Die drei Gnome und der verlorene Bruder

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von Gefreiter Zu-arm-für-einen-Namen (DOG)
Online seit 05. 06. 2010
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Wichtelgeschichte

Dafür vergebene Note: 11

Harry war langweilig. Seit drei Stunden saß er in der Regenrinne eines Hauses und starrte auf das Hauptquartier der Lehrergilde gegenüber.
"Soweit ist es nun gekommen", dachte er sich mürrisch, "dass ich jetzt schon Lehrer beobachten muss. Früher war ich froh, wenn sie nicht anschauen musste."
Es gab noch zwei weitere Punkte, die seine Laune ins bodenlose sinken ließen. Zum einen handelte es sich bei der Beobachtung um eine Lappalie [1] und zum anderen, war heute das neue Abenteuer von Freddy Frettchentöter erschienen, dass er unbedingt lesen wollte.
Es versprach sehr spannend zu werden. In einem letzten Abenteuer hatte Freddy den Bau des bösen Tausendfüßlers entdeckt und war im Begriff dort einzudringen. Vermutlich würden dort einige Fallen auf ihn warten und der Mistkäfer, der mit dem Tausendfüßler zusammenarbeitet. Aber Freddy würde sich nicht einschüchtern lassen. Er würde sein Schwert ziehen und...
"Haha, damit hast du nicht gerechnet, du fiese Ratte! Nimm das!"
Eine Stimme riss Harry aus seinen Tagträumen. Er schaute nach unten auf die Straße und traute seinen Augen nicht. Da stand ein Gnom in einer braunen Lederjacke und einer grünen Hose. Er hatte ein Rotes Tuch auf den Kopf gebunden, dessen Enden mit zwei goldenen "F" bestickt waren. Er hatte sein Schwert gezückt und griff gerade eine Ratte an, die mindestens genau so überrascht war wie Harry.
"Mir entwischst du nicht!", rief der Gnom unten auf der Straße. "Ich, Freddy Frettchentöter, werde dich besiegen!"
Der Gnom ging auf die Ratte los. Harry musste sich in den Arm kneifen um zu überprüfen, dass er wach war. Der Schmerz zeigte ihm, dass er nicht schlief. Es musste also wahr sein:
Freddy Frettchentöter, sein Idol, seit dem er klein gewesen war, kämpfte leibhaftig vor seinen Augen gegen eine Ratte. Er blieb einige Sekunden starr vor Erstaunen stehen. Dann schüttelte er sich und rannte die Regenrinne entlang um möglichst schnell nach unten zu gelangen. Die Lehrer konnten ihn mal gerne haben.
Als er unten ankam, war der Kampf bereits zu Ende. Die Ratte lag schwer verletzt am Boden. Freddy war aber nicht mehr zu sehen. Der Gnom blickte die Straße entlang und sah gerade noch den Zipfel eines roten Tuchs um die Ecke verschwinden. Er nahm seine Beine in die Hand und rannte ihm nach. Die Straße, die Freddy genommen hatte führte zum Platz der gebrochenen Monde. Dort angekommen, verschnaufte Harry erst einmal und fluchte. Er brauchte schon verdammt viel Glück, ihn hier zu finden. Doch er hatte es. Keine Hundert Schritte von ihm entfernt, sah er seinen Helden stehen. Er rannte ihm entgegen. Beinahe wäre er unter die Schuhe eines Passanten gekommen, doch er konnte gerade noch ausweichen. Schnaufend kam er bei Freddy an.
"Freddy Frettchentöter?", sprach er ihn voller Erwartung an. "Wie kommst du denn hier her?"
"Ich suche die Ratte des Todes. Sie ist in diese Stadt geflüchtet. Ich muss sie finden. Hast du sie gesehen?"
"Nein.", antwortete Harry verdutzt. "Wie sieht sie denn aus?"
Freddy blickte sich unruhig um. Plötzlich fixierte sein Blick einen Punkt, den Harry nicht sehen konnte und er rannte in diese Richtung.
"Ich habe sie schon gefunden," rief er dem Wächter noch zu. "Leb wohl und hab keine Angst. Ich werde sie besiegen."
Harry versuchte dem Gnom zu folgen, doch er war bereits zwischen den ganzen Beinen der Menschen verschwunden.
"Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als meine Beobachtung wieder aufzunehmen.", dachte er sich und kehrte auf seinen Platz zurück.
Doch an Arbeit war nicht mehr zu denken. Die ganze Zeit dachte der Terrier an die Begegnung. Es konnte doch nicht sein, dass Freddy Frettchentöter leibhaftig in Ankh-Morpork aufgetaucht war. Freddy war eine Romanfigur! Aber auf der anderen Seite hatte Harry niemals überprüft, ob die Geschichten nicht doch stimmen konnten. Aber das war doch viel zu abwegig. Freddies gesamte Abenteuer waren viel zu unrealistisch, als dass sie echt sein konnten. Aber hatte er ihn nicht gerade gesehen?

