Bisher hat keiner bewertet.
Eine übel zugerichtete Frauenleiche wurde gefunden. Ein einfacher Fall für R.U.M.?
Dafür vergebene Note: 13
Mit einem leisen "Ffffummppp" plumpste eine Rohrpostnachricht auf Tricias unaufgeräumten Schreibtisch und schubste dabei einige der gestapelten Akten auf den Boden, wo sie in einer aufgewirbelten Staubwolke verschwanden. Die Abteilungsleiterin seufzte genervt und öffnete die Nachricht.
Hi Tric! Komm doch mal bitte ins Leichenschauhaus, wir haben hier was für R.U.M.
Beste Grüße, Pismire
Schon beim Gedanken an die Leichenhalle verzog Tricia das Gesicht. Auch wenn bei R.U.M. der Mord ihr tägliches Geschäft war, konnte sie sich doch an den Anblick von Leichen nie so recht gewöhnen. Aber so wie es aussah würde sie diesmal nicht davonkommen. Ihre Stellvertreterin war selbst unterwegs und bevor sie den Fall jemandem zuteilen konnte, mußte sie sich das Ganze schon mal selbst ansehen.
"Ja und siehst du dann noch diese Spuren hier? Diese Leiche ist nicht nur ermodet worden, die wurde regelrecht zerfetzt. Armes Ding", Pismire zeigte auf eine Frauenleiche, die nackt auf einem Metalltisch in der Leichenhalle lag. Würgend drehte sich Tricia weg und versuchte ihr Mittagessen im Magen zu behalten. Seit sie die Arbeit bei R.U.M. machte hatte sie sich immer gern um Besuche im Leichenschauhaus gedrückt, aber jetzt als Abteilungsleiterin war das nicht mehr so einfach möglich.
"Ja, ist ok. Aber warum muss ich mir das ansehen? Hätte da ein Bericht nicht gereicht?", fragte sie ihn mit erstickter Stimme.
"Naja, ich dachte nur, weil wir vor einigen Wochen einen ähnlichen Fall hatten. Vielleicht haben die ja was miteinander zu tun?"
Überrascht drehte sich Tricia zu Pismire um.
"Wie, einen ähnlichen Fall? Warum hat mir keiner Bescheid gesagt?"
"Aber, ich hab doch eine Nachricht geschickt. Mit einer Taube"
"Aber ich hab nichts bekommen", Tricia zuckte ratlos die Achseln. "Vielleicht hat einer der Wasserspeier der Stadt Hunger bekommen. Wir sollten bei solchen Sachen nur die Rohrpost verwenden." In Gedanken machte sie eine Notiz, dass sie das Rince bei Gelegenheit sagen sollte. In letzter Zeit schien die Taubenkommunikation stark unter dem Appetit der örtlichen Wasserspeier zu leiden.
"Na, wie auch immer, schick den fertigen Bericht zu mir rüber, wenn's so weit ist. Haben wir die Dame denn schon identifiziert?"
"Nicht direkt", Pismire holte etwas aus einer Schublade unter dem Tisch. "Aber das hier wurde bei der Leiche gefunden, vielleicht kannst du da noch etwas rausfinden."
Tricia nahm den Anhänger in die Hand und schaute ihn genau an. Der kleine Anhänger war an einer dünnen Goldkette befestigt und sah aus wie ein Auge. In der Mitte, wo bei einem echten Auge die Pupille sitzen müßte, war ein kleiner Diamant eingesetzt, der im grellen Licht der Leichenhalle glitzernd funkelte.
"Mal sehen, ich werd mich drum kümmern. Dann noch'n schönen Tag."
Nachdenklich schlenderte Tricia durch Ankh-Morpork, auf dem Weg zu einem bekannten Juwelier, der für die Wache schon öfter Gutachten über Schmuckstücke angefertigt hatte. Im Laden von Charles Poulez standen mehrere dicke Damen der feinen Gesellschaft und betrachteten aufgeregt schnatternd die ausgestellten Juwelen. Auf samtenen Kissen lagen in mehren glasbedeckten Vitrinen glitzernden Schmuchstücke. Ringe, Ketten, Ohrringe und Anhänger glänzten in allen Farben das Regenbogens und dicke Finger von noch dickeren Frauen versuchten die zarten Kostbarkeiten über ihre wurstartigen Extremitäten zu zwängen. Als die hölzerne Ladentür mit einem vornehmen "Klingklong" geöffnet wurde, erstarrten die Ladies. Herein trat Tricia in ihrer relativ sauberen, schon mehrere Tage getragenen Wächteruniform. Entsetzt rümpften die Damen die Nase und schauten die Wächterin mißbilligend an. Leise begannen sie zu tuscheln.
"Monsieur Poulez, kann ich mal kurz mit ihnen sprechen?", rief Tricia mit lauter Stimme in den Raum hinein.
Inmitten der dicken Ladies tauchte ein kleiner wieselartiger Mann auf, der Tricia nervös in ein angrenzendes Zimmer winkte.
"Madame, sie wissen doch, ich helfe der Wache gern, aber bitte, ich flehe sie an, benutzen sie doch in Zukunft den Hintereingang. Sie sehen doch, wie meine Kunden reagieren", er sah mit großen Augen zu der mindestens einen Kopf größeren Tricia auf.
"Jaja, aber wenn ihnen was geklaut wird, wären wir wieder gut genug", brummte Tricia mißmutig. "Ist ja jetzt auch egal, ich brauche ihren Rat, können sie mir sagen, wer das hergestellt hat?" Sie schob ihm vorsichtig den kleinen Anhänger über den Tisch, den Pismire bei der Toten gefunden hatte.
Neugierig beugte der Juwelier sich über das Schmuckstück und klemmte sich eine Lupe ins Auge. Prüfend hob er den Anhänger hoch und untersuchte ihn genau.
"Nun, ich würde sagen, diese Arbeit stammt nicht aus Ankh-Morpork. Der Stil ist eindeutig tsortanisch, würde ich sagen. Der Diamant dürfte aus der Spitzhornberge stammen, genauso wie das Gold. Die Verarbeitung wird aber wohl in Tsort erfolgt sein, vermute ich."
"Das können sie alles aus diesem Stück Gold herauslesen?" Tricia war beeindruckt.
"Hm, man könnte sagen diese Prägung hat mir etwas geholfen", verlegen grinsend zeigte der Schmuckhändler auf einen winzigen, mit bloßem Augen kaum zu erkennenden Stempel.
"Ali Ilab, Juwelen und mehr, Tsort", entzifferte Tricia mühsam.
"Haha, sehr witzig", sie schnitt eine genervte Grimasse. "Wo könnte man denn hier in der Stadt so etwas kaufen?"
"Also, noch vor einigen Jahren hat eine gewisse Lady Joy diese Dinge importiert, aber so weit ich weiß nicht zum Verkauf, sondern als Schmuck für ihre äh, naja, ähm, Angestellten", druckste der Juwelier und errötete bis zu den abstehenden Ohren.
"Jetzt rücken sie schon mit der Sprache raus. Was für Angestellte?"
"Nun ja, also, äh, also, Näherinnnen", platzte er heraus.
"Ah, sie an, und wo finde ich diese, wie heißt sie noch, Lady Joy?"
"Ihre letzte Adresse war die Straße der Faihrgnügen"
Mit einem freundlichen Nicken verließ Tricia das Geschäft und konnte sich aber nicht verkneifen, direkt durch den Laden zu gehen, um nochmal die entsetzten Blicke der feinen Damen zu sehen.
