Der Bluthandel in Ankh-Morpork war eine ziemlich komplexe Angelegenheit.
Diverse Gilden und andere Gemeinschaften - angefangen bei den Fleischern und Badern, über Tier- und andere Ärzte bis zu verschiedenen religiösen Kulten - nutzten das bei ihnen anfallende Blut, um sich ein Zubrot zu verdienen, und die steigende Nachfrage, verursacht durch immer mehr Vampire, die in die Stadt zogen, und von denen nur eine Minderheit abstinent lebte, sorgten für hohe Profite. Selbst Frau Palm und ihre Damen der Käuflichen Zuneigung hatten sich einmal in diesem Markt versucht, aber ihr Produkt - eine in stilvolle kleine Glasflakons abgefüllte Flüssigkeit namens
Eau de Mois - hatte bei der breiten Masse keinen Anhang gefunden, und die handvoll Stammkunden - von denen nur wenige Vampire, aber alle hochgradig unheimlich waren - reichten nicht aus, um das Geschäft rentabel zu machen.
Davon abgesehen war es jedoch ein lukrativer Markt: Spender, die sich freiwillig Blut abzapfen ließen, gab es nur wenige, was teils an Aberglaube, vor allem jedoch an zu guter Kenntnis der mangelnden hygienischen Möglichkeiten lag. Die Nachfrage wiederum war hoch, denn den Vampiren der Stadt blieben kaum andere Optionen, wenn sie sich nicht mit der Wache anlegen oder abstinent werden wollten.
So blieben die Preise - angefangen beim Blut alter, notgeschlachteter Pferde, über das Blut jüngerer Tiere bis hin zu nach Gesundheits- und Altersgraden abgestuftem Menschenblut - über die Jahre größtenteils konstant. Sowohl Käufer als auch Verkäufer waren zufrieden, bis vor etwa einem halben Jahr der Markt durcheinander geriet. Plötzlich tauchten Händler in der Stadt auf, die Blut der allerbesten Qualität - kerngesunde menschliche Jugendliche und junge Erwachsene, keiner älter als zwanzig Jahre - zu Schleuderpreisen anboten, mit denen keiner der alteingesessenen Produzenten mithalten konnte. So kam es, dass eine Delegation diverser Gildenoberhäupter bei DOG vorstellig wurde, um sich über die neue Konkurrenz zu beschweren. Humph MeckDwarf, der Leiter der DOG, kümmerte sich darum, wie sich in der Geschichte des Multiversums noch jeder Chef um unliebsame Probleme gekümmert hatte: Er richtete eine Arbeitsgruppe ein, die sich der Sache annehmen sollte. Und wie es ebenfalls Sitte ist, wurde die Leitung dieser Arbeitsgruppe dem Wächter übertragen, der am wenigsten überzeugend so tun konnte, als habe er gerade zu viel anderes zu tun.
"Diese Arbeitsgruppe also, geleitet von" - Oberstabsspieß Harry räusperte sich und streckte eine nicht sehr beeindruckende Brust ein bisschen heraus - "meiner Wenigkeit, ist der Spur - der Blutspur, wenn man so will, hihi - über ein paar Zwischenhändler zu einer Sippe von Vampiren gefolgt, die seit einem knappen Jahr in der Stadt sind. Sie haben das alte Spinachii-Anwesen gekauft."
Er machte eine kurze Pause und deutete auf den Umschlag, der vor ihm auf dem Tisch lag. Die andere Person im Raum griff danach, öffnete ihn und blickte auf einen Stapel Ikonographien. Die oberste davon zeigte ein großes, von einer hohen Mauer umgebenes ankhianisches Herrenhaus.
Die Person schaute auf das Bild und dann zurück zum Gnom. "Soweit, so gut. Diese Vampire bieten also hochwertiges Blut zu günstigen Preisen an, und DOG vermutet, dass sie es sich auf illegalem Weg beschaffen, richtig?"
"Ja, genau so ist es", bestätigte Harry. "Um diese Theorie überprüfen, brauchen wir jemanden, der sich bei den Vampiren einschleicht und dort nach Beweisen sucht."
Hauptgefreite Mina von Nachtschatten nickte und blätterte die nächsten Bilder durch. Sie zeigten das Haus aus verschiedenen Winkeln, und auf einigen von ihnen waren blasse, schwarz gekleidete Gestalten zu sehen, die das Grundstück betraten oder verließen. Plötzlich hielt sie inne. "Was ist denn das hier?" Sie deutete auf das Bild. "Wieso glitzert der hier auf dem Bild so?"
"Ach, das? SUSI meint, das liegt an einem der Inhaltsstoffe der Sonnencreme, die sie benutzen, und die irgendwie auf das Sonnenlicht reagiert. Sie glitzern alle so, wenn sie im Sonnenlicht stehen." Er wartete ein wenig, während Mina die weiteren Bilder durchblätterte. "Also, was meinst du, kriegst du das hin?"
Die Hauptgefreite war sich nicht sicher, ob sie sich über ihren Auftrag freuen sollte oder nicht. Abgesehen davon, dass sich ihr schon bei dem Gedanken an Blut der Magen umdrehte, war ihr auch nicht wohl bei der Vorstellung, von so vielen Vampiren umgeben zu sein. Klar, sie war selbst einer, aber eigentlich kam sie mit anderen Vampiren um so besser zurecht, je weniger man ihnen anmerkte, dass sie welche waren. Aber Beruf war Beruf...
Sie hob den Kopf und wandte sich wieder an den Gnom. "In Ordnung, Oberstabsspieß. Ich kriege das hin. Gibt es schon eine Legende für mich?"
Harry sah sie verständnislos an. "Eine was?"
"Na, eine Tarnidentität! Als wer oder was soll ich denn bei denen aufkreuzen?"
"Ach so, sag das doch gleich! Also, pass auf..."
Das Spinachii-Anwesen lag auf einem Hügel am Rande von Ankh. Es gehörte zu den größten Grundstücken der Stadt und hatte nach dem Tode des alten Lord Spinachii einige Monate leer gestanden. Inzwischen wurde es von jemandem bewohnt, der offensichtlich großen Wert auf seine Privatsphäre legte: Das vergitterte Tor war war nagelneu und mit einem stabilen Schloss versehen, oben auf der Mauer waren Glassplitter und Stacheldraht ausgelegt, und ein Schild am Tor wies mit dem Text "BESUCHER SIND NICHT WILLKOMMEN" unmissverständlich darauf hin, dass Besucher nicht willkommen waren.