Zwei Tage später saß Harry in seinem Büro und dachte immer noch über die Begegnung mit dem Gnom nach. Die Geschichte mit dem Lehrer hatte sich in der Zwischenzeit in Wohlgefallen aufgelöst und Harry hatte noch keinen neuen Auftrag bekommen. Er versuchte zwar den Bericht über seinen Einsatz zu verfassen, doch es wollte ihm noch schlechter gelingen als sonst. Er konnte sich noch nicht einmal mit dem neuesten Abenteuer von Freddy ablenken. Zum ersten Mal seit Jahren, war das Heft nicht termingerecht erschienen. Er beschloss, sich noch einen Kaffee zu gönnen. Vielleicht würde es danach besser gehen [2] Er hatte sich gerade den Fingerhut eingeschenkt, als es an seiner Türe, genauer gesagt, an der Katzenklappe seiner Türe klopfte. Harry horchte auf.
"Herein."
Wie erwartet, betrat ein Gnom das Büro. Er war mittelalt und trug einen feinen Anzug.
"Guten Tag. Mein Name ist Sonnel.", stellte er sich vor. "Ist das hier das Büro von Oberstabsspieß Harry?"
"Ja, das ist es. Wie kann ich Ihnen helfen?"
"Können Sie sich noch an eine Begegnung mit einem - wie soll ich es sagen - etwas seltsamen Gnom erinnern?"
"Das kann ich, er war ja auch schwer zu vergessen. Hat er Ihnen Probleme bereitet?"
"Ja, das hat er. Allerdings nicht so, wie Sie denken. Er ist nämlich mein Bruder."
"Ihr Bruder?", Harry verschütte vor Überraschung einen Teil seines Kaffees. Er ging zurück zu seinem Kaffeedämon. "Vielleicht setzen Sie sich erst einmal. Wollen Sie auch einen Fingerhut?"
"Ja, gerne."
Harry goss noch einen Fingerhut ein und setzte sich zu seinem Gast an den Schreibtisch.
"Dann erzählen Sie doch mal."
"Gerne. Also, vor vielen Jahren habe ich die Figur des Freddy Frettchentöters erfunden. Ich wollte eine Geschichte über einen mutigen Gnom schreiben, der sich gegen die bösen Tiere des Waldes durchsetzte. Leider hatte ich kein großes Talent. Doch mein Bruder Rold bot sich an, die Geschichte neu zu schreiben. Sie gefiel uns und unseren Freunden so gut, dass wir uns auf die Suche nach Verlegern machten. Wir fanden auch welche, die uns viel Gold für die Rechte zahlten und teilten uns fortan die Aufgaben. Mein Bruder schrieb die Geschichten und ich kümmerte mich um die Vermarktung. Im Laufe der Zeit verbesserte auch ich meinen Schreibstil und steuerte ein paar Geschichten bei. Leider kamen sie bei den Fans nur mäßig an. Meinem Bruder stieg der Erfolg, den wir hatten, aber ein bisschen zu Kopf. Er forderte immer größere Gewinnbeteiligungen, was unseren Verlegern, zwei Zwergen, gar nicht gefiel. Vor eineinhalb Wochen gab es dann einen Unfall: Rold fiel eine Zwergensemmel auf den Kopf und er verlor das Gedächtnis. Seitdem hält er sich für Freddy Frettchentöter. Ich konnte mit Mühe und Not noch das letzte Heft fertig schreiben, aber seitdem bin ich auf der Suche nach meinem Bruder. Dann habe ich gehört, dass er in Ankh Morpork sei."
"Und was will er hier?"
"Ich weiß es nicht. Wir hatten zwar mit unseren Verlegern ausgemacht, dass wir uns diese Woche treffen würden um noch einmal über unseren Gewinnanteil zu verhandeln, aber ich hatte angenommen, dass Rold diesen Termin auch vergessen hat. Vielleicht hat er sich trotzdem noch daran erinnert. Können Sie mir helfen, ihn wieder zu finden?"
"Sie möchten, dass ich in Ankh-Morpork einen Gnom finde, der sich verlaufen hat und sich für Freddy Frettchentöter hält? Sie wissen schon, dass dieser Vorschlag purer Wahnsinn ist?"
"Ja, aber sonst habe ich niemand, dem ich vertrauen kann. Vor zwei Tagen habe ich Sie mit meinem Bruder auf dem Platz der gebrochenen Monde gesehen und Sie machten den Eindruck, dass er sie nicht abschreckt."
"Na ja, das war eher, weil ich so überrascht war ihn zu sehen..."
"Überlegen Sie doch, wenn ich meinen Bruder nicht finde, wird es keine neuen Geschichten von Freddy Frettchentöter mehr geben!"
"Keine neuen Geschichten?", Harry sprang auf. "Verdammt, von der Seite habe ich das ganze noch gar nicht betrachtet. OK, ich werde Ihnen helfen. Und ich kenne auch schon den Richtigen, der uns unterstützen wird."

Zu-arm-für-einen-Namen war soeben dabei, sich in der Kantine einem leckeren Teller von Mamsell Piepenstengels Hackbraten zu widmen, als er einen brennenden Blick in deinen Rücken spürte. Irritiert drehte er sich um und sah einen Dämon, der ihn unverhohlen musterte.
"Du siehst gar nicht so aus, als ob du wirklich zu arm für einen Namen bist", meinte Dämon Günther und fügte hinzu: "Wenn du willst, kann ich 'Horatius' an dich abtreten, den will ich endlich loswerden."
Zu-arm-für-einen-Namen schüttelte den Kopf: "Nein danke, den kannst du schön selber behalten. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich will endlich essen."
Günther zuckte mit den Schultern: "Na, wenn du nicht willst... Bin ja eigentlich hergeschickt worden, um dir eine Nachricht zu überbringen. Du wurdest auserwählt Oberstabsspieß Harry bei einer 'streng geheimen Geheimmission' zu unterstützen."
"Streng geheime Geheimmission? Was soll ich da tun?"
"Was weiß ich? Vielleicht will er nur den Einsatzbericht auf dich abwälzen, ist aber nicht mein Problem." Und mit diesen Worten verschwand der Dämon wieder. [3]