Zurück in ihrem Büro sah sich Tricia erstmal die Aufzeichnungen über Lady Joys Club an, die sie von Mücke angefordert hatte. Anscheinend war dieses Etablissement einer der feineren Clubs. Nach den Angaben, die Lady Joy der Näherinnengilde gegenüber gemacht hatte, bestand der Hauptteil ihrer Arbeit im "Äskohrt-Sörwis". Ihre "Damen" begleiteten reiche Adlige oder Geschäftsleute zu Theaterbesuchen, Ausstellungen und Parties. Interessant fand Tricia aber etwas ganz anderes. Nachdem der Bericht von Pismire eingetroffen war, war klar, dass die Leiche schon ungefähr drei Tage tot war. War das nicht ungewöhnlich, dass Lady Joy da nicht eine Vermißtenmeldung gemacht hatte, fragte sich Tricia. Normalerweise waren die Leiterinnen von Häusern käuflicher Zuneigung sehr auf den Schutz und das Wohlergehen ihrer Angestellten bedacht, waren diese doch ihre Einnahmequelle. Irgendwas stimmte da ganz und gar nicht, stellte Tricia fest und machte sich auf den Weg über den Gang in Rince Büro.
Nachdem sie ihm den Fall erklärt hatte, hatte ihr Vorgesetzter zugestimmt, dass sie ihn selbst übernahm. Sie hatten vereinbart, dass sie drei Wochen lang vom offiziellen Dienst freigestellt wurde, um sich in aller Ruhe in Lady Joys Club einschleusen zu können. Sie war zwar nicht sonderlich begeistert, wieder in der Näherinnenszene zu ermitteln, aber als Wächter konnte man sich die Arbeit eben nicht immer aussuchen. In Gedanken versunken marschierte sie zurück in ihre Wohnung und dachte nach. Was sie Rince nicht gesagt hatte, als sie um die Zuteilung des Falls gebeten hatte, war, dass sie die Vermutung hatte, dass die vage Chance bestand, so etwas über die verschwundene Mutter von Wolf (siehe Fall "Schatten im Mondlicht") herauszufinden. Auch sie war als Näherin tätig gewesen und schrecklich verstümmelt wieder aufgefunden worden. Klar, dieser Fall lag inzwischen schon beinahe 10 Jahre zurück, aber Tricia wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht konnte sie Wolf von seiner Racheidee abbringen, wenn sie es schaffte, die Mörder seiner Mutter offiziell vor Gericht zu bringen. In ihrer Wohnung packte sie eine kleine Reisetasche voll mit dem Allernötigsten, wie Zahnbürste etc. Bei jedem Kleidungsstück achtete sie sorgfältig darauf, dass nichts irgendeine Verbindung zur Wache zeigen konnte. Nach einem kleinen Abstecher bei ihrem Frisör war sie kaum mehr wiederzuerkennen. Ihre vorher braunen Haare, fielen in großen, kastanienroten Locken über ihren Rücken. Angezogen war sie mit einem schlichten grünen Kleid, das ihre ebenfalls grünen Augen zum Leuchten brachte. Mit einem Seufzen machte sie sich auf den Weg in die Straße der Faihrgnügen und überlegte, wie sie wohl bei Lady Joy anheuern könnte.
In Gedanken versunken, stand sie einige Meter vom Club entfernt. Das Haus war weiß gestrichen, mit einer kleinen Treppe zur dunkelroten Eingangstür. Saubere Fenster blitzen zur Straßenseite und putzige Erkerchen saßen auf dem ziegelroten Dach. Eindeutig war das hier eine "bessere Adresse", stellte Tricia insgeheim fest. Nachdenklich schlenderte sie die Straße entlang. Wie sollte sie ihr Interesse an der Arbeit im Club erklären? Und vor allem, wie hatte sie denn angeblich von dem Club erfahren? Soweit sie das aus den Akten ersehen konnte, war es eine unheimlich geheime Adresse, die nur eine Handvoll Kunden hatte. Da konnte sie ja schlecht reinmarschieren und behaupten irgendein Barkeeper hätte ihr den Tip gegeben. Noch während sie sich den Kopf zerbrach, schoss plötzlich ein mittelgroßer Pferdekarren aus der Gasse hinter ihr. Der Kutscher schrie verzweifelt auf die zwei Pferde ein, die mit ihm und dem Wagen durchgegangen waren. Tricia schrak durch das Geschrei auf um und wollte noch zur Seite springen, doch da war es schon zu spät. Die Pferde stürmten mit wild schlagenden Hufen vorbei und der schlingernde Wagen traf sie hart. Sie wurde einige Meter weit zur Seite geschleudert, wo sie reglos liegenblieb. Aus einer kleinen Wunde an der Schläfe lief etwas Blut über ihre Wange.
"Sie kommt zu sich"
"Nein, sie hat sich nur etwas bewegt"
"Aber nein, sieh doch genau hin, ihre Augenlieder bewegen sich"
Tricia stöhnte und öffnete vorsichtig die Augen. Nach einiger Zeit waren die Sterne soweit verschwunden, dass sie einen Teil des Zimmers erkennen konnte, in dem sie lag. Alles war mit dunkelrotem Samt ausgeschlagen und ihr Kopf lag in einem riesigem, weichen, weißen Kopfkissen. Vorsichtig versuchte sie den Kopf so weit zu drehen, damit sie die Besitzer der Stimmen sehen konnte, die sie vorher gehört hatte. Das Vorhaben gab sie aber schnell wieder auf, als ihr Kopf wieder furchtbar zu schmerzen zu begann.
"Oh Kindchen, sei vorsichtig. Du bist verletzt."
"Wer sind sie? Und wie bin ich hier hergekommen?", flüsterte Tricia mit vor Schmerzen verzerrtem Gesicht.
"Mein Name ist Joy. Und wir haben dich vorne an der Straße gefunden, anscheinend hat dich jemand angefahren und einfach liegenlassen. Was wolltest du denn hier?"
"Ich ... ich ... ich weiß es nicht", Tricia hatte das Gefühl, als ob eine Welt über ihr zusammenbrach. Sie konnte sich nicht erinnern.
"Dann sag uns erstmal deinen Namen, dann werden wir schon rausfinden, wo du hingehörst"
"Mein Name", Tricia drehte die Wort in ihrem Kopf herum, aber alles, was sie fühlte war Leere. Sie begann haltlos zu schluchzen. "Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wer ich bin."
Nach einigen Minuten war Tricia wieder eingeschlafen und Traumfetzen zuckten vor ihrem inneren Auge hin und her. Waffen, Gesichter, Papier. Ein schnell wechselndes Bildermeer aus Dingen, die ihr irgendwie bekannt vorkamen, denen sie aber keine echte Bedeutung zuordnen konnte. Irgendwann wurde die Träume weniger und die Wächterin fiel in einen traumlosen Schlaf.
"Was machen wir mit ihr?", fragte eines des Mädchen an Tricias Bett, die Frau, die sich ihr mit Joy vorgestellt hatte.
"Wir behalten sie erstmal. Wenn sie sich wirklich an nichts aus ihrem früheren Leben erinnern kann, ist sie sicher keine schlechte Arbeitskraft", lachte die Frau. "Holt ihr etwas zum Anziehen, damit sie nicht in ihrem zerrissenen Kleidern herumlaufen muss, wenn sie wieder aufwacht. Und dann bringt sie bitte jemand ins Bad und verarztet ihre Wunden, dass man sie nicht mehr sieht." Joy dreht sich um und ging aus dem Zimmer.
