Bisher hat keiner bewertet.
Für Rekruten:
Die Palastwache behauptet die verweichlichten Rekruten könnten nichts, als ein Mord geschieht. Gonzo überträgt DIR die Aufgabe zu beweisen, das ihr fähig genug seid. Also, löse den Fall vor der Palastwache.
Dafür vergebene Note: 14
Es war ein Tag wie jeder andere. Der Gestank des Ankh lastete auf der Stadt und erstickte alle anderen Gerüche fast schon im Keim. Rina Lanfear schlenderte durch die Gassen und pfiff leise vor sich hin. Sie war erstaunlich gut gelaunt und überlegte, was sie ihrer Mutter zum anstehenden Geburtstag schenken konnte. Es war nämlich gar nicht so einfach, für jemanden, der schon fast alles hatte, noch ein entsprechendes Geschenk zu finden. Eine Wanduhr hatte ihre Mutter schon, die Vorhänge waren soeben erst erneuert worden* und Tischdecken mochte sie nicht besonders. Vor sich hin grübelnd marschierte Rina weiter und bemerkte die Taube nicht, die sich ihr blitzschnell näherte. Erst als ein lautes "Gurr!" neben ihrem Ohr ertönte und sie fühlte, wie der Stoff ihrer Uniform an der Schulter plötzlich feucht wurde, registrierte sie den Vogel. Umwillig und mit einem Fluch auf den Lippen nahm sie der Taube die Nachricht ab und verscheuchte sie anschließend. Dann zog sie den Zettel auseinander und las:
Rekrutin Lanfear, sofort in meinem Büro melden. DRINGEND! Gez.: Fähnrich Gonzo
Seufzend schüttelte Rina den Kopf und trabte im Laufschritt zur Wache. Der Tag versprach gerade, schlechter zu werden.
Gonzo saß in seinem Büro und las einen Bericht, als es an der Tür klopfte. Rina trat ein und begann: "Sir, sie wollten mich sprechen..."
Er blickte von den Papieren auf und erwiderte: "Rekrutin, sie wissen sicherlich, dass das Verhältnis zwischen der Stadt- und der Palastwache nicht das Beste ist, oder?"
"Ja, Sir. Die Palastwachen behaupten, die Rekruten wären verweichlicht und zu nichts zu gebrauchen."
Der Ausbilder grinste und sagte: "Genau. Deswegen müssen wir ihnen beweisen, dass unsere Rekruten auch in der Lage sind, Mordfälle zu lösen."
"Sir? Ich denke, ich habe sie nicht verstanden."
"Es wurde ein Mord im Haus von Sir John Roth gemeldet. Man hat sowohl die Palast- als auch die Stadtwache informiert. Ihre Aufgabe ist es nun, den Mordfall möglichst schnell zu lösen."
"Warum ich, Sir?"
"Nun, der Mord passierte in den sogenannten feineren Kreisen. Da dürften sie aufgrund ihrer Familiengeschichte einen kleinen Vorteil haben."
"Ich werde mein Bestes geben, Sir!"
"Weniger erwarte ich auch nicht von ihnen. Beeilen sie sich jetzt, die Palastwache müsste in ein paar Minuten am Tatort sein."
"Ja, Sir!"
Rina verließ das Büro ihres Ausbilders und schloss leise die Türe hinter sich. Sie murmelte etwas, das sehr nach: "Immer ich..." klang und beschloss dann, sich erst einmal den Tatort näher anzusehen. Glücklicherweise kannte sie Sir John Roths Wohnsitz bereits, da sie ihre Eltern ab und zu auf einen seiner Wohltätigkeitsbälle mitgenommen hatten.
Die Wächterin machte sich auf den Weg und überlegte währenddessen, was sie alles über Sir John Roth wusste. Soweit sie sich erinnern konnte, war er ein distinguierter, etwas älterer Herr, dessen liebste Betätigung neben seinen diversen wohltätigen Aktionen das Tanzen war.
Zu diesem Zweck hatte er in seinem Haus eines dieser neuwertigen Musiophone** aufgestellt, die auch Rina bewunderte. Während sie weiter durch die Strassen der Stadt eilte, versuchte sie sich an all die kleinen Details zu erinnern, die ihr früher vollkommen nutzlos erschienen waren. Sie erinnerte sich, dass Sir Johns Butler ein überaus steifer Bursche war, der den Namen James trug und immer darauf achtete, dass nur ja nichts beschmutzt wurde. Zusätzlich gehörte eine Köchin, die, wenn sie sich recht erinnerte, Mary oder Maria hieß, sowie ein Dienstmädchen namens Elise, das immer gerne kicherte und am meisten über den gängigen Klatsch und Tratsch wusste, zum Personal.
Wenig später erreichte Rina keuchend Sir Johns Haus und holte tief Luft. Es war äußerst ungehörig, irgendwo keuchend hereinzuplatzen und dann auch noch Fragen zu stellen. Das hatte zumindest ihre Mutter immer gesagt. Während die Wächterin noch nach Luft schnappte, sah sie zwei Offiziere der Palastwache, die Sir John in die Mitte genommen hatten und ihn gerade aus dem Haus schleiften. Rina nahm ihren ganzen Mut zusammen, stellte sich den beiden in den Weg und rief: "Stehen bleiben. Was tun sie hier?"
Der etwas ältere Offizier grinste und entblößte dabei eine Zahnlücke, die er sich zweifelsfrei bei einer Schlägerei zugezogen hatte. Er antwortete: "Geh aus dem Weg. Wir haben hier den Mörder von Mr. Kaitona. Ihr von der Stadtwache seid wieder einmal zu langsam gewesen. Wie immer."
Dann setzten sich die beiden wieder in Bewegung und zerrten Sir Roth an Rina vorbei. Die Wächterin sah den beiden nach und verzog das Gesicht. Soviel Brutalität wäre gar nicht nötig gewesen, das sich Sir Roth überhaupt nicht wehrte. Außerdem glaubte sie nicht, dass der arme Mann ein Mörder war. So wie er sich immer für andere Menschen eingesetzt hatte, erschien es ihr äußerst seltsam, dass er jetzt auf einmal einen Mord begangen haben sollten.
Rina überlegte kurz und betrat dann das Haus. Sie suchte nach dem Butler James, den sie im Salon vorfand. Leise räusperte sie sich und wartete, bis der Butler sie zur Kenntnis nahm.
Nach einem kurzen Augenblick drehte sich der Mann um und fragte: "Sie wünschen?"