Zu-arm-für-einen-Namen stand vor Harrys Tür. Den ganzen Weg hatte er überlegt, was diese geheime Geheimmission sein könnte. Auf der einen Seite hielt er Oberstabsspieß Harry für einen Offizier, der seinen Rang nicht dazu missbrauchen würde, einen Bericht auf einen kleinen Gefreiten abzuwälzen. Auf der anderen Seite war Harrys Faulheit durch den Flurfunk beinahe schon legendär. Er entschloss sich, darauf zu vertrauen, dass er derartige Sachen mitbekommen hätte und klopfte. Er hatte ja sowieso keine andere Wahl. Befehl ist Befehl.
Als der den Raum betrat, stellte er fest, dass sein Vertrauensvorschuss wohl berechtigt gewesen war. Harry hatte einen zivilen Besucher. Zu-arm schloss aus, dass Harry ihm vor den Augen eines Zivilisten einen Einsatzbericht aufs Auge drücken würde.
"Ah, Gefreiter!", begrüßte Harry ihn. "Setz dich doch. Das ist Herr Sonnel. Er ist in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu uns gekommen."
"Gerne, Sör.", Zu-arm setzte sich. "Worum geht es denn?"
"Kennst du die 'Freddy Frettchentöter'-Geschichten?"
"Ja, Sör. Auch wenn ich seit Jahren keine mehr gelesen habe."
"Herr Sonnel ist der Erfinder von Freddy Frettchentöter. Er und sein Bruder Rold bringen die Geschichten heraus. Leider hatte Rold vor kurzem einen kleinen ... Unfall und hält sich seit dem für Freddy Frettchentöter. Wir müssen ihn finden und heilen, sonst gibt es keine neuen Geschichten mehr."
"Verzeihen sie, Sör, wenn ich skeptisch bin, aber..."
"Kein aber, Gefreiter! Wir werden Rold finden!"
Zu-arm nahm Haltung an. "Ja, Sör."
"Aber wo sollen wir anfangen?" fragte Sonnel leicht verunsichert.
"Wir haben zwei Möglichkeiten", antwortete Harry. "Wir gehen entweder an den Ort, an dem Sie ihn zuletzt gesehen haben, oder wir schauen bei Ihren Verlegern vorbei. Vielleicht ist er bei ihnen aufgetaucht."
"Wo haben Sie ihn denn zuletzt gesehen?" fragte Zu-arm.
"Ich glaube nicht, dass das etwas bringen wird. Nachdem ich ihn zusammen mit Ihnen", Sonnel warf einen Blick auf Harry, "gesehen habe, bin ich ihm gefolgt. Er ging in Richtung des Drachenlandeplatzes. Ich folgte ihm, doch er war zu schnell. Ich haben ihn bereits nach wenigen Straßen verloren."
"Dann werden wir zu den Verlegern gehen." entschied Harry.