Mina stand ein paar Meter von dem Tor entfernt und wünschte sich, sie könnte einen Kosmetikspiegel benutzen, um ihr Make-Up zu überprüfen. Das war einer der Nachteile des Vampirdaseins: Man konnte sich nicht vernünftig schminken. Eigentlich wäre das für diesen Einsatz auch nicht notwendig gewesen, schließlich musste sie nicht als Mensch durchgehen, aber sie hatte sich dennoch ihre Augenlider ein bisschen nachzeichnen lassen, um sich ein bisschen mehr das klassisch-altmodische Vampir-Aussehen zu geben. Außerdem trug sie ein weinrotes Kleid und hatte offenes Haar, um den Eindruck zu vervollständigen.
Es war früher Abend und die letzten Sonnenstrahlen versickerten gerade zwischen den Sträuchern. Mina sammelte kurz ihre Gedanken, dann zog sie kräftig am Glockenstrang. Kein Geräusch war zu hören, aber wenige Sekunden später trat eine buckelige Gestalt aus einem Schatten in der Nähe des Tores heraus. "Thie wünthen, Fräulein?", fragte er die Vampirin durch die Gitter des Tores hindurch.
"Hallo Igorr", entgegnete Mina und übertrieb ihren leichten überwaldischen Akzent dabei bewusst. "Mein Name ist Alania Lysina. Ich würrde gerrne deinen Herrrren
[1] sprrechen."
Igor kniff die Augen zusammen (zumindest das eine Auge, das Mina sehen konnte, das andere saß so tief in seiner Höhle, dass es unter der buschigen Augenbraue gar nicht zu erkennen war). "In welcher Angelegenheit bitte, Fräulein?"
"Geschäftlich. Ich bin darran interressiert, grrößere Mengen an... Handelswarre zu errwerrben."
Der Igor zögerte kaum merklich. "Warten Thie bitte hier, ich teile eth der Herrin mit", sagte er dann und verschwand wieder in den Schatten.
Wer auch immer hier wohnt, ist wirklich auf Privatsphäre bedacht, überlegte die verdeckte Ermittlerin.
Und dem Igor war anzusehen, dass er es nicht mochte, mich draußen warten zu lassen, statt mich rein zu bitten. Ist ja auch schon fast ein Kodex-Verstoß...Sie stellte sich darauf ein, eine Weile warten zu müssen, und studierte in der Zwischenzeit das Anwesen. Ein gepflegter, aber eher spärlich bepflanzter Garten umgab das Gebäude. Das Haus selbst war ebenfalls in einem guten Zustand, aber es wirkte durch die mit Brettern vernagelten Fenster auf den ersten Blick unbewohnt. Erst beim zweiten Hinsehen war hinter einigen dieser Fenster ein schwacher Kerzenschein zu erkennen.
Einige Minuten später tauchte der Igor so plötzlich wie beim ersten Mal wieder am Zaun auf. "Eth tut mir Leid, Fräulein, aber die Herrin hat kein Interethe."
Darauf war die Vampirin vorbereitet gewesen. "Gib ihrr das hierr. Vielleicht überrlegt sie es sich dann anderrs." Sie reichte dem Igor einen Umschlag durch die Gitterstäbe des Tores. Dieser nahm ihn entgegen und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Im Geiste ging Mina noch einmal die Checkliste durch. Gute Vorbereitung und eine hieb- und pflockfeste
[2] Legende waren das A und das Я
[3] einer jeden verdeckten Ermittlung. Wenn sie es nicht schaffte, diese Herrin zu überzeugen, dann...
Dieses Mal musste sie nicht einmal eine Minute warten, bis der Igor wieder auftauchte. "Die Herrin empfängt Thie. Folgen This mir bitte."
Er öffnete das Tor und nickte Mina zu. Diese folgte ihm durch den Garten zur Tür des Hauses, die sich vor ihnen öffnete. Ihre geschulten Augen bemühten sich, jedes kleine Detail wahrzunehmen, das später wichtig werden könnte. Igor führte sie in eine zwei Stockwerke hohe Eingangshalle, die in der ersten Etage von einer Brüstung gesäumt wurde. Der Raum hätte sicher sehr imposant gewirkt, wäre es nicht so düster gewesen. Alle Fenster waren vernagelt, so dass kaum ein Lichtstrahl den Raum erhellen konnte. Keine Menschenseele war zu sehen, aber von irgendwo im ersten Stock konnte sie Stimmen hören.
Sie gingen eine breite Treppe hinauf und Igor öffnete ihr eine Tür. Mina sah in einen kleinen, aber gemütlich eingerichteten Salon, der wie alle anderen Räume des Hauses mit Brettern verbarrikadierte Fenster hatte, aber von mehreren großen Kerzenleuchtern erhellt wurde. Auf einem Sessel saß eine dünne, blasse, in schwarz gekleidete Frau, die Mina mit einer Art ausdrucksloser Neugier musterte. "Fräulein Alania? Setzen Sie sich doch." Ihre Stimme war tief und fast akzentfrei.
Auf einen Wink hin verschwand Igor und schloss die Tür hinter sich, während Mina der Aufforderung nach kam und auf einem freien Sessel Platz nahm.
"Vendetta Opelia Astra Corsa Insignia Allegra Zaphira Antara", begann die Frau das Gespräch, nachdem Mina sich gesetzt hatte.
"Alania Lysina Serrina Trryptophania Leucina Valina", ratterte Mina zur Antwort herunter, ohne mit der Wimper zu zucken.
Wer hat den längsten? war ein beliebtes Spielchen bei traditionellen Vampiren, und sie war froh, dass ihre Gesprächspartnerin nur den Kurznamen verwendet hatte. Bei formellen Anlässen wurde traditionell der gesamte Name vorgetragen, was in extremen Fällen schon dazu geführt hatte, dass Abendempfänge bei überwaldischen Grafen nach der Verlesung der Gästeliste wegen des anbrechenden Tages vertagt werden mussten.
Die Vampirin nickte. "Von einer Seitenlinie der Maseltovs, wie ich sehe." Auf ihrem Schoß lag das von der Wache in mühevoller Arbeit erstellte Visitenheft, das in dem Umschlag gesteckt hatte
[4].
