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Die Vergangenheit kehrt zurück: In der Anfangszeit der Wache rettet Atera ein Mädchen, doch damit beginnt der Fall erst.
Dafür vergebene Note: 15
Anmerkung: Diese Mission spielt zu der Zeit als Atera noch Chief-Korporal war. Ich bitte um Nachsicht, dass vielleicht einige Ränge der in der folgenden Mission auftauchenden Wächter nicht dem Rang entsprechen, den sie zu der Zeit wirklich innehatten. Und ja, ich weiß, dass es kein Papiergeld gibt, aber in diesem Fall erlaubte mir die Dramaturgie die Verwendung dessen.
"Zwölf Uhr und alles ist gut.", flüsterte Atera. Sie schwenkte die Laterne durch die Hand und beleuchtete die enge Strasse, an deren Seiten sich dicht die Häuser drängten. Gar nichts war gut. Nachts um Zwölf durch die Straßen zu gehen, dabei frieren und bemerken, dass der Schuster letzte Woche schlampige Arbeit geleistet hatte, denn die linke Sohle hatte einen Riss bekommen, das war ganz und gar nicht gut. Zumindest war es geruhsame Arbeit und sie könnte noch schauen, ob auch das Bier in diversen Kneipen und Schenken die hügienischen Vorraussetzungen erfüllte. Zwar erinnerte sich Atera nicht an irgendwelche Bestimmungen, aber es konnte nie schaden der Bahre einen Besuch abzustatten.
"Zwölf Uhr und es ist immer noch alles gu-."
Ein Schrei gellte durch die Nacht, der abrupt endete.
"Nun…", begann Atera zögernd, sie horchte eine Weile, wippte angespannt auf ihren Füßen, um dann loszulaufen. Die Laterne in der rechten Hand, griff sie nach ihrem Schwert und versuchte es noch im Laufen aus der Halterung zu bekommen. Kurzzeitig bemerkte sie, dass die Laterne immer wieder schmerzhaft gegen ihr Knie schlug und das Lampenöl auslief. Rannte sie in die richtige Richtung? Aus einer Nebengasse hörte sie Geräusche und Atera stürmte blindlings um die Ecke. Die Lederscheide bröckelte unter ihren Fingern weg, als sie endlich ruckartig das Schwert herauszog.
Halb hatte sie gehofft und befürchtet, dass niemand in der Gasse sein würde, aber am anderen Ende sah sie zwei finstere Gestalten, die auf jemanden, der im Rinnstein der Strasse lag, einschlugen.
"Im Namen der Stadtwache Ankh-Morporks sofort aufhören!", rief sie in die Stille, denn die Gestalten redeten nicht und auch das Opfer schwieg, vielleicht war es schon längst tot. Atera wollte eigentlich furcht erregend mit ihrem Schwert drohen, aber stattdessen schwenkte sie nur die Laterne, die überall Spritzer von Öl verteilte. Die zwei Gestalten, von der Statur her Männer, ließen von ihrem Opfer ab und starrten zu Atera rüber. Für einen kurzen Moment traf der Lichtschein von Ateras Lampe sie, aber die Schläger waren vermummt und nicht identifizierbar. Nur kleine trübe Augen waren zu erkennen, die die Wächterin anstarrten. Einer der Männer hob fast beiläufig einen Knüppel auf und trat einige Schritte auf Atera zu.
"Seid ihr von der Gilde?", fragte diese. Sie wusste nicht warum, aber es war irgendwie eine Patt-Situation entstanden oder wie immer man das auch nennen mochte.
Der Mann mit dem Knüppel wollte noch näher kommen, aber der andere hielt ihn zurück.
"He, seid ihr taub oder was? Ich muss euch jetzt festnehmen, wenn ihr nicht redet! Haltet still und rührt euch nicht." Merkwürdigerweise konnte sie ein leichtes Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Sie band die zwei Eisenschellen von ihrem Gürtel los und ging nun ihrerseits auf die Männer zu. Große Männer wie ihr auffiel. Ateras Blick ging kurz zu der Person am Boden, ein leichtes Rinnsal einer dunklen Flüssigkeit floss in die Gosse. Blut wahrscheinlich, aber Atera schwenkte die Laterne kurz in die Richtung, um in der Dunkelheit etwas genaueres zu erkennen. Ein Fehler, wie sich herausstellte.
Sofort spürte sie einen Ruck und sie drehte sich noch in die Richtung der Angreifer, aber da hatte einer der Männer schon ausgeholt und verpasste ihr einen kräftigen Schlag an die Schläfe. Atera taumelte und augenblicklich spürte sie eine schwarze Woge der Bewusstlosigkeit, die sie einzuholen versuchte. Sie stach mit dem Schwert in die ungefähre Richtung der Männer, dann aber glitt ihr die Laterne aus der Hand, prallte scheppernd auf die Straße und zerbrach. Sie geriet auf dem Öl ins Rutschen und einer der Männer hieb ihr mit dem Knüppel in die Seiten. Atera stöhnte schmerzhaft auf, schwankte und ging dann zu Boden.
"Ey, Wächterin. He, aufwachen!", rief eine Stimme. Jemand rüttelte an ihr, aber Atera war zu benommen, um irgendetwas wahrzunehmen außer dieser Wärme, die sie von überall umgab. Dann wurde sie mühsam über das Kopfsteinpflaster gezogen.
"Oh, verdammt. Wächterfrau, du hast ein Fuß verloren. Wollt ich nicht.", fluchte die Stimme. Atera gestattete sich ein Blinzeln, aber sofort stach Helligkeit in ihre Augen und sie schloss sie wieder rasch. Erneut wurde sie unsanft gerüttelt. Ihre Arme fühlten sich merkwürdig schwer und träg an, als Atera irgendwelche Hände weg schlug.
"Zwölf Uhr und alles ist gut.", krächzte sie.
"Ach ja? Mann, hier brennt alles!" Atera öffnete die Augen und kniff sie sofort zusammen. Es war zu hell hier. Sie lag am Rande einer Hauswand und erst jetzt bemerkte sie, dass das Lampenöl Feuer gefangen hatte und überall kleine rote Flammen loderten. Atera zog hastig ihren Fuß zurück und drückte sich mit dem Rücken stärker an die Hauswand.
"Einen Moment später und du wärst auch verbrannt." Die Wächterin drehte sich um und sah zu der Person neben ihr. Es war ein junges Mädchen, sie hatte gekräuselte Locken, aber ihr Haar war so dreckig, dass man die genaue Farbe nicht identifizieren konnte. Sie trug nur ein paar abgetragene Sachen, die vielleicht in ein paar Tagen nur noch Lumpen sein mochten. Ihr Gesicht war blutverschmiert und mit Russ bedeckt. Trotzdem lächelte sie unbeholfen, hielt sich gleichzeitig aber schmerzhaft die Seite.
"Sie haben gedacht, ich wäre schon tot und haben deswegen von mir abgelassen.", erklärte das Mädchen, als Atera nichts sagte. Diese nickte matt und beobachtete weiterhin das auf den Straßen tanzende Feuer.
"Der eine Mann hat ein brennendes Streichholz in das Öl geworfen und dann sind sie einfach weggelaufen. Die hatten wohl Angst, dass noch mehr Wächter kommen. Mann, du warst schon am brennen, als ich erst aufstehen konnte und dich vom Feuer weggezogen habe."
"Ich… habe gebrannt?", fragte Atera ungläubig zurück.
"Nur am Bein, aber nicht schlimm. Ich habe es ausgeklopft.", antwortete das Mädchen. Atera sah wie Blut unter deren Hand hervorquoll.
"Wie schwer bist du verletzt?"
"Es geht. Reg dich nicht unnötig auf, Wächterin.", erwiderte das junge Mädchen schnippisch und stand langsam auf. Atera hielt sie zurück.
"Ich bin Korporal Atera.", stellte die Wächterin sich vor, dann zögerte sie kurz. "Nein, stimmt gar nicht. Ich bin letzte Woche zum Chief-Korporal befördert worden."
"Schön für dich." Das Mädchen wandte sich zum Gehen.
"Halt, was soll das? Du musst mit zur Wache kommen, ich muss dich befragen. Oder warte, vorher musst du besser noch zum Doktor."
"Ich muss, ich muss, ich muss.", äffte das Mädchen sie nach. "Ich muss gar nichts. Sei froh, dass ich dich gerettet hab. Ich wär aber schon längst weg, wenn du diese Männer nicht aufgehalten hättest. Deswegen war ich dir was schuldig und hab dich aus dem Feuer gezogen."
"Wie heißt du?", fragte Atera unvermittelt und ignorierte die Bemerkungen ihrer "Retterin".
"Maria, aber das geht dich gar nichts an." Dann stöhnte diese auf und griff sich in die Seite. Die Verletzungen mussten stärker sein, als Maria zugab zu verkraften. Atera raffte sich auf und stützte das Mädchen, das sich schwach wehrte.
"Ich bringe dich ins Wachhaus, das wird das Beste sein." Gemeinsam humpelten sie durch die Straße, es ging nur mühsam voran und Ateras Fuß war nicht richtig befestigt. Dafür spürte sie das warme Blut von Maria, während Atera sie stütze. Aber vielleicht war es auch nur Lampenöl.
Hinter ihnen brannte das Öl weiter und warf einen hin und her zuckenden rötlichen Schein auf die Straße vor ihnen. Zwölf Uhr und alles ist gut.
Im Wachhaus war es ruhig und nicht viel los. Kommandeur Rince übergab gerade einem neuen Wächter seine Uniform. Dieser versuchte vergeblich alle Dinge aufzunehmen und hastete dem Kommandeur hinterher, der allerhand erklärte.
"Sir, ich muss das Mädchen irgendwo hinlegen. Sie ist schwer verletzt.", sagte Atera, salutierte leicht und schleifte die inzwischen fast bewusstlustlose Maria weiter in das Wachhaus. Der Kommandeur eilte zu einem der Tische, fegte kurzerhand den Papierkram hinunter und half Atera das Mädchen auf den Tisch zu legen. Als Rince die Verletzung sah, fluchte er laut. Der neue Wächter kam zögernd näher und starrte über die Schulter des Kommandeurs.
"Hmm, ich kenn mich zwar nicht aus, aber sieht aus wie ein Schnitt mit einem scharfen Gegenstand.", vermutete Rince fachmännisch.
"Es waren zwei Männer und ich habe nur einen Knüppel bemerkt.", bemerkte Atera. "He du da.", wandte sie sich zu dem Gefreiten. Der sah sich etwas unschlüssig um.
"Wer, ich?"
"Nein, der Schneevater. Treib ein paar Laken oder Tücher auf, Gefreiter." Atera kramte in ihrer Tasche und holte ihr Nähgarn Packet heraus. "Ich könnte ein paar Stiche…", bot sie an. Der Kommandeur schüttelte den Kopf.
"Sie verliert zwar viel Blut, aber es müsste reichen, wenn wir sie stark umwickeln. Oder kennst du dich etwa so genau aus mit Verletzungen, Chief-Korporal?"
"Nein, Sir." Atera berührte das Mädchen an der Schulter und diese hob langsam die Augenlider. Sie atmete schwach, aber es könnte auch nur die Erschöpfung sein. In diesem Moment kam der Gefreite mit einem Laken wieder.
"Du siehst so nass aus. Bist du durch den Regen gerannt, Wächter?"
"Äh ja, so könnte man es ausdrücken."
"Hol einen Arzt.", befahl Kommandeur Rince. Er hob das Mädchen etwas an und Atera wickelte ein Tuch um den Leib und die Wunde. Der Gefreite salutierte kurz und hastete dann aus dem Wachhaus.
"Komischer Kerl.", bemerkte Atera in der entstandenen Stille. Rince zuckte mit den Schultern.
"Es gibt so wenige in der Wache, da können wir über jeden froh sein. Wer weiß vielleicht bringt es dieser Daemon noch weit."
"Daemon? Komischer Name. Sir."
"Was ist eigentlich genau passiert?", fragte Kommandeur Rince.
"Wenn ich das wüsste. Zwei Männer haben das Mädchen hier, Maria heißt sie, angegriffen und wollten sie vermutlich töten. Ich bin durch Zufall dazwischen gekommen. Äh, mir ist da übrigens ein Missgeschick mit der Laterne passiert, Sir."
"Ist sie kaputt? Wir haben nur zwei davon! Der Patrizier hält die Ausgaben für die Wache recht knapp." Rince seufzte und rückte seinen Gürtel zurecht. "Zu knapp."
Es verging einige Zeit, als der Gefreite endlich mit einem Doktor ankam. Es war ein gedrungener stämmiger Mann mit braungebrannter Haut.
"Wo ist denn das Pf…die Verletzte?", fragte er sofort und sah sich geschäftig im Raum umher.
"Hier drüben, Herr… äh?", begann Kommandeur Rince.
"Einfach nur Krapfen-Karl." Der Mann stemmte eine schwere schwarze Tasche auf den Tisch und kramte darin herum, zwischendurch warf er einen Blick auf das Mädchen, schüttelte oder nickte mit dem Kopf.
"Hmm, aha, soso.", murmelte Krapfen-Karl wissend.
"Äh, ist es notwenig ihre Zähne zu untersuchen?", fragte Atera nach.
"Natürlich, sehr wichtig. Wann hat sie zuletzt etwas gegessen?" Die Wächterin zuckte darauf ratlos mit den Schultern.
"Es geht um diese Wunde hier, Doktor." Rince hielt inne. "Du bist doch Doktor, oder?"
"Natürlich, natürlich. Ich glaube, da muss ich nähen. Keine Sorge, alles schon tausendmal gemacht.", erklärte Krapfen-Karl. Die Wächter entspannten sich.
"Wobei das bei Pferden natürlich etwas anders ist. Da kann man das Tier noch anschließend zum Schlachter bringen, wenn was schief gelaufen ist." Der Mann lachte. Der Kommandeur straffte sich darauf und drehte sich herum.
"Gefreiter Daemon?", begann er mit weicher Stimme.
"Ja, Sir?"
"Als ich meinte: Hole einen Doktor, da hatte ich eigentlich angenommen, du wüsstest, dass wir keinen Viehdoktor vom Land brauchen!"
"Sir, es gibt sonst keinen anderen Doktor, Sir.", erwiderte der Wächter.
"Es gibt keinen anderen? Na schön, das hätte ich mir eigentlich denken können. Willkommen in Ankh-Morpork, Gefreiter." Rince seufzte wieder und stapfte die Treppe nach oben. "Ruft mich, wenn es was gibt."
Aber Krapfen-Karl verstand anscheinend sein Handwerk, denn er konnte Maria mit einigen Stichen nähen und den Blutfluss stillen. Allerdings verstand er sein Handwerk auch in geschäftlichen Dingen und so war Atera mal wieder um ihren mickrigen Sold ärmer. Atera blickte auf das Mädchen herab, die jetzt in ruhigen Zügen schlief. Warum wollten die Männer sie töten? Was war an einem einfachen Straßenmädchen so interessant?
"Soll sie sich erstmal hier ausruhen. Ich werde nach Hause gehen und das gleiche machen.", beschloss Atera laut. Sie ging langsam zur Tür, wurde aber von einer Stimme zurückgehalten. Mitten im Wachehaus stand der komische Gefreite und sah in den Raum.
"Äh, Chief-Koporal?", fragte er langsam.
"Ja, Gefreiter Daemon?"
"Ich habe im Moment gar keinen Auftrag. Und da dachte ich…"
"Da dachtest du, du könntest mich fragen, ob ich dir einen gebe? Das habe ich noch nie gemacht. Weißt du ich bin noch nicht solange Chief-Koporal.", erwiderte Atera.
"Nun, eigentlich-."
"Gefreiter, ich gebe dir hiermit den Auftrag… den Auftrag…" Die Wächterin dachte scharf nach, was sie nun befehlen könnte, als ihr etwas einfiel. "Den Boden zu schrubben und zu putzen. Du tropfst mit deinen nassen Sachen alles voll."
"Danke, Chief-Koporal. Ich fühle mich geehrt für diesen ehrenvollen Auftrag, den ich jetzt mit meiner ganzen Ehrerbietung ausführen werde.", sprach dieser.
"Bitte sehr. Und Gefreiter Daemon." Atera wandte sich noch einmal um.
"Ja, Madam?"
"Sarkasmus steht nur Offizieren gut."
Als Atera am nächsten Tag ins Wachhaus trat, kam ihr Rettich entgegen. Von weitem schwenkte sie schon einen Schlüsselbund, der laut klimperte.
"Du solltest dringend mal nach diesem Mädchen sehen.", sagte die Zwergin schnell und hielt sich nicht mit langen Reden auf. Atera sah sie noch etwas verschlafen an und nahm die Schlüssel entgegen.
"Was ist denn los?"
"Sie wollte diese Nacht einfach verschwinden, aber ihr ging es noch nicht so gut und Rince ließ sie in eine der Zellen einsperren.", erklärte Korporal Rettich. "Zu ihrer eigenen Sicherheit.", fügte sie rasch hinzu, als Atera ansetzen wollte etwas zu sagen. Diese nickte und zog ihre Naht am linken Arm enger, dann ging sie zu den Zellen und fand Maria in einer der letzten. Freundlich grüßte sie beim eintreten, aber Maria sah sie nur trotzig an. Sie saß auf der Pritsche, die Beine angewinkelt und ihre Schuhe verteilten den Straßendreck auf dem Betttuch, aber es schien sie nicht zu stören. Ungeduldig zwirbelte sie an einer ihrer Locken.
"Also, was war los?", begann Atera zögernd und holte sich einen Stuhl, um sich vor der Zelle hinzusetzen.
"Gar nix war los. Ich wollte hier nur weg und ihr habt mich nicht gelassen. He, ich bin das Opfer! Normalerweise sollten diese Männer hier drin sitzen.", beschwerte das Mädchen sich in ihrer pampigen Art.
"Es zu deiner eigenen Sicherheit.", wiederholte Atera die Worte Rettichs.
"Ach ja? Ihr haltet mich doch hier nur fest, um mich zu verhören." Atera wollte darauf etwas sagen, aber ihr fiel nicht ein, was sie dazu hätte sagen können. Im Grunde stimmte es doch.
"Hast du eigentlich Familie? Eltern, die sich Sorgen machen? Wo ist dein Zuhause?", begann der Chief-Korporal stattdessen mit den Fragen. Sie holte einen kleinen Notizblock und Stift hervor, um sich alles gewissenhaft zu notieren.
"Mann, du stehst davor.", sagte Maria nur.
"Was heißt das?"
"Das heißt, dass ich von Zuhause weggelaufen bin. Die Straßen von Ankh-Morpork sind jetzt mein Zuhause.", erklärte das Mädchen und grinste leicht.
"Und wovon lebst du?", fragte Atera.
"Von allem Möglichen.", war die Antwort. Die Wächterin seufzte, das Ganze brachte doch nichts. Sie würden die Kleine wieder laufen lassen müssen und die Männer würden nie geschnappt werden. Wie schon so oft.
"Kannst du dir vorstellen, warum die Männer dich töten wollten?" Das Mädchen zuckte mit den Schultern.
"Hast du irgendetwas gesehen oder mitbekommen? Einen Streit vielleicht oder sogar einen Mord?" Wieder ein Schulterzucken. Atera unterdrückte ein Fluchen. "Hör mal, wenn du nichts sagst, kann ich dir nicht helfen. Was ist, wenn diese Kerle wieder auftauchen und du nicht mehr bloß mit einer Verletzung davonkommst?"
"Das ist meine Sache. Ey, kann ich mal an eine meiner Zigaretten? Einer der Wächter hat mir mein Zeugs abgenommen.", bat Maria. Atera sah nach hinten auf den Schreibtisch, wo ein unförmiges Ding lag, was in grauer Vorzeit mal einen Rucksack hätte darstellen können. Sie stand auf, öffnete einen Stofffetzen und sah sofort ein kleines Tuch in dem ein paar Zigaretten eingewickelt waren. Schon hatte sie die Hand ausgestreckt, um diese zu nehmen, da fiel ihr etwas Besseres ein. Kurzerhand wühlte sie weiter in dem Rucksack. Vielleicht war der ja gesprächiger, als diese Maria.
"He, was machst du da?", rief jene plötzlich, als sie merkte, dass Atera langsam begann ihre Sachen auszupacken.
"Routine, das muss ich machen. Das muss durchsucht werden.", erklärte die Wächterin knapp, obwohl sie Zweifel hatte, ob Rince das billigen würde. Der Rucksack beherbergte die wunderlichsten Dinge. Sie fand mehrere bunte Knöpfe, ein trockenes Brot, ein Paar löchrige Schuhe, einen Zettel mit undefinierbarem Geschmiere drauf und auch eine Visitenkarte. Wie einen Schatz hielt Atera die Karte hoch und betrachtete sie. Goldene verschnörkelte Buchstaben kündigten unnachahmliche und unvergessliche Köstlichkeiten an, sowie einen Traum an weichen Betten.
"Hotel… Savoy.", las Atera und runzelte die Stirn. "Was ist das?"
"Da hab ich mal gearbeitet.", erklärte Maria wortkarg, sie verschränkte die Arme vor der Brust und schien immer noch verärgert, dass Atera ihren Rucksack besah.
"Und was genau hast du dort gemacht?"
"Ich hab die Küche geputzt, aber das ist schon lange her. War es das jetzt an Fragen?"
"Hmm, komisch. Ich lebe schon solange in Ankh-Morpork, aber von einem Hotel Savoy habe ich noch nie gehört.", murmelte Atera nachdenklich und drehte die feine Karte zwischen ihren Fingern hin und her. Eine Adresse stand nicht drauf.
"Dann hab ich es vielleicht erfunden.", erwiderte das Mädchen beißend. "Das Savoy existiert schon ewig. Kann ich nun meine Zigarette haben?" Atera reichte ihr eine, aber lehnte schnell ab, als Maria ihr sogar eine anbot.
"Feuer ist sehr gefährlich für unsereins. Wo ist denn dieses Hotel Savoy?", fragte der Chief-Korporal wie beiläufig.
"Weiß ich nicht mehr." Sie zog an der Zigarette, die leichten Rauchschwaden trieben durch die Zelle und Maria verzog den linken Mundwinkel zu einem herausfordernden Grinsen. Aber Atera war nicht interessiert an weiteren zermürbenden Gesprächen, die doch nichts ergaben. Lieber packte sie weiter den Rucksack aus. Ganz unten in einem Seitenfach fiel ihr plötzlich eine Pappschachtel in die Hände. Neugierig holte die Wächterin sie hervor und zeigte sie Maria. Die Augen dieser weiteten sich für einen Moment und auch die Hand umklammerte für einen winzigen Augenblick die Zigarette so, als wolle sie sich an ihr festhalten statt umgekehrt. Dann trat wieder die stoische Ruhe des Mädchens in den Vordergrund. Aber vielleicht hatte sich die Wächterin auch nur getäuscht, vielleicht war es nur die Aufregung des Mädchens.
"Was ist da drin?", fragte Atera. Prüfend wog sie die kleine Pappschachtel in ihrer Hand. Maria winkte ab.
"Nichts Wichtiges. Nur ein paar Bindfaden zum Flicken und weiterer Kram. Keinen Blick wert."
Atera öffnete die Schachtel doch und sog erstaunt die Luft ein. In der Schachtel drängten sich Bündel an Geldscheinen wie Sardinen in einer Dose. Fast anklagend hob sie eines davon in die Höhe.
