Das Hexameron

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von Korporal Rea Dubiata (SEALS)
Online seit 31. 05. 2006
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Ein verregneter Frühlingsabend motiviert die SEALS dazu, vollkommen freiwillig von ihren Erlebnissen zu berichten. Doch halt - irgendetwas ist hier seltsam...

Dafür vergebene Note: 13

Es waren also zweitausendundsechs Jahre vergangen, seitdem der gnädige Schöpfer einer Schildkröte die Last von vier Elefanten und einer Weltscheibe auf den Rückenpanzer gelegt hatte, als in der gräulichen Stadt Ankh-Morpork, die vor allen andern auf der Scheibenwelt dreckig ist, die schlimmsten Regenfälle gelangten welche - entweder durch Einwirkung der Himmelskörper entstanden oder im gerechten Zorn über ihren sündigen Wandel von den Göttern über die Bürger der Stadt verhängt - in der Sto Ebene begonnen, dort eine unzählbare Menge von Kohlfeldern zerstört hatte und dann, ohne anzuhalten, von Ort zu Ort sich verbreitend, jammerbringend ans Rundmeer vorgedrungen war. Gegen diesen Regen half keine Klugheit oder Vorkehrung, weder Armut noch Reichtum schützten vor den Milliarden Litern Wasser, die in riesigen Tropfen vom Himmel und die Kanalisationen fielen. Gegen sie half nur ein gut verdecktes Dach.[1]

Rea Dubiata saß in ihrem Büro, während draußen der Regen prasselte. Es war erst Nachmittag, doch der Himmel war schwarz wie die Nacht und nur Kerzen und Fackeln spendeten Licht. Sie hatte mittlerweile zum dritten Mal in vier Wochen den Dienstplan ändern müssen. Erst hatte Damien ihr mehr oder weniger deutlich klar gemacht, dass er, als verdeckter Szenekenner, sich nicht mit uniformierten Wächter wie Yogi oder Will auf der Straße sehen lassen wollte. Dann hatte Amalarie sich beschwert, sie wolle auf keinen Fall mehr mit Scoglio Dienst schieben, seine speziezistischen Witze seien unaushaltbar und Scoglio hatte sich beschwert, dass das ewige Gezetere der Gnomin ihn in seiner Arbeit behinderte und er sich nicht weiter vorhalten lassen würde, er sei speziezistisch, immerhin war sein bester Freund ein Yeti (oder so etwas ähnliches).
Und so hatte Rea eigentlich andauernd Beschwerden über ihre Handhabung des Dienstplans und sowieso seien die Schichten ja viel zu lang und der Kaffee sei auch nicht mehr das was er einmal war. Vor sich hin murmelnd strich Rea einige Namen durch und schrieb neue darüber, während sie inständig hoffte, dass Anette ihr bald ihren Fruchtsaft brachte, den sie schon vor über einer halben Stunde bestellt hatte. Normalerweise erledigte Anette solche Sachen schnell, vor allen Dingen wenn sie Bereitschaft hatten, denn sie wollte immer die Erste sein, die von einem Einsatz wusste.
Rea ließ den Blick durch ihr Büro schweifen. Ihre Augen blieben an der Krankenliege hängen, die sie in ihrem Büro platziert hatte und fokussierten dann den Umschlag, den sie vorhin achtlos dorthin gelegt hatte. Ein Brief, den jemand unter ihre Tür geschoben hatte. Sie stand auf und öffnete das Kuvert:

Liebe Rea,
ich halte es langsam nicht mehr aus mit dieser wie ein Wasserfall aus Oms Garten quatschenden, ungläubigen Gefreiten Knödel in einem Büro zu arbeiten. Meine Tauben haben bereits Angst vor ihr und versuchen schon zu fliehen wenn ich sie nur in die Nähe des Büros bringe. Außerdem weigert sie sich, die heiligen omnischen Lieder die ich ihr beigebracht habe, in der richtigen Tonlage zu singen und beleidigt so meinen Glauben. Da ich nun den Rang eines Lance-Korporals inne habe wollte ich hiermit bitten, mich in ein eigenes oder zumindest anderes Büro zu verlegen.
Mit freundlichen Grüßen,
Lance-Korporal Passdochauf

P.S. Bei Om, wenn das nicht geht, gehe ich zu DOG!


Rea blickte erstaunt auf das Blatt Papier. Zu DOG? Jetzt übertrieb sie aber, so schlimm war Anette ja nun auch wieder nicht. Trotzdem, fand Rea, konnte es so nicht weiter gehen. Seit sie vom "Trainingscamp" zurückgekommen waren, war die Luft in der Abteilung SEALS besonders dick. Es war Zeit, dass mal jemand ein Fenster aufstieß.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht der stellvertretenden Abteilungsleiterin und sie fasste einen Beschluss.
Sie öffnete die Tür, holte tief Luft und rief dann: "Alle SEALS sofort in den Übungsraum!!!"
Ihre Stimme verhallte, doch nichts rührte sich. Sie versuchte es noch einmal:
"Alle SEALS SOFORT in den Übungsraum, aber DALLI!"
Stille.
Sie seufzte, sie hatte nicht gedacht dass sie so weit gehen müsste -
"Wer nicht sofort im Übungsraum ist hat an Mittsommernacht NACHTSCHICHT!"
Die Türen knallten auf - beziehungsweise, eine Tür knallte auf, die des Pausenraums. Fünf uniformierte und eine zivile Gestalt hasteten heraus und liefen zum Treppenhaus. Mittsommernacht... dieses Jahr sollte das größte Fest steigen, das Ankh-Morpork je gesehen hatte. Feuer würden entzündet werden, es würde Paraden geben und das Beste war: Die Bärdrückers Distillerie hatte angekündigt, zu Werbezwecken 2000 Fläschchen 15-Jährigen Whisky an die 2000 ersten Bürger zu verschenken.

"Ihr fragt euch sicher", begann Rea, als auch sie den Übungsraum erreicht hatte, "was das soll."
Ein schweigendes Nicken der sechs SEALS bestätigte sie in dieser Annahme und sie kam direkt zum Punkt: "Wie ihr sicher mitbekommen habt liegen seit einiger Zeit Spannungen in der Luft, hier bei SEALS. Und wie ihr wisst, sind wir, die SEALS, ein Tiehm. Wir können uns also keine Spannungen, keinen Zwist und schon gar keine Streitigkeiten erlauben. Wir sind eine Faust, die aus mehreren Fingern besteht die alleine schwach, aber zusammen stark sind und-"
"Ich fühle eine Armee in meiner Faust!", sagte Damien gerade laut genug, dass man ihn hören konnte.
Rea verdrehte die Augen, ging jedoch nicht auf Damien ein. "Ich habe beschlossen, dass wir uns besser kennen müssen damit wir alle an einem Strang ziehen können. Dafür müssen wir die Kommunikation verbessern, womit wir hier und heute anfangen werden."
"Was? Was sollen wir hier bitte bereden was wir nicht auch im Kaffeeraum besprechen könnten?" Johan sah seine Kollegen stirnrunzelnd an und blickte dann wieder zu Rea die ihn, die Arme in die Hüften gestemmt, mit abwartendem Gesichtsausdruck musterte.
"Die Alternative wäre, heute abend eine kleine Runde durch die Schatten zu drehen. Und natürlich werde ich den Schichtplan an Mittsommernacht dementsprechend anpassen.."
Ein leises Murmeln war zu hören. Ein leises Murmeln war zu hören aus dem ein Satz herausstach: "Das ist ja schon Erpressung, ich bin mir sicher, der Kommandeur wird nicht allzu begeistert sein..."
Rea ignorierte das und setzte sich auf einen Stuhl und wies die anderen an, es ihr nach zu tun. Als alle saßen begann sie erneut: "Nun, Johan, dann fang du mal an. Wie war deine letzte Schicht?"
Johan sah Rea verwirrt an. "Äh, also, Haaa....Haaa...Hatschi." Er schüttelte den Kopf. "Da war wirklich nichts besonderes. Nur dieser ganze Weihrauch... ich hatte noch tagelang Kopfschmerzen davon."