"So ist es", bestätigte die Wächterin. "Ich bin vorr zwei Wochen nach Ankh-Morrporrk gekommen. Mein Vaterr hat mich geschickt, um Handelsbeziehungen zu knüpfen."
"Ich verstehe." Lady Vendetta legte die Fingerspitzen aneinander. "Die Maseltovs sind natürlich eine wohlbekannte Familie, aber ich fürchte, ihr Wohnsitz liegt liegt weitab von jeder Klacker-Strecke. Es dürfte Wochen dauern, bis ich über diesen Weg Ihre Daten bestätigen kann."
Na was denkst du denn, warum wir uns diese Familie ausgesucht haben? dachte Mina für sich. Regel Nummer zwei aus dem Handbuch für verdeckte Ermittler: Mach es dem anderen so schwer wie möglich, deine Identität zu überprüfen. Laut sagte sie, mit aller Empörung in der Stimme, die sie aufbringen konnte: "Heißt das, Sie glauben mirr nicht?"
"Sagen wir, ich bin vorsichtig. Ich möchte nicht, dass andere etwas über unsere... Produktionsprozesse herausfinden." Mina setzte zu einer Erwiderung an, und Lady Vendetta fuhr schnell fort: "Nicht, dass sie illegal wären. Aber es sind... Geschäftsgeheimnisse, die wir gerne für uns behalten wollen." Sie dachte kurz nach. "Wie wäre es, wenn ich Ihre Geschichte überprüfe, und wir uns in zwei Wochen wiedertreffen?"
"Im Prrinzip gerrne", antwortete Mina in einem bedauernden Tonfall. "Ich habe allerrdings gesterrn gerrade eine Nachrricht von meinem Vaterr bekommen, in derr er mirr mitteilt, dass mein Brruderr kurrz davorr ist, in Gennua einen Verrtrrag abzuschließen." Regel Nummer drei aus dem Handbuch für verdeckte Ermittler: Sorge für Zeitdruck und lass dem Gegenüber keine Zeit, lange nachzudenken. "Sie müssen wissen" - sie senkte verschwörerisch die Stimme - "dass mein Brruderr nach Gennua geschickt wurrde. Mein Vater will prrüfen, werr von uns beiden in der Lage ist, das besserre Angebot einzuholen. Wenn ich ihm in drrei Tagen kein besserres Angebot schicken kann, dann hat mein Brruderr gewonnen und wirrd die Hälfte der Länderreien maines Vaterrs bekommen." Sie sah die andere Vampirin eindringlich an. "Bitte, Lady Vendetta, ich verrsicherre Ihnen, wenn Sie auf mein Angebot eingehen, dann wirrd es fürr uns beide äußerrst prrofitabel werrden."
Die andere Vampirin zögerte merklich. Dann klatschte die zweimal in die Hände, und sofort öffnete sich die Tür und Igor erschien. "Ja, Herrin?"
Lady Vendetta winkte ihn zu sich heran und murmelte ihm dann etwas für Mina unverständliches ins Ohr. Igor nickte und verschwand wieder.
Vendetta sah wieder zu Mina und lächelte. "Nun, dann erzählen Sie doch mal - was genau wollen Sie?"
"Ich habe gehörrt, dass Sie qualtitativ hochwerrtiges Blut in grrößerren Mengen besorrgen können."
"So? Aber wieso braucht denn Ihr Vater Blut aus Ankh-Morpork?" In Überwald gibt es doch genug... Vieh."
Vieh, dachte Mina bei sich.
So eine ist das also... "Err glaubt, err könnte in Überrwald einen Marrkt für hochwerrtiges exotisches Blut öffnen. Die Tatsache, dass es aus so ferrnen exotischen Länderrn wie Ankh-Morrporrk oder Gennua kommt, könnte es fürr wohlhabende Käuferr interressant machen."
"Ich verstehe." Lady Vendetta stand auf schritt langsam durch den Raum. "Nun, eventuell haben wir tatsächlich entsprechende Ware im Angebot." Sie öffnete einen kleinen Schrank und entnahm ihm eine Flasche und zwei Gläser. "Warum überzeugen Sie sich nicht selbst von der Qualität, während wir auf Igors Rückkehr warten?"
Blut! Mina war froh, dass sie ihrer Hautfarbe ein bisschen nachgeholfen hatte, sonst hätte Lady Vendetta vielleicht gesehen, wie sie noch blasser wurde, als sie es ohnehin schon war. Jetzt wurde es ernst...
Wenige Meter vor dem Eingangstor hockte Harry unter einem Strauch. Er hatte sich ein kleines Polster aus Moos zurecht gemacht und schaute durch die Dunkelheit in Richtung des Anwesens. So weit, so gut - Mina war erfolgreich in das Gebäude eingeschleust worden. Jetzt gab es drei Möglichkeiten: Wenn alles gut ging, würde nichts passieren, und irgendwann würde sie wieder herauskommen und hoffentlich einige Erkenntnisse mitbringen. Wenn es schief ging, würde sie hoffentlich eine Gelegenheit bekommen, ein Signal zu geben - dann mussten sie versuchen, sie da irgendwie raus zu holen. Die dritte Möglichkeit...
Eine buckelige Gestalt, die in der Dunkelheit nur schemenhaft zu sehen war, trat aus dem Haupthaus des Anwesens und riss den Gnom so aus seinen Gedanken. Da war die dritte Möglichkeit. Jemand wurde losgeschickt, um Minas Geschichte zu überprüfen. Da das Gebäude keinen Klackerturm hatte, und vorige Observierungen keine Anzeichen von Taubenaktivität entdeckt hatten, blieb dafür nur der Weg zu Fuß.
Der Gnom nahm die Verfolgung auf. Hoffentlich würde der Igor den Weg einschlagen, den sie erwarteten - sonst war Improvisationstalent gefragt.
Mina betrachtete das Glas, das die Lady vor ihr abgestellt hatte. Die rote Flüssigkeit darin drehte ihr beinahe den Magen um.
Nur nichts anmerken lassen!"Ein 1993er, weiblich, B-positiv. Probieren Sie doch!", meinte die Lady einladend.
Mina versuchte, Zeit zu schinden. "1993? Unglaublich. Wie kommen Sie an einen so herrvorrrragenden Jahrrgang?"
