Sillybos hält sich einen Sklaven.

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von Wächter Sillybos (GRUND)
Online seit 13. 01. 2002
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Hegelkant wird Sillybos' Sklave. Nach Klärung der rechtlichen Details tätigen sie den Wachdienst gemeinsam.

Dafür vergebene Note: 13

(Anm.: Diese Mission spielt noch vor der Entlassungs Tods als Kommandeur von G.R.U.N.D.)


* Im Wachlokal *

Fähnrich Schmiedehammer marschierte vor den angetretenen Wächtern auf und ab. Er ließ sie dabei an einem inneren Monolog teilhaben.
"... und eine ordentlich geputzte Uniform ist das A und O eines jeden Wachdienstes. Unsere Aufgabe als Stadtwache von Ankh-Morpork ist es, alle Verbrechen in dieser Stadt aufzuklären. Da uns das ohnehin nicht gelingen wird, sollten wir wenigstens versuchen, dabei gut auszusehen."
Er blieb stehen und musterte seine Rekruten. Sie standen stramm und konzentriert, den Blick frei geradeaus, ja, so gehört sich das. Da kann man schon stolz drauf sein, wenn man nur die letzte Ausbildungswoche bedenkt...
Die Rekruten hörten aufmerksam zu. Wächter Hammerfaust hörte vielleicht sogar zu konzentriert zu, er wurde langsam blau im Gesicht. Niemand hatte ihm gesagt, dass sie beim Strammstehen auch weiteratmen darf. Wächter Mamortis hoffte nur, den Tag noch heil zu überstehen, die letzte Woche war hart gewesen. Und Wächter Sillybos....
Wächter Sillybos stand auch stramm, aber er war nicht ganz bei der Sache. Schon den ganzen Tag schlüpfte ein Axiom durch sein Bewusstsein, aber er konnte es nicht ganz fassen. Es war gewiss kein außerordentlich gutes Axiom, doch wie jeder Philosoph musste auch Sillybos seinen Schnitt an Axiomen halten. Daran wurden schließlich Philosophen gemessen. Schon beim Antreten am Vormittag war er unangenehm aufgefallen, als er mitten in einer Ansprache des Kommandeurs plötzlich einen Notizblock heraus holte und etwas notierte. Ein Philosoph kann es sich halt nicht aussuchen, wann er von einer Idee getroffen wird. Aber wenn eine kommt, darf man nicht zögern, sie gleich festzuhalten. Im Geiste, aber sicherheitshalber auch noch auf Papier.
"Zwölftens", fuhr Fähnrich Schmiedehammer fort, "ist es unsere Pflicht, dass wir -" Dann hielt er plötzlich inne.
Ein kleiner grauhaariger Wächter grub seine Hand in seinen Bart und kraulte ihn. Dann führte er sie zur Stirn, schloss die Augen und schien angestrengt nachzudenken.
Der Fähnrich war verwirrt. Da hatte er nun eine Woche lang seine Rekruten in Grund und Boden gestampft, ihnen Respekt und Disziplin beigebracht, und jetzt das! Sollte die ganze Woche für die Katz' gewesen sein?
"Wächter Sillybos!" fuhr er den Rekruten an. "Das ist wahrlich nicht das erste Mal, dass ich dich ermahnen muss. Es gehört zum Grundprinzip der Wache, dass Befehle befolgt werden müssen. Und Stillllllgestanden! ist ein Befehl. Als Erzieherische Maßnahme lieferst du mir eine schriftliche Ausarbeitung ab über Befehl-und-Gehorsam! In zwanzigfacher Ausführung!"
Sillybos zuckte zusammen. Diese Ermahnung hatte das Axiom endgültig aus seinem Bewusstsein vertrieben, nun war der Philosoph wieder voll konzentriert und salutierte. Ihm war durchaus bewusst, dass er Befehle befolgen musste. Aber schließlich war auch das Finden und Formulieren von Ideen in gewisser Weise ein Befehl der Vernunft. Allerdings war jene nicht gleich verärgert, wenn man mal einen Augenblick ungehorsam war.
Was die so genannten Erzieherischen Maßnahmen anging, war Sillybos sie inzwischen Leid. Aber was das Bewältigen unangenehmer Aufgaben betraf, befolgte Sillybos eine alte ephebianische Tradition.
"Hegelkant!"
Ein langer, schlaksiger junger Mann erschien plötzlich irgendwo her und stand auf einmal neben Sillybos, der es sich gerade im Sessel bequem machte. Hegelkant hatte relativ dunkle Haut und schwarze Haare.
"Ja, Herr?"
Hegelkant war Sillybos' Sklave.
"Hegelkant, schreib doch mal eine Hausarbeit über das Befehlsprinzip, dessen Vereinbarkeit mit dem freien Willen der Lebewesen unter Berücksichtigung der Vorbestimmung des Handelns durch das Schicksal sowie die Konsequenzen auf das gesellschaftliche Gemeinwohl und auf die Kommunikation im Allgemeinen. Ach ja, und fertige zwanzig Abschriften davon", sagte Sillybos.
"Ja, Herr."
Hegelkant und notierte sich alles auf seinen Notizblock.
Fähnrich Schmiedehammer stand wortlos da. Er fühlte seine Autorität untergraben, und es ist nicht schwer zu erraten, was ein Ausbilder in einem solchen Augenblick fühlt.
"Wächter Sillybos!", begann er, doch dann wusste er nicht, wie er fortfahren sollte. So was hatte er noch nie erlebt. "Wächter Sillybos, äh, was oder wer ist denn das?"
"Das, Herr Fähnrich, ist Hegelkant, mein Sklave", antwortete Sillybos. "Ich traf ihn am Hier-gibt's-Alles-Platz, und er wählte mich als seinen neuen Herren aus. Er will später auch mal Philosoph werden", ergänzte er.
Der Sklave nickte dem Ausbilder zu und lächelte.
Der Fähnrich versuchte, einen vernünftigen Gedanken zu formulieren. "Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass Wächter keine Sklaven halten dürfen?" fragte er.
"Mir ist keine solche Regelung bekannt, Herr Fähnrich", antwortete Sillybos.
Der Fähnrich dachte kurz nach. Ihm auch nicht.
"Wächter Sillybos! Du meldest dich nach Dienstschluss bei Kommandeur Tod!" Er überlegte kurz. "Und das ist ein Befehl!" fügte er hinzu.
Sillybos salutierte. Zum Kommandeur. Die anderen Wächter sprachen immer voll Ehrfurcht vom Kommandeur. Kommandeur Tod. Sillybos ahnte, dass Tod nicht gut auf ihn zu sprechen war, und er ahnte auch warum. Und das hatte vermutlich nichts mit dem Wachdienst zu tun, und mit Hegelkant wohl auch nicht.
"Soll Hegelkant mitkommen, Herr Fähnrich?", fragte der Philosoph.
"Ich befehle es sogar", antwortete Schmiedehammer vorsichtshalber. Dann richtete er sich wieder an alle Rekruten. "Und weil es offenbar noch nicht alle verstanden haben, wiederholen wir noch mal gemeinsam Befehl-und-Gehorsam. Also, ein Befehl ist -"
Man hörte einen dumpfen Schlag. Erneut blieb ein Wächter nicht in der Reihe stehen.
Rugosch war ohnmächtig geworden.