***


Johan bereute es, heute morgen nicht im Bett geblieben zu sein. Schon am Sonnenschein hatte er erkennen können, dass ihm seine Pollenallergie wieder zu schaffen machen würde. Konnte es nicht regnen? Es war doch zum verrückt werden, dass in einer Stadt mir einer so geringen Baumdichte Pollen flogen.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Der Verkehrsexperte und sein Streifenpartner, Steven, waren gerade in die Geschüttelte Gasse eingebogen, auf der wieder einmal reger Verkehr herrschte.
"Ich habe schon oft überlegt, mit einen Bürojob zu suchen", sagte Johan zwischen zwei Nießern zu Steven. "Weißt du, so wie du. Aber ich habe eine Stauballergie die noch schlimmer ist als die gegen Pollen." Er putzte sich Geräuschvoll die Nase, wobei er, um Nasenbluten vorzubeugen nach oben sah. "Du, wer ist das da auf dem Dach?"
Steven sah auf. "Keine Ahnung. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor. Meinst du sie will springen?"
"Wenn ja - haaaatschi - ist sie ziemlich doof. Hier bricht sie sich nur ein Bein."
Steven grinste. "Was tut sie da?"
"Keine Ahnung..."
Das Mädchen fuchtelte mit den Armen herum und plötzlich war ein Schrei zu hören. Erschrocken blickten die beiden Wächter in die Richtung aus der er kam. Und das in allerletzter Sekunde, denn ein vollkommen außer Kontrolle geratener Karren kam auf sie zu, gezogen von einem riesigen Ochsen.
"Schnell!" Steven packte Johan am Arm und riss ihn zur Seite. Gerade noch rechtzeitig konnten sie dem Karren ausweichen und prallten gegen eine Mauer. Den Karren ereilte das gleiche Schicksal, nur ein paar Meter weiter, der Fahrer konnte gerade noch abspringen um einen engeren Kontakt mit den Steinen zu vermeiden.
"Ist alles in Ordnung?", rief Johan, während er sich auf rappelte.
"Ja, mir geht's prächtig!", sagte Steven.
Johan winkte ab. "Ich meine den Fahrer." Er lief zu ihm.
Der schon etwas betagtere Mann lag mit dem Gesicht nach unten auf den Pflastersteinen. Johan drehte ihn vorsichtig um. "Alles in Ordnung mit Ihnen?"
Der Mann schien unverletzt zu sein und bewies dies auch gleich indem er anfing zu schimpfen. "Verflixt und zugenäht! Meine Ladung, wer bezahlt mir das?? Hm? Und wo ist eigentlich der Ochse hin?"
Johan sah zu dem Haufen Holz, der noch vor wenigen Sekunden mal ein Wagen gewesen war. Der Ochse war verschwunden, dafür tummelten sich jedoch einige Otter auf den Überresten und wussten offenbar nicht viel mit sich anzufangen.
"Der muss abgehauen sein. Steven, gehst du bitte zum nächsten Semaphorenturm und teilst der Wache mit, dass wir einen Ochsen suchen? Möglicherweise in Panik?"
"Na, der sollte schnell gefunden sein", murmelte Steven und schlurfte davon.
Johan zog seinen Notizblock hervor. "Also, was ist passiert Herr..."
"Knuppknecht. Gerd Knuppkecht. Ich war unterwegs und auf einmal drehte der Ochse durch. Weiß nicht wieso. Er hielt auf die Mauer hier zu und als ich merkte, dass der da wirklich gegen rennen will sprang ich ab."
Johan nickte. Dann betrachtete er die Überreste des Wagens. "Also, Sie hatten Otter geladen?"
"Nein."
"Seltsam, wo kommen die denn dann her, Herr Knuppknecht?"
"Keine Ahnung", sagte Knuppknecht. Er schien die Wahrheit zu sagen. "Vielleicht hält hier jemand Otter? Vielleicht kommen sie vom Ankh?"
"Ich wüsste nicht dass auf dem Ankh Otter Leben... Aber weiter im Text - Was hatten Sie denn geladen?
Der Mann überlegte kurz und zählte dann an den Fingern ab: "Also, bestimmt drei Kisten Kerzen, verschiedene klatschianische Kräuter, Räucherstäbchen, ein Weihrauchfass..."
"Ah, und an wen ging die Lieferung?", fragte Johan sachlich.
"Also, zum allergrößten Teil an den Tempel der Resta. Aber ja, ich hatte noch Nagerfutter für die Unsichtbare Universität geladen. Jede Menge sogar, wie konnte ich das nur vergessen?" Der Mann schüttelte den Kopf als wolle er alle wirren Gedanken vertreiben.
"Nagerfutter an die UU... Keine Bananen?"
Der Mann schüttelte den Kopf. "Nee, wieso?"
"Nicht der Rede wert. Von welchem Wert waren die Waren?"
Der Mann überlegte. "So, hmm.. 100AM-Dollar? Ich kann Ihnen eine genaue Liste geben, die ist allerdings in meinem Lager."
"Ja, sie sollten definitiv noch mal zu uns kommen. Ich habe das Gefühl, dass mit diesem Unfall etwas nicht stimmt." Johan sah nach oben. Das Mädchen war verschwunden.
"Da haben Sie Recht, mein Fridolin war immer ein ruhiger, gutmütiger Ochse." Knuppknecht seufzte. "Verdammt, so ein verdammter Mist, so eine blöde Sch-"
"Da bin ich wieder!", unterbrach Steven den alten Mann. "Hui, guck mal, die drollig die Otter auf dem Fass rumturnen.
Die Johan und Knuppknecht folgten Stevens Blick. Einige Otter schienen Spaß an dem Weihrauchfass gefunden zu haben und rannten darauf hin und her.
Schließlich trieben sie es zu doll und sprangen ab, als das Fass außer Kontrolle auf die Mauer zuhielt, der schon der Karren zum Opfer gefallen war.
"Nein!", schrie Knuppknecht und rannte los, offenbar mit der Absicht, das Fass zu retten. "Nein, bleib stehen!"
Doch es half alles nichts. Als hätte Schicksal mal wieder einen besonders schlechten Tag gehabt prallte das Weihrauchfass auf einen spitzen Stein und vergoss seinen Inhalt - Weihrauchöl - auf Wand, Knuppknecht und Boden. "Nein, nein, nein!", schrie der Mann in einer Wolke aus Weihrauchduft. Steven wollte sich gerade zu ihm hinunterbeugen als er bemerkte, dass jemand fehlte.
"Johan?"
Doch Johan lag bereits keuchend am Boden, seine Lungen hatten sich mit dem Rauch gefüllt und rebellierten gegen die sakrale Reinigung für die Weihrauch eigentlich genutzt wurde.
Steven beugte sich über ihn.
"Hüül... hülll...fe!", krächzte Johan, der sich mit panischem Blick in den Augen an den Hals griff.
"Nicht schon wieder eine allergische Reaktion, oder?", fragte Steven und sah Johan skeptisch an.
Der Verkehrsexperte streckte die Hand nach Steven aus. "Keine Luu...!"
"Heute ist echt ein Tag...", murmelte Steven und griff Johan unter den Schultern um ihn von der Szenerie wegzuzerren. "Kommen Sie später zur Wache, verstanden?", rief er Knuppknecht zu, der immer noch abwesend das wertvolle Weihrauchöl auf sich selbst und dem Boden betrachtete.

***


Johan sah in die Runde. Amalarie war auf Anettes Schulter eingeschlafen und Yogi säuberte gelangweilt seine Fingernägel mit seinem Dienstschwert. "Ich weiß, es ist nicht spannend. Das Verhör brachte auch nicht sehr viel. Den Ochsen haben wir übrigens nicht gefunden. Sehr seltsam, sollte ja eigentlich Spuren hinterlassen, oder?"
"Auf jeden Fall sollten wir mal überlegen, wie wir deine Atemnot in den Griff bekommen", sagte Rea und nickte dann. "Die Sicherheit der Wächter kommt vor einer Verhaftung."
"Sicher", murmelte Damien und sah Steven dann mit zusammengekniffenen Augen an. "Aber was sagtest du da mit den Restalinnen? Da hatte ich doch erst gestern einen Einsatz..."