Sie hatte damit gerechnet, dass diese Situation eintreten konnte, aber sie hatte nicht das Risiko eingehen wollen, ihre Blutunverträglchkeit einzugestehen. Das hätte die Lady sicherlich unnötig misstrauisch gemacht und wahrscheinlich jede Chance zerstört, ihr Vertrauen zu gewinnen. Also nippte sie einen winzigen Tropen und bemühte sich um eine Kennermiene statt eines angewiderten Blickes. Die schwere, warme Flüssigkeit auf ihrer Zunge drehte ihr beinahe den Magen um.
"Nun, Sie und Ihr Vater können auf jeden Fall sicher sein, dass alles vollkommen legal ist.", entgegnete Lady Vendetta ausweichend. "Und, schmeckt er?"
Mina tat so, als hätte sie ein wenig Blut im Mund, welches sie hin- und herspülte, um den Geschmack zu testen. "Herrvorrrragend", entgegnete sie schließlich lächelnd. "Aber ich muss mich auf jeden Fall verrgewisserrn, dass die Jahrrgangs- und Qualitätsangaben stimmen. Bei den Mengen, die meinem Vaterr vorschweben, müssen Sie verrstehen, dass err auf Nummerr Sicherr gehen möchte."
"Natürlich", lächelte Lady Vendetta. Sie schwieg kurz und schien nachzudenken. "Also gut - ich führe Sie ein bisschen herum, während wir auf Igor warten. Ich habe ihm aufgetragen, Ihre Aussagen zu überprüfen - das ist natürlich eine reine Formalität.. Ich muss dann allerdings darauf bestehen, dass Sie unser Gast bleiben, bis er wieder da ist. Das verstehen Sie sicher."
"Natürrlich", antwortete Mina, der die unausgesprochene Drohung in diesem Satz nicht verborgen blieb.
Verbissen klammerte Harry sich an der Rückwand des Eselskarrens fest. Der Igor fuhr schnell - zu schnell, wenn man bedachte, wie dunkel es inzwischen war.
Es sei denn natürlich, er hat sich ein paar Augen mit guter Nachtsicht gegönnt - von einer Katze vielleicht, überlegte der Gnom.
Er konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, wohin sie fuhren, aber die Straße war gut gepflastert, es musste sich also immer noch um eine der Hauptstraßen handeln. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten, wie man Minas Legende überprüfen konnte: Er konnte einen Klacker versenden, oder er konnte es bei der überwaldischen Botschaft versuchen. Für beide Eventualitäten hatten die Wächter einen Plan parat. Der Richtung nach, die der Igor eingeschlagen hatte, war er wohl auf dem Weg zur Botschaft - aber man konnte nie wissen, ob es nicht noch eine nicht bedachte Eventualität gab, die ihre Pläne in Gefahr bringen würde.
Er drehte sein Gesicht zur Seite, damit der Fahrtwind ihm nicht in die Augen wehte, und wartete darauf, dass sie ihr Ziel errechten.
Lady Vendetta führte die Wächterin einen Korridor entlang zu einer großen, doppelflügligen Tür, die sie mit einer kurzen Bewegung aufstieß. "Darf ich vorstellen? Meine... Kinder."
Auf der anderen Seite der Tür befand sich ein großer Raum mit einem großen Tisch aus schwarzem Holz, einer weinroten Sitzecke und mehreren Regalen voller Bücher. Auch her waren die Fenster vernagelt, aber mehrere vergoldete Kerzenleuchter erhellten den Raum.
Etwa ein Dutzend Vampire - Männer und Frauen - hielt sich hier auf, teils im Gespräch und teils in ein Buch versunken. Die Gespräche verstummten, als sie die Neuankömmlinge bemerkten. Mina schaute die Gruppe an. Sie alle wirkten sehr jugendlich - keiner sah, nach menschlichen Maßstäben, älter als dreißig aus - und sehr attraktiv. Ihre Kleidung,ihr Haarschnitt und ihre ganz Aura strahlten eine spürbare Erotik aus, Auf eine schwer zu erklärende Art erschienen sie Mina dadurch noch bedrohlicher, als es eine große Gruppe unbekannter Vampire -
echter Vampire, sie spürte deutlich, dass die anderen deutlich mächtiger waren als sie - ohnehin schon tat.
Immer mit der Ruhe, befahl die Wächterin sich selbst.
Keiner wird dir etwas antun - jedenfalls nicht, wenn deine Tarnung nicht auffliegt. "Darf ich euch Alania Lysina vorstellen? Sie möchte gerne unser... Geschäft kennenlernen", rief Lady Vendetta in die Runde. "Setzen Sie sich doch, ja? Eduard und Chantal leisten Ihnen Gesellschaft. Ich hole eben die Gläser von drüben." Sie nickte zweien der Vampire zu, die sich gehorsam zu ihnen begaben und Mina einen Stuhl zurecht rückten. Die Wächterin sah, dass ihre Haut im Licht der Kerzenständer unnatürlich funkelte.
"Setzen Sie sich doch, Milady", sprach sie der, den Lady Vendetta Eduard genannt hatte, mit einer sanften und honigsüßen Stimme an. "Meine Mutter wird gleich mit Ihrem Drink zurückkommen. "
Mina lächelte und setzte sich. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, in einer Falle zu stecken, ohne dass sie sagen konnte, wieso.
Kurz darauf trat Lady Vendetta wieder ein und brachte das kaum angerührte Weinglas voller Blut mit. Sie stellte es vor Mina ab und setzte sich dann auf den Stuhl ihr gegenüber.
"Sie wollten also wissen, wie wir an unsere... Produkte kommen, nicht wahr?"
"Sehrr gerrne", entgegnete Mina und ignorierte das Glas mit der ekelerregenden Flüssigkeit.
"Nun, eigentlich ist es ganz einfach. Wir haben in der ganzen Stadt freiwillige Blutspender."
"Spenderr? Wie finden Sie denn Spenderr in dieserr Qualität?"
Die Lady schmunzelte. "Da kommen meine... Kinder ins Spiel. Junge Menschen sind leicht zu... betören. Vor allem solche, die seltsamen Ideen von Romantik anhängen. Wenn man ihnen nur schöne Augen macht, dann sind sie mehr als bereit, ein wenig von ihrem Blut abzugeben - stimmt es nicht, Eduard?"
Der angesprochene lächelte und zeigte dabei seine Eckzähne, was auf rätselhafte Weise mehr erotisch als gefährlich wirkte. "So ist es, Mutter."