* Büro des Kommandeurs *
(nach Dienstschluss)

Sillybos stand nervös vor der Tür. Dann nickte er Hegelkant zu. Der Sklave klopfte an.
"HEREIN."
Hegelkant öffnete die Tür und Sillybos trat ein. Der Sklave folgte ihm.
Tod saß hinter seinem Schreibtisch und las irgendetwas, vermutlich eine Akte. Dann sah er zu Sillybos auf und legte das Schriftstück weg.
"AH, WÄCHTER SILLYBOS. SETZ DICH."
Sillybos salutierte und nahm Platz.
"OH. UND WER BIST DU?" fragte Tod Hegelkant.
"Das ist Hegelkant, mein Sklave, Herr Kommandeur", sagte Sillybos. "Wegen ihm wurde ich zu Ihnen geschickt."
"AH JA. DAZU KOMME ICH ABER SPÄTER. ZUERST MUSS ICH ÜBER EINE ANDERE ANGELEGENHEIT MIT DIR SPRECHEN."
"Ja, Herr Kommandeur."
"NACHDEM DU DEINEN ERSTEN FALL GELÖST HAST, HABE ICH MIR MAL DEINE PERSONALAKTE NÄHER ANGESEHEN, UND BIN DABEI AUF EINE INTERESSANTE SACHE GESTOSSEN."
"Ja, Herr Kommandeur?"
"WIE ALT BIST DU, SILLYBOS?"
"Neununddreißig, Herr Kommandeur."
"HMM. WIE LANGE BIST DU SCHON SO ALT?"
"Ungefähr neun Monate", antwortete Sillybos, doch er ahnte, worauf Tod hinaus wollte. "Allerdings definiere ich für mich die Zeit als nicht gegeben. Ansonsten dürften so um die zwölf Jahre vergangen sein."
"SO ETWAS IN DER ART DACHTE ICH MIR. EIN ZIEMLICH CLEVERER TRICK, WENN ICH DAS SO SAGEN DARF. IST DIR ABER BEWUSST, DASS DAS UNANGENEHME FOLGEN HABEN KANN?"
"Nein, Herr Kommandeur. Was für Folgen?" fragte Sillybos etwas unsicher.
Tod holte eine Lebensuhr aus seiner Tasche.
"ICH HABE HIER DEINE LEBENSUHR. FÄLLT DIR WAS AUF?"
"Sie, äh, ist recht voll, Herr Kommandeur."
"JA. VOLL SAND. WENN ES FÜR DICH KEINE ZEIT GIBT, KOMMT SAND INS DAS GETRIEBE DEINES LEBENS. UND DIESER SAND LAGERT SICH DANN IN DEINER LEBENSUHR AB."
"Und was passiert dann?"
"NUN, IRGENDWANN IST DIE UNTERE HÄLFTE VOLL, OBWOHL DIE OBERE NOCH SAND ENTHÄLT. DANN WÄRST DU NOCH AM LEBEN, WEIL IN DER OBEREN HÄLFTE NOCH SAND IST, ABER AUCH TOT, WEIL KEIN SAND MEHR FLIESSEN KANN. JE NACHDEM, WIE MAN TOT DEFINIERT."
"Welches ist die richtige Definition?" fragte Sillybos. Die Frage beschäftigte nicht nur ihn schon lange. Ganze Generationen von Philosophen suchten nach einer genauen Definition für den Tod. Bei den praktischen Versuchen kamen viele ums Leben. Oder sie liegen nur unendlich lange im Koma. Oder sie wechselten nur in einen neuen Lebensabschnitt. Je nach Definition.
Die richtige Antwort kannte nur eine einzige Person.
Diese Person saß Sillybos gegenüber.
"ICH KANN DIR DIE GENAUE DEFINITION NICHT SAGEN. GRUNDSÄTZLICH HABE ICH NICHTS GEGEN DEINEN VERSUCH, MIR EIN SCHNIPPCHEN ZU SCHLAGEN, DAS IST DURCHAUS LEGITIM. ABER DU WEISST GENAU, DASS DAS NICHT FUNKTIONIEREN WIRD. DU SOLLTEST ES NICHT ÜBERTREIBEN."
"Jawohl, Herr Kommandeur... Äh, was kann ich da machen?" fragte Sillybos.
Tod sah zur Lebensuhr und hielt sie demonstrativ vor Sillybos. "DU MUSST EIN LOCH BOHREN."
"Oh, gut, Herr Kommandeur." Kurzes Schweigen. "...Und, äh, wie mache ich das?"
"DU NIMMST EINEN BOHRER UND SETZT IHN HIER UNTEN AN." Tod nahm einen Handbohrer aus seiner Schublade und deutete damit auf die Lebensuhr. "DANN BEGINNST DU ZU BOHREN. WENN DER WIDERSTAND NACHLÄSST, IST DAS EIN GUTES ZEICHEN DAFÜR, DAS DU EIN LOCH GEBOHRT HAST."
"Ich dachte, das läuft mehr über die symbolische Schiene."
"IM PRINZIP JA. ABER GILT DAS NICHT FÜR ALLES IM LEBEN?"
"Jawohl, Herr Kommandeur. Wenn Sie das sagen."
Tod hielt ihm die Lebensuhr hin und Sillybos bohrte ein Loch hinein. Dann ließ Tod etwas Sand herauslaufen und versiegelte danach die Lebensuhr wieder.