"Guten Tag. Mein Name ist Irina Lanfear. Ich bin von der Stadtwache geschickt worden, um diesen Fall zu untersuchen. Können sie mir sagen, was passiert ist?"
"Ihre Kollegen von der Palastwache haben den Fall bereits abgeschlossen und den vermeintlichen Schuldigen abgeführt."
"Den vermeintlichen Schuldigen? Also glauben sie nicht, das Sir Roth jemanden getötet hat?"
"Mein Herr könnte nie jemanden töten. Aber warum interessiert sie das?"
"Nun, ich denke auch nicht, dass Sir John der wahre Täter ist. Können sie mir erzählen, was vor dem Mord passiert ist?"
"Es fing alles gestern Abend an. Mr. Kaitona kam vorbei und wollte mit Sir Roth reden, der jedoch zu diesem Zeitpunkt gerade einen Abendspaziergang im Park unternahm. Ich wollte den Herrn in den Salon führen, damit er auf Sir Roth warten könne, doch er teilte mir mit, dass er leider dringend abreisen müsse und nicht soviel Zeit hätte. Er erklärte, dass er eine Nachricht im Salon hinterlassen wolle. Ich ging in der Zwischenzeit nach oben, um Sir Roths Anzug für die abendliche Gesellschaft herzurichten. Ungefähr 10 Minuten später rief mich Sir Roth zu sich hinunter. Er stand in der Tür des Salons und bat mich, ihm doch eine von diesen ausgezeichneten klatschianischen Zigarren zu bringen, die er erst unlängst erworben hatte. Ich nahm an, dass Mr. Kaitona zu diesem Zeitpunkt bereits gegangen sein musste, denn ich sah niemand sonst im Salon. Nachdem ich Sir Roth seine Zigarre gebracht hatte, setzte er sich in den Lehnstuhl im Salon und rauchte sie. Etwa zwei Stunden später trafen die ersten Gäste ein."
"Wer gehörte an diesem Abend alles zu der Gesellschaft?"
"Da wäre einmal Mrs. Kaitona, dann das Ehepaar Williamson und Sir Corwin. Es wäre auch noch Mr. Kaitona zu der Gesellschaft eingeladen gewesen, doch er erschien nicht."
"Das ist interessant. Wissen sie, wie der Abend verlaufen ist?"
"Es wurde diniert, getanzt und über dies und jenes geplaudert. Wie das bei normalen Abendgesellschaften so üblich ist."
"Was passierte anschließend?"
"Die Gäste verabschiedeten sich und bestiegen ihre Kutschen. Sir Roth ging zu Bett."
"Wer entdeckte die Leiche?"
"Das war ich am nächsten Morgen. Ich räumte den Salon auf und bemerkte ein paar dunkle Flecken auf dem Boden. Zum Entfernen der Flecken wollte ich die Holzkiste, die Sir Roth von einer seiner Expeditionen mitgebracht hatte, verschieben. Doch sie war seltsamerweise immens schwer. Deshalb öffnete ich sie und sah Mr. Kaitonas Leiche."
"Wissen sie sicher, dass Mr. Kaitona am Vorabend das Haus verließ?"
"Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sir Roth musste ihm auf jeden Fall die Türe geöffnet haben, denn diese ist zu dieser Zeit bereits verschlossen. Anders kann er das Haus nicht verlassen haben, denn nach mir rief niemand."
"Ich danke ihnen. Darf ich mich hier noch ein wenig umsehen?"
"Wenn es unbedingt sein muss. Sagen sie mir Bescheid, wenn sie etwas benötigen."
Rina nickte und sah sich etwas genauer im Salon um, während der Butler das Zimmer verließ.
Die Wächterin entdeckte die Holztruhe nicht sofort, da ein großer Wandschirm sie fast vollständig verbarg. Als sie hinter den Wandschirm blickte, entdeckte sie eine kleine Theke, auf der einige alkoholhältige Getränke und das Musiphone standen sowie das von ihr gesuchte Möbelstück. Rina wandte sich der Truhe zu und untersuchte diese sorgfältig. Sie hielt gedanklich fest, dass der Gegenstand dunkelbraun, relativ groß und größtenteils mit Holzschnitzerein bedeckt war. Nachdem sie das Äußere einige Zeit lang inspiziert hatte, öffnete sie den Deckel und sah hinein. Im Inneren entdeckte sie einen Blutfleck, der aber kaum als solcher zu erkennen war. Während sie den Blutfleck genauer betrachtete, fiel ihr etwas merkwürdiges auf: obwohl James für seine Reinlichkeit bekannt war, sah sie am Boden der Truhe an der hinteren Wand eine feine Staubschicht. Die Wächterin beugte sich noch tiefer hinunter, um die Spur genauer zu sehen und stützte sich dabei mit einer Hand an der hinteren Innenwand der Truhe ab. Sie stutzte, denn sie konnte nicht recht glauben, was sie da gerade ertastete. Es fühlte sich an, als hätte jemand ein paar kleine Löcher in die Truhe gebohrt.
Rina richtete sich auf und überlegte. Wem konnte es wohl nutzen, Löcher in diese Truhe zu bohren? Er oder sie mussten es erst vor kurzem getan haben, da James sonst den Holzstaub bereits weggewischt hätte. Gedanklich machte sie sich eine Notiz und rief dann nochmals nach dem Butler.
"Haben sie noch Fragen an mich?"
"Ja, wann haben sie zum letzten Mal hier herinnen Staub gewischt?"
"Ich wische generell nicht Staub. Das ist die Aufgabe des Dienstmädchens."
"Gut, wann hat das Hausmädchen hier das letzte Mal Staub gewischt?"
"Das war gestern Vormittag."
"Hat sie auch das Innere der Truhe gesäubert?"
"Das Innere der Truhe? Nein, das habe ich getan. In solchen Dingen ist sie sehr nachlässig."
"Folglich haben sie gestern das Innere der Truhe gesäubert. Könnten sie diese Staubschicht übersehen haben?" Die Wächterin zeigte dem Butler die Staubschicht und wartete auf seine Reaktion.
James sah erstaunt in die Truhe und erwiderte: "Ich kann es unmöglich übersehen haben. Die Truhe wird mit einem speziellen Mittel behandelt, um sie vor einem Holzwurmangriff zu schützen. Ich habe gestern eigenhändig den Boden damit poliert."
"Danke für die Information. Wo finde ich das Dienstmädchen?"
"Sie sitzt in der Küche und hilft der Köchin."
"Vielen Dank."