"Ach und was ist das?"
Sofort sprang Maria erstaunt auf und stolperte fast über ihre offenen Schnürsenkel, als sie ans Zellengitter stürzte.
"Hey, ich hatte ja keine Ahnung, dass ich soviel Geld mit mir rumschleppe! Echt, ich schwörs, da waren nur Bindfadenrollen drin!"
"Du willst sagen, dass hat dir einer untergeschoben?", schlussfolgerte Atera. Maria nickte darauf heftig. Aber die Wächterin blickte dem Mädchen scharf in die Augen. War es die Wahrheit oder konnte dieses Mädchen einfach nur verdammt gut schauspielern? Und woher hatte sie dann das Geld?
"Den Rucksack hast du doch immer dabei. Wo könnte dir denn jemand die Schachtel herausnehmen und Geld gegen Bindfaden tauschen? Und vor allem; wer würde so etwas wollen?", hakte Atera nach.
"Weiß ich nicht, vielleicht diese beiden Männer…" Doch die Antwort kam zögernd.
"Wo warst du denn vor dem Angriff der Männer?"
"Hmm, keine Ahnung." Das Mädchen dachte angestrengt nach und nahm einen weiteren fast hastigen Zug von der Zigarette. "Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder. Ich war bei der Madame."
"Madame?", echote Atera verständnislos.
"Madame Düfroh oder Dufront, wie immer sie auch heißt. Eine Opernsängerin. Ich bin so was wie ihr Kammermädchen oder war es zumindest bis gestern.", erklärte Maria, sie ließ sich wieder auf der Pritsche nieder, nestelte aber immer noch unbehaglich an ihren Locken.
"Hat sie dich entlassen?", wollte die Wächterin wissen. Sie verschloss die Schachtel wieder, steckte sie aber nicht zurück in den Rucksack.
"So könnte man es nennen. Die Alte hat mich einfach vor die Tür gesetzt. Von heut auf morgen. Dabei hab ich gar nichts gemacht!", beschwerte sich Maria empört. Atera nickte. Der Fall gestaltete sich komplizierter, als gedacht. Wie kam ein einfaches Straßenmädchen an soviel Geld? Und das waren gut und gern 4.000 Ankh-Morpork-Dollar.
"Ich rede mal mit ihr, okay? Wo kann ich diese Dufront denn finden?", fragte Chief-Korporal Atera.
"Sie ist Opernsängerin, da wird sie wohl in der Oper sein.", erwiderte Maria schnippisch. Damit war das Gespräch erst einmal beendet. Atera nahm verfolgt von Protestgeschrei die Schachtel mit und bat den Kommandeur sie aufzubewahren. Dann machte sie sich auf den Weg zur Oper am Pseudopolis-Platz.
Es waren im Grunde nur wenige Schritte über den Platz, da stand Atera auch schon vor dem Eingang der Oper. Ein hohes Tor mit zwei gewaltigen Flügeln links und rechts verschafften einen sehr imposanten Eindruck. Auch wenn die Farbe ein wenig abblätterte, Kratzer in dem Tor waren, jemand auf der linken Wand beschwörende Sprüche wie "Ihr werdet alle sterben!" oder "Ihr seid so gut wie tot!" geschrieben hatte und an einem Haken an der Wand ein kleines unscheinbares Gewicht hing. Insgesamt sah die Oper aber trotzdem imposant aus. Die vielen Wasserspeier auf dem Dach des Hauses, die mit grimmigem Ausdruck herunterblickten, als ob sie dafür bezahlt werden würden, taten ihr übriges dazu, dass das Opernhaus wirklich beeindruckend war. Atera schritt die Stufen hinauf und traf auf einen Mann, der nun -Wie sollte man es anders sagen? -ein wenig merkwürdig aussah. Er war dünn, nein eher dürr und in der Hand hielt er einen Besen, dem er sehr ähnelte. Der Mann hatte sogar die gleiche Frisur wie der Besen.
"Halt, kein Einlass.", wisperte er mit einer hohen Fistelstimme. Atera musste mehrmals hinhorchen, um sie zu verstehen.
"Warum kann ich nicht rein?", fragte die Wächterin verständnislos. Sie hatte damit gerechnet von einem bulligen Türsteher barsch abgewiesen zu werden, aber nicht mit jemanden, den man mit seinem eigenen Besen verwechseln konnte. Der Mann deutete auf ein gelbes Plakat, dass nur lose an einem der Torflügel befestigt war und im Wind hin und herflatterte.
"Die Aufführung ist erst in zwei Tagen. Heute ist nur Probe, da dürfen keine Besucher herein. Bitte, das ist nun mal so. Ich kann nichts dafür. Ich soll hier nur keinen reinlassen. Das ist mein Tschob, ich persönlich habe nichts gegen dich, Frau Wächterin. Bitte, ich will keinen Ärger. Es tut mir leid, wenn ich Unannehmlichkeiten bereite, aber ich habe meine Anweisungen. Es ist wirklich nicht meine Schuld. Ich trage keine Verantwortung.", prasselte plötzlich ein monotoner Redeschwall auf die verdutzte Wächterin ein. Zwischendurch ging die Stimme des Mannes in einen so hohen Ton, dass irgendwo ein Hund anfing wild zu jaulen.
"Ich habe doch noch gar nichts gesagt.", begann Atera.
"Ja, nur für den Fall der Fälle. In meiner Hilf-Dir-Selbst-Gruppe wurde gesagt, man solle sich wehren."
"Aber ich mache doch gar nichts. Ich stehe hier nur so rum.", beteuerte Chief-Korporal Atera.
"Nein, nein. Du willst sicher in die Oper und da bin ich dir im Weg, also musst du mich angreifen."
"Ich will dich nicht angreifen, aber du hast Recht, ich möchte ins Opernhaus. Es geht um eine wichtige Befragung. Ist Madame Dufront da?" Der Mann nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Atera blickte ihn an und wünschte sie wäre bloß an einen dummen Türsteher geraden. Nun, dieser Mann hier war auch dumm. Aber auf eine andere, schwierigere Art.
"Ja, die Madame ist da, aber sie probt gerade. Du kannst nicht herein. Hör zu, ich bin nicht Schuld daran. Also werde bitte nicht wütend und so. Weil ich kann wirklich nichts dafür.", erklärte er und begann den Besen wie einen Speer zu halten. Seine zu Berge stehenden Haare knisterten leicht.
"Gut.", sagte Atera. "Ich wollte sowieso nicht hinein." Darauf sah sie der Mann erstaunt an.
"Du willst nicht? Du musst niemanden befragen? Du hast nicht vor dich mit mir zu prügeln?" Atera verneinte auf diese Worte und unterdrückte ein Grinsen. Wahrscheinlich würde schon ein kleiner Stups oder nur ein Atemhauch reichen, um den Mann außer Gefecht zu setzen. Der Mann schien ein bisschen enttäuscht, dass Atera sich abwandte, aber dann zeigte diese plötzlich in eine unbestimmte Richtung.
"Da! Ein Haufen leicht besiegbarer Leute, die unbedingt in die Oper wollen!", rief sie.
"Ich muss sie aufhalten!!" Der Mann rannte ohne Nachzudenken mit seinem Besen einfach los, stolperte ungeschickt, rappelte sich wieder auf und war hinter einer Ecke verschwunden. Atera wollte lieber nicht auf ihn warten und stahl sich leise in die Oper. Der Torflügel schloss sich knarrend und gerade in diesem Moment kam Besen und Mann wieder. Er sah sich ratlos nach der Wächterin um. Vermutlich war sie gegangen. In die Oper wollte sie ja nicht, dachte er betrübt, dabei hatte ihn die Hilf-dir-selbst-Gruppe gelehrt keiner Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen. Irgendein Gedanke kroch durch seinen Geist und der Mann lehnte sich an den Besen und versuchte dem nachzugehen.
In der Oper war es düster. Atera stand auf weichem flauschigem Teppich und sah sich um. Vor ihr erstreckte sich eine Eingangshalle und an einer Seite war eine Art Fenster oder Bullauge in die Wand eingelassen. Helles Licht strömte daraus. Vorsichtig bewegte die Wächterin sich darauf zu, unter ihr raschelte der Teppich(er war natürlich rot). Hinter dem Bullauge war eine Frau eingesperrt, die offensichtlich schon lange dort lebte, denn sie strickte an einem meterlangen undefinierbaren Strumpf oder etwas in der Art. Sie kniff die kleinen Augen zusammen und die Stricknadeln klapperten unablässig. Zwei Laternen schenkten ihr in ihrer Kammer Licht. An den Wänden unzählige Plakate, Zettel und alte Iknogoraphien. Atera räusperte sich höflich. Die Frau sah auf. Trübe Resignation sprach aus ihren Augen, wahrscheinlich war sie schon zu lange eingesperrt in diesen engen Raum, nur die Glasscheibe schien sie mit der Welt draußen zu verbinden.
"Ja?", brummte die Frau.
"Entschuldigung, ich suche Madame Dufront.", erklärte Atera. Die alte Frau sah sie misstrauisch an, dann leckte sie sich über die trockenen Lippen und deutete mit einer der Stricknadeln hinter Atera.
"Entweder ist sie auf der Bühne oder in ihrer Garderobe. Wer hat dich hier überhaupt rein gelassen?"
"Der merkwürdige Kerl vorne, er meinte es ginge in Ordnung."
"Ach du meinst Otto Plinge? Vetter von Walter, aber er taugt einfach nichts.", beschwerte sich die Frau missmutig, Atera nickte und fragte sich, wer nun Walter sei. Wahrscheinlich war es nicht so wichtig. In dem dämmrigen Halblicht tapste die Wächterin über den Teppich, bis sie Stimmen hörte und wahllos eine der Türen links von ihr aufdrückte.
Das war also eine Oper. Eigentlich sah Atera nur gähnende Finsternis, die sich vor ihr erstreckte, aber es war dieses Gefühl eines riesigen Raumes, der sie beeindruckte. Weiter links strahlte ein helles Licht auf die Bühne. Das Licht flackerte immer wieder und Atera stieß mehrmals gefolgt von gemurmelten Flüchen gegen unzählige Stühle. Die Probe war anscheinend beendet, denn niemand sang und auch sonst war niemand zu sehen. Halt, am Rande der Bühne hockte jemand. Es schien ein Mann zu sein, klein und mit Buckel. Das Gesicht in den Händen vergraben, hörte man erstickende Stille, die von dieser Person ausging.
"Äh.", begann Atera, verstummte aber sogleich wieder, als ihr Zögern durch den ganzen Saal lief und irgendwo in weiter Ferne noch nachhallte. Der Mann sah auf, sofort schlich sich ein offen erkennbares Misstrauen in seine Augen.
"Bist du die neue Sängerin?", fragte er barsch.
"Eigentlich…"
"Na los, rauf auf die Bühne.", forderte seine Stimme, die anscheinend keinen Widerspruch duldete. Unbeholfen erklomm Atera das hohe Podest und fand sich plötzlich in mitten eines gleißenden Lichtes wieder, dass sie das Gefühl hatte auf der Stelle zu vertrocknen. "Worauf wartest du? Fang an!"
"Mit was?" Atera blinzelte und starrte auf ihre Füße um nicht geblendet zu werden.
"Mit Singen, was denn sonst!"
Für einen Moment wollte Atera noch erklären, dass sie von Singen keine Ahnung hatte und dass sie ganz bestimmt nicht die neue Sängerin war, aber irgendetwas ließ sie dann doch singen. Sie wusste nicht mehr, was es war, nur irgendein Volkslied aus Ankh-Morpork. Vielleicht hatte sie auch nicht richtig gesungen, sondern nur gekrächzt, denn sie erinnerte sich noch Tage danach, dass der Mann sich jammernd die Ohren zugehalten hatte.
"Bei Offlers Zähnen, wir brauchen keine zweite Isabelle! Geh mir aus den Augen!", kreischte der Mann und stampfte wütend mit dem Fuß auf. Atera wollte ihm sagen, dass sie Wächterin war, was eigentlich auch an ihrer Uniform zu erkennen gewesen wäre, aber der Mann tobte nur jähzornig und Atera beschloss lieber den Opernsaal zu verlassen. Erneut stand sie in der Eingangshalle, aber ihr gegenüber führte eine schmale Treppe hinauf und die Wächterin vermutete die Garderobe dort oben. Am Ende der Treppen lag ein enger Korridor, links und rechts zweigten Türen ab und Atera suchte im Halbdunklen nach irgendwelchen Namensschildern oder Hinweisen, hinter welcher Tür sich die Garderobe dieser Frau verbarg. Wahrscheinlich würde ihr Besuch noch nicht einmal etwas bringen, wer wusste schon, ob Madame Dufront etwas mit dem Geld zu tun hatte oder Auskünfte über irgendeine ihrer sicher zahlreichen Kammermädchen geben konnte. Dann sah Atera den Stern. Eigentlich war es nur noch ein halber Stern, anscheinend hatte jemand versucht ihn von der Türe abzureißen. Nur noch die matte billige Goldfolie war geblieben und einige Zacken. Neben der Türe prangte das Schild: Madame Dufront, Stern. Vorsichtig klopfte Atera.
"Herein!", befahl eine gedämpfte Stimme. Die Wächterin öffnete die Türe, sah etwas Unförmiges auf sich zu fliegen, duckte im rechten Moment noch den Kopf und hörte hinter sich etwas sehr Zerbrechliches an der gegenüberliegenden Korridorwand kaputt gehen.
"Oh, ich habe gedacht du wärst Ferdinand.", sagte eine Frau. Wie die Oper war auch sie imposant. Sie trug ein eng anliegendes lilafarbenes Abendkleid, besetzt mit goldenen Pailletten. Zumindest glitzerten sie golden, aber vermutlich waren es nur billige Imitate. Um den Hals und die Arme der Frau schlang sich etwas, das aussah wie eine Mischung aus totem rosa Vogel und Schlange. Die braunen Haare waren hochgesteckt und mit einem Netz bedeckt, dazu trug die Frau viele Ringe an den etwas wulstigen Fingern. Und auch das Kleid trug nicht gerade dazu bei ihre Figur zu betonen. Man konnte förmlich die Nähte reißen hören. Es dauerte eine Weile bis Atera die Worte wieder fand.
"Wer äh ist denn Ferdinand?", fragte sie.
"Jemand vom Theater, aber das brauch dich nicht zu interessieren, Schätzchen." Die Frau setzte sich und betrachtete sich nun in einem von Lampen angestrahlten Spiegel. Überall türmten sich kleine Töpfchen, Kästchen und in der Ecke stand ein eisernes Gestell an dem allerlei Kleider hingen.
"Du bist Madame Dufront, Stern?", hakte Atera nach und wunderte sich im Stillen, warum die Frau sie mit Schätzchen anredete.
"Ja ich bin Madame Dufront und ich bin ein Stern." Die Frau streifte ihre Ringe ab, die mit einem lauten Klonk auf die Anrichte vor dem Spiegel fielen. Dann begann sie mit einem unförmigen Stoffding die Schminke in ihrem Gesicht zu verteilen. Ihre Augen aber sahen Atera forschend durch den Spiegel an. Die Wächterin trat weiter in den Raum und fragte sich, ob Frau Dufront verrückt sei. Niemand behauptete leichtfertig von sich ein Stern zu sein.
"Schätzchen, ein Stern ist beim Theater oder in der Oper jemand sehr berühmtes.", erklärte Madame Dufront. Atera nickte. Vielleicht war auch nur die Oper verrückt.
"Und du bist ein Stern?", fragte sie. Madame Dufront brummte etwas Unverständliches.
"Ja, das bin ich, Schätzchen. Also wo ist dein Büchlein?" Die Frau befreite ihre Haare von dem Netz und drehte sich erwartungsvoll zu ihr um.
"Ich habe hier meinen Notizblock…", begann die Wächterin. Sekunden später besaß sie eine Original Unterschrift von Madame Dufront. Atera hatte gerade noch so viel Höflichkeit in sich, nicht zu fragen warum die Frau den Drang besaß fremde Notizblöcke voll zukritzeln. "Ähm, kann es sein, dass du mal ein Kammermädchen namens Maria beschäftigt hast?"
"Maria, Maria, lass mich mal überlegen, Schätzchen." Madame Dufront schien angestrengt nachzudenken, Atera sah sich inzwischen interessiert in der Garderobe um. Ihr Blick fiel auch auf ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit, das auf der Anrichte stand. Es könnte nur Wasser sein…
"Hmm, ich erinnere mich nicht mehr genau. Oder warte, meinst du diese freche Göre, die ich gestern hinausschmiss?"
"Ja, das könnte sie sein.", stimmte Atera zu. Madame Dufront schminkte sich weiter ab beziehungsweise legte ihre Haut unter den Schichten von Mähk ap frei. Tiefe Falten traten zutage.
"Maria, ja, sie war mal mein Kammermädchen. Hat eigentlich gute Arbeit geleistet, aber sie war zu frech und da musste ich sie entlassen. Niemand behandelt mich mit zu wenig Respekt ohne dass es Konsequenzen gibt!" Madame Dufront nestelte an einer schweren Halskette an ihrem Hals und schleuderte sie fast erbost auf den Tisch.
"Verstehe. Hast du auch vertrauliche Dinge mit ihr besprochen, die sonst keiner wissen konnte oder durfte?"
"Nein natürlich nicht. Ich rede doch nicht mit so einem Mädchen mehr als nötig." Der Tonfall bekam etwas Angewidertes und es schien fast, als wäre Madame Dufront empört, dass Atera diese Vermutung auch nur annehmen könnte.
"Und war Maria sehr neugierig?"
"Nicht das ich wüsste."
"Ähm, hat sie mal etwas hier in der Oper gestohlen?", startete Atera endlich die Frage, die ihr schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte. Madame Dufront kniff ein Auge zusammen und sah sie mit dem anderen misstrauisch an.
"Was geht dich das an, Schätzchen?"
"Es ist sehr wichtig. Bewahrst du öfters größere Mengen Geld in der Garderobe auf?", bohrte Atera geduldig nach.
"Nein, ich bin doch nicht dumm! Die Türen hier sind nicht abschließbar, Schätzchen. Ich halte es für besser, wenn du jetzt gehst! Ich muss mich umziehen." Die Stimme von Madame Dufront erhielt einen vibrierenden Unterton, der leicht ins hysterische gleiten konnte. Atera trat sicherheitshalber ein paar Schritte zurück. Hier gab es viele zerbrechliche Dinge, die handlich gut zu werfen waren.
"Eine Frage noch, trittst du demnächst hier in der Oper auf?" Die Wächterin stand schon an der Türe und beobachte die Frau in dem Spiegel genau.
"Nein, die Saison ist zu ende. Ich werde zurück nach Quirm reisen.", antwortete Frau Dufront kalt.
"Und wo finde ich dich, wenn ich noch Fragen habe, Madame?"
"Es gibt keine Fragen mehr zu stellen.", erwiderte diese barsch und griff nach dem Glas.
"Ja, aber ich habe noch ein paar Freunde, die würden auch gerne eine Unterschrift in ihren Notizblöcken haben.", versuchte es Atera. Sofort wurde Madame Dufront freundlicher.
"Ach, wenn das so ist. Ich werde noch einige Tage hier in Ankh-Morpork bleiben. Deine Freunde finden mich im Hotel Savoy, Schätzchen." Chief-Korporal Atera dankte für die Auskunft und wollte schon gehen, als sie inne hielt.
"Hotel Savoy? Hast du dort zufällig Maria für deine Dienste eingestellt?"
"Ja, kann sein. Würdest du jetzt bitte gehen." Madame Dufront wedelte ungeduldig mit der Hand.
"Einen Moment noch, wo finde ich… meine Freunde denn dieses Hotel?"
"Na da, wo es schon seit ewigen Jahren steht. Ich bin fremd in dieser Stadt, aber wo das Savoy steht, weiß doch wohl jeder. Wenn du vom Pseudopolis-Platz diese eine Straße rein gehst, weißt du diese Straße neben der Straße wo es zum Odium geht, wenn du die Straße also, nicht die zum Odium, entlang gehst, findest du es auf der linken Seite."
"Der Zauderweg oder der Untere Breite Weg?" Atera kannte Ankh-Morpork. Sie war hier geboren, aufgewachsen, gestorben und mehrere Male auseinander gefallen. Nirgendwo sonst kannte sie sich besser aus, aber ein Hotel Savoy… Vielleicht war sie immer blind daran vorbeigelaufen.
"Nein, keiner von beiden. Warte, ich glaube, es war die Straße gegenüber der Straße, die zum Odium führt. Ach, irgendeine Straße eben hier in der Nähe, Schätzchen."
Noch etwas verwirrt von der sehr genauen Beschreibung, verabschiedete der Chief-Korporal sich höflich und ging den Korridor entlang. Auf der Treppe kam ihr ein riesiger Blumenstrauß entgegen, dann nach einigem Abstand ein Mann, der diesen hielt. Er summte irgendein Lied und Atera quetschte sich an dem ausfüllenden Blumenstrauß und dem Mann vorbei. Gerade als ihre offenen Sandalen wieder Berührung mit dem hohen Teppich fanden, hörte sie von oben her Glas klirren.
In der Stadtwache war es mal wieder ruhig, es gab eben nicht viel zu tun. Nun wahrscheinlich schon, aber die Wache war eher bemüht nicht all zu viel zu unternehmen. Sie konnte manchmal auch nicht viel unternehmen. Als Atera das letzte Mal jemanden den Satz "Im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork wirst du verhaftet" vorgesagt hatte, lachte dieser nur. Es war zwar leichter einen kichernden Verbrecher mitzuschleifen, aber ein klein wenig Respekt und bittend aufgerissenen Augen würden den Tschob erheblich angenehmer gestalten. Atera grüßte Rettich, die in der Pausenecke hinter den Tresen saß und sich über irgendwelche Rote Beete Knollen aufregte, die ein Wächter dort liegen gelassen hatte. Mit ein paar mehr oder weniger eiligen Schritten ging Atera die knarrende Treppe hinauf in den ersten Stock und klopfte an die Bürotür des Kommandeurs. Als niemand antwortete, öffnete sie leicht die Türe und sah, dass der Raum leer war. Ratlos trat sie in das Büro und sah sich um. Sie war noch nie alleine hier gewesen. Vielleicht hatte Kommandeur Rince ja einen Zettel auf dem Schreibtisch hinterlassen oder einen Zettel in einer der Schubladen, der erklärte wo er war. Gerade wollte Atera sich über den Schreibtisch beugen und den Stapel Papiere begutachten, da sprang plötzlich ein kleiner Gnom vom Stuhl auf und wedelte, wie er wahrscheinlich meinte, furcht erregend mit einem Bleistift in der Luft herum.
"Mach keine Dummheiten, der Bleistift ist frisch angespitzt und ich bin bereit ihn einzusetzen!", rief er zu Atera hoch, dann erst bemerkte der Gnom ihre Abzeichen. "Oh, äh, Chief-Korporal, ich soll hier sitzen. Das ist ein Befehl.", verteidigte er sich.
"Auf dem Stuhl des Kommandeurs?", fragte Atera und betrachtete den Gnom, der eine wirklich winzige Uniform an hatte.
"Ähm ja, ich soll ihm den Stuhl warm halten. Ein Befehl von höchster Ebene." Der Gnom warf sich in die Brust und schien für einen Moment wirklich stolz zu sein, merkte aber dann selbst, dass das Bewachen eines Büros nicht gerade zu den heldenhaftesten Aufgaben gehörte.