"SO. DAS MÜSSTEN ZWÖLF JAHRE GEWESEN SEIN. DU BIST JETZT NEUNUNDDREISSIG, AUCH NACH ALLGEMEIN GÜLTIGEN KALENDERN."
"Und das hat keine Auswirkungen auf die Geschichte oder so, Herr Kommandeur?"
"NEIN. SOLANGE DU STIRBST, WENN DIE ZEIT DAFÜR GEKOMMEN IST. UND DAFÜR WERDE ICH SORGEN."
"Jawohl, Herr Kommandeur", sagte Sillybos. Er hätte gerne gewusst, ob das ein offizieller Befehl war, aber das spielte bei Tod vermutlich keine große Rolle.
Er blickte zu Hegelkant. Der Sklave stand die ganze Zeit ruhig neben Sillybos Stuhl und hörte aufmerksam zu. Gelegentlich notierte er sich etwas in seinem Notizbuch, besonders, als es um die Definition von tot ging.
"AH JA, DIE ANDERE SACHE. NUN, DAS IST ALSO DEIN SKLAVE."
"Jawohl, Herr Kommandeur. Er heißt Hegelkant."
"WIE KOMMST DU DARAUF, EINEN SKLAVEN HALTEN ZU DÜRFEN?"
"In Ephebe hatte ich immer einen Sklaven, Herr Kommandeur."
"ABER DU BIST HIER IN ANKH-MORPORK."
"Ja, Herr Kommandeur?"
"MAN HÄLT SICH HIER KEINE SKLAVEN."
"Gibt es ein Gesetz, dass Sklavenhaltung verbietet?"
"NEIN. NICHT DIREKT. ABER ES IST WÄCHTERN VERBOTEN, EINEN SICH EINEN SKLAVEN ANZUSCHAFFEN."
Sillybos kannte diese Vorschrift, aus dem einfachen Grund, weil er gerne las. Lesen war eine Grundvoraussetzung für einen Philosophen, und es gab auch viele professionelle Leser in Ephebe, und sie genießen sogar fast noch höheres Ansehen als die Philosophen, vor allem, weil man sich als Leser weniger Feinde macht. In Ankh-Morpork war dem nicht so. Sillybos hatte noch keinen einzigen Leser getroffen, generell gab es nur sehr, sehr wenig zu lesen. Zudem befand sich der Philosoph die meiste Zeit im Wachlokal. Sillybos las die Gesetze lediglich aus Mangel an Alternativen. Er fand die meisten Vorschriften jedoch äußerst schwammig formuliert. Die meisten von ihnen stammten wohl noch aus Zeiten, in denen man sich keine großen Gedanken über die Konsequenzen des geschriebenen Wortes machte. Man konnte die meisten Vorschriften auf seine Weise interpretieren, das gleiche gilt auch für viele Gesetze. Die Anwaltsgilde hat ein großes Interesse daran, dass das auch so bleibt. Als Philosoph war er Experte im Fragwürdigen Interpretieren Von Gesetzestexten Und Anderen Vorschriften.
"Ich habe einen Sklaven, richtig, und das ist erlaubt. Aber gekauft habe ich ihn nicht, das wäre ja verboten. Vielmehr hat er mich als seinen neuen Herren ausgewählt", meinte Sillybos.
"WIE MEINST DU DAS?"
"Nach einem Gesetz vom Wahnsinnigen Lord Harmoni hat ein jeder Bürger von Ankh-Morpork freie Wahl seines Arbeitsplatzes, sofern sein Beruf nicht von einer Gilde organisiert ist." Das war eins von Sillybos' Lieblingsgesetzen. Jahrhunderte lang hielt man es für harmlos, weil wirklich jeder nur denkbare Beruf eine eigene Gilde hatte. Doch nach der Auflösung der Sklavengilde vergaß man, das Gesetz entsprechend zu ändern, weil man das Gesetz selbst schon wieder vergessen hatte. "Weil es in Ankh-Morpork keine Sklavengilde gibt, hatte Hegelkant als freischaffender Sklave das Recht auf freie Herrenwahl. Alles im Rahmen der Gesetze, Herr Kommandeur."
Hegelkant hörte interessiert zu, konnte aber nicht ganz folgen. Zwei Stunden hatte Sillybos versucht, ihm zu erklären, warum er nun einen neuen Herren hatte und warum er sich keine Sorgen machen muss und warum das alles legal sei, aber Hegelkant hatte nicht richtig verstanden. Eigentlich wollte er den Fremden auf dem Hier-gibt's-Alles-Platz nur nach dem Weg zur Bettlergilde fragen, doch nachdem er kurz darauf dessen Sklave war, stellte er fest, dass es viel besser war, Sklave zu sein als Bettler.
"ALSO GUT", sagte Tod.