Elise saß tatsächlich in der Küche und schälte Kartoffeln. Erstaunt sah sie auf, als die Wächterin eintrat.
Rina begann mit den üblichen Einleitungsfloskeln: "Guten Tag, mein Name ist Irina Lanfear. Ich ermittle im Mordfall Kaitona."
"Oh, sie haben Sir Roth doch schon verhaftet. Was wollen sie denn sonst noch von uns? Etwa noch mehr Leute verhaften?"
"Mhm, ich hätte eigentlich lieber ein paar Informationen über den gestrigen Abend gehabt."
"Über gestern Abend? Was wollen sie denn wissen?"
"Alles, was irgendwie von Bedeutung sein könnte."
"Also gut, gestern Abend 22.00 trafen die geladenen Gäste ein. Es waren Mrs. Kaitona, das Ehepaar Williamson und Sir Corwin. Sir Corwin war sehr freundlich zu mir, während das Ehepaar wie immer sehr verschlossen blieb. Sie wissen ja sicherlich, was man sich über "solche" Leute erzählt..."
"Sollte ich?""
"Nun, sie wissen schon, das sind Werwölfe. Ist es nicht schlimm, dass so etwas in die feine Gesellschaft aufgenommen wird? Das wäre ja noch schöner, wenn ich plötzlich Herrschaften hätte, die Werwölfe sind. Da wäre man ja seines Lebens nicht mehr sicher. Schlimmer könnte es eigentlich nur mehr werden, wenn auch noch Zwerge und Trolle aufgenommen werden. Aber so etwas wird hoffentlich nie passieren. Zwerge und Trolle... pah."
"Äh.... was passierte im Verlauf des Abends?"
"Die Herrschaften dinierten zuerst und diskutierten anschließend etwas über die derzeitige Wirtschaftslage, über Geschäfte in Überwald und die politische Situation in Klatsch. Anschließend fragte Sir Roth, ob nicht jemand Tanzen wolle. Da alle zustimmten, bildeten sie Paare. Es war ja zu erwarten, dass Sir Roth mit Mrs. Kaitona tanzte. Nach allem, was man über sie erzählt....."
Rina beugte sich neugierig vor und fragte: "Ja? Was erzählt man sich denn über sie?"
"Ach, sie wissen schon. Sie ist eine von den Frauen, um die sich die Männer schlagen. Sie steht dann daneben, klimpert mit den Augen und versichert, daran nicht schuld zu sein. So sind sie eben alle."
"Denken sie, dass Sir Roth sich zu ihr hingezogen fühlte?"
"Und ob! Er hatte nur mehr Augen für sie und ignorierte Sir Corwin. Der arme Mann musste die ganze Zeit zusehen, wie sich alle anderen vergnügten. Er war sogar so großzügig, dass er die Musik anstellte und für alle Getränke zubereitete, obwohl dass eigentlich die Aufgabe des Butlers gewesen wäre. Aber Sir Corwin war schon immer ein sehr liebenswürdiger Mensch."
"Sonst ist nichts mehr passiert?"
"Nein, nach dem Tanzen setzten sich alle nochmals an den Tisch und unterhielten sich noch ungefähr eine halbe Stunde. Anschließend verabschiedeten sich die Gäste und fuhren in ihren Kutschen nach Hause. Sir Roth ging zu Bett"
"Weshalb wissen sie eigentlich so genau, was an dem Abend passiert ist?"
Das Dienstmädchen wurde rot und stotterte. Die Köchin blickte auf und sagte: "Weil sie gelauscht hat, Madam. Das macht sie immer, wenn es einen Empfang gibt, zu dem ihr Angebeteter Sir Corwin kommt. Sie ist in ihn verliebt."
Elise warf der Köchin einen trotzigen Blick zu und erklärte: "Ja, ich liebe ihn. Ich werde ihn heiraten, wenn es an der Zeit ist."
Rina schüttelte fast unmerklich den Kopf und meinte dann: "Danke für die vielen Informationen. Ich komme nochmals, sofern sich weitere Fragen ergeben."
Die Wächterin verließ das Haus und holte tief Luft. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht. Da sie aber nicht genau erkennen konnte, was sie an diesem Tatort so gestört hatte, beschloss sie, erst einmal zu Gonzo zurückzukehren. Vielleicht konnte er ihr weiterhelfen.
Als Rina vor Gonzos Bürotür stand, hörte sie wütendes Geschrei. Irgendwer machte seinem Ärger wohl gerade sehr deutlich Luft. Die Rekrutin seufzte und klopfte an. Als sie nichts hörte, trat sie einfach ein.
Oberfeldwebel VidG Schmiedehammer schrie gerade: "... und dann kamen die Typen einfach zu uns und stellten ihn ab! Einer grinste dümmlich und meinte, dass wir wohl unfähig wären und sie jetzt schon unsere Arbeit übernehmen müssten! Wir seien allesamt ein Haufen Waschlappen.... er hat mich einen Waschlappen genannt... vor meinen Leuten!"
Gonzo nutzte eine kurze Luftholpause seines Kollegen und sagte: "Guten Tag, Rekrutin Lanfear. Wie gehts ihren Ermittlungen im Mordfall Kaitona?“
"Nicht so gut, Sir. Die Palastwache hat den vermeintlichen Schuldigen, Sir Roth, verhaftet. Ich bin jedoch nicht davon überzeugt, dass er tatsächlich der Mörder ist."
VidG Schmiedehammers Gesicht hellte sich auf und er fragte: "Unschuldig? Denken sie wirklich, dass er unschuldig ist?"
"Nun, Sir, einige Indizien passen nicht so ganz in das Bild. Da wäre erst einmal der Punkt, dass Sir Roth nach der Abendgesellschaft zu Bett gegangen ist. Welcher vernünftige Mörder geht einfach schlafen, wenn er genau weiß, dass sein Opfer sich noch im Haus befindet und er einen übereifrigen Butler hat, der am nächsten Morgen sicher sauber macht?"
"Das ist ein Argument. Wer hat ihrer Meinung nach den Mord begangen?"
"Das weiß ich noch nicht, Sir. Ich bin hier, weil ich eine Genehmigung benötige, um mir die Leiche etwas genauer anzusehen. Ich nehme stark an, dass die Palastwachen sie zu S.U.S.I bringen ließ."
Gonzo und Schmiedehammer sahen sich einen Moment lang an und meinten dann wie aus einem Mund: "Genehmigung erteilt, Rekrutin."