"Obergefreiter Harry, richtig nicht? Wo ist Kommandeur Rince denn hin?"
"Mit Ptracy bei Lord Vetinari. Gemeinsam wollen sie ihn überreden, dass die Wache mehr Leute, auch äthnische Minderheiten, aufnehmen darf und dass wir mehr Geld brauchen. Das jedenfalls ist ihr Vorhaben.", erklärte der Gnom. Atera nickte, eigentlich hatte sie vorgehabt Rince wegen ihrem Fall zu fragen und ob sie dem weiter nachgehen sollte, aber im Grunde war es wahrscheinlich nicht notwendig. Maria war überfallen worden, das passierte in Ankh-Morpork sehr häufig, da konnte man nichts machen. Aber das Geld. Sie sollte einfach den Fall, es war ja überhaupt keiner gewesen, zu den Akten legen und der "Bahre" einen Besuch abstatten. Aber das Geld. Wer hatte so viel Geld in bar herumliegen, das von einem einfachen Straßenmädchen geklaut werden konnte? Und wenn es das nicht war; wer würde freiwillig Maria etwas geben? Selbst als Näherin verdiente man niemals so viel.
Es blieb nur das Savoy als nächster Anlaufpunkt und nach einigem Suchen fand es Atera tatsächlich. In einer nicht ganz so engen Straße prangte ein großes Haus mit weit ausladenden Giebeln. Der große Eingang lag etwas hinter der eigentlichen Häuserzeile links und rechts neben dem Savoy. Vielmehr war vor dem Hotel ein kleiner runder Platz an dem gerade eine Kutsche vorfuhr. Ein Mann in einer Uniform am Eingang des Hotels eilte zur Kutsche und öffnete sie. Männer und Frauen in Festkleidung rauschten über den rot ausgelegten Teppich und polierte Stufen hoch in den hell erleuchteten Eingang. Das Savoy war sauber. Überall blinkte es und es schien schmutz abweisend zu sein. Ein wahrer Glanz ging von dem Hotel aus und die vorherrschende Farbe war ein schimmerndes Gold und ein edles Rot. Atera klopfte ein wenig den Straßendreck von ihrer Uniform und ging noch immer das Hotel betrachtend über den Platz. In einer verschnörkelten Schrift war der Name des Hotels über dem Eingang angebracht, die Buchstaben schienen von innen heraus zu leuchten.
Als die Kutsche wieder abfuhr, bemerkte sie der junge Mann am Eingang. Er hatte auch eine Uniform an, aber es war eine dunkelblaue und ähnelte mehr einem Anzug als einer Uniform. Zudem hatten sich irgendwelche goldenen pelzigen Tiere an seinen Schultern festgekrallt.
"Willkommen im Savoy.", sagte der Mann mit einer honigsüßen Stimme und verbeugte sich. Dann aber bemerkte er die Aufmachung der Wächterin und rümpfte kritisch die Nase. "Ist das jetzt die neuste Mode aus Quirm?", fragte er. Atera suchte nach Verachtung in seiner Stimme, fand aber zu ihrem Erstaunen keine.
"Ähm, ja. Tragen dort alle.", murmelte sie hastig, dass sie hoffte der Mann würde sie gleichzeitig verstehen und wiederum nicht ganz verstehen. Aber der holte nur einen kleinen gläsernen Flakon heraus und versprühte etwas in ihre Richtung.
"Vorschrift, da du Untote bist, Madam. Es ist das edelste Parfüm, das es auf der ganzen Scheibenwelt gibt." So ein Hotel wäre ihr doch aufgefallen. Aber anscheinend hatte sie es übersehen oder war nie in dieser Straße gewesen. Atera nickte, der merkwürdige Geruch machte sie fast benommen und unbeholfen trat sie die Schuhe ab, als sie eintrat. Gerade war sie an dem Eingangsvorsteher vorbei, da hüstelte dieser und hielt die Hand hin. Die Wächterin wunderte sich, warum er erst jetzt damit kam, schüttelte aber ordnungsgemäß seine Hand und bedankte sich.
Dann war sie im Savoy. Nein, sie war nicht nur im Savoy, sie war in einer anderen Welt. Goldener Teppich, der so hoch schien, dass er fast geschnitten werden müsste, die Wände mit prächtigsten Bildern und Köpfen von toten Tieren verziert, Holzverkleidungen überall und kleine runde Tische, die glänzten und auf denen Gebäck bereit stand. Essbares Gebäck, wie sie später feststellte. Und im Raum verteilt eine Masse an Bediensten, die hin und her eilten, um jeden Wunsch zu erfüllen. An den Seiten große Sofas und bequeme Sessel zum Hinsetzen. An der gewölbten Decke edle Lampenschirme, die herabhingen und dem ganzen Raum einen weichen Lichtschein verliehen. Es waren sogar ein paar Pflanzen in Töpfen zu sehen, grüne Pflanzen. Schritt für Schritt durchquerte Atera den Raum, vorbei an Männern in schwarzen Fracks und Damen in Abendkleidern. Gegenüber den Eingangstüren war eine lange Empfangstheke.
Atera kannte nur ein Hotel und das war die "Wilde Rosi" in den Schatten gewesen, wo man ein enges Zimmer mit Kakerlaken teilen musste, der Hauswirt ein fettleibiger alter Mann in Unterhemd gewesen war und wo selbst das Ungeziefer das Essen dort verpönte. Das hier war etwas ganz anderes. Sauberkeit und Würde waren in jedem Winkel zu finden und den Gästen des Savoy haftete der Geruch des Geldes quasi schon an.
Atera trat an die Theke und berührte eine kleine Glocke, die dezent klang. Sofort widmete sich ihr eine junge Frau in einer ebenfalls dunkelblauen und dunkelroten Uniform. Sie lächelte die Wächterin freundlich an.
"Ja, was kann ich für dich tun, Madam?"
"Ähm…" Atera fiel erst jetzt ein, dass sie eigentlich keinen rechten Grund hatte warum sie ins Savoy gegangen war. War es etwa nur die pure Neugier gewesen? "Hier wohnt doch auch Madame Dufront, nicht?" Die Frau am Empfang schien eine Weile nachzudenken, dann nickte sie schließlich.
"Ja, soll ich etwas ausrichten? Sie ist nämlich noch nicht da. Du könntest auch hier im Empfangsraum warten, sie müsste bald von der Oper zurück sein."
"Das geht schon in Ordnung. Ich bin ihr neues persönliches Kammermädchen. Ich soll in ihrem Zimmer noch mal alles kontrollieren und nach dem rechten sehen.", erklärte Atera rasch. Diese Idee kam ihr gerade erst in den Sinn und sie wunderte sich ein wenig über sich selbst.
"Hast du eine schriftliche Erlaubnis, Madam? Ich kenne dich nicht und ohne Erlaubnis…", begann die Frau und Atera dachte schon sie würde abgewiesen werden, als ihr etwas einfiel. Schnell drehte sie sich um und kritzelte eine Bestätigung über die Unterschrift von Madame Dufront, während sie mit ihrer Jacke neugierige Blicke abschirmte. Nun war sie doch noch nützlich, falls es klappte. Chief-Korporal Atera zeigte der Empfangsdame den Zettel, diese überprüfte genau die Unterschrift von Dufront mit der in ihrem Gästebuch. Schließlich nickte sie.
"In Ordnung, es ist Zimmer 214." Die Frau reichte ihr einen glänzenden Schlüssel und wies sie zur Treppe aus altem Eschenholz rechts von Atera. Über den Stufen lag ein grüner Teppich mit allerlei Verzierungen, der die Schritte der Besucher dämpfte. Im zweiten Stock dann fand die Wächterin das gesuchte Zimmer, der Schlüssel rastete klickend ein und sie fand sich in einem Hotelzimmer wieder, das größer war als ihre Wohnung in den Schatten.
Die Betten waren wirklich so weich wie es auf der Visitenkarte versprochen war, Atera berührte das Bett nur mit der Hand und schon sank sie in dem weichen Stoff ein, der sie hinab zuziehen drohte. Nein, die Wächterin beherrschte sich. Irgendwann würde Madame Dufront sicher wieder zurückkehren. Atera sah sich in den Räumen um, sie fand ein weiteres unförmiges rosa Federding, das über einer Stuhllehne lag und sich dann weiter hinab an dem Stuhlbein entlang kringelte. Gab es überhaupt Vögel mit rosa Federn?
Die Wächterin durchsuchte weiter gründlich den Raum, fand aber nicht viel Interessantes. Nur eine Flasche klaren Whiskey, was ihren Verdacht bestätigte. Dann aber sah sie die kleine Kommode mit den vielen Schubladen. Darauf lagen einige Papiere und Atera riskierte einen Blick. Zum großen Teil Rechnungen des Hotels, einem Schneider und Schuster. Anscheinend hatte die Madame viel Geld für Sachen zum Anziehen ausgegeben. Daneben eine Notiz:
Erwarte dich um acht Uhr im Speisesaal. Ferdinand Etwa der gleiche Ferdinand nach dem Madame Dufront in der Oper eigentlich werfen wollte? Wieder mal ratlos betrachtete Atera die Notiz, ein Datum war darauf nicht angegeben. Die Wächterin durchwühlte weiter die Papiere: eine Einladung zu einem Ball im Savoy, Termine für die Probe in der Oper, Ankleidebesuch beim Schneider, Visitenkarten des Hotels, Brief an die Familie in Quirm, alles uninteressant. Langsam fragte sich Atera, was sie überhaupt hier machte. Madame Dufront hatte nichts verbrochen, es war völlig unsinnig ihr Zimmer zu durchsuchen. Vielleicht war es ja ihr Wächterinstinkt, der ihr sagte, dass 4000 Ankh-Morpork Dollar sich nicht einfach auf der Straße fanden. Vielleicht war es aber auch nur ihre angeborene Neugier, die jeder Bürger in dieser Stadt besaß.
Ihre Schritte hatten sie gerade in das geräumige cremefarbene Badezimmer geführt, als Atera gedämpfte Stimmen wahrnahm. Schnell stolperte die Wächterin hinter die Badezimmertür und wartete dort gespannt. Natürlich, bei ihrem Glück konnte es ja gar nicht anders kommen. Madame Dufront musste selbstverständlich ausgerechnet dann zurückkehren, wenn Atera sich noch im Zimmer befand. Narrative Kausalität, sie wurde immer öfters ein Opfer davon. Wenn der Kommandeur davon erfahren würde, dass sie ohne Durchsuchungsbefehl hier in dem Zimmer einer Berühmtheit, einem Stern war… Atera seufzte leise, als sie an eine Zukunft dachte in der Kommandeur Rince sie nur noch zu schnell fahrende Eselkarrenlenker aufschrieben ließ. Aber vermutlich würde Madame Dufront sie erst einmal arienhaft anschreien. Fast konnte Atera schon den Schlüssel einrasten hören. Und in der Tat öffnete jemand die Türe und Atera hörte selbst noch im Badezimmer die Stimmen. Männerstimmen, wie ihr eben auffiel. Ein Rascheln und Poltern war zu hören, etwas kippte geräuschvoll um, dann krachte etwas und es könnte die Lampe mit dem kleinen hellrosa Lampenschirm in der Ecke gewesen sein, die gerade scheppernd zu Boden ging. Wie viele Männer es wohl waren? Kurzzeitig hatte Atera wirklich vor aus ihrem Versteck hinter der Türe zu stürmen und die Männer anzugreifen. Ein kluger Schachzug, wenn es ein alter gebrechlicher und ein kleiner einarmiger Mann gewesen wäre. Lieber kein Risiko eingehen. Es sähe ziemlich dumm aus, wenn Atera in Einzelteilen zerlegt auf die Hilfe von irgendjemand warten müsste.
"Durchsuch alles, es muss hier irgendwo sein!", rief plötzlich eine Stimme. "Wenn-."
"Ja, ich weiß, wenn der Chef unzufrieden ist, sind alle unzufrieden.", erwiderte die andere Stimme. Schritte kamen jetzt Richtung Badezimmer. Atera wagte keinen Laut, aber ihre Hand ging unwillkürlich zum Schwert, das sie hinter der Jacke verborgen gehalten hatte. Zwischen dem offenen Spalt, dort wo die Türe in der Wand befestigt worden war, sah Atera einen großen Kerl mit Muskeln bepackt.
"Hast du was?", fragte der Mann mit den Muskeln seinen Komplizen im hinteren Zimmer. Schwere mit Metall besetzte Stiefel dröhnten auf den sauberen Badezimmerfliesen.
"Nein. Wenn der Chef wieder unzufrieden ist wie gestern mit dem Mädchen…"
"Woher sollen wir auch wissen, dass er die Leiche sehen will.", erwiderte der Mann, der inzwischen im Badezimmer stand und mit einem Wisch die Tuben und Döschen von einem Tisch fegte. Dann besann er sich eines besseren, hob jede einzelne Dose wieder auf und sah hinein. Atera könnte jetzt aus ihrem Versteck preschen und dem Mann eins überziehen. Waren es die gleichen Männer, die Maria töten wollten? Von der Statur her könnte es hinkommen. Während die Wächterin sich noch fragte wie das alles zusammenhing, stapfte der Mann wieder aus dem Badezimmer und schloss hinter sich die Türe.
Atera stand alleine im Dunklen; dort blieb sie noch eine lange Weile und erst als draußen alles still war, öffnete sie die Türe und sah die Verwüstung. Alles war umgestoßen, herausgerissen und zerstört worden. Selbst vor dem großen Bett war nicht Halt gemacht worden, tiefe herein gerissene Lücken klafften in der mit Feder und Wolle gefüllten Matratze. Anscheinend hatten die Männer nicht das bekommen was sie gesucht hatten und waren wütend wieder abgerauscht. Atera stolperte über den Unrat nach draußen und sah gerade wie Madame Dufront die Treppen hinauf ächzte. Sofort kam die Wächterin ihr entgegen und schüttelte ihre Hand.
"Chief-Korporal Atera, man hat mich eben erst verständigt. Schlimme Sache das.", begann sie fachmännisch und wunderte sich im Stillen selbst über ihre plötzlichen Improvisationskünste.
"Was ist denn los?", fragte Frau Dufront neugierig.
"Ach, du weißt es noch gar nicht, Madame? Ich dachte, man hätte dir bescheid gesagt. Bei dir wurde eingebrochen."
"Was???" Madame Dufront eilte mit trippelnden Schritten über den Flur zu ihrem Zimmer und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. "Oh, wie schrecklich!", jammerte sie. Atera folgte ihr und betrachte am Türrahmen stehend das verwüstete Zimmer, als wäre sie gerade erst gekommen.
"Du müsstest nachschauen, ob etwas gestohlen worden ist.", erklärte die Wächterin.
"Nein, es ist alles da.", sagte Madame Dufront abwesend und mit ihren hohen Schuhen schritt sie in ihr Zimmer und schüttelte immer wieder entsetzt den Kopf.
"Das äh kannst du jetzt schon so genau sagen? Möchtest du dir nicht alles anschauen und dann sagen, ob etwas gestohlen wurde, Madame?", fragte Atera nach. Madame Dufront nickte nur und schien Atera nicht wahr zu nehmen. Sie sah sich die Zimmertüre an, diese war gewaltsam aufgebrochen worden. Alles sah nach einem typischen Einbruch aus, aber diese Männer hatten nach etwas bestimmten gesucht und sie waren auch im Auftrag von jemand gekommen. Dem gleichen, der auch Maria hatte lassen töten wollen.
"Was ist hier los?", schnarrte plötzlich eine Stimme hinter Atera. Als sie sich umdrehte, sah sie einen etwas älteren Herrn in einem noblen Anzug. Er nestelte an seiner Krawatte, schien nervös und zog die Türe hinter sich zu sobald er eingetreten war. "Wenn ich mich vorstellen darf: Wincent Kantersteg, Geschäftsführer des Savoy."
"Chief-Korporal Atera, Stadtwache Ankh-Morpork." Sofort sah er sie entsetzt an und wedelte aufgeregt mit den Händen.
"Bitte, keine Wache! Alles muss diskret ablaufen. Madame Dufront, du bekommst natürlich ein neues Zimmer. Wie wäre es mit Nummer 595, viel größer und direkt nebenan.", schlug Herr Kantersteg vor. Atera fragte sich wie Zimmer 595 direkt neben der Nummer 214 liegen konnte, aber dieses Hotel war sowieso verwirrend. Nirgends in Ankh-Morpork ist es so sauber.
"Ich muss aber hier ermitteln. Es liegt schließlich ein Einbruch vor.", erklärte Atera und deutete unbestimmt in den Raum hinein.
"Genau.", bestätigte Madame Dufront unerwartet. Sie sah den Geschäftsführer eiskalt an. "Mir wurden meine 4000 Dollar gestohlen!"
"Dir wurde-.?" Atera kam nicht mehr ganz mit. Herr Kantersteg anscheinend auch nicht, denn er wurde kreidebleich.
"4000 Ankh-Morpork Dollar sind dir gestohlen worden, Madame? Das verstehe ich nicht. Ich meine, was für eine Schande für unser schönes Hotel.", haspelte er. Hatte Maria also doch die 4000 Dollar von Madame Dufront geklaut und die Frau es erst jetzt bemerkt? Der Geschäftsführer wandte sich an Atera. "Es muss absolute Diskretion herrschen was das hier betrifft."
"Aber Ermittlungen lassen sich nicht vermeiden. Ich muss sicher ein paar Leute befragen, hier im Savoy einiges anschauen und so.", sagte die Wächterin. Herr Kantersteg rang mit seinen Händen und sah Atera fast hilfesuchend an.
"Verstehst du nicht? Diskretion ist das Aushängeschild des Savoy. Die Menschen kommen zu uns, weil wir diskret sind. Es liegt nicht an den goldenen Lampen, an dem guten Essen, an der Sauberkeit oder an weichen Betten. Es ist unsere Verschwiegenheit, die die Leute so schätzen. Diskretion, verstehst du, Diskretion! Und wenn jetzt da so ein Wächter hier herumläuft und Fragen stellt, ist unser Ansehen gefährdet. Das mit dem Einbruch regeln ich und Madame Dufront schon, nicht wahr?" Die Frau nickte darauf und schließlich sahen beide Atera so durchdringend an, dass diese sich erst einmal entschuldigte und das Wachhaus aufsuchen wollte; natürlich nicht ohne zu versprechen wiederzukommen.
Als Atera auf dem Weg zum Wachhaus war, bemerkte sie, dass ein Mann mit einem merkwürdigen Hut ihr folgte. Sehr geschickt, wie sie anerkennend feststellen musste, aber Atera sah ihn dennoch aus den Augenwinkeln und er spiegelte sich in verdreckten Schaufensterscheiben, wenn sie stehen blieb und etwas zu betrachten schien. Nur ins Wachhaus folgte er ihr nicht. Drinnen hörte sie schon die laute Stimme des Kommandeurs, der sich über irgendetwas aufzuregen schien.
"Fünf Stunden lässt er uns warten!!!! Als ob wir einfache Bettler wären, die ihn nur aufsuchen, um mehr Geld zu verlangen!!!!"
"Äh, Sir, aber genau das wollten wir doch.", erwiderte eine leisere Stimme.
"Wir sind Wächter, er hat uns nicht so lange warten zu lassen!!! Ich muss schließlich auch noch Verbrechen aufklären!! Aber das Beste kommt ja noch, hab ich das schon gesagt?"
"Ich war doch mit dabei, Sir."
"Er war noch nicht mal da!!!! Der Patrizier ist nicht da, nach geschlagenen fünf Stunden erfahren wir das erst!!"
Atera beschloss lieber draußen vor dem Büro zu warten und auch bis der Zorn des Kommandeurs verraucht sein würde. Gerade hatte sie auf einem Stuhl platz genommen und etwas auf ihren Notizblock geschrieben, da öffnete sich die Türe und Ptracy kam heraus.
"Ist er sehr wütend?", fragte Atera eher rhetorisch.
"Das kannst du laut sagen. Es ist aber auch eine Frechheit. Ich könnte verstehen, dass wir umsonst zum Palast gegangen sind, aber dass wir ganze fünf Stunden warten…" Sie schüttelte den Kopf und pfiff nach Dios, um dann die Treppe hinunter zugehen. Leider ließ sie die Türe des Büros offen und so sah Rince Atera, der sie hineinwinkte.
"Weißt du was uns eben passiert ist?", begann er.
"Ich ähm habe es schon gehört. Also wegen dem Fall Maria…"
"Fünf Stunden Warterei, die ganze Zeit wird man nervöser und nervöser."
"Ja, wegen Maria… Es hat sich jetzt ergeben, dass Madame Dufront, die Maria früher beschäftigt hat-."
"Und ich hatte mir schon so viele Argumente zu recht gelegt und Taktiken wie wir Vetinari begegnen sollten…"
"Gut, das ist klug. Jedenfalls wurde jetzt das Hotelzimmer von Madame Dufront verwüstet von, wie ich glaube, den gleichen zwei Männern, die Maria eigentlich töten wollten und-."
"Ich habe in den fünf Stunden natürlich auch nichts essen können."
"Aha, und diese Dufront sagte nach dem Einbruch, dass ihr 4.000 Dollar fehlen, die gleiche Summe, die ich bei Maria gefunden habe, diese aber-."
"Getrunken auch nichts, was es vielleicht leichter gemacht hätte. Und nach diesen endlosen Stunden öffnet sich die Türe und ich denke jetzt geht es los, aber dann steht da nur sein Sekretär."
"Maria also behauptet jedoch das Geld hätte ihr jemand untergeschoben, aber warum sollte das jemand machen, frage ich mich. Sie könnte es gestohlen haben, doch wo und wann? Und warum haben die zwei Männer sie nicht nach dem Geld durchsucht? Es könnten also zwei unterschiedliche Gründe sein, dass mit dem Geld und dem versuchten Mord, aber wie das jetzt alles zusammenhängt…"
"Der Sekretär kommt zu uns hin und sagt doch tatsächlich: Entschuldigung, der Patrizier ist leider zurzeit außer Haus. Er wäre mit Freunden Essen gegangen. Als ob der Freunde hätte!"
"Ach ja, der Geschäftsführer, ein Herr Kantersteg, will um keinen Preis, dass die Wache wegen dem Einbruch ermittelt. Er will es alleine regeln, aber er könnte auch etwas zu verbergen haben. Soll ich mich trotzdem im-."
"Als ich dann, verständlicherweise etwas aufgebracht, ins Büro des Patriziers stürmen wollte, hielt mich dieser Sekretär zurück und meinte Lord Vetinari wäre auswärts speisen. In irgend so einem Hotel…"
"-Savoy umsehen?"
"Ja, genau, das war es. Hotel Savoy.", bestätigte Rince. Atera sah ihn verwirrt an. War das jetzt ein "Ja" für ihre Ermittlungen gewesen? Sie bedauerte nicht genau zugehört zu haben. Schließlich beschloss sie es als Befürwortung zu werten und nickte dem Kommandeur freundlich zu.
"Ich geh dann mal. Schön, das wir alles geklärt haben.", sagte Atera und erhob sich.
"Ja, finde ich auch. Man sollte sich immer austauschen." Rince gab ihr ein Zeichen zum Wegtreten und die Wächterin salutierte noch einmal, um dann aus dem Büro zu verschwinden. Als sie gegangen war, fragte Rince sich, was sie nun eigentlich geklärt hatten.