* Im Wachlokal *
(in der Nacht)

Es war Tradition in Ankh-Morpork, dass die Bereitschaft im Nachtdienst im Wachlokal nicht gestört wird. Diejenigen Gestalten, die nachts in Ankh-Morpork unterwegs waren, taten prinzipiell alles, um das Wachhaus nicht zu betreten. Sie versuchten vielmehr, ihre Quote zu halten oder keine Spuren bei ihren Opfern zu hinterlassen, aber sie wollten auf keinen Fall ins Wachlokal. Die einzige Ausnahme bildeten die Patrouillen der Nachtwache, aber die hatten ja den Befehl, alles andere zu patrouillieren, nur eben nicht das Wachlokal.
Sillybos hatte Nachtschicht. Er saß in einem Sessel in der Eingangshalle vom Wachlokal und hatte nichts zu lesen. Aber das störte ihn im Moment nur wenig, denn er hatte etwas anderes. Er hatte einen Schüler.
"Also noch mal, Hegelkant", sagte Sillybos eindringlich. "Beim Aufstellen von Axiomen kommt es auf die Genauigkeit und gleichzeitig auf die Allgemeingültigkeit an."
"Ja, Herr." Hegelkant schrieb eifrig auf seinem Notizblock.
"Und es nützt gar nichts, wenn das Papier die ganzen Regeln kennt, Hegelkant. Du sollst die Regeln kennen."
"Ja, Herr." Auch das schrieb der Sklave sehr gewissenhaft auf.
Sillybos seufzte. "Wenn du so weiter machst, dauert das bestimmt noch Jahre, bis du dein erstes Axiom aufstellen kannst, wenn du es dir so schwer machst."
"Ja, Herr."
"Hm. Vielleicht solltest du dich zunächst darauf beschränken, meine Axiome aufzuschreiben. Dabei lernst du sicher auch den ein oder anderen Trick zum Philosophieren."
"Ja, Herr."

* Immer noch im Wachlokal *
(später in der Nacht)