Gonzo schloss noch an: "Sie erhalten eine Sondergenehmigung, weiter an dem Fall zu ermitteln. Wir möchten jedoch über sämtliche neue Informationen in Kenntnis gesetzt werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
"Ja, Sir."
Rinas Ausbilder schrieb etwas auf ein Blatt Papier und reichte es dann der Rekrutin. Er meinte: "Das müsste reichen, um die Leiche zu sehen und etwaige Probleme zu vermeiden".
Die Wächterin bedankte sich und verließ das Büro eilig. Schmiedehammers Gesichtsausdruck in den letzten Minuten hatte ihr ganz und gar nicht gefallen. Seufzend machte sie sich auf den Weg zu S.U.S.I.. Vielleicht wurde ihr beim Betrachten der Leiche klar, was sie die ganze Zeit an dem Fall so störte.
Währendessen saßen die beiden Ausbilder in Gonzos Büro und diskutierten eifrig. Wenn jemand an der Türe gelauscht hätte, hätte er vermutlich folgende Wortfetzen aufschnappen können: "... sicher, dass das funktioniert?......besser als gar nichts... eine fürchterliche Blamage.....hat Chancen... ich freu mich schon.....denen wird das Lachen noch vergehen."
Pismire betrachtete kritisch das Blatt Papier, welches ihm Rekrutin Lanfear überreicht hatte. Darauf stand:
Rekrutin Lanfear erhält hiermit die Genehmigung, die Leiche des Mordfalls Kaitona genauer zu untersuchen.
Er schüttelte unmerklich den Kopf und deutete der Wächterin dann, dass sie mitkommen sollte. Während er sie zu dem Mordopfer führte, überlegte er, was Gonzo mit dieser Bescheinigung bezweckte, denn es war an sich völlig unüblich, dass eine Rekrutin mit einem Mordfall betraut wurde.
Rina trabte hinter ihm her und grübelte. Da war noch immer etwas, was ihr Kopfzerbrechen bereitete. Sie wusste jedoch nicht, was es war und dieses Wissen machte sie schier verrückt. Sie bemerkte kaum, wie sie der Gerichtsmediziner zu der Leiche führte und stehen blieb. Erst als er sich laut räusperte, schreckte sie aus den Gedanken hoch und sah ihn fragend an.
"Das Opfer ist erstochen worden. Tatwaffe war ein langes, dünnes Stilett, welches sich noch im Mordopfer befand. Die Waffe stammt vom Schreibtisch des Tatverdächtigen und es waren auf ihr keine Fingerabdrücke zu finden. Der Tod ist sofort eingetreten."
Rina runzelte die Stirn und fragte: "Hat die Obduktion etwas ergeben?"
"Nein, er war an sich völlig gesund."
"An sich?"
"Ich fand geringe Spuren von einem Beruhigungsmittel in seinem Blut. Daran kann er jedoch nicht gestorben sein."
"War er zum Zeitpunkt des Mordes bei Bewusstsein?"
"Das kann ich nicht sagen. Möglich wäre es. Das Mittel besitzt eine erstaunlich schnelle Abbaubarkeit. Es ist ein Wunder, dass überhaupt noch etwas gefunden wurde."
"Konnten sie den Todeszeitpunkt bestimmen?"
"Zwischen 22.00 und 24.00. Eine genauere Zeitangabe kann ich leider nicht machen."
"Hatte er etwas bei sich?"
Der Gerichtsmediziner nickte, zog aus einer Schublade einen Beutel und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Rina kramte etwas und notierte geistig: ein Taschentuch, etwas Kleingeld, eine Brieftasche, gefüllt mit 10 AM$, einige Rechnungen, ein Stift sowie ein klobiger Gegenstand aus Holz. Sie drehte den Gegenstand einige Male und fragte: "Wozu gehört der wohl?"
"Das wissen wir auch nicht."
Die Wächterin seufzte und meinte: "Darf ich den wohl mitnehmen? Vielleicht finde ich noch jemanden, der mir sagen kann, was das ist."
Pismire überlegte kurz und erwiderte dann: "Das müsste in Ordnung gehen."
Rina verabschiedet sich und beschloss, die Gäste der Abendgesellschaft genauer zu befragen. Sie überlegte kurz und entschied sich dann, zuerst bei dem Ehepaar mit der Befragung zu beginnen.
Es war gar nicht so leicht herauszufinden, wo das Ehepaar Williamson wohnte. Sie waren neureich und noch nicht in der zweifellos veralteten Ausgabe des Who's Who der Wache verzeichnet, wie Rina nach mehrminütigem Herumgeblätter feststellte. Sie dachte kurz nach, wer ihr wohl bei diesem Problem weiterhelfen könne und kam dann auf die naheliegenste Idee: Sie beschloss, ihre Eltern zu fragen. Wenn schon wer über die diversen "öffentlichen Personen" Bescheid wusste, dann doch sicher ihre Mutter.
Rinas Mutter war begeistert, als ihre Tochter nach den Williamsons fragte. Endlich interessierte sich ihr kleiner Liebling für die sogenannte obere Schicht. Das ihre Tochter das Interesse mit beruflichen Ermittlungen begründete, überhörte sie einfach. Rina seufzte und erduldete einen halbstündigen Vortrag ihrer Mutter über das Thema Neureiche Werwölfe und ihre großartigen Stammbäume, bis sie endlich die gewünschte Information erhielt: die Williamsons wohnten in der Kaufmannstrasse. Eilig verabschiedete sie sich von ihrer Mutter unter dem Vorwand, noch eine dringende Angelegenheit regeln zu müssen und verließ fluchtartig das Haus.
Das Haus des Ehepaares sah von außen relativ unauffällig aus. Die Wächterin beschloss, auf ihr Glück zu vertrauen und klopfte an. Tatsächlich öffnete eine hochgewachsene Gestalt die Tür und fragte: "Sie wünschen?"
Die Wächterin spulte ihr inzwischen schon zum Standard gehörendes Einleitungssätzchen ab : "Guten Tag. Ich bin Wächterin Irina Lanfear und ermittle im Mordfall Kaitona. Ich müsste Mr. und Mrs. Williamson ein paar Fragen stellen."
Der Butler runzelte die Stirn, musterte Rina kurz und meinte dann: "Warten sie bitte einen Moment. Ich frage nach."
Rina wartete in der Zwischenzeit vor der Tür und überlegte, dass ihr diese ewigen Butler auf die Nerven gingen. Immer standen sie überall herum und erklärten, dass man doch bitte kurz warten sollte.