"Ihrre Kinderr" - Mina gab sich große Mühe, mehr interessiert als angewidert zu klingen - "verrführren also junge Männerr und Frrauen, und bringen se so dazu, frreiwillig ihrr... Blut zu geben? Verrstehe ich das rrichtig?"
"Genau so ist es. An guten Tagen schafft es jedes meiner Kinder, sich mit fünf oder sechs Spendern zu treffen. Da kommt schon eine gewisse Ausbeute zusammen. Man darf es natürlich nicht übertreiben, denn wenn sie vor Blutarmut sterben, müssen wir uns enen neuen Spender suchen."
Die Hauptgefreite schüttelte den Kopf. Was für ein hoffnungslos naiver Romantiker musste man sein, um sich in einen Vampir zu verlieben? Von der Sache mit dem Blut abgesehen, kam noch die Unsterblichkeit dazu, die in jeder Beziehung irgendwann zu Problemen führen würde. Es sei denn natürlich, die Kinder der Lady setzten eine Art Glamour ein, um ihre Opfer zu überzeugen - eine von vielen Vampirfähigkeiten, die Mina nur vom Hörensagen konnte.
Der Wagen hatte angehalten, und Harry sprang herunter und sah sich um. Der Igor hatte in einer trotz der fortgeschrittenen Stunde recht belebten Straße geparkt. Der Gnom brauchte einen Moment, sich zu orientieren, dann erkannte er das kleine, aber dennoch durch seine klassische überwaldische Architektur beeindruckende Gebäude der überwaldischen Botschaft wieder.
Es war eine relativ neue Einrichtung - schon alleine deshalb, weil Überwald aus Dutzenden verschiedener Baronien, Grafschaften und Königreiche bestand, die keiner gemeinsamen Regierung unterstanden. So musste die Anzahl überwaldischer Einwanderer in Ankh-Morpork erst eine gewisse Schwelle erreichen, bis die Nachfrage nach direkten Informationen und direktem Kontakt in die Heimat so groß war, dass ein paar geschäftstüchtige ehemalige Überwalder mit guten Verbindungen in die Heimat auf die Idee kamen, eben diese Verbindungen in Profit umzuwandeln. Sie sammelten täglich in Überwald die neusten Informationen aus allen Regionen und führten ein Verzeichnis aller in Ankh-Morpork lebenden Überwalder, so dass sie zur ersten Anlaufstelle für alle Anfragen aus der und für die Heimat wurden. Auch die Könige, Grafen und Fürsten erkannten schnell die Vorteile einer solchen Einrichtung und verliehen ihr schließlich, im Gegenzug für exklusiven Zugriff zu all diesen Informationen, den offiziellen Titel einer Botschaft, und damit so schöne Privilegien wie Steuerbefreiung und Immunität vor Strafverfolgung.
Für die Wächter war das ein Nachteil, da Lord Vetinari große Stücke auf Dinge wie "diplomatische Immunität" hielt (zumindest solange es nicht seinen eigenen Interessen zuwider lief), was ihre Handelsmöglichkeiten ein wenig einschränkte. Aber es gab andere Möglichkeiten...
Harry sah die Straße herunter und fand schließlich, wonach er suchte: Eine Gestalt stand etwas abseits der Botschaft an einen Baum gelehnt. Sie hielt eine große Flasche, aus der sie immer wieder einen tiefen Schluck nahm. Der Gnom sah kurz zur Botschaft - der Igor war inzwischen darin verschwunden - und lief dann auf sie zu.
"Lilli?"
Die Gestalt setzte die Flasche wieder ab und sah nach unten. Ein strenger Alkoholgeruch wehte dem Gnom entgegen. Harry war beeindruckt: Niemals hätte er diese Person in ihrer zerlumpten Kleidung für eine Wächterin gehalten. Es war schon schwer genug, überhaupt zu erkennen, dass es sich um eine Frau handelte.
"Ein Igor ist hier, um Minas Geschichte zu bestätigen. Er ist mit dem Karren dort - " der Gnom deutete kurz - "gekommen. Hast du den Ersatz?"
Lilli nickte und klopfte kurz auf ihre Manteltasche, aus der die Ecke eines Umschlags lugte. Sie hatten sich große Mühe gegeben, das Siegel der Botschaft exakt zu reproduzieren. Wenn alles nach Plan lief, würde Igor in der Botschaft einen Umschlag mit Details zu Alania Lysina bekommen - dass es sich um eine kleinkriminelle Vampirin aus Überwald handelte, die vor einem Jahr von ihrer Familie verstoßen worden war (und die derzeit wegen Raubüberfalls im Gefängnis der Wache saß). Was er dann zu seinem Herrn bringen würde, war aber - hoffentlich - der Umschlag, den Lilli jetzt in bei sich trug.
"Gut. Ich verstecke mich wieder auf dem Wagen - viel Erfolg!"
Die Wächterin nickte erneut und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Als professionelle verdeckte Ermittlerin legte sie großen Wert darauf, so authentisch wie möglich zu wirken, weshalb ihr der Alkohol schon ein klein wenig zu Kopf stieg - aber den Rest der Flasche würde sie schon noch schaffen. Jedenfalls, wenn der Igor nicht zu früh wieder aus dem Gebäude kam.
Mina wurde immer unbehaglicher zumute. Es war klar, dass die Lady sie nicht gehen lassen würde, bis Igor wieder da war, und sie merkte, dass das immer noch kaum angefasst Glas Blut ihre Gastgeberin immer misstrauischer machte.
Chantal und Eduard hatten ein wenig über ihre "Affären" geredet und Mina hatte sich bemüht, interessiert zuzuhören, während die Art, wie die Vampire von Menschen sprachen, als wäre es nichts weiter als Weinflaschen, ihr den Magen umdrehte (oder vielleicht war es auch der Geruch des Blutes, der ihr die ganze Zeit in die Nase stieg). Lady Vendetta hatte hauptsächlich höfliche Fragen zu Überwald und ihrer angeblichen Herkunft gestellt, die Mina mit Hilfe einer Kombination aus auswendig gelernten Fakten und Improvisation beantwortete.
Um was für ein Verbrechen handelte es sich hier überhaupt?
