Es seien sechs Elemente der Menge Stadtwache und eine zweite, abgeschlossene Menge n (wobei n Element der natürlichen Zahlen ist) Detektive, wobei n gleich i und i von eins bis fünf läuft, sowie eine Konstante HBW und drei Variablen AK, HV und LE, diese vier seien Elemente der komplexen Zahlen. Berechnen Sie aus den gegebenen Werten den Verlauf der Geschichte und berücksichtigen Sie dabei ganz besonders alle möglichen Wendestellen des Handlungsgraphen und dessen Minima und Maxima. Zeit: Unbegrenzt. Hilfsmittel: Keine. Zusatzaufgabe: Beweisen Sie die am Ende der Geschichte aufgestellte Hypothese, daß die Mathematik wirklich ein Verbrechen darstellt.
Dafür vergebene Note: 14
Vorwort der Autorin:
Erstmal muß ich mich im Voraus für diese Single entschuldigen.
Die Grundidee entstand während einer Mathe-Vorlesung (Mathe-Vorlesungen wirken sich eh ziemlich der Kreativität förderlich aus wie ich im Laufe des Semesters festgestellt habe) und hat auch dementsprechend einen stellenweise ziemlich mathematischen Inhalt.
Eine weitere Entschuldigung geht an Professor Larry J. Smith, dafür, daß ich seine Redeweise und ziemlich viele Zitate aus der Vorlesung in diese Geschichte eingebracht habe. Nicht umsonst stand diese Single lange Zeit in meiner Signatur im Forum als die Mathe-Vorlesungs-Kompensations-Single...
Die diesmalige Widmung geht an sämtliche Studenten der Universität Göttingen, die die Erstsemester-Vorlesungen der mathematischen Fakultät hören mußten, sowie an Hanno und Annika für ihre Geduld mit unseren Übungszetteln... (Nachtrag vom 14. 2. 03: ENDLICH geschafft...)
Und an alle Nicht-Mathematiker: (Fühl, dich jetzt bitte nicht ausgeschlossen, Silly, natürlich darfst du das Ganze auch lesen ;) ) Ich hoffe, die Single macht trotzdem Spaß, auch wenn die eigentliche Fallauflösung ein kleiner Insider-Witz ist. Wie bereits gesagt, die Single ist reine Frustkompensation.
DISCLAIMER: Meine Single entstand völlig unabhängig von Humphs Single 'Oranji' und ich habe auch keinerlei Inhalt geklaut, (Die Idee steht eigentlich schon seit November 2002) es ist einfach ein dummer Zufall, daß sich der Inhalt stellenweise ziemlich ähnelt. Außerdem habe ich den Film 'Jumanji' nie gesehen, auch wenn manche behaupten, daß die Geschichte irgendwie an den Film erinnert...
Außerdem wird Gralon Banks in dieser Single noch erscheinen- die Geschichte war bei seinem 'Ableben' bereits mehr oder weniger fertiggestellt und ich brachte es einfach nicht übers Herz, die ganzen 55 Seiten zu löschen und noch mal mit neuer Personenkonstellation von vorn anzufangen...
PS: Und wer sämtliche Mathematiker-Namen die hier auf die Schippe genommen werden findet, bekommt beim nächsten Wache-Treffen bei dem ich dabei bin eine Tafel Original Bremer Hachez-Schokolade.
Ein paar Worterklärungen:
AGLA: Analytische Geometrie und lineare Algebra
DIFF: Differential- und Integralrechnung
Aber genug des Proömiums
[1], jetzt fang ich auch mal an...
Der Tanz am Rand des Wahns sich dreht
Nur noch ein Stück dann ist's zu spät
Wo einst die Freundschaft sie verband
wird nun der Haß hineingebrannt
Der Spaß am Spiel verkehrt sich schnell
in ein gar schreckliches Duell
Irrsinn und Tod dahergebracht
Liegt nun das Spiel im Bann des... AGLA
(frei nach Letzte Instanz- Das Spiel ist aus) TEIL 1 DAS SPIEL BEGINNT Sehr geehrter Herr Kommandeur Rince,
Mein Name ist Graf Hieronymus von Bolzano-Weierstrass und ich muß sagen, meine Bewunderung für die Aufklärer des Verbrechens und scharfen Verstand ist ungebrochen. Vor allem Mord, mein lieber Herr Kommandeur, ist eine Kunst, deren Raffinesse unübertroffen bleibt in dieser Gesellschaft und übt eine gewisse Faszination auf mich aus. Andere Verbrechen sind reversibel. Gestohlener Schmuck kann wiederbeschafft und die entführte Herzogstochter aus den Klauen ihrer Entführer gerettet werden. Doch der Mord besticht durch seine Endgültigkeit. Dort gibt es kein Zurück mehr. Wenn der Körper erst der Seele beraubt ist und die schwarze Gestalt mit der Sense erscheint, dann hat sich das Blatt unumkehrbar gewendet.
Darum möchte ich Ihnen eine Wette vorschlagen: Am Abend des vierzehnten Februar werde ich ein kleines Abendessen geben, in dessen Verlauf ein Mord geschehen wird. Und ich wette mit Ihnen, daß Sie es nicht schaffen werden, dieses Verbrechen innerhalb einer Frist aufzuklären, die um Punkt zwei Uhr Morgens abläuft. Ich weiß, Sie sind einer der Besten und ich würde mich sehr freuen, Sie an besagtem Abend um zwanzig Uhr in meiner Villa in der Knorkestraße 23 begrüßen zu dürfen.
Hochachtungsvoll, Graf Hieronymus von Bolzano-Weierstrass.
Kommandeur Rince drehte die goldgeränderte Einladung, die nunmehr schon seit drei Tagen auf seinem Schreibtisch herumlag, unschlüssig in seinen Händen.
Verrückt, dachte er. Was war dieser Graf doch bloß für ein Spinner. Mord eine mit Raffinesse verübte Kunst- dem werten Herrn Grafen mußten gewisse Stadtteile Ankh-Morporks wohl ziemlich fremd sein. Künstlerisch anspruchsvolles Morden mochte vielleicht auf Assassinen zutreffen, aber dem gewöhnliche Mörder war nach der Erfahrung des Kommandeurs so ziemlich jedes Mittel recht, wenn es nur zum gewünschten Zweck führte. Vermutlich litten reiche Müßiggänger, wie dieser von Bolzano-Weierstrass einer zu sein schien, an chronischer Langeweile und verlegten, wenn das Jagdwild endgültig ausgerottet war, ihre Interessen auf Detektivspielchen, um fernab der harten Realität ihren eigenen romantischen Vorstellungen von der Verbrechensbekämpfung zu frönen. Quasi Leichen zum Dessert. Und dieser aufgeblasene Schnösel wagte es doch, ihm, dem Kommandeur der Stadtwache Ankh-Morporks, der im Laufe langer Jahre die wahre Natur des Verbrechens in sämtlichen Einzelheiten gesehen hatte und in- und auswendig kannte, einen dermaßen hochnäsigen Brief zu schicken...
Allein schon der Ehre wegen mußte er diese Herausforderung eigentlich annehmen.
Es klopfte zaghaft.
"Herein!" rief Rince und legte die Einladung des Grafen auf einen Stapel Dokumente.
Der Obergefreite Gralon Banks von den SEALS kam hereingetrottet, blieb vor dem Schreibtisch stehen und salutierte.
"Steh locker. Was gibt's denn?"
Gralon räusperte sich.
"Sir, ich soll Ihnen von Atera ausrichten, daß wir den Verrückten gefaßt haben, der dem Zaubereistudenten mit diesen Briefen den Tod angedroht hat. Er sitzt jetzt in einer Zelle im Palast."
"Und, wer war es nun?" fragte der Kommandeur. "Der Werwolf, den sie nicht als Dozenten zulassen wollten?"
"Nein, Sir. Der war unschuldig. Es war der Kreuzworträtsel-Mann." Der Obergefreite zog ein zusammengefaltetes Dokument aus seiner Uniform, faltete es umständlich auseinander und legte es dem Kommandeur vor. "Jetzt brauchen wir nur noch Ihre Unterschrift."
"Hmmm..." brummte Rince und überflog das Dokument. "Sag mal, stimmt das wirklich? Der Junge wollte freiwillig
Steuerbeamter werden?" Ein leichter Schauer lief ihm über den Rücken.
"Ich weiß, Sir, es klingt seltsam, aber er wurde von seinem Onkel quasi zur UU geprügelt. Fragen Sie mich nicht, was an einer Beamtenkarriere so erstrebenswert sein soll." Ein Schauder lief Gralon über den Rücken. Seit der Geschichte mit dem Gehaltserhöhungsschein war sein Verhältnis zu Beamten aller Art mehr als frostig.
"Jedem das seine." brummte der Kommandeur und fischte in der Brusttasche seiner Uniform nach einem Füller. Seufzend setzte er seine Unterschrift unter diejenige Ateras und reichte dem Obergefreiten das Dokument zurück.
"Na dann einen schönen Tag noch." brummte er. "Und wenn du an Pseudopolisplatz bitte bekanntgeben könntest: Falls heute Nacht was dringendes sein sollte, ich bin beim Grafen Bolzano-Weisonstwas in der Knorkestraße 23 zum Abendessen."
"In Ordnung, Sir." Gralon salutierte, steckte das Dokument ein und verließ das Büro des Kommandeurs.
Dieser lehnte sich in seinem Sessel zurück, zündete sich eine Zigarre an und nahm erneut die Einladung zur Hand. Wie hieß dieser Graf noch mal? Ah ja, Bolzano-Weierstrass. Ein seltsamer Name. Rince konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals zuvor gehört zu haben. Nun, er würde sehen, was der Abend so brachte...
* * *
Langsam machte sich die Dämmerung aus dem Staube und ließ die Dunkelheit nachrücken. Der Mond stand hell am Himmel und der Abend war klirrend kalt. Der Großteil der Bürger der Stadt zog es vor, daheim vor dem gemütlichen Kamin zu sitzen, und so waren die Straßen nur spärlich belebt, als die Kutsche in Richtung des vornehmeren Teils der großen Zwillingsstadt Ankh-Morpork rollte. Alles an ihr war schwarz. Die Kabine, die Pferde, die Kleidung des Kutschers und das Wappen auf der Tür. Mit anderen Worten: Sie gehörte zu jener Sorte Kutschen, die schlechte Horrorautoren wie Eddie Wollas zu Geschichten über Nebel, blutrünstige Morde, gescheiterte Existenzen, mehr blutrünstige Morde, finstere Geheimgesellschaften und noch mehr blutrünstige Morde inspirierten.
Allerdings zerstörte das Gespräch, das hinter den zugezogenen, natürlich ebenfalls schwarzen Vorhängen geführt wurde, die Erwartungen eines potentiellen Zuschauers, der vermutlich sofort an Intrigen und geheime Botschaften dachte, vollkommen.
"Hach, ist das aufregend... Ein Mord! Seit dem Fuhsballspiel habe ich keinen Mord mehr aufklären können!"
Die alte Dame mit den graumelierten Löckchen saß kerzengerade in ihrem Sitz und hielt mit den Händen den Griff ihres Regenschirmes umklammert.
"In Merry Meat ist in der Hinsicht schon sein einiger Zeit nichts mehr los. Langsam wird es dort richtig langweilig."
"Natürlich, Tante Jane. Die Einwohner wissen mittlerweile, daß du ihnen früher oder später auf die Schliche kommst."
"Eben." Jane Eberhardt Vetinari lächelte ihren Neffen stolz an
[2]. "Mein Ruf scheint mir bereits vorauszueilen. Warum sollte der Graf mich sonst eingeladen haben?"
"Du bist dir doch hoffentlich im Klaren darüber, daß dieser Mord heute Abend nur vorgetäuscht sein wird?"
"Ach, Havelock." seufzte Tante Jane. "Du nimmst immer alles so bierernst. Natürlich wird es kein richtiger Mord sein. Es ist einfach ein kriminalistisches Spiel. Und ich bin schon richtig gespannt darauf."
Eine Weile herrschte Stille im Inneren der Kutsche, während zwei eisblaue Augenpaare einander taxierten.
"Und vielleicht," brach Lord Vetinari schließlich das Schweigen, "Sollte ich dein Augenmerk auf die Tatsache lenken, daß der Graf von Bolzano-Weierstraß überhaupt nicht existiert."
"Na und?" schnappte Tante Jane, "Spielt das irgendeine Rolle? Dann gibt es ihn halt nicht. Wie gesagt, es ist einfach nur ein Spiel. Eine Wette. Die ich zu gewinnen gedenke."
"Daran zweifle ich nicht, Tante Jane."
"Daran gibt es auch nichts zu zweifeln." stellte Fräulein Marmor klar und auf ihren Lippen spielte das Lächeln einer Person, die sich grundsätzlich ihren Mitmenschen überlegen glaubte. "Mir ist noch nie ein Verbrecher durch die Lappen gegangen. Und du kannst mir auch nichts vormachen. Was hast du heute Abend vor?"
Jetzt war es an dem Patrizier, dünn zu lächeln.
"Nun," erklärte er gelassen, "Man könnte es auch eine Art Herausforderung nennen."
"Oh. Ein Duell." Tante Jane nickte wissend. "Ich würde nur gern wissen, wer sich freiwillig mit dir duellieren würde."
"Nicht
diese Art Duell, Tante Jane. Die Sache ist eher...geistiger Natur."
"Sag nicht, du hast noch einen Freiwilligen gefunden der mit dir eine Partie Schach spielt." Tante Jane konnte ihr Erstaunen nur schlecht verbergen. Ihre Stimme nahm ein verschwörerisches Flüstern an, als sie sich vorbeugte. "Und wer ist nun diese Person, die sich traut, dir auf dem Schachbrett die Stirn zu bieten?"
Lord Vetinari hob eine Augenbraue.
"Ich glaube nicht, daß man ihn als einen 'jemand' bezeichnen könnte."
"Jetzt hör schon auf, Havelock. Ich wette mit dir, bis morgen Mittag hab ich es herausgefunden."
"Sicher, Tante Jane. Früher oder später findest du alles heraus."
"Eben." Tante Janes Rücken straffte sich und stolz reckte sie das Kinn. "Es ist nun mal eine Familienkrankheit."
In diesem Moment kam die Kutsche mit einem Ruck zum Stehen und nur wenig später wurde die Tür von außen geöffnet. Metallisch schimmernde Stufen entfalteten sich als ein komplizierter, mit der Tür gekoppelter Mechanismus in Bewegung setzte. Der Patrizier stieg aus und bot seiner Tante galant den Arm, als diese, ihren Regenschirm fest umklammernd, die klappbare Treppe hinunterstieg.
Sie standen vor einer mit Kies ausgestreuten Auffahrt, die von säuberlich geschnittenen Hecken gesäumt wurde. Zwischen einigen kahlen Bäumen waren die Umrisse eines Hauses sichtbar. Doch das Wort 'Haus' wurde dem Gebäude in etwa so gerecht wie die Beschreibung 'groß' für die Ausmaße Groß-A'Tuins. Es war jene Art von Villa deren Anblick Assoziationen wie Geld, Adel, Familienehre und Tragödie geradezu herausforderten.
"Hmmm." bemerkte Tante Jane mit Kennermiene. "Das sieht doch schon mal vielversprechend aus. Dieser Graf scheint mir doch ein gewisses Gefühl für das richtige Ambiente zu besitzen."
Sie öffnete ihre Handtasche und nestelte die Einladung heraus.
"Na dann mal auf ins Gefecht. Du holst mich doch um zwei wieder ab?"
Vetinari nickte. Er konnte nicht sagen warum, aber dieses Gebäude schien ihm ein wenig...seltsam. Irgend etwas daran störte ihn. Es war auf eine Weise präsent, als ob es das verzweifelte Bestreben entwickelt hatte,
wirklicher zu sein als übliche Gebäude.
"Tja." riß seine Tante ihn aus seinen Gedanken. "Na dann zieh dich mal warm an, Mörder."
Als die Kutsche langsam anfuhr, hob der Patrizier eine Ecke des Vorhangs und sah Tante Jane entschlossen die Auffahrt hochstapfen. Schmunzelnd lehnte er sich zurück. Es gab eigentlich kaum etwas was Jane Eberhardt Vetinari zustoßen könnte.
Tante Jane gehörte zu der Sorte Personen die
anderen Leuten zustießen.
* * * "He, warum habt ihr hier denn die ganzen Kerzen ausgepustet?"
Kanndra ließ die Papiertüte mit den Kartoffelscheiben auf den Tisch fallen und zog sich einen Stuhl heran. Obwohl die verschiedenen Glocken der Stadt gerade erst acht Uhr geschlagen hatten, war die Kantine des Wachhauses am Pseudopolisplatz bis auf die Besetzung eines Tisches direkt vor dem Kamin wie ausgestorben. Dort saßen bereits Rogi Feinstich, Valdimier van Varwald, Alice, Gralon Banks und Araghast Breguyar in eifrigem Gespräch zusammen.
"Bregs meinte, das sei der Atmosphäre förderlich." grinste Val. "Der püschische Effekt, verstehst du?"