Einige Minuten später kam der Butler wieder zu ihr zurück und teilte ihr mit, dass das Ehepaar sie jetzt erwarte. Die Wächterin verdrehte innerlich die Augen und folgte ihm in den Salon. Dort saßen zwei Gestalten in hohen Stühlen. Das herrschaftliche Bild wurde jedoch durch ständiges lautstarkes Schneuzen unterbrochen. Rina starrte etwas fassungslos auf die beiden Werwölfe, denn sie hatte noch nie davon gehört, dass Werwölfe erkranken konnten.
Mr. Williamson erfing sich als erstes und begann: "Sie müssen uns entschuldigen. Wir wissen auch nicht ganz, wie es dazu kommen konnte."
Die Wächterin fing sich halbwegs und begann: "Äh, ich wollte sie über die Abendgesellschaft bei Sir Roth befragen."
"Kein Problem, hatschi. An diesem Tag fing auch dieser fürchterliche Schnupfen an. Wir hatten Glück, dass wir überhaupt zu der Gesellschaft gehen konnten. Leider haben wir das traumhafte Essen nicht gerochen, aber an diesem Abend hätten wir nicht einmal Blut wahrgenommen."
"Wann fing der Schnupfen an?"
"Nun, am späteren Nachmittag des besagten Tages bekamen wir von einem unbekannten Verehrer einen schönen Blumenstrauß. Sowohl meine Frau als auch ich rochen daran und plötzlich niesten wir beide. Wir haben den Blumenstrauß natürlich sofort entsorgt. Ich finde es ungeheuerlich, dass jemand so gemein ist und uns Blumen schenkt, die zu Niesanfällen führen.."
"Lag eine Karte dabei?"
"Nein, leider nicht. Sonst würde ich demjenigen einmal zeigen, was ich mit meinen Zähnen alles anstellen kann."
In dem Moment richtete sich Mrs. Williamson etwas auf und rief: "Der Blumenstrauß kam von einem Laden, der sich unweit von hier befindet. Ich habe ihn in der Früh bei meinem Morgenspaziergang ausgiebig bewundert und mich gefragt, warum Du mir nie so etwas schönes, hatschi, schenkst."
Ihr Mann zog den Kopf ein und murmelte: "Ich werd dir einen großen und wunderschönen Strauss schenken... hatschi... sobald dieser Schnupfen vorbei ist."
Rina befragte das Ehepaar noch weiter, bekam aber keine neuen Informationen von ihnen. Sie hörte noch eine Version des Verlaufs der Abendgesellschaft, die sich ungefähr mit der Version des Dienstmädchens deckte. Die Wächterin erkundigte sich noch nach der genauen Adresse des Blumenhändlers, verabschiedete sich dann von den zwei verschnupften Werwölfen und machte sich wieder auf den Weg.
Bei der Blumenhandlung angekommen, stellte die Wächterin fest, dass es wohl doch nicht ganz so einfach war, fundierte Informationen über den Käufer zu bekommen. Die Verkäuferin erinnerte sich nur daran, dass es eine Frau gewesen war, die den Strauss erworben hatte und dann den Auftrag gab, ihn zu guten Bekannten zu schicken. Sie konnte jedoch nicht sagen, wie die Dame ausgesehen hatte, geschweige denn, wie sie gekleidet war. Rina seufzte und sah auf ihre Uhr. Es war bereits früher Abend und sie wusste sowieso nicht, was sie derzeit machen sollte. Sie konnte noch die anderen Gäste befragen, aber sie bezweifelte, dass sie um diese Uhrzeit noch irgendwo willkommen wäre. Also beschloss sie, sich auf den Heimweg zu machen und zu Hause in Ruhe darüber nachzudenken, was morgen alles getan werden musste.
In ihrem Zimmer suchte sie eine Weile, bis sie ein paar kleine Papierkärtchen und einen Stift gefunden hatte. Dann notierte sie jeweils eine wichtige Information auf einer Karte und versuchte, etwas Ordnung in das Chaos zu bringen.
"Sir John Roth......Mr. Kaitona......Schnupfen.....22.00-24.00.... Messer vom Arbeitstisch....keine Fingerabdrücke....Abendgesellschaft.... Verdammt, ich weiß, da ist noch etwas! Irgendeine Information fehlt mir!" Die Wächterin warf wutentbrannt den ganzen Stapel Papierkärtchen auf ihr Bett und überlegte. Sie war sich sicher, dass sie, sobald sie die fehlende Information erhielt, den Fall lösen konnte. Das Problem war jetzt nur, diese Information zu finden. Rina beschloss, morgen den Rest der Abendgesellschaft zu befragen und zu hoffen, dass irgendwer eine brauchbare Aussage lieferte. Sie wollte gerade schlafen gehen, als ihre Mutter rief: "Rina, komm doch bitte nochmals herunter. Wir haben Besuch."
Die Wächterin fluchte leise vor sich hin, warf einen kurzen Blick in einen Spiegel und beschloss, dass sie sich so sehen lassen konnte. Dann machte sie sich auf den Weg ins Wohnzimmer, aus dem die Stimmer ihrer Mutter gekommen zu sein schien.
Ein Frau schluchzte gerade: "..... und dann haben sie ihn einfach so verhaftet...." als Rina das Zimmer betrat. Ihre Mutter sah kurz auf und meinte: "Rina, das ist Mrs. Kaitona. Sie hat gehört, dass du mit dem Mordfall betraut bist."
Die Frau sah auf und rief: "Oh bitte, sie müssen beweisen, dass John unschuldig ist. Er war sicher nicht der Mörder."
Die Wächterin sah Mrs. Kaitona einen Moment lang sprachlos an und verarbeitete das soeben gehörte. Dann erwiderte sie: "Warum sind sie sich so sicher, dass er nicht der Mörder war?"
Mrs. Kaitona zögerte kurz und erklärte dann: "Weil ich ihn kenne."
Rina zog eine Augenbraue hoch und fragte: "Wie gut kennen sie ihn?"
Einige Sekunden herrschte angespannte Stille im Raum, bis Mrs. Kaitona sich scheinbar überwunden hatte und sagte: "Ich liebe ihn. Schon sehr lange."
"Hat ihr Mann davon gewusst?"
"Ich denke nicht. Obwohl er sich in letzter Zeit etwas seltsam benommen hat."
Die Wächterin meinte: "Schön, dass sie so ehrlich sind. Bitte erzählen sie mir, was an dem fraglichen Tag alles vorgefallen ist."