***


Der Szenekenner fühlte sich sichtbar unwohl in seiner Verkleidung. Wieso hatte er sich nur dazu überreden lassen? Er war kein verdeckter Ermittler, er war ein verdeckter Szenekenner! Leise vor sich hingrummelnd stand er im Tempel, während die anderen, echten Novizinnen irgendein langweiliges, sich mehrere Oktaven über seiner Stimmlage befindendes Lied sangen. Das traditionelle Gewand der Novizinnen, grober, violetter Stoff mit Fransen an den Rändern, war nicht sonderlich bequem. Der einzige Vorteil war, dass er bei der Hitze, die sich in den letzten Tagen in Ankh-Morpork festgesetzt hatte, einen kühlen Luftzug an Stellen ermöglichte, von denen die Mädchen um ihn herum wohl noch nie gehört hatten.
Er fragte sich, warum man keine richtige Frau von RUM geschickt hatte. Dort gab es doch verdeckte Ermittlerinnen. Damien war zwar nicht sonderlich groß, doch mit seinen 1,77 Metern Köpermaß stach er doch schon aus der Gruppe 14 bis 16-jähriger Mädchen heraus - wenn man einmal von der Trollin absah.
Der Singsang endete und die Mädchen setzten sich, um der Hohepriesterin bei ihrer monotonen Predigt zuzuhören. Doch die Aufmerksamkeit der Novizinnen lag bei dem Neuankömmling. Neugierig versuchten sie, unter die Kapuze zu sehen, die Damien tief über sein Gesicht gezogen hatte. Sogar von seinem lange gezüchteten Bärtchen hatte er sich trennen müssen.
Alles hatte damit begonnen, dass die Hohepriesterin der Restalinnen selbst, Kabiera, zur Wache gekommen war und nach ihm verlangt hatte. Er hatte keine Ahnung, woher sie seinen Namen kannte, denn er glaubte ihr nicht, dass die Göttin ihr diese Information durch eine Vision gegeben hatte. "Etwas wichtiges ist verschwunden, Herr Bleicht," waren die ersten Worte gewesen, die sie zu ihm gesprochen hatte. Dann war es aus ihr herausgesprudelt. "Das Hexameron ist verschwunden, ich habe keine Ahnung was es damit auf sich haben könnte. Es lag in einem Hochsicherheitstrakt, niemand außer drei Frauen, mich eingeschlossen, hat dort Zutritt und es ist fort."
"Es wurde also gestohlen?" Der Szenekenner hatte geseufzt. Er war nicht auf Diebstahl spezialisiert und eigentlich interessierte es ihn auch gar nicht.
"Man kann das Hexameron nicht stehlen, es gehört jedem Menschen dieser Welt. Wir Dienerinnen der großen Rachegöttin Resta verwahren es nur." In der Stimme der Hohepriesterin war Verzweiflung mitgeschwungen.
"Ist es wertvoll?"
Die Hohepriesterin hatte mit einem besorgten Blick genickt. "Hören Sie sich um. Finden Sie heraus, wer das Buch hat. Die Göttin hat mir prophezeit, dass nur Sie in der Lage sind, den Lorbeer zu erkennen."
Damien hatte eine Weile überlegt bis er eingewilligt hatte. "Ihre Göttin spricht gerne in Rätseln, schön, ich werde mich umhören." Eigentlich wollte er von dieser Göttin gar nichts wissen...
Seine Recherchen hatten nichts ergeben. Er hatte nur wenige Menschen finden können, die überhaupt wussten, was das Hexameron überhaupt war. Also hatte er sich zurück in den Garten der Restalinnen begeben, in Verkleidung. Vielleicht konnte er hier mehr herausfinden.
Der Abend dämmerte bereits und die Mädchen wurden in ihren Schlafsaal geschickt. Damien jedoch hatte wenig Lust, die Nacht im gleichen Zimmer wie 20 schnatternde Schwäne zu verbringen und suchte sich in der Nähe des Schlafsaals einen geeigneten Mauervorsprung um dort einerseits zu ruhen, andererseits jedoch die Tür im Auge zu behalten.
Er war gerade eingenickt als ein leises Knarzen ihn wieder aufschrecken ließ. Ein Mädchen trat heraus, umhüllt in einen schwarzen Umhang. Als Damien sie sah spürte er sofort, dass er jene Person kannte. Er hatte eine sehr genaue Beobachtungsgabe, als Szenekenner war das ein Muss - und diese Person kam ihm sehr bekannt vor, obgleich sie sich in einem Umhang versteckte.
Das Mädchen rannte los, vorbei an dem verdutzten Damien der erst wertvolle Sekunden später der Verfolgung nachkam. Seine Verkleidung half ihm kaum dabei aufzuholen, denn der Rock lies nur eine gewisse Schrittlänge zu. Unter normalen Umständen wäre er sicherlich schneller als sie gewesen. Unbeholfen stolperte er, behindert durch die vielen Bahnen Stoff, die um ihn geschlungen waren durch die Straßen.
Sie rannte aus dem Kloster hinaus auf die Straße. Jetzt waren hier kaum noch Leute unterwegs. Sie bog um eine Ecke und hielt auf die unsichtbare Universität zu als Damien stolperte. Er hätte schwören können, etwas glitzern zu sehen, kurz bevor sein Gesicht im Dreck landete.
Er brauchte einige Zeit sich aufzurappeln. Das Mädchen war fort. Und er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wer sie hätte sein können. Nur das seltsame Gefühl sie schon einmal gesehen zu haben blieb.

***


"Und dir ist bis jetzt nicht eingefallen wer sie hätte sein können?" Rea sah den Szenekenner erstaunt an.
"Nein. ich wollte heute eigentlich hin, jedoch..." Damien nickte in Richtung Fenster.
"Also, das nenne ich Kampfgeist!", spottete Amalarie. "Da kann ich etwas viel Interessanteres von heute Morgen erzählen!"

***


Bislang war Amalaries und Anettes Streife ereignislos verlaufen. Eigentlich sollten sie nicht gemeinsam Dienst verrichten, da sie ja beide noch in Ausbildung waren, doch der Korporal hatte sie, als sie nachgefragt hatten, nur mit einem müden Lächeln davon geschickt. Also ging Anette mit Amalarie, die auf Schnorzie, ihrer Ratte ritt, zusammen durch die Straßen. Plötzlich, sie waren gerade in der Pfirsichblütenstraße, begann Schnorzie laut zu quieken. Sie sträubte ihre Haare, als wollte sie es Amalaries Aphro gleichtun und rammte ihre hautfarbenen Pfötchen in den staubigen Boden. Ihre Schnurrbarthaare standen kerzengerade von ihrer Schnauze ab und zitterten.
"Schnorzie, was ist denn?" Amalarie saß besorgt ab und streichelte die Ratte beruhigend. "Ich bin doch da... Du brauchst keine Angst zu haben."
Die Ratte wurde ein wenig ruhiger, doch wehrte sich dagegen zu kooperieren und den Wächterinnen den Weg dorthin zu weisen, woher das Besorgniserregende kam.
Anette sah sich um. "Vielleicht fragen wir einfach? Komm, ich nehme Schnorzie auf den Arm und dich auf die Schulter und wir gehen in... die Tür steht offen...?" Anette las das Schild neben der Tür. "Archiv Heinz-Hermann Häbler..."
Mit einer zappelnden Schnorzie im Arm und einer besorgten Amalarie neben ihrem Kopf schritt die Informantenkontakterin auf die Tür zu.
Der Mann, der sie drinnen begrüßte war alt und tatterig, wie man sich einen Archivar nun einmal vorstellte. Er stützte sich schwer auf einen dicken Wälzer, der aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag. Er zitterte leicht und seine Tränensäcke drückten gegen die Brille, die auf der krummen Nase saß. Er sah Anette und ihre Begleiterin, die auf ihrer Schulter saß, über seine Halbmondgläser hinweg an wie Ungeziefer. "Was wollt ihr?" Der Mann sah die beiden Wächterinnen grimmig an. "Wir sind ein Archiv, kein Kinderspielplatz", knurrte der alte Mann, wobei seine geröteten Augen weit hervortraten.
"Wir sind von der Wache", keifte Amalarie zurück und hopste verärgert auf Anettes Schultern herum.
"Ihr seid von der Stadtwache? Wofür zahle ich eigentlich Steuern?" Der Archivar klappte das große Buch zu. Staub wirbelte auf und wirbelte durch den düsteren, kalten Raum, in den sich nur wenige Sonnenstrahlen hineinverirrten.
"Was ist hier passiert", fragte Anette und versuchte verzweifelt, die sich wehrende Schnorzie in den Armen zu behalten.
"Etwas Schreckliches ist passiert. Alle meine Bücher... die Bücher im geheimen Archiv... sie sind zerstört worden. Binnen einer Nacht. Alle zerstört!" Der Archivar biss sich auf die Unterlippe. Er wirkte zwar gefasst, doch man konnte ihm ansehen, dass es in ihm brodelte.
"Einfach so zerstört? Wie das?"
"Ich weiß es auch nicht!", rief der Archivar und fuhr sich durch das lange, weiße Haar.
"Am besten wir sehen uns das mal an..."