"Für ein Brettspiel?" wunderte sich Kanndra. "Ich will meine Männchen noch wiederfinden können."
"Mach einfach für ein paar Fekunden die Augen fu." riet Rogi. "Gleich haft du dich dran gewöhnt." Sie pikste Gralon mit zweien ihrer Daumen in die Rippen. "He, nicht einflafen! Jetft geht'f erft richtig lof!"
"Hmmh?" der Angesprochene blinzelte in die Runde. "Äh... Oh ja. Wenn ihr den ganzen Nachmittag Berichte über kriminelle gescheiterte Zauberer hättet schreiben dürfen wärt ihr auch nicht wacher..." Er zog sich in eine halbwegs sitzende Position.
"Also, Bregs," fragte Alice, "Was ist das denn nun für ein Spiel?"
Araghast klopfte zufrieden auf die flache, rechteckige Pappschachtel die vor ihm auf dem Tisch lag.
"Ich hab's von Julius und Mimi zum Silvesterfest bekommen. Sie meinten, wo ich ja nun bei der Wache wäre, könnte ich ja nebenbei noch ein bißchen üben."
Kanndra legte den Kopf schief um den Schriftzug auf dem Karton entziffern zu können.
"Hinweise." las sie laut vor. "Was geschah wirklich mit Graf Euter?"
"Genau. Was geschah mit ihm?" Val griff nach der Schachtel. "Zeit, daß wir der Sache auf den Grund gehen."
Er hob den Deckel ab und griff nach der Spielanleitung.
"Also soweit ich weiß ist es eine Art Detektivspiel." erklärte Bregs und breitete das Spielbrett auf dem Tisch aus. "Ich weiß nicht genau, ich hab's auch noch nie gespielt. Dies hier heute Abend ist sozusagen die Einweihung."
"Lauter Zimmer und in der Mitte eine Treppe." Gralon musterte die einzelnen Felder. "Was soll das sein, eine Villa oder sowas?"
Val, mittlerweile völlig in die Anleitung vertieft, nickte. "Die Villa des Grafen Euter. Und der wurde umgebracht."
"He, guckt mal, was ist das denn?"
Alice hatte eines der Tütchen, die unter dem Spielbrett in der Schachtel gelegen hatten, geöffnet und hielt nun einige Miniaturgegenstände in der Hand.
"Fieht auf wie...ein kleiner Kerfenftänder." Rogi hielt eines der Objekte ins Licht. "Intereffant."
"Also, hier steht, nachdem der Graf ermordet wurde gibt es sechs Verdächtige. Professor Blüte, Frau Weiß, Herrn Grün, die Baronin von Porz, das Fräulein Gloria und einen gewissen Oberst von Gatow." las Valdimier vor.
"Das sind anscheinend die hier." Bregs hielt eine weitere Tüte hoch, in der sich sechs verschiedenfarbige Holzfiguren befanden.
"Darf ich rot haben?" bat Alice.
Bregs warf ihr das rote Männchen zu.
"Also gut," rief er und schüttete die Tüte auf dem Tisch aus, "Wer möchte welche Farbe?"
"Egal." brummte Val, seine Nase immer noch in der Spielanleitung.
"Rogi?"
"Frau Weiff klingt nicht flecht." Die Igorina griff nach dem weißen Männchen.
"Was ist gelb?" erkundigte sich Gralon.
Professor Blüte." kam es postwendend von Val. "Ach ja, und ich hätte gern den Herrn Grün.
"Und wen hab ich dann?" wollte Alice wissen.
Val lächelte zweideutig.
"Du, Alice, bist das verführerische Fräulein Gloria. Im blutroten, tief ausgeschnittenen Kleid."
"He!" Alice schnappte sich die Spielregeln. "Das letzte hast du dir aber ausgedacht!"
"Dann nehme ich blau." kam es von Kanndra. "Das muß dann die Baronin sein."
"Tja, bleibt für mich noch schwarz." Bregs warf die kleine Figur in die Luft und fing sie wieder auf. "Allerdings spielt es soweit ich weiß keine Rolle welche Person man spielt. Die Namen dienen eigentlich nur der Spielatmosphäre."
"Jaja, der püschische Effekt." grinste Valdimier und machte sich an der Kartoffelscheibentüte zu schaffen.
* * * Ein plötzlicher Windstoß ließ die kahlen Äste der Bäume knacken als Kommandeur Rince die Auffahrt der Weierstrass-Villa hinaufmarschierte. Fröstelnd zog er seinen Schal über das Kinn und tastete mit halbtauben Fingern nach der Einladungskarte, die er soweit er sich noch erinnern konnte in eine der zahlreichen Taschen seines Mantels geschoben hatte. Bloß welche war es gewesen...
Während er noch klopfte und wühlte musterte Rince das düster vor ihm aufragende Gebäude. Da konnte dieser ominöse Graf doch wirklich ein richtiges Spukhaus sein Eigen nennen. Dieser Villa schien das Wort 'Verbrechen' geradezu auf die Fassade gepinselt worden zu sein. Insgeheim fragte sich der Kommandeur, wie lange ein solcher Kasten wohl brauchte, um diese unvergleichliche Patina anzusetzen. Vierhundert Jahre? Oder vielleicht nur zweihundert? Seltsam, daß ihm dieses Haus nie zuvor aufgefallen war...
Nun, vermutlich sollte er doch öfter wieder einmal Streife gehen.
Schließlich ertasteten seine fast gefühllosen Finger etwas Rechteckiges und erleichtert zerrte er die mittlerweile leicht zerknitterte Einladung aus der Innentasche seines Mantels.
"Na dann wollen wir dir mal auf den Zahn fühlen, Graf." brummte er und stapfte schnaufend die Stufen zu der mit kunstvollen Schnitzereien versehenen Haustür hinauf.
Kaum daß er sie erreicht hatte, als sie auch schon mit einem schrillen Quietschen aufschwang, welches dem Kommandeur durch Mark und Bein ging. Ein würdevoll aussehender älterer Herr im schwarzen Frack trat vor und deutete eine leichte Verbeugung an.
"Willkommen im Hause von Bolzano-Weierstrass." begrüßte er Rince, welcher ihm die Einladung reichte, in jenem leicht näselndem Tonfall, der vermutlich allen Butlern im Multiversum eigen ist. "Kohschi ist mein Name, wenn ich dem Herrn mit der Garderobe behilflich sein darf..."
"Danke." Der Kommandeur schälte sich aus Mantel und Schal und überreichte beides dem Butler, der inzwischen die Tür mit demselben grausigen Quietschen wieder geschlossen hatte. Interessant, dachte er. Die quietschende Tür und der stets würdevolle Bedienstete im Frack- das war erstklassiges Kriminalgeschichtenmaterial. Der Graf, wer auch immer er war, schien wirklich auf jede Einzelheit zu achten.
"Wenn der Herr mir bitte folgen würde." Kohschi war lautlos wieder an die Seite des Kommandeurs getreten. "Der Herr Graf von Bolzano-Weierstrass erwartet Sie im Salon." Und er führte den Kommandeur eine breite Treppe hinauf auf eine Galerie, in der vereinzelte Kerzen verloren glimmten. Der dicke Teppichboden schluckte das Geräusch ihrer Schritte fast vollkommen.
Interessiert sah sich Rince um. Auch der Teil der Inneneinrichtung der Villa, den er bis jetzt gesehen hatte, entsprach genau seinen Erwartungen. Aus vergoldeten Rahmen blickten in Öl gemalte Portraits, die vermutlich frühere Generationen der Familie des Grafen darstellten, mit feierlicher Miene auf ihn herab. Auf einem Tischchen mit geschwungenen Beinen stand eine kostbar wirkende , schlanke Vase, aus der eine einzelne dunkle Rose herrausragte. Die schweren, moosgrünen Samtvorhänge vor den Fenstern und die reich verzierte Tapete ergänzten das Bild. Es war perfekt, überlegte Rince. Ja, das ist es, schien eine Stimme in seinem Kopf zu sagen. Vielleicht sogar ein wenig
zu perfekt.
"Was ist dies hier?" Fragend wies er auf eine Holzschnitzerei, die am oberen Ende der Treppe prangte und die in ihrer Schlichtheit merkwürdig aus den übrigen, prunkvollen Einrichtungsgegenständen hervorstach. Der Hintergrund bestand aus erlesenem Mahoniholz und in der Mitte zierte sie ein blutroter Kreis, der ein dem Kommandeur völlig fremdes Symbol beinhaltete. Es sah aus wie ein von der Seite betrachteter Tisch, nur daß die Platte einen wellenförmigen Bogen aufwies. Doch der Butler blieb ihm die Antwort schuldig.
"So, da wären wir." Kohschi blieb vor einer mit bunten Glasfenstern verzierten Doppeltür stehen. Licht schimmerte hindurch. "Wenn der Herr einzutreten gedenken..."
Mit diesen Worten zog er einen der beiden Flügel auf und winkte den Kommandeur mit einer leichten Verbeugung hindurch.
Rince blinzelte in die plötzliche Helligkeit, die von einem mit tausenden geschliffenen Glaskristallen dekorierten Kronleuchter herrührte, der unübersehbar in der Mitte des Raumes von der Decke herunterhing. Ein behagliches Feuer prasselte in einem Kamin an der Schmalseite des Zimmers, um den herum mehrere Ohrensessel gerückt worden waren. Mehrere Personen standen in einer Gruppe davor und unterhielten sich.
"Na das ist ja eine Überraschung! Der Herr Kommandeur!"
Rince zuckte zusammen. Die Stimme kam ihm bekannt vor... Er beobachtete wie sich eine Person aus der Gruppe löste und breit lächelnd geradewegs auf ihn zusteuerte: Eine drahtige, alte Dame mit graumelierten Löckchen und durchdringendem Blick.
Nein, zuckte eine Erinnerung schmerzhaft durch sein Bewußtsein. Nicht sie. Nicht Fräulein Marmor.
"Schön, Sie einmal wiederzusehen." Tante Jane nahm Rince beim Arm und zog ihn mit sich. "Wir haben nur noch auf Sie gewartet. Herr Graf, darf ich Ihnen Kommandeur Rince vorstellen, Oberhaupt der ach so geschätzten Stadtwache Ankh-Morporks? Wir haben schon einmal in einem Fall zusammengearbeitet."
Na ja, du hast mir eigentlich eher dauernd reingeredet, dachte Rince im Stillen und musterte den Mann in mittleren Jahren, zu dem ihn Tante Jane geschleppt hatte. Eigentlich hatte er einen dekadenten, gelangweilten Adligen erwartet. Doch der Graf erweckte zumindest der Erscheinung nach eher den Eindruck eines gutmütigen Onkels, der tagsüber seiner Arbeit nachging um abends nach einer deftigen Mahlzeit seinen Neffen und Nichten Märchen zu erzählen. Der kastanienbraune Vollbart, die stämmige Figur und die prankenartige Hand, die dem Kommandeur zur Begrüßung angeboten wurde, wirkten im Gegenteil überhaupt nicht adlig. Grafen gaben einem normalerweise nicht einfach so die Hand sondern erwarteten Kratzfüße und ähnliches Getue.
"Gestatten, von Bolzano-Weierstrass." Die Stimme des Grafen war tief und melodisch. "Es freut mich, Sie hier als meinen Gast begrüßen zu dürfen. Fräulein Vetinari hat mir schon eine ganze Menge von Ihnen erzählt."
Die alte Dame seufzte. "Nennen Sie mich doch Tante Jane, Graf. Ich bin zwar ein Fräulein, aber Tante Jane ist mir lieber. Unter dem Namen dürfte ich auch am bekanntesten sein."
Rince lächelte und nickte nur und drückte die Hand des Grafen, während er die übrigen Anwesenden genauer unter die Lupe nahm. Eine exotisch anmutende Frau, die ein tief ausgeschnittenes, rotes Abendkleid trug, unterhielt sich mit einem älteren Mann in einem weißen, offensichtlich maßgeschneiderten Anzug, dessen rundes Gesicht ein überdimensionaler Schnurrbart zierte. In seinem rechten Auge klemmte ein Monokel. Ein dritter Mann, von dem nur zwei übereinandergeschlagene, graue Hosenbeine und die Nasenspitze sichtbar waren, saß in einem der Ohrensessel, aus dem eine Qualmwolke wallte.
Der Graf folgte Rinces Blick. "Philipp Spaten." erläuterte er leise. "Er mag nicht unbedingt danach aussehen, aber er ist eine erstklassige Spürnase."
"In der Tat." pflichtete Tante Jane ihm bei. "Man sagt, er habe einmal jemanden von Llamedos bis Gennua verfolgt wo er ihn schließlich der dortigen Wache auslieferte."
"Und wer sind die anderen beiden?" wollte Rince wissen. "Und vor allem: Was wird hier heute Abend nun eigentlich genau stattfinden? Wie wird das Ganze denn überhaupt ablaufen?"
"Geduld, mein lieber Kommandeur, Geduld." lächelte der Graf. "Erst einmal werden wir einen Aperetif einnehmen, wobei ich Sie miteinander bekanntmache. Dann werde ich beim Essen die Regeln erklären." Er trat auf ein Regal zu und läutete eine kleine Glocke.
Die Tür schwang auf und eine Frau mittleren Alters mit Schürze und Servierhäubchen trat ein und knickste. Auf ihrer Hand balancierte sie ein Tablett auf dem fünf langstielige Gläser standen, an ihren Rändern je eine Zitronenscheibe klemmte.
"Die Getränke, Mylord."
Rince nahm ein Glas, schnupperte an seinem Inhalt und lächelte zufrieden. Dies war nicht der billige Fusel, den Wächter normalerweise in sich hineinschütteten und den man notfalls auch als Brustharnischpolitur verwenden konnte. Dieses Getränk roch nach Geld und Privilegien.
Der Graf nickte dem Dienstmädchen zu. "Abendessen in zwanzig Minuten, Frau Weiss." Das Dienstmädchen entfernte sich und er wandte sich wieder an seine Gäste.
"Erst einmal habe ich die Ehre, Ihnen Fräulein Shimura Ming vorzustellen, die extra für diese Herausforderung heute Abend aus Chimeria angereist ist, wo sie zur Zeit tätig ist."
Die junge Dame im roten Abendkleid reichte Rince ihre behandschuhte Rechte. "Sehr erfreut." flötete sie in beinahe akzentfreiem Morporkianisch. "Chimeria ist nicht ganz korrekt, Herr Graf. Zur Zeit arbeite ich wieder in Ankh-Morpork und dies wird mich auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen."
Rince räusperte sich. "Darf man fragen, in welchem Beruf Sie arbeiten, Fräulein Ming?"
Shimura lächelte geheimnisvoll und entblößte dabei zwei Reihen schneeweißer Zähne. "Sie sind ein neugieriger Mann, Herr Kommandeur."
"Natürlich." entgegnete Rince. "Ich bin Wächter."
"Soso." Mit dem Zeigefinger fuhr Fräulein Ming am Rande ihres Glases entlang und warf dem Kommandeur einen bedeutungsvollen Blick zu. "Zuviel Neugierde kann allerdings auch gefährlich werden. Sagen wir einfach, ich bin im Informationsgewerbe tätig."
Aha, dachte Rince bei sich. Eine Spionin also. Nun, auch solche Leute gab es. In letzter Zeit allerdings immer häufiger kopfüber in einer mit Skorpionen gefüllten Grube hängend...
Der Mann mit dem Schnurrbart leerte sein Gals mit sichtlichem Behagen und stellte es in ein Regal.
"Köstlisch, wirklisch köstlisch!" rief er mit unverkennbarem quirmianischen Akzent und umarmte den Kommandeur kurzerhand. "Isch bin Achilles Püree, Freund und 'elfer der quirmianischen Stadtwache. "
"Ahja." nickte Rince und nahm einen Schluck seines Aperetifs. Vermutlich eher die Geißel der quirmianischen Stadtwache, Herr Püree, dachte er bissig.
"Ach Herr Püree," Tante Jane trat an den Gennuaner heran, "Sagen Sie, haben Sie auch das Gefühl, daß, seitdem sie Ihr Hobby ausüben, die Verbrechen immer seltener geworden sind? Man hat gar nichts mehr zu tun!"
"Da 'aben Sie Rescht, Mademoiselle Vetinari. Vermutlisch sprischt man sisch 'erum..."
"Nennen Sie mich doch Tante Jane..."
Ein Stein fiel dem Kommandeur vom Herzen. Fräulein Marmor schien ein neues Opfer für ihre Aufmerksamkeit gefunden zu haben und würde ihn erst einmal in Ruhe lassen. Und so wandte Rince sich dem fünften und letzten Gast zu, der sein düsteres auf-den-Boden-Starren nur unterbrochen hatte um sein Getränk in einem Zug herunterzustürzen.
"Guten Abend." begrüßte er ihn. "Philipp Spaten, nicht wahr? Ich bin Kommandeur Rince von der Ankh-Morpork Stadtwache."
"Hallo." der Mann sah auf. "Der Graf Ihnen schon hat gesagt wer ich bin. Stadtwache Sie sagten?"