Ungefähr eine Stunde später standen die drei Gnome vor dem Verlagshaus Kimli & Kloin, bei dem Rold und Sonnel ihre Geschichten veröffentlichten. Es war ein großes, reich verziertes Haus, dessen Bewohner ziemlich wohlhabend sein mussten. Über der Tür stand in großen grünen Lettern "Verlagshaus Kimli & Kloin - Heimat der berühmten 'Freddy Frettchentöter'-Geschichten".
"Es sieht ganz so aus, als hätten die beiden ziemlich an Ihren Geschichten verdient.", meinte Harry, als sie vor dem Gebäude standen.
Die große Eingangshalle war ähnlich prunkvoll eingerichtet und wurde von verschiedenen Abbildungen von Freddy Frettchentöter dominiert: In Vitrinen waren die Originalausgaben der legendärsten Abenteuer zu sehen[4], an den Wänden hingen Gemälde, Poster und sogar ein Wandteppich auf denen Freddy abgebildet war und in der Mitte stand eine drei Meter große Statue von Freddy.
Zu-arm-für-einen-Namen pfiff anerkennend und fragte:" Veröffentlicht dieser Verlag eigentlich noch andere Geschichten?"
"Soweit ich weiß schon, ", antwortete Sonnel nicht ohne einen gewissen Stolz im Tonfall, "aber diese Bücher sind bei weitem nicht so Erfolgreich wie unsere."
Auf der linken Seite des Raumes stand eine Empfangstheke hinter der ein Zwerg saß. Praktischerweise verfügte die Theke über eine Treppe, die es den Gnomen ermöglichte mit dem Zwerg Kontakt aufzunehmen.
"Guten Tag, meine Herren.", begrüßte er Harry, Sonnel und Zu-arm in einer so zuckersüßen Stimme, dass es sich nur um eine Zwergin handeln konnte. "Willkommen im Verlagshaus Kimli & Kloin. Wie kann ich Ihnen helfen?"
"Guten Tag.", ergriff Sonnel das Wort. "Mein Name ist Sonnel. Wir würden gerne mit den Herren Kimli und Kloin sprechen."
"Tut mir Leid, die beiden Herren sind gerade in einer wichtigen Besprechung und wollen nicht gestört werden."
"Sie kennen mich offensichtlich noch nicht.", antwortete Sonnel und strich demonstrativ seinen Anzug glatt. "Ich bin Sonnel. Mein Bruder und ich sind die Autoren der 'Freddy Frettchentöter'-Geschichten."
Die Zwergin lachte spöttisch auf. "Sie glauben ja gar nicht, wie oft ich mir diese Geschichte schon anhören musste. Die Herren Rold und Sonnel kommen nur hier her, wenn sie einen Termin haben. Und da Sie," sie blätterte ebenfalls demonstrativ in ihrem Terminkalender, "in den nächsten Tagen keinen Termin mit den Herren haben, habe sie leider Pech gehabt."
"Aber es geht um meinen Bruder er ist AUTSCH!", Sonnel schrie auf, als Harry ihm auf den Fuß gestiegen war.
"...ist sterbenskrank und wir hatten gehofft, ein Exemplar der einzigen 'Freddy'-Ausgabe zu bekommen, die er verpasst hat.", ergänzte Harry den Satz. "Aber da Sie uns durchschaut haben werden wir wohl unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. Unser armer Bruder wird sehr traurig sein." Er schluchze theatralisch und stieß Zu-arm in die Seite, damit er es ihm nachmachen würde. "Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag." Mit diesen Worten zog er Zu-arm und einen verdutzten Sonnel in Richtung der Treppe.
"Ich kenne diesen Typ von Empfangsdamen.", erklärte er, als sie unten angekommen waren. "Sie wird uns nicht hineinlassen, selbst wenn wir beweisen könnten, dass wir die Wahrheit sagen. Vermutlich sind die beiden Zwerge gerade bei ihrem Mittagsschlaf. Kennen Sie den Weg zu ihren Büros?"
"Ja, schon, aber ich sehe nicht wie...",
Harry fiel ihm wieder ins Wort: "Gut. Seht ihr, wie sehr sie sich mit ihrem Kreuzworträtsel beschäftigt? Das ist unserer Eintrittskarte. Wir werden uns zu ihrer Theke schleichen und dann daran entlang zu den Büros. Dann zeigen Sie uns, wo wir hin müssen. Alles verstanden?" Sonnel und Zu-arm-für-einen-Namen nickten.
Sie warteten, bis sich die Zwergin wieder in ihr Rätsel vertieft hatte und schlichen los. Alles schien gut zu klappen. Sie kamen sicher bei an der Theke an. Harry gab Sonnel durch ein Zeichen zu verstehen, dass er von nun an die Führung übernehmen sollte. Sie schlichen sich die Theke entlang und bogen gerade um die Ecke, als sie ein lautes "BIEP! BIEP! BIEP!!!" hörten. Sie blickten sich um. In der Theke war ein kleines Loch, hinter dem ein Dämon stand, der offensichtlich Gnome davon abhalten sollte, sich heimlich in die Büroräume des Verlagsgebäudes zu schleichen. Und er machte seinen Job sehr gut. Harry reagierte am schnellsten und rief seinen Gefährten zu: "Rennt!" und fügte ein leise genuscheltes "Verdammte Technik!" hinzu.
Sonnel blieb noch einige Augenblicke vor Überraschung stehen, doch als er Harry an sich vorbei rennen sah, nahm auch er seine Beine in die Hand. Zu-arm-für-einen-Namen folgte als letztes.
Die Zwergin hatte in der Zwischenzeit ebenfalls mitbekommen, was vor sich ging und hatte die Verfolgung aufgenommen. Es folgte eine recht wilde Verfolgungsjagd durch die Flure des Gebäudes. Zu-arm-für-einen-Namen nutzte jede Gelegenheit, der Zwergin irgendwelche Stühle oder Topfpflanzen in den Weg zu werfen. Trotzdem kam sie den Gnomen gefährlich näher. Gerade als Zu-arm drohte die Puste auszugehen hielt Sonnel vor einer Bürotür an. Sie hatten Glück. Sie verfügte über eine Katzenklappe, so dass die drei Gnome in das Büro der beiden Zwerge gelangen konnten.
Harry hatte recht gehabt. Ein Zwerg in einem feinen Anzug saß in einem sehr bequem aussehenden Bürostuhl und schlief.
"Das ist Kloin." erklärte Sonnel, "er ist der jüngere der beiden Brüder. Ich verstehe mich besser mit ihm, da er sich, genau wie ich, eher auf das Technische als auf das Künstlerische spezialisiert hat. Ich werde ihn wecken."
Doch bevor Sonnel das tun konnte, polterte schon die Zwergin in den Raum. Sie war so laut, dass Kloin sofort aufwachte. Er blickte auf und übersah die Gnome im ersten Augenblick. Daher richtete sich seine ganze Aufmerksamkeit auf die Zwergin.
"Alberich, was soll das denn?" fuhr er sie - noch eher müde als wütend - an. "Ich habe doch gesagt, dass ich auf keinen Fall gestört werden möchte."
"Es tut mir Leid, Herr Kloin, ", entschuldigte sie sich, "aber da sind gerade drei Gnome in Ihr Büro eingedrungen, die behaupteten, der Bruder von Herrn Rold zu sein."
Erst jetzt entdeckte der Zwerg seine drei Gäste. Als er Sonnel erkannte wurde er richtig wütend.
"Alberich, sind Sie denn vollkommen inkompetent? Das IST Herr Sonnel. Er ist natürlich jederzeit willkommen. Und jetzt gehen Sie. Ich habe wichtige Dinge mit Herrn Sonnel zu besprechen."
Als die Zwergin den Raum verlassen hatte, änderte sich Kloins Gesichtsausdruck. Statt Wut konnten die Gnome nun Besorgnis im Gesicht des Zwerges sehen.
"Herr Sonnel, es tut mir schrecklich Leid, was mit ihrem Bruder geschehen ist. Das hätte nicht passieren dürfen. Es ist alles meine..."
Sonnel unterbrach den Zwerg: "Sie wissen, was mit meinem Bruder passiert ist?"
"Ja, er war vorgestern hier.", Kloin merkte, dass Sonnel wieder im Begriff war, ihn zu unterbrechen. "Sie müssen mir zuhören. Alberich wird mit Sicherheit meinen Bruder holen, und dann können wir nicht mehr offen reden. Wir treffen uns in einer Stunde im Bergwerk. Kennen sie es?", Harry nickte stellvertretend für Sonnel. "Gut. Was immer mein Bruder auch sagt. Bleiben Sie ruhig und höflich."
In diesem Augenblick ging die Türe auf und ein weiterer Zwerg betrat den Raum. Er hatte einen schwarzen Anzug an und trug ein weißes Hemd. Seine Haare und auch sein langer Bart waren mit Pomade in Form gebracht. Alles in allem machte er auf die beiden Wächter den Eindruck, eher mit der Muffia als mit Romanen zu tun zu haben. Zu-arm-für-einen-Namen fiel außerdem auf, dass sich Kloins Gesicht anspannte. Kimli kam mit übertrieben ausgebreiteten Armen auf Sonnel zu.
"Mein lieber Sonnel", sagte er freundlich aber mit der Stimme eines Zwerges, der gewohnt war zu bekommen, was er wollte, "wie schön, Sie zu sehen. Mein Bruder hat Ihnen sicherlich schon erzählt, dass Herr Rold schon vorgestern bei uns war. Leider war er in einem bedauernswerten Zustand. Es ist schon tragisch, was mit Leuten passiert, denen der Erfolg zu Kopf steigt."
"Hat mein Bruder gesagt, wo er hin wollte? Er ist nämlich verschwunden." fragte Sonnel.
"Verschwunden? Das ist ja schrecklich. Nein. Leider, leider hat er kaum etwas Vernünftiges gesagt, als er hier war. Oder Bruder? Erinnerst du dich?"
"Nein, Kimli.", sagte Kloin ziemlich geknickt. "Er hat nichts gesagt."
"Sein Zustand war auch wirklich schlimm." Kimils Blick fixierte nun die beiden Wächter. "Aber warum haben Sie denn die beiden Herren von der Stadtwache mitgebracht? Glauben Sie etwa, dass wir mit seinem Verschwinden zu tun haben? So ein Misstrauen kränkt mich aber sehr."
"Nein, nein.", versuchte Harry den Zwerg zu beschwichtigen. "Herr Sonnel hat sich lediglich an uns gewandt, damit wir ihn bei der Suche nach seinem Bruder unterstützen. Wir sind große Fans seiner Geschichten und haben uns angeboten, ihn zu begleiten."
"Dann ist ja alles in Ordnung. Meine Herren, bitte verzeihen Sie, wenn wir Sie jetzt bitten müssen zu gehen. Mein Bruder und ich müssen noch etwas Wichtiges besprechen." An Sonnel gewandt fügte er noch hinzu: "Ich hoffe sie finden Ihren Bruder bald. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns Bescheid geben könnten, wenn er wieder aufgetaucht ist."
Kimli zeigte auf die Tür und machte den Gnomen damit klar, dass sie gehen sollten. Sie verließen das Gebäude - nicht ohne einen giftigen Blick von Alberich zugeworfen zu bekommen und setzten sich erst einmal auf die Stufen, die zum Eingang des Verlagsgebäudes führten.
"Da ist doch etwas oberfaul!" Machte Zu-arm-für-einen-Namen seinem Ärger Luft. "Die wissen doch ganz genau, was mit Ihrem Bruder los ist. Vermutlich haben die ihn sogar in ihrer Gewalt."
"Ruhig, Gefreiter.", wies Harry ihn zu recht. "Es stimmt vielleicht sogar, was du da sagst, aber wir sollen das ganze wo anders besprechen. Kommt mit. Wir gehen in das Bergwerk. Dort können wir alles in Ruhe beraten, bis Kloin kommt. "