Hatten diese Vampire eigentlich ein Verbrechen begangen? Sicher, was sie taten, war moralisch abgrundtief verwerflich, aber gab es ein Gesetz dagegen? Es war kein Diebstahl, wenn die Opfer ihr Blut freiwillig gegeben hatten. Natürlich konnte man argumentieren, dass fast jeder Vampir -
jeder außer mir, korrigierte sie sich selbst - über einen natürlichen Glamour verfügte, mit dem er schwächere Verstande beeinflussen konnte. Aber faktisch hatte die Anwaltsgilde noch in fast jedem Fall von mutmaßlichem Glamour einen Schuldspruch verhindern können, weil er, außer in extremen Fällen, unmöglich nachzuweisen war. Und gerade in diesem Fall hier war es geradezu unmöglich, die Grenze zwischen normaler Anziehung und Glamour zu ziehen. Aber irgend etwas musste sie finden, was sich diesen - sie zögerte, sie "Leute" zu nennen - diesen
Kreaturen anhängen ließ...
"Ihnen scheint es wirklich nicht zu schmecken", kommentierte die Lady gerade. "Vielleicht ist eine andere Blutgruppe eher Ihr Geschmack?"
"In einer Stunde treffe ich einen hervorragenden B-Positiv-Jahrgang", warf Chantal ein. "Wenn Sie noch eine Weile bleiben, können Sie ganz frisch kosten."
"Danke, das ist sehrr nett", entgegnete Mina. "Aberr ehrrlich gesagt, ich habe einfach keinen Appetit, auch wenn err ganz herrvorrrragend schmeckt."
"Keinen Appetit?" Die Lady runzelte die Stirn. "Nun gut, ich möchte ja nicht drängen. Dann reden wir doch über das Geschäft. Wie viel Ware würde Ihr vater denn kaufen wollen?"
Mina wollte gerade antworten, als ein anderes der Kinder der Lady den Raum betrat und seiner Mutter etwas ins Ohr flüsterte.
Lady Vendetta nickte und erhob sich. "So, Igor ist zurück. Ich bin sicher, er wird Ihre Geschichte bestätigen können, nicht wahr? Dann können wir danach die geschäftlichen Details besprechen."
Die Tür öffnete sich erneut und Igor kam, mit einem Umschlag in der Hand, in den Raum. Mina bemerkte erleichtert, dass seine hellgraue Kutte am Saum schmutzig war, als wäre er von jemandem angerempelt und zu Boden gestoßen worden.
Lady Vendetta nahm den versiegelten Umschlag entgegen und nickte dem Igor zu, der wieder verschwand und die Tür hinter sich schloss. Dann öffnete sie ihn und entnahm ihm einige Papiere, die sie aufmerksam studierte.
"Ich verstehe", murmelte sie schließlich und sah auf. "Ihr Vater ist tatsächlich der Bruder von Baron von Rabenfels?"
"Ja, das ist err. Aber err hat nicht viel mit ihnen zu tun."
"Sieh mal an. Warum steht denn hier dann etwas von
Falkenfels?" Die Lady ließ die Papiere sinken. "Wer sind Sie wirklich?"
Mina schrak zusammen, fasste sich jedoch sofort wieder. "Wie... wieso? Natürrlich, ich meinte Falkenfels. Ich sagte ja, wirr haben kaum etwas mit ihnen zu tun." Sie zwang sich zu einem schmalen Lächeln.
"Ein Vampir, der seine eigene Verwandtschaft nicht kennt und keinen Appetit auf Blut hat? Niemals. Du hast weniger von einem Vampir als ein Pudel von einem Wolf. Jemanden wie dich würde man in Überwald verstoßen, und nicht auf Geschäftsreise schicken. Also, ich frage noch einmal: Wer bist du?"
Mist! Nun gut, es hatte wohl keinen Zweck, zu versuchen, die Tarnung aufrecht zu erhalten. Mina sammelte sich kurz. "Mina von Nachtschatten, Stadtwache Ankh-Morpork."
"Eine Wächterin?" Die Lady verzog spöttisch das Gesicht. "Ein Pudel, der sich einbildet, ein Terrier zu sein. Wie erbärmlich! Nun, Frau Wächterin, du hättest auch einfach an der Tür klopfen und mich ganz offiziell befragen können. Dann hätte ich dir gesagt, was ich dir jetzt auch sage: Es gibt kein Gesetz in Ankh-Morpork, gegen das wir verstoßen haben. Keiner unserer Spender hat irgendeinen Schaden davon getragen, und alles, was sie uns gegeben haben, war absolut freiwillig."
Aus den Augenwinkeln sah die Wächterin, dass die Tür sich öffnete, und einige von Lady Vendettas 'Kindern' in den Raum kamen. Sie achtete nicht weiter auf sie, sondern sah die Lady finster an. "Sie wissen genau, dass ihre 'Kinder' den Verstand von Menschen beeinflussen können. Da kann man wohl kaum von Freiwilligkeit sprechen."
"Ach?" Lady Vendetta schaute sie mit einem künstlich-schockierten Blick an. "So etwas würden wir nie machen. Alles, was die Spender uns geben, tun sie aus reiner und ganz natürlicher Zuneigung." Sie beugte sich ein bisschen vor. "Und wenn es nicht so sein sollte - dann versuch mal, das zu beweisen!"
Mina widerstand nur mühsam dem Drang, mitten in dieses selbstgefällige Grinsen zu schlagen. Sie spürte, dass die ständige Anwesenheit all dieser Vampire sie immer aggressiver machte. Etwas an ihnen - in ihrer Aura, in ihrem Geist - machte es ihr schwer, klar zu denken.
"Wahrscheinlich haben Sie da sogar recht", sagte sie. "Auch wenn ich es abstoßend und widerwärtig finde, wie Sie mit den Gefühlen von unschuldigen jungen Menschen spielen. Vielleicht ist das nicht strafbar - aber wir werden sehen, was passiert, wenn ich einen Brief dazu an die
Times schreibe, nicht wahr?"
Einen Moment schien Lady Vendettas süffisantes Lächeln einzufrieren. "Einen Brief an die
Times? Wieso denn das?"
"Nun, wenn ganz Ankh-Morpork weiß, was Sie und Ihre Kinder für ein Geschäft betreiben, dann dürfte es Ihnen schwer fallen, neue 'Spender' zu bekommen, nicht wahr?"
Die Lady schüttelte den Kopf. "Warum solltest du das tun? Wieso liegt dir so viel an ein paar... Menschen?" Sie spuckte das Wort aus, als hätte sie "Kakerlaken" gesagt.