"Verdammt, wie konnte das passieren?", Rince stand vor dem Schreibtisch im Büro des obersten Aufsehers im Ankh-Morporker Hochsicherheitsgefängnis.
"Ich weiß es auch nicht. Wir haben alle Maßnahmen befolgt und trotzdem ist dieser Mann entkommen. Die Kontrollen an den Toren waren immer perfekt und die Wachen waren nie unaufmerksam. Das ist der erste Ausbruch seit Jahren", der Aufseher war den Tränen nahe.
"Das ist mir doch egal was in den letzten Jahren passiert ist, Tatsache ist, dass jetzt ein Mann ausgebrochen ist, von dem wir wissen, dass er gefährlich ist. Dieser Mann ist ein Mörder, und er hat noch ein Opfer vor sich", Rince stampfte in dem Zimmer auf und ab. "Wir müssen ihn unbedingt wieder finden."
"Aber ... ist das nicht ein bißchen ... wenig?", unsicher stand Tricia vor einem zimmerhohen Spiegel und versuchte möglichst viel Gewand über Brust und Beine zu ziehen. Zwei von Lady Joys Mädchen zupften an ihr herum und versuchten, sie davon zu überzeugen, dass das Kleid genau richtig für sie wäre. Misstrauisch sah sich Tricia im Spiegel an. Das Kleid war aus hauchdünnem Seidenstoff in schimmernden Orange- und Rottönen, die ihr rotes Haar wie leuchtend erscheinen ließen. Der Ausschnitt war tief und gewährte für Tricias Geschmack viel zu tiefe Einblicke, ebenso wie die Seitenschlitze, die bei jedem Schritt fast das gesamte Bein zeigten. Die Mädchen hatten sie leicht geschminkt, so dass ihre grünen Augen betont wurden und viel größer als je zuvor aussahen. Ihre Wangen hatten einen leicht rötlichen Schimmer erhalten, so dass sie aussah, als ob sie gerade nach einem schnellen Lauf zum Stehen gekommen und noch nicht wieder zu Atem gekommen wäre. Nach einem leisen Klopfen trat Joy ein und bewunderte Tricia lautstark.
"Meine Liebe, du siehst bezaubernd aus. Wie eine junge Baumnymphe. Ganz entzückend."
"Wieso tun sie das für mich, sie kennen mich doch gar nicht?", wollte Tricia von der hageren, älteren Frau wissen.
"Ah, ich habe gute Nachrichten für dich. Wir wissen jetzt, wer du bist."
"Wirklich? Wie heiße ich und was mache ich hier?", mit schnellen Schritten stand Tricia neben Joy und packte sie überrascht am Arm. "Wer bin ich?"
"Also, dein Name ist Kathryn Graene. Du wolltest bei uns arbeiten, aber wir hatten dich erst für nächste Woche erwartet. Anscheinend bist du eher angereist und hattest diesen bedauernswerten Unfall, kurz bevor du am Ziel angelangt warst."
"Kathryn Graene", Tricia sprach den Namen bedächtig aus. Sie schien in im Kopf hin und her zu drehen und von allen Seiten zu betrachten, wie ein Forscher eine seltene Käferart. "Irgendwie klingt der Name vertraut, aber ob es wirklich meiner ist, kann ich nicht sagen. Er weckt überhaupt keine Erinnerungen", mit Tränen in den Augen setzte sie sich auf eine der herumstehenden Liegen.
Joy nahm vorsichtig neben ihr Platz. "Vielleicht möchtest du dich auch ganz einfach nicht mehr erinnern? Ich habe versucht, deine Eltern zu erreichen, aber wie mir mitgeteilt wurde, ist eure Familie vor einigen Tagen überfallen worden. Du bist die einzige Überlebende. Du musst jetzt stark sein." Tröstend legte sie Kathryn den Arm um die Schultern.
"Meine Familie ... sie ... tot? ... Alle? Ich bin ... ganz allein?", schluchzte Kathryn.
"Es tut mir so leid", leise sprach Joy beruhigend auf sie ein. "Aber wir werden gut für dich sorgen." Hinter Kathryns Rücken gab sie einem der Mädchen einen Wink, ihr ein kleines Fläschchen mit winzigen durchsichtigen Kügelchen zu bringen.
Endlich war er frei, frei und bereit für die Rache. Zwei Opfer musste es treffen. Zwei, die sein Leben zerstört hatten, zwei für die es keine Gnade geben konnte.
Joy Bardille sass in ihrem Büro und lächelte. Die große, hagere Frau Anfang 50 war mit der Welt wieder im Reinen. Nachdem vor einigen Tagen der bedauernswerte Unfall eingetreten war, hatte sie schon befürchtet, auf die schnelle keinen passenden Ersatz finden zu können. Ihr Etablissement war eines der vornehmsten in Ankh-Morpork und gerade nächste Woche war wieder eine besondere Veranstaltung im Haus von Baron Goldstein geplant. Dieses neue Mädchen war dafür geradezu perfekt geeignet. Sie war hübsch und der Gedächtnisverlust war ein Geschenk Gottes. Joy beglückwünschte sich selbst zu diesem klugen Einfall mit der Geschichte über ihre Herkunft. So würde die frischgetaufte Kathryn glücklich über ein neues Zuhause sein und nicht mehr grübeln, wer sie war und woher sie kam. Und wenn die Veranstaltung so lief, wie die letzten, dann würde Kathryn nicht mehr lange um ihre Herkunft bangen müssen. Joy lachte fröhlich.
"Nein, nein, nein. Du musst erst das rechte Bein vor schieben, dann das linke, dann einmal drehen und dann die Hüfte", Camille, die Tanzlehrerin bei Joy's Club versuchte nun schon seit drei geschlagenen Stunden Kathryn in die Geheimnisse des Bauchtanzes einzuweihen.
"Ich kapier das nie. Ich komm mir vor, wie ein Stück Holz. Das ist einfach nichts für mich", jammerte Kathryn und setzte sich trotzig auf den Boden. "Ich bin keine Tänzerin."
"Jetzt lass dich nicht so hängen und steh auf", Camille pochte mit ihrem kleinen Stäbchen auf den Boden. "Die anderen haben es gelernt, dann wirst du es auch schaffen. Und nochmal von vorn", mit einem Nicken gab sie dem Pianisten das Zeichen zum Einsatz und zog Kathryn vom Boden hoch.
Einige Stunden später sass Kathryn in Joys Büro und hörte gespannt zu, was diese ihr sagte.
"Und du siehst also, dass wir den Männern nur ein bisschen Unterhaltung bieten wollen. Du redest nett mit ihnen, tanzt für sie und verhilfst ihnen zu einem schönen Abend. Wir werden noch mit dir üben diese Woche und nächste Woche wirst du zu Baron xxx's Fest gehen und dort seine Begleitung sein. Das ist sehr verantwortungsvoll und wichtig, also streng dich an, lern fleißig und mach uns keine Schande."
"Ich bin sehr froh, dass ich hier sein kann. Ihr seid alle so nett zu mir, wie kann ich euch das je danken?"
"Nur keine Sorge, wenn das Fest nächste Woche ein Erfolg wird, ist das Dank genug. So und jetzt geh in die Sauna und dann mach ein bisschen Sport", mit einem huldvollen Winken entließ sie Kathryn.