Es wurde schon spät, als Atera das Wachhaus verließ. Sofort fiel ihr Blick auf den Mann, der in einem Stuhl neben der Wache saß, seinen Hut tief ins Gesucht gezogen hatte und anscheinend schlief. Nach dem merkwürdigen Hut zu urteilen, war es der Mann, der sie verfolgt hatte. Entschlossen trat Atera auf ihn zu und baute sich vor ihm auf.
"Was soll das?", fragte sie rundheraus. Darauf hob der Mann den weißen Hut hoch und lächelte sie an. Sein Gesicht sah irgendwie zerknittert aus, manche würden wettergegerbt sagen. Seine Haut war braungebrannt, als wäre er viel draußen unterwegs. In der Hand hielt er eine Zigarre, deren Geruch Atera in die Nase stieg.
"Ich dachte schon du würdest nie fragen.", begann der Mann schließlich und paffte an seiner Zigarre.
"Warum verfolgst du mich?"
"Weil ich mehr über dich wissen wollte. Weißt du, du arbeitest da an einem sehr heiklen Fall.", erklärte er mit einer tiefen rauchigen Stimme, die ebenfalls irgendwie wettergegerbt klang.
"Ich bin an keinem Fall dran.", verneinte Atera. "Wer bist du überhaupt?"
"Jack Perando. Und dir sagt doch der Name Dufront etwas oder?" Seine stahlweißen Zähne blitzten in der langsam untergehenden Sonne.
"Jetzt weiß ich deinen Namen, aber wer bist du, Jack Perando?" Dieser fuhr sich durch das hellbraune Haar und lächelte wieder. Dann deutete er auf seinen Hut.
"Ein weißer Kuhjungenhut und hier der goldene Stern an meinem Hemd." In der Tat war an seinem blauen Hemd ein polierter kleiner goldener Metallstern befestigt.
"Ach, du bist eine Berühmtheit?", schlussfolgerte Atera. Der Mann lachte und blies den Rauch seiner Zigarre in die Luft.
"Nein, ich bin ein Scheriff. Falls dir das nichts sagt, so etwas Ähnliches wie ein Wächter, nur eben ohne Wache." Atera nickte. Im Inneren vermutete sie, dass der Mann zu viel in der Sonne gewesen war.
"Woher weißt du das mit Madame Dufront?", fragte die Wächterin.
"Das will ich dir erklären, aber wie wäre es mit einem Essen bei Kerzenschein im Savoy?"
"Ähm…"
"Natürlich rein beruflich, versteht sich. Ich gebe dir einige Informationen, du mir, wir tauschen uns ein bisschen aus. Wir sind doch quasi Kollegen.", fügte Jack Perando hinzu.
"Na schön. Um acht Uhr im Savoy?", sagte Atera nach einigem Zögern. Ihre Neugier war mal wieder stärker.
"In Ordnung. In angemessener Abendkleidung natürlich."
"Natürlich.", sagte sie ohne genau zu wissen was unter angemessener Abendkleidung fiel. Der Mann stand auf, setzte sich seinen Hut wieder auf und nickte ihr freundlich zu. Schließlich ging er über den Pseudopolis-Platz. "Ich heiße übrigens Atera.", rief die Wächterin ihm nach. Er drehte sich noch einmal um und sah sie an. Der goldene Stern blitzte im Licht.
"Ich weiß.", rief er zurück. Dann bog er in eine Straße und war verschwunden.
In ihrer Wohnung in den Schatten begrüßte Atera zunächst ihre kleine Kröte Sir Henry, der in einer Wanne neben den anderen Fröschen saß. Er quakte vergnügend und schmatzte zufrieden. Atera zählte sicherheitshalber die Anzahl der Frösche nach, alle waren da, aber Henry hatte sicher wieder irgendetwas Ungesundes gegessen. Manchmal hatte sie Sorge, dass er zu dick werden könnte, aber Sir Henry sah eher nach einer Art aus, die immer klein und niedlich bleiben würde. Atera riss ihren alten Schrank auf und starrte in die Dunkelheit hinein. In der Ecke hatte eine Spinne ein Netz begonnen. Ein Anzeichen eines Abendkleides war nicht zu erkennen. Genau genommen besaß sie nicht viel mehr als ihre Uniform, dann fiel Atera wieder etwas ein. Sie besaß ein Kleid, sorgsam in einer großen Schachtel eingepackt. Es war ein Erbschstühk, aber sie erinnerte sich nicht einmal mehr von wem und wie sie in den Besitz dieses Kleides geraten war. Verborgen in den Tiefen des Schrankes lag der Karton und Atera hob vorsichtig den Deckel ab. Hastig wühlte sie in dem Füllmaterial und stieß endlich auf weichen dunkelroten Samtstoff. Daneben die weißen langen Handschuhe.
Hoffentlich sah sie keiner, dachte Atera noch, als sie das Kleid anlegte. Kritisch drehte sie sich hin und her. Das Kleid passte ihr nicht beziehungsweise sie passte nicht in dieses Kleid. Sie passte auch nicht in das Savoy. Atera seufzte und kontrollierte ihre Nähte ein zweites Mal. Sie war eine Untote, ein Zombie und niemand, der in einem roten Abendkleid im Savoy saß und zusammen mit einem Herrn zu Abend aß. Aber es war ja für die Ermittlungen wichtig. Ja, nur für die Ermittlungen. In dem Karton waren auch rote Schuhe in denen Atera immer wieder umkippte, erst nach einer Weile beherrschte sie das wacklige Gehen mit diesen Schuhen. Sogar eine kleine weiße Handtasche war dabei, zu klein um irgendetwas unterzubringen. Atera vermisste das beruhigende Gewicht ihres Schwertes am Gürtel. Atera vermisste auch ihre unscheinbare Uniform mit den Abzeichen.
Dabei bin ich noch nicht einmal aus der Türe raus, dachte sie.
"Also.", sagte Jack und sah sie durch den Kerzenschein hindurch an. "Du siehst bezaubernd aus."
"Zombies sind nicht bezaubernd, Zombies wollen nicht bezaubernd sein.", sagte Atera und versuchte mit der Gabel etwas von dem Essen zu sich zu nehmen. Es lag so viel Besteck um ihren Teller herum, dass man damit eine ganze Armee hätte ausrüsten können. Zumindest eine kleine Armee an Gnomen. Jack lachte.
"Ich glaube, du wirst in deinen späteren Jahren mal ganz bezaubernd entsetzlich sein. Erste Anzeichen davon sind schon zu erkennen." Trotz seiner Worte lächelte er und sah hinüber zur Band. Ein weißes Klavier stand auf einem Podest, im Hintergrund jemand mit einer Geige. Vorne stand eine Frau in einem schwarzen Kleid, die ein Lied sang, welches aber sehr leise war und wenn man redete, dann fügte es sich ganz in die Geräuschkulisse um sie herum ein. Die Sängerin besaß kurze schwarze Haare und die einzige Farbe, die sie sich erlaubte, waren knallrot geschminkte Lippen. Kommandeur Tod hätte an ihr sicher Gefallen gefunden, dachte Atera. Sie wandte sich wieder ihrem Gegenüber zu, der einen schwarzen Anzug trug.
"Möchtest du mir Komplimente machen oder mich beleidigen?", fragte sie.
"Reden wir über den Fall.", wechselte er abrupt das Thema. Atera nickte und sah sich wie beiläufig im Speisesaal um. Madame Dufront entdeckte sie nicht. "Also, ich weiß, dass du wegen Dufront ermittelst, ich habe gesehen wie du in der Oper warst und auch, dass du von der Verwüstung in ihrem Zimmer weißt." Das ist nicht viel, dachte Atera, sagte aber nichts. "Und ich weiß von dem Geld.", fügte Jack Parando hinzu.
"Was weißt du darüber?"
"Nichts, nur, dass es weg ist.", erklärte er.
"Weswegen bist du hier in Ankh-Morpork?", fragte Atera interessiert.
"Eine lange Geschichte. Ich ermittle wegen einem bestimmten Mann, bevor du fragst, ich kann und darf dir nicht viel darüber sagen. Die Sache ist gefährlich. Nur so viel: Hast du jemals von einem Club der Höheren gehört?" Atera schüttelte den Kopf und begann sich zu fragen, was Parando alles verheimlichte.
"Also, dieser Club tagt hier immer im Savoy. Es sind meist um die Zwölf Männer, sollte aber ein dreizehnter dabei sein, holen sie ein kleines Holznilpferd, binden ihm eine Serviette um und das Nilpferd bekommt die gleichen Speisen vorgesetzt."
"So ein Club ist das also.", sagte die Wächterin.
"Abgesehen von dieser kleinen Eigenart leider nicht. Das schwierige ist, dass fast niemand weiß wer alles in dem Club ist, aber es heißt, dass der Patrizier dieser Stadt Mitglied ist."
"Lord Vetinari?" Jack nickte darauf wissend. "Und was hat das jetzt mit Madame Dufront und dem Geld zu tun?"
"Der Mann, den ich dingfest machen will, ist in diesem Club. Ich weiß leider noch nicht welche Rolle Dufront spielt, aber ich bin sicher, dass sie noch wichtig ist für meine Ermittlungen, da ihr Name sich in einigen Notizen meines Mannes, nennen wir ihn mal Mister X, befand. Und da kommst du ins Spiel." Jack deutete auf sie.
"Ich?", fragte Atera verständnislos. Sie merkte plötzlich, dass sie in einem Fall war bei dem es um Politik ging und es erschreckte sie.
"Ja, du willst wissen was bei Madame Dufront nicht geheuer ist und ich werde dir dabei helfen, denn falls du etwas herausbekommst, wird es mir wahrscheinlich auch helfen."
"Ich weiß immer noch nicht, warum du … Mister X unbedingt überführen willst. Wenn er ein Verbrecher ist und er hier in Ankh-Morpork ist, dann fällt das in den Bereich der Stadtwache.", bemerkte Atera und kämpfte damit eine Erbse aufzuspießen.
"Ein Scheriff hat normalerweise eine Stadt, die er bewacht und schützt. Ich habe gesehen wie dieser Mann vom einfachen Pferdedieb zum Brandstifter wurde, dann zum Führer einer Verschwörung und schließlich gerade dabei ist sich ohne Skrupel in die höchsten Etagen der Herrscher bringen will. Manchmal frage ich mich, ob er wirklich weiß was er da macht. Atera, er hat meine Stadt angezündet. Darum ermittle ich gegen diesen Mann und verfolge ihn über die ganze Scheibenwelt. Ich hätte ihn töten können, aber ich will ihn ehrlich zur Strecke bringen. Mit meinem Verstand." Jack Parando klang ernst und lehnte sich zurück. "Es ist eine Sache der Ehre.", fügte er hinzu, als müsse er sich erklären. Atera konnte nichts anderes als nicken. Eine Stille entstand und gerade als sie ansetzen wollte, um etwas zu sagen, ertönte eine Stimme.
"Eine Ikonographie gefällig?" Bevor Atera etwas antworten konnte, war Jack schon aufgesprungen und hatte Atera an der Hand genommen. Vor ihnen stand ein junger Mann, ebenfalls in einem Anzug und mit einem Ikonographenkasten.
"Warum nicht, als Erinnerung.", sagte Jack, die Ernsthaftigkeit in seinen Zügen war wieder verschwunden und er lächelte. Atera war kaum richtig aufgestanden, da blitzte es schon und sie hörten wie der Kobold im Kasten begann zu malen. Der Mann hinter dem Kasten rückte seine Brille zurecht und befahl dem Kobold gleich zwei Bilder anzufertigen. Am Ende hielt Atera eine Ikonographie von sich und Jack in den Händen. Sie hatte nie wert darauf gelegt, dass es einen Beweis gab, dass sie einmal ein Kleid getragen hatte. Sehr merkwürdig war an dem Bild auch, dass es nur in Schwarz und Weiß gemalt worden war.
"Hattest du keine anderen Farben mehr, Herr?", fragte sie.
"Ich benutze keine anderen, das ist ein großer Unterschied. Es könnte ja sein, dass jemand in ein paar Jahrzehnten die Ikonographie betrachtet und in dieser Zeit die Farbe deines Kleides nicht mehr aktuell ist. Welch Schande dann, wenn man in so einem scheußlichen Kleid abgebildet wurde."
"Mein Kleid ist… scheußlich?"
"Äh, nein, nein, das meinte ich nicht! Es könnte nur in zehn Jahren als scheußlich empfunden werden und da ist es doch gut, dass es äh in Schwarz und Weiß ist.", versuchte der Mann hastig zu erklären. Atera warf ihm einen scharfen Blick zu und er verstummte rasch. Sie schüttelte ihm die ausgestreckte Hand und empfahl ihm etwas gegen seinen Husten zu unternehmen.
"Also, wo waren wir stehen geblieben?", fragte Jack, als sie sich wieder gesetzt hatten. "Ach ja, Madame Dufront. Ist es nicht merkwürdig, dass übermorgen die Aufführung in der Oper ist, aber sie morgen abreisen will?"
"Sie sagte mir die Saison wäre zu Ende. Hmm, wie heißt sie eigentlich mit Vornamen?"
"Isabelle.", antwortete Jack. Atera fiel wieder etwas ein: "Wir brauchen keine zweite Isabelle!" hatte der bucklige Mann im Theater gesagt.
"Sie wurde entlassen? Weswegen? Ihrer Trinkerei?", hakte Atera nach. Jack zuckte mit den Schultern und lächelte wieder.
"Wer weiß. Du solltest vielleicht mal mit Ferdinand in der Oper reden."
"Woher kennst du so viele Fakten?", fragte die Wächterin misstrauisch.
"Ich bin ein Scheriff.", sagte Jack nur.
Nach einigen Stunden war alles vorbei und während Atera noch in der Kutsche saß, die Jack für sie bestellt hatte, fragte sie sich, ob das alles nur ein Traum gewesen war. Das Savoy, ihr rotes Kleid und Jack Parando. Aber dann strichen ihre Finger über die Ikonographie. Er hatte sie noch gebeten zu bleiben, aber sie hatte abgelehnt, schließlich musste sie morgen wieder früh aufstehen und Ferdinand in der Oper aufsuchen. Den Scheriff würde sie im Hotel finden, wo er wohnte und falls sie etwas für ihn interessantes herausfand, würde sie ihn sofort informieren können. Vielleicht sollte sie auch noch einmal in Ruhe mit Madame Dufront reden. Vielleicht sollte sie das ganze auch vergessen und auf das erlösende Aufwachen warten.
Ferdinand war nicht der Mann mit dem Blumenstrauß gewesen, dem die Wächterin auf der Treppe in der Oper begegnet war. Zu Ateras und auch zu Ferdinands Überraschung waren sie alte Bekannte, verbunden mit einem für Ferdinand sehr schrecklichem akustischen Erlebnis.
"Du!", polterte der Mann mit dem Buckel los. Er schien immer noch wütend, dabei hatte er Atera ja selbst auf die Bühne gebeten.
"Ja, ich habe ein paar Fragen zu Madame Dufront.", begann Atera. Ferdinand saß in einem kleinen Büro, er sagte etwas davon, dass er stellvertretender Stellvertreter sei.
"Zu Isabelle? Warum? Will sie Geld haben?"
"Brauch sie denn Geld?", startete Atera eine Gegenfrage.
"Nun für ihre tausend Kleider und ihren aufwendigen Lebensstil sicherlich."
"Und warum meinst du, dass sie von dir Geld haben will?"
"Na ja, ich war der Meinung, dass sie mindestens irgendwen zu mir schicken würde, um Geld zu verlangen. Als Entschädigung, Abfindung, wie immer sie es auch nennen würde.", antwortete Ferdinand.
"Du hast sie also entlassen?"
"Natürlich! Früher war sie mal gut, aber jetzt… Sie ist zickig geworden und arrogant, aber was das schlimmste war, sie verlangte immer mehr Geld, obwohl sie längst nicht mehr so gut singen kann. Der Alkohol hat wohl ihre Stimmbänder ausleiern lassen!" Der Bucklige lachte laut auf und klopfte sich auf den Schenkel, erfreut über seine eigene Bemerkung. "Ich musste sie einfach entlassen.", fügte er hinzu.
"Was hat sie denn so als Sängerin bekommen?" Atera zückte den Notizblock.
"200 Ankh-Morpork Dollar ungefähr. Na ja, es hängt natürlich von dem aufgeführten Stück ab und wie viele Besucher da waren."
"Aber niemals 4000 Dollar?" Als Antwort bekam die Wächterin nur ein schallendes Lachen. "Und sie war auch nicht sparsam oder so? Hat ihren Lohn nie aufbewahrt?"
"Nein, ich sagte doch, dass sie viele Kleider gekauft hat. Und natürlich nur das Beste und teuerste. Jedenfalls wüsste ich nicht, dass sie jemals gespart hätte. Eher kam sie zu mir, damit ich ihren Lohn im Voraus ausbezahle.", erklärte Ferdinand.
"Woher könnte sie sonst so viel Geld erhalten?"
"Ach was weiß ich. Vielleicht von ihrem neuen.", knurrte Ferdinand. Atera erinnerte sich daran, dass Ferdinand einmal mit Madame Dufront essen gewesen war oder es vorhatte, zumindest der Notiz nach, die die Wächterin in dem Hotelzimmer von Dufront gefunden hatte. Vielleicht hatte Ferdinand sie entlassen, weil Madame Dufront ihn verlassen hatte. Sozusagen aus Rache. Oder sie hatte ihn überhaupt erst abgewiesen.
"Sie hat einen neuen Freund, meinst du? Ich habe einen Mann mit einem Blumenstrauß gesehen…"
"Ach der, nein, das war nur der Bote. Ihr Verehrer, wie Isabelle ihn nennt, schickt ihr per Bote Blumen. Aber Schluss jetzt damit, ich hab schließlich auch noch etwas zu tun. Keine Zeit um über irgendwelche Kerle zu reden." Ferdinand stand von seinem Stuhl auf und starrte Atera solange an bis sie merkte, dass jetzt die Zeit zum Gehen war.
"Weißt du wie dieser Verehrer denn heißt?", fragte sie noch.
"Woher soll ich das denn wissen? Da musst Isabelle fragen, Madam. Ich habe mit diesem Verleiher nichts zu schaffen!"
"Aha! Was für ein Verleiher?", hakte Atera sofort nach. Ferdinand schluckte und stotterte nervös herum, als er merkte, dass er sich selbst verraten hatte.
"Halsabschneider, Betrüger und Dieb in einem, also ein Kreditgeber. Mr Shark ist sein Name.", gestand er.
"Mister Shark, hmm, weißt du auch wo er wohnt?"
"Nein, nicht Mister Shark. Mr Shark. Mr ist sein Vorname. Lächerlich nicht? Und nein, ich weiß nicht wo er wohnt. Wozu sollte ich auch." Er schüttelte Atera die Hand und schien sie loszuwerden wollen.
"Danke für die Antworten."
Antworten, die neue Fragen aufgeworfen hatten. Atera bekam das Gefühl, dass sie nur von einer Person zur anderen lief, um neue Dinge zu erfahren, die sie dennoch weiter von ihrem eigentlichen Fall- Maria- entfernten. Beschäftigt mit Gedanken, die hilflos versuchten den Fall zu entwirren, kam sie wieder im Wachhaus an. Bevor sie sich in den Aktenraum wagte, um nach Informationen über Mr Shark zu suchen, sah sie bei Maria vorbei. Atera beschwörte sie, bat, befahl und drohte ihr, aber nichts half. Das Mädchen weigerte sich irgendetwas zu sagen, weder zu Isabelle Dufront, noch zu der riesigen Menge Geld. So musste Atera wohl oder übel wieder gehen und eine Staubwolke kam ihr entgegen, als sie die Türe zum Aktenzimmer öffnete. Drinnen war es stickig und Atera streifte mit einer Öllampe durch das geordnete Chaos. Alte Berichte, Fallakten, zerrissene Zettel und Nachrichten stapelten sich hier in unüberschaubarer Masse. Wahllos öffnete sie einen der Kartons, die sich in einem hohen Regal drängten. Das einzige was sie fand, war eine Flasche mit undefinierbarem Alkohol in dem sich anscheinend eine neue Lebensform bildete. Nein, das hat keinen Zweck, dachte Atera. Hier würde sie niemals etwas finden und wenn, dann nur falls der Zufall nachhelfen würde. Der Chief-Korporal seufzte.
"Bitte, ein wenig leiser.", sagte darauf eine Stimme. Rasch drehte sich Atera hin und her und leuchtete mit der kleinen Lampe in den Raum. Niemand war zu sehen.
"Hallo?", fragte sie dennoch und kam sich dabei ein wenig blöd vor. Hier war keiner außer ihr-.
"Ich sagte doch leiser. Das hier ist eine Bibliothek, junge Dame." Zögernd trat Atera um die Ecke und forschte nach diesem mysteriösen Echo. Und in der Tat stand dort im Dunklen eine Frau. Sie trug ein streng hochgeschlossenes Kleid mit einer Strickjacke. Ja, sie sah aus wie eine typische Bibliothekarin. Sogar der Zwicker und der graue Dutt waren vorhanden.
"Ja, äh, hat dich der Kommandeur eingestellt, Frau…äh?", begann Atera verdutzt.
"Frau Nett.", sagte die Frau und sah sie finster an. "Nein, ich kenne keinen Kommandeur. Wie kommst du hierher? Der hintere Bereich ist für Besucher verboten."
"Der hintere-? Aber ich bin doch eben erst hineingekommen. Hier ist der vordere Bereich." Atera deutete hinter sich, Richtung Tür, aber die Frau schüttelte nur bestimmt den Kopf.
"Nein, hier ist der hintere Bereich, Kategorie: Unsinnige Akten und ephebianische Philosophie. Ich arbeite hier schon dreißig Jahre und da muss ich es schließlich wissen.", erklärte sie. Atera hielt ihre Lampe weiter in die Höhe und halb hatte sie erwartet, dass Frau Nett im Schein des Lichtes verschwand, aber jene rückte nur ihren Zwicker auf der Nase zurecht.
"Dreißig Jahre, soso. Dann kennst du dich sicher im Aktenraum aus. Ich bräuchte Informationen über einen gewissen Mr Shark." Atera versuchte erst gar nicht mehr zu begreifen warum und woher nun diese Frau aufgetaucht war und welche Bedeutung ihr merkwürdiges Gerede hatte.
"Aktenraum, Aktenraum, das ist eine Bibliothek.", murmelte Frau Nett empört, verschwand aber zwischen den Regalen. Nach einer Weile, in der Atera unruhig gewartet hatte, kehrte sie wieder zurück. In der Hand eine graue Mappe aus der ungeordnet einige Blätter hervorschauten. "So, bitte schön, hier ist es." Atera wollte nach der Mappe greifen, aber Frau Nett zog sie noch einmal zurück. "Und keine Kaffeeflecken drauf, keine geknickten Eselsohren, keine Kritzeleien und angeblich witzige Bemerkungen am Rand und schon gar nicht ein Blatt herausreißen!", ermahnte sie. Die Wächterin nickte drauf, fragte sich noch wer denn Eseln die Ohren abknicken würde und beeilte sich dann aus dem Raum zu kommen, prompt stieß sie mit Kommandeur Rince zusammen.
"Na, Fortschritte im Fall… im Fall eben?", fragte er und schien nachzudenken.
"Ich glaube, unser Aktenraum ist ein Tor zu einer anderen Dimension, Sir.", sagte Atera nur.