Die anderen Vampire im Raum sahen sie durchdringlich an. Mina meinte, leise Stimmen in ihrem Kopf zu hören.
Was bist du? fragte eine von ihnen.
Du bist eine von uns! antwortete eine andere.
"Lasst das!", fauchte sie die anderen Vampire an, und die Worte klangen vampirischer, animalischer, als sie es von sich selbst gewohnt war. Die anderen antworteten ihr mit einem spitzzähnigen Grinsen.
Mina wandte sich zur Tür, doch die wurde von Eduard blockiert. "Lasst mich raus!", fuhr sie ihn an.
Aber wieso? fragte eine der Stimmen in ihrem Kopf.
In jedem Pudel steckt noch ein bisschen von einem Wolf. Lass ihn raus und sei frei!"Oh nein, ihr könnt mich nicht beeinflussen", rief Mina, ohne sich dabei selbst ganz sicher zu sen. "Ich bin vielleicht schwach, aber ich bin immer noch ein Vampir, und kein jämmerlicher Mensch!"
Jämmerlicher Mensch? Hatte sie das gerade wirklich gesagt? War sie noch sie selbst?
"Vielleicht hilft ein wenig... Stärkung?" Die Lady war zum Tisch getreten und hatte das kaum angefasste Glas mit Blut in die Hand genommen. "Ein kleiner Schluck, dann sieht die Welt schon gleich ganz anders aus."
Wie hypnotisiert sah die Wächterin auf das Glas mit der roten Flüssigkeit.
Trink es! flüsterten die Stimmen.
Genieße es! Energisch schüttelte sie den Kopf und versuchte, die Stimmen auszusperren. "Ihr könnt mich... nicht... kontrollieren!", stieß sie hervor und machte eine Finte nach links, um dann rechts unter Eduard hindurch zu tauchen und durch die noch offen stehende Tür auf den Flur zu laufen. Das war zumindest der Plan, aber der Vampir schnappte sie sich mit frustrierender Leichtigkeit und stieß sie wieder in den Raum hinein.
"Was ist denn los?" Lady Vendetta hielt ihr freundlich lächelnd das Glas entgegen. "Erzähl mir nicht, dass du dir nie gewünscht hast, keine... halbe Kreatur mehr zu sein. Wir können dir helfen..."
Der metallische Geruch des Blutes stieg Mina in die Nase, und sie spürte, wie ihr Magen rebellierte. Aber gleichzeitig... war da nicht noch etwas? Tief im inneren, ein Verlangen, ein Durst... Es war, als ob ein Teil von ihr, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass er existiert, plötzlich zum Leben erwachte.
"Du spürst es, nicht wahr? Wir können dir helfen, all die Fähigkeiten zu erwecken, die in dir schlummern... Öffne uns einfach deinen Verstand..."
"Nein!" Mit einer schier übermenschlichen Kraftanstrengung stieß Mina der Gräfin das Glas aus der Hand. Es flog quer durch den Raum und verteilte seinen Inhalt in alle Richtungen, bis es auf dem Boden zerschellte.
Sie hörte die Stimmen in ihrem Kopf enttäuscht aufschreien. Ein paar Tropfen roter Flüssigkeit waren auf ihrem Handrücken gelandet, und ehe sie sich versah, hatte sie die Hand an ihre Lippen geführt und leckte darüber. Ihre Eingeweide krampften sich zusammen, und ihr wurde schwindelig. Nur mit größter Mühe überstand sie dem Drang, sich zu übergeben. Vornübergebeugt und schwer atmend stand sie im Raum, umringt von Lady Vendetta und ihren Kindern.
"Na, wie ist es?", fragte die Vampirin. "Spürst du, wie der Lebenssaft dich stärkt?"
Stärkt, stärkt, stärkt echoten die Stimmen in ihrem Kopf. Und irgend etwas spürte sie tatsächlich... oder war es doch nur Einbildung, hervorgerufen durch den Einfluss dieser Monster? So widerwärtig der Geschmack auch war, so...
verlockend war dennoch auf ein Mal die Vorstellung, mehr davon zu bekommen. Nicht der Geschmack, nicht die Substanz als solches war entscheidend - so viel war ihr auf einmal klar - sondern die Macht, die dahinter steckte. Das Wissen, dass jemand anders seine Lebenskraft für einen hergegeben hatte...
"Ja, ich... ich spüre es", flüsterte sie, und meinte die Stimmen entzückt jauchzen zu hören. "Ich spüre es... oh ja! Gebt mir noch einen Schluck, bitte!"
Lady Vendetta lachte auf und gab Eduard ein Handzeichen. Dieser drehte sich um, um mehr Blut zu holen, und diesen Moment nutzte Mina, um mit einem kräftigen Satz ihm in den Rücken zu treten. Der Vampir fiel, mit den Armen rudernd, bäuchlings zu Boden, und Mina sprang über ihn und stürmte aus dem Zimmer.
"Ihr nach!", kreischte Lady Vendetta hinter ihr. Mina sah sich schnell um. Die breite Treppe, die sie mit der Lady zusammen hinauf gegangen war, führte direkt zur Eingangstür, aber der Weg war von zwei Vampiren blockiert, die am Fuß der Treppe standen. Sie zögerte den Bruchteil einer Sekunde - aber das reichte ihren Verfolgen schon aus. Eine kalte Hand griff sie am Handgelenk. Mina schrie auf, riss sich los und sprang mit einem Satz über die Brüstung hinweg nach unten. Die Vampire unten an der Treppe fuhren herum, aber die Wächterin war schon wieder auf den Beinen, stürmte auf die Eingangstür zu, riss sie auf und machte einen torkelnden Schritt in die Dunkelheit.
"Du willst uns schon verlassen?", fragte die Stimme der Lady in ihrem Kopf mit gespieltem Bedauern. "Dabei können wir dir noch so viel beibringen!"
Mit einem so grellen Fiepen, dass es kaum noch wahrzunehmen war, stürzte sich ein Schwarm Fledermäuse auf die Wächterin. Dutzende nadelscharfe Zähne bohrten sich in ihr Fleisch, zerrten an ihren Haaren und rissen an ihrem Kleid. Die Wächterin schlug um sich, doch es waren einfach zu viele...
Pudel, tönten die Stimmen ihn ihrem Kopf.