Als sie das Zimmer verlassen hatte, trat ein großer dunkelhaariger Mann hinter einem Paravent hervor. Der Mann bewegte sich geschmeidig wie eine Katze und als er zu der gerade zugefallenen Tür sah, leckte er sich genussvoll über die fleischigen Lippen.
"Ist sie das?"
"Ja, Baron, das ist die Dame, die ich für das Fest eures Sohnes ausgesucht habe."
"Ihr wisst, dass das der Geburtstag meines jüngsten Sohnes ist. Ihr habt sehr gut für meine zwei älteren Söhne gesorgt, ich hoffe, dieses Fest wird ein genauso großer Erfolg."
"Ich bin sicher, das wird es", Joy neigte ehrerbietig den Kopf. "Wie geht es denn euren Söhnen? Der Älteste müßte inzwischen schon bald 30 Jahre alt werden, wenn ich nicht irre?"
"Ihr habt ein bemerkenswertes Gedächtnis, Freundin. Er ist auf unser Schloss zurückgekehrt und überwacht die dortigen Besitzungen. Mein Zweitältester ist zu einer Reise aufgebrochen und der Sohn dessen Volljährigkeit wir letzte Woche feierten, wird demnächst die Assassinenschule beenden. Ihr seht, ich habe allen Grund auf meine Familie stolz zu sein."
"In der Tat", lächelte Joy.
"Nun, ich muss weiter. Das Mädchen ist perfekt für meinen Sohn", mit einer eleganten Handbewegung glitt er zur Tür und verschwand leise.
Joy lehnte sich im Sessel zurück und genoss den Gedanken an das Geld, das viele Geld, das sie erhalten würde, wenn das Fest nächste Woche ein Erfolg wurde.
In einer dunklen Gasse lauerte ein Mann einem Betrunkenen auf. Als der torkelnde Mann gerade an dem Lauernden vorbeigestoplert war, sprang er ihm nach und schlug ihn nieder. Als der Mann auf dem Boden lag, durchsuchte er schnell dessen Taschen, nahm sein Messer an sich und zog ihm Hemd und Hose aus. Endlich raus aus den Gefängnisklamotten und wieder ein richtiger Mensch sein. Der Mann atmete tief durch und lief dann weiter. Sein nächster Weg führte ihn in eine schmutzige Kneipe, wo er dem Barkeeper mehrere der gerade gestohlenen Scheine über den Tresen schob. Nachdem dieser die Geldscheine misstrauisch begutachtet hatte, winkte er ihn in ein winziges Hinterzimmer. Die Männer dort rauchten, tranken und fluchten. Ein dicker Dunst aus Rauchschleiern wogte in der heißen Luft hin und her. Gespräch fanden kaum statt, nur von Zeit zu Zeit warf einer der Männer ein Schimpfwort in den Raum oder fluchte ausgiebig. Der Mann setzte sich an den Tisch und warf einen Stapel Geldschein in die Mitte. Kurz sahen in die anderen an, dann nickten sie und das Spiel begann. Grosse Mengen von Geld wechselten die Besitzer und komischerweise endete das meiste davon auf dem Platz des Mannes der zuletzt hinzu gekommen war.
Kathryn sass in einer Wanne mit heißem Wasser und dachte nach. Immer noch hatte sie keinerlei Erinnerung an ihr Leben bevor sie zu Lady Joy gekommen war. Alle waren hier so freundlich zu ihr und kümmerten sich um sie, und anscheinend hatte sie ja wirklich vorgehabt, hierher zu kommen. Trotzdem war sie unsicher. Irgendwie schien alles nicht zueinander zu passen. Nachts träumte sie von Verfolgungsjagden, sie sah sich selbst mit Männern kämpfen und anderen Leuten Befehle erteilen. Sie hatte Waffen vor Augen und Tote. Dann wieder Menschen, die sie um Hilfe baten. Mutlos schüttelte sie den Kopf. Solange ihre Erinnerung nicht wieder zurückkehrte, würde sie weiterhin auf Lady Joy und ihre Muttropfen vertrauen. Diese kleinen Tröpfchen hatte Joy ihr gegeben, als sie ihr das erste Mal von den Albträumen erzählt hatte. Immer wenn sie sie nahm, fühlte sie sich so schwerelos und leicht. Das Leben erschien ihr wie ein Spiel und es schien egal zu sein, wer sie war. Dann war nur noch das weiche Bett wichtig und dass sie hier ein Heim gefunden hatte. In diesen Stunden fühlte sie sich so lebendig wie sonst nie. Sie war energiegeladen und fröhlich, sprühte vor Charme und scherzte mit den anderen Mädchen. In letzter Zeit ertappte sie sich dabei, wie sie immer mehr von den Tropfen nahm, auch unter Tags. Lady Joy hatte ihr gesagt, die Tropfen wären rein pflanzlich und keinesfalls schädlich und sie ermuntert, so viele zu nehmen, wie sie brauchte, um sich wohl zu fühlen. Doch manchmal hatte sie das Gefühl, diese Tropfen würden sie verändern. Sie hatte dann kein Bedürfnis mehr, herauszufinden, wer sie war. Sie nahm Kathryn als ihre wahre Identität an und hatte kein Interesse daran mehr jemand anders zu sein. In wachen Stunden, wenn sie keine Tropfen genommen hatte, bezweifelte sie, ob sie das richtige tat. Aber dann stellte sich wieder die altbekannte Frage: Wohin sollte sie denn gehen, wenn sie nicht einmal genau wusste, wer sie war. Da war es doch einfacher, bei Lady Joy zu bleiben und die Tropfen zu nehmen, bis sie sich wieder wohl fühlte.
"Du spielst falsch, Fremder", einer der Männer am Tisch schob sich seinen Hut in den Nacken und legte mit einer blitzschnellen Bewegung seine Hand auf den Geldstapel, den der Gewinner gerade auf seinen Platz ziehen wollte. Langsam sah der vom Tisch auf und bedachte den Mann mit einem Blick, der Berge zum Verglühen gebracht hätte. Die anderen am Tisch spannten sich und ihre Hände wanderte langsam dorthin, wo jeder seine Waffe versteckt hatte. Die Luft knisterte förmlich vor Aggression und die Mäuse, die in einer Ecke des Raumes nach Nahrung gesucht hatten, huschten erschrocken wieder in ihr Loch zurück, von wo aus sie mit zitternden Bartspitzen das Geschehen weiter verfolgten.
"Und was willst du dagegen machen, Amigo?", antwortete der Mann langsam. Wie von einer Armbrust abgeschossen sprang er plötzlich auf, riss den Geldhaufen an sich und zog das Messer, das er dem Betrunkenen vorher gestohlen hatte.
"Ich werde jetzt gehen und das Geld nehme ich mit. Sayonara, Freunde", er grinste in die Runde.