Sillybos saß immer noch in seinem Sessel, blickte an die Decke, rieb sich das Kinn und dachte über ein neues Axiom nach.
"Und wenn man es ganz genau nimmt", formulierte er, "wird man nie fertig."
Hegelkant schrieb.
"Das wievielte Axiom war das für heute?", fragte er Hegelkant.
"Das fünfte, Herr", antwortete der Philosophen-Sklave.
Sillybos stutzte. Das war das erste Mal, dass Hegelkant etwas anderes als 'Ja, Herr' gesagt hatte, auch wenn es nicht besonders viel war. Darauf ließ sich aufbauen. Vielleicht hätte er ihn aber auch nur öfter zu Wort kommen lassen. Wie dem auch sei, mit fünf Axiomen konnte er zufrieden sein. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und gähnte.
Da klopfte es an der Tür. Blitzschnell sprang Sillybos auf und nahm Haltung an. Wahrscheinlich war auch dies wieder eine dieser typischen Routine-Überraschungskontrollen vom Kommandeur, der stets meinte, man solle sie nicht persönlich nehmen. Er selbst jedoch nahm es sehr persönlich, wenn man sie nicht ernst nahm.
"Jawohl!" rief Sillybos. "Immer herein!"
Zaghaft - zu zaghaft für den Kommandeur - öffnete sich die Tür. Vor der Tür stand ein kleines Mädchen in einem Kleidchen mit einem Kissen im Arm, das es fest an sich drückte. Das Mädchen wirkte sehr schüchtern ängstlich. Sillybos' ernste Miene änderte sich auf einen Schlag zu einem freundlichen Lächeln. Er lächelte so freundlich, wie es einem (trotz allem nur) 39-jährigen Mann mit tiefer Stirn und einem dunkelgrauen, langen Rauschebart möglich war. Er ging in die Knie und näherte sich dem Mädchen langsam wie einem scheuen Tier, das er zu streicheln versucht.
Das Mädchen aber war intelligenter als ein Tier und wusste, dass man einem solchen Verhalten nicht trauen darf und nahm eine eindeutige Haltung ein. Sillybos ahnte, was diese Pose bedeutete: Noch einen Schritt näher und ich laufe weg. Dann verlaufe ich mich oder werde überfallen, und du bist schuld! Oder anders: Noch einen Schritt näher und ich sag's dem Vorgesetzten! Sillybos dachte darüber nach. Wenn dem Mädchen etwas zustößt und es womöglich getötet wird, werde ich es so oder so erfahren, der Kommandeur wird's ohnehin als erster wissen. Aber das ist nur ein schwacher Trost. Behutsam wich er zurück und stand langsam wieder auf. Er blickte zu Hegelkant. Sein Sklave schaute ihn erwartungsvoll an, als stände er in rhetorischen Startlöchern und wartete nur darauf, die Gelegenheit zu nutzen und endlich loszulegen. Ja, vielleicht hätte Sillybos Hegelkant wirklich öfter zu Wort kommen lassen.
"Also gut, Hegelkant", sagte der Wächter. "Versuch mal, das Vertrauen der Kleinen zu gewinnen."
Peng - der Startschuss war gefallen und Hegelkant stürmte hinaus auf rhetorische Rennbahn, die in dieser Situation einer besonders glatten Eisbahn glich, mit sehr dünnem und brüchigem Eis.
Hegelkant stürmte auf das Mädchen los, mit zwei Schritten war der 1,90m-Jüngling an der Tür, ging auf die Knie, neigte den Kopf leicht zur Seite und grinste die Kleine mit dem breitesten Mund und den vollsten Lippen an, die Sillybos je erlebt hatte.
"Hallo, meine Kleine!" rief Hegelkant fröhlich. "Was machst du denn so spät noch hier draußen auf der Straße? Ist ja schon richtig dunkel da draußen! Und kalt auch! Hast du dich verlaufen? Brrrrr. Ist das aber kalt! Wo wohnst du denn? Guck mal, da oben ist der Mond! Wissen deine Eltern, wo du bist? Komm doch erst mal rein! Ist das da dein Schmusekissen, das du da hast? Ich hatte auch immer ein Schmuseki-"
"Hegelkant", unterbrach Sillybos ihn in einem ruhigen, aber doch bestimmten Ton. Es war schon erstaunlich, was Worte bewerkstelligen können. Da habe ich nun einen Sklaven, der fast gar nicht spricht, einfach nur, weil ich ihn nicht dazu auffordere, pumpe ihn gleichzeitig aber mit Philosophie und Rhetorik voll, bis sein Kopf schließlich voller Wörter war, so als würde man einen großen Eimer über einem kleinen Trichter auskippen. Der Abfluss war nicht groß genug, und Hegelkant konnte froh sein, dass sein Kopf nicht geplatzt ist.
"Hegelkant, mäßige dich! Du verschüchterst das Mädchen nur noch mehr!"
Hegelkant blickte zu Sillybos. Sein Herr machte eine kleine Handbewegung, die verhieß, immer schon ruhig zu bleiben. "Ja, Herr", sagte Hegelkant leise.
Da fing aber schon das Mädchen an zu reden. "Ich habe mich verlaufen und finde nicht mehr Heim. Ich hab Angst", sagte es leise. Es starrte auf den Fußboden. Dann blickte es kurz hoch, um die Reaktion zu überprüfen und blickte dabei in das breiteste und freundlichste Grinsen, welches das Mädchen je gesehen hatte. Es musste lachen. "Hihi, du bist aber lustig! Du siehst komisch aus. Du bist ja ganz braun!"
Sillybos sah Hegelkant erstaunt an.