Kurze Zeit später saßen sie in dem fast noch zwergenleeren Bergwerk. Harry kam öfters hier her, da er sich in Zwergenkneipen nicht ganz so klein vor kam und hier ein recht gutes Bier ausgeschenkt wurde.
"So, jetzt noch einmal ganz in Ruhe.", Harry schaute Sonnel an. "Was können Sie uns über die beiden Brüder sagen."
"Na ja, ich hatte es ja schon angedeutet. Ich habe mich immer besser mit Kloin verstanden und ich glaube, Sie können das nachvollziehen. Mit Kimli hatte ich immer nur so wenig wie möglich zu tun. Er macht auf mich den Eindruck, dass er vor nichts zurück schreckt um seine Ziele zu erreichen."
"Den Eindruck habe ich auch.", bestätigte Harry.
"Glauben Sie, dass er etwas mit dem Unfall ihres Bruders zu tun hat?", fragte Zu-arm.
"Wundern würde es mich jedenfalls nicht.", sagte Sonnel.
"Sie dürfen außerdem nicht vergessen, dass es eine Zwergensemmel war, die ihm auf den Kopf", Harry zeichnete ein Paar Gänsefüßchen in die Luft, "gefallen ist. Glauben Sie, dass Kloin auch etwas mit der Sache zu tun hat?"
"Nein, er hat auf mich immer einen korrekten Eindruck gemacht. Außerdem hat er uns vorhin ja vor seinem Bruder gewarnt."
In diesem Augenblick betrat Kloin die Kneipe. Er bestellte sich an der Theke ein Bier und setzte sich zu den Gnomen.
"Danke, dass sie gekommen sind. Wir konnten einfach nicht reden, als mein Bruder im Raum war. Sie habe ihn ja gesehen."
Zu-arm konnte sich die Frage, die ihm durch den Kopf schoss nicht verkneifen: "War der schon immer so?"
Harry schaute den Gefreiten böse an, doch Kloin winkte ab.
"Schon gut, ich kann ihn ja verstehen. Nein, er war nicht immer so. Er hatte zwar schon immer maßgeblich die Fäden in der Hand, aber so wie Sie ihn kennen gelernt haben, ist er erst seit ungefähr eineinhalb Jahren. Er hatte sich, weil wir finanzielle Probleme hatten, Geld leihen müssen. Von dem Augenblick an war er nicht mehr der Selbe."
"Wissen sie was mit meinem Bruder passiert ist?", fragte Sonnel.
"Nicht direkt, aber ich kann es erahnen. Als vor drei Wochen der Brief ihres Bruders eintraf, in der er schon wieder eine größere Gewinnbeteiligung forderte wurde mein Bruder richtig wütend. Wobei ich sagen muss, dass ich ihn in diesem Punkt durchaus verstehen kann. Die letzte Forderung war einfach zu groß. Kimili schickte, als der den Brief gelesen hatte sofort eine Taube los. Er sagte, dass ihn 'das hier zur Vernunft bringen würde'."
"Wissen Sie, was er damit meinte?", fragte Harry.
"Ich kann es nur vermuten. Vermutlich sollte der Empfänger des Schreibens ihrem Bruder einen gehörigen Schrecken einjagen. Dabei muss etwas schief gegangen sein. Vor zwei Tagen tauchte Ihr Bruder bei uns im Verlag auf und benahm sich, als wäre er Freddy Frettchentöter persönlich. Er redete die ganze Zeit davon, dass er die Ratte des Todes suchen müsse. Es war kein vernünftiges Wort aus ihm heraus zu bringen. Mein Bruder verlor schließlich die Geduld und ließ ihn hinauswerfen."
"Und wo ist er jetzt?", fragte Sonnel.
"Ich weiß es nicht. Ich würde es meinem Bruder ja zutrauen, dass er Rold irgendwo in unserem Keller gefangen hält bis er wieder zur Vernunft kommt, aber ich habe schon alles durchsucht und nichts gefunden. Er muss also irgendwo in der Stadt sein und diese Ratte des Todes suchen. Ich hoffe, Sie finden ihn bald."
Der Zwerg verabschiedete sich von den Gnomen, die sich hungrig und frustriert in die Kantine des Wachhauses in der Kröselstraße zurückzogen.