"Du wirst nirgendwohin gehen", der Mann, der ihn des Falschspielens beschuldigt hatte, war auch aufgestanden und nahm eine geduckte Haltung ein. Er hatte ebenfalls ein Messer gezogen und stand lauernd vor der Ausgangstür. Mit eine blitzschnellen Bewegung fuhr der Mann herum, warf sein Messer in Richtung Tür und zog noch in der Bewegung seinem Nachbarn das Messer aus dem Gürtel. Mit einem fließenden Wurf fand auch dieses Messer sein Ziel. Nachdem zweimal das Geräusch von Eisen erklungen war, das in Holz steckenbleibt, sah der Mann sich um. Die anderen Spieler waren wie erstarrt auf ihren Sitzen und konnten ihre Blicke nicht von dem Mann an der Tür wenden. Die erhobene Wurfhand mit dem Messer war regelrecht an der Tür festgenagelt. Der Mann war kreidebleich und sah aus, als ob er gerade einem Dämon der Hölle ins Gesicht gesehen hatte. Das zweite Messer steckte nur wenige Millimeter neben seinem Hals im Holz.
"Zwing mich nicht, noch ein Messer in die Hand zu nehmen", der Fremde ging langsam um den Tisch herum und verließ unbehelligt den Raum.
Baron Goldstein begutachtete zufrieden die Dekoration für die Geburtstagparty seines jüngsten Sohnes. Endlich waren alle seine Kinder erwachsen. Auch dieser Sohn würde in sein neues Leben als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft auf die traditionelle Weise eingeführt werden. Beim Gedanken an das rothaarige Mädchen, das für seinen Sohn bestimmt war, musste der Baron lächeln. Sie war genau richtig für seinen Sohn. Durchtrainiert, schlank und hübsch. Er würde bestimmt viel Freude mit ihr haben. Die Einladungen waren verschickt und alle würden sie kommen. Es würde ein rauschendes Fest werden, da war sich der Baron sicher. Natürlich würde es auch sehr kostspoieleig werden, keine Frage, auch das Mädchen von Lady Joy hatte schließlich einen hohen Preis, aber welches schönere Geschenk konnte man einem jungen Knaben denn machen, als ein Fest und eine Frau. Der Baron schmuzelte, als er sich an seine Volljährigkeitsfeier erinnerte. In Gedanken versunken wanderte er durch den Ballsaal und in seinen Gedanken funkelten die Kerzenleuchter und prächtig gekleidete Menschen tanzten zur Musik eines Orchesters. Beschwingt probierte er einige Tanzschritte, bevor er wieder zurück in seine Gemächer ging, um sich von seinem Diener für die Gesellschaft ankleiden zu lassen.
Mit dem Geld kaufte der Mann bei einigen alten Bekannten Waffen und Kleidung ein. Bei anderen kaufte er Informationen und die waren noch wesentlich teurer als Metall und Leder. Allmählich ging der Gewinn zur Neige, doch dann hatte er endlich gehört, was er wissen wollte. Heute abend schon war es soweit. Alle würden sie dort sein und endlich konnte die Rache beginnen. Doch zuvor mußte er noch etwas anderes erledigen. Es war noch eine alte Rechnung offen. Jemand, dem er bedingungslos vertraut hatte und der sein Vertrauen mißbraucht hatte, wollte er heute noch einmal begegnen. Er schlenderte durch die Stadt, bis er zu einem kleinen Haus kam. Im Erdgeschoß lag sein Ziel. Unsichtbar in der dunklen Nacht, pirschte er sich ans Fenster und drückte mit einer stoffumwickelten Hand das Fenster aus dem Rahmen. Leise klirrte es in dem Zimmer, als das Glas auf den Boden fiel. Er sprang mit einem satz über das Fensterbrett und landete geduckt auf allen Vieren in dem Zimmer. Vorsichtig sah er sich um. Alles sah verlassen aus. Nichts lag herum und die Luft roch, als ob sie einige Tage in dem Zimmer gestanden hätte. Auf Zehenspitzen ging er zu dem angrenzenden Schlafzimmer. Behutsam öffnete er die Tür und lauschte. Doch er hörte nichts. Hier war niemand. Ärgerlich drehte er sich um und beugte sich über den Holztisch im Wohnzimmer. Als er wieder aufstand und den Raum durchs Fenster verließ, zuckte ein winziger Strahl silbrigen Mondlichts in das Zimmer und die Tischplatte lag für einen winzigen Moment gut sichtbar im Licht. Zu sehen war die eingeritzte Zeichnung eines Wolfes. Eines Wolfes, der böse und hungrig dreinschaute. Und der einer ängstlich aussehenden Frau gegenüber stand, die eine Wächteruniform trug.
"Kathryn, du siehst bezaubernd aus, einfach be-zau-bernd!", Lady Joy schwärmte in den höchsten Tönen als sie ihr Findelkind begutachtete. Dann beugte sie sich über eine kleine Schatulle aus schwarzem Holz und holte eine Kette hervor. Sie drehte sich wieder zu Kathryn um.
"Du bist jetzt eines von meinen Mädchen und jeder soll das sehen. Trag diesen Anhänger, damit alle es wissen", sie näherte sich Kathryn und wollte ihr die Kette umhängen. Das Mädchen schaute neugierig auf die Kette und als sie sie deutlich sehen konnte, schrie sie plötzlich entsetzt auf. Eine Bilderflut stürmte durch ihren Kopf. Eine Frau, tot, leichenweiß, Blut, Metall, der Geruch nach Tod. Sie brach in Tränen aus und kauerte sich in einer Ecke des Raumes zusammen. Joy sah sie verwirrt an und strich ihr dann leicht übers Haar.
"Was hast du denn, mein Mädchen? Hier tut dir doch niemand etwas?"
"Es, ich, ich habe dieses Auge schon einmal gesehen, aber ich ... ich kann mich nicht genau erinnern", stammelte Kathryn und schaute den Anhänger entsetzt an.
"Ich bin sicher, da verwechselst du etwas. Komm, wir müssen dich für heute abend vorbereiten.", mit einer winzigen Handbewegung schüttelte sie mehrere kleine durchsichtige Perlen in ein Glas mit Wasser und gab es Kathryn zu trinken. Kaum eine Minute später wurden Kathryns Gesichtszüge weicher und sie hörte auf zu weinen. Gehorsam stand sie auf und ließ sich von Lady Joy den Anhänger umlegen. Dann lachte sie fröhlich und verließ das Zimmer.
Der Mann stand nicht weit von dem Haus Baron Goldsteins entfernt. Er war bereit, sobald das Fest in vollen Zügen war, würde er zuschlagen und dann würde die Party erst richtig lustig werden.
Kathryn setzte sich vorsichtig in die Kutsche vor Lady Joys Club. Ihr weißes Kleide hatte eine Schleppe, die sich immerzu irgendwo zu verhaken drohte und so mußte sie immer langsam gehen und sich ständig umsehen, ob ihr Kleid in Ordnung war. Im Gegensatz zu den anderen Gewändern, die ihr Lady Joy sonst gegen hatte, fand sie dieses hier wirklich schön. Es war aus schimmerndem weißen Satin, mit silbernen Ranken bestickt. Die Ärmel waren lang und der Auschnitt dieses Mal auch nicht so tief wie sonst. Lady Joy hatte ihre erklärt, dass sie das Geschenk für den jüngsten Sohn eines Barons wäre und diesen an seiner Geburtstagfeier unterhalten müßte. Nervös sah sie durch die kleinen Fenster der holpernden Kutsche. Was sollte sie nur tun, wenn er sie nach ihrer Kindheit fragte oder woher sie kam? Sie konnte sich doch an nichts mehr erinnern. Immer mehr Dinge fielen ihr ein, die schief gehen konnten und auf einmal war ihr richtig schlecht vor Angst. Mit fliegenden Fingern kramte sie in ihrem kleinen Abendtäschchen nach dem Fläschchen mit den Tropfen. Als sie sie nicht auf Anhieb finden konnte, wurde sie immer fahriger und gehetzter. Schließlich stülpte sie die Tasche um, so dass der Gesamte Inhalt auf den Kutschenboden fiel, wo er munter im Takt der Schlaglöcher umher hüpfte. Doch ihr Fläschchen mit den Tropfen war nicht darunter. Gerade, als sie den Kutscher anweisen wollte, hielt ihr Gefährt und ein Fremder öffnete die Tür.