* In den Straßen von Ankh-Morpork *

"He, hör auf, an meinen Haaren herum zu spielen!"
Hegelkant marschierte durch die Straßen von Ankh-Morpork. Das kleine Mädchen saß auf seinen Schultern und grub seine Hände in die dichten schwarzen Locken ein. Die Haare waren zwar nicht besonders lang, dennoch musste das Mädchen einen recht hohen Druck ausüben, um auf den Widerstand der Schädeldecke zu stoßen. Wenn es erwachsen war, würde das Mädchen eine Studie schreiben, woher die genetische Anlage für Wolle bei Schafen kommt. In der Genetik der Scheibenwelt ist nichts unmöglich.
Links neben Hegelkant ging Sillybos. Er überlegte, wie er weiter mit Hegelkant verfahren sollte. "Also gut, Hegelkant", sagte er. "Du darfst sagen, was immer du willst und wann immer du willst, sofern es nicht meinen Anweisungen widerspricht. Wenn ich also sage: 'Halt den Mund' oder 'Sei ruhig', dann redest du nicht. Aber ansonsten hast du alle Freiheiten."
"Ja, Herr", antwortete Hegelkant.
"Das hier kenn' ich!" rief das Mädchen plötzlich und zeigte in Richtung Schatten. "Jetzt müssen wir da lang!"
"In die Schatten?" fragte Sillybos. "Bist du sicher?"
"Ja, da drüben wohne ich!"
Hegelkant fühlte sich verpflichtet, etwas zu sagen.
"Herr, darf ich Euch darauf aufmerksam machen, dass wir im Begriff sind, die "Schatten" zu betreten. Desweiteren möchte ich darauf hinweisen, dass Ihr Eure Uniform tragt und somit eindeutig als Wächter zu identifizieren seid. Auch wenn ich noch nicht lange in Ankh-Morpork lebe, so habe ich doch einige Grundregeln mitbekommen...."
"Ja, ich weiß, was du meinst, Hegelkant", antwortete Sillybos. Dann wandte er sich wieder an das Mädchen. "Hör mal zu, Kleines. Nun weißt du ja offensichtlich wieder, wie du nach Hause kommst. Da, wo du wohnst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dir etwas zustößt, wesentlich geringer, als dass mir etwas zustößt. Glaubst du, du schaffst es, von hier aus alleine nach hause zu laufen?"
Das Mädchen sah Sillybos unsicher an. "Aber... Aber... Aber der da muss mitkommen", stammelte das Mädchen und sah zu Hegelkant rüber. Hegelkant grinste das Mädchen breit an, tat sonst aber nichts. Er wollte seinen Herrn entscheiden lassen.
"Also gut", sagte Sillybos schließlich. "Hegelkant, du bringst das Mädchen jetzt bis nach Hause und kehrst danach umgehend zum Wachlokal zurück. Ich gehe jetzt schon dorthin."
"Ja, Herr."
Und so machte sich ein etwas untersetzter, kleiner Mann mit einem ungepflegten langen Bart und einer zu kleinen Uniform auf und marschierte los.
Ein großgewachsener junger Mann mit einem kleinen Mädchen auf den Schultern sah ihm nach, bis das Mädchen ihn an seinen Haaren wie mit einem Joystick in die entgegen gesetzte Richtung dirigierte.

* Im Wachlokal *

"Jawohl, Herr Kommandeur."
"UND ICH BRAUCHE GEWISS AUCH NICHT BETONEN, DASS DAS VERLASSEN DES WACHLOKALS WÄHREND DES BEREITSCHAFTSDIENSTES STRENG VERBOTEN IST."
"Nein, Herr Kommandeur."
"DARUM ERKLÄRE MIR BITTE: WARUM WARST DU NICHT HIER?"
Sillybos schluckte. Sie mochten nur zwanzig Minuten weg gewesen sein, wer konnte ahnen, dass ausgerechnet jetzt diese Routine-Kontrolle kam. Sillybos stand noch immer in der Eingangstür, nahm Haltung an und setzte zu einem Erklärungsversuch an. Tod saß hinter dem Schreibtisch, hinter dem Sillybos hätte sitzen sollen und sah seinem Gegenüber erwartungsvoll an.