"Nun, mein verstorbener Mann Marcus erwähnte beim Mittagessen, dass er leider die Einladung zu der Abendgesellschaft nicht wahrnehmen könne, da ihn dringende Geschäfte zwängen, noch an diesem Abend zu verreisen. Etwas später besuchte er seinen Freund Sir Corwin. Die beiden sind seit Jahren die besten Freunde und treffen sich gelegentlich, um ein bisschen zu trinken und über alte Zeiten zu plaudern.
Ich bin am Abend zu Johns Abendgesellschaft gegangen. Wir haben dort gegessen, getanzt und geplaudert."
"Haben sie irgendeinen Beweis, dass Sir Roth unschuldig ist?"
"Nein, ich weiß es einfach."
Rina seufzte, beschloss, dass hier keine weiteren Informationen mehr zu bekommen wären und erklärte: "Ich werde versuchen, den wahren Mörder zu finden. Wenn sie mich jetzt bitte entschuldigen würden? Ich habe in meinem Zimmer noch einiges an Arbeit liegen."
Mit diesen Worten verließ sie ihre Eltern und ging wieder in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schrieb auf ein weiteres Papierkärtchen Treffen Kaitona und Corwin, tranken etwas . Grübelnd saß sie noch eine Weile vor dieser Karte, bevor sie beschloss, endgültig schlafen zu gehen.
Am nächsten Morgen wachte Rina plötzlich auf. Irgendetwas hatte sie relativ unsanft aus dem Schlaf gerissen. Während sich die Wächterin aufmerksam in ihrem Zimmer umsah, ertönte eine Stimme aus dem Schatten nahe ihres Kleiderschranks. Ecatherina meinte: "Guten Morgen, Schlafmütze. Ich hab heute früh bei Gonzo vorbeigeschaut, der mich dann sofort zu dir geschickt hat."
"Was...was....was ist denn so dringendes los?"
"Nun, es gibt eine weitere Leiche im Mordfall Kaitona."
Rina sprang, oder besser gesagt, fiel aus dem Bett, stürmte zum Kleiderschrank und suchte nach ihrer Uniform. Ecatherina informierte sie währenddessen darüber, dass es sich bei der zweiten Leiche um das Dienstmädchen von Sir Roth handelte. Elise hatte sich in der Nacht in ihrer Wohnung erhängt und wurde heute morgen von einer Freundin gefunden. Auf Nachfrage erklärte Ecatherina, dass Elise als einzige vom Personal die Möglichkeit genutzt hatte, im Dienstbotenhaus zu wohnen.
Die Rekrutin fluchte und meinte dann zu ihrer Freundin: "Danke, ich kümmere mich gleich darum. Ich muss nur noch kurz etwas essen, dann bin ich unterwegs." Mit diesen Worten rannte sie aus dem Zimmer und schmiss die Tür hinter sich zu. Ecatherina sah ihr nach und überlegte, dass Rina doch ganz schön schnell sein konnte, sofern sie es wirklich eilig hatte.
Rinas Eltern sahen erstaunt von ihrem Frühstück auf, als ihre Tochter die Treppe herunterpolterte. Ihre Mutter sah unauffällig hinüber zur Wanduhr und überlegte, warum ihr kleiner Liebling heute eine halbe Stunde früher als sonst aufstand. Sei beschloss, es auf den gestrigen Besuch von Liseth Kaitona zurückzuführen und dachte nicht weiter darüber nach.
Rina setzte sich hastig an den Frühstückstisch. In Gedanken versunken zog sie automatisch den klobigen Holzgegenstand, der zu Mr. Kaitonas persönlichen Gegenständen gehört hatte, aus der Tasche und drehte ihn hin und her. Sie überlegte gerade, was das Dienstmädchen zum Selbstmord veranlasst haben könnte, als die wütende Stimme ihrer Mutter ihre Gedankengänge unterbrach.
"Schatz, jetzt sieh dir das einmal an! Rinas Sumpfdrache hat schon wieder alles angesengt. Wir sollten ihn wirklich irgendwo einsperren. Wie wäre es mit der Kiste hier?"
Rinas Vater runzelte die Stirn, seufzte und erwiderte: "Ja, aber zuerst braucht die Kiste Luftlöcher. Warte einmal kurz. Rina, gib mir bitte den Handbohrer."
Die Wächterin sah ihn verblüfft an und fragte: "Welchen Handbohrer?"
"Na den, den du bereits seit zehn Minuten hin und her drehst. Ich weiß wirklich nicht, warum er dir so gut gefällt."
"Das ist ein Handbohrer?"
"Was hast du denn gedacht, dass es sonst ist? Könntest du ihn mir jetzt bitte kurz borgen?"
Rinas Gedanken rasten. Sie hatte das Gefühl, gerade einen wichtigen Teil des Mordfalles gelöst zu haben. Sie wusste jetzt zwar das Wie und vermutlich auch das Wer des Falles, aber das Warum fehlte noch. Sie sprang auf, drückte ihrem Vater einen flüchtigen Kuss auf die Wange, rief: "Ich erklärs euch später! Es waren Luftlöcher! Ich muss jetzt los! Mein Sumpfdrache wird nicht eingesperrt!" und rannte zur Türe hinaus.
Zurück blieben zwei sehr verwirrt aussehende Eltern, die sich kurz ansahen und beschlossen, bei Gelegenheit mit ihrer Tochter einen längeren Urlaub zu machen. Scheinbar hatte Rina in letzter Zeit einfach zu viel Stress gehabt.
Im Dienstbotentrakt befanden sich bereits Johann Zupfgut und Lupus, als Rina ankam. Die Wächterin holte tief Luft, kramte nach ihrer Bestätigung, die sie von Gonzo erhalten hatte und fragte Johann: "Gibt es schon etwas neues?"
Der Tatortsicherer sah sich kurz die Bestätigung an und antwortete dann: "Ja, wir gehen inzwischen nicht mehr von einem Selbstmord aus. Es sprechen einige Tatsachen dagegen."
"Gibt es einen Hinweis auf den Mörder?"
"Nun, die Spurensicherung läuft noch. Es ist ein Abschiedsbrief vorhanden, der aller Wahrscheinlichkeit nach gefälscht ist. Außerdem haben wir Spuren entdeckt, dass das Opfer gestern Abend nicht alleine war."
Rina sah kurz auf und überlegte dann. Sie musste unbedingt mit Gonzo sprechen und ihm mitteilen, dass sie einen ziemlich starken Verdacht hatte, wer hier mordete. Die Wächterin verabschiedete sich rasch von Johann und Lupus und machte sich im Laufschritt auf den Weg zur Wache.