Rince nickte.
"Oh, dann Sie sich bestimmt kennen hier aus in die Stadt. Können Sie sagen mir, wo ich kann finden eine Semaphore-Turm morgen?"
"Natürlich."
"Großartig." Spaten schob sich eine Zigarrette zwischen die aufgesprungenen Lippen und zündete sie an. "Sagen Sie, Rince," Er nahm einen tiefen Zug und blies einen Rauchring in Richtung Decke, "Sie auch nicht wissen Bescheid genau was hier wird passieren heute Abend?"
* * * "Also, im Großen und Ganzen, geht es darum, den Mörder zu entlarven." erklärte Araghast hinter der Spielanleitung, die er inzwischen von Alice erobert hatte. "Wie gesagt, der Graf Euter wurde ermordet und wir alle sind verdächtig, ihn umgebracht zu haben. Das heißt, aus den verdeckten Stapeln werden eine Tatwaffe, ein Täter und ein Zimmer gezogen, die hier in diesen Umschlag gesteckt werden." Er winkte mit einem braunen Kuvert. "Die restlichen Karten werden an die Spieler verteilt."
"Also könnte man auch selbst der Täter sein, ohne es zu wissen?" erkundigte sich Kanndra.
"Genau." Bregs nickte ihr zu. "Die Spieler starten vom unteren Ende der Treppe aus. Insgesamt gibt es neun Räume. Den Wintergarten, das Billardzimmer, die Bibliothek, das Arbeitszimmer, die Halle, den Salon, das Speisezimmer, die Küche und das Musikzimmer. In die Zimmer werden die verschiedenen Tatwaffen verteilt, die wären: Dolch, Pistolenarmbrust, ein Stück Rohr, eine Rohrzange, ein Kerzenleuchter und ein Strick."
"Hilfe, klingt das kompliziert." Gralon rieb sich die Augen und wies auf das Spielfeld. "Und die Geheimgänge führen jeweils direkt zum gegenüberliegenden Zimmer?"
"Ja. Und jedes mal wenn man einen Raum betritt muß man einen Verdacht äußern, der dann von den anderen Spielern entweder bestätigt oder widerlegt wird. Wobei natürlich nur derjenige Spieler der den Verdacht geäußert hat auch mitbekommt ob der nun stimmte oder nicht."
"Immerhin, man bekommt eine Antwort." seufzte Valdimier und mühte sich mit dem Verschluß der Kartoffelscheibentüte ab. "Das ist mehr als man sich in der Realität erhoffen kann. Ach verdammt, warum können die die Tüten nicht so zusammenkleben, daß man auch an die Scheiben rankommt?" Entschlossen zog er seinen Dienstdolch und säbelte die Verpackung kurzerhand auf.
"Stimmt, das mit dem zum Reden bringen ist manchmal ziemlich schwer." Gralon spielte nachdenklich mit seiner Figur herum. "Atera hat diesem Kreuzworträtsel-Mann drei Stunden lang Beweise unter Die Nase halten müssen bis er es endlich zugegeben hat. Und selbst dann hat sie ihm jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen müssen."
"Na der blinde Io sei Dank heute Abend nicht." bemerkte Araghast. "Wir haben es hier quasi mit
dem idealisierten Verbrechen zu tun. Eine hübsch überschaubare Gruppe Verdächtiger die sich nicht mal eben aus dem Staub machen kann und einer von ihnen war es auf jeden Fall."
"Also nicht die Männchen vom Brett schmeißen, sie dürfen uns nicht entkommen!" grinste Val.
Ein scharrendes Geräusch verkündete, daß Rogi die Kartenstapel gründlich durchmischte. Anschließend hob sie die drei obersten Karten ab und schob sie in den braunen Umschlag, den sie für alle sichtbar in die Spielschachtel legte. "Fo." erklärte sie, während sie die übrigen Karten verteilte, "Nun kannf lofgehen."
Das Kaminfeuer warf tanzende Schatten auf die Spieler, während draußen eine dunkle Wolke langsam Stern für Stern verschluckte.
* * *
Die große Standuhr in der Ecke des Salons schlug neun Uhr.
"Ah!" rief der Graf von Bolzano-Weierstrass freudig aus. "Das Abendessen ist serviert! Wenn Sie mir bitte folgen würden." Er stellte sein Glas achtlos in ein Regal und winkte seinen Gästen, ihm zu folgen. An der Tür bot er Shimura Ming den Arm und spazierte mit ihr vorneweg die schummerig beleuchtete Galerie entlang, wo bereits Kohschi mit einem Kerzenleuchter auf sie wartete.
"He, Herr Kommandeur!" Tante Jane hatte sich still und leise an die Seite Rinces geschlichen und sprach in verschwörerischem Tonfall. "Glauben Sie, daß der Graf ein wirklicher Adliger ist?" "Wieso? Sollte er denn keiner sein?" wunderte sich Rince. Diese Frau kam auf Gedanken..
"Nun," wisperte die alte Dame, "Havelock meinte vorhin, es gäbe keinen Grafen von Bolzano-Weierstrass. Er hat in Twurps' Adelsverzeichnis nachgeschaut. Nicht daß es mich auch nur im Geringsten stören würde, aber interessant ist es schon. Wir stecken anscheinend in einem gigantischen Spiel, Herr Kommandeur. Und mein Gefühl sagt mir, daß wir heute Abend noch die eine oder andere Überraschung erleben werden."
Rince seufzte innerlich. Natürlich war es alles lediglich eine Wette. Eine Gruppe Kriminalexperten verschiedenster Richtungen und ein Verbrechen, das in einer bestimmten Zeit aufgeklärt werden mußte. Diese Konstellation galt mittlerweile als klassisch. Ob der Graf echt war oder nicht, interssierte ihn eigentlich weniger. Ihm ging es hauptsächlich darum, die Wette zu gewinnen und es dem Herrn von Bolzano-Weierstrass, egal ob adlig oder nicht, zu zeigen. Den überhebliche Ton des Einladungsbriefes hatte er nicht vergessen.
Abrupt blieb Kohschi stehen und öffnete unter einer Verbeugung eine Tür.
"Wenn die Herrschaften einzutreten geruhen..."
Der Speisesaal glich von den Ausmaßen einer kleinen Kathedrale. Ein über dem ovalen Speisetisch hängender, schmiedeeiserner Leuchter warf seinen flackernden Schein auf die hohen Buntglasfenster, die, soweit Rince es erkennen konnte, größtenteils in gedeckten Farben gehalten waren. Sein neugieriger Blick glitt von der Ansicht eines Schlosses über einem Abgrund zu einem den Vollmond anheulenden Wolf. Der Glaser schien vermutlich während der Arbeit seinen Träumen eines Klischee-Überwalds freien Lauf gelassen zu haben. Doch eines der Bilder verursachte eine Gänsehaut auf dem Rücken des Kommandeurs. Es war, im Gegensatz zu den anderen, die eine eher längliche Form aufwiesen, kreisrund gehalten. Eine krallenbewehrte Klaue hielt ein rötliches Objekt umklammert, das sich bei näherer Betrachtung als ein menschliches Herz herausstellte. Dicke, dunkelrote Bluttropfen bildeten eine Pfütze am unteren Ende des Kreises und als besonderer Clou tropfte ein dünnes Rinnsal über den Rand, direkt in den offenen, fangzahnbewehrten Mund eines Vampirs, der das darunterliegende Fenster zierte. Doch ganz am Rande des Kreises, so daß es von einem flüchtigen Betrachter vermutlich nicht wahrgenommen wurde, erkannte Rince das Symbol der eingelegten Holzschnitzerei am oberen Ende der Treppe wieder, genau an der Stelle, an der das Blut über den Rand floß. Irgend etwas hatte es damit auf sich. Seine Neugierde war geweckt.
Leise seufzend wandte er sich ab und konzentrierte sich auf die Wanddekoration, die Leutnant Mückensturm oder Erzkanzler Ridcully mindestens gelb vor Neid hätten werden lassen, wenn sie sie jemals zu Gesicht bekommen hätten. Die dunkle Tapete war kaum zu erkennen unter der Masse ausgestopfter Tierköpfe, die den Kommandeur vorwurfsvoll aus ihren Glasaugen anzustarren schienen. Es gab eigentlich alles: Ein Eber hing einträchtig neben dem (zugegebenermaßen ziemlich flachgedrückten) Schädel eines vieldeutigen Puzumas, während sich die Wiewunderland-Giraffe der Gesellschaft eines weiß schimmernden Geziefers und eines lancastrianischen Reißwolfes erfreute. Doch was Rince am meisten beeindruckte, war zweifellos der Kopf eines klatschianischen Elefanten, der die Längsseite des Saales dominierte. Der Rüssel hing fast bis auf den gefliesten Boden hinunter und die Ohren gaben im Hochsommer bestimmt zwei vorzügliche Sonnensegel ab, falls sich die Sonne jemals in diesen Raum verirrte (Was der Kommandeur allerdings bezweifelte).
"Faszinierend." Achilles Püree musterte das Tier mit Kennermiene. "Diese Stoßzähne sind bestimmt einige 'undert Dollar wert."
"Der gesamte Kopf ist unbezahlbar." Der Blick des Grafen schweifte in die Ferne. "Die Erinnerungen die daran hängen... Ach ja, Klatsch..."
"Sie haben Elefanten gejagt?" mischte sich Tante Jane ein. "Erklären Sie mir, wie haben sie es geschafft, dieses Ding zu transportieren? Ich habe während meiner Klatsch-Reisen jahrelang immer wieder mit dem Gedanken gespielt, mir einen solchen Wandschmuck zuzulegen. Doch wenn man mitten auf einer Reise ist erweist sich ein solches Monstrum doch als ziemlich hinderlich. Da habe ich mich doch lieber auf den Elefanten als Reittier verlassen. Erzählen Sie, wie lange waren Sie in Klatsch?"
"Nun... äh, eigentlich war es nur ein ziemlich kurzer Aufenthalt." gestand der Graf widerstrebend ein. "Aber wollen wir uns nicht setzen?" wechselte er abrupt das Thema. "Die Suppe müßte gleich serviert werden."
Eine steile Falte bildete sich auf Tante Janes Stirn, als sie auf dem Stuhl neben dem des Kommandeurs Platz nahm.
"Er lügt." wisperte sie aus dem Mundwinkel. "Er hat garantiert nicht einmal auch nur die Küste von Klatsch aus der Ferne gesehen."
Rince zuckte nur mit den Schultern. Seine klatschianischen Erfahrungen beschränkten sich auf eine Dienstreise in die Umgebung von Al Khali und eine ziemlich unangenehme Vergiftung.
[3] Doch in diesem Moment erhob sich der Graf von seinem Platz.
"Liebe Gäste," begann er, "Erst einmal möchte ich mich aufrichtigst für Ihr Erscheinen bedanken. So viel geballte Erfahrung in der Aufklärung von Verbrechen auf einen Haufen findet sich nur selten. Doch nun möchte ich zum eigentlichen Grund dieser Abendgesellschft kommen. Sie haben alle eine Einladungskarte erhalten, in der ich Sie zu einer kleinen Wette herausgefordert habe." Zufrieden, weil er sich wieder auf vertrautem Terrain bewegte, strich er sich über den Bart. "Und nun will ich die Bedingungen dieser Wette noch einmal wiederholen. Im Laufe dieses Abends wird hier im Hause ein Verbrechen geschehen."
Triumphierend machte er eine Kunstpause und musterte seine Gäste der Reihe nach. Achilles Püree zwirbelte seinen Schnurrbart, während Philipp Spaten sich eine weitere Zigarette drehte. Shimura Ming blickte den Grafen mit großen Augen an. Tante Janes Gesicht glich an Ausdruckslosigkeit dem ihres Neffen und Kommandeur Rince spielte an den Ribbons auf der Brust seiner Ausgehuniform herum.
"In der Einladung wurde uns versprochen eine Mord." warf Spaten schließlich ein, nachdem er seine Zigarette in Brand gesteckt hatte.
Der Graf nickte. "Es wird ein Mord geschehen. Und dies ist meine Herausforderung: Ich wette mit Ihnen, verehrte Gäste, daß Sie es nicht schaffen werden, dieses Verbrechen aufzuklären. Ich gebe Ihnen Zeit, bis die Uhr zweimal schlägt. Meine Behauptung ist nämlich, daß ich es geschafft habe, das perfekte Verbrechen zu konstruieren. Denken Sie daran, jede Person in diesem Haus könnte der Täter sein. Auch Sie selbst."
"Hm. Das verkompliziert das Ganze natürlisch etwas." Püree warf dem Grafen von Bolzano-Weierstrass einen abschätzenden Blick zu. "Aber das ist nischts was uns allzulange auf'alten würde bei der Lösung des Falles."
"Wir werden sehen." konterte der Graf und läutete eine kleine Glocke. "Dann werden wir uns nun der Vorsuppe widmen."
Kaum war das Klingeln verklungen, als auch schon Frau Weiss eintrat, einen mit einer riesigen Suppenterrine beladenen Servierwagen vor sich herschiebend. Ein verführerischer Duft strömte aus dem Gefäß und ließ dem Kommandeur das Wasser im Munde zusammenlaufen. Mochte kommen was wollte- Mit einer guten Mahlzeit im Magen sah alles gleich viel besser aus.
* * * "Mist, jetzt komm ich schon wieder nicht in dieses Zimmer rein. Immer fehlt mir genau ein Punkt!" knurrte Gralon den Würfel an, der unschuldig mit der Drei nach oben auf dem Tisch ruhte.
"Würfeln ist pures Glück, beziehungsweise Pech." grinste Araghast. "Je nachdem aus welchem Blickwinkel man es betrachtet."
"Du hast es gut." brummelte der Kommunikationsexperte. "Du rennst hier von einem Raum in den anderen und kennst vermutlich schon die Hälfte unserer Karten."
Kanndra seufzte. "Also sag mal, Gral. Was ist dir heute über die Leber gelaufen? Erst schläfst du fast ein und nun guckst du die ganze Zeit aufs Spielbrett als hättest du eins von Schnappers Würstchen in deinem Abendessen gefunden. Irgendwas ist mit dir los."
Gralon hob den Würfel auf und drehte ihn unschlüssig in seinen Fingern. "Ich bin einfach genervt von diesem Zauberer-Fall." erklärte er schließlich. "Stellt euch vor, jemand bekommt die Chance für eine Ausbildung an der UU und träumt heimlich nur davon, Steuerbeamter zu werden. Und dann dieser komische Rätsel-Mann, über dessen Verhörprotokoll ich den ganzen Nachmittag gesesen habe. Noch so ein Verrückter. Er war der felsenfesten Meinung, daß sein Geburtsname Thomas Kreuzworträtsel einem gemeinen potentiellen Mörder nicht genügen würde und hat während der gesamten Vernehmung darauf bestanden, Lord Todesschwinge genannt zu werden. Ihr könnt euch denken, was meine Schäffin davon gehalten hat."
"Lord Todesschwinge?" Alice hielt sich die Hände vor den Mund und versuchte, das aufsteigende Kichern zu unterdrücken. "Wie kommt man auf sowas?"
"Frag mich nicht." Gralon starrte düster aufs Spielbrett. "Und dieser Harry Trödelgreif, das ist der Möchtegern-Steuerbeamte, war auch nicht leicht zu verhören. Dauernd hat er von seinen Eltern geredet, die bei einer Explosion umgekommen sind und was das für ein Schock für ihn war. Er hat mir sogar lang und breit auseinandergesetzt, was sich in welchen Mengen im Schmelztiegel befunden hatte, als die Mischung hochging."
"Soso, seine Eltern waren Alchimisten?" hakte Bregs nach, und als Gralon nickte, grinste er schief. "Na dann hätte er damit rechnen müssen, daß sie sich eines Tages mal selbst in die Luft jagen."
"Ich denke, du wollteft dir den Fynifmuf abgewöhnen." Rogi griff nach der Kartoffelscheibentüte.
"So, wollte ich das? Hast recht, irgendwann hab ichs mir mal vorgenommen."
"Gute Vorsätze sind meistens Schall und Rauch." Val schnappte sich den Würfel von Gralon. "Na ja, dann wollen wir mal sehen ob ich es in die Küche schaffe. Ich glaube, ich habe da so einen Verdacht..."
"Ah. Dem Herrn Grün schwant etwas." Geräuschvoll schob Kanndra ihren Stuhl zurück und erhob sich. "Möchte jemand Kaffee? Ich glaube, vor allem Gralon könnte jetzt gut einen vertragen."
* * * Das Klappern des Geschirrs, als Frau Weiss die Reste des Hauptgerichtes abräumte, drang wie eine Kreissäge durch die Stille des Eßzimmers. Vor einer halben Stunde hatte Kommandeur Rince den Versuch gemacht, ein Gespräch zu starten. Doch niemand außer ihm schien sich unterhalten zu
wollen. Gelegentlich warf jemand verstohlene Blicke um sich, als ob er erwartete, jemanden hinter sich lauern zu finden oder die vermutlich irgendwo versteckte falsche Leiche zu erspähen. Tante Janes Miene drückte grimmige Entschlossenheit aus. Vermutlich spielte sie im Geiste bereits sämtliche Möglichkeiten der Tat durch. Rince seufzte leise und fixierte wohl zum hundertsten Male an diesem Abend den ausgestopften Elefantenkopf, dessen Glasaugen im Licht des Leuchters von innen heraus dunkelrot zu glühen schienen...