"Also, es war so", begann Sillybos, doch weiter kam er nicht. In dem Moment kam Hegelkant hereingestürmt. "Herr, ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Es war gar nicht mehr weit in den Schatten. Die Mutter des Mädchens hat... oh!" Hegelkant erblickte Tod und blieb abrupt stehen. Dann versuchte er sich so unauffällig wie möglich hinter seinem Herrn zu verstecken. Da er einen ganzen Kopf größer war, gelang ihm das nicht besonders gut. Tod blickte das ungleiche Paar an. Wenn er Lungen gehabt hätte, hätte er tief durchgeatmet. Er zählte leise bis zehn.
"ALSO NOCHMAL GANZ VON VORNE. WAS IST PASSIERT?"
"Jawohl, Herr Kommandeur", antwortete Sillybos. "Ich vollzog hier meinen Wachdienst ach bestem Wissen und Gewissen mit der Unterstützung meines Sklaven Hegelkant. Gegen 2 Uhr nachts klopfte ein kleines Mädchen an die Tür, das sich verlaufen hatte. Mit Hilfe meines Sklaven gelang es mir, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen, und ich sah mich verpflichtet, es nach Hause zu eskortieren. Am Rand der Schatten war es verständlicherweise ratsamer, die Eskorte aufzugeben und Hegelkant allein zu überlassen. Danach kehrte ich ins Wachlokal zurück, Herr Kommandeur."
"HM, SO WEIT, SO GUT. UND WAS GESCHAH DANN?" fragte Tod Hegelkant.
"Äh...äh...äh....", stotterte Hegelkant. Ein Gespräch mit Tod. Man kann doch nicht einfach mit dem Tod reden. Darauf ist man doch nicht vorbereitet. Darauf kann man sich doch nicht vorbereiten.
"Herr Kommandeur", warf Sillybos ein, "wenn Sie und kurz entschuldigen würden?" Dann gin er mit Hegelkant nach draußen.
Tod hörte nur einige kleine Gesprächsfetzen von dem Dialog vor der Tür.
".... brauchst keine Angst haben ..... Gespräch ....... nicht schlimm .... stell dir vor, ..... wie mit deiner Mutter ..... aber hier ....... ohne Eintopf ...."
Dann eine andere Stimme. "...... Herr .... geht doch nicht .... schließlich der Tod...."
Wieder die erste Stimme. "...... ja, aber ...... angewandte Philosophie ...... große Chance ... viel lernen ...."
Dann wieder die zweite Stimme. "... nein ... nicht bereit .... überlasse Ihnen .... Herr ..... Folgendes geschah ....."
Der Dialog ging noch kurze Zeit weiter, dann kam Sillybos wieder rein. Hegelkant blieb draußen.
Sillybos salutierte.
"Herr Kommandeur, ich darf Ihnen Folgendes berichten. Nachdem ich meinem Sklaven Hegelkant den Auftrag gegeben habe, das Mädchen nach Hause zu bringen, ging ich zum Wachlokal zurück, wo ich mich noch immer befinde. Hegelkant referierte mir, dass er das Mädchen unbeschadet bei den Eltern ablieferte. Die Mutter des Mädchens war sehr in Sorge und umso erfreuter, dass der Tochter nichts zugestoßen war. Sie wollte sich bei Hegelkant mit einem Käsekuchen bedanken, doch Hegelkant lehnte mit den Worten "Danken Sie nicht mir. Danken Sie der Stadtwache von Ankh-Morpork." ab und kehrte ebenfalls zum Wachlokal zurück. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass mein Sklave, obwohl er kein offizielles Mitglied der Stadtwache ist, ebendieser zu einem höheren Ansehen in der Bevölkerung verholfen hat."
"ALSO GUT, SILLYBOS. NACH ABWÄGUNG DER UMSTÄNDE GLAUBE ICH, DASS AM ENDE DOCH DER NUTZEN GRÖSSER IST ALS DER SCHADEN. DA DEIN SKLAVE NUN MAL DEIN SKLAVE IST, BETRACHTE ICH EUCH ALS VORGESETZTER ALS EINE PERSON, DA DU IN VOLLEM UMFANG FÜR SEIN VERHALTEN VERANTWORTLICH BIST."
"Jawohl, Herr Kommandeur." Sillybos salutierte erneut. "Äh, Herr Kommandeur?"
"JA?"
"Welche Konsequenzen ziehen Sie nun daraus?"
Tod dachte über eine passende Formulierung nach.
"GUT GEMACHT, WÄCHTER SILLYBOS!" sagte er.