Baron Goldstein hatte die Kutsche schon von weitem kommen sehen. Der Weg zu seinem Anwesen führte über einen Hügel mit einer jahrhundertealten Allee. In einer lauen Sommernacht konnte man von der Anhöhe auf das quirlende und brodelnde Ankh-Morpork herabsehen und sich in der Sicherheit wiegen, hier eine klarere und weichere Luft zu atmen. Der Kutscher fuhr unsanft und hielt mit einer Vollbremsung vor dem roten Teppich an. Der Baron kam näher und öffnete die Kutsche in froher Erwartung. Umso überraschter war er, als er ein ziemlich nervöses Mädchen inmitten von Lippenstift, Taschentüchern und sontigen Handtascheninhalt auf dem Boden der Kutsche sitzen sah.
"Äh, ihr müßt Kathryn sein?", fragte er verdutzt.
Kathryn war noch viel zu erschrocken von dem plötzlichen Ende der Reise, um antworten zu können, also nickte sie nur stumm. Dann begann sie hektisch ihre Sachen aufzusammeln und schimpfte innerlich mit sich. Was würde das für einen Eindruck geben, wenn sie hier so aufgelöst ankam und auf dem Boden der Kutsche saß. Der Baron mußte ja denken, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Hoffentlich erzählte er das nicht Lady Joy. Sie zwang sich zu einem strahlenden Lächeln.
"Baron, ich bin hocherfreut, euch endlich kennenzulernen. Leider hat sich mein Täschchen während der fahrt selbstständig gemacht, verzeiht mir, dass ich so aufgelöst hier angekommen bin."
Der Baron nickte gönnerhaft und reichte ihr den Arm, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Gemeinsam betraten sie das Schloß und er führte sie zu seinem jüngsten Sohn Silius.
"Madame Kathryn, mein Sohn Silius. Heute seid ihr sein Geschenk und ich hoffe ihr unterhaltet euch gut", mit diesen Worten reicht er ihre Hand seinem Sohn und verschwand dann im Ballsaal, um das Abenddinner einzuläuten.
"Kathryn, ich bin hocherfreut eure Bekanntschaft machen zu dürfen", der jüngste Baron Goldstein verbeute sich galant vor Kathryn.
Zusammen betraten sie das Speisezimmer, wo die Diener schon emsig mit dem Auftragen diversester Leckereien beschäftigt waren. Silberne Kerzenleuchter ließen das weiße Porzellan und die Kristallgläser um die Wette funkeln. Dazu noch das Strahlen der Juwelen der anwesenden Damen. Kathryn verschlug es schier den Atem vor lauter Pracht. Eine dunkelrote Damasttischdecke lag über der mehrere Meter langen Tafel, an der die Gäste saßen. Kathryn und ihr Begleiter saßen am Kopfende, sie dass sie einen wunderbaren Blick über die anderen Gäste hatte. Am Fuß einer Freitreppe, die hinter Kathryn in die oberen Stockwerke führte, war ein Orchester aufgebaut, das die Feiernden mit leiser Musik verwöhnte. Für jeden Gast war ein Diener im Raum, der sich bemühte, alle Wünsche zu erfüllen, noch bevor sie geäußert wurden. Der Abend verstrich. Nach dem Esesn wurde getanzt, im Ballsaal drehten sich die Paare über den blanken Boden und die bunten Kleider wurden von den Spiegeln an der Wand reflektiert. Wie durch ein Wunder tanzen Kathryn und der jüngste Baron zusammen, als ob sie vorher nichts anderes getan hätten. Komischerweise schien er gar nichts viel Interesse daran zu haben mit ihr zu sprechen, eher beobachtete er ihre Bewegungen und schien sich kaum an ihr satt sehen zu können. Doch Kathryn bemerkte von all dem kaum etwas. Immer wieder hatte sie das Gefühl als ob sie träumen würde und das Aufwachen nicht mehr lang dauern könnte. Irgendwann war sie so erschöpft von dem Tanzen, dass sie Silius um eine Pause bat und sich auf den Weg ins Badezimmer machte, um sich etwas zu erfrischen.
"Ah, schau mal, da kommt sie"
"Psst, sei leise, du willst doch nicht, dass sie uns hört?", in einer dunklen Nische auf dem Weg zum Badezimmer hatten sich zwei von Silius Freunden versteckt. Auch sie hatten ein Auge auf die schöne Kathryn geworfen und waren betrunken genug, um zu versuchen, einen Kuss oder auch mehr zu stehlen.
Als Kathryn in ihrem weißen Kleid gerade an ihnen vorbeigegangen war, sprang einer der beiden aus der Nische hervor und hielt sie von hinten fest. Kathryn wußte überhaupt nicht, was gerade geschah. In einer einzigen fließenden Bewegung warf sie sich herum und rammte dem vermeintlichen Angreifer reflexartig den ellbogen an die Kehle. Der japste nach Luft und krümmte sich am Boden zusammen. Der andere, der sich inzwischen vor sie gestellt hatte, war noch zu betrunken um reagieren zu können und bevor er sich versah, hatte sie schon mit beiden Händen seinen Kopf ergriffen und ihn Bekanntschaft mit ihrem Knie machen lassen. Als auch er keuschen am Boden lag, kam sie wieder zu sich und sah sich überrascht um. Für einen Moment hatte sie genau gemußt, was sie zu tun hatte. Sie hatte nicht nachgedacht, einfach gehandelt. Erschrocken rannte sie ins Badezimmer und verriegelte die Tür hinter sich.
Silius wartete inzwischen ungeduldig im Ballsaal auf Kathryns Rückkehr. Immer wieder sah er auf die große Uhr über dem Orchester, deren Zeiger immer weiter auf Mitternacht zuwanderte. Schließlich wurde es ihm zu dumm und er machte sich auf den Weg Richtung Badezimmer. Im Gang davor traf er auf seine beiden Freunde, die aussahen, als wären sie gegen eine Mauer gelaufen. Die beiden saßen an der Wand und bemitleideten sich gegenseitig.
"Was ist denn mit euch beiden passiert? Seid ihr besoffen eine Treppe hinunter gefallen?", scherzte er.
"Haha, unheimlich lustig. Das war deine Hübsche. Seid da hernach mal vorsichtig, die hats faustdick hinter den Ohren", sagte der Größere der beiden.
"Wieso, was hat Kathryn damit zu tun?", fragte Silius überrascht.
"Naja, wir wollten nur mal einen Scherz machen und Siegmund hat sie festgehalten, und das ist das Ergebnis. Die Kleine ist eine echte Wildkatze, da mußt du dich in Acht nehmen", grinste ihn Gottlieb an.
"Eure Scherze wieder", schmunzelte Silius, der sich seine Teil dazu dachte. Dann stellte er sich Kathryn vor, wie sie die beiden vermöbelt hatte und ein Blitzen in seinen Augen deutete darauf hin, dass er die Vorstellung mehr als nur amüsant fand.