Der Kommandeur blinzelte verwundert. Vermutlich war es bloß Einbildung, hervorgerufen durch die allgemeine Atmosphäre, doch er hätte schwören können, daß ihm das monströse, graue Tier soeben zugezwinkert hatte. Innerlich gab er sich einen Ruck. Langsam wirst du wirklich paranoid, Rince, schalt er sich selbst. Dieses Haus fängt an, dir aufs Gemüt zu drücken, so wie den anderen anscheinend auch. Verlier bloß nicht den Blick auf das Wesentliche. Dies ist alles ausgeklügelte Taktik. Der Graf
will, daß wir alle bereits mit den Nerven am Ende sind, bevor das Verbrechen überhaupt begangen wurde. Also reiß dich gefälligst zusammen und überleg lieber, was das komische Symbol mit der gewellten Tischplatte bedeuten könnte.
Mental gestärkt trank er einen Schluck vorzüglichen Rotweines aus Quirm und beobachtete seinen Gastgeber. Im Gegensatz zu seinen Gästen trug der Graf eine äußerst heitere Miene zur Schau und schien sich köstlich über deren angespanntes Gebaren zu amüsieren.So bedachte er auch Frau Weiss mit einem strahlenden Lächeln, sie die Dessertschälchen aufdeckte und in die Küche eilte, um den Nachtisch aufzutragen.
Rince lief das Wasser im Munde zusammen, als die Tür des Speisesaales erneut aufschwang und der Servierwagen unter der Last einer enormen Metallglocke schier zu ächzen schien. Nur mit Mühe gelang es Frau Weiss, das Gebilde in die Mitte des Eßtisches zu bugsieren. Der Graf nickte ihr zu und bedeutete ihr somit, sich zu entfernen. Das Dienstmädchen verneigte sich kurz und verließ des Saal, wobei sie die Tür beinahe lautlos hinter sich schloß.
Der Graf wartete einige Sekunden. Dann erhob er sich und legte die Hand auf den Henkel der Glocke, während ein kleines, wissendes Lächeln seine Lippen umspielte. Die Gäste hielten erwartungsvoll den Atem an. Mit einem Ruck hob der Graf die Glocke.
Ein schriller Schrei des Entsetzens entkam den Lippen Shimura Mings. Achilles Püree wurde bleich, während Phillipp Spaten beinahe seine Zigarette entzweigebissen hätte. Kommandeur Rince spürte, wie sein Abendessen sich in seinem Magen zu regen begann.
Auf einem Silbertablett, kunstvoll mit Kirschen und Wahooniestückchen dekoriert, lag ein menschlicher Kopf in seinem eigenen Blute. Die Augen waren durch Weintrauben ersetzt worden und im Mund steckte ein Apfel.
"Wie schrecklisch." stieß Püree hervor und blickte den immer noch lächelnden Grafen wild an. Das Monokel fiel ihm aus dem Auge und baumelte an einer Kette von seiner Anzugjacke. "Wie konnten Sie nur! Das ist Leischenschändung was Sie da betreiben!"
"Moment." Tante Jane, die bis jetzt lediglich stumm und regungslos auf ihrem Platz gesessen hatte, beugte sich vor und stach zum Entsetzen der übrigen mit ihrer Gabel direkt in die Nase des Kopfes.
"Na bitte." verkündete sie triumphierend. "Marzipan mit einer Perücke. Und das Blut ist nichts als Himbeersoße. Aber trotzdem ein sehr netter Scherz, Herr Graf."
Rince atmete erleichtert auf und wartete darauf, daß sich sein wild klopfendes Herz wieder beruhigte. Da war er nun doch auf einen jener Tricks hereingefallen, vor denen er sich selbst vor kurzem noch eindringlich gewarnt hatte. Aber dieser Kopf sah auch zu echt aus. Wer auch immer ihn hergestellt hatte, mußte ein Meister seines Faches gewesen sein.
Währenddessen hatte der Graf von Bolzano-Weierstrass begonnen, das makabre Dessert mit einem langen Messer fachgerecht zu zerteilen. Von innen betrachtet entpuppte sich der Kopf als raffiniert mit Schokoladencreme gefüllte Biskuittorte. Die Perücke baumelte vergessen an einem Ast des mächtigen Geweihs eines Nichtsfjord-Elches, wohin der Graf sie achtlos geworfen hatte.
Abgesehen von dem Marzipan-Ohr, welches ziemlich merkwürdig anmutete, gab es an dem Dessert nichts auszusetzen fand Rince, nachdem er die erste Gabel gekostet hatte.
Im Gegenteil, er konnte sich kaum erinnern, jemals etwas besseres gegessen zu haben.
Da wurde die Tür aufgerissen und eine kreidebleiche Frau Weiss stürmte herein.
"Kommen Sie, schnell! Herr Graf!"
Das fröhliche Lächeln auf dem Gesicht des Grafen machte ungläubiger Verblüffung Platz. "Frau Weiss!" brachte er hervor. Was ist denn passiert? Brennt es irgendwo?"
"Nein, Herr Graf." Das Dienstmädchen rang verzweifelt die Hände. "Es geht um ihren Butler, Herr. Er liegt tot auf dem Küchentisch!" Weinend brach sie zusammen.
"Wie das..." stammelte der Graf und die Farbe wich aus seinem Gesicht. "Sind Sie sich da wirklich sicher, Frau Weiss?"
"Ja, Herr Graf." Sie schniefte in ein weißes Spitzentaschentuch. "Es ist so schrecklich..."
"Ich glaube, ein paar von uns sollten sich die Sache einmal ansehen." Entschlossen schob Tante Jane ihren Stuhl zurück und stemmte die Hände in die Hüften. Kommandeur Rince, Herr Püree, nehmen wir die
Leiche einmal unter die Lupe. Der Rest paßt hier auf den Herrn Grafen und das Mädchen auf."
Rince brummelte leise vor sich hin, als er seine Masse in die stehende Position hievte. Die Tatsache, daß Tante Jane spontan das Kommando übernommen hatte, hatte ihn kaum überrascht. Ebensowenig, daß die übrigen ihr anstandslos zu gehorchen schienen. In dieser Hinsicht glich sie ihrem Neffen: Jane Eberhardt Vetinari ging grundsätzlich davon aus, daß ihr niemand Widerspruch zu leisten wagte. Aber immerhin: Der vermutliche Mordfall schien endlich in die Gänge gekommen zu sein.
"Wo ist denn hier die Küche, Herr Graf?" wollte sie soeben von ihrem Gastgeber wissen.
Der Graf hatte mittlerweile das Gesicht in beiden Händen vergraben und schien fassungslos. "Gleich nebenan." flüsterte er kaum hörbar und versank wieder in brütendes Schweigen.
Finden Sie nicht auch, daß er mit der Schauspielerei ein wenig übertreibt, der werte Herr?" bemerkte Tante Jane, als sich die Eßzimmertür hinter den drei Leichenuntersuchern geschlossen hatte und sie vom Dämmerlicht des Flures umhüllt wurden.
"Vielleischt." nickte Püree. "Also bis'er ischt die einzige in Frage kommende Person das Dienstmädschen. Wir waren sonst eigentlisch immer zusammen. Und Sie ischt die einzige, die außer dem Butler in der Küsche gewesen ischt."
"Na Na Na, da sind wir aber ein wenig voreilig, nicht wahr, Herr Püree?" tadelte Tante Jane lächelnd. "Wir haben noch nicht einmal die Leiche untersucht. Wer weiß, vielleicht wurde er auch langsam vergiftet? Na ich bin mal gespannt wie man den armen Kohschi präpariert hat. Bei Vergiftung wäre das ziemlich schwer. Vielleicht steckt ein Zettel in seiner Tasche wo die genauen Symptome draufstehen."
"Wir werden sehen." brummte Rince und stieß die Schwingtür, die in die Küche führte, mit einem Ruck auf. Nun ging es also los. Das Spiel hatte begonnen. Und der Kommandeur hatte vor, es nicht zu verlieren.
Die geräumige Küche war hell erleuchtet und genauso eingerichtet wie man es in einer solchen Villa erwartete. Ein riesiges, schwarzes Ungetüm von einem Herd stand unübersehbar am entgegengesetzten Ende des Raumes, beinahe erdrückt von einer passenden, schmiedeeisernen Dunstabzugshaube. Eine Reihe blitzblank geschrubbter Töpfe und Pfannen baumelten von einem mit Haken versehenen Brett, welches über den Herdplatten an der Wand befestigt war. Des weiteren gehörten eine Spüle, auf deren Leckbrett sich das schmutzige Geschirr stapelte, mehrere wuchtige, aus dunklem Holz bestehende Schränke, sowie einige Stühle und ein großer Tisch zur Einrichtung.
Und an diesem Tisch saß der Butler in ziemlich unnatürlicher Haltung, wenn man in seinem Fall überhaupt noch von 'sitzen' im üblichen Kontext sprechen konnte. Sein Gesicht steckte in einem Suppenteller, dessen Inhalt aufgrund der Flüssigkeitsverdrängung über den Rand geflossen war. Der Löffel lag daneben, als ob er Kohschi aus der Hand gefallen wäre, die sich wiederum mit gespreizten Fingern in die Tischplatte zu krallen versucht zu haben schien.
"Soso, da haben wir ja unser Opfer." Während Rince sich noch interessiert in der Küche umsah, war Tante Jane geradewegs zu der reglosen Gestalt marschiert und bohrte einen dürren Zeigefinger in die Wange des Mannes.
"Meinetwegen brauchen Sie sich nicht extra tot zu stellen und weiterhin die Jahresringe der Tischplatte zu zählen. Wir wollen nur rausfinden woran Sie gestorben sind."
Der Butler rührte sich nicht.
"Vielleischt macht es ihm ja Spaß, tot zu spielen." Achilles Püree war zusammen mit dem Kommandeur an den Tisch herangetreten und taxierte das Opfer durch sein Monokel. "Also, äußerlisch scheint er unverletzt zu sein.
"Vielleicht steckt etwas in der Brust." behauptete Tante Jane und packte den Butler an der Schulter. "Tut mir leid wenn ich jetzt etwas rabiat werde, aber Sie wollten ja nicht aufwachen."
Und mit Schwung stieß sie den immer noch reglosen Körper in eine senkrechte Haltung.
Mit starren Augen blickte Kohschi ins Leere, eine Leere, die nur von Personen wahrgenommen werden konnte, deren Ich bereits die Begegnung mit einer gewissen mit einem scharfen, landwirtschaftlichen Gerät ausgerüsteten antropomorphen Personifizierung hinter sich gebracht hatte. Suppe lief an seinem Gesicht herunter und wurde vom Kragen der Anzugjacke aufgesaugt. Und unendlich langsam, als ob er sich bereits gegen die einsetzende Starre behaupten müßte, neigte sich der Kopf des Butlers nach hinten.
Rinces Kinnlade gehorchte den Gesetzen der Schwerkraft und klappte herunter. Das Monokel Pürees löste sich ein weiteres Mal aus dem Auge seines Besitzers. Tante Jane reagierte instinktiv. Sie legte eine Hand auf die Halsschlagader des Butlers und schloß die Augen.
"Nein." sagte sie leise und schüttelte den Kopf. "Da regt sich nichts mehr." Ein sichtbarer Ruck ging durch ihren Körper und sie reckte sich zu voller Länge auf.
"Meine Herren," verkündete sie, "Wir haben es hier mit einer realen Leiche zu tun. Ob es Mord war oder ob ihn bloß der Schlag getroffen hat wird sich noch herausstellen. Auf jeden Fall müssen wir dem Grafen Bescheid geben. Herr Püree, wenn Sie so freundlich wären, hier bei der Leiche zu warten."
Bevor er Fräulein Marmor folgte, musterte Rince die Küche noch einmal flüchtig- und stutzte. In einer Nische hinter dem Herd hing eines jener blau-weißen Stickbilder, wie man sie so häufig in traditionelleren Küchen antraf. Es zeigte einen von der Seite betrachteten Tisch mit geschwungener Platte, umgeben von einem Kreis. Dasselbe Symbol, das ihm bereits zweimal an anderen Stellen begegnet war und aus dem er immer noch nicht schlau wurde.
* * * "Warum verdächtigt ihr immer alle mich?" Alice stemmte gespielt entrüstet die Hände in die Hüften. "Sehe ich wie eine Mörderin aus!"
"Wer weiß wozu du in deinem Inneren fähig bist." grinste Valdimier. "Verführerische, geheimnisvolle Frauen stecken oft voller Überraschungen. Erst recht wenn sie geschlitzte rote Abendkleider mit eng geschnürtem Korsett tragen."
Alice lächelte ihren Kollegen kokett an und fächerte ihre Spielkarten auf. "Wer weiß..." entgegnete sie und zwinkerte ihm zu.
Dieser gab Bregs einen Rippenstoß. "Und was sagen die neuesten püschologischen Erkenntnisse über attraktive Frauen in engen Kleidern?"
"Alles und nichts, Val." Der Püschologe grinste hinterhältig und entblößte seine angespitzten Eckzähne. "Weißt du, es gibt solche und solche. Der Typ naives Blondchen, dann die Fräulein-Gloria-Typen die es faustdick hinter den Ohren haben und die zickigen Exemplare."
"Laß das dumme Blondchen bloß nicht Gold Moon hören." bemerkte Gralon hinter seinem Kaffee. Nach der dritten Tasse waren seine Lebensgeister langsam wieder erwacht.
"Sie wird schon wissen, daß sie nicht gemeint ist." warf Kanndra ein. "Was mich eigentlich viel mehr interessiert, ist:" Sie zog vieldeutig eine Augenbraue hoch, "Woher weiß Bregs das alles?"
Der Angesprochene stützte nachdenklich sein Kinn auf die Hände. "Ich wünschte, ich würde es auf diese Weise herausbekommen haben. Doch leider hab ich bei Frauen bis jetzt nie wirklich Glück gehabt. Es sind die Zähne, wißt ihr? Irgendwie haben sie alle Mädchen immer gestört. Und dann die Tatsache, daß sie sich mit einem halben Vampir eingelassen haben... in anderen Worten, früher oder später bekommen sie es mit der Angst und das war es dann."
Aus Kanndras Ecke war ein leiser Seufzer zu hören.
"Also, was ist denn jetzt?" unterbrach Val ungeduldig den spontanen Ausbruch halbvampirischen Beziehungsfrustes. "Sind wir hier eine Selbsthilfegruppe oder eine Spielrunde?"
"Ich erbitten Verzeihung Ihrige." Bregs warf seinem Kollegen einen unschuldigen Blick zu. "Aber du und Kanndra habt mit dem Thema angefangen."
"Stimmt." Die Späherin lächelte. "Aber du hast recht, Val. Wenn wir unsere Bindungsprobleme diskutieren wollen können wir uns beizeiten noch bei Bregs auf den Sarg legen wenn uns danach zumute ist, wo er uns mit den scheinbar unerschöpflichen Weisheiten Sigmund Leids oder dem Inhalt den neuesten Eddie Wollas überschütten wird. Natürlich nur in der Hoffnung, daß er sich endlich mal eine richtige Püschiaterliege anscheffen wird."
"He, sagt nichts gegen Eddie Wollas!" empörte sich Araghast. "Der neueste ist wieder wirklich klasse. Es handelt von einem depressiven Feldwebel der Wache, der einen irren Näherinnenmörder jagt."
"Hat er wenigftenf den Wache-Alltag halbwegf gut befrieben?" fragte Rogi skeptisch.
"Och, von Alltag ist da eigentlich nicht besonders viel die Rede. Außerdem ist der Feldwebel, er heißt übrigens Abernicht, eh ein püschisches Wrack und steht fast andauernd unter irgendwelchen Drogen, angefangen von Schnappers Würstchenzigaretten bis zu Kleinbonum."
"Kleinbonum?" verwirrt runzelte Gralon die Stirn. "Was ist denn das schon wieder?"
"Das Zeug ist das mißglückte Ergebnis eines alchimistischen Versuches, einen garantiert wirksamen Fleckenentferner herzustellen." dozierte Alice aus den Tiefen ihrer Spurensicherungs-Erfahrungen. "Es ist ein Betäubungsmittel, welches, in Kombination mit hochprozentigem Alkohol, Halluzinationen auslöst. Hin und wieder wird es einem späteren Mordopfer verabreicht, damit es keine Scherereien macht wenn es soweit ist. Nachweisen kann man es, indem man es auf Kupfermünzen träufelt, die dann grünlich anlaufen."