* ENDE *



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Feedback:

Von Atera

21.01.2002 16:26

Ok, hi Sillybos!
13 Punkte,Kompliment!

Sehr gute Dialoge und gute Darstellung des Charakters Sillybos. Interessant auch die Sache mit der Lebensuhr. Aber mir haben besonders eben die Dialoge gefallen.
Nun, was fehlt zu 15 Punkten oder wie könnte man es besser machen...im Prinzip bräuchtest du einfach mal eine anspruchsvollere Mission, die du sicher in einer der Abteilungen bekommst, welche du dann auch immer als Gefreiter anstrebst.

Doch als Rekrut hast du schon gute Arbeit abgeliefert, das zeigt doch, dass man auch mit einer eher "kleineren" Aufgabe Erfolg haben kann. Ach ja, ich persönlich fänd die Sache mit dem Sklaven etwas heikel, aber mal sehen was du weiter draus entwickelst. Achte auch darauf keine allzu modischen Wörter wie Joystick etc. zu benutzen.
Ansonsten eine gute Single, weiter so!

Von Sillybos

21.01.2002 23:19

Danke, Atera, für deine Kritik.

Da dies erst meine zweite Single war, musste ich hier meinen Charakter noch etwas genauer darstellen, die nächste wird dann sicherlich etwas umfangreicher, was die Handlung angeht.

Was den Sklaven angeht, habe ich selbst lange überlegt, welche Rolle er wohl spielen wird. Er ist hiermit vorgestellt, und was in Zukunft aus ihm wird, wird sich zeigen. Ich werd schon was für ihn finden. Er wird sicherlich nicht in JEDER meiner Missionen mitspielen.

Nochmals danke für die Kritik, ich hoffe, auch andere können sich noch dazu bequemen, mir ein paar Ratschläge zu geben, was ich besser machen könnte.

Sillybos

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