Gonzo saß in seinem Büro und besprach gerade mit seinen drei Ausbilderkollegen die Einteilung der Dienstpläne, als es an der Tür klopfte. Rina trat ein und schluckte heftig, als sie drei Ausbilder mehr vor sich stehen sah, als sie eigentlich erwartet hatte. Innerlich seufzend beschloss sie, dass es wohl nicht sehr viel Sinn hätte, später noch einmal wiederzukommen und zu hoffen, dass Gonzo dann allein anzutreffen wäre. Während sie noch mit sich selber rang, blinzelte der Gnom kurz und fragte: "Gibt es etwas dringendes, Rekrutin?"
Die Wächterin wünschte sich selbst in Gedanken viel Glück und begann: "Ich weiß, wer der Mörder von Mr. Kaitona und dem Dienstmädchen Elise ist."
Ihre Erklärung löste einige spontane Reaktionen aus: VidG Schmiedehammer und Zaddam Boschnigg riefen fast gleichzeitig "Wer?", während Lavaelous und Gonzo zuerst etwas zurückhaltender reagierten und nur "Haben sie Beweise?" fragten.
Rina wartete kurz, bis sich die Aufregung etwas gelegt hatte und erklärte dann: "Ich habe leider keine Beweise und hoffe, dass S.U.S.I am zweiten Tatort noch etwas findet."
Gonzo seufzte und meinte: "Ohne Beweise können wir aber niemanden verhaften."
Die Rekrutin nickte und erwiderte: "Ich weiß, Sir. Das ist mein Problem. Ich kenne den Mörder und kann es ihm doch nicht beweisen."
Zaddam Boschnigg hielt es kaum mehr aus und rief dazwischen: "Wer war es denn jetzt?"
Rina begann: "Es war......." als ihr plötzlich eine Idee kam. Sie sah in Gedanken noch einmal den Ablauf des ganzen Abends vor ihrem inneren Auge, beobachtete den Mörder, wie er sein Opfer erstach und.....sie sah einen Zeugen, der die ganze Tat beobachtet hatte. Einen Zeugen, den noch niemand befragt hatte und der derzeit extrem gefährlich lebte. Die Rekrutin fluchte lauthals und stürmte aus dem Büro. Hinter ihr erscholl ein infernalischer Schrei.
Die vier Ausbilder starrten erstaunt auf die leere Stelle, an der sich eben noch Rina Lanfear befunden hatte. Sie hatten gerade darauf gewartet, das die Rekrutin endlich preisgab, wer der Mörder war. Doch als sie endlich soweit war, hörte sie plötzlich mitten im Satz auf, starrte verträumt ins Leere, fluchte kurz darauf äußerst derb und rannte aus dem Büro.
VidG Schmiedehammers Gesichtsfarbe schien auf dunkelrot zu wechseln. Er stürmte der Rekrutin hinterher und schrie laut: "Jetzt sagen sie uns endlich, wer der Mörder ist! Und bleiben sie gefälligst stehen, wenn ich sie anschreie!"
Lavaelous warf Gonzo einen kurzen Blick zu, der ungefähr zu sagen schien: "Weißt du, was das jetzt war?"
Der Gnom zuckte jedoch nur mit den Achseln und erwiderte lautlos: "Das wüsste ich auch gern."
Zaddam Boschnigg starrte ins Leere und meinte nur: "Ich frage mich, ob er sie einholt....."
"Er" schaffte es tatsächlich, "sie" einzuholen. Rina bemerkte plötzlich, wie neben ihr ein etwas lauter schnaufender Zwerg rannte und zwischen den Atemholpausen japste: "Jetzt rennen sie nicht....so schnell......Rekrutin."
Rina antwortete: "Tut mir leid, Sir. Ich habe einen Zeugen, der derzeit in akuter Lebensgefahr schwebt. Ich muss mich beeilen. Auf Wiedersehen, Sir."
Bei diesen Worten beschleunigte die Rekrutin nochmals das Tempo und ließ einen reichlich verdutzen Zwerg zurück. VidG Schmiedehammer murmelte vor sich hin: "Wenn ich die in die Finger kriege...:" dann fiel ihm ein, dass er noch immer nicht wusste, wer denn jetzt der Mörder war. Wutentbrannt rannte er hinter der sich immer schneller entfernenden Rekrutin her.
Rina rannte so schnell sie konnte und hoffte, nicht zu spät zu kommen. Der erste Mordplan bewies, dass der Mörder einen klugen Kopf besaß. Daher war es gut möglich, dass nicht nur sie inzwischen herausgefunden hatte, dass es noch einen Zeugen gab, der den Täter identifizieren konnte, sondern auch der Mörder. In Gedanken verfluchte sie ihre eigene Dummheit. Sie hatte diese Information schon von Beginn an besessen, aber sich einfach nicht daran erinnert. Oder sie hatte sich doch daran erinnert und die Information als unwichtig abgetan. Das war bei ihrem Gedächtnis auch möglich. Während Rina sich selbst Vorwürfe machte, kam endlich Sir Roths Anwesen in Sicht. Die Wächterin hielt sich erst gar nicht mit Klingeln auf, sondern riss mit Schwung die zum Glück unversperrte Tür auf und stürmte in Richtung Salon. Ein Teil ihres Gehirns registrierte, dass der Butler ohnmächtig am Boden lag, verschob etwaige Schlussfolgerungen und Konsequenzen aber auf später.
Die Wächterin platze in den Salon und sah, wie der Mörder gerade den Dämonen aus dem Musiophone zog. Sie schrie: "Hände hoch! Ich bin von der Stadtwache!"
Sir Corwin drehte sich um, stutze kurz, grinste dann und sagte: "Ich fürchte mich jetzt aber zu Tode. Willst du mich ganz alleine Verhaften?"
Rina überlegte kurz. Sie war alleine, sah nicht besonders bedrohlich aus und ihr Gegenüber hatte ein Messer. Alle Vorteile lagen also auf ihrer Seite. Die Wächterin versuchte, nicht allzu offensichtlich zu grinsen, sondern eher ängstlich auszusehen und begann: "Es war ein sehr intelligenter Plan, Mr. Kaitoa aus dem Weg zu schaffen und dann Sir Roth als Mörder zu präsentieren. Haben sie gedacht, dass Mrs. Kaitona dann in ihre Arme sinkt?"