"He, genauso macht es Feldwebel Abernicht auch im Buch." rief Bregs aus. "Allerdings kennt er das Kleinbonum auch wie gesagt hauptsächlich daher, daß er sich selbst öfter mal damit die Kante gibt. Zusammen mit Sinthab ist es die volle Dröhnung. Kein Wunder, daß Sinthab auch den Beinamen 'grüne Elfe' bekommen hat- der Schädel dröhnt einem am nächsten Morgen dermaßen, als würde ein Elf ihn mit einem Hammer bearbeiten."
"Waf ef auch immer ift, ef ift beftimmt auch nicht flimmer alf Knieweich." warf Rogi ein.
Bregs zuckte mit den Schultern. "Frag mich nicht." erklärte er. "Ich habe bis jetzt weder Sinthab noch Kleinbonum probiert. Sinthab wird auch hauptsächlich in Klatsch ausgeschenkt. Dort gibt es regelrechte Sinthab-Höhlen, dort liegen die Leute auf Diwans und rauchen klatschianische Wasserpfeifen und trinken das Zeug."
"Ich denk du hast das noch nie probiert?" wunderte sich Kanndra. "Woher weißt du das dann alles?"
"Och, wir hatten einen Matrosen, der war süchtig danach. Jedes Mal wenn wir einen Hafen in Klatsch angelaufen sind, mußten wir vor der Abfahrt erstmal sämtliche Sinthab-Höhlen durchkämmen um ihn wiederzufinden."
"Na ja, Leute gibt's..." Alice räusperte sich. "Also, was haltet ihr davon, daß wir weiterspielen? Wir habens schon viertel nach elf und es hat noch keiner Anklage gegen irgendwen erhoben."
"Öhm..." fragend blickte Rogi in die Runde. "Wer war jetft eigentlich dran gewefen?"
Die Wächter sahen sich an und zuckten mit den Achseln.
"Keine Ahnung." erklärte Val schließlich. "Wollen wir's auswürfeln, wer weitermacht?"
* * * "Und er ist wirklich und wahrhaftig tot?" Graf Hieronymus von Bolzano-Weierstrass wirkte wie ein hilfloses Kind.
"So tot wie ein gefällter Baum." erklärte Tante Jane und seufzte. "Wir dachten alle zuerst, die verzweifelte Frau Weiss und Ihre Reaktion wären Teil des Spiels. Und daß Kohschi das Mordopfer spielen sollte erschien auch nur logisch. Aber kein Puls und komplett glasige, starre Augen lassen nur den Schluß zu, daß er wirklich tot ist. Jetzt mal ganz abgesehen davon, daß niemand freiwillig mit seinem Gesicht in einem gefüllten Suppenteller herumsitzt.
[4] Was allerdings keineswegs heißen muß, daß er ermordet worden ist. Zumindest ließen sich auf den ersten Blick weder Spuren einer Vergiftung noch irgendwelcher Gewaltanwendung erkennen. Vielmehr deutet alles darauf hin, daß ihn der Schlag getroffen hat. Jammerschade, daß unser Spiel schon!
beendet wurde bevor es überhaupt begonnen hatte."
Der Graf erhob sich seufzend. "Ich glaube, ich werde mir den armen Kohschi selbst einmal ansehen." verkündete er. "Es tut mir so leid, daß meine kleine Herausforderung auf so traurige Weise gescheitert ist, aber vielleicht können wir das Ganze ja irgendwann noch einmal wiederholen..."
"Ich begleite Sie." Shimura Ming eilte um den Eßtisch herum und ergriff den Arm des Grafen. "Herr Püree bewacht immer noch die Leiche?"
"Es so scheint." brummte Philipp Spaten und drückte eine weitere Zigarette im bereits überfüllten Aschenbecher aus. "Ich glaube, ich werde mir Leiche auch einmal anschauen."
Er gesellte sich zu dem Grafen und Fräulein Ming und schweigend verließen die Drei den Raum.
Frau Weiss saß immer noch auf einem Stuhl, Das Gesicht in ihren Händen vergraben, und schluchzte leise.
Tante Jane seufzte.
"Schade, daß der Abend so enden mußte." sagte sie wie zu sich selbst. "Und ich hatte mich so auf einen richtig aufregenden Fall gefreut. Der arme Kohschi."
Rince nickte nur und blickte abwesend auf den Elefantenkopf.
"Sagen Sie, Tante Jane..." begann er, "Wenn Sie sich hier mal im Haus umgesehen haben... Ist Ihnen dort irgend etwas seltsames aufgefallen?"
"Nun, was das Ambiente betrifft, ist dieses Haus ziemlich perfekt für dieses Spiel geeignet.
zu perfekt, wenn ich das mal so sagen darf. Und dieses seltsame Symbol, das immer wieder auftaucht..."
"Sie meinen das, was wie ein Tisch mit wellenförmiger Platte aussieht?" fragte Rince aufgeregt. Er war also nicht der einzige gewesen, dem das Zeichen aufgefallen war.
"Genau das." nickte Fräulein Marmor. "Erst tauchte es auf dieser Intarsie im Flur auf, dann in dem Werwolfs-Glasfenster und schließlich auf einem Stickbild in der Küche. Also, insgesamt drei ziemlich komische Orte für ein solches Motiv."
"Ich frage mich, was es bedeutet." murmelte Rince und warf einen Blick auf das Fenster. "In irgendeiner Form scheint es für den Grafen von Bedeutung zu sein. Ich meine nur, wer hängt sich schon freiwillig so etwas Komisches an die Wand, wenn es nicht irgendwas aussagen soll? Die Frage ist bloß, was..."
"Vielleicht das Zeichen irgendeines Geheimbundes?" spekulierte Tante Jane.
In diesem Moment wurde die Tür des Eßzimmers aufgestoßen und vier komplett verwirrt dreinblickende Personen kamen hereingestolpert. Achilles Püree drückte sich ein nasses Geschirrtuch gegen den Hinterkopf, während die andere Hand den Hals einer Flasche umklammerte. Sein Monokel baumelte zerbrochen und vergessen von seiner Befestigung.
"Ihr es nicht werdet glauben, aber man hat gestohlen Leiche!" rief Spaten aufgeregt. "Wir nur gefunden haben Anzug, doch Toter einfach futsch!"
"Wie..." fragte Rince verblüfft. "Kohschis Leiche ist weg?"
"Isch weiß nischt, was passiert ist." Püree ließ sich schwer auf seinen Platz fallen. "Isch 'abe auf die Leische aufgepaßt und plötzlisch 'at misch jemand niedergeschlagen."
"Niedergeschlagen?" schnappte Tante Jane. "Wie das? Es gab doch eigentlich niemanden, der dir eins über den Kopf ziehen könnte..."
"Isch weiß, es klingt verrückt..." erklärte Püree, "Aber isch saß dort auf einem Stuhl und das einzige was isch noch weiß ist, daß mir plötzlisch jemand auf den Kopf schlägt. Und als isch wieder aufwache, ste'en die anderen um misch 'erum und der tote Butler ist verschwunden."
Der Graf, Shimura und Spaten sahen sich an und zuckten ratlos mit den Schultern.
"Also gut." Rince atmete tief durch. "Befindet sich sonst noch jemand außer uns und dem verschwundenen Toten im Haus, Herr Graf?"
Von Bolzano-Weierstrass schüttelte den Kopf. "Wir waren allein, Kommandeur."
Plötzlich hellte sich Shimura Mings Gesicht auf. "Was für eine hübsche Idee, ehrwürdiger Graf." lächelte sie. "Ein Zombie als Butler. Kein Wunder, daß er mausetot war. Und während wir noch alle rätselten und rätselten erhob er sich, schlug den armen Herrn Püree nieder und versteckte sich hier irgendwo im Haus. Also wenn dies der Mordfall gewesen sein soll, dann bin ich aber ziemlich entäuscht."
"Eine Frage, Fräulein Ming." warf Rince ein.
"Ja?" die junge Frau ließ sich graziös auf ihrem Platz nieder. "Was gibt es denn an meiner Theorie auszusetzen?"
"Wie lange befinden Sie sich schon in Ankh-Morpork?"
"Erst seit einigen Tagen."
"Sind Sie schon einmal einem Zombie begegnet?" Rince hatte Schwierigkeiten, den sarkastischen Unterton in seiner Stimme zu bändigen.
"Nun, bis jetzt noch nicht." Shimura lächelte entschuldigend.
"Dann, wertes Fräulein, haben Sie auch keine Ahnung, wie ein wirklicher Zombie aussieht und riecht. Kohschi war bis eben quicklebendig gewesen."
"Aber er eben erst könnte sein wiederauferstanden und sich haben versteckt weil er es findet peinlich zu sein eine Zombie." warf Spaten ein. "Sehen Sie, damit haben recht sowohl Fräulein Shimura als auch Sie. Er war lebendig und starb, woraufhin er wieder ist verschwunden. Somit beide Vermutungen führen zum selbigen Ziel und somit wir haben eine Sandwich."
"Ich glaube nicht, daß belegte Brote irgend etwas mit unserem Fall zu tun haben." mischte sich Tante Jane ein. "Wir sollten uns lieber auf das Wesentliche konzentrieren als hier wild herumzuspekulieren. Menschen werden zu Zombies wenn sie im Leben noch etwas zu erledigen haben oder durch irgendwelche Rache- oder sonstigen Schwüre gebunden sind. Vielleicht auch weil sie sich partout nicht von dieser Welt trennen wollen. Aber ein Butler? Nein, das paßt nicht."
"Warum?" Achilles Püree warf das Handtuch über einen der Stoßzähne des Elefantenkopfes und entkorkte die aus der Küche mitgebrachte Flasche. "Es gibt doch auch Igors. Vielleischt 'at sisch Kohschi in den Kopf gesetzt, nach seinem Tode einer zu werden?"
"Entschuldigung." unterbrach ihn der Graf. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich mich kurz zurückziehen. Ich muß da noch etwas erledigen."
"Ah." Tante Jane nickte wissend. "Gehen Sie nur und erledigen Sie was Sie zu erledigen haben. Wir kommen schon zurecht."
Von Bolzano-Weierstrass nickte seinen Gästen zu und entfernte sich hastig. Rince bemerkte, daß er mit seiner Hand in der Jacketttasche irgend etwas fest umklammert hielt.
Püree schnalzte anerkennend mit der Zunge. "Untervektor-Rum." verkündete er und stellte die Flasche mit einem lauten Pochen auf den Tisch. "Und zwar allererste Qualität. Isch glaube, nach dem ganzen Trubel können wir wohl ein Glässchen vertragen."
Tante Jane nickte. "Rum stärkt die Nerven. Und jetzt wo wir unseren Fall haben, der, wie ich zugeben muß, doch ziemlich vertrackt zu sein scheint, kann zumindest ich ein wenig Nervenstärke vertragen."
"Das Schlimme an der ganzen Sache ist," bemerkte Shimura ziemlich treffend, "Es paßt einfach nichts zusammen. Was ist nun Spiel und was ist Wirklichkeit?"
* * * "Aaaachtung!" Schwungvoll warf Araghast den Würfel quer über das Spielbrett. "Bühne frei für das Klischee!"
"Wie?" fragte Alice erstaunt.
Als Antwort legte Bregs den Zeigefinger gegen seine Lippen und mit einer ruckartigen Bewegung seines Handgelenks wies er auf die Uhr, deren großer Zeiger eine Minute vor Mitternacht anzeigte.
"Soso, mal wieder der püschische Effekt." wisperte Kanndra
"Wiefo?" warf Rogi ein. "Ef ift doch allgemein bekannt, daf um Mitternacht in Krimif, fumindeft in flechten, immer waf paffiert."
"Eben." nickte Bregs.
Kaum daß er gesprochen hatte, begann die Glocke der Lehrergilde zu schlagen.
"Gibt es eigentlich irgendwelche besonderen Spielregeln für Mitternacht?" Valdimier nahm sich die Spielanleitung vor. "Ich meine nur, vielleicht taucht der Geist des Grafen Euter auf und gibt ein paar Hinweise. Ich für meinen Teil könnte sowas wirklich mal gebrauchen. Wir kommen scheinbar alle nicht besonders weit vorwärts."
"Kein Wunder wenn wir uns dauernd verquatschen." bemerkte Gralon und gähnte herzhaft. Die Wirkung der drei Tassen Kaffee schien langsam nachzulassen. "Mitternacht. Zwölf Uhr und alles ist gut."
"Unwahrscheinlich." kommentierte Bregs bissig. "In der Nacht in der um Zwölf einmal wirklich alles gut ist fresse ich meine 'Phänomenomenologie des Geistes'." Er warf einen Blick zum Fenster hinaus an den mittlerweile komplett mit zerzausten Wolken verhangenen Himmel. "Irgendwo dort draußen geschieht praktisch ständig etwas. Und vor allem solche Nächte scheinen das Verbrechen geradezu anzuziehen. Wann mordet es sich besser als in stürmischen Nächten?"
"Frag Eddie Wollas." flüsterte Val Kanndra grinsend zu.
"He, das hab ich gehört." Bregs runzelte gespielt beleidigt die Stirn. "Aber abgesehen davon- Wenn bei Wollas eine solche Nacht vorkommt kann man sich ziemlich sicher sein, daß auf den nächsten Seiten irgendwas schlimmes passieren wird."
"Sag mal, hast du gerade eine von den Schwarten hier?" Alice lächelte hinterhältig.
"Sicher." Aus den Tiefen seines Mantels, der über der Stuhllehne hing, zog der Püschologe ein zerfleddertes Romanheft und warf es auf den Tisch. "Aus dem Pandämonium. Die Geschichte von Jakob dem Schlitzer und dem Sinthab mit Kleinbonum."
Alice griff sich den Band. "Wollen wir wetten?" fragte sie.
"Was wetten?" fragte Gralon müde.
"Daß irgendein Kapitel mit dem Satz 'Es war eine dunkle und stürmische Nacht' beginnt." Die Spurensichererin blätterte eifrig, nur um Sekunden später in schallendes Gelächter auszubrechen. "Na bitte." kicherte sie. "Gleich der allererste Satz des ersten Kapitels! Ein wenig Originalität hätte auch nicht schaden können." Sie blätterte weiter. "Hmmm... Das klingt ja wirklich lecker.... Leichen ausgeweideter Näherinnen in den Schatten... Eine schwarze Kutsche... Ein Mann in einem langen dunklen Mantel der einen Gehstock und einem Arztkoffer trägt... Sinthab mit Kleinbonum... Schwere püschische Störungen... Noch mehr ausgeweidete Näherinnen... Geheimbünde und Verschwörungen... Igitt." Alice schüttelte sich. "Und sowas liest du vor'm Einschlafen? Also ich bin froh wenn ich zumindest in meiner Freizeit von solchen Sachen verschont bleibe."
"Och, gegen 'Cthulhupalhulhu' von P.H. Kraftlieb ist das hier noch relativ harmlos." grinste Bregs und steckte das Buch wieder ein. "Dort steigt, nachdem eine finstere Sekte ein uraltes Ritual durchgeführt hat, das ultimative Grauen aus dem versunkenen Leshp auf und treibt halb Ankh-Morpork in den Wahnsinn, woraufhin ein Tor zu den Kerkerdimensionen geöffnet wird, und gewisse...
Dinge sich daran machen, die Scheibenwelt zu erobern."
"jaja, wir wissen, daß dir sowas gefällt." schnitt ihm Kanndra das Wort ab. "Aber wollen wir nicht langsam endlich mal zu Ende spielen? Sonst sitzen wir noch hier wenn Frau Willichnicht morgen um kurz nach sieben auf der Matte steht. Val, gibt es nun irgendwelche besonderen Mitternachtsregeln, die uns endlich mal zum Ende bringen?"
"Leider nein." Enttäuscht klappte der Vampir die Spielanleitung zu. "Wir werden wohl weiter blind drauflosraten müssen, falls sich jemand mal traut. Und ich habe keine Lust, Frau Willichnicht zu begegnen..."
* * * "Isch frage misch, was er so lange treibt." Achilles Püree starrte in sein viertes Glas Untervektor-Rum. "Seit einer 'alben Stunde warten wir 'ier nun und tun nischts."
Tante Jane seufzte. "Wenn ich nur wüßte, was hier eigentlich los ist." Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. "Wenn man es mal genauer betrachtet, geschehen hier Dinge, die eigentlich rein logisch gesehen nicht passieren können. Also fassen wir einmal zusammen: Ein offensichtlich lebendiger Butler," Sie warf einen strengen Seitenblick zu Shimura Ming, "wird tot aufgefunden und jemand wird als Wache zurückgelassen und niedergeschlagen, sobald er mit dem Toten allein ist. Als der Graf mitsamt Begleitung auftaucht ist die Leiche verschwunden. Daraufhin wird der Graf unruhig und macht sich aus dem Staub, angeblich um irgendwas zu erledigen. Wir wissen nicht ob der Butler eines natürlichen Todes gestorben ist oder in irgendeiner Form ermordet wurde, wobei Vergiftung die wahrscheinlichste Version darstellt da soweit ich gesehen habe keine äußere Gewalt angewendet wurde."