"Möchtest du mir damit andeuten, dass du dringend Urlaub brauchst?"
"Vielleicht brauch ich den wirklich. Ich denke aber die Ermittlungen gehen gut voran. Diese Aktenmappe über Shark wird mir vielleicht weiterhelfen. Der Bericht liegt sicher bald auf deinem Tisch, Sir."
"Sagtest du Mr Shark?", fragte der Kommandeur nach. Atera nickte darauf. "Hmm, der Name sagt mir etwas. Ach ja, er ist Geldverleiher nicht wahr? Hat sein Büro in der Zimperlichgasse, wenn ich mich richtig erinnere. Weißt du, es wurde mal gegen ihn ermittelt wegen Betruges. Kunden haben sich beschwert, dass er zu viel Prozente nimmt und ihnen das vorher nicht gesagt hätte. Aber Kleingedrucktes in einem Vertrag hat ihn noch mal gerettet.", erklärte Rince, während Atera sich alles auf ihrem Block notierte.
"Danke, Sir. Sicher gut zu wissen."
"Ach ja, es wurde etwas für dich abgeben." Der Kommandeur holte einen zerknitterten Brief hervor und reichte ihn ihr. Neugierig nahm Atera den Brief, bedankte sich noch mal bei Rince und während sie auf dem Weg zur Zimperlichgasse war, blätterte sie in der Mappe, die Frau Nett ihr gegeben hatte. Halb hatte sie schon erwartet, die Mappe würde sich in Rauch auflösen sobald sie den Aktenraum verlassen hatte, aber nichts war passiert. In der Akte befanden sich genau zwei interessante Blätter:
Bericht:
Grose Bestührzug im Hauhs Schark. Mr Schark senior wuhrde unter misteriösen Umständen ermordetet. Der ervolgreiche Fahmilienbetrieb wird übergehn in Hände von Mr Schark junior. Den Sekrehtär übernimt der Sohn wegen seiner langjährigen Dienste. Unter Verdacht Mr Schark junior, aber wegen zu wehnig Beweissen Fal nicht mer weiter bearbeitet.
Atera konnte wegen der unleserlichen Schrift auf dem ersten Blatt nicht viel mehr entziffern, natürlich auch wegen der vielen Rechtschreibfehler. Der Bericht war erstaunliche fünfzehn Jahre alt. Der andere auf dem zweiten Blatt auch nur fünf Jahre jünger. Es war der Fall von dem der Kommandeur eben erzählt hatte. Nur eine Randbemerkung war äußerst interessant:
Zur weiteren Befragung steht Mr Shark im Hotel Savoy (in der Straße zwischen dieser einen Straße und der anderen komischen Straße darunter) zur Verfügung.
Das Savoy also. Irgendwie schienen alle Stricke über dieses Hotel zu laufen. Atera dachte weiter darüber nach und öffnete im Gehen den Brief. Vorne konnte sie schon den Eingang zur Zimperlichgasse sehen. Kurzzeitig wunderte die Wächterin sich noch, warum ausgerechnet ihr jemand einen Brief schickte, als sie plötzlich wusste warum. Es war eine Drohung. In einer geschwungenen Schrift standen dort die Worte: Hör bitte auf dich in Angelegenheiten zu mischen, die dich nichts angehen.
Sehr klassisch, dachte Atera. Diese Drohung könnte jeder geschrieben haben. Nun jeder mit ausreichend Kenntnissen im Schreiben. Einzig allein das "bitte" in dem Satz wunderte und irritierte sie. War es nun eine Bitte oder eine Drohung?
Plötzlich und ganz unerwartet, während Atera im Begriff war nach einem Sinn in dem allem zu suchen, kam Madame Dufront um die Ecke. Geradewegs aus der Zimperlichgasse wo dieser Shark ein Büro haben sollte. Ferdinand hatte angedeutet, der Kreditgeber sei ihr neuer Freund, aber dafür schien Madame Dufront ein eher betrübtes Gesicht zu haben. Atera versuchte noch sich zu verbergen- schließlich war es sicher nicht gerade in Dufronts Sinne, wenn Atera der ehemaligen Sängerin nachspionierte- aber da hatte diese sie schon entdeckt.
"Was machst du denn hier?", begann Madame Dufront sofort empört.
"Ich äh war nur öhm zufällig hier und… ach, ich brauch keine Entschuldigung, ich bin von der Wache."
"Na dann. Hör zu, es ist besser, wenn du den Fall zu den Akten legst.", schlug Isabelle Dufront vor.
"Woher hattest du das viele Geld und was ist damit geschehen?", hakte Atera nach, aber Madame Dufront war schon im Begriff zu gehen. "Erst muss ich den Fall lösen bevor ich ihn zu den Akten legen kann. So sind nun mal die Regeln!", rief die Wächterin ihr hinterher.
"Ach, du lebst lang genug, um zu wissen, dass es die Ausnahme ist, wenn einmal etwas nach den Regeln abläuft. Und mach dir keine Sorgen wegen dem Geld, ich habe das mit Herrn Kantersteg abgesprochen.", antwortete Madame Dufront und bog in eine Straße. Atera fluchte leise. Was hatte die ehemalige Opernsängerin nun mit dem Geschäftsführer wegen dem Geld abgesprochen? Warum warf man ihr immer nur Puzzlestücke vor?
Obwohl… war das nicht gerade nach den Regeln? Die Heldin muss sich aus verschwommenen Aussagen und spärlichen Fakten ein Bild zusammensetzen. Am Ende dann würde sie das Rätsel doch lösen und Ruhm und Ehre ernten. Dummerweise war sie keine Heldin. Atera seufzte, im Hinterkopf hörte sie immer noch die Musik und den Gesang aus dem Savoy. Ruhig und beschwingt, getragen von dem melancholisch weichen Lied, das die Sängerin nun sicher immer noch in dem Raum mit dem goldenen Teppich verbreiten würde.
Atera schüttelte den Kopf und versuchte sich wieder auf den Fall zu konzentrieren, mit zielsicheren Schritten steuerte sie auf ein Gebäude in der Straße zu. Im ersten Stock waren die Bürogebäude von "Shark&Cokg", ein poliertes Holzschild pendelte leicht im Wind hin und her und verkündete unbegrenzte Kredite, günstige Konditionen und vieles mehr. Chief-Korporal Atera drückte die Türe auf ging durch das alte Treppenhaus. An der Decke pendelte eine alte Lampe, deren zerbrochene Splitter sich auf den verdreckten Stufen fanden. Oben angekommen befand sich direkt am Treppenabsatz eine Tür in der ein verstaubtes Milchglas eingesetzt worden war. Einige schief hängende Letter setzten den Namen "Mr Shark" zusammen. Zögernd klopfte Atera an, aber sie hatte kaum die Türe berührt, da schwang diese auch schon nach innen auf.
Der Blick fiel auf kleine, enge und dunkle Geschäftsräume. Vor ihr gabelten sich einige Gänge, die ausgelegt mit abgewetztem Teppich waren, der schon so alt war, dass man seine Farbe nicht mehr erkennen konnte. Weiter hinten lief immer ein einzelner Mann hektisch zwischen zwei Türen hin und her, mal hatte er einen Stapel Papiere und Akten in der Hand, dann verschwand er wieder in einem der Räume, kam mit leeren Händen zurück und holte aus dem gegenüberliegendem Zimmer weitere Dokumente.
"Ähm, hallo?", versuchte es Atera, der Mann fuhr ertappt herum, lies die Papiere vor Schreck fallen, raffte sie wieder auf und stürmte in einen der Räume. Mit vorsichtigen Schritten, vielleicht war der Mann ja verrückt, folgte Atera ihm und als sie um die Ecke kam, sah sie den Mann über eine Kiste gebeugt in der er alle Papiere wild hineinstopfte.
"Herr Shark?", startete die Wächterin einen neuen Anlauf ins Gespräch zu kommen.
"Ich bin nicht Shark.", sagte der Mann in einem erbebenden, fast hysterischen Tonfall, dass er sich fast selbst überschlug. Er drehte sich aber nicht um, sondern zog weitere Kartons unter einem Schreibtisch hervor und rannte um den Tisch herum, um auch von dort Papiere wegzunehmen. Es schien ihm auch nichts auszumachen, dass er einige zerriss oder knickte.
"Und wer bist du dann?"
"Ein Niemand. Nicht der Rede wert, ich bin gleich schon weg.", redete der Mann wieder hektisch, blieb stehen, kratzte sich an dem weißen Haar, dass trotz des Alters noch dicht war und ihm bis auf die Schultern ging, was ihm ein merkwürdiges Aussehen verlieh.
"Aha, ein Niemand, soso. Wo ist denn Herr Shark?"
"Nicht da! Was willst du überhaupt hier, Madam? Wir verleihen keine Kredite mehr."
"Ich bin von der Stadtwache Ankh-Morporks und hätte gerne eine Erklärung." Atera fixierte den Mann mit einem festen Blick, dem er aber rasch auswich und dann wie beiläufig die Kartons hinter sich schob.
"Ach? Und was wünschst du?"
"Was heißt das, ihr verleiht kein Geld mehr? Das ist doch das Geschäft von Mr Shark.", startete Atera eine Gegenfrage.
"Äh, ja, natürlich. Aber nur im Moment ist es ungünstig, weil… äh ja wir ziehen um. Genau. Keine Zeit jetzt, muss weiter einräumen." Der Mann versuchte sie aus dem Raum zu drängen, indem er ein paar Schritte vortrat, aber Atera wich nicht von ihrem Platz.
"Und wohin zieht ihr um? Wo kann ich Herrn Shark sprechen und was bei Offler ist jetzt dein Name?"
"Cokg."
"Was?"
"Cokg. Das ist mein Name. Was dagegen? Und ich weiß nicht wo Shark ist und ich weiß auch nicht wo unsere neue Geschäftsstelle sein wird. Ich soll hier nur einräumen.", erklärte der Mann namens Cokg. Langsam sah er sehr unfreundlich drein.
"Und die Kartons, wo kommen die dann hin?", fragte Atera und sie wollte schon nach ihrem Notizblock greifen, ließ es dann aber doch bleiben. Unschuldige Fragen bekamen durch einen Notizblock gleich eine ganz andere Bedeutung.
"Ich weiß es nicht. Erstmal bleiben sie hier stehen und dann will sie Shark abholen. War es das jetzt an Fragen? Wie kommt ein Wächter der Stadtwache eigentlich dazu mich auszufragen, hm? Mit welchem Recht?"
"Wie gesagt, ich wollte ja eigentlich mit Mr Shark reden und nicht mit dir, Herr Cokg. Dann auf Wiedersehen."
"Na hoffentlich nicht. Ich hab schon so genug zu tun." Obwohl er sie nun doch zur Türe drängelte, stolperte Atera bereitwillig mit, hielt dann aber noch einmal inne.
"Ach ja, ich vergaß ganz, war gerade Madame Dufront hier?"
"Ja, was tut das zur Sache?"
"Was wollte sie hier?", hakte Atera nach, während Herr Cokg schon im Begriff war die Türe zu schließen.
"Das gleiche wie du, Madam. Mit Shark sprechen, er war nicht da und sie ging wieder." Dann war die Türe wirklich zu und Atera musste einsehen, dass hier im Moment kein Weiterkommen war. Herr Cokg war auffällig hektisch gewesen. Aber vielleicht war das nur seine Art. Sie würde später noch einmal wiederkommen. Atera holte ihren Notizblock hervor und notierte sich das Gesagte des Mannes. Während sie noch die Treppe hinunterging, überlegte sie, welchen Punkt sie nun ansteuern sollte. Zurück zur Wache oder vielleicht schon nach Hause? Es müsste schon anfangen dunkel zu werden. Als die Wächterin auf die Straße trat, wartete bereits jemand in einer dunklen Ecke der Gasse.
"Jack.", begrüße Atera ihn und er trat auf sie zu und zog seinen Hut. Der herbe Zigarrengeruch umfing sie und seine hellen blauen Augen, hervorgehoben durch die kleinen Fältchen an den Augenrändern, sahen sie erwartungsvoll an.
"Gehen wir ein Stück.", sagte er und bot ihr seinen Arm an.
"Spazieren gehen in Ankh-Morpork, wie lächerlich." Jack aber lachte darauf nur und fragte sie, was die Ermittlungen ergeben hätten.
"Nicht viel, ein verärgerter Ferdinand im Theater, eine alternde Operndiva, die sich an einen erfolgreichen Kreditgeber ranschmeißt, um ihren teuren Lebensstil auch weiterhin finanzieren zu können. Und die Frage, ob Mr Shark wirklich so erfolgreich ist und warum sein Partner Cokg womöglich wertvolle Dokumente achtlos zerknickt."
"Oh, schlau. Ich glaube, das sind die richtigen Schlüsse. Ein Geldverleiher soso.", kommentierte der Scheriff.
"Als ob du das nicht schon längst wüsstest oder warum hast du mich sonst hier erwartet?"
"Ich war zufällig hier in der Gegend…"
"Du hast mein Gespräch mit Madame Dufront mitbekommen?", fragte Atera nach, die sich erinnerte genau das gleiche zu Isabelle Dufront gesagt zu haben.
"Ja, ich bin dir einfach gefolgt. Weißt du, manchmal denke ich, mein ganzes Leben besteht nur aus Verfolgungen. Seit Jahren und Tagen und jede Minute bin ich Schritt um Schritt an der Sohle des Feindes. Mister X lässt mir keine Ruhe, und ich lass ihm keine, aber vielleicht finde ich ja hier in Ankh-Morpork endlich Ruhe, Frieden. Ja, warum nicht? Vielleicht entlarve ich meinen Gegner gerade hier, mit deiner Hilfe. Es ist lange her, als ich das letzte Mal mit einer schönen Frau Arm in Arm gegangen bin. Oh, es ist verdammt lange her…"
Jack Parando musste erkennen, dass es wirklich lange her war, denn als er den Kopf drehte, um eben diese schöne Frau anzusehen, so war niemand dort. Noch nicht einmal eine untote Wächterin. Nur ein Teil von ihr, genauer gesagt, der rechte Arm.
Es war früher Morgen, als jemand mit unglaublicher Dreistigkeit an ihrer Türe klopfte. Atera quälte sich aus dem Bett, sie hatte in der letzten Nacht nicht gut schlafen können und auch ihre Gedankengänge wanden sich morgens noch langsamer zu ihrem Verstand als sonst, so dachte sie auch nicht großartig darüber nach wer nun da an die Tür klopfte. Nur eines war klar, es war ein Störenfried.
"Was?", schnauzte sie nach draußen und riss die Türe auf.
"Madam? Ich denke, du kennst mich noch."
"Herr Kantersteg?", fragte Atera ungläubig. Der Geschäftsführer des Savoy nickte. "Was gibt es denn?"
"Darf ich hereinkommen? Es ist wichtig."
"Also, ich habe eigentlich noch keinen Dienst und würde gerne weiterschla… äh mich ausruhen.", versuchte sie ihn abzuwimmeln.
"Bitte, es ist wichtig. Und lass mich nicht einfach vor der Türe stehen, Madam. Die Leute reden sowieso schon viel zu viel." Atera seufzte darauf und ließ Herrn Kantersteg in ihre Wohnung.
"Normalerweise kommt niemand zu mir nach Hause. Noch nie war jemand hier. Noch nie.", murmelte Atera, kam dann aber wieder auf ihren eigentlichen Gedanken zurück. "Was gibt es denn so wichtiges?"
"Ich habe dir ein Angebot zu unterbreiten, Madam." Wincent Kantersteg ging auf einen noch freien Stuhl und setzte sich. Es war ausgerechnet der wacklige Holzstuhl und so saß er nun da mit angezogenen Beinen und einer braunen kleinen Ledertasche, die Atera erst jetzt auffiel.
"Was für ein Angebot?", hakte Atera nach. Warum sagte der Mann nicht frei heraus, was er wollte? Schließlich musste er sie ja extra dafür stören.
"Nun deine Ermittlungen können in äußerstem Maße schädlich für das Savoy sein. Diskretion ist das, was ich möchte."
"Aber ich sagte doch schon, dass ich weiter ermitteln muss. Es sei denn du weißt woher urplötzlich 4.000 Ankh-Morpork Dollar in die Hände eines einfachen Straßenmädchens gelangen, Herr Kantersteg." Dieser rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. "Nein? Ich werde solange nachforschen bis ich diese Frage beantwortet habe.", fügte Atera hinzu, als er nichts sagte.
"Ach, Ermittlungen. Doch eigentlich lästig, findest du nicht auch? Was sind schon 4.000 Dollar? Madame Dufront hat das Geld von mir erstattet bekommen. Ich weiß zwar nicht welches Mädchen du meinst, aber die Sache mit dem Einbruch ist bereinigt. Keinen Grund weiter unhöfliche Fragen zu stellen. Ich brauche wieder Diskretion im Savoy. Deswegen kommen die Leute zu uns.", erwiderte der Geschäftsführer. Seine Finger fuhren immer wieder über das Leder seiner Tasche.
"Aber ich kann den Fall nicht zu den Akten legen. Ich werde noch mal mit allen wichtigen Personen reden, auch noch einmal mit Isabelle Dufront."
"Das ist wirklich nicht nötig.", sagte Kantersteg nun mit mehr Nachdruck. "Du sollst den Fall ja auch nicht umsonst ruhen lassen." Darauf öffnete er die Tasche und holte ein Bündel Geldscheine heraus. Atera schüttelte sofort abwehrend den Kopf.
"Soll das etwa ein Bestechungsversuch sein? Dann kannst du dein Geld gleich wieder einpacken, Herr Kantersteg."
"Nein, keine Bestechung. Sieh es als eine Art Geschäft an. Du hast eine Dienstleistung, die ich gerne in Anspruch nehmen würde. Die Dienstleistung Diskretion. Und ich habe hier 1.000 Ankh-Morpork Dollar, um sich eine hübschere und vor allem besser gelegene Wohnung zuzulegen."
"Ich glaube, es ist jetzt besser, wenn du gehst, Herr Kantersteg."
"Überleg es dir gut. Wenn es die Summe ist, wir können noch gerne über den Preis verhandeln, Madam. Ich habe extra in deiner dienstfreien Zeit vorgesprochen, da du, wir mir scheint, den Fall eher als private Beschäftigung ansiehst. Du bist dir doch längst im Klaren, dass dieser Fall deine Kompetenzen weit überschreitet. Du weißt doch gar nicht, worum es hier eigentlich geht." Der Geschäftsführer erhob sich und sah Atera an.
"Ach, und eben war es noch ein einfacher Einbruch. Auf Wiedersehen, Herr Kantersteg." Atera öffnete die Türe und ihr unfreiwilliger Gast trat an ihr vorbei. Natürlich musste er sich kurz vorm Gehen noch einmal umdrehen.
"Hmm, vielleicht bist du noch zu jung, um die Gelegenheit für ein gutes Geschäft zu sehen und auch zu ergreifen. Ich bitte dich, lass die Dinge ruhen, Madam. Manches muss ruhen."
"Einen schönen Tag noch, Herr Kantersteg." Atera schloss die Türe und lehnte sich dagegen. Dann fiel ihr ein, dass sie hätte sagen können, dass sie bei weitem älter war als er selbst. Pah, zu jung. Er wollte sie doch tatsächlich bestechen. Aber warum nur? Was hatte er mit Madame Dufront zu tun? Wo war sein persönliches Anliegen, sein Motiv? Atera seufzte. Ja, es war wirklich wie immer. Statt Antworten tauchten immer neue Fragen auf.
Sie musste an Jack denken und seine Worte bezüglich diesem ominösen Mister X:
Ich will ihn ehrlich zur Strecke bringen. Mit meinem Verstand. Jack hätte das Geld sicher nicht angenommen. Nun, das hatte sie auch nicht getan, aber daran gedacht und das war schon schlimm genug. Atera blickte Sir Henry, ihre Kröte, an, der in einem Kistchen saß und gerade ein Insekt verschlang.
"Na, du weißt auch nicht, was das Ganze soll, oder?" Sie wollte noch weiterreden, bis ihr peinlich auffiel, dass sie mit einer Kröte redete.
Chief-Korporal Ateras Gang führte sie zum Wachhaus am Pseudopolisplatz. Sie hatte noch ein paar Stunden schlafen können, als Kantersteg endlich gegangen war und nun musste sie dringend mit dem Kommandeur sprechen. Der Fall hatte einiges an Übersicht verloren. Zeit ihn zu entwirren und vielleicht fand man ja sogar ein paar lose Enden, die zueinander passten. Drinnen eilte aber sofort Rettich auf sie zu.
"Schnell, Kommandeur Rince will dich sofort sehen. Es ist etwas Schreckliches passiert!"
"Was denn? Wurde uns der Sold gekürzt?", fragte Atera zurück.
"Dieses Mädchen ist tot, diese Maria. Rince erwartet dich in seinem Büro. Beeil dich besser."
"Kann denn seine Laune noch schlechter werden?" Atera versuchte noch diese plötzliche Nachricht irgendwo unterzubringen. Sie schaffte es nicht. Mit müden Schritten stapfte sie die Treppe hoch. Einerseits wollte sie wissen, was denn nun genau passiert war, aber eigentlich wollte sie es nun auch wieder nicht wissen.
"Du weißt was passiert ist, Chief-Korporal?", begrüßte Rince sie ohne Umschweife.
"Wie ist sie gestorben, Sir?" Atera setzte sich und bemerkte auch, dass der Kommandeur die Pappschachtel mit dem Geld vor sich hatte.
"Das wissen wir noch nicht genau. Vielleicht ist sie am Ende doch ihren Verletzungen erlegen, aber dieser Daemon müsste gleich mit einem ausführlichen Bericht da sein. Rascaal hat sich die Leiche genauer angesehen."
"Das gibt es doch nicht.", entfuhr es Atera. Sie war immer noch vollkommen überrascht von der Nachricht, dass Maria tot sein sollte. Nicht, dass sie diese gut gekannt hätte, aber diese Mädchen hätte vielleicht die Antworten auf alles. Und dann war Atera ihr auch noch etwas schuldig. Maria hatte immerhin ihr Untotendasein vor den Flammen gerettet. "Äußere Verletzungen gab es keine?"
"Nein, nur die, die sie schon von diesen Männern hatte. Also, Atera, ich will jetzt wissen an was für einem Fall du da überhaupt dran bist."
"Sir, ich weiß es selbst nicht genau.", sagte sie, merkte aber gleich, dass dies die falsche Antwort gewesen war. "Äh, ich meine, es hat alles ganz einfach angefangen, aber mittlerweile ist es ähm komplexer geworden."
"Was heißt das?", fragte Rince nach. "Ich kann dir nicht völlig freie Hand bei deinen Ermittlungen lassen. Das Mädchen, um das es eigentlich ging, ist tot. Ich frage mich, ob du nicht den eigentlichen Fall aus den Augen verloren hast."
"Nein, bestimmt nicht.", widersprach Atera. "Es geht immer noch um die 4.000 Ankh-Morpork Dollar, die Maria bei sich hatte."
"Es geht um so viel Geld? Wo soll das sein, wenn ich fragen darf?"
"Na, in der Schachtel, die ich dir gab, Sir.", erklärte Atera. Offensichtlich hatte der Kommandeur ihr beim letzten Mal nicht richtig zugehört.
"Ja, das wollte ich dich gerade fragen. Was soll ich denn mit dieser Schachtel?"