Sir Corwin lächelte freudlos und erklärte: "So ungefähr. Aber Liseth musste natürlich ihrem geliebten John die Treue halten."
"Ja, sie liebt ihn wirklich. Wenn wir schon von Liebe reden..... Elise hat den Blumenstrauß gekauft, oder?"
"Diese dumme Gans war so erpicht darauf, etwas für mich zu tun und ihr Hass auf Werwölfe war leicht auszunutzen. Aber sie wurde zu gierig. Deshalb hat sie "Selbstmord" begangen."
"Ich würde eher sagen, sie haben sie mit dem selben Mittel betäubt, welches auch schon Mr. Kaitona das Leben kostete und dann aufgehängt."
Der Mörder lachte und erwiderte: "Schon möglich. Aber du wirst keine Gelegenheit mehr haben, dass noch jemandem zu erzählen. Zuerst werde ich jetzt dich umbringen und dann diesen dummen kleinen Dämon. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre es ein perfekter Plan gewesen."
"Wie haben sie eigentlich Mr. Kaitona dazu gebracht, dass er in die Truhe steigt?"
"Das hast du nicht herausgefunden? Ich habe ihm erzählt, dass seine Frau in letzter Zeit auffällig mit Sir Roth flirtet. Der Dummkopf wollte es mit eigenen Augen sehen und ist bereitwillig auf die Geschichte mit der Reise eingegangen. Besser konnte es gar nicht kommen. Noch irgendwelche letzten Wünsche?"
Rina sah, dass der Mann angriff und sprang in Deckung. Sir Corwin bewegte sich in Richtung Salontür und warf diese mit Schwung zu. Dann blickte er sich suchend im Raum um, denn die Wächterin befand sich nicht mehr an der Stelle, wo er sie eben noch gesehen hatte.
Selbst ein aufmerksamerer Beobachter hätte lange suchen müssen, bis er die Rekrutin entdeckt hätte. Rina besaß nämlich die Angewohnheit, wenn es etwas gefährlicher wurde, in eine andere Höhenlage zu wechseln. Diesem Leitsatz folgend saß sie auf einem etwas größeren Schrank und versuchte, nicht aufzufallen. Dies gelang ihr auch ganz gut, bis der Mörder auf den Gedanken kam, nach oben zu sehen.
Sir Corwin grinste und erklärte: "Ach da oben steckst du. Wollen wir mal schauen, ob du nicht nur wie eine Katze klettern kannst, sondern auch neun Leben hast."
Er wollte sich gerade dem Schrank nähern, als Rina ein sich schnell näherndes, lautes Geräusch wahrnahm. Es schien von hinter der Salontür zu kommen. Die Wächterin überlegte gerade, was das zu bedeuten hatte, als ein eindeutig äußerst übel gelaunter Ausbilder ins Zimmer stürmte. Dabei riss er die Tür derart schwungvoll auf, dass sie Sir Corwin am Kopf traf. Der Mörder sackte bewusstlos zusammen.
VidG Schmiedehammer sah sich erstaunt um. Er registrierte, dass ein Bewusstloser am Boden lag und ein vor sich hin zitternder Dämon in einer Ecke des Zimmers hockte. Der Ausbilder überlegte kurz, was dass denn alles zu bedeuten hätte, als von oben eine Stimme erklang: "Danke, Sir. Das war Rettung in letzter Minute."
Er sah nach oben und sah Rekrutin Lanfear, die auf einem Kasten saß und sich gerade anschickte, herunterzuspringen. Der Ausbilder zwinkerte kurz und überlegte, ob er vielleicht irgendetwas Wichtiges verpasst hatte. Dann erinnerte er sich wieder, warum er hinter der Rekrutin hergehetzt war, sah sie böse an und fragte: "Wer war der Mörder?"
Rina lächelte und meinte: "Sir Corwin. Er liegt hinter ihnen am Boden, Sir."
Eine Stunde später wurde Sir Roth freigelassen. Mrs. Kaitona wartete bereits freudestrahlend auf ihn und schloss ihn in die Arme. Rina stand neben ihrem Ausbilder Gonzo, der sie gerade fragte: "Warum haben sie eigentlich vorhin so laut geflucht, Rekrutin?"
Die Wächterin sah betreten drein und antwortete: "Weil ich mich daran erinnert habe, dass das Musiophone von Sir Roth ein kleines Guckfenster besitzt."
"Er besitzt ein Guckfenster? Warum denn das?"
"Nun, Sir Roth bestand darauf, damit sein Dämon auch Tageslicht bekommt. Er hat es mir einmal in einer ruhigen Minute erzählt. Wo ist eigentlich Oberfeldwebel VidG Schmiedehammer?"
"Er hatte noch etwas dringendes zu erledigen. Ach übrigens....gut gemacht, Rekrutin."
"Danke Sir!"
"Ich erwarte morgen früh ihren Bericht auf meinem Schreibtisch."
"Ja, Sir! Äh... ich hätte da noch eine Frage....."
"Ja?"
"Wissen sie zufällig, was ich meiner Mutter zum Geburtstag schenken könnte?"
----Vor dem Palast----
Zwei Palastwachen standen in der Sonne und bemühten sich, möglichst still dazustehen. Oberfeldwebel Schmiedehammer blieb vor den beiden stehen, grinste und fragte: "Na, geht es euch gut? Ich habe gehört, dass ihr nach diesem Fiasko wegen einer ungerechtfertigten Verhaftung degradiert worden seit und möchte euch hiermit mein tiefstes Beileid aussprechen."
Eine Palastwache verzog das Gesicht, sodass man eine Zahnlücke sehen konnte, die sie sich zweifelsfrei bei einer Schlägerei zugezogen hatte.
Der Ausbilder grinste noch mehr und sagte: "Ach übrigens, den Fall hat eine unserer Rekrutinnen gelöst....... und Sir Roth erwägt eine Klage gegen euch wegen brutaler Gewaltanwendung bei einer Verhaftung."
Dann drehte er sich um und ging. Hinter ihm ertönte ein leises Stöhnen. Der Ausbilder grinste und beschloss, dass der Tag kaum mehr besser werden konnte.
* woran zu einem gewissen Prozentsatz Rinas Sumpfdrache die Schuld trug
** Ein Musiophone ist ein großer, rechteckiger Kasten, aus dem ein Rohr herausragt. Im Inneren des Kastens sitzt ein kleiner Dämon an einem entsprechend konzipierten Klavier und spielt Musik, die dann über das Rohr nach außen dringt.
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