"Zuerst ich habe gedacht, daß Tod von Butler war Teil von seine Fall." bemerkte Philipp Spaten und blies einen Rauchring in die Luft, der träge zur Decke emporschwebte, um sich schließlich vor der Nase eines ausgestopften Widderkopfes aufzulösen. "Aber komisch, daß er das Spiel nicht abbrechen wenn er weiß, daß Kohschi wirklich sein gestorben."
"Eben" bestätigte Rince. "Es paßt einfach nichts zusammen. Es macht keinen Sinn." Innerlich sehnte er sich nach seiner Frau, seinem Zuhause und seinem Büro im Wachhaus und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum er die Wette überhaupt angenommen hatte. Die ganze Sache war einfach nur seltsam. Geschehnisse die keinen erkennbaren Sinn ergaben, verschwundene Leichen und ein komisches Zeichen das immer wieder auftauchte- ein Gefühl regte sich in Rinces Magengrube. Das Gefühl, daß etwas ziemlich faul war.
Entschlossen erhob er sich und marschierte in Richtung Tür.
"Na dann will ich mal sehen, wo unser verehrter Herr Gastgeber abgeblieben ist." brummte er. "Irgendwie müssen wir mal Grund in die ganze Sache kriegen."
Schwungvoll wollte er die Eßzimmertür aufstoßen- und stieß auf jähen Widerstand.
"Abgeschlossen?" wunderte sich Shimura.
"Scheint so." Vergeblich rüttelte der Kommandeur am Türgriff.
"Was das eigentlich sollen?" rief Spaten aufgebracht. "Warum man uns hier eingesperrt? Das Ganze einfach verrückt ist!"
Rince zuckte nur mit den Schultern und wandte sich wieder zurück zu den anderen.
"Eine Minute vor Mitternacht." Tante Jane warf einen Blick auf ihre Taschenuhr. "Und wir haben angeblich noch zwei Stunden Zeit, einen Fall zu lösen."
"Falls überhaupt existieren einer." wandte Spaten ein und warf der immer noch schockiert in einer Ecke sitzenden Frau Weiss einen mißtrauischen Blick zu.
"Mitternacht." Püree schenkte sich ein fünftes Glas Untervektor-Rum ein und blickte ein wenig unsicher in die Runde. "Die Zeit für wahr'aft klassische Verbreschen!"
"Wobei man vermutlich in den meisten Fällen klassisch mit Klischee gleichsetzen kann." bemerkte Rince sarkastisch. "In so ziemlich jedem schlechten Krimi oder Klicker geschieht ein Mord um Mitternacht. Während der Fuhsballmeisterschaft hatte ich auch mal mit einem Rekruten zu tun gehabt, der hat auch an all solchen Kram geglaubt. Las die ganze Zeit Stefan König und Eddie Wollas und so ein Zeug. Aber das ist doch alles Quatsch."
Die Wanduhr in der Ecke des Raumes begann zu schlagen.
"Na dann wollen wir mal sehen, was an diesem Klischee dran ist." Tante Jane lehnte sich zurück und lächelte dünn, was Rince nur noch mehr an ihren Neffen erinnerte.
Drei, zählte Rince im Stillen. Vier.
Irgendwas
mußte passieren. Wenn er sich wirklich in einem zum Leben erwachten Krimiklischee befand, ging es gar nicht anders.
Fünf.
Vielleicht gehörte alles was bis jetzt geschehen war zum Spiel. Es war doch geschickt eingefädelt. Der Anschein, daß etwas schief gegangen war.
Sechs.
Der Graf hatte sie eingeschlossen. Soviel war klar.
Sieben.
Verwirrung. Darauf kam es ihm vermutlich an. Lenke die ach so cleveren Spürnasen soweit vom eigentlichen Geschehen ab wie es nur ging.
Acht.
Bestimmt war es nicht allzu schwer, die Tür aufzubrechen. Vermutlich war es genau das, was der Graf bezweckt hatte. Zu schauen, wie schnell sie auf die Idee kamen, sich selbst zu befreien.
Neun.
Und genau das würde er tun, beschloß Rince. Das verdammte Schloß öffnen. Zu schwer konnte es nicht sein. Und endlich der Sache auf den Grund gehen.
Zehn.
Dieses Versteckspiel ging ihm langsam aber sicher auf die Nerven. Eine Verfolgungsjagd durch die nächtliche Stadt kam ihm in den Sinn. Sicher, so etwas war anstrengend und kräftezehrend. Aber andererseits... Es war einfach. Man wußte, woran man war.
Elf.
Im Gegensatz zu dieser... Wette..., wo er sich nicht einmal mehr sicher war, was nun wirklich war und was nicht. Langsam begann er, den Tod des Butlers zu bezweifeln. Sicher, er hatte einige gewisse Anzeichen aufgewiesen die besagten, daß er nicht mehr in dieser Existenzsphäre weilte, und laut Tante Jane keinen Puls mehr besessen, aber soweit er von Leutnant Pismire gehört hatte, gab es gewisse Gifte, die einen Tod ziemlich perfekt vortäuschen konnten...
Zwölf.
Drei schwere Schläge erschütterten die Tür.
"Herein wenn's kein Schneider ist." rief Tante Jane gekünstelt fröhlich.
Nichts geschah.
"Ach was solls." brummte Rince, schlurfte lustlos zur Tür und zog am Griff.
Widerstandslos schwang sie auf
Und langsam kippte die Leiche des Grafen Hieronymus von Bolzano-Weierstrass ins Zimmer.
Sie war schauerlich anzusehen.
Der Hinterkopf war lediglich ein einziger blutiger Brei, durchsetzt mit gelblichen Brocken, die Rince schaudernd als Hirnmasse identifizierte. Ein zerfaserter Strick war gleich einer Galgenschlinge um den Hals des Opfers gewickelt. In der Brust steckte ein Dolch, während ein Armbrustbolzen aus dem linken Auge des Grafen ragte.
Sechs Personen starrten wortlos.
Dann begann Frau Weiss zu schreien.
[5]TEIL 2 DAS SPIEL... SICH IM KREISE DREHT Sechs Augenpaare starrten entsetzt auf die Leiche.
Die Zahl reduzierte sich auf fünf, als Frau Weiss ohnmächtig in die Arme Achilles Pürees sank.
"Wie schrecklich." wisperte Shimura tonlos.
"Vielleicht es sein nur eine Attrappe?" Philipp Spaten trat näher um den Körper genauer in Augenschein zu nehmen. "Man eine Menge anstellen kann mit die richtige Schminke und Kunstblut."
Rince hob den Blick und sah die übrigen fest an. "Ich habe in meinem Leben schon eine ganze Menge Leichen gesehen." erklärte er langsam. "Dieser Mann hier ist mausetot." Er bückte sich und drehte die Leiche auf den Rücken, so daß sämtliche gräßlichen potentiellen Todesursachen sichtbar wurden. "Und ich frage mich, was das Ganze soll."
"Ganz einfach." Tante Jane trat ebenfalls heran und nahm den Toten in Augenschein. "Es gibt hier irgendwo einen dritten Mann."
"Natürlisch!" Achilles Püree sah von seinen Bemühungen auf, Frau Weiss mit Hilfe der nunmehr knapp zu einem Drittel gefüllten Flasche Untervektor-Rum wiederzubeleben. "Vermutlisch irgendeine Rache-Geschischte.Wer auch immer es ist, er 'at die Gelegen'eit genutzt und der arme Kohschi war leider im Weg."
Rince räusperte sich und versuchte, nicht an das zu denken, was dort zu seinen Füßen auf dem Teppich lag. "Jedenfalls," verkündete er, "Haben wir es in diesem Fall eindeutig mit einem realen Verbrechen zu tun. Das Spiel ist zu Ende. Dies ist ein Fall für die Stadtwache."
Automatisch fummelte er in der Brusttasche seiner Uniform nach einem Stift und einem Notizblock. Die diensthabenden SUSI-Mitgleider würden zwar alles andere als begeistert sein, mitten in der Nacht ausrücken zu müssen, aber ein offensichtlicher Mord duldete nun einmal keinen Aufschub. Ein Kribbeln regte sich in der Magengrube des Kommandeurs und er war sich ziemlich sicher, daß es nicht von diesem... Oberrichtungspfeilzimmer-Getränk oder wie es auch immer geheißen hatte stammte. Er fühlte sich wie jemand der mitten in einer Fondel-Symphonie das Geräusch einer Narrentröte hörte. Irgend etwas fühlte sich
falschan. Und Rince wollte wissen, was es war.
Behutsam stieg er über die Leiche hinweg und trat auf den Flur, der immer noch in jenem gewollt unheimlichen Dämmerlicht lag wie man es normalerweise nur aus schlechten Kriminal-Klickern kannte. Ein dritter Mann, hatte Tante Jane behauptet. Mißtrauisch sah sich Rince um. Der sogenannte Korridor war eigentlich ein einmal um die hohe Eingangshalle herumlaufender Balkon um eine Treppe, die hinunter zur Halle und somit zum Eingang führte. Diverse Türen zweigten von ihm ab. Langsam schritt Rince vorwärts, sich wachsam nach finsteren Ecken umschauend. Die Rache-Theorie hatte einiges für sich. Der Kommandeur machte sich eine geistige Notitz, die Püschologin von RUM damit zu beauftragen, die Vergangenheit des Grafen ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Und dann gab es da noch die Behauptung Tante Janes, daß der Titel des Grafen von Bolzano- Weierstrass lediglich erstunken und erlogen war.
Eine einsame Kerze warf einen schwachen Lichtkegel.
Rince trat näher und zückte seinen Notizblock. Die eigentliche Schwierigkeit würde darin bestehen, jemanden zu finden, der die Nachricht zur Wache brachte, dachte er bitter und verabschiedete sich gedanklich schon einmal von mindestens zwei Ankh Morpork-Dollar.
In trüben Licht der Kerze brachte er schließlich folgendes zu Papier:
An Lt. Pismire od. Korporal Larius de Garde, Abt. SUSI
Mache hiermit Meldung über unlizenziertigen Mord inne Knorkestraße 23, Ankh-Morpork. Erwartige Spurensicherungs-Trupp so balde wie möglich. Bitte außerdem wegen mutmaßlichem Mordfalle und verschwundigener weiterer Leiche die Hilfe von RUM.
gez. Kmdr. Rince
Zufrieden mit seinem Werk faltete er den Zettel zusammen und wandte sich in Richtung Treppe, die von einem rötlichen Leuchten in unheimlicher Weise erhellt wurde. Verwirrt sah Rince auf. An der Wand gegenüber prangte die Schnitzerei, die ihm bereits beim ersten Betreten des Hauses ins Auge gesprungen und deren sonderbares Motiv ihm im Laufe des Abends immer wieder begegnet war. Doch dieses Mal schein von den blutroten Linien ein schwacher Lichtschimmer auszugehen. Der Kommandeur schloß kurz die Augen, doch als er einen weiteren Blick darauf warf, war das Glühen nicht verschwunden. Im Gegenteil, seine Intensität schien sogar ein wenig zugenommen zu haben. Kopfschüttelnd machte sich Rince an den Abstieg. Das Tappen seiner Schritte verursachte das einzige Geräusch im ansonsten völlig stillen Flur.
Die schwere, hölzerne Haustür befand sich vor ihm. Frische Luft, dachte er erleichtert. Die Aussicht, dieses merkwürdige Gebäude zumindest für ein paar Augenblicke hinter sich zu lassen, stimmte ihn beinahe fröhlich. Die starren Glasaugen diverser ausgestopfter Tiere und zwei äußerst seltsame Todesfälle innnerhalb von anderthalb Stunden waren auf Dauer einfach nicht ertragbar.
Verstohlen sah sich Rince in der Eingangshalle um. Keiner der Vorhänge wies irgendwelche verdächtigen Ausbeulungen die auf eine versteckte Person hindeuteten auf.
"Ist alles in Ordnung, Herr Kommandeur?" rief eine Stimme von oben.
Rince fuhr zusammen. Er hatte niemanden schleichen gehört.
"Hilfe, haben Sie mich vielleicht erschreckt, Tante Jane." rief er genervt. "Können Sie nicht wenigstens vorwarnen wenn Sie dort oben herumschleichen?"
Fräulein Marmor überhörte diese Bemerkung geflissentlich.
"Haben Sie die Nachricht schon losgeschickt?"
"Noch nicht." antwortete Rince und drückte die Türklinke herunter. "Aber gleich..."
Verblüfft verstummte er. Die Eingangstür rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Energisch stemmte er seine Schulter dagegen und schob, doch seine Bemühungen blieben vergeblich. Innerlich fluchend umklammerte er den Griff und rüttelte aus Leibeskräften. Die Tür zeigte sich davon völlig unbeeindruckt.
"Was ist los, Herr Kommandeur?" rief Tante Jane von oben. "Sie brauchen die Tür nicht erst abzureißen."
"Ich bekomme sie nicht auf." schnaufte Rince und bückte sich, um das Schloß in Augenschein zu nehmen. "Entweder klemmt hier irgendwas oder es ist abgeschlossen."
"Abgeschlossen?" Die veränderte Richtung der Stimme und das Klicken einer Regenschirmspitze auf Holz verkündeten, daß Tante Jane sich auf dem Weg zu ihm befand. "Warum sollte uns jemand einsperren? Es sei denn, er verfolgt damit einen ganz bestimmten Zweck."
"Und der wäre?"
Das Tüschloß erwies sich als erstaunlich massiv und schien aus Zwergenproduktion zu stammen. Es hätte schon einen Sumpfdrachen gebraucht, um es zu zerstören, dachte Rince bitter.
"Und, was ist?" Tante Jane stieg die letzte Treppenstufe herab und warf dem Kommandeur einen herausfordernden Blick zu.
"Ich fürchte, da ist nichts zu machen." Der Angesprochene zuckte ratlos mit den Schultern und seufzte. "Es scheint, ich muß wohl durch ein Fenster raus." Er warf einen skeptischen Blick zu den hohen, mit schweren Samtvorhängen umrundeten Fenstern.
"Na dann mal los." Tante Jane trat an das Nächstbeste heran und betätigte den Griff.
Nichts rührte sich.
"Es scheint zu klemmen." bemerkte sie. "Wenn Sie es vielleicht einmal versuchen würden, Herr Kommandeur..."
Rince packte den Griff und zog mit aller Macht. Erfolglos. Entschlossen probierte er es mit Drücken, was den selben Effekt hatte. Schließlich versuchte er, die Scheibe von unten hochzuschieben, was den einzigen Effekt hatte, daß ein Splitter des Fensterrahmens in seinem Finger steckte.
"Was soll das?" knurrte er außer Atem. "Das Ding hat doch nicht einmal ein Schloß."
Er probierte ein weiteres Fenster mit demselben Ergebnis.
"Vermutlich will jemand nicht, daß wir das Haus verlassen." kommentierte Tante Jane ungerührt.
"Na warten Sie." Rince geriet langsam in Rage. Er ergriff einen Kerzenhalter, der auf einem Garderobentisch stand, holte aus und schmetterte ihn mit voller Wucht gegen die Scheibe.
Mit einem Geräusch, welches dem eines Lineals ähnelte, das über einer Schreibtischkante hängt und mit dem Daumen angestoßen wird, prallte das improvisierte Schlaginstrument zurück und riß Rince beinahe zu Boden.
"Na das ist ja..." Mühsam erlangte er sein Gleichgewicht zurück und starrte verblüfft auf den Kerzenhalter. Versuchsweise klopfte er mit dem Zeigefinger dagegen. Das Metall klang beruhigend massiv in seinen Ohren.
Derweil nahm Tante Jane die Fensterscheibe unter die Lupe.
"Scheint schlichtes Glas zu sein, Herr Kommandeur." bemerkte sie mit einem leicht spöttischen Unterton und strich über den Rahmen. "So schwer kann es doch nicht sein."
Leise vor sich hinbrummeld packte Rince den Kerzenhalter mit beiden Händen und trat drei Schritte zurück. Es konnte doch nicht so schwer sein, eine stinknormale Fensterscheibe einzuschlagen...
Entschlossen stürmte er vor.
Ein türkisfarbener Blitz entlud sich, als der Leuchter gegen die Scheibe schmetterte und gleichzeitig ging ein schmerzhafter Schlag durch die Arme des Kommandeurs. Erschrocken ließ er seine improvisierte Schlagwaffe fallen, die mit einem dumpfen Geräusch zu Boden polterte, und trat einen Schritt zurück.
"Was war das?" flüsterte er hektisch und besah sich seine Hände.
Die Handflächen waren gerötet und brannten, als ob er kurze Zeit etwas sehr Heißes berührt hätte.
"Haben Sie sich verletzt?" Tante Jane blickte über seine Schulter und versuchte einen Blick auf die Handinnenseiten zu erhaschen.
Nicht der Rede wert." brummte Rince und beäugte das Fenster mit wachsendem Mißtrauen. "was ich wissen will ist, was das da eben eigentlich war. Es hat sich angefühlt als ob da irgendeine Barriere wäre."
"Vielleicht hat der erste Zertrümmerungsversuch eine Art magisches Sicherheitssystem aktiviert." spekulierte Tante Jane. "Solche Spielereien sind zur Zeit ziemlich gefragt. Als geschäftstüchtiger Zauberer kann man sich damit eine goldene Nase verdienen."