"Äh, darauf aufpassen, dass sie nicht abhanden kommt.", sagte die Wächterin geduldig.
"Du bist sicher, dass du kein Urlaub brauchst? Erst meinst du, unser Archiv wäre mit einer anderen Dimension verbunden und jetzt soll ich schon auf leere Schachteln aufpassen." Atera riss darauf entsetzt die Augen auf.
"Leer? Das kann nicht sein-." Rasch nahm sie die Schachtel und zog den Deckel beiseite. Atera fühlte wie sich ein tiefes großes Loch vor ihr ausbreitete. Die Leere in der Schachtel schien sie höhnend anzulachen. "Es muss jemand gestohlen haben!"
"Was?", fragte Rince.
"Na, das Geld. Es war hier in der Schachtel!" Atera schüttelte verzweifelt die leere Schachtel, aber natürlich fielen keine Bündel an Geldscheinen hinaus.
"Wer soll denn Geld in so einer Schachtel aufbewahren?"
"Das versuche ich ja gerade herauszubekommen!"
"Und du bist dir wirklich sicher, dass Geld hier drin war? Ich meine nur, ich habe nicht in diese Schachtel hineingesehen, als du sie mir gegeben hast. Äh, wahrscheinlich war ich da gerade sehr beschäftigt."
"Natürlich bin ich mir sicher. Früher waren einmal Bindfäden hier drin, aber als ich die Schachtel in Marias Rücksack fand waren ungefähr 4.000 Dollar drin. Maria hat gesehen, was in der Schachtel war und nun… ist sie tot."
"Also zuerst war die Schachtel leer, dann waren äh… Bindfäden drin, dann Geld und jetzt ist sie wieder leer?"
"Genau!", bestätigte Atera. Rince lehnte sich zurück und kleine Falten bildeten sich in seiner Stirn.
"Gesetz den Fall, dass ich dir das glaube, wer sollte hier in die Wache einbrechen und die Bindfä… äh das Geld gestohlen haben?"
"Der gleiche, der auch Maria umgebracht hat."
"Einen Moment, niemand kann hier so leicht rein und einfach jemanden töten." Das war anscheinend das Stichwort für Gefreiter Daemon, denn genau in diesem Moment kam er ins Büro und wedelte mit dem Bericht von Rascaal. Dann erinnerte er sich wieder daran zu salutieren. Rince winkte ungeduldig ab.
"Ja, gut. Und, was ist die Todesursache?"
"Vergiftung, Sir.", antwortete der Gefreite sofort. "Das ganze Essen wurde vergiftet. Ein primitives Mittel, aber sehr schnell wirksam. Es befand sich im heutigen Frühstück für die Verbrecher in den Zellen."
"Haben noch andere davon gegessen?"
"Nein, zum Glück nicht. Außer ihr hatten wir momentan keine Gefangenen."
"Von wem kam heute das Essen?", fragte der Kommandeur.
"Wie immer, von Pete Schnitzel, dem Zulieferer von "Großmutters Gemüseeintopf", denke ich mal.", sagte Atera.
"Nein, ich soll von Rascaal ausrichten lassen, äh, Moment." Der Gefreite blickte kurz auf den Bericht. "Ach ja, heute war Pete krank, deswegen kam sein Bruder."
"Hat Pete überhaupt einen Bruder?", entfuhr es Rince sofort. Niemand hatte sich bis jetzt großartige Gedanken über den Zubringer von "Großmutters Gemüseeintopf" und dessen Familienverhältnissen gemacht.
"Vermutlich nicht. Das Gift wurde ins Essen gegeben und Maria damit gezielt vergiftet, anschließend klaute der Täter das Geld aus der Schachtel.", erklärte Atera und schien mit ihrer eigenen Theorie sehr zufrieden.
"Und Petes angeblicher Bruder soll also so mir nichts dir nichts in mein Büro spaziert gekommen sein?", gab Kommandeur Rince zurück.
"Warst du denn heute mal abwesend, Sir?", fragte Gefreiter Daemon, der unschlüssig im Raum stand und nicht so recht wusste, ob es gestattet war mitzudiskutieren.
"Nein, natürlich nicht, oder wart mal, da fuhr vorhin ein Belegte-Brötchen-Stand unten vorbei und verschenkte Gratis-Proben und… oh, ich verstehe." Rince seufzte und rieb sich die Stirn. "Ich dummer, alter Trottel.", murmelte er.
"Kann doch jedem mal passieren, Sir. Wer sollte denn ahnen-.", begann Atera.
"Ich bin aber der Kommandeur, ich sollte so etwas ahnen!", entfuhr es Rince laut. Eine kleine betroffene Stille machte sich bereit, die Rince schließlich mit einem entwaffnenden "Also?" beendete.
"Ich werde den Täter finden, wenn ich ihn habe, löst sich auch alles andere auf.", sagte Atera in einem feierlichen Tonfall. Doch ihre Gedanken sagten ihr etwas anderes, es war längst nicht mehr so einfach, wie es vor ein paar Tagen begonnen hatte und der Mörder musste auch erst einmal gefunden werden.
"Das sagt sich so leicht.", gab der Kommandeur zurück, er seufzte und schüttelte den Kopf. "Ich möchte, dass du mir alle Ergebnisse deiner bisherigen Entwicklungen präsentierst. Durch mein Verschulden wurde wichtiges Beweismaterial gestohlen und vielleicht kann ich mit meiner langjährigen Erfahrung-." Er räusperte sich kurz und blickte schnell in die Runde, ob jemand anfing zu grinsen, aber Daemon sah sehr ernst und interessiert drein und Atera schien mit den Gedanken woanders. "- als Wächter etwas zur Lösung beitragen. Also, Gefreiter Daemon, hole einmal die Tafel.", befahl Rince und wedelte mit seiner Hand in eine unbestimmte Richtung.
"Tafel?", fragte Daemon. Es wäre jetzt an Ateras Stelle gewesen, ebenfalls verwirrt zu fragen, wie eine Tafel dabei helfen sollte, doch ihre Gedanken strömten fort und wurden an eine Insel namens Jack gespült, die sie sehr verwirrte. Die Gedanken flossen zurück, umkreisten den Fall und die Rätsel darum, brachen sich an den 4.000 Dollar und rauschten mit Getöse auf Madame Dufront zu.
"Ja, die Tafel. Ich bin sicher, wir hatten irgendwo eine Schiefertafel und Kreide. Hmm, wenn ich mich nicht täusche, dann steht sie in der Küche und wird ab und zu als Unterlage benutzt. Hol sie doch mal schnell, Gefreiter Daemon." Der junge Wächter nickte, salutierte zackig und eilte nach unten. Ateras Gedanken brandeten inzwischen weiter, ungeachtet der Tatsache, dass Rince sie anstarrte und offensichtlich ein paar Worte an sie gerichtet hatte.
"Chief-Korporal Atera?", wiederholte er etwas lauter. "Meinst du, du schaffst das alles alleine?"
"Hmm? Äh, ja, natürlich.", antwortete die Wächterin. In diesem Moment kam Daemon mit einer großen Schiefertafel herein, die über und über mit Mehl überdeckt war, zwischendrin einzelne zurückgelassene Lücken von Lebkuchenmännchen. Der Gefreite reichte Atera einige kleine Stücke von Kreide, die diese verwirrt entgegen nahm.
"Und jetzt?" Einzelne Gedanken plätscherten widerstrebend ins Hier und Jetzt und füllten Ateras Geist mit einer verwirrenden Präsenz, alles wartete, was nun passieren sollte.
"Na, zeichne an. Ergebnisse, Figuren, Gegenstände in diesem Fall, Mordfall seit heute. Mach ein hübsches Pfeilbild.", sagte Rince und deutete mit Handzeichen irgendetwas in der Luft an.
"Was denn nun? Soll ich ein Pfeil malen oder Namen anschreiben?" Atera hielt die Kreide in die Höhe wie ein gefährliches Objekt, dass gleich in die Luft gehen könnte und blickte den Kommandeur verständnislos an, dieser rieb sich genervt die Stirn und murmelte etwas von "Mach nur irgendwas."
"Gut, also zum einen wäre da Maria." Die Kreide wischte über das Mehl auf der Tafel und fabrizierte einen hohen Ton, der sich weiter steigerte, um sich schließlich im Ultraschallbereich anzusiedeln. Es klang, als hätte jemand mit sehr langen Fingernägeln über einen Porzellanteller gekratzt. "Äh, tschuldigung. Also Maria wurde von zwei Männern, Identität ungeklärt, verfolgt und zusammengeschlagen mit der Absicht sie zu töten. Ich störte sie dabei und schaffte Maria ins Wachhaus, wo ich das Geld in einer Pappschachtel bei ihr entdeckte. 4.000 Ankh-Morpork Dollar. Maria behauptete aber, sie wüsste nicht wie das Geld da hereinkomme, doch diese Aussage ist zweifelhaft. Also gibt es zwei Möglichkeiten, entweder jemand hat es ihr untergeschoben oder sie hat es gestohlen"
"Und die Möglichkeit, dass es ihr jemand als Gegenleistung ausgezahlt hat?", hakte Rince nach. Atera schüttelte den Kopf.
"Nein, das glaube ich nicht. Das Mädchen lebte auf der Straße, sie wäre sicher auch mit 100 Ankh-Morpork Dollar zufrieden gewesen. Außerdem gab es dafür keine Anzeichen. Gut, weiter. Maria sagte, sie hätte früher bei Madame Dufront, einer Opernsängerin, als Kammermädchen gearbeitet." Die Kreide zeichnete einen runden Kreis mit Federn an. "Doch dann wurde Maria rausgeschmissen, da sie frech wurde, wie Dufront sagte, aber vielleicht hatte das ja noch andere Gründe. Zweitens bemerkte ich in der Oper, dass die Sängerin sauer auf jemanden namens Ferdinand war, der, wie sich herausstellte, in der Oper arbeitet und sie gefeuert hat, einerseits aus Rache, weil sie seine Liebe verschmäht hatte und weil sie schlechter im Singen geworden ist. Madame Dufront ist nämlich zudem Alkoholikerin und verschwenderisch mit ihrem Geld. Es ist klar, dass sie nach ihrem Rausschmiss aus der Oper Geld braucht." Rince nickte zwischendurch und Atera schrieb in krakeliger Schrift die Namen an. "So, dann war ich im Savoy.", fuhr sie fort, wurde aber sofort unterbrochen.
"Im Savoy, das Hotel, wo der Patrizier verkehrt?? Was hast du da zu suchen??", startete der Kommandeur mit einem Wust aus Fragen.
"Isabelle Dufront hat dort ein Zimmer und da arbeitete auch vorher Maria in der Küche des Savoy. Ich war also in den Räumen der Dufront.", erklärte Atera.
"Wie bist da rein gekommen?", fragte Rince sofort wieder. Atera hielt in ihrem Vorhaben inne, etwas an die Tafel zu malen, das wenigstens im Entferntesten als Hotel Savoy zu erkennen war.
"Äh, mit List und Lücke, Sir.", erwiderte der Chief-Korporal unsicher.
"Tücke, es heißt Tücke.", verbesserte Daemon in der Ecke leise. Rince winkte ungeduldig und befahl, dass die Wächterin fortfahren solle.
"Nun, während ich mich noch umsah, kamen die zwei Männer, die auch Maria hatten töten wollen, herein und durchsuchten alles. Die Männer konnte ich wieder nicht genau erkennen, aber ich weiß, dass sie für einen Auftraggeber arbeiten.", berichtete Atera weiter.
"Haben sie gefunden, was sie suchten?"
"Nein, das denke ich nicht. Merkwürdig war, dass Madame Dufront behauptete ihr wären 4.000 Dollar gestohlen worden. Die gleiche Summe, die bei Maria gefunden worden sind. Der Geschäftsführer, Herr Kantersteg, bat mich um absolute Diskretion-."
"Einen Moment, war Herr Kantersteg nach dem Einbruch anwesend?"
"Ja, er kam mit Madame Dufront die Treppe hoch. Jedenfalls versprach Kantersteg der Sängerin die Angelegenheit mit ihr zu regeln. Mir wurde zu verstehen gegeben, dass Ermittlungen nicht erwünscht sind. Dann bekam ich von Ferdinand den Tipp, dass Madame Dufront einen neuen Freund hätte, den Kreditverleiher Mr Shark. In seiner Niederlassung fand ich aber nur seinen Partner Cokg, der sehr eilig alle Unterlagen zusammenpackte, er meinte, sie würden umziehen, aber es sah mir eher nach Flucht oder etwas ähnlichem aus. Ich glaube ihm nicht." Atera legte eine Pause ein und betrachtete ihren mit Mehl und Kreide beschmierten Ärmel. An der Tafel befand sich ein Chaos aus Namen, Orten und Pfeilen dazwischen.
"Gut gemacht. War das alles?", fragte Rince, erhob sich aus seinem Stuhl und trat zur Tafel.
"Nicht ganz. Heute Morgen suchte mich Herr Kantersteg auf, bat erneut um Niederlegung des Falles und versuchte mich mit 1.000 Dollar zu bestechen."
"Befangenheit!", platzte es sofort aus Daemon heraus.
"Bitte was?" Rince runzelte die Stirn und sah den Gefreiten an.
"Ich wollte nur sagen, dass sie befangen ist, Sir. Da sie ja bestochen wurde, Sir.", erklärte der Gefreite.
"Einen Moment, ich habe das Geld natürlich abgelehnt und gefangen bin ich auch nicht, ich stehe doch hier."
"Befangenheit hin oder her, das wirft ein neues Licht auf den Fall. Hast du diesem Kantersteg etwas von deinen Ermittlungen erzählt?", fragte Kommandeur Rince nach.
"Ich glaube nicht, Sir.", erwiderte Atera. Es sei denn du weißt woher urplötzlich 4.000 Ankh-Morpork Dollar in die Hände eines einfachen Straßenmädchens gelangen, Herr Kantersteg. Das waren ihre Worte gewesen, die sich plötzlich mit einer heftigen Präsenz wieder meldeten und eindringlich gegen die Stirnwand pochten. "Ich äh glaube doch, Sir.", fügte Atera nach einer Weile hinzu.
"Was hast du ihm gesagt? Denk nach, das ist sehr wichtig."
"Ähm, ich habe ihm, glaube ich, irgendwie gesagt, dass Maria die 4.000 Dollar hat."
"Du hast was?? Na, sehr schön. Ich denke, ihr werdet mir alle zustimmen, wenn man Herrn Kantersteg in die Kategorie Verdächtiger unterbringt. So, und jetzt lasst mich mal überlegen.", sagte Rince und versank in tiefes Grübeln, ab und zu tippte er auf die Tafel, ging in seinem Büro hin und her und murmelte vor sich hin. Vermutlich hätte sein Kopf geraucht, wenn so etwas biologisch überhaupt möglich gewesen wäre. Einige Minuten verstrichen, Daemon trat genervt von einer Stelle auf die andere und überlegte, ob er riskieren sollte, einfach zu verschwinden. So hatte er sich das Wächterleben nicht vorgestellt, er wollte eigene Fälle lösen und nicht nur tatenlos herum stehen. Dem Chief-Korporal ging es anscheinen genau so, denn sie hatte sich hingesetzt, wippte aber ungeduldig mit den Füßen.
"Ha! Ich habs!", rief plötzlich der Kommandeur. "Zumindest könnte es ein Schritt zur Lösung sein. Das Geld ist der Knackpunkt. Nehmen wir an Madame Dufront hat 4.000 Ankh-Morpork Dollar bekommen, von wem und warum ist ungeklärt, nehmen wir weiter an, dass sie fürchtete, dass Geld könnte gestohlen werden. Diese Befürchtung bewahrheitete sich ja auch, als die zwei Männer ihre Wohnung durchsuchten. Nehmen wir weiter an, Maria hätte das Geld nicht gestohlen, sondern Madame Dufront hat es ihr unbemerkt untergeschoben und sie dann bewusst entlassen. Mit der Absicht es sich später wieder bei ihr zurückzuholen, wenn die Gefahr vorüber ist. Wenn man nun weiter annimmt, dass die Männer die gleichen wie bei dem Angriff auf Maria waren, dann ist klar, dass sie nicht wussten, dass Maria das Geld bei sich hatte. Ein weiterer Hinweis, darauf ist ja auch der Einbruch bei Madame Dufront, wo sie das Geld gesucht, aber nicht gefunden haben. Also und jetzt kommt der Schluss, muss man annehmen, dass Maria nicht wegen dem Geld, sondern wegen etwas anderem getötet werden sollte und dann auch ist."
"Äh.", brachte Atera nur hervor.
"Das sind aber viele Nehmen-wir-mal-ans, Sir.", bemerkte Daemon.
"Aber meine Schlussfolgerung ist in sich stimmig, ich habe sie gründlich abgeklopft.", gab der Kommandeur zurück.
"Abgeklopft? Maria kann das Geld immer noch aus dem Zimmer der Dufront entwendet haben können, die Männer sind dann eben zu spät gekommen.", äußerte Atera ihre Bedenken. Gefreiter Daemon nickte zustimmend.
"Aber Maria wusste nichts vom Geld, diese Männer schon.", beharrte Rince auf seiner Theorie.
"Und warum haben sie dann Maria getötet?"
"Das, lieber Chief-Korporal, ist deine Aufgabe herauszufinden. Ich möchte, dass du mit diesem Herrn Shark sprichst, vielleicht hat er Madame Dufront die 4.000 Dollar gegeben, dann rede noch einmal mit Madame Dufront und ich meine wirklich reden, quetsch sie aus richtig aus, bring das Vöglein zum Zwitschern!"
"Ich hab gehört, sie soll scheußlich singen.", widersprach Atera.
"Wie auch immer, sie soll nur reden. Woher hatte sie das Geld und so fort. Und dann, Gefreiter Daemon?"
"Hier, Sir! Bereit jeden noch so schwierigen Fall zu lösen!" Daemon salutierte kurz.
"Sei so nett und bring mir ein Vorladungsformular." Der Gefreite nickte enttäuscht und brummelte etwas unhörbares, dann verschwand er aus dem Büro.
"Die Hinweise reichen nicht, um Madame Dufront vorzuladen.", bemerkte die Wächterin, Rince schüttelte den Kopf.
"Nicht, die Sängerin, ich will den Geschäftsführer des Savoy hier haben! Ich werde das Formular ausfüllen und Kantersteg selbst zur Wache bitten. Befrage du solange Mr Shark.", befahl der Kommandeur, er rieb sich geschäftig die Hände und lächelte zufrieden. Atera salutierte und wollte schon aus dem Büro gehen, als Rince sie kurz zurückrief.
"Sag mal, wo ist eigentlich dein rechter Arm?", fragte er.
"Och, der, den äh habe ich irgendwo verlegt, äh genau, ja, so wars.", erwiderte Atera hastig.
"Gut, dachte schon, du wärst vielleicht in eine Schlägerei verwickelt gewesen."
"Äh, nein, nein. Alles bestens." Rasch salutierte die Wächterin umständlich mit ihrem linken Arm und eilte aus dem Büro. Rince trat an das Fenster zur Straße hin und blickte auf den Pseudopolisplatz. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Auf deine alten Tage schaffst du es immer noch, dachte er. Kombinieren, schlussfolgern, eins und eins zusammenzählen, er war nicht umsonst Kommandeur. So laufen Ermittlungen, Wächter, so und nicht anders. Man konnte eben nicht nur Verbrecher durch dunkle Gassen verfolgen und wilde Schwertkämpfe austragen, zum großen Teil bestand das Leben aus harter, ehrlicher Büroarbeit.
So laufen Ermittlungen, Wächter, so und nicht anders.
Der Kommandeur der Stadtwache nickte selbstzufrieden.
Cokg hetzte durch die Büros und griff sich immer wieder an den Kopf. Er musste schnell machen, nur wo beginnen? Erst die Unterlagen anzünden, dann die Einrichtung zerstören und- halt, die Unterlagen zuletzt anzünden. Er wollte schließlich nicht selbst verbrennen. Cokg starrte zu seinem ehemaligen Schreibtisch herüber. Ja, den würde er jetzt umstoßen! Jahr um Jahr hatte er sich abgerackert in diesem verdammten Laden und wo blieb der Dank? Wo blieb der, hä?
Der Sekretär warf sich mit aller Kraft gegen den Schreibtisch und versuchte ihn zu Fall zu bringen. Das einzige was er zustande brachte, war eine schmerzhafte Prellung an seinem Oberarm. Er ächzte und stemmte sich gegen den Tisch, der aber keinen Millimeter nachgab. Schließlich fluchte er, nahm einen Stuhl und warf ihn in mit lautem Krachen gegen die Wand. Ein Ikonographenbild flog vom Regal und der Rahmen aus Glas zerbrach. Cokg ging zu dem Bild und betrachtete es kurz. Es zeigte Shark senior, Friede seiner Seele, aber er hatte sterben müssen. Über die Lippen des Sekretärs huschte ein irres Grinsen. Mr Shark junior war viel leichter zu kontrollieren. So hatte er anfangs jedenfalls gedacht.
Jetzt machte dieser dumme Mann alles kaputt! Nur wegen Isabelle Dufront, diese jämmerliche Trinkerin! Cokg zerknüllte das Bild und trat mit Wucht gegen den Papierkorb.
Bitte, Cokg, es muss wie ein Überfall aussehen, hatte Shark gesagt. Gut, den konnte er haben, den Überfall! Der Sekretär stapfte grimmig auf den Schreibtisch zu und nahm sein Messer zur Hand. Mehrmals stach er auf die schöne Holzplatte ein. Da und da und da!! Für all die Jahre, die doch nur umsonst waren! Hat es mir irgendwer gedankt? Nein, natürlich nicht. Dabei war ich derjenige, der diesen Laden hochgebracht hat. Cokg hämmerte weiter wütend auf die Schreibtischoberfläche ein, aber zurück blieben nur kleine Löcher. Er fluchte laut, schrie und ruckelte an dem Tisch bis dieser schließlich doch nachgab, wackelte und zur Seite kippte. Eins der schweren Holzbeine brach ab, das Holz splitterte hervor, Cokg stieß einen leisen Triumphschrei aus. Dann raste er zum gegenüberliegendem Büro und wütete schnaubend und brüllend herum bis das Regal zertrümmert am Boden lag, die wertvollen Bücher zerfleddert und in ihren Einzelteilen im Raum verteilt waren und selbst das Polster aus Sharks Stuhl wie Eingeweide hervorquoll.
Der Sekretär verschnaufte ächzend und trat langsam zum umgekippten Schreibtisch, er bückte sich und suchte nach dem Geheimfach darunter. Ha, dachtest wohl du bist schlau, was Shark?! Aber ich wusste davon, habe es die ganze Zeit gewusst und mir jeden Tag nach Dienstschluss eine genommen. Cokg lächelte, schlug heftig gegen das Geheimfach, dass es aufsprang und eine Schachtel mit exquisiten Zigarren preisgab. Seine Finger schlossen sich um eine der Zigarren, als wäre es ein wertvoller Schatz, dann steckte er sie sich genüsslich an und paffte ein paar Züge. Leichte Rauchkringel entwichen seinen Lippen, um dann allmählich im Raum zu zergehen. Cokg stand in mitten der Trümmer, die Zigarre in einen der Mundwinkel geklemmt, starrte er um sich. Gute Arbeit, Cokg, sagte er zu sich selbst. Dann endlich machte er das, was er sich schon die ganze Zeit über gewünscht hatte. Er nahm die Zigarre und drückte sie mitten auf der Tischplatte aus. So, und jetzt zu dem Geld. Er lachte. Das Geld, dass sie nicht besaßen und das er jetzt stehlen würde.