***


Er führte die beiden Frauen in einen Raum, in dem es stark nach Leim und alten Papierseiten roch. Anette sah sich um, doch es war noch zu dunkel um etwas zu erkennen. Vorsichtig ging sie einen Schritt nach vorne - und stolperte prompt über etwas. Ihr Griff um die Ratte löste sich und Schnorzie sprang davon.
"Mistmistmist!", rief Anette und dann schrie sie kurz auf als Amalarie, die ja auf ihrer Schulter gestanden hatte, sich durch die plötzlich auftauchenden Gesetze der Schwerkraft gezwungen sah, sich an Anettes Haaren festzuklammern.
Ein leises Zischen kam von der Tür hinter ihnen und ein Streichholz erhellte den Raum, bevor es seine Flamme an eine kunstvoll gearbeitete aber vollkommen verstaubte Laterne weitergab.
"Schaut euch um...", der Archivar streckte die Hand aus und machte eine ähnliche Geste wie ein Museumsführer vor einem besonders großen Gemälde, doch sein Gesicht wirkte dabei eher weniger ergriffen.
"Oooo...", sagte Anette als sie die Situation in sich aufgenommen hatte. Amalarie drückte ihr Entsetzen eher sprachlos aus - ihre Haare standen noch mehr zu Berge als sonst.
Der Archivar zuckte die Schultern. "So war es, als ich heute Morgen hierher kam. Alle Seiten sind weg, nur die Einbände sind noch da."
Anette hob eines der Bücher hoch und betrachtete die Innenseite des Buchrückens. "Alles fein säuberlich herausgetrennt... Die Fäden die die Buchseiten halten sind sogar noch vollkommen intakt!"
Amalarie ließ sich an Anettes Schürze hinunter gleiten. "Hier ist was faul. Beim Ausmaß dieser Bibliothek macht sich doch keiner die Mühe sowas raus zu schneiden. Wie viele Bücher sind das?"
"Ungefähr 600 sehr wertvolle Folianten, teilweise Unikate. Unersetzlich." Der Archivar zündete sich eine Pfeife an der Laterne an.
"Sie nehmen dass ja ganz schön gefasst auf." Anette zog eines der wenigen Bücher hervor, die noch im Regal lagen. Auch dieses Buch war seitenlos.
"Ich arbeite hier nur, das Archiv gehört mir nicht. Aber habt ihr die Fäden gesehen? Vollkommen intakt! Das geht eigentlich gar nicht..."
Amalarie kämpfte sich über Berge von leeren Bucheinbänden. "Wir werden wohl ein Tatortwächterteam vorbeischicken müssen... Was ist das?" Die Gnomin blieb stehen und sah interessiert auf ein großes Loch in der Wand. Gerade groß genug, damit sie aufrecht hindurch gehen konnte. "Anette? Ich schau nur mal nach wo es hinführt!"
Die Hand an ihrem Brieföffner trat sie ein in die Höhle. Es war ein Rattenloch, das erkannte sie gleich an den schwarzen Knüddelchen, in die sie beinahe hinein getreten hätte. Doch es mussten große Ratten sein. Kein Wunder, das Schnorzie sich so gefürchtet hatte.
Als sie weiterging knirschte es. Erstaunt sah sie nach unten und betrachtete etwas Schillerndes. Sie bemerkte einen ekligen, schwefeligen Gestank. Mit spitzen Fingern hob sie es auf. Es waren Schuppen, mehrere verhornte Schuppen. "Buah!", machte Ama angeekelt. Dann ließ sie die Schuppen fallen und ging ein paar Meter weiter. In welche Richtung ging sie? Amalarie dachte nach. Sie war in der Pfirsichblütenstraße und dieses Archiv lag gegenüber der Unsichtbaren Universität! Ja, der Gang musste zur Unsichtbaren Universität führen. Schnell hastete sie weiter. Plötzlich, sie war gerade schon wieder auf die ekligen Schuppen getreten, quiekte etwas. Ama schrie auf, sie stand vor einer überdimensionalen, geschuppten Ratte, die wütend über den Eindringling aus ihrer Schnauze schnaubte. Die langen, gelben Nagezähne waren länger als der Brieföffner der Gnomin und machten nicht den Eindruck, als seien sie auf ein Gespräch aus. Die roten Augen des Wesens glühten in der Dunkelheit und waren von einem grünen Schimmer umgeben. Etwas weiter hinten hörte sie den nackten Schwanz des Nagers unruhig durch die Gegend flitschen. Die Ratte kam immer näher und Amalarie schaffte es nicht, ihre Beine zu bewegen. Sie konnte nicht weglaufen, so viel Angst hatte sie.
Dann ein weiteres Fauchen von hinten. Doch Ama kannte dieses Fauchen! Es war...
"Schnorzie!" Tränen stiegen Ama in die Augen und ihre Beine ließen sich wieder vom Boden lösen, gerade in jenem Moment, als das Riesenvieh zum Sprung auf sie angesetzt hatte. Panisch packte Ama den Nacken ihrer Ratte und schwang sich auf ihren Reitnager, der sofort lossprintete.
Die schuppige Ratte hinter ihnen verfolgte sie, doch Schnorzie war viel wendiger und trotz der geringen Größe schaffte sie es irgendwie, schneller zu sein. Endlich sahen sie das Licht des Archivs auf sich zukommen, doch die schuppige Ratte gab noch immer nicht auf.
"Aaaaaneeeeeettääääääää!", schrie Ama und hoffte inständig dass ihre Kollegin sie hörte. Ama und Schnorzie pesten aus dem Loch, die Riesenratte hinterher.

***


"Und dann hat Anette diesem ekelhaften Vieh eins übergebraten, mit dem Gehstock des Alten!"
Anette wurde leicht rot. "Wir haben die Ratte Korporal Laiza Harmonie gegeben. Sie möchte sie untersuchen... sah echt ekelhaft aus, das fette Ding!"
"Was hat eigentlich die UU mit der ganzen Sache am Hut?", murmelte Rea. "Sie taucht überall am Rande auf."
"Naja, ob das Mädchen wirklich zu den Spinnern mit Spitzhut wollte kann ich nicht genau sagen", sagte Damien.
Oldas grinste. "Dann wird dir meine Geschichte gefallen. Ich war nämlich mit Scoglio tatsächlich da..."

***


Sie hatten gerade nach einer Rauferei auf dem Hier-gibt's-alles-Platz... aufgeräumt. Irgendjemandem schien es mal wieder darauf angelegt zu haben, Schnappers Würstchen zu probieren und hatte daraufhin versucht, das Geld zurückzuverlangen.
Scoglio trug den leicht grün angelaufenen Mann auf der Schulter und grübelte, wohin er denn nun den Kerl bringen sollte. Ihn in diesem Zustand irgendwo liegen zu lassen war keine gute Idee, denn er würde sicherlich sofort Opfer eines unlizentierten Diebstahls werden, vielleicht sogar Gegenstand desselben.
Oldas sah sich um und zuckte mit den Schultern: "Wer ist auch so blöd und isst Schnappers Würstchen? Sollte sich doch mittlerweile rumgesprochen haben, dass die nichts taugen."
Als ob er dies unterstreichen wollte übergab sich der unglückliche Würstchenesser.
"Uahh...", sagte Scoglio, als der warme Mageninhalt seinen steinernen Rücken hinab lief. "Ich das wirklich nicht lustig finde." Der Troll nahm den Mann von der Schulter und stellte ihn aufrecht hin. "Wer kann kotzen, der auch kann laufen", brummte der Troll missmutig und schubste den Kerl von dannen. "Alte Trollweißheit", merkte Scog an.
"Also, ich kenne die ein bisschen anders." Oldas grinste breit. "Wer kotzen kann der kann auch sau.."
"Hee, Sie da, Wächter!"
Troll und Zwerg sahen sich um und erblickten eine dicke, etwas ältere Magd. Frau Allesweiß, die Haushälterin der Unsichtbaren Universität.
"Wie können wir Ihnen helfen, Mä'äm?", fragte Oldas.
"Ähm, also, ich war gerade am Saubermachen im Gebäude für hochenergetische Magie und ich überhörte rein zufällig, dass dort etwas nicht in Ordnung ist. Kommen Sie schnell."

***


Scoglio und Oldas hatten schon viel von Hex gehört. Doch sie hatten ihn noch nie gesehen. Dort stand er, ein riesiges Ding, unbeschreiblich und unübersichtlich. Hebel, Knöpfe, Ameisen, eine Papierschlange die sich aus einem Schlitz schlängelte und ein großes Loch.
Ponder Stibbons, der Experte für Hex, ging unruhig vor der eingeschlagenen Scheibe hin und her. Der Boden war mit einer immer länger werdenden Papierschlange bedeckt, die unaufhörlich aus einem schmalen Schlitz geboren wurde. Oldas hob ein Stück Papier auf und legte die Stirn in Falten. "Läsefähler? Mais-Kuh-L-Fehler? Loch in Dattelschrank gefunden? - Was bedeutet das?"
Stibbons sah den Zwerg zornig an. "Lass das liegen! Wir haben auch ohne die Wache schon genug Probleme. Seitdem die Leseratten entflohen sind hört Hex nicht mehr auf zu rechnen! Er wird explodieren!"
"Leseratten?" Scoglio sah Oldas genauso verwirrt an wie ein Eisbär die Südsee, während eine Magd seinen Rücken mit einem Mopp reinigte. "Was das sein?"
"Wir haben sie gerade erst zugefügt, eine Einheit, die die Eingabe von Informationen erleichtern sollte. Extra für diesen Zweck gezüchtet. Und sie sind weg!"
"Kann man sie nicht ersetzen?" Oldas starrte in das Loch in der großen, momentan vor sich hin gurgelnden Maschine. Stroh und Streu zeugten davon, dass dort einmal Tiere gehaust hatten.
"Hörst du nicht, Mann? Sie sind alle weg! Und ohne sie können wir das Datum nicht berechnen!"
"Das Datum?" Nun sahen Oldas und Scoglio gleich doof aus der Wäsche.
"Ja, natürlich!" Stibbons streckte die Hände nach oben, als ob der der Lampe einen Vorwurf machen würde. "Wenn wir nicht wissen, an welchem Tag die Tag- und Nachtgleiche ist, dann kann das Ritual nicht richtig durchgeführt werden!"
"Aber die Sommersonnenwende ist doch immer am 21. Juni!"
Stibbons versenkte den Kopf hinter seiner Hand und seufzte. "Sehr kluger Einfall. Aber kannst du mir auch die genau Zeit von Mittag sagen?"
"Ich Mittagspause um 12 machen," sagte Scoglio sehr sicher über seinen eigenen Tagesrhythmus.
Stibbons wurde puterrot im Gesicht. "Raus! Raus hier aber sofort!", schrie der hagere Mann. "Ihr wollt mich wohl für dumm verkaufen, was? Verschwindet, ihr bescheuerten Wächter!"