Kathryn saß inzwischen verwirrt auf einer Toilette. Als die beiden sie im Gang überfallen hatten, hatte sie keine Sekunden nachgedacht. Sie hatte einfach gewußt, was sie tun mußte. Wie ein Reflex hatte sie ihre Arme und Bein eingesetzt und sie war, als sie wieder, klar wurde, selbst überracht, was sie den beiden angetan hatte. Wieder waren ihr die Bilder ihrere Albträume durchs Gehirn geschoßen, nur dass sie diesmal mehr erkennen konnte. Gesichter wurden deutlicher und irgendwie schienen alle ähnlich gekleidet gewesen zu sein. Wie eine Art Uniform, überlegte sie. Dann hatte sie Leute gesehen, die anscheinend darauf warteten, dass sie eine Entscheidung traf. Alles war so verwirrend. Kathryn seufzte und ließ kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Es half nichts, sie mußte einfach abwarten. Wenn die Zeit reif war, würde ihre Erinnerung sicher wieder kommen. Sie richtete sich auf, strich ihr Kleid glatt und ging wieder zurück in den Ballsaal, wo Silius sie lächelnd erwartete.
Baron Goldstein stand auf einem kleinen Podest und hielt ein Sektglas in der Hand. Mit einem kleinen Silberlöffelchen schlug er mehrere Male dagegen, bis es in dem Raum ruhig wurde.
"Freunde, Verwandte, Familienmitglieder. Heute ist der große Tag gekommen, an dem unser jüngster Sohn Silius in die Gesellschaft der Erwachsenen eingeführt werden soll. Beim Glockenschlag Mitternacht, bricht für ihn das neue Alter an. Die Einführung dazu wird ihm die liebreizende Kathryn geben, die unsere gute Freundin Joy für ihn ausgesucht hat und die schon seit Jahren unserer Familie bei der Initiation ihrer Jungen dient. Nun, egebt euch in eine bequemere Position und genießt seine erste Jagd. Mögen die Spiele beginnen."
Kathryn hörte sich die Rede gespannt an und bei den letzten Worten sah sie immer verwirrter aus. Als er von der bequemeren Position sprach begann plötzlich ein allgemeines Scharren und die Luft in dem Raum schien sich aufzuheizen. Kathryn sah sich überrascht um und die Anwesenden schienen auf einmal irgendwie anders. Sie boabachtete sie genauer und sah zu, wie die Leute sich wanden und die Haut sich veränderte. Muskelstränge schienen sich unter der Haut zu schlängeln und die Gäste schrumpften, Haare schossen ihnen aus Gesicht und Händen und die Kleidung streiften sie bald ab. Nach wenigen Minuten war die Verwandlung abgeschlossen und Kathryn stand starr vor Entsetzten im Saal, inmitten einer knurrenden Meute von Wölfen.
Nur noch wenige Minuten, dann würden sie herauskommen. Und dann würde er zuschlagen. Der Baron Goldstein war tot, er wußte es noch nicht, Wolf oder besser gesagt Cedric kauerte in einem alten Baum unterhalb das Hauses der Goldsteins. Diesmal würde ihm niemand dazwischen kommen. Jetzt würde seine Rache vollendet werden.
"Du ... wirrrrst rrrennen. Und wirrer werrrden dich jagen. Wirrr gewährrren einen Vorrrsprrrung bis zum zwölften Glockenschlag, dann beginnt ... die Jagd", Silius fiel es schwer mit den riesigen Fangzähnen verständlich zu sprechen, doch die leichenblasse Kathryn schaute ihn nur mit großen Augen an. Als das Gesprochene irgendwie zu ihr durchgedrungen war, stiße sie einen gellenden Schrei aus und stürzte aus dem Saal. Das Kleid mit beiden Händen gerafft, rannte sie in Richtung Stadt. Hinter ihr hörte sie das Jaulen und Heulen der Wölfe.
Kathryn rannte. Ihr weißes Kleid war schon bald zerfetzt und mit schlammigen braunen Flecken übersät. Sie stolperte häufig, da sie kaum etwas sehen konnte und die Gegend ihr auch kaum vertraut vorkam. Über den geschlängelten Weg hetzte sie abwärts, den Lichtern der Stadt entgegen. Obwohl ein Teil von ihr, ihr immer wieder zuflüsterte, sie solle den Weg verlassen und sich durch die Büsche und das Unterholz schlagen, war da ein anderer, befehlgewohnter Teil in ihr, der ihr sagte, sie solle mit dem Unsinn aufhören und rennen. Und rennen kann man nun mal besser auf einer befestigten Straße. Tief in ihrem Hinterkopf piepste ein dünnes Stimmchen, dass die Wölfe sie sowieso erwischen würden. Doch daran wollte Kathryn gar nicht denken. Vielleicht schaffte sie es ja bis hinunter in die Stadt, vielleicht fand sie jemand, der ihr helfen konnte.
"Verdammt, das halt ich nicht mehr aus. Sie ist jetzt schon über eine Woche weg. Gut, sie wollte auf eigene Faust ermittlen, fein. Aber doch nicht so lange. Und dann ist dieser Wolg oder Cedric, oder wie er auch immer heißt ausgebrochen. In ihre Wohnung ist eingebrochen worden und dann dieses bescheurte Bild auf dem Tisch. Jetzt machen wir Nägel mit Köpfen und machen uns auf die Suche. Ich lasse doch eine Abteilungsleiterin nicht im Stich. Wenn da was passiert ist...", Rince stapfte unter lautem Gebrüll in seinem Büro auf und ab. Vor ihm standen Rina, Tunnelblick und Larius, der Teil von R.U.M., der zu dieser nachtschlafenden Zeit noch nicht zu Hause war.
"Vielleicht sollten wir erstmal versuchen, Wolf zu finden?", schlug Rina besänftigend vor.
"Möglicherweise war sie ja doch in ihrer Wohnung und er hat sie als Geisel oder sowas genommen?", spekulierte Larius.
"Dieser Wolf hat doch gesessen, weil er irgendsoeinen Baron Was-weiß-ich-wie-der-heißt ermorden wollte, oder? Vielleicht finden wir ihn dann in der Nähe von dessen Haus?", warf Tunnelblick ein. Die anderen sahen sich an und rannten dann gemeinsam in Tricia Büro, um dort nach der Akte zu suchen. Fluchend standen die vier Wächter in dem Chaos und durchwühlten die Aktenschränke. Sie fanden alle möglichen Fälle, doch der gesuchte war nicht dabei. Plötzlich winkte Rina die anderen zu sich. Mitten auf dem Schreibtisch lag die Akte. Anscheinend hatte Tricia sich erst vor kurzem noch einmal mit dem Fall beschäftigt. Rasch schlug Rince den Aktedeckel auf und begann den Bericht zu überfliegen.
"Da, hier haben wir's: Baron Goldstein, wohnhaft Hangallee 97. Das ist am anderen Ende der Stadt. Wir müssen sofort los."
Im Laufen schnappten sich die Wächter Schwerter und Schilde und sprangen in die erste Kutsche, die vorbeikam.
