auf dinge ein die mir besodners auffielen, zurückblieben, o.ä

Die Beerdigung ist schön detailliert geschildert, ich fragte mich lange bevor diese singe erschien schon, wie genau das wachig abläuft, gleiches gilt für die obduktionsszene, war beides äußerst interessant zu lesen. Dann das Verhältnis zwischen Ayami und ihrem Kutscher - Ich finde, es ist sehr schön dargestellt. Glaubhaft und sehr eigenartig zugleich, aber sehr schön. ^^
Die Szene als Roger die tote Rogi umarmt und mit ihr zu Boden stürzt fand ich einfach nur unheimlich traurig. Man kann sehr gut verstehen wie er sich fühlt, und der Kerl kann einem echt Leid tun.
Rachs involvierung in die Beschattung Ayamis und Rogers zu lesen war irgendwie lustig – seine Sicht auf die Dinge ist sehr interessant und immerhin erfährt man so auch noch einmal etwas mehr über ihn selbst. Gerade dass er dem Totengräber seinen richtigen Namen gesagt hat fand ich besonders toll, einfach herrlich zu lesen.
Der Moment der Wiederbelebung wirkte unspektakulär. Es war durchaus alles gut verständlich und nachvollziehbar, von dem technischen Vorgang zu den reaktionen der beteiligten, aber irgendwie wirkte es.. nun.. zu einfach? Eigenartig? Ich weiß es nicht, irgendetwas störte mich beim lesen was ich nicht näher beschreiben kann. Ist aber wahrscheinlich nur mein subjektives empfinden dazu.
Der kleine Showdown bei Aschers war nett zu lesen, die Stelle als Rogi zusammenklappt und kurz glaubt, roger wäre wieder da war ausnehmend traurig. Überhaupt - Als Ayami Roger zuvor aussaugte… da musste ich schon schlucken und die Szene mehrmals lesen. Es kam ziemlich plötzlich, wenn es auch sehr charakteristisch herüber kam. Ich gestehe den ganzen Rest der Single auf ein Anzeichen gehofft zu haben dass Roger irgendwie zurück kommt oder einfach doch nicht ganz tot ist… Er war mir einfach zu sympathisch geworden.
Tja. Gesamteindruck war also: Eine sehr spannende, interessant zu lesende Single. Rogis Wiederbelebung und der lange weg dorthin wurde insgesamt sehr gut dargestellt, es war beim lesen toll wie sich langsam so manche zusammenhänge zu anderen geschichten und vorkomnissen erschlossen haben und ich fand, nicht zuletzt, auch sehr schön wie Rogers und Rachs Charakter je nochmal schön charakterisiert wurden. Eine tolle Single :)

Von Ophelia Ziegenberger

27.06.2013 20:55

Oh... und ich meinte natürlich die verachtenswerten Ascher-Überreste! Ich hoffe nicht, dass "verachtenswerte Überreste" ein Begriff ist, der jemals auf Rach Bezug nehmen könnte!!! O.O ;-)

Von Rogi Feinstich

28.06.2013 08:57

Vilen Dank an alle die sich die Zeit genommen haben die Geschichte zu lesen :)

Und vielen Dank für euer Feedback



@Rabbe was die zu einfache Wiederbelebung angeht vielleicht liegt das auch daran as diese Szene aus Rogis Sicht schon so ca 2-3 Jahre alt ist und sich dadurch vielelicht anders liest auch wenn ich sie noch nachbearbeitet hatte?

Von Rabbe Schraubenndrehr

28.06.2013 10:33

Kann sein, ist für mich schwer den Finger drauf zu legen... Aber war ja nur ne kleine sache die mich irritiert hatte, insgesamt wars ja schon stimmig :)

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