"Das schon." Rince rieb sich nachdenklich die Stirn. "Aber normalerweise werden solche Systeme
außen angebracht." Vorsichtig streckte er seine Hand nach der Türklinke aus- und zog sie hastig wieder zurück, als ein grünlicher Funken von Metall auf seine Fingerspitzen übersprang. "Dieses hier," fuhr er schließlich fort, "wurde angebracht um uns am
Ausbrechen zu hindern."
"Verrückt." Tante Jane wandte sich der Treppe zu. "Warum sollte irgendwem daran gelegen sein, uns hier einzusperren?"
Über ihr glühte der Tisch mit der geschwungenen Platte in einem dunklen Blutrot und warf einen feurigen Schein auf die Galerie.
* * * "Also, ich frage mich wirklich, ob dieses Spiel überhaupt irgendwann mal ein Ende hat." Kanndras Fingernägel trommelten auf die Tischplatte.
Die Uhr zeigte zwanzig Minuten nach Mitternacht und noch immer war keine einzige Verdächtigung gefallen. Der Himmel hatte sich endgültig bezogen und Nebelschwaden wogten wie zarte Schleier am Fenster des Auenthaltsraumes vorbei und hätten bei Araghast vermutlich einen weiteren längeren Vortrag über Krimi-Klischees ausgelöst, wenn er nicht glücklicherweise mit dem Gesicht zur Tür gesessen hätte. In der Wachstube hatte die Tresenbesetzung gewechselt und Dennis Schmied hatte kurz hereingeschaut, dem Kaffedämonen nach einem kurzen aber heftigen Wortwechsel eine Tasse braunen, heißen Getränkes abgerungen, ein paar Worte mit seinen um das Spielbrett versammelten Kollegen gewechselt und sich in sein Büro zurückgezogen. Und das Spiel zog sich in die Länge...
"Wer weif, vielleicht ift daf fo eine Art Endloffleife." Rogi fächerte die Karten in ihrer Hand auf. "Wir fpielen fon den ganfen Abend und bif jetft haben wir noch gar nichts raufbekommen."
"Können wir nicht einfach aufhören?" gähnte Gralon. "Irgendwie bringt das doch nichts mehr. Was haltet ihr davon, wenn jetzt einfach jeder irgendwen mit Raumangabe und Tatwaffe verdächtigt, und der der am nächsten dran lag hat gewonnen?"
"Wollt ihr wirklich aufhören?" wunderte sich Araghast. "Wir können uns doch nicht einfach so geschlagen geben!"
"Hast du mal auf die Uhr geguckt?" fragte Valdimier. "Wir sitzen seit fast sechs Stunden an dem Spiel und haben eigentlich soweit nicht wirklich Fortschritte gemacht. Also ich kann Gralon nur zustimmen: Wir verdächtigen einfach jemanden und mal sehen wer recht hat."
Bregs seufzte. "Also wenn ihr wirklich aufgeben wollt... Na meinetwegen. Aber schade ist es trotzdem."
"Also gut." Kanndra langte nach der Tüte mit den Kartoffelscheiben, deren Inhalt im Laufe des Abends bereits beträchtlich geschrumpft war. "Soll ich anfangen?"
"Fang an."
"Okay." Die Späherin zog ihre Hand über das Brett zurück, wobei ihr eine Scheibe aus der Hand fiel. "Also ich hatte schon immer Val im Verdacht. Ich sage, er war es mit der Rohrzange in der Küche..."
"Moment!" rief Alice dazwischen. "Wo ist die Kartoffelscheibe hin?" Aufgeregt wies sie auf das Spielbrett.
"Welche Kartoffelscheibe?" wunderte sich Bregs.
"Den, den Kanndra gerade fallengelassen hat. Er ist weg! Einfach verschwunden!"
"Hast du irgendwas aufs Spielbrett fallengelassen?" wandte sich Bregs an seine Kollegin.
"Mag schein, dasch eine runtergefallen isch." mampfte Kanndra. "Aber verschwunden?" sie schluckte. "Das kann nicht sein. Das Wachaus ist unten zu."
"Sie ist aufs Brett gefallen und war plötzlich weg." beharrte Alice. "Ich habs ganz genau gesehen."
"Feltfam..." Rogi betrachtete den dicken Karton eingehend. "Feint ftabil fu fein, daf Ding."
"Okay, wir können es ja einfach ausprobieren." Val tauchte einen Finger in seine Kaffeetasse und ließ zwei Tropfen auf das Musikzimmer fallen.
Sie verschwanden spurlos.
Sechs Wächter starrten mit offenen Mündern auf das Spielbrett.
"Das ist ja..." brachte Gralon, der mittlerweile wieder hellwach war, hervor.
"Also, fragt
mich nicht, was das soll." Araghast hob abwehrend die Hände. "Ich glaube nicht, daß das in irgendeiner Form vorgesehen war."
"Verrückt." murmelte Kanndra. "Das Spiel stammt nicht zufällig aus dem Besitz eines Zauberers?"
"Nicht, daß ich wüßte."hilflos blätterte Bregs duch das Regelheft. "Wie gesagt, ich habe es zum Silvesterfest bekommen und wie ihr alle mitbekommen habt, war es noch original verpackt. Es sei denn, jemand hat den Laden verflucht aus dem es stammt..."
"Na ja, das ist doch wohl etwas arg weit hergeholt." warf Alice ein. "Fakt ist, die Kartoffelscheibe und die Kaffeetropfen sind offensichtlich im Spielbrett verschwunden."
"Vielleicht find fie hindurchgefallen?" vermutete Rogi und hob eine Ecke des Brettes an.
Der Tisch darunter war so sauber wie der Rest der Platte.
"Nichtf." verkündete sie und schüttelte den Kopf. "Wer weif, vielleicht ift hier ja wirklich Magie im Fpiel."
"Ein Cent für die schlechte-Wortspiele-Kasse." antwortete Val prompt.
"Sie meint es ernst!" stirnrunzelnd funkelte Kanndra ihren Kollegen an. "Wenn ihr bitte mal die püschische Effektbeleuchtung ausblenden und euch vor den Kamin stellen könntet..."
"Kann man Magie denn sehen, wenn es dunkel ist?" wunderte sich Gralon und blies die Kerzen aus. Währenddessen drehten Araghast und Valdimier einen der Tische auf die Seite und blendeten so das Licht des Kaminfeuers aus.
"Da! seht ihr es?" Kanndras ausgestreckter Zeigefinger wies auf den Rand des Spielbrettes.
"Was sollen wir sehen?" Alice kniff die Augen zusammen.
Doch nachdem ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten sahen es auch die übrigen Wächter:
Ein schwaches, unwirkliches, grünliches Glühen ging vom Spielbrett aus.
"Verdammte Axt." war Bregs' einziger Kommentar.
* * * Mit einem Kerzenhalter in der Hand und einem komischen Gefühl in der Magengrube tappte Rince die Galerie entlang und wünschte sich sehnlich, seinen Dienstschlagstock bei sich zu haben. Nachdem Tante Jane und er im Speisezimmer einen Lagebericht abgegeben hatten, war eine gründliche Durchsuchung des Hauses beschlossen worden und so schlichen nun Tante Jane, Achilles Püree, Philipp Spaten und er selbst durch die Zimmer, während Fräulein Ming sich um Frau Weiss kümmerte. Aus dem Treppenhaus schimmerte rötliches Licht nach oben. Rince wußte, daß es von diesem verdammten Symbol stammte, aus dem er immer noch nicht schlau geworden war. Im Geiste zog er eine vorläufige Bilanz des Falles.
Insgesamt fünf mehr oder weniger bekannte Spürnasen hatten eine Einladung zu einer Wette bekommen, in der ein vorgetäuschter Mord aufgeklärt werden sollte.
Der Einladende trug den Namen Graf Hieronymus von Bolzano-Weierstrass, von dem Tante Jane bereits den ganzen Abend behauptete, daß er gar kein wirklicher Graf sei.
Dann starb der Butler ohne ersichtliche äußere Gewaltanwendung oder auffällige Vergiftungserscheinungen und die Person, die zur Bewachung der Leiche zurückgelassen worden war wurde hinterrücks niedergeschlagen und der Tote entfernt.
Woraufhin der Graf sichtlich beunruhigt seine Gäste alleinließ.
Und um Punkt Mitternacht tot an die Speisezimmertür gelehnt worden war, wobei, was jeglicher Logik entbehrte, insgesamt vier schon jede allein für sich tödliche Verletzungen festgestellt werden konnten.
Und schließlich hatte jemand das Haus vermutlich mit einem magischen Sicherheitssystem gegen
Ausbrechen gesichert.
Ob der Tisch mit der geschwungenen Platte etwas mit dem Grafen zu tun hatte? Vielleicht war es eine Art Familienwappen? Aber warum glühte es mit einem Mal?
Tief durchatmend lehnte sich Rince gegen die Wand neben der Tür des nächsten Zimmers, streckte vorsichtig die Hand nach der Klinke aus und sehnte sich nach einer einsatzbereiten FROG-Truppe. Langsam drückte er den Griff herunter und stieß die Tür mit dem Fuß an. Mit einem leisen Knarren schwang sie auf und gewährte dem Kommandeur einen Blick in einen saalartigen Raum, in dessen Mitte er die Umrisse eines großen, hölzernen Möbelstückes ausmachen konnte. Den Kerzenhalter wie einen Schlagstock erhoben schob er die Tür ganz auf, sprang ins Zimmer und sah sich hektisch um.
Nichts rührte sich.
Rince ließ den Leuchter sinken, nicht ohne innerlich kurz über die Wachsflecken auf seiner Uniform zu fluchen, derentwegen er von seiner Frau vermutlich wieder einigen Ärger bekommen würde. Er schien sich in einer Art Musikzimmer zu befinden. Der Koloß in der Mitte des Raumes entpuppte sich als Konzertflügel. Eine Tuba glänzte im flackernden Kerzenlicht und mehrere Notenständer warfen gespenstische, skelettartige Schatten an die Wand, als sich Rince langsam weiter vorwagte und schließlich an den Flügel herantrat.
Die Tasten waren mit einer hölzernen Klappe bedeckt, und das gesamte Instrument erweckte einen seltsam unbenutzten Eindruck. Und doch, wie Rince zu seinem Erstaunen feststellen mußte, schien sich nicht ein einziges Staubkörnchen auf das dunkle Nußbaumholz verirrt zu haben. Über der Notenablage befand sich eine Gravur. Der Kommandeur hob die Kerze, um sie entziffern zu können- und runzelte erstaunt die Stirn.
Sorgfältig eingekerbt und mit goldener Farbe nachgemalt, schien ihn das altbekannte Symbol des Kreises um den unförmigen Tisch geradezu hämisch anzugrinsen.
Verwirrt rieb sich Rince das Kinn. Allmählich beschlich ihn das Gefühl, daß ihn irgendjemand ziemlich dreist an der Nase herumführen wollte. Er hob den Kerzenkalter, um sich weiter umzusehen, als ihm ein metallisches Blinken vom Deckel des Flügels ins Auge sprang. Er trat um das Instrument herum um den Gegenstand genauer unter die Lupe zu nehmen.
Vor ihm auf dem Nußbaumholz lag ein Kerzenhalter, gleich dem Modell, welches er in der Hand hielt. Doch diesem fehlte die Kerze. Stattdessen war das untere Ende mit einer dunklen Flüssigkeit beschmiert. Rince hielt seine Kerze näher und beugte sich nach vorn, um das Fundstück genauer zu untersuchen. Vorsichtig tippte er mit dem Finger gegen die Substanz und hielt ihn ins Licht. Seine Fingerkuppe war dunkelrot.
"Blut." sagte Rince leise zu sich selbst. Suchend klopfte er die Taschen seiner Uniformjacke ab, förderte schließlich ein Taschentuch zu Tage, legte es über die mutmaßliche Tatwaffe und hob sie hoch.
In diesem Moment platschte es.
Erschrocken fuhr der Kommandeur herum und hob seine Lichtquelle.
ein brauner Fleck von zirka 30 Zentimetern Durchmesser verunstaltete den hellen Parkettboden. Seine Ränder waren zerfasert, als ob er aus großer Höhe herabgefallen war. Verwundert sah Rince zur Decke auf. Sie war weiß gestrichen und wies keinerlei Öffnungen auf, aus denen plötzlich irgend etwas heruntertropfen könnte.
Und so sah er den zweiten Tropfen. Er materialisierte sich plötzlich mitten in der Luft und fiel direkt auf Rince zu. Hektisch sprang der Kommandeur zur Seite. Der Tropfen ging nur einen knappen halben Meter neben ihm zu Boden und spritzte seine Hosenbeine naß. Ein leichter Kaffeegeruch breitete sich im Raum aus.
Rince starrte mit offenem Mund, unfähig, sich zu rühren. Dann ließ er sich von seinen Instinkten leiten und floh.
Keuchend riß er die Tür des Speisezimmers auf und stürmte zum Tisch.
"Sie glauben nicht, was mir..."
Die zweite Hälfte des Satzes blieb ihm im Halse stecken.
Auf dem Eßtisch lag, in mehrere Teile zerbrochen, eine gigantische Kartoffelscheibe mit einem Durchmesser von mindestens einem Meter.
Die entsetzten Augen Shimura Mings und Frau Weiss' starrten ihn aus der hintersten Ecke des Zimmers an.
Und ein merkwürdiges Zittern ging durch das Gebäude.
* * * "Also gut, wir haben hier also ein magisches Spielbrett, das Dinge verschluckt." rekapitulierte Gralon ihre bisherigen Erkenntnisse. "Wißt ihr eigentlich, wie bescheuert sich das anhört?"
"Reichlich." seufzte Alice. "Selbst nach den Maßstäben dieser Stadt."
Die Wächter hatten die große Deckenlampe entzündet, in deren hellem Licht der bläuliche Schimmer des Spielfeldrandes allenfalls zu erahnen war.
"Und waf follen wir nun damit anfangen?" skeptisch wog Rogi den Würfel in ihrer Hand. Ef endlich fu Ende bringen?"
"Ich weiß nicht..." Kanndra spielte unschlüssig mit ihren Handkarten. "Wir wissen nicht, was es für einen Effekt hätte. Am Besten wir schauen erst einmal, ob es sich während des Spiels in irgendeiner Form magisch aufgeladen hat." Sie nahm die Figuren vom Brett, faltete es zusammen und legte es in die Schachtel.
"Du meinst, irgendwas magisches hier in der Nähe könnte das Spielbrett beeinflußt haben?" fragte Araghast aufgeregt. "Und daß es sich quasi angesteckt hat wie eine Krankheit?"
"Keine Ahnung." Die Späherin breitete den Spielplan wieder aus und dämpfte das Licht der Lampe.
Der Rand glühte weiterhin bläulich.
"Mist." Kanndra schnitt eine enttäuschte Grimasse und drehte den Lampendocht wieder auf. "Tja, nun bin ich mit meinem Latatianisch auch am Ende. Voodoo ist es jedenfalls nicht."
"Ich wußte gar nicht, daß Magie auch ansteckend wirken kann." Valdimier spielte mit der kleinen, grünen Holzfigur herum, die im Universum der 'Hinweise' Herrn Grün darstellen sollte.
"Warum nicht?" Zum Entsetzen seiner Kollegen setzte Araghast seine Geschichtenerzähler-Miene auf. "Auf der 'Sonne von Herscheba' hatten wir mal einen Matrosen, der sich in Ephebe mit Philosophie angesteckt hat. Das war ein ziemlich schlimmer Fall. Selbst im Schlaf hat er geredet, bis ihn Jorge schließlich mit einer Radikalkur, die unter anderem aus nächtlichem Lösen der Aufhängung der Hängematte und..."
"Bregs?"
"Ja?" Der Redefluß verstummte.
"Halt bitte wenigstens einmal die Klappe und konzentrier dich auf unser Problem ja?" bat Val. "Immerhin ist es
dein Spiel."
"Aber
ich kann doch nichts dafür, daß es plötzlich thaumaturgische Neigungen entwickelt!" verteidigte sich Araghast. "Ich hab es doch selbst nur geschenkt bekommen und ich weiß ziemlich genau, daß Julius und Mimi auch näher nichts mit Magie zu tun haben."
"Also wohl doch ein magischer Unfall bei der Herstellung." Alice lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und warf ihre Handkarten auf den Tisch. "Also was mich betrifft- ich steige aus. Am Besten wir packen das Ganze für ein paar Tage weg und wenn es dann immer noch so komisch glüht und Sachen verschwinden läßt können wir ja mal Pyronekdan oder Stump fragen, die verstehen auch ein wenig von Magie."
"Vielleicht war die Magie ja auch der Grund warum wir nach 6 Stunden noch nicht zum Schluß gekommen sind." unkte Gralon. "Es soll ja angeblich gewisse Zauber geben, die Dinge verlangsamen können. Vielleicht ein Komplott der Hersteller, die Leute von dem Spiel abhängig zu machen."