"Zur Hangallee, aber dalli"
Mit jedem Schritt, den Kathryn machte, wurde sie müder. Gerade hatte sie gehört, wie die Glocken des Turms von Baron Goldsteins Haus ihren ersten Schlag getan hatte. Noch blieben ihr elf weitere, bis die Wolfsmeute ihr folgen würde. Sie stolperte wieder und fiel erschöpft auf die Knie. Am liebsten wäre sie liegengeblieben und einfach eingeschlafen. Und plötzlich war da wieder ein Bild in ihrem Kopf. Sie saß mit einer Menge anderer Leute zusammen und anscheinend feierten sie etwas. Bierkrüge wurden gehoben und gegeneinander gestoßen. Jemand hielt eine Rede und es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Angespannt verfolgte Kathryn den Film, der sich in ihrem Kopf abspielte. Noch ein Stückchen mehr, sie hatte das Gefühl ihre Identität würde ihr auf der Zunge liegen. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, die Bilder verschwanden so abrupt, wie sie gekommen waren und sie war wieder allein. Allein auf der abschüssigen Straße in einem zerissenen weißen Kleid. Bald verfolgt von einer Meute Wölfe und weit von Hilfe entfernt. Mit einem Schluchzen stand sie auf und begann stolpernd weiter zu laufen.
Wolf beobachtete das Haus schon seit geraumer Zeit. Kurz vor Mitternacht hatte sich die Tür geöffnet und eine kleine Gestalt in einem weißen Kleid war herausgestürzt. Die Person lief gehetzt die Straße herab in seine Richtung. Manchmal stolperte sie und fiel hin, doch jedesmal quälte sie sich wieder hoch und rannte weiter. Leise ließ er sich aus seinem Versteck herabgleiten. Wenn es das war, wonach es aussah, dann hatte diese Person Hilfe dringend nötig. Die Gestalt in dem weißen Kleid kam immer näher und als sie fast neben dem Baum war, trat er hervor und stellte sich ihr in den Weg. Mit einem entsetzten Aufschrei versuchte die Gestalt auszuweichen, doch er war schneller und versperrte ihr die Fluchtmöglichkeit.
"Ich will dir helfen, keine Angst", flüsterte er und faßte sie vorsichtig an den bebenden Schulter. Dann sah er ihr Gesicht und wurde blaß. "Du?"
"Wolf, was machst du hier? Ich bin hier wegen deiner Mutter, ich weiß jetzt, wie sie umgekommen ist. Ich ..." Tricia hielt erstaunt in ihrem Redeschwall inne. Wo vorher in ihrem Gedächtnis eine weiße Lücke gewesen war, war plötzlich wieder alles da. Der Anblick eines vertrauten Gesichts hatte gereicht, um ihre Erinnerung, nach der sie sich so sehnte wieder lebendig werden zu lassen.
"Du bist hier?", Wolf spuckte die Worte beinahe aus und schob Tricia von sich weg. "Du hast mich verraten und ich wollte dich töten. Es ist dein Glück, dass du noch am Leben bist."
"Aber, wieso wolltest du mich töten? Ich bin hier um gegen die Mörder deiner Mutter zu ermitteln, sie sollen bestraft werden", Tricia begann haltlos zu weinen.
Wolf stand vor ihr und sein Messer lag nah an ihrer Kehle. "Das glaube ich dir nicht. Das ist nur wieder ein Trick. Du hast gehört, dass ich ausgebrochen bin unc jetzt hast du dir das ausgedacht, um mich wieder zurückzubringen. Aber das werde ich nicht zulassen. Ich werde mich nicht noch einmal von dir hintergehen lassen."
"Es ist kein Trick, sie wollen mich töten", mit leiser Stimme und vor Angst beinahe stumm, flüsterte Tricia zu ihm. "Ich wollte dir helfen."
Wie auf Kommando schlug die Uhr zum zwölften Mal. Oben im Haus wurde die Eingangstür aufgerissen und eine Meute heulender Wölfe sprang heraus. Übereinander her springen, hechelnd und jaulend rannten sie leichtflüssig denselben Weg herab, den Tricia genommen hatte. Die Nase am Boden, verfolgte Silius als Anführer ihren Duft. Durch die weit geöffnete Nase saugete er die Spur ein und mit wachsender Begeisterung dachte er daran, wie es sein würde, seine Zähne in diesem Duft zu vergraben.
Entsetzt sah Wolf die Meute den Berg herabkommen. Dann schaute er Tricia an und in diesem Moment wurde ihm etwas klar.
"Du riskierst dein Leben für mich." langsam und bedächtig sprach er die Wort aus. Mit Tränen in den Augen küßte er Tricia. Für die beiden schien die Welt einen Moment stillzustehen. Visionen kamen auf und verblassten. Gedanken, wie es hätte sein können. Unter anderen Umständen, zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Wie ewig erschien ihnen ihr erster und letzter Kuss und wie die Rettung aus dieser Welt. Dann hörten sie das Heulen der Wölfe näher kommen. Wolf zog sein Messer und strich Tricia über die tränenüberströmte Wange.
"Jetzt werde ich für dein Leben sorgen."
Dann rannte er der Meute entgegen.
"Es sind Werwölfe und sie jagten Frauen", erschöpft schloß Tricia am nächsten Morgen den Bericht, den sie diktiert hatte. Nachdem Wolf dem Baron und seinen Söhnen entgegen gelaufen war, war sie weiter gerannt. Irgendwann war sie im Wachhaus angekommen und dort in ihrem Büro zusammengebrochen. Rince und die anderen waren zu spät bei Baron Goldsteins Haus angekommen. Die Gäste waren verschwunden und der Baron und sein Söhne waren tot. Die Leichen hatten sie am Fuß des Berges gefunden, noch halb ins Wolfsgestalt. Darunter auch den blutüberströmten Leichnam von Wolf. Als sie es Tricia erzählt hatten, hatte sie nur genickt. Sie hatte es gewußt. In dem Moment als er sich umgedreht hatte, um für sie zu kämpfen, hatte sie gemußt, dass sie ihn nicht wieder leben wiedersehen würde. Und er hatte es auch gewußt.
Der Baron und seine Söhne lebten nach einer Tradition, die es dem Sohn erlaubte zur Volljährigkeit eine junge Frau zu jagen. Dieses System war in Überwald vor mehreren Jahrhunderten schon aus der Mode gekommen, doch die anscheinend recht traditionelle Familie Goldstein hielt eisern daran fest. Wolfs Mutter hatten sie als "Beute" für den ältesten Sohn ausgesucht, doch sie hatte sich geweigert. Irgendwie hatte sie von dem Schicksal erfahren, das sie erwarten würde. Doch die Goldsteins hatten sie trotzdem ermordet, um ihr kleines "Spielchen" zu schützen. Lady Joy war eine verwandte Werwölfin, die sich mit der Vermittlung der Mädchen reich verdient hatte. Schließlich hatte die Familie Goldstein drei SÖhne und dafür ein junges Mädchen zu finden, das hinterher niemand vermissen würde, war jedesmal von Joy hervorragend eingefädelt worden. Inzwischen war sie verhaftete worden und wartete auf ihren Prozeß. Da die Goldsteins tot waren und sich somit auch nicht mehr für sie einsetzen konnten, würde wenigstens dieses eine Mal die Gerechtigkeit siegen.
"Tricia, ist alles ok?" Rince steckte behutsam den Kopf durch die Tür und sah die blasse Wächterin sorgenvoll an.
"Nein, ist schon ok, danke"
Der Kommandeur schloß leise die Tür hinter sich. Langsam lief ihr eine Träne die Wange hinunter und zog ein nasse Spur über ihren Hals. Sie war wieder allein.
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