***


"Wir sind dann auch tatsächlich gegangen. Er bewarf uns mit etwas, dass er Tortengrafik nannte. Hat allerdings sehr gut geschmeckt." Oldas strich sich kurz abwesend über den Bauch und lächelte zufrieden.
Damien stöhnte leise. "Und ihr seid nicht darauf gekommen, was Stibbons mit dem Datum meinte?"
Auch Yogi saß nun kerzengerade. "Bin nur ich es, die da eine Verbindung sieht?"
Johan sah aus dem Fenster und murmelte etwas. Dann sagte er laut: "Weihrauch, Göttinnen, ein ominöses Buch und Hex, der vollkommen durcheinander geraten ist..."
"Und was hat das mit den Riesenviechern im Archiv zu tun? hm?" Ama zog die Stirn kraus.
Die Frage beantwortete sich von selbst, als sich die Tür öffnete.
"Ach, hier seid ihr! Unten sind alle Räume leer!" Der Fähnrich trat ein, das Licht aus dem Gang das ins Zimmer schien umringte ihn und man konnte ihn nur an seiner Statur erkennen. Doch an seinem Tonfall merkte man sofort, dass er nicht gerade gut gelaunt war. "Nicht mal im Pausenraum ist jemand! Hexe, was soll das Ganze?"
Rea wurde sichtlich bleich. "Wir... äh... machen eine Übung..."
"Mir egal, ich war eben beim Kommandeur und..."

***


Nach einiger Zeit des Anklopfens, dem keine Antwort folgte, betrat Cim missmutig das Büro des Kommandeurs. Niemand war dort und der Fähnrich fragte sich, was denn so dringend gewesen sein konnte, wenn Ras es nicht einmal einsah, beim Treffen zu Gegend zu sein. Er sah nach oben zu dem Balken, doch auch dort war der alte Knollenbeißer nicht zu sehen. Cim zuckte mit den Schultern uns setzte sich. Geistesabwesend betrachtete er den Schreibtisch, der ziemlich mitgenommen war und wenn er den Erzählungen vieler seiner Kollegen glauben schenken durfte, dann wusste er, wieso. Gleichzeitig war das ramponierte Ding mit dunklen Ringen verziert, Kaffeeflecken die einen penetranten Geruch von Roter Beete ausstrahlten. Dann erweckte ein kleiner Hexaeder Cims Aufmerksamkeit, ein Spielzeug, das man in viele verschiedene Richtungen verdrehen konnte, um schließlich mit 6 gleich farbigen Seiten zu Enden. Geduldsspiele waren nicht die Stärke des Abteilungsleiters, doch es war ein willkommener Zeitvertreib. Wer konnte schon wissen, wann sich Ras wieder in sein Büro bequemte.
"Nun...", sagte er zu dem Farbwürfel und begann zu drehen. Zuerst verfolgte er die Taktik, immer erst einmal eine Seite vollständig zu lösen, doch als er dies mit der Roten Farbe geschafft hatte merkte er, dass dies wohl ein Holzweg war, denn wenn er jetzt die anderen Seiten lösen wollte, zerstörte er die erste wieder.
Er drehte weiter und zog die Stirn kraus.

***


"Würdest du uns damit bitte verschonen, Cim?" Damien sah seinen Abteilungsleiter genervt an.
"Was denn?" Cim sah ihn verständnislos an. "Die Dinger sind echt knifflig! Und ich hab's geschafft."
"Du warst also ziemlich lange da, ja?" Rea grinste und wartete darauf, das jemand ihre Andeutung verstand, doch niemand ließ sich etwas anmerken.
"Okay, ich mach ja schon weiter, also der alte Knollenbeißer betrat das Büro..."

***


Es war sicherlich eine Stunde vergangen als sich die Tür öffnete.
"Tut mir Leid, Fähnrich, aber ich wurde aufgehalten."
Der Fähnrich sprang auf und salutierte während Rascaal sich ihm gegenübersetzte. "Ich sehe, du hast meinen Hexaeder ausprobiert? Eigentlich hab ich ja zu wenig Geduld für die Dinger aber wie dem auch sei..." Der Vampir schaltete den Kaffeedämon ein und betrachtete dann eine sehr ausgedörrte Knolle Rote Beete, die er schließlich hinter sich in einen Papierkorb warf [2] und griff sich eine neue.
"Ja, warum bin ich eigentlich hier, wo ich doch arbeiten [3] könnte."
Ras nahm einen Schluck Knollenkaffee und sah dann kurz durch Cim hindurch als überlegte er, wie er am besten beginnen könnte. "Es ist ja bald Mittsommernacht, richtig? Das Ende des Lenz. Weißt du, was an Mittsommernacht passiert, Bürstenkinn?"
Der Fähnrich grinste. "Es gibt dieses Jahr eine riesige Gaudi, soviel-"
Der Kommandeur unterbrach ihn. "Jaja, aber das meine ich nicht. Die Sonne wird an diesem Tag ihren höchsten Stand haben, den sie im Jahr auf ihrer Umlaufbahn um die Scheibe erreichen wird. Es ist nicht nur der längste Tag, nein, auch der... hmm... höchste Mittag? Wie dem auch sei, wenn etwas seinen höchsten Stand erreicht, was passiert dann?"
Der Fähnrich sah Rascaal verständnislos an.
"Ja, gut, es ist kompliziert und ich habe auch einige Zeit gebraucht bis ich es verstanden habe, aber ich kann nur sagen, dass es in jenem Moment physikalisch möglich ist dass die Sonne nicht die Reise fortsetzt sondern - zurückfällt. Das baut eine... äh, magische Spannung auf, die äh.. also, die Sonne schwingt dann hin und her, immer wieder hin und her, was bedeutet, dass sich der Tag auf ewig wiederholt."
"Eine Endlosschleife?", fragte Cim, sichtlich desinteressiert.
"Genau! Und damit dies nicht passiert wird jedes Jahr beim errechneten Termin des Sonnenhöchststandes ein Ritual abgehalten."
"Ahja." Cim fragte sich noch immer auf was der Kommandeur hinaus wollte.
"Und weißt du, was jetzt das Problem ist?" Rascaal sah Cim beinahe lauernd an.
"Hm. Das Ritual kann nicht durchgeführt werden?"
"Dito. Das dazugehörige Buch... ist nicht mehr auffindbar. Es nennt sich Hexameron, ein Buch mit den 6 wichtigsten Ritualen der Scheibenwelt."
Cim nickte. "Und wer klaut so'n Kram?"
"Es ist nicht gestohlen, es ist... nicht mehr auffindbar." Rascaal sah Cim ein wenig genervt an, da dieser vom Thema vollkommen ungerührt war und rührte dann in seinem Knollenkaffee. "Allerdings fehlt nicht nur das Buch. Das Gerät, welches den Termin errechnen soll ist defekt. Früher haben die Zauberer das noch von Hand gemacht, heute lassen sie Hex rechnen. Keiner der Spinner an der UU beherrscht noch die Mathematik von vor hundert Jahren..."
"Also sitzen wir doppelt in der-" Cim stoppte, überdachte seine Worte und begann dann von neuem. "Was hat SEALS damit zu tun?"
"Ich dachte mir schon, dass du diese Frage stellen würdest. Ich hatte vorhin ein ziemlich ermüdendes Gespräch mit Feldwebel Sillybos aus dem ich erfuhr dass Laiza Harmonie ein entlaufenes, totes Exemplar der Leseratten, die fehlende Einheit von Hex, gerade genauer unter die Lupe nahm." Rascaal zwinkerte. "Und weißt du, wer das Exemplar gefunden hat?"
"Äh?"
"Richtig, SEALS. Schön, dass du über alle Abläufe in deiner Abteilung informiert bist." Rascaal lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück und faltete die Hände über dem Bauch, wobei er den Fähnrich lauernd ansah.
Langsam dämmerte es Cim. "Und ich soll nun die Ratten und das Buch finden?"
Ras nickte. "Oh, ich habe ganz vergessen dir eine Tasse vom Knollenkaffee anzubieten. Möchtest du?"

***


"Grauseliges Zeugs", murmelte Cim. Er wischte sich noch einmal über den Mund als wollte er die letzten Reste abwischen und sprang dann vom Tisch auf dem er gesessen hatte. "Nun, wer hat die Leseratte gefunden?"
Amalarie hob zaghaft die Hand. "Aber das war erst heute Morgen, ich konnte noch gar keinen Bericht schreiben..."
"Wenn es mir um den Bericht ging hätte ich mein Treffen mit dem Kommandeur nicht so ausführlich geschildert, oder? Wir müssen dorthin, diese Ratten finden und fangen."
"Aber in das Rattenloch passt kein Mensch!" Amalarie sah skeptisch mit an, wie sich Cims Gesichtsausdruck änderte. Schließlich bekam sie ein flaues Gefühl in der Magengegend als sie mit ansehen konnte, wie sich das Gesicht des Fähnrichs mit einer Idee aufzuhellen schien.
"Ich schätze wir haben einen Köder..."
"Und das Hexameron? Es war tatsächlich unauffindbar!" Damien sah sich in der Runde um, um zu erkennen ob jemand an seiner Geschichte zweifelte.
"Darum kümmern wir uns später."