Dort angekommen sahen sie Michael Machwas und Jargon Schneidgut an einem der Tische sitzen, beide mit angestrengter Miene einen Artikel aus der Ankh-Morpork Times lesend. Die Gnome indes nahmen sich lustlos einen Teller mit Haferbrei und fingen ebenso lustlos an zu essen.
"... und warum sind dann hunderte von Ratten aus der Gegend geflohen?", fragte Michael aufgebracht seinen Lesepartner.
"Woher willst du das denn wissen? Hast du sie etwa alle gezählt?", erwiderte Jargon.
"Nein, aber ich wohne in der Gegend und meine Zwergennachbarn beschweren sich, dass es kaum noch Ratten gibt. Einige mussten sogar zum ersten Mal in ihrem Leben zum Markt gehen, und sich welche kaufen."
"Das kann viele Ursachen haben, aber mit Sicherheit keine untote Ratte, die von Quirm nach Ankh-Morpork gekommen ist.", beharrte Jargon.
Bei diesen Worten hörte Sonnel auf. "Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich einmische. Über was unterhalten Sie sich gerade?"
"Ach, nicht wichtiges." antwortete Michael, "In der Times steht heute ein Artikel, dass eine untote Ratte von Quirm nach Ankh-Morpork gekommen sei, die alle Ratten in der Stadt vertreibt."
Jetzt wurde auch Harry hellhörig. "Eine untote Ratte? Eine Ratte des Todes?"
"Nun ja, Sör." sagte Michael, "Man kann sie bestimmt so nennen, aber ist das nicht ein wenig übertrieben?"
"Für uns schon, aber nicht für Freddy Frettchentöter. Steht da auch, wo sie sich aufhalten soll?"
"Angeblich in den Ruinen am Drachenlandeplatz. Dort soll es eine besondere thaumatische Energie geben, die sie braucht."
"Dann sollten wir schnell da hin gehen!", Zu-arm-für-einen-Namen war aufgesprungen und rannte in Richtung der Tür.
"Nicht so schnell, Gefreiter!", hielt Harry ihn zurück. "Hast du schon vergessen, dass immer der ranghöchste Wächter den Einsatz leitet? Ich gehe vor." Grinsend übernahm der Oberstabsspieß die Führung.