Der Sekretär ging zu der abgeschlossenen Kammer am Ende des Flures, trat kräftig gegen die Türe, zog sich einen verstauchten Fuß zu, fluchte und versuchte es mit der Brechstange, die er mitgebracht hatte. Er hatte natürlich ein Schlüssel, aber Shark wollte einen Überfall, also bekam er auch einen Überfall. Endlich platzte die Türe auf und Cokg stand vor dem Tresorschrank, wo normalerweise das Geld lagerte, dass man bereithielt, um es kreditwürdigen Leuten zu verleihen. Ha, normalerweise, wenn man nicht absolut pleite wäre! Dieser dumme Mann, er hätte einmal auf Cokg hören sollen. Die Zinsen waren zu niedrig gewesen, sie waren die ganzen Jahre, abgesehen von einer von Cokg angezettelten Ausnahme, ehrlich gewesen. Ein ehrlicher Kreditgeber hält sich nicht lange in Ankh-Morpork, Shark!
Cokg machte sich daran den Tresorschrank aufzubrechen, was nicht einfach war. Das Ding war von Zwergenhand gefertigt und aus massiven Stahl. Im Inneren hielt ein kräftiger Dämon den Riegel vor der Türe, der nur bei einer bestimmten Kombination den Riegel wegzog und jedes Mal in das Licht der Lampe blinzelte und sich über zu wenig Privatsspähre beschwerte, wenn jemand den Tresor öffnete. Cokg kannte die Kombination, er hatte sie oft genug gesprochen, in der letzten Zeit natürlich immer weniger, aber jetzt musste es wie ein Überfall aussehen, also galt es den dämlichen Dämon auszutricksen. Der Sekretär trat zum Tresor und überlegte.
"Hmm, Aufmachen, Stadtwache!", er klopfte gegen die Stahlwand.
"Bitte zuerst die Kombination.", schnarrte aus dem Inneren eine Stimme.
"Hör zu, Kerlchen, ich weiß die Kombination, aber dieses Mal muss es ohne gehen!"
"Wenn du die Kombination weißt, warum sagst du sie dann nicht?", tönte es aus dem Tresor.
"Grrgh, das geht nun mal nicht! Mach jetzt die dumme Türe auf oder ich muss sie sprengen!", rief der Sekretär und klopfte wieder gegen den Tresor.
"Erst die Kombination.", beharrte der Dämon.
"Gut, na schön. 23… 8… 19."
"Nä, falsch!"
"Wie falsch, aber das ist die Kombination!", rief Cokg wütend.
"Mein Gedächtnis meint sich aber an eine andere Kombination erinnern zu können und deine war die falsche." Der Sekretär konnte beinahe hören wie der Dämon die Zunge rausstreckte. "Doch ich will mal nicht so sein, ich stelle dir ein paar Rätsel und wenn du die weißt, dann hast du auch die Kombination."
"Ich habe keine Zeit für Frage-Antwort Spielchen, mach die verdammte Tür auf!!" Cokg fluchte wieder und hämmerte wild gegen die Wand, doch der Dämon ließ sich nicht erweichen.
"Also… Ich habe Flügel, rate Kind,
doch flieg ich nur im Kreise,
und singen tu ich, wenn der Wind
mir vorpfeift, laut und leise;
was ihr den Feldern abgewinnt,
kau ich auf meine Weise,
doch –was mir durch die Kehle rinnt,
das mundet euch als Speise.", sagte der kleine Dämon auf. "Nimm den ersten Buchstaben deiner Lösung und die Zahl an welcher Stelle er im Alphabet steht, dann hast du den ersten Teil der Kombination.", fügte er noch hinzu. Cokg heulte auf. Jetzt musste er auch noch Rätsel lösen, er hätte doch Sprengstoff bei den Alchemisten kaufen sollen. Aber wenigstens waren die Rätsel anscheinend sehr leicht.
"Das soll ein Rätsel sein? Jedes Kind kann das lösen!", rief Cokg und sagte dem Dämon die Lösung.
"Klug, kluger Mann. Jetzt das nächste:
Ich hab' ein Ding im Sinn,
wohl lieben es die Mädchen traut,
es liegt um ihre zarte Haut,
doch stecken Nägel drin." Der Dämon hinter der Türe kicherte, Cokg kochte. Am liebsten würde er die Stahltüre aufreißen, den kleinen Kobold nehmen und ihn eigenhändig erwürgen. Doch noch trennte ihn massiver Stahl von diesem Vorhaben. Noch.
"Ha, du denkst wohl das ist schwer. Kinderleicht ist das." Der Sekretär sagte schnell seine Lösung und drängte zur Eile.
"Och, du bist ein Spielverderber. Na schön, das letzte Rätsel:
Der es macht, der will es nicht;
der es trägt, behält es nicht;
der es kauft, der braucht es nicht;
der es hat, der weiß es nicht." Der Dämon lachte fröhlich hinter der Türe. "Dann löse das erstmal."
Der Sekretär begann zu grübeln, drehte jedes einzelne Wort hin und her, das war wirklich nicht einfach. Na gut, wäre doch aber gelacht, wenn er eine dumme Aufgabe von einem dummen Kobold nicht wüsste. Schließlich sah er endlich die Lösung vor sich.
"Gut, ich weiß es." Zufrieden sagte er dem Dämon das Wort, von innen schien jemand anerkennend zu klatschen. "Jetzt habe ich alle Zahlen zusammen. 23, 8 und… he, warte mal, das ist genau die gleiche Kombination, ich dir eben gesagt habe! Du verräterischer, kleiner, mieser-."
"Schon gut, schon gut. Ich mach ja auf. Nie kann man hier ein bisschen Spaß haben.", brummelte der Dämon, man hörte den Riegel umklappen und dann wurde die Türe aufgedrückt. Cokg fluchte noch einmal, dann griff er blindlings in den Tresor, zerrte den Kobold ans Licht und sah ihn wütend an.
"Das war dein letztes Rätsel, Freundchen." Mit aller Kraft schleuderte er den kleinen Dämon an die gegenüberliegende Wand und mit einem leisen Platsch schied der Dämon aus dieser Welt. "Ich hasse es, wenn Leute zu viele Fragen stellen." Cokg warf noch einen kurzen Blick auf die Überreste des Koboldes, dann widmete er sich dem Tresor. Natürlich war kein Geld drinnen, aber einige Unterlagen, die er an sich nahm, dann ließ er die Türe noch weit offen stehen und ging zurück zu den Kisten mit den anderen Dokumenten. Der Sekretär holte aus seiner mitgebrachten Tasche den erworbenen Sumpfdrachen hervor und richtete ihn auf die Kartons.
"So, du dämliches Vieh. Feuer marsch!", befahl er, aber das Tier rührte sich nicht. Cokg rüttelte an dem Drachen, der darauf protestierend rülpste. "Ich will Feuer, schenk mir einen kleinen Feuerstrahl, komm schon.", bat der Sekretär. Nach weiterem Rütteln und Schütteln tat sich anscheinend endlich was, denn in dem Bauch des Sumpfdrachens begann es mächtig zu brodeln und zu glucksen. "Ja, los, wo bleibt das Feuer, hm?" Wie auf Kommando erbrach sich ein gleißender Feuerstrahl aus dem Rachen des Tieres und traf genau in die Kisten, gefüllt mit gut brennbaren Unterlagen, die auch sogleich Feuer fingen, die Flammen leckten bald nach allen Seiten und krochen verstohlen über den Teppich. Cokg grinste zufrieden, als er merkte, dass im Magen des Drachens immer noch etwas zugange war.
"He, du kannst aufhören. Deine Arbeit ist erfüllt. He, hör auf, sagte ich!" Das Brodeln wurde stärker, der Bauch blähte sich auf, das Tier starrte Cokg verstört an. Panik spiegelte sich in beiden Gesichtern. "Oh, verdammt…"
Atera war gerade auf dem Weg zur Zimperlichgasse, um sich dort noch einmal umzusehen und eventuell unauffällig einzusteigen, falls dieser Partner schon abgerauscht war. Doch sie war gerade erst in die Straße gebogen, als ihr Leute entgegen kamen und laut Feuer schrieen. Und da sah es auch Atera, besagtes Haus, das sie vorhatte genauer zu untersuchen, brannte lichterloh. Flammen und Rauch hüllten die Fassade ein, besonders aus den Fenstern im ersten Stock quoll besonders viel an Rauch. Die Niederlassung von Mr Shark. Konnte das ein Zufall ein? Oder besser gefragt, konnte es kein Zufall sein?
Atera ging über die Straße und sah zu wie einige Passanten spontan eine Eimerkette bildeten, nicht um das Haus zu retten, sondern mehr, um zu verhindern, dass das Feuer übergriff. Ehe die Wächterin sich versah, war sie mitten in der Kette und schleppte Eimer um Eimer weiter an den Nachbarn. Zwischendurch versuchte sie vor Anstrengung keuchend ein paar Fragen zu stellen.
"Seit wann brennt es schon?"
"Och, keene Ahnung, ich glaube, eine Stunde. Am Anfang gab es einen gewaltigen Knall und das Glas platzte mit aller Wucht aus dem ersten Stock.", antwortete ein etwas beleibter Mann mit Schnauzbart vor ihr und vollführte mit beiden Händen eine gewaltige Geste, wobei der Eimer mit Ankhschlick zu Boden ging.
"Und ist jemand aus dem Gebäude herausgekommen?"
"Nein, nicht das ich wüsste.", bekam sie als Antwort. Schweigend schöpften sie weiter, Eimer für Eimer, bis Atera ihren Arm nicht mehr spürte und im Stillen hoffte, Jack würde auftauchen und sei es auch nur für ihren anderen Arm, aber sie hatte ihn anscheinend beleidigt oder er war beschäftigt mit seinem eigenem Fall. Plötzlich hörte sie einen markerschütternden Schrei einige Meter entfernt und ein Mann lief mit schnellen Schritten über die Zimperlichgasse direkt auf das immer noch brennende Haus zu.
"Nein, das kann doch nicht war sein!! Mein Geschäft!" Der Mann rang mit den Händen und seiner Fassung, lief immer wieder auf und ab und befahl die Leute in der Eimerkette schneller zu machen. Atera winkte jemanden aus den Schaulustigen zu und teilte ihn nach einigem guten Zureden in die Kette ein, um selbst zu dem Mann gehen zu können.
"Ähm, Entschuldigung. Chief-Korporal Atera, Stadtwache Ankh-Morpork. Bist du Herr Shark?" Der Mann fuhr herum und starrte Atera entgeistert an.
"Schnell, die Wache muss etwas tun. Der Brand muss gelöscht werden, meine Büros!!", rief er wieder.
"Bist du Herr Shark?", wiederholte Atera ihre Frage geduldig.
"Natürlich bin ich der, Mr Shark, Kreditverleiher, mir gehörten die Büros im ersten Stock. Die sollten nicht brennen!!" Der Mann zog hastig seinen schwarzen Zylinder, um ihn sogleich hastig in seinen Händen hin und her zu drehen. Er schien sehr aufgebracht, verständlich, gerade verbrannte seine Niederlassung.
"Weißt du, ob noch jemand im Haus war? Dein Partner, Cokg vielleicht, Herr Shark?"
"Oh, nein, das kann nicht sein. Das darf einfach nicht sein!! Ich… ich… wollte das alles nicht.", jammerte er, starrte abwechselnd zu dem brennenden Gebäude und dann wieder zu Atera.
"Was wolltest du nicht, Herr Shark?"
"Na, das alles hier. Cokg ist vielleicht dort drin und stirbt einen qualvollen Flammentod. Ich habe ihm gestern extra noch gesagt, er solle morgen, also heute früher kommen, da es viel Arbeit gebe und jetzt das! Ich bin schuld!! Oh, hoffentlich ist er entkommen…", die Stimme von Shark versagte, er schien ehrlich bestürzt.
"Herr Shark, so schwer das jetzt auch alles ist, ich habe ein paar Fragen, nicht nur wegen dem Brand, aber dir sagt doch der Name Madame Dufront etwas oder?" Mr Shark fuhr abrupt herum und seine Gesichtszüge wechselten zwischen Furcht und Aufregung. Nervosität flackerte kurz auf, die Hände krallten sich um den Rand des Zylinders.
"Was ist mit Isabelle?"
"Nichts, vermute ich. Aber sie ist in einen äh Fall verwickelt und ich habe deswegen einige kleine Fragen. Hast du ein Verhältnis mit ihr, Herr Shark?", fragte Atera.
"Ich bin ihr ähm Freund, ja, aber ich muss doch nichts dazu sagen, oder? Isabelle meinte schon, dass jemand von der Wache kommen würde und es besser wäre, wenn ich schweige. Aber zu dem Brand, alles ist oben verbrannt, dort lagerte auch viel Geld, musst du wissen. Eine Menge Geld, möchte ich meinen. Und nun ist es verbrannt!" Er schluchzte theatralisch auf.
"Ja, aber kommen wir doch erst zum Anfang, zu Madame Dufront.", erwiderte die Wächterin.
"Nein, über Isabelle sage ich nichts. Wegen der Brand. Du musst ihn aufnehmen und notieren, dass das Geld verloren ist. Vielleicht war es sogar ein Überfall! Nicht auszudenken!"
"Erst Madame Dufront, aber das ist wohl nicht möglich wie ich sehe." Atera klappte betont ihren Notizblock wieder zu und wandte sich zum Gehen.
"Einen Moment, ich rede ja schon, aber danach der Brand, in Ordnung? Also, was willst du wissen, Chief-Korporal?" Die Wächterin unterdrückte ein Grinsen und öffnete den Notizblock erneut.
"Alles. Ich will alles wissen."
"Ich bin tot, na toll, dieser dumme Drache!"
"SEHR SCHARFSINNIG ERKANNT. DIE MEISTEN WOLLEN IHREN TOD NICHT AKTZEPTIEREN."
"Was passiert jetzt? Wo komme ich hin?", fragte Cokg. Tod grinste ihn an. Sie standen auf einer weiten Ebene ohne Himmel und Horizont, inmitten einer blaugrauen Einöde.
"DAS LIEGT GANZ AN DIR. ICH BIN EBEN ERST SPÄTER DAZU GEKOMMEN. WAS HAT DER DÄMON VON DIR GEWOLLT?"
"Er wollte mich ärgern und hat mir Rätsel gestellt."
"RÄTSEL?" Tod dachte kurz nach. "WAS IST DAS?"
"Ach, es ist eben ein Worträtsel, du musst herausfinden, was dort beschrieben wird."
"KANNST DU SIE NOCH EINMAL WIEDERHOLEN?"
"Also: Der es macht, der will es nicht;
der es trägt, behält es nicht;
der es kauft, der braucht es nicht;
der es hat, der weiß es nicht."
"HMMM, DAS IST NICHT EINFACH."
"Ja, da hast du recht." Die beiden gingen einige Schritte in die Ferne, Tod murmelte laut vor sich hin, dann blieb er wieder stehen und sah Cokg an.
"GIB MIR EINEN TIPP."
"Gut, es hat etwas mit deiner ähm Arbeit zu tun.", erklärte der Sekretär.
"MIT MEINER ARBEIT, HMMM."
"Im weitesten Sinne.", fügte Cokg hinzu. Tod nickte. Die beiden eigentümlichen Gestalten entfernten sich langsam und schritten über die Ebene. Die Stimmen wurden unmerklich leiser.
"IM WEITESTEN SINNE ALSO?"
"Ja."
"GIB MIR NOCH EINEN TIPP."
Rince rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Ja, er war selber schuld, er hatte es gewollt und nun saß er hier. Vor dem Rechteckigem Büro. Anstatt, dass er eine Vorladung an Kantersteg verschickte, bekam er selbst eine. Und was für eine!
An den geschätzten Kommandeur,
der sich bitte umgehend bei mir melden sollte. Es ist mir eine kleine Beschwerde zu Ohren getragen worden, zu der ich gerne deine Meinung hören würde.
Lord Vetinari
Eine genaue Zeitangabe war nicht nötig gewesen, man ließ den Patrizier nicht warten und das Wort "Ärger" schwebte bereits wie ein riesiges Schwert an einem Rosshaar über der Vorladung. In diesem Moment trat ein Mann zu Kommandeur Rince heran.
"Lord Vetinari hat jetzt Zeit für dich.", sagte dieser in einem Tonfall, als hätte Rince selbst gebeten zum Patrizier vorgelassen zu werden. Nun, es gab da immer noch die Sache mit der Erhöhung der finanziellen Möglichkeiten der Wache, die zum momentanen Zeitpunkt recht mager waren. Rince nickte dem Mann zu, der sich eilig entfernte, und klopfte ehrerbietig an die Türe zum Rechteckigen Büro. Natürlich war kein "Herein!" zu hören und so wartete Rince noch einige höfliche Sekunden, um dann einzutreten. Havelock Vetinari saß auf seinem Stuhl und hatte seinen kleinen Hund namens Wuffel auf dem Arm.
"Ah, der Kommandeur, schön, dass du so schnell und zügig erschienen bist." Die Worte knallten wie unsichtbare Peitschenhiebe herab.
"Ihr wolltet mich sprechen, Excellenz?", begann Rince und versuchte einen Punkt hinter dem Patrizier zu fixieren. In all den Jahren hatte er es immer noch nicht gelernt, wie man Lord Vetinari am besten handhabte, vermutlich würde man das nie lernen können.
"Ja, es geht um eine Angelegenheit betreffend Ermittlungen bezüglich des Hotel Savoy. Was kannst du mir darüber sagen?" Gespannte Stille trat in den Raum.
"Äh, wir ermitteln dort nur am Rande, euer Excellenz.", antwortete Kommandeur Rince, er stand weiterhin im Rechteckigen Büro wie eine auserkorene Zielscheibe.
"Und weswegen, wenn ich fragen darf?" Die Tatsache, dass auf Lord Vetinaris Schoß ein kleiner niedlicher Hund hockte, machte die Unterhaltung nicht gerade einfacher.
"Wegen dem Mord an einem Straßenmädchen, Excellenz."
"Ach, ein Straßenmädchen, das ist natürlich eine Erklärung." Das Gesicht des Patriziers blieb unbewegt.
"Die Ermittlungen deuten darauf hin, dass ihr Mord mit einigen Machenschaften im und um das Savoy zusammenhängt.", erklärte Rince hastig und seine Hände versuchten sich hinter seinem Rücken zu verstecken. Lord Vetinari blätterte seelenruhig in einigen Papieren vor sich.
"Herr Wincent Kantersteg bat mich um Diskretion. Das Hotel Savoy ist ein Treffpunkt der kultivierten Gesellschaft, da wäre es doch unschön, wenn Herr Kantersteg mit so einem unwichtigen Fall belästigt werden würde. Und sieh doch mal, Kommandeur, ein einfaches Mädchen von der Straße, wenn man es recht überlegt, ist es ein Fall unter vielen. Morde passieren eben. Das ist der Lauf der Dinge.", sprach der Patrizier, er beugte sich ein wenig vor und sah dem Kommandeur in die Augen.
"Der Lauf der Dinge…", echote Rince, die Bodenplatten unter ihm waren auf einmal sehr interessant.
"Genau und wegen der Anhebung eures Budgets, da reden wir noch einmal in aller Ruhe drüber, nicht wahr?"
"Natürlich, Excellenz."
"Gut." Lord Vetinari lehnte sich wieder zurück, der Eindruck eines zum Sprung bereiten Tigers war verschwunden, nun sah es nur noch nach einem lauernden Tiger aus. "Der Fall ist ad acta?"
"Der Fall ist ad acta.", bestätigte Rince, der Kommandeur verließ das Schlachtfeld.
Rince donnerte auf den Tisch.
"Ich kann da auch nichts machen, wenn Vetinari sagt der Fall ist beendet, dann ist er auch beendet! Mir sind die Hände gebunden."
"Aber ich habe herausgefunden-.", begann Atera.
"Das spielt keine Rolle mehr, wenn du weiter ermittelst, ist es sehr fraglich, ob der Patrizier zustimmt, uns mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Also ich bin auch sehr verärgert, aber wir können nichts machen. Hier-." Er wedelte mit einem Blatt Papier. "Die Vorladung für Kantersteg." Rince zerknüllte sie und warf sie in den Papierkorb. "Wertlos, er wird sie nie mehr bekommen."
"Aber ich-." Rince beachtete sie nicht weiter, sondern ging zur Tafel und wischte die Zeichnungen weg.
"Jemand muss die nach unten bringen, sie eignet sich gut zum Plätzchen backen.", beschloss er.
"Aber-.", setzte Atera erneut an.
"Begreif es endlich, der Fall ist ad acta, wie Lord Vetinari treffend sagte." Das waren die Worte ihres Kommandeurs, aber gleichzeitig schienen seine Augen und Hände etwas anderes zu meinen, denn die begannen in einer für Atera unverständlichen Sprache zu reden. Einzelne Finger trippelten über den Schreibtisch, stießen gegeneinander, deuteten mal hier hin, dann wieder dort hin. Atera zuckte hilflos mit den Schultern und Rince rollte wieder mit den Augen, während sein Mund folgendes sagte:
"Tja, manchmal kann man eben nichts machen. Gibt es sonst noch etwas Neues? Was macht dein Frosch?"
"Dem geht's gut.", antworte Atera zögernd. Rince Hände begannen eine Art Veitstanz aufzuführen, sein Gesicht wechselte in grimassenartige Bilder.
"Na, das hört man doch gern. Und äh selbst?" Die rechte Hand wurde zur Faust geballt und sauste immer wieder durch die Lüfte. Rince Gesicht schien erstaunt, dann wechselte es in etwas Undefinierbares und die Hände begannen mit einander zu ringen.
"Kann nicht klagen. Äh, geht es dir gut, Sir? Ist dir kalt?"
"Ja, es ist ein wenig kalt geworden in letzter Zeit, nicht wahr?" Der Kommandeur kritzelte hastig etwas auf einen Zettel und drückte ihn rasch Atera in die Hand. "So, jetzt schreib mal schön den Abschlussbericht, hehe. Chief-Korporal, weggetreten!" Rince salutierte und komplimentierte die verdutzte Wächterin hinaus, bevor sie auch nur ein weiteres Wort sagen konnte.
Draußen entrollte Atera langsam den Zettel. In einer krakeligen Schrift stand dort:
Verdammt, kannst du keine Scharade?! Ich möchte, dass du weiter ermittelst, aber unauffällig! Ich vermute, wir wurden eben belauscht.
Die Wächterin stand kopfschüttelnd im Gang und starrte auf den Zettel. Warum hatte er das nicht gleich gesagt? Ermittlungen fortsetzen, kein Problem. Denn was sie vorhin hatte Rince berichten wollen, war ein gutes Stück der Lösung. Mr Shark hatte nämlich zu Protokoll nehmen lassen, dass er Madame Dufront nicht die besagten 4.000 Dollar gegeben hatte, zudem hatte ihn Dufront selbst um einen höheren Kredit gebeten, für eine ihm aber unbekannte Person. Er wollte das Geld heute Nachmittag übergeben, aber nun seien ja seine Büros niedergebrannt, wo das Geld aufbewahrt worden war. Die genaue Summe hatte er nicht nennen wollen, wohl aber, dass er das Gefühl habe, Isabelle würde ihn mehr und mehr auszunutzen wollen. Also war Shark nun Opfer oder hatte er gelogen? Und was hatte er alles verschwiegen?