***


"Bei dem Wetter jagt man doch keinen Hund vor die Tür!" rief Rea verärgert, als sie auf den Pseudopolisplatz hinaus blickte. Cim, Damien, Chi, Sallien, Yogi und Amalarie standen bereits im Regen und warteten.
"Das Madam sich auch immer so zieren muss...", murmelte Damien und zwinkerte Cim zu.
"Weld elstmal Kolpolal, Bleicht, dann kannst du dich auch so auffühlen.", erwiderte Chi.
"Was hat das mit dem Rang zu tun? Die ist von den Leichen einfach nur verwöhnt worden."
Chi sah Damien schief von der Seite an, sagte dann aber nichts mehr, da Rea endlich, den Umhang eng um sich gewickelt, aus der Tür in den prasselnden Regen trat.
"Verflixt, jetzt hab ich Wasser im Stiefel!", sagte sie klagend und beneidete Amalarie, die unter Yogis breitkrempigen Helm Schutz gefunden hatte.
"Schlimmer als ein Hundeleben, dieser Streifendienst, was?" Sallien sah zu ihrer Vorgesetzten auf und ging dann, unwirsch mit dem steinernen Schwanz schlagend neben ihr her. "Und jetzt versuch mal, bei so einem Sauwetter stundenlang still zu sitzen. Nicht mal Tauben kann man dann jagen."
Die Wächter stiefelten weiter durch den Regen und erreichten bald das Archiv.
Trotz des Regens stand die Tür weit offen und Schmauchspuren am Schloss deuteten darauf hin, das jemand gewaltsam eingebrochen war. Damien griff nach seinem Schlagstock, Yogi und Cim nach ihren Schwertern. Selbst die Waffe darstellend schlich sich Chi in den Vorraum. In der Dunkelheit konnte er am besten sehen, doch hier war niemand. Mit einer Handbewegung gab er Entwarnung und die anderen Wächter traten ein. In diesem Moment hörten sie ein Geräusch. Etwas bewegte sich. "Das ist der Raum, in dem all die Seiten fehlen", wisperte Amalarie und zog nun selbst ihren Brieföffner.
Cim ging voran, das Schwert bereit für den Einsatz erhoben. Ein Rascheln aus dem stockdunklen Raum ließ die wenigen Haare auf seinem Kopf zu berge stehen. Hinter sich hörte er, wie ein Streichholz entzündet wurde. Binnen Sekunden war der kleine Raum von zwei Laternen erleuchtet.
Ein langer Hals mit einem kleinen Kopf ragte aus einem Haufen leerer Bucheinbände heraus. Ein kurzer Schnabel öffnete sich und ein lautes "Krah" war zu hören.
"Verdammt! Haltet euch die Augen zu!", Cim schluckte, es war schon eine Weile her, dass er einem Vogel Strauß begegnet war. Doch eine Regel merkte man sich: "Wenn man den Strauß nicht sieht, sieht der Strauß dich auch nicht weil er glaubt du bist nicht da!"
"Ein Strauß?", fragte Chi.
"Ja, ein gefährlicher Vogel, und jetzt halt dir gefälligst die Augen zu. Hat jemand ne Armbrust?"
"Du kannst den armen Vogel doch nicht einfach abschießen!" Rea sah ihren Abteilungsleiter entrüstet an.
"So ein Biest kann einen Menschen töten!", erwiderte Cim.
"Gib mir einen Versuch, ja? Der Vogel sieht eher verängstigt aus... Chi?", Rea war während sie sprach in die Hocke gegangen und hatte irgendwo in den Untiefen ihrer Röcke etwas gesucht, schließlich stand sie wieder auf und hielt einen ihrer vielen Unterröcke in der Hand.
Der Vampir trat vor und Rea reichte ihm den Rock. "Meinst du, du kannst dass auf den Kahlkopf fallen lassen?"
Chi sah ratlos von Rea zu Cim, bis er begriff, dass sie den Vogel meinte. "Natüllich, Ma'am!"
Ein leises Plopp ließ Vogel und Wächter zusammenzucken und plötzlich befand sich eine kleine Fledermaus, die einen gespenstisch wirkenden Unterrock mit sich trug mitten in der Luft. Der Strauß war offensichtlich starr vor Angst, denn er bewegte sich kein Stück als Chi sein Haupt mit dem Rock bekränzte. Zwei geschickte Flugmaneuver später trug das Tier ein schwanähnliches Gebilde auf dem Kopf.
Mit einem kleinen Plopp stand Chi wieder als alter Mann im Raum. "Olegami", sagte er als die anderen sein Kunstwerk eher skeptisch betrachteten.
Der Strauß setzte sich zufrieden hin. Anscheinend glaubte er, dass Feinde, die er nicht sehen konnte, gar nicht existierten.
"Eigentlich wollte ich ihm ein Beruhigungsmittel geben, aber ich glaube, der Kerl ist friedlich."
"Schön, wieder die Katze vom Baum geholt, Vektor", murmelte Damien. "Können wir jetzt anfangen mit was auch immer wir vorhaben?"
"Ja", Cim sah sich seine Gefolgschaft an. "Damien, Rea und Sallien suchen nach dem Archivar, der Rest bleibt hier und sucht nach den Leseratten."
"Kann jemand SUSI für die Spurensicherung rufen?", fragte Rea. " Hat wer 'ne Taube?"
Sallien hob eine steinerne Pfote. "Aber, Sir, das ist mein ganzer Sold!"
"Du bekommst eine Neue, versprochen!"

***


"Ich soll da nochmal rein?" Ama verschränkte die Arme vor der Brust. "Niemals!"
"Aber Chi ist doch bei dir", Cim sah die angehende Informantenkontakterin freundlich an. "Ihr fliegt da durch, findet die Ratten, jagt sie raus und am Ende überleg ich mir, ob du nicht ein anderes Büro bekommst." Er zwinkerte verschwörerisch.
"Naaagut! Chi, lass uns mal loslegen!" Die Gnomin war plötzlich voller Elan.
Der achatenische Vampir lächelte. "Lass uns loslegen, Amalalie!" Und plötzlich war aus dem freundlich lächelnden, puppenfanatischen Alten eine Fledermaus geworden, die geduldig neben dem Stapel Bucheinbänden flatterte und darauf wartete dass Ama aufstieg.
"Yogi, wir sorgen dafür, dass uns sie Biester nicht entkommen!" Cim zog ein großes Netz aus seiner Tasche. "Also los Gefreite!"
Chi, der unter der Last der Gnomin in seiner Fledermausform ein wenig zu kämpfen hatte flatterte los in das Rattenloch und konnte hören, wie Cim und Yogi das Netz vor den Ausgang spannte. Auf seinem Rücken spürte er die angespannte Amalarie, die im Gegensatz zu Chi nur Schwärze erkennen konnte. Auch Chi sah nicht viel, doch er konnte hören was vor oder hinter ihm war. Er hörte Wasserrohre und Pfützen am Boden, Geröll, ein paar Buchseiten und jede Menge Hexapoden - Insekten.
Sie folgten einem langen, schnurgeraden Gang, der wohl einzig und allein für Wasserleitungen gebaut worden und nur 20 cm hoch war. Amalarie musste sich eng an den Fledermauskörper pressen um nirgends anzustoßen und auch Chi hatte Probleme, genau in der Mitte zu fliegen um nicht mit den Flügeln ans Gestein zu kommen.
Plötzlich hörte Chi leises aber schnelles Herzklopfen, das von vielen Herzen kam. Ehe es sich die beiden Wächter versahen fanden sie sich in einem alten Keller wieder, in dem wohl schon jahrelang niemand mehr gewesen war. Der Boden schimmerte. Einzeln leuchteten kleine, grün-silberne Punkte auf.
"Oah, ist das schön!", flüsterte Amalarie.
Chi verdrehte die Augen, was Amalarie natürlich nicht sehen konnte. Vorsichtig landete er auf einem alten Tisch, der schon so sehr voller Spinnweben war, dass selbst die sich am Boden befindenden Leseratten ihn nicht in Beschlag genommen hatten. Amalarie stieg ab und Chi verwandelte sich wieder in seine menschliche Form. Im schummrigen Licht der leuchtenden Schuppen konnte Chi das Siegel der UU auf der Kellertür ausmachen. Wahrscheinlich war dies ein alter Trakt, von dem wohl kaum jemand mehr wusste, dass er existierte. Zumindest roch er danach.
"Gut, was machen wil jetzt?", fragte der Vampir.
"Sie rausjagen!"
"Und wie willst du das anstellen, kleine Unschuld?" Der Vampir sah sich in dem Raum um. "Wil hätten Feuel mitnehmen sollen. Odel etwas zum Klach machen..."
"Krach machen?" Amalarie grinste. "Das lass mal meine Sorge sein!"
Amalarie kletterte ein Stück höher auf einen alten Karton, der bereits schimmlige Stellen aufwies.
"Hey, ihr blöden Ratten! Spitzt mal die Lauscher!!", schrie die Gnomin. "Wenn ihr nicht spurt mach ich aus euch Hackfleisch!!! Mmmmmh ich liiiiebe Hackfleisch!!!"
Es war weniger die Drohung als die Lautstärke, die die Ratten die Flucht ergreifen ließ. Quiekend und fiepsend rannten sie in die einzig mögliche Richtung - das große Loch in der Wand und Ama konnte getaner Arbeit den Rückweg mit dem Fledermausexpress antreten. "Das mein Organ mal zu was gut war?", sie schüttelte kichernd die Locken. "Wenn ich das Anette erzähle!"