Kurze Zeit später standen die drei Gnome am Rande des Drachenlandeplatzes. Obwohl der Drache schon vor vielen Jahren hier gelandet war, hatte sich noch niemand die Mühe gemacht, die Trümmer weg zu räumen, die von den Häusern übrig geblieben waren.
"Rold, bist du hier irgendwo?", rief Sonnel in die Stille. Wie es sich für eine Begegnung mit einer untoten Ratte gehörte, war es bereits Nacht geworden.
Harry stieß ihn an. "Psst. Wenn hier diese Ratte ist, dann sollten wir sie nicht unnötig auf uns aufmerksam machen. Zu-arm-für-einen-Namen, du gehst vor und schaust, ob du etwas findest. Wir warten hier. Sei in spätestens 30 Minuten wieder da."
Zu-arm salutierte und machte sich auf den Weg. Es war wirklich gespenstisch. Zu-arm glaubte überall zwischen den Trümmern ein Rascheln und Zischeln zu hören. "Das ist nur deine Einbildung", versuchte er sich zu beruhigen. "Hier ist nichts. Und auch die untote Ratte ist nichts als ein Hirngespinst irgendeines Zeitungsreporters. Alles ist gut. Alles ist gut. Alles ist gut."
Dieses Mantra vor sich hin murmelnd drang der Gnom immer tiefer in das Trümmerfeld ein. Plötzlich hörte er Stimmen. Sie schienen auf ihn zu zukommen. Er hielt die Luft an
"Ich habe dir doch gesagt, dass das eine schlechte Idee ist. Es ist verboten die Universität zu verlassen. Der Erzkanzler wird mit Sicherheit..."
"... nichts tun, wenn wir ihm die untote Ratte zeigen. Haben wir nicht gerade einen Kurs über Nekromantie oder nicht?"
"Ja schon, aber..."
"Kein Aber. Du wirst schon sehen, wir werden sogar noch eine gute Note dafür bekommen."
Zu-arm atmete erleichtert aus. Es waren Studenten der Unsichtbaren Universität. Sie würden ihm bestimmt helfen können.
"Hey, ihr da." rief er sie.
Die beiden Studenten blieben erschrocken stehen
"Hast du das gehört?" fragte der ängstlichere von beiden.
"Ja, das habe ich." antwortete der Andere, der in zwischen auch nicht mehr so mutig klang.
"Was war das?"
"Ich weiß es nicht. Können untote Ratten sprechen?"
"Nein, das können sie nicht.", antwortete Zu-arm. "Zumindest nicht soweit ich weiß. Ich bin nur ein Gnom, der eure Hilfe braucht."
Er schlüpfte unter einem Balken hervor uns stand nun zu den Füßen der beiden Magiestudenten. "Ich bin Gefreiter Zu-arm-für-einen-Namen und suche einen Gnom, der sich hier aufhalten muss. Habt ihr ihn gesehen? Er ist ebenfalls auf der Suche nach dieser Ratte."
"Nein, wir haben, abgesehen von dir keinen Gnom gesehen.", antwortete der Mutige. "Aber wir helfen dir gerne bei der Suche."
"Tun wir das wirklich, Reg?", fragte der andere
"Ja, das tun wir, Brian. Überleg doch mal, wenn wir erwischt werden, ohne dass wir die Ratte mitbringen können, bekommen wir Ärger. Aber mit der Ratte bekommen wir die gute Note." An Zu-arm gewandt fügte er noch hinzu: "Wenn du willst, trage ich dich."
"Darum wollte ich dich gerade bitten. Meine Freunde warten in dieser Richtung dort auf mich. Wir müssen sie noch abholen."
Zu-arm kletterte auf Regs Schulter. Als er oben angekommen war, wusste er nicht, ob sein Auftrag nun leichter oder schwerer aussah als zuvor. Er hatte zwar einen größeren Überblick, aber er könne jetzt nicht mehr in die kleinen Zwischenräume blicken, in denen sich Rold oder die Ratte vermutlich aufhielten. Reg ging in die Richtung, in die sein Fahrgast gedeutet hatte und kurz darauf kamen sie bei Harry und Sonnel an.
"Ich habe Verstärkung mitgebracht.", stellte Zu-arm seine Begleiter vor. "Das sind Reg und Brian, die die Ratte fangen wollen, damit sie eine Gute Note in der Unsichtbaren Universität bekommen."
Harry schaute skeptisch zu den beiden Studenten auf. "Eine gute Note durch Feldarbeit? Ihr seid wohl noch nicht lange an der Unsichtbaren Universität, oder?"
Bevor die beiden etwas antworten konnten fuhr er fort: "Sonnel, Sie klettern mit mir auf Brian. Zu-arm-für-einen-Namen, du bleibst bei Reg. Ich denke, es ist das Beste, wenn wir uns aufteilen. Aber in Rufweite bleiben!"
Harry hatte mit solch einer Autorität gesprochen, dass die beiden Magier in Spe wortlos nickten und seinen Plan in die Tat umsetzten.
Brian ging wesentlich zögerlicher voran als Reg. Doch Harry trieb ihn freundlich aber direkt an[5].
Nach einer dreiviertel Stunde hatten sie ungefähr das halbe Feld durchsucht, aber noch nichts gefunden. Harry wollte gerade eine Pause vorschlagen, als Sonnel etwas hörte.
"Was war es?", fragte Brian ängstlich.
"Es klang wie ein Schwert, das zu Boden fällt.", antwortete der Gnom.
"Ein Schwert, das zu Boden fällt?", wiederholte Brian ängstlich. "Das klingt gar nicht gut."
"Nein", entgegnete Harry, "das klingt gar nicht gut. Aber es könnte genau das sein, was wir gesucht haben. Lass uns runter."
Brian tat wie ihm befohlen und Reg setzte Zu-arm-für-einen-Namen ab.
Auf dem Boden konnten die Gnome sehen, was vor sich ging: Einige Balken hatten sich so ineinander verkeilt, dass sie eine Art Dach bildeten, auf das wiederum Bretter und Steine gefallen waren, so dass man von oben nicht hinein sehen konnte. Der so entstandene halboffene Raum hatte die Ideale Größe für Gnome - und leider auch für Ratten. Als sie näher traten sahen sie als erstes eine Ratte die aussah, als sei sie schon vor einigen Wochen gestorben. Nur dass sie eben noch aufrecht stand und einen Gnom bedrohte, der eben sein Schwert fallen gelassen hatte und sich in eine Ecke verkroch.
Zu Harrys bedauern konnte sich Sonnel ein "Rold!" nicht unterdrücken, so dass die Ratte sich schnell umdrehte und nun ihn und die beiden Wächter bedrohte. Sie kam langsam und fauchend immer näher. Harry und Zu-arm zogen ihre Schwerter. Sie machten sich kampfbereit, obwohl sie keine Ahnung hatten, wie sie eine untote Ratte besiegen sollten.
In diesem Augenblick ertönte ein lautes "QUIEK!" und eine knöcherne Ratte, die einen schwarzen Kapuzenumhang trug und mit einer Sense bewaffnet war, erschien wie aus dem Nichts[6]. Die beiden Ratten standen sich nun gegenüber und taxierten sich gegenseitig, griffen sich jedoch nicht an.
Sonnel nütze die Gelegenheit, um zu seinem Bruder zu rennen, der in der Ecke saß und sich den Kopf rieb. Neben ihm lag ein faustgroßer Stein, der ihm wohl gerade auf den Kopf gefallen war.
"Rold, ist alles in Ordnung?"
"Sonnel... wo bin ich? Was ist passiert? Wie komme ich hier her?", Rold blickte an sich hinunter. "Und warum bin ich gekleidet wie eine schlechte Imitation von Freddy Frettchentöter?"
"Du hast eine Steinsemmel auf den Kopf bekommen und hast dein Gedächtnis verloren. Du hast dich für Freddy Frettchentöter gehalten und bist nach Ankh-Morpork gegangen um diese Ratte da", Sonnel zeigte auf die untote Ratte, die noch genau so da stand wie zuvor, "zu besiegen. Ich bin dir nach gereist um dich zu finden."
"Ich störe die Familienfeier ja nur ungern", unterbrach Harry die beiden, der erkannt hatte, dass Rold wohlauf war, "aber wir sollten uns schnell vom Acker machen, bevor die beiden Ratten beschließen, dass vier Gnome besser schmecken, als der jeweils andere."
Genau in diesem Augenblick griff die untote Ratte die Knochenratte an. Sie sprang mit einem großen Satz auf sein knochiges Gegenüber und riss es zu Boden. Die Sense fiel klirrend zu Boden. Die untote Ratte wollte gerade in die knöchrige Halsregion ihres Gegners beißen, als ein Blitz von oben kam und alles in ein gleißend rosarotes Licht tauchte. Harry und die anderen schlossen die Augen. Als sie wieder öffneten sahen sie, dass der Rattentod von einer knöchernen Hand hoch gehoben wurde. Sie hörten eine durchdringende Stimme: KOMM, ICH BRINGE DICH ERST EINMAL ZU MIR. DA KANNST DU DICH EIN WENIG AUSRUHEN.
Während die Stimme dies sagte, verschwanden die Ratte und Tod im Nichts[7].
An der Stelle, an der die untote Ratte zuletzt war, lag eine Stoffpuppe, die wie eine Ratte aussah und einen Knopf im Ohr hatte.
"Du Idiot," hörten die Gnome Reg rufen, "jetzt haben wir keinen Beweis mehr, dass wir die Ratte besiegt haben. Jetzt müssen wir mit Sicherheit das restliche Semester an der Tafel der Professoren die Kellner spielen."