Atera ging nachdenklich die Treppe herunter und wollte eben schon aus dem Wachhaus gehen, als sie Rettich zurückhielt.
"Hier, das hat eben ein Mann für dich abgegeben, er sah sehr komisch gekleidet aus." Die Zwergin reichte Atera ihren rechten Arm und zwinkerte verschwörerisch. "Ein Kärtchen war auch dabei, Blumen leider nicht." Atera sah Rettich scharf an und nahm das Kärtchen entgegen.
"Er hat mir nur meinen Arm zurück gebracht. Wir… helfen uns bei gegenseitigen Ermittlungen."
"Sei vorsichtig, wir haben nicht mehr viel Nähgarn auf Lager." Atera nickte abwesend und nähte sich den Arm wieder an. Dann trat sie aus dem Wachhaus und drehte das Kärtchen mehrmals zögernd hin und her. Das Sonnenlicht prallte auf den Platz und breitete sich wie Sirup in den einzelnen Straßen aus. Von der Ferne konnte man den typischen Gestank des Ankhs vernehmen. Der Geruch von Rauch lag leicht in der Luft, vermutlich brannte das Haus immer noch. Sie würde dort morgen vorbei schauen, vielleicht auch schon heute Abend. Nein, jetzt galt es erst einmal eine gewisse Opernsängerin aufzusuchen.
Während sie über den Platz ging, vorbei an der Oper, hörte sie Schritte hinter sich und dann stand er auch schon neben ihr.
"Wie ich sehe hast du mein Kärtchen bekommen.", begann Jack und zog kurz den Hut vor ihr. Als sie nichts sagte, fuhr er ungerührt fort. "Ich habe den Brand in der Zimperlichgasse bemerkt, aber ich muss dich dort wohl verpasst haben."
"Wie kommst du darauf, dass ich überhaupt da war?"
"Nun, ich vermutete das. Immerhin bist du ja an dem Fall dran. Was hast du herausgefunden?", fragte er zurück. Jack fischte eine Zigarre aus seiner Hemdtasche und begann sie anzuzünden, während sie weitergingen.
"Maria ist tot.", brachte Atera nach einer Weile vor. Jack zog an seiner Zigarre.
"Das tut mir leid.", sagte er. "Wie ist sie gestorben?"
"Vergiftet, nachdem mich kurz zuvor Kantersteg versucht hatte zu bestechen. Ich glaube, der Drohbrief war auch von ihm, aber ich bin mir nicht sicher und Gründe seh ich erst recht keine.", berichtete die Wächterin. Der Scheriff lachte leicht.
"Der alte Wincent, das hätt ich ihm gar nicht zugetraut. Sonst noch etwas neues, vielleicht Interessantes für mich?"
"Madame Dufront will, dass ihr Freund Herr Shark einer unbekannten Person eine große Summe Geld verleiht." Sie sah Jack Parando an. "Ich frage mich, wer das sein könnte."
"Sieh mich nicht so an, ich weiß es nicht." Er paffte weiter seine Zigarre und die leichten Fältchen hatten sich wieder um seinen Mund gelegt.
"Was will dieser Mister X in Ankh-Morpork?", fragte Atera unvermittelt.
"Es ist besser, wenn du nicht so viel über ihn weißt."
"Er hat aber wahrscheinlich mit meinem Fall zu tun, ich muss das wissen.", beharrte sie. Jack seufzte.
"Also gut, ich denke, er ist hier, um Kontakte aufrecht zu erhalten Dieser Klub der Höheren, er braucht mächtige Verbindungen und Freunde, um selber mächtig zu werden." Stille folgte diesen Worten, ihre Schritte lenkten sie langsam durch eine ebenso stille Gasse.
"Zum Herrschen braucht man viel Geld.", bemerkte Atera.
"Ja, vermutlich." Dann standen sie vor dem Savoy. Jack verabschiedete sich, zog noch einmal seinen Hut, erklärte, dass er noch eine Runde durch diese bezaubernde Stadt drehen wollte und verschwand nach und nach im Flirren der Sonne, wurde immer kleiner am Ende der Straße und war schließlich nicht mehr zu sehen. Atera blickte hinunter zu ihren Händen und dem Kärtchen. Für einen kurzen Moment, hatte sie es öffnen wollen, aber dann steckte sie es doch in die Tasche. Für später.
"Mädam.", riss sie der Portier am Eingang aus ihren Gedanken. Er hielt ihr die Türe auf und Atera betrat den Tempel der Sauberkeit. Drinnen war es ruhiger als sonst, Stille kroch bedeutungsschwer über den hohen Teppich. Die Wächterin tapste zum Empfang und wagte es nur zu Flüstern.
"Ist heute nichts los?"
"Geschlossene Gesellschaft. Der Klub tagt.", erklärte die Empfangsdame ebenso leise.
"Etwa der Klub der Höheren?? Wo sind sie? Ich muss zu ihnen!", sagte Atera laut und ihre Blicke irrten suchend umher, sprangen von den einzelnen geschlossenen Türen hin und her.
"Bitte, Mädam, das geht nicht. Geschlossene Gesellschaft.", versuchte die Frau am Empfang sie zu beschwichtigen.
"Ich will jetzt endlich Antworten! Hinter welcher Türe sitzen sie? Diese da?" Ateras Blick saugte sich an einer schweren hohen Eichentür fest, an der jemand ein golden poliertes Schild mit der Aufschrift "Bitte nicht stören." angebracht hatte.
"Nein, es ist nicht möglich dort hereinzuplatzen. Ich muss dich bitten zu gehen, Mädam."
"Und wenn ich nicht gehen will? Ich habe es satt zu gehen und zu fragen, immer nur fragen. Jetzt will ich Antworten." Atera tat ein paar Schritte zurück vom Empfangsschalter und trat auf die Türe zu, die sie ins Auge gefasst hatte.
"Wenn du nicht freiwillig gehst, rufe ich den Geschäftsführer.", wandte die Frau ein. Atera nickte grimmig und ging weiter auf die Türe zu.
"Ja, ruf ihn nur, mit dem hab ich noch ein Wörtchen zu wechseln." Sie stand nun ganz nah an der Türe, die Klinke zum Greifen nah. Von innen waren gedämpfte Stimmen zu vernehmen. Ihre Hand wanderte zur Türklinke.
"Du machst einen gewaltigen Fehler, wenn du sie herunterdrückst.", durchschnitt eine Stimme den Raum. Ateras Mundwinkel verzogen sich zu einem schwerfälligen Lächeln. Sie brauchte sich nicht umdrehen, sie wusste auch so wer dort stand.
"Herr Kantersteg, wie schön, dass du uns die Ehre gibst."
"Oh, wir werden höflich.", höhnte die Stimme. Nun drehte sich Atera doch um, Wincent Kantersteg stand auf der Treppe, die Hand locker auf dem Geländer, während neben ihm zwei große kräftige Männer wie verstärkte Schulterpolster hinter ihm standen. "Geh weg von dieser Türe, Wächterin. Ich habe es im Guten mit dir versucht, aber darauf willst du wohl nicht hören."
"Ich höre nur auf die Wahrheit.", erwiderte Atera mit fester Stimme. Kantersteg machte eine abwerfende Geste.
"Bitte, mach dich nicht lächerlich. Du willst die Wahrheit doch gar nicht hören."
"Und ein gewisser Geschäftsführer will sie niedertrampeln. Ich sehe jetzt alle Zusammenhänge und auch das Motiv, so verrückt es auch sein mag." Während Atera diese Worte sagte, tauchten wieder längst vergangene Gesprächsfetzen von Wincent Kantersteg auf. Worte, denen sie anfangs keine Bedeutung beigemessen hatte:
"Verstehst du nicht? Diskretion ist das Aushängeschild des Savoy. Die Menschen kommen zu uns, weil wir diskret sind. Es liegt nicht an den goldenen Lampen, an dem guten Essen, an der Sauberkeit oder an weichen Betten. Es ist unsere Verschwiegenheit, die die Leute so schätzen. Diskretion, verstehst du, Diskretion!"
"Diskretion, alles nur wegen dem guten Ruf. Darum zuerst der nette höfliche Drohbrief und dann die Bestechung.", fuhr Atera fort. "Die Idee kam dir, als du davon erfahren hast, dass Isabelle Dufront aus der Oper geschmissen wurde. Die Dame kam zu dir oder vielleicht auch du zu ihr, aber eines war klar, dass sie Geld brauchte, um das Zimmer, den Alkohol und weiterhin ihre üppige Fassade bezahlen zu können. Du hast ihr das Geld gegeben. 4.000 Ankh-Morpork Dollar. Eine große Summe, aber für weniger war Madame Dufront nicht bereit es zu machen und die Zeit drängte. Die 4.000 Dollar waren dein letztes Geld und du warst auf den schnellen, großzügigen Kredit von Mr Shark angewiesen, habe ich Recht?"
"Was für eine schöne Märchengeschichte, die du dir da ausgedacht hast. Das Savoy ist reich, ich habe Geld von anderen Leuten nicht nötig!" Der Geschäftsführer spie die Worte regelrecht aus.
"Das habe ich mir auch anfangs gedacht und vermutet, Madame Dufront hätte sich Herrn Shark als Mann geangelt, um ihren Lebensstil weiter finanzieren zu können, aber warum wurde dann bei ihr eingebrochen, das kam mir doch sehr merkwürdig vor. Vielleicht wissen ja, deine beiden Helfer hinter dir Antwort.", sagte Atera und deutete auf die zwei Männer. Kanterstegs Lächeln gefror zu einem dünnen Strich.
"Wolltest du dir vielleicht deine 4.000 Dollar zurückholen, die Isabelle Dufront dir in zähen Verhandlungen abgerungen hat? Aber das Geld war nicht da, denn Madame Dufront wusste von deiner Geldnot und hat das Geld an einem Ort versteckt wo du es nachweislich nie vermutet hattest. Doch dann kam ich zu den Ermittlungen und Dufront behauptete in meiner Gegenwart, ihr wäre das Geld gestohlen worden. Zuerst hast du gedacht, deine beiden Handlanger hätten es sich selbst bei dem Einbruch genommen und dich angelogen, aber dann habe ich leider einen Fehler begangen und dir selbst verraten, dass das Geld bei Maria war. Es konnte kein Zufall sein, dass Maria einige Stunden danach getötet wurde und das Geld aus dem Wachhaus verschwand. So war es doch oder?"
"Das ist nur dein jämmerlicher Versuch etwas zu begreifen, was deine Fähigkeiten weit übersteigt. Eine Frage bleibt immer.", erwiderte Kantersteg und seine Stimme klang schrill dabei.
"Ja, warum Maria? Was hatte sie damit zu tun? Du wusstest zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sie das Geld hatte und du hast auch geglaubt, sie sei tot bis ich dich unglücklicherweise vom Gegenteil überzeugt habe. Mein Fehler, ich gebe es zu. Möchtest du mir selber sagen, was sie irgendwo in den Gängen des Savoy gehört hat, was sie nicht hören sollte oder gesehen hat, was sie nicht sehen sollte. Vielleicht jemanden aus dem Klub der Höheren?"
"Du hättest dich nicht einmischen sollen, dann wäre alles geregelt verlaufen und niemand, abgesehen von dieser neugierigen Göre, wäre zu Schaden gekommen!", rief Kantersteg über die Treppe hinab, die Hand, die eben noch so ruhig auf dem Geländer gelegen hatte, war in sich verkeilt und zur stummen Faust geballt.
"Ach, alles wäre geregelt verlaufen? Ich sollte dir mitteilen, dass die Kreditverleihung Shark & Cogk nicht mehr so erfolgreich ist wie zu Zeiten von Shark senior. Genauer gesagt, gingen die Geschäfte ziemlich den Bach hinunter. Shark ist pleite genau wie du, aber er brachte es nicht fertig, dass Isabelle Dufront zu sagen. Um sich aus der Affäre zu ziehen, wollte er einen Überfall fingieren. In der Zimperlichgasse befinden sich mittlerweile nur noch die verkohlten Überreste eines einst vielleicht stolzen Geschäftes. Du bleibst also genauso mittellos, auch wenn ich nicht ermittelt hätte. Tja, so spielt das Leben. Nicht gerade fair, was?", sagte Atera ungerührt.
"Du kapierst auch gar nichts!!", platzte es plötzlich aus dem Geschäftsführer heraus. "Das Geld war nicht für mich, sondern für einen meiner Gäste! Ich habe ihm versprochen, mich um die Angelegenheit zu kümmern und ihm zu helfen. Diskret versteht sich."
"Mister X.", murmelte Atera leise. "Und das Savoy?", fragte sie lauter.
"Ist nicht pleite!! Wir haben genug Gäste in den allerbesten Kreisen, aber das bleibt auch nur so, wenn ich mich um unseren guten Ruf kümmere. Hier werden wichtige Sitzungen abgeschlossen, hier werden Zukünfte besiegelt und ihr wird über Schicksale entschieden. Ich bin verantwortlich, dass diese Personen das bei uns tun und es auch so bleibt. Deswegen kann ich keine Wächter gebrauchen, die sich in das Savoy drängen und Fragen stellen! Eigentlich hätte ich gedacht, Lord Vetinari würde das unterbinden, aber die Stadtwache von Ankh-Morpork hat einen sehr unnachgiebigen Kommandeur. Jedoch eine Frage bleibt immer noch. Möchtest du sie stellen?" Wincent Kantersteg ging ein paar Stufen weiter nach unten, ihre Blicke trafen sich irgendwo in der Mitte des großen Raumes, ein paar Zentimeter über dem roten Teppich.
"Warum hast du… diesem Gast dann nicht einfach Geld aus dem Savoy gegeben, Herr Kantersteg? Warum der Kreditverleih, warum die Sache mit den 4.000 Dollar?"
"Weil das Savoy nicht das ist, was es zu sein scheint. Hast du dich nie gefragt, warum du erst jetzt von der Anwesenheit des Hotels Notiz genommen hast?"
"Ja, schon-.", begann Atera, aber der Geschäftsführer unterbrach sie sofort.
" Die Magie ist hier allgegenwärtig und sie ist auch mächtig, doch sie ist so fein gesponnen wie das dünnste Netz, so dünn, dass man es gar nicht mehr wahrnimmt. Darum ist es hier so sauber, die Betten ein Traum und das Essen das köstlichste, was du je probiert hast." Der Geschäftsführer des Savoy hielt für einen Moment inne. "Nur ein Problem gibt es dabei, Geld in dieser Form existiert hier nicht.", erklärte Kantersteg mit einer jetzt gerade zu ruhigen Stimme.
"Aber ihr müsst doch irgendetwas einnehmen? Wo fließt das Geld hin?"
"Es fließt in das Netz und wahrt so die Aura des Reichtums und der Macht. Geld ist schon fast wie pure Magie, beides kann Wunder vollbringen und kombiniert wirkt die Sache noch besser." Der Geschäftsführer lächelte. Ateras Arm sank von der Klinke.
"Was bleibt, wenn die beiden Dinge verschwinden?", fragte sie schließlich.
"Das, meine Liebe, wird niemals geschehen!! Dafür sorge ich schon! Solange der Ruf des Savoy bleibt, werden auch die Leute kommen und damit ihr Geld. Existierendes Geld gibt es bei uns nicht, die 4.000 Dollar und auch die 1.000, die ich dir spenden wollte, gab mir ein guter Freund, damit ich die Sache damit regeln konnte. Er lieh sie mir nur und so war ich verpflichtet es mir zurückzuholen." Er lachte plötzlich. "Kennst du den Ausspruch, es rinnt einem das Geld nur so durch die Finger? Bei mir ist das wörtlich zu nehmen! Das Savoy gründet sich auf der Existenz von Geld, die es nährt und den Schein wahrt und gleichzeitig bin ich so arm wie ein Bettler draußen auf euren Straßen.", schloss er seine Rede und sah auf sie herab. Atera straffte sich, zog ihre Uniform zurecht und trat zur Treppe hin. Dann holte sie langsam ihre Dienstmarke hervor.
"Wincent Kantersteg, im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork, verhafte ich dich wegen vorsätzlichen Mordes an Maria, versuchter Bestechung und Drohung eines Wächters in Ausübung seiner Pflicht- damit bin ich gemeint-, Einbruchs bei Madame Dufront und langjähriger Vortäuschung eines Hotels mit Einsatz von wahrscheinlich widerrechtlicher Magie. Ich muss dich bitten jetzt mit mir zu kommen.", sagte Atera. Kantersteg trat die Treppe hinunter und stand nun dicht vor der Wächterin.
"So, musst du? Nun, dann liegt es an mir, dich ebenfalls zu bitten mitzukommen.", erwiderte er geheimnisvoll.
"Mitkommen wohin?", fragte Atera.
"Auf Reise!!" Wincent Kantersteg lachte dumpf und der merkwürdige Ton hallte durch den Raum. Plötzlich stieß er Atera unvermittelt vor die Brust, dass sie überrascht nach hinten taumelte. Sie stolperte, fing sich aber wieder, doch dieser kurze Augenblick reichte Kantersteg um zu flüchten. Er rannte über den Teppich und war alsbald an einer kleinen Türe in einer Ecke angelangt. "Die Saison ist hier für dieses Mal zu Ende. Renn nach draußen, kleine Wächterin oder du siehst dein Ankh-Morpork nie wieder!" Das waren die letzten Worte, die er schrill und lachend ausstieß, die Maske eines kalten Geschäftsführers mit Kalkül war zerbrochen und dahinter offenbarte sich eine Fratze der Hysterie und des abgründigen Wahnsinns. Diskretion war nicht mehr nötig, Atera wusste, dass sie ihn nicht mehr kriegen würde, trotzdem rannte sie los und ihr verzweifelter Versuch endete vor einer Türe, die sich klappend vor ihr verschloss und dem immer leiser werdenden Lachens von Wincent Kantersteg.
Sie blickte zurück zu der anderen Türe, hinter der immer noch, unbemerkt von dem übrigen Geschehen, der Klub der Höheren zusammen getroffen war. Und dann war da noch die Eingangstüre und nicht viel Zeit sich zu entscheiden, denn etwas veränderte sich. Aber einen Blick würde sie jetzt riskieren, wild entschlossen ging Atera zur besagter Türe und riss sie ohne zu Zögern auf. Ein "Ha!" blieb ihr im Hals stecken, als ihr erstaunter Blick in ein leeres Zimmer fiel. Aber eben hatte sie hier noch Stimmen gehört und der Raum sah auch danach aus, als hätte ihn jemand erst kürzlich verlassen. Die Stühle waren nicht ganz so ordentlich an den langen Tisch gerückt und der schwache Geruch von Rauch hing noch in der Luft. In einem Aschenbecher lagen einige zerdrückte Zigaretten und Zigarrenstumpen. Sie hatte Stimmen gehört…
Plötzlich lief durch das Gebäude eine Art Rucken, Atera spürte wie der Teppich zu einzelnen roten Fetzen unter ihren Füßen zerfaserte, sie blickte hinunter, doch er lag immer noch ruhig und glatt da. Ihre Füße sagten etwas anderes, sie stand auf keinem Teppich mehr, sie wusste nicht was es war, aber es fühlte sich, allgemein gesagt, nicht gut an.
Atera beschloss zum Ausgang zu rennen.
Der Beschluss stellte sich als nicht allzu leicht durchführbar heraus, denn ihre Füße glaubten sich in knöcheltiefem schleimigem Etwas, doch ihre Augen legten ein Votum ein und bestätigten den schönsten roten Teppich, den die Scheibenwelt jemals gesehen hatte.
Atera watete Schritt für Schritt durch das Savoy und auf die Türe zu. Es dauerte seine Zeit, aber wenigstens stolperte sie nicht, versank nicht in einem schlammigen Sumpf und ihre Füße waren noch vollständig erhalten, als sie endlich die Türe öffnen konnte und draußen stand. Rasch entfernte sie sich ein paar Schritte und nutzte den Augenblick um durchzuschnaufen. Als sie sich mental gefestigt hatte für jeden noch so grausigen und entsetzlichen Anblick, den man sich auf der Welt nur vorstellen konnte, drehte sie sich um.
Das Savoy war weg.
Vor ihr standen weitere zweistöckige Häuser, die sich perfekt in das Straßenaussehen einordneten. Kein kleiner Platz für die an- und abfahrenden Kutschen, kein blitzender Palast der Sauberkeit, kein höflicher Portier, kein roter Teppich mehr. Es war weg und mit ihm die Gelegenheit Wincent Kantersteg jemals zu fassen oder zu erfahren, wer alles zu diesem Klub gehörte.
Man könnte meinen, es wäre alles nur ein böser Traum gewesen…
Atera blickte in die Richtung der Sonne, die sich gerade anschickte zum Rand hinzurollen. Langsam wanderte die Wächterin die Straße entlang, zurück zum Wachhaus, dem Sonnenuntergang entgegen.
Kommandeur Rince saß an seinem Schreibtisch und sah letzte Berichte durch, als Atera in sein Büro kam.
"Und, was ist passiert?"
"Er ist weg.", sagte Atera nur.
"Wer? Kantersteg? Ist er geflüchtet?", fragte Rince zurück.
"Sozusagen, alles ist weg. Das Savoy, Kantersteg. Ich konnte den Fall nicht lösen."
"Aber du hast herausgefunden, dass er der Täter war?"
"Ja, das habe ich, aber er bleibt ungestraft.", erwiderte Atera.
"Die Wache ist dazu da Fälle aufzuklären, wir blicken hinter die Dinge, aber die Wache ist noch lange nicht so mächtig wie wir sie vielleicht hätten, um die Leute auch zur Verantwortung zu zwingen."
"Es ist trotzdem nicht richtig. Wer weiß, wo er jetzt ist und welche ahnungslosen Personen er im Moment hintergeht.", gab Atera zurück.
"Er ist nicht mehr in Ankh-Morpork, aber vielleicht kommt er ja irgendwann zurück und solange werden wir warten."
"Ja, vielleicht…"
"Was ist das für ein Kärtchen in deinen Händen?"
"Ach, nur so ein Kärtchen." Rince nickte nur und gab ihr das Zeichen zum Wegtreten.
"Gut gemacht.", waren seine letzten Worte, Atera nickte auch, dann salutierte sie und verschwand aus dem Büro. Während sie noch zur Treppe steuerte, hörte sie wieder die laute Stimme von Rince, der nach irgendeinem Gefreiten brüllte.
Letzte Wortfetzen mischten sich in den alltäglichen Bürolärm, irgendwo knallte eine Tür.
"So, Gefreiter, heute ist dein erster Fall dran. Hier, nimm das."
"Äh, soll ich das für dich wegschmeißen, Sir?"
"Das ist dein neuer Umhang, wegen ähm besonderen Untersuchungsbedingungen. Na ja, vielleicht kannst du ihn noch was ausklopfen und abbürsten, aber dann ist er quasi wie nagelneu, hehe."
Die Stimmen wurden langsam leiser, verblassten im Hintergrund, während Atera die Treppe hinunter ging, durch das Wachhaus und vor die Türe trat.
Ihre Hand spielte unbemerkt mit dem kleinen Kärtchen, das sie wieder aus der Tasche geholt hatte. Für einen Moment war sie versucht es zu lesen, doch dann steckte sie es zurück in die Tasche.
Für später.
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