***


Erst hörten sie ein Grollen, dann mischten sich hohe Töne darunter und plötzlich füllte sich das Netz. Viele schuppige Ratten, so groß wie jene Hunde, die man auch Trethupen nennt, sammelten sich zwischen den engen Maschen und bemerkten zu spät, dass sie sich dort nur verheddern konnte. Rea, Damien und Sallien waren inzwischen wieder zurückgekehrt, sie hatten auch in den anderen Räumen gesucht und keinen Archivar gefunden. Und das gewaltsame Öffnen der Tür war bislang die einzige Spur auf ein Verbrechen.
"Wir bringen die erstmal zur UU", sagte Cim und deutete auf die Ratten, die Damien, Sallien, Rea, Yogi und mittlerweile auch wieder Chi in dem Netz zu halten versuchten. Ruhig zündete sich der Fähnrich eine Zigarette an. "Dann mal los."

***


Ponder Stibbons kämpfte sich durch ein Meer von Papier, auf das Hex immer weitere Fehlermeldungen schrieb. Er hechtete zum Ausgabeschlitz.
+++Fenster konnte nicht geöffnet werden+++Bitte Fenster schließen+++
"Jetzt mach doch mal jemand das verdammte Fenster zu!", schrie er einen Zauberstudenten an, der so unglücklich war, an Hex arbeiten zu müssen.
+++Fenster geschlossen+++Warten auf Ende der Disaktivität+++Mais-Kuh-L-Fehler+++
"Mistmistmist!", Stibbons zog an einigen Hebeln doch der Hex arbeitete so nur noch schneller. Einige Ameisen begannen, in einer Sanduhr zu kriechen und dort eine Zitrone auszuquetschen. "Was wollt ihr denn hier???"
"Wir haben was, was Ihnen gehört, Herr..." Der kahlköpfige Mann sah Stibbons fragend an.
"Meine Leseratten?" Ponders Gesicht leuchtete auf. "Die Leseratten! Kommen Sie schnell, lassen Sie sie in den Käfig hier."
"Sollten sie nicht erstmal das Chaos hier beseitigen? Ich dachte sie essen so gerne Papier...", fragte ein Zaubereistudent, der damit beschäftigt war, die Sanduhr mit den Ameisen mit Zitronen zu füllen.
"Nein! Nein, bloß nicht! Dann speichern sie nur diesen Mist hier!" Ponder half den Wächtern dabei, sich einen Weg zum Käfig zu bahnen während er erklärte. "Jedes Schriftstück dass sie essen verändert die Konfiguartion ihrer Schuppen. Wir haben sie mit brindisianische Leuchtdrachen gekreuzt. Jede einzelne Drachenschuppe repräsentiert einen hexadezimalen Code, der von Hex verarbeitet werden kann, deshalb heißen sie ja auch Leseratten!"

Reif für ein Bier oder zumindest für einen sehr starken Kaffee schleppten sich die Wächter zurück zum Ausgang der Universität. Der erste Schritt war geschafft, doch wie sollten sie das Hexameron finden? Sie wussten ja noch nicht einmal, wer es genommen hatte.
Damiens Blick schweifte umher, als suche er die Antwort in der Eingangshalle. Ein Orang-Utan hing zufrieden and einer Querstrebe und mampfte eine Banane. Als er Damiens Blick bemerkte winkte er ihm zu - der Bibliothekar war der einzige Gast in der Trommel, der den Szenekenner wahrnahm wenn er dort ermittelte. Damien nickte zurück und dachte daran, dass man sagte, der Bibliothekar sei einst ein Mensch gewesen und irgendein Zauber hatte ihn... Plötzlich machte etwas in Damiens Kopf "Klick". Ein paar mentale Zahnräder begannen sich zu drehen und setzten schließlich ein Pendel in Gang, welches mit voller Wucht gegen einen Gong prallte.
"Lara!", sagte er und griff den nächstbesten Wächter an der Schulter und schüttelte diese. "Lara!"
"Nein, Damien, ich heiße Yogi...", der Riese verdrehte die Augen.
"Ach, verdammt nochmal, Cim!"
Der Abteilungsleiter drehte sich um. "Ja?"
"Was passierte mit Lara[4]? Der Zauberlehrling von Allesauge, die, die wir im Wald gefunden haben?"
"Ja, Damien, ich erinnere mich an Lara. Hmm, ich glaube, Vetinari hat sich ihrer angenommen und in ein Kloster geschickt. Wieso?" Cim sah den Szenekenner ein wenig verwirrt an.
"In ein Kloster?", auf einmal dämmerte es Damien. "Wir müssen noch einmal zurück ins Archiv! Und ich glaube, wir brauchen einen Zauberer."

Verängstigt stand der Archivar nackt neben der Stelle, an dem vorher noch ein Strauß gestanden hatte. Ein Unterrock, gefaltet zu einem Schwan, saß noch immer auf seinem Kopf. Cim ging hin und nahm dem armen Mann den Kopfschmuck ab. "Erlaubst du, Rea, dass ich den Rock noch einmal zweckentfremde?"
"Ich hätte sowieso nicht angezogen, was mal auf einem Straußenkopf saß."
Der Mann sah sich verwirrt um während er seine Blöße mit dem weißen, mit spitzen besetzten Unterrock zu verdecken suchte. "Sie hat mich in einen Strauß verwandelt? Sie sagte, sie macht eine Eule aus mir..." Das letzte bisschen Würde fiel von dem Mann ab.
"Ein misslungener Tierzauber. Eindeutig Laras Handschrift. Damien grinste. "Einen Ochsen in mehrere Otter zu verwandeln, wäre käme sonst auf so eine Idee?"
"Wer ist Lara?", fragte der Zauberer Jakobi Finethiel, der trotz des Regens mit ihnen gekommen war.
"Och, eine alte Bekannte von uns", sagte Damien in einem beiläufigen Tonfall. "Eine Schülerin von Zauberer Allesauge, den wir auf einer unseren vielen Eskapaden zur Verhinderung der Apokralypse getroffen haben. Leider war der Kontakt nie sehr eng..."
Der Zauberer sah ihn mit einem Blick an, der klar sagte, dass Damien in die Klapsmühle gehörte und als die anderen Wächter zustimmend nickten erinnerte er sich daran, dass er ja zum Nachmittagstee musste.
"Gut gemacht, Damien, so sparen wir uns die Rechnung", grinste Rea und sah dann wieder den Archivar an. "Sie wissen nicht zufällig wohin die Frau wollte, die sie verwandelt hat?"
"Vielleicht sollten sie erstmal wissen, warum sie mich aufgesucht hat? Das Hexameron, das Übrigens in ihrem Besitz zu sein scheint, ist nicht gerade einfach zu lesen. Es lässt sich nur mit den richtigen Worten öffnen."
"Die da wären?", fragte Sallien.
"Keine Ahnung, die Ratten haben das Buch gefressen, der Einband liegt hier irgendwo..." Der Archivar sah sich um und gab dann in dem Chaos die Suche auf.
"Also ist das Ritual tatsächlich nicht mehr durchführbar?"
"Ach Quatsch, die paar Wörter vergisst man nicht so leicht. Immerhin hat die Hohepriesterin der Resta sie schon x-mal gesprochen! Darf ich mir jetzt was zu anziehen holen gehen oder wollt ihr noch was wissen?"
Doch Cim war schon aus der Tür gerannt und rief den anderen zu dass sie ihm folgen sollten.