Drei Wochen später saßen die drei Gnome und der verlorene Bruder in Harrys Büro und feierten ihr Abenteuer. Kloin hatte nach dem Gespräch im Bergwerk den Mut gefunden und das Büro seines Bruders durchsucht und dort Beweise für dessen Verstrickung in die Muffia gefunden. Er hatte ihn vor die Wahl gestellt, die Rechte an Freddy Frettchentöter an Rold und Sonnel zurück zu geben oder ins Verließ der Wache zu wandern. Kimli hatte sich für ersteres entschieden. Rold und Sonnel hatten von nun an keine unangenehmen Besuche von Kimlis Freunden zu befürchten.
"Liebe Freunde," sagte Rold in festlichem Ton, "Sonnel und ich sind euch unendlich dankbar für eure Hilfe. Als kleines Dankeschön haben wir euch etwas mitgebracht." Er überreichte den Wächtern zwei Hefte mit Freddy Frettchentöter auf dem Cover. "Das sind die beiden ersten Exemplare des neuen Abenteuers von Freddy Frettchentöter. Darin bekommt Freddy Hilfe von zwei mutigen Stadtwächtern aus Ankh Morpork. Ich glaube sie werden euch bekannt vorkommen."
Harry und Zu-arm schauten genauer hin und staunten nicht schlecht, als sie sich selber erkannten. Zu-arm-lachte, hob seinen Fingerhut mit Kaffee und sagte: "Ich hoffe, ihr habt genug Kaffee in die Geschichte eingebaut. Sonst ist Harry höchstens halb so mutig."
Harry lachte, hob ebenfalls seinen Fingerhut, trank genüsslich einen Schluck und sagte: "Und ich hoffe, ihr habt meinem Kollegen genug Geld gegeben, damit er sich endlich einen Namen kaufen kann."
[1]  Man munkelte, dass der Lehrer F. Ehler einen seiner Schüler widerrechtlich zu einer Woche Nachsitzen verurteilt hatte und ihn hier im Hauptquartier gefangen hielt

[2] Natürlich wusste er, dass es sich bei dieser Hoffnung um einen klaren Selbstbetrug handelte. Dies hielt ihn aber nicht davon ab sich den Kaffee zu holen.

[3] Dieser Absatz entstand dank der freundlichen Unterstützung von Korporal Lilli Baum

[4] Darunter auch das Abenteuer in dem der Drucker das Wort Frettchentöter grundsätzlich mit einem "t" geschrieben hatte

[5] Dies waren aber lediglich Harry Maßstäbe. Wäre Brian etwas mutiger gewesen, hätte er Harry schon nach wenigen Minuten von der Schulter geworfen.

[6] Sie kam aber tatsächlich aus dem Nichts. Untote Ratten sind nämlich ein extrem seltenes Phänomen und bewirken, dass sich Rattentod so lange in Nichts auflöst, bis jemand mit klarem Verstand gegen die Ratte kämpfen will. Die Scheibenwelt verträgt nämlich nur eine nicht-lebendige Ratte auf einmal

[7] Dieses Mal wirklich nur scheinbar, denn Tod und Rattentod wurden nun endlich wieder unsichtbar für jeden außer Zauberer und Katzen.
An dieser Stelle ist auch eine Erklärung fällig: Untote Ratten entstehen alle paar hundert Jahre durch einen thaumatischen Zufall. Was erst einmal wie ein harmloses Ereignis klingt, stellt in Wirklichkeit eine große Gefahr für die Scheibenwelt dar. In der Rattenwelt findet seit Ewigkeiten ein Kampf statt, der als eine Art Vorkampf für die Menschenwelt gilt. Eigentlich ist die Existenz von Untoten ein (Un)Todesurteil für die Menschheit. Denn wenn es Untote gibt, kann Tod seinen Job nicht mehr erfüllen und alles gerät aus dem Gleichgewicht. Den Göttern sei Dank ist die Menschheit erst in direkter Gefahr, wenn die Rattenwelt dieses Schicksal ereilt. Daher muss jede untote Ratte binnen zwei Wochen vernichtet werden. Morgen wäre diese Frist abgelaufen. Doch Harry, Zu-arm-für-einen-Namen, Sonnel und Rold hatten davon zu ihrem Glück keine Ahnung.




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Feedback:

Von Harry

14.06.2010 19:23

Danke für die Harry-Geschichte! Jetzt weiß ich endlich, wer die Freddy-Bücher geschrieben hat :-) Sehr süß auf jeden Fall, und Harry hast Du auch gut getroffen. Diese "Mythologie-Fußnoten" fand ich ein wenig seltsam, die haben mich etwas aus der Handlung gerissen. Und dem Rattentod hätte ich auch eine größere Rolle gegönnt, wo wir es schon mit einer untoten Ratte zu tun gehabt haben - aber alles in allem sehr nett.

Von Lilli Baum

14.06.2010 19:23

Eine wirklich nette Geschichte, an einigen Stellen mussre ich sehr schmunzeln. Ich finde die Idee, Freddy Frettchentöter auftauchen zu lassen wirklich originell. Allerdings hatte ich an einigen Stellen den Eindruck, dass du nicht so sehr auf die Größenverhältnisse geachtet hast. Zum Beispel die Stelle an der Zu-arm der Zwergin Stühle und Blumentöpfe in den Weg wirft - ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Gnom mal locker flockig so was großes im Vorrüberlaufen bewegt. Vor allem bei einen, der so jämmerlich wirkt , dass er nicht einmal einen Namen hat. Genauso beim Faustgroßen Stein. Ein Stein dieser Größe (auch schon die Zwergensemmel) müssten doch einen Gnom schwer verletzen. Oder haben die Schädel aus Stahl? ;-)

Von Ruppert ag LochMoloch

14.06.2010 19:23

Ich fand die Geschichte von der Idee her gut. Allerdings war sie für meinen Geschmack zu schnell erzählt. Manche Zusammenhänge werden nicht erklärt (z.B. Warum erschien eine untote Ratte als Rold sich für Freddy hält. Was hat es mit der Zwergensemmel auf sich ...). Als Leser musste ich entweder raten oder es als Zufall hinnehmen.

Von Sebulon, Sohn des Samax

14.06.2010 19:23

Hmm ... mich hat die Geschichte nicht überzeugt. Die vielen Anmerkungen zu untoten Ratten hättest du, finde ich, in den Haupttext einschmuggeln können ... in Gespräche mit einem Okkultismusexperten oder den Studis oder so.Harry habe ich von seinen Geschichten her auch etwas anders in Erinnerung ...Nichtsdestotrotz fand ich den Aufhänger von Freddy Frettchentöter gut und gönne euch beiden die 'Freddy und die Wächter'-Ausgabe. :)

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