Warum wehrst du dich? Du kannst so viel mehr sein...Der Schwarm hüllte sie ein, kratzte und biss. Mina schrie, strauchelte und sackte ermattet zusammen. Viele Hände griffen nach ihr, und die Fledermäuse formten sich vor ihren Augen zu einer Wolke, die sich innerhalb von Sekunden in Lady Vendetta verwandelte. "So, mein Kind", sagte die Vampirin. "Lässt du uns jetzt hinein?"
Mina spürte, dass sie psychisch zu erschöpft war, um dem geistigen Einfluss der anderen Vampire Widerstand zu leisten. Eigentlich wollte sie es auch gar nicht mehr - es war viel einfacher, sich von ihnen zeigen zu lassen, was für Kräfte in ihr schlummerten, und nicht mehr kaum mehr als ein schwacher Mensch zu sein...
Sie spürte die geistige Präsenz der Vampirin in ihren Verstand eindringen... und dann nichts mehr.
Was war passiert? War es vorbei? Sie sah sich um. Lady Vendetta stand dort, wo sie eben noch gestanden hatte, doch hatte sich ihr Mund zu einem erstaunten "O" geöffnet. Aus ihrer Brust ragte das Ende eines hölzernen Armbrustbolzens, von dem der unverkennbare und ekelerregende Geruch von Knoblauchsaft ausging.
Das Blut, die Anstrengung, und jetzt auch noch das... das war zu viel für Mina. Sie krümmte sich auf den Boden und übergab sich würgend, immer und immer wieder, bis ihr schwarz vor Augen wurde.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie mehrere Wächter, die sich über sie beugten. "Alles in Ordnung, Hauptgefreite?", fragte eine Stimme.
Mina sah sich um und ihr Blick fiel auf Valdimier von Varwald, der eine Armbrust in der Hand hielt.
"J... ja, Sör. Ich denke schon." Mit einem schwachen Lächeln setzte sich die Wächterin auf. Einige FROGs waren dabei, die anwesenden Vampire in Ketten zu legen. Von der Lady war nur ein übel riechender Aschehaufen übrig.
"Du hast uns ganz schön Sorgen gemacht", fuhr der Feldwebel fort. "Gut, dass du es zur Tür geschafft hast. Was haben die mit dir angestellt?" Als Mina nicht gleich antwortete, fuhr er fort: "Ruh dich erst mal ein bisschen aus, und... mach dich sauber. Wir nehmen dich dann zurück zum Wachhaus mit, da kannst du in Ruhe deinen Bericht schreiben."
Mina nickte. "Danke, Sör." Immer noch ein wenig wackelig auf den Beinen stand sie auf und ging ein paar Schritte, um sich von dem Trubel zu entfernen. Was war jetzt überhaupt passiert? All diese Gefühle, diese Gier, diese Lust auf Macht und Blut... das war doch nicht sie selbst gewesen, oder? Das war doch ganz sicher nur der Einfluss von Vendetta und ihren Kindern gewesen... oder etwa nicht? Und fühlten sich "echte" Vampire immer so?
Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie so diese Gedanken daraus vertreiben. Vorbei war vorbei, und etwas Gutes hatte der Ausgang der Geschichte: Dadurch, dass die Vampirin sie angegrffen hatte, erübrigten sich fürs erste die Überlegungen, ob ihre Geschäfte legal oder illegal gewesen waren. Ein tätlicher Angriff auf eine Wächterin war Straftat genug.
Auf der Suche nach Wasser, um notdürftig ihr Kleid zu reinigen, ging sie in Richtung des Hauses, als sie eine Stimme hörte: "Hauptgefreite! Alles in Ordnung?"
Sie sah sich suchend um, bis ihr Blick nach unten wanderte und auf Harry fiel, der sie besorgt ansah.
"Hallo, Oberstabsspieß. Ja, mir geht es wieder gut, danke."
"Sicher?" Harry schaute kurz zweifeld. "Du hast da... etwas... auf deinem Kleid."
"Ich weiß. Ich will es gerade putzen."
"In Ordnung. Also, was zum Geier ist hier passiert? Wir haben neun Vampire und einen Igor festgenommen, und ich wüsste gerne, weswegen."
"Äh... können wir das machen, wenn wir wieder im Wachhaus sind? Ich glaube, ich brauche noch ein bisschen Zeit, mich zu sammeln."
Harry sah ein wenig enttäuscht aus, nickte dann aber. "In Ordnung. Beeil dich ein bisschen, in zehn Minuten fahren wir zurück."
Mina nickte zurück und ging dann schnell in das Gebäude hinein, aus dem sie eben geflohen war. Auch hier waren ein paar Wächter dabei, alles zu durchsuchen - der Igor und einige Vampire standen, ersterer mit Handschellen und letztere mit heiligen Om-Schildkröten-Medaillons gefesselt, in der Eingangshalle. Mina ging an ihnen vorbei und fand nach kurzem Suchen die Küche, in der ein Kübel mit eiskaltem Waschwasser stand. Als sie sich gerade säubern wollte, fiel ihr Blick auf etwas anderes - drei Flaschen mit roter Flüssgkeit, säuberlich auf einem Regal aufgereiht.
Nimm es! hörte sie eine Stimme rufen.
Trink es! Gib dich hin!Sie hatte schon drei Schritte auf die Flaschen zu gemacht, bevor sie es merkte und innehielt. Was war nur los mit ihr? Kurz entschlossen griff sie sich den Bottich und verließ die Küche wieder. Sicher waren das nur Nachwirkungen von Lady Vendettas Glamour. Was sie brauchte, war ein wenig Schlaf, dann war sicher alles wieder beim alten.
Draußen angekommen setzte sie sich auf den Boden, den Rücken an die Hauswand gelehnt, putzte ihr Kleid und überlegte sich, wie sie ihren Bericht formulieren sollte.
Morgen war sicher alles wieder beim Alten...
[1] hier war sie sich nicht sicher, ob sie es nicht mit dem Akzent vielleicht ein bisschen übertrieb
[2] manchmal neigte die Wächterin dazu, in überwaldischen Metaphern zu denken
[3] Besonders jetzt, wo sie ohnehin die Rolle einer Überwälderin spielen musste
[4] ein Visitenheft ist wie eine Visitenkarte, aber Vampire brauchen mehr Platz, um den kompletten Namen und den Stammbaum mit unterzubringen
Zählt als Patch-Mission für den Terrier-Patch.
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