"Hey, ihr dürft hier nicht rein! Dort haben nur Frauen Zutritt!", schrie der Tempelwächter, als die Truppe auf das Tor zustürmte, hinter dem sich laut Damiens Bericht das Hexameron einmal befunden hatte.
Wortlos schubste Yogi den Wächter beiseite der ihnen in den Weg sprang. Cim stieß die Tür auf und sie liefen einen langen Gang, beleuchtet von Fackeln entlang, der leicht bergab führte.
"Haben sie dich hier hingeführt?", keuchte Rea außer Atem.
"Nein, aber die Hohepriesterin hat in ihrer Predigt erwähnt, dass das Buch unterirdisch liegt. Weit unterirdisch!" Damien schien ausnahmsweise ein Herz für die Sache gefasst zu haben. Sie waren sicher zehn Minuten nur gelaufen als sie Schreie hörten.
"Sag mir die Worte oder ich bringe dich um!", schrie die Stimme Laras, die die SEALS-Wächter nur allzugut kannten. "Mach mich nicht wütend, du Pinguin!!"
In den meisten Geschichten hätte nun jemand dieses Ereignis mit "Wir müssen gleich da sein!" kommentiert, doch die Wächter sparten sich diese hirnrissige Verschwendung von Atemluft. Selbst Amalarie war auf Yogis Schulter ins Schwitzen gekommen, denn der Hüne rannte mit jedem Körperteil dass ihm zur Verfügung stand und so musste sich die Gnomin wieder einmal gut festhalten.
Der Gang machte eine Biegung und plötzlich standen sie im Allerheiligsten. Es sah eher aus wie eine Grotte, in die man ein paar Kerzen gestellt hatte doch man konnte spüren, wieviel Glauben sich auf dieses Ort konzentrierte[5].
Kabiera, die Hohepriesterin lag in einem schwarzen Gewand auf dem Rücken, ihre Augen vor Angst geweitet doch ihre Lippen dünn vor Wut und der Resolution, kein Wort über ihre Lippen kommen zu lassen. Als sie die Wächter sah man deutlich Erleichterung über ihre Züge huschen.
Lara fuhr erschrocken herum als sie die Neuankömmlinge bemerkte. "Was tut ihr hier?", schrie sie entgeistert. Ihre langen schwarzen Haare brauchten eine Weile um ihrer Bewegung nachzukommen und für einige Sekunden war sie von einem ironischen Heiligenschein umgeben. Die violette Tunika ließ ihre Haut blass erscheinen und die Wächter wussten nicht genau, ob die schwarzen Ringe unter den Augen nicht doch von der Beleuchtung resultierten.
"Lara, du bist festgenommen.", sagte Cim, der sich nicht darum scherte, sein Schwert zu ziehen.
"Niemals! Ich werde Allesauge zurückholen und ihr könnt NICHTS dagegen tun!" sie lachte als während sie eine komplizierte Bewegung mit den Armen vollführte. Gleich darauf saß ein sichtlich verwirrter Klapperstorch an Kabieras Stelle.
Lara verdrehte die Augen, offensichtlich hatte sie ein anderes Tier geplant gehabt. "Egal, mal sehen was passiert wenn ich an Kaulquappen denke..."
Die Wächter erstarrten. Die Tatsache, das Lara nicht wirklich das bekam was sie wollte hielt sie nicht davon ab es immer wieder zu probieren. Lara begann wieder, ihre seltsame Gestik, als sie auf einmal aufschrie. Amalarie war unbemerkt an sie herangeschlichen und hatte ihren Brieföffner in den Fuß der Zauberin gestochen und dabei offensichtlich keine falsche Verlegenheit an den Tag gelegt.
Grinsend sah sie zu, wie die restlichen Wächter gleich mit mehreren Handschellen dafür sorgten, dass Lara ihr Kunststück wohl eine ganze Weile lang nicht mehr vorführen konnte.

***


Schon wieder das Kommandeursbüro, dachte Rea während sie an Cims Tür klopfte.
Der Omnier ließ sie, wie so häufig mit einem widerwilligen Blick ein. "Na, was gibt's?"
"Nun, wir haben beide eine Einladung, damit wir dem Kommandeur erklären können, was passiert ist." Sie legte den Brief auf Cims Schreibtisch.
"Wenn er mir wieder diesen widerlichen Kaffee andreht gebe ich Lara das Buch zurück", murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.
"Ich hoffe nur, wir haben alle was aus der Sache gelernt", sagte Rea und versuchte so streng wie möglich zu gucken ohne dabei beleidigend zu wirken.
"Das wir uns öfter mal Geschichten erzählen? Also, wirklich, Hexe, für einen Gewitterabend ist das ja ganz nett..."
"Nein, Cim. Wir brauchen mehr Kommunikation untereinander. Ein Info-Brett wäre nicht schlecht..."
"Jetzt sei doch erstmal zufrieden damit, dass wir wieder einmal die Apokralypse verhindert haben", sagte Cim und nahm einen ordentlichen Schluck aus seinem Flachmann.
"Insofern es später keinen Knollenkaffee gibt, ja..."
Der Fähnrich grinste von einem Ohr bis zum anderen. "Eine Apokralypse nach der anderen."

[1] Giovanni Boccaccio mal anders

[2] welchen er um gut einen halben Meter verfehlte

[3] SEALS-Slang für "die Erweiterung kognitiver Umstände durch Anregung der Endorphinausschüttung in Folge von Einnahme des Stoffwechselproduktes von Saccharomyces cerevisiae in großen Mengen"

[4] siehe Multi-Mission "Desdeamon"

[5] wäre Glauben sichtbar, so hätten die Wächter ein starkes grünes Leuchten erkannt, der Geruch von Glauben wurde von einigen fanatisch-religiösen Werwölfen als gelblich beschrieben. Er soll nach Lorbeer duften

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Goldie Kleinaxt

01.07.2006 14:36

Heyho - Gartulation zum Sieg, wenig überraschend (darüber haben wir eh schon diskutiert), auch wenn ich persönlich Rom vor Dir gesehen hätte! :)

Auf die Gefahr hin mich als schlechter Verlierer zu präsentieren, die Kritik:
Ich fand die Geschichte eher sehr durchschnittlich. Nicht schlecht, aber halt auch nicht gut. Halt keinerlei Highlights. Alles halt irgendwie durchschnittlich. Beim Plot, bei den Ideen und beim Humor. Hab irgendwie die Kreativität vermisst. Das ich mir mehr erwartet hätte, hab ich Dir eh schnon gesagt. Meine Maßstäbe - meine Meinung - meine Wertung war demnach auch deutlich unter dem Endergenbis.

Von Ophelia Ziegenberger

01.07.2006 16:01

Lob: Deine Geschichte hat schön Balance gehalten zwischen der persönlichen Entwicklung deiner Hauptfigur und den Erlebnissen der übrigen Abteilungsmitgleidern. Die Erzählweise über zwei Ebenen hat immer wieder von Neuem einen Perspektivwechsel bedingt und damit auch jeweils einhergehend ein neuerliches Wecken der Konzentration. Die Darstellung der verschiedenen Zwistigkeiten und der sich einander entgegen stehenden Ansprüche und Erwartungen innerhalb der Abteilung, brachten mir diese näher, womit ein wesentlicher Punkt der Pokalanforderungen Berücksichtigung fand. Das ausdrückliche Angehen der Problematik "Kommunikationsdefiziet" in einem miteinander arbeitenden und aufeinander angewiesenen Kollegium stellte einen Brückenschlag in die tägliche Realität dar, der dem Ganzen einen sarkastisch-süffisanten Grundton verlieh.

Kritik: Die recht komplexe Geschichte wartete doch, für meinen Geschmack, mit etwas zuviel Zufall auf.

Aus meiner persönlichen Sicht hat die Single die Pokalanforderungen gut erfüllt.

Von Magane

01.07.2006 17:18

Bei mir ist deine Single auch ganz oben gelandet, die Geschichte war strange aber nett, die Abteilung hast du gut verwurschtet und wenn ich mich recht entsinne fand ich auch die Worte gut eingebaut.

Von Araghast Breguyar

01.07.2006 19:37

Meiner Meinung nach eine sehr gute Single, bis auf den Schluss. Ich fand es etwas arg einfallslos, einfach so einen Bösewicht aus der Multi wieder aufzuwärmen.
Aber das nur meine 5 Cent. :wink:

Von Rea Dubiata

07.07.2006 19:09

Ja, erstmal danke für die Kritik (und vor allem für das Lob). :D
Mein erster Plan war ja eigentlich, eine Rachegöttin für alles zur Verantwortung zu ziehen, aber irgendwie war mir das im wahrsten Sinne des Wortes, zu hoch. Dann wäre es aber auch wieder schwierig gewesen, einen eigenen Bösewicht einzufügen, denn dann hätte ich einige Passagen außerhalb des SEALS-Blickpunkts schreiben müssen, was ich nicht wollte. Da musste eben Lara noch mal herhalten, die in der letzten Multi am ende ar keinen richtigen Showdown bekam. So erklärt sich das Ende *wollte das noch loswerden* :wink:
Liebe Grüße,
Rea

Von Cim Bürstenkinn

08.07.2006 07:08

Ich fand die Idee unseren Multi-Unrat auf diesem Wege zu beseitigen hingegen sehr gut. Ich fürchte halt, dass der Effekt wohl primär auf die Mitarbeiter der Multi (also SEALS-Wächter) ausgelegt war und anderen Abteilungen eher die Augenbrauen hochschossen:)
Unterm Strich also auch ein mutiger Schritt..

lg, Cim

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