"Weißt du was, Gralon?" Araghast grinste schief. "Ich glaube, du hast in letzter Zeit zu viel mit Zauberern zu tun gehabt."
"Beziehungsweise mit Leuten die eigentlich gar keine werden wollten..." brummte der Obergefreite und legte seine Handkarten offen vor sich auf den Tisch. "Ich finde, Alice hat recht. Wir sollten wirklich mal abwarten was passiert. Und erstmal darüber schlaaaahhhaaaafen..." Er gähnte herzhaft.
"Na dann..." Val warf seine Figur in die Luft, fing sie wieder auf und wollte sie in die Schachtel legen. Doch plötzlich hielt er inne und zog die bleiche Stirn kraus. Zögernd hielt er das kleine Holzmännchen ins Licht, drehte und wendete es und betrachtete es ausgiebig von allen Seiten.
"Waf machft du da?" wunderte sich Rogi.
"Ich weiß nicht..." erklärte der Vampir leise. "Irgendwie kommt es mir so vor, als hätte die Figur eine gewisse Ähnlichkeit mit Kommandeur Rince entwickelt." Gedankenverloren setzte er sie auf das Spielbrett.
"He!" rief Araghast aufgeregt. "Sie ist nicht verschwunden!"
"Verrückt..." murmelte Kanndra und legte ihren Kopf auf die Tischplatte, so daß ihre Augen sich auf der Höhe der kleinen, grünen Figur befanden. "Du hast recht, Val." sagte sie schließlich langsam. "Das Ding sieht tatsächlich aus wie Rince."
In Windeseile hatte sich ein enger Ring von Wächterköpfen um Valdimiers Spielfigur gebildet.
"He, wirklich!"
"Ja, das ist er, unverkennbar. Fehlt nur noch die Zigarre!"
"Aber
warum?" kam es von Kanndra. "Moment."
Sie griff nach ihrer eigenen blauen Spielfigur und hielt sie ins Licht.
Alice legte den Kopf schief. "Sieht aus wie die Holzminiatur einer alten Dame mit Regenschirm."
"Frau Willichnicht?" fragte Gralon entsetzt.
"Nein, ich glaube nicht, daß das Frau Willichnicht ist." Kanndra setzte die Miniatur sorgfältig neben die des Kommandeurs. "Frau Willichnicht wirkt weniger... edel. Immerhin soll dies hier vermutlich die Baronin von Porz darstellen."
"Seht euch das an" rief Alice und gesellte ihre rote Figur den beiden anderen hinzu. "Eine... hübsche junge Frau in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid mit enggeschnürtem Korsett."
Bei diesen Worten konnten sich die Übrigen ein Grinsen nur mit Mühe verkneifen.
Araghast griff nach seinem Männchen. "Schaut wie ein dünner Mann in mittleren Jahren aus. Der Oberst von Gatow vermutlich."
"Ich habe ein Dienstmädchen." verkündete Rogi.
Valdimier nickte. "Frau Weiss. Und zu was ist dein Professor Blüte mutiert, Gralon?"
"Schwer zu sagen..." Gralon starrte angestrengt auf das Etwas in seiner Hand. "Scheint ein etwas rundlicherer Mann mit einem ziemlich dicken Schnurrbart zu sein."
"Das ist ja schön und gut, daß sich die Figuren langsam immer mehr ihren Charakteren angleichen." seufzte Kanndra. "Aber was soll das mit dem Kommandeur?" Sie warf einen fragenden Blick in die Runde.
"Glaubst du, wir sind schlauer als du?" Araghast streckte einen langen, dünnen Zeigefinger aus. "Was wir jedoch herausfinden können, ist, was passiert, wenn wir das hier versuchen."
Und mit diesen Worten ließ er seinen Finger auf das Spielbrett fallen- nur um ihn nur Millisekunden später mit einem Schmerzensschrei wieder zurückzuziehen.
"
Aua!"
"Waf ift?" rief Rogi besorgt und griff reflexartig nach ihrer Sanitätstasche, die an der Lehne ihres Stuhles hing.
"Ich weiß nicht, was es war..." Nach gründlicher Untersuchung seines Fingers, die nach fleißigem Quetschen einen Tropfen dunkelroten Blutes ergeben hatte, ließ sich Bregs auf seinen Platz zurückfallen. "Ich hatte das Gefühl als ob ich irgend etwas zerdrücken würde und irgendwas hat mich in den Finger gestochen. Fragt mich nicht, wo ich reingefaßt habe."
"Brauchft du ein Pflafter?" erkundigte sich die Sanitäterin.
"Danke, es geht schon." winkte Araghast ab und beugte sich über das Brett. "Also hier ungefähr hab ich hingefaßt." wies er auf eine Stelle, die einen Teil des Billardzimmers darstellte. Scheinbar massive Pappe, die sich nicht von der ihrer Umgebung unterschied, bedeckte die betreffende Stelle.
"Sagt mal, bilde ich es mir nur ein, oder ist dieses bläuliche Licht stärker geworden?" Kanndra betrachtete die Kante des Spielbrettes mit skeptischem Blick.
"Vielleicht sollten wir wirklich jemanden fragen der sich mit sowas auskennt." Alice stützte ihren Kopf auf die Hände.
[6] "Du meinst die Zauberer?" rief Gralon entsetzt. "Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, für ein paar Wochen einen großen Bogen um jeden spitzen Hut zu machen."
"Wer sonst könnte uns bei der Sache helfen?" unterstützte Kanndra ihre Kollegin. "Es ist nicht natürlich, daß Spielfiguren plötzlich aussehen wie Kommandeur Rince! Irgendwas steckt dahinter. Bloß was, das ist die Frage..."
* * * Das Surren und Ticken, das den Keller bis in den hintersten Winkel erfüllte, war für die junge Frau mittlerweile zu einer derart vertrauten Hintergrundmusik geworden, daß sie es kaum noch registrierte. Sie saß auf einem Hocker an einer Werkbank, auf der einige ziemlich bizarre Gegenstände herumlagen, die einen Besucher vermutlich in helles Erstaunen versetzt hätten: Ein Gestell, von dem fünf Kugeln an langen Schnüren herunterhingen, diverse mit Zahlen und Formeln eng bekritzelte Papptafeln, eine Rolle rosafarbenen Spitzenbandes, ein Katzenfell und etwas, was auf den ersten Blick eine Flasche darzustellen schien, sich jedoch bei näherer Betrachtung als ein quasi in sich selbst zurückgekrümmter Glasring entpuppte.
[7] Doch die junge Frau achtete dicht auf das bunte Chaos vor ihr- sie las im Schein einer Öllampe, eine Tasse Kaffee neben dem Buch, während buntes Flackern gespenstische Lichteffekte auf vollgestopfte Regale, diverse kreuz und quer an den Wänden entlang laufende Metallrohre und komplexe Apparaturen warf.
Etwas knatterte im Hintergrund.
Es klang wie etwas, das sich anschickte, bald auseinander zu fallen.
Die junge Frau zuckte zusammen. Sie hatte sofort bemerkt, daß etwas die bisherige Geräuschharmonie gestört hatte. Seufzend schob sie die Brille mit den dicken, runden Gläsern gegen ihre Nasenwurzel, erhob sich schwerfällig und griff nach der Krücke, die in Reichweite an der Werkbank lehnte. Suchend sah sie sich um.
Eine rötlicher Schein erhellte für einen kurzen Augenblick das Kellerzimmer.
Kurz darauf knatterte es wieder, dieses Mal ein wenig lauter.
Die junge Frau hielt den Kopf schief und schien das Geräusch schließlich lokalisiert zu haben. Langsam hinkte sie auf eine etwa einen Kubikmeter fassende Kiste zu, wobei ihr Holzbein ein getragenes Stakkato auf den Steinboden des Kellers klopfte.
Der Kasten stand auf vier Beinen und wies eine in rosa Spitzenband eingefaßte, rechteckige Vertiefung auf. Diese enthielt eine gewöhnliche weiße Tasse, deren Vorderseite mit einem roten Herzen verziert war. Zwei Drähte ragten aus ihr heraus und verschwanden im Inneren des Kastens.
Wieder das Knattern, dieses Mal noch durchdringender.
Die junge Frau seufzte ein weiteres Mal, prüfte mit dem Finger den Inhalt der Tasse und nickte zufrieden, als sie die Kaffeetropfen auf ihrer Fingerspitze erblickte. Dann zog sie eine Pappkarte aus der Brusttasche ihres Hemdes und schob sie in einen der beiden Schlitze, die sich unter der Vertiefung an der Vorderseite der Kiste befanden.
Etwas krachte.
Die an den Rändern schwelende Pappkarte kam aus dem Schlitz geschossen, prallte an einer mit Berechnungen vollgekritzelten Wandtafel ab und segelte schließlich direkt vor der jungen Frau zu Boden, die besorgt die Stirn runzelte. Mühsam bückte sie sich, hob die Karte auf und warf sie auf den Kasten.
An zwei parallel gespannten dünnen Metallstäben, die an der Oberseite aus dem Apparat herausragten, wanderte eine grüne, funkensprühende Entladung nach oben, um schließlich in einem Blitz zu zerplatzen. Die junge Frau registrierte es mit einem resignierten Achselzucken, beugte sich vor und rüttelte an einem Haken an der Vorderfront, von dem aus für den Uneingeweihten unerfindlichen Gründen ein Badewannenstöpsel an einer silbernen Kette herabhing. Das Ergebnis bestand aus einem Geräusch, das dem eines brechenden Stück Metalls verdächtig ähnelte.
Frustriert schlug die junge Frau mit der Faust gegen den Apparat. Ihr Onkel hatte ihr doch genau erklärt, was sie bei eventuellen Fehlfunktionen tun sollte. Doch äußerlich schien alles in Ordnung zu sein. Den klatschianischen Kaffee hatte sie erst vor einer Stunde nachgefüllt und der übrige Antriebsmechanismus war bewiesenermaßen eine Endlosschleife. Sie hatte es selbst vorhin zur Sicherheit noch einmal nachgeprüft.
Doch etwas war gerade dabei, schiefzugehen.
Entschlossen hinkte sie zurück zur Werkbank und entrollte eine Konstruktionszeichnung, deren flüchtige Ansicht den Eindruck erweckte, daß sie sich nicht auf die üblichen vier Dimensionen zu beschränken schien.
Über ihr, im Halbdunkel, zierte ein gelbes Blechschild einen der wenigen nicht von Rohren, schmierigen Wandtafeln oder vollgestopften Regalen beanspruchten Flecken Wand. Es wies einen großen, roten Blitz auf. Und daneben, sehr klein gemalt einen von der Seite betrachteten Tisch mit geschwungener Platte, gefolgt von einem Gleichheitszeichen und einer Zahlenfolge.
3,141592653589793238462643...
* * *
"Verrückt! Es einfach verrückt ist!" Philipp Spaten warf die abgeschossene Pistolenarmbrust auf den Eßtisch, auf dem bereits Rinces blutverschmierter Kerzenleuchter, ein zerfranstes Stück Seil, das Tante Jane im Wintergarten gefunden hatte und dem, das der Leiche des Grafen von Bolzano-Weierstrass um den Hals gezogen worden war, verdächtig ähnelte, der Dolch, den Shimura aus der Brust des Toten entfernt hatte, und ein ebenfalls blutiges Ofenrohr, welches von Achilles Püree in der Bibliothek aufgestöbert worden war, und die Trümmer einer gigantischen Kartoffelscheibe einträchtig beieinander lagen.
"Wem sagen Sie das." brummte Rince. "Sagen Sie, haben sie das Wackeln vorhin auch bemerkt?"
"Was? Es gibt Erdbeben in Ankh-Morpork?" rief Shimura Ming erschrocken.
"Soweit ich weiß, in Ankh-Morpork nicht, außer wenn die Alchemistengilde wieder mal in die Luft geflogen ist." erklärte der Kommandeur. "Das hier schien mir eher..." er verstummte und überlegte.
"Als wenn jemand das Haus ein Stück angehoben und dann wieder heruntergelassen hatte." vollendete Tante Jane seinen angefangenen Satz.
Rince nickte dankbar.
"Stimmt. Genauso hat sich's angefühlt. Warum habe ich bloß gerade das Gefühl, daß hier rein gar nichts einen Sinn ergibt? Ich meine, wir haben hier insgesamt fünf Mordwaffen, die in diversen Zimmern geradezu wie auf dem Präsentierteller herumlagen. Und dann fällt eine gigantische Kartoffelscheibe mit unverkennparem Paprikaaroma wie aus dem Nichts aus der Decke und im Musikzimmer kommt plötzlich der Kaffee tassenweise herunter." Er blickte auf sein feuchtes Hosenbein und seine Nase nahm den feinen Duft wahr, der ihm aus irgendeinem Grunde sehr vertraut vorkam. "Ganz zu schweigen von der immer noch verschwundenen Leiche des Butlers und den magisch gesicherten Fenstern und der verschlossenen Tür."
"Vielleischt weiß sie etwas?" Achilles Püree war an Frau Weiss herangetreten, die schweigend und mit zerknitterter Servierhaube auf einem Stuhl unter dem Elefantenrüssel hockte. "Immer'in 'at sie für den Grafen gearbeitet."
"Genau!" Auch Spaten hatte sich dem Dienstmädchen zugewendet und entzündete eine Zigarette. "Frau Weiss." wandte er sich an die völlig verstörte Frau. "Wie lange tun Sie schon arbeiten für den Grafen von Bolzano-Weierstrass?"
"Ich arbeite gar nicht für ihn." antwortete sie leise und blickte zu Boden, während ihre Hände unablässig ein Taschentuch zerknüllten und wieder glattstrichen.
"Wie?" staunte Spaten und blies eine Rauchwolke in Richtung Decke. "Und was Sie hier gehabt zu tun haben an heutigen Abend?"
Frau Weiss warf ihm einen flehenden Blick zu.
"Bitte glauben Sie nicht, daß ich ihn ermordet habe, Sir. Ich könnte keiner Fliege etwas zuleide tun!" Ihre Stimme klang geradezu flehend. "Ich kannte ihn vor heute Abend nicht einmal! Ich war nur froh über eine neue Stelle, obwohl ich das Haus so gruselig fand und dann der tote Butler auf dem Tisch..." Sie schniefte.
Achilles Püree trat an sie heran und klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter.
"Niemand be'auptet 'ier, daß Sie jemanden getötet 'aben, Madame. Uns interessiert nur, ob Sie vielleischt etwas mehr über den Grafen wissen."
"Danke, Sir." Frau Weiss ergriff seine Hand und drückte sie. "Aber ich kenne ihn wirklich nicht! Gestern abend hat mein Arbeitsvermittler mir geschrieben und gemeint, er hätte etwas für mich und er hat mir diese Adresse gegeben und dann bin ich hin und habe den Grafen getroffen und der meinte, es gehe um irgendein Kriminalspiel und ich sollte mich nicht wundern wenn ich nach irgendwelchen Leichen oder so gefragt werde und meine Aufgabe wäre es eh nur das Essen und die Getränke zu servieren." sprudelte es aus ihr heraus. "Und ich hab dann auch keine weiteren Fragen gestellt und der Graf hat mich auch wirklich gut bezahlt und alles und er machte eigentlich auch einen ganz vernünftigen Eindruck und dann hab ich die Leiche von dem Butler gefunden und dann wußte ich nicht was ich tun sollte, denn von richtigen Toten war nie die Rede gewesen und dann hab ichs mit der Angst gekriegt und hab Bescheid gesagt."
"Keine Angst, wir glauben Ihnen." beruhigte sie Püree und bot ihr die Flasche Untervektor-Rum an, aus der sie dankbar einen tiefen Zug nahm. "Wir sind bloß gerade völlig ratlos. 'ier gesche'en einige äußerst seltsame Dinge, die sisch keiner von uns erklären kann." Er nahm die Flasche wieder an sich und trank ebenfalls einen großen Schluck. "Und irgendwo 'ier im 'aus muß es eine dritte Person geben. Es ist einfach alles vertrackt..."
Ein Krachen unterbrach ihn.
"Was war das schon wieder?" rief Rince verblüfft und warf einen fragenden Blick in Richtung Tür. "Na warte nur, wenn ich dich erwische, Mörder... Falls du es warst, kannst du was erleben... Erst diese wirklich lächerlichen Hinweise und nun noch extra Lärm schlagen..." Entschlossen entriß er dem daraufhin sichtlich enttäuscht dreinschauenden Achilles Püree die Flasche und marschierte aus dem Speisesaal, dicht gefolgt von einer regenschirmschwingenden Tante Jane und Philipp Spaten, der sich mit Messer und Gabel bewaffnet hatte.
"Also gut, wo kam es her?" Fräulein Marmors Augen blitzten. Sie fühlte sich seit langer Zeit endlich wieder völlig in ihrem Element.
"Ich würde sagen, von da drüben." Spaten wies mit den Gabelzinken auf die dem Speisesaal direkt gegenüberliegende Tür. Ich habe schon einmal hineingeschaut vorhin. Es eine Art Zimmer für Billard und andere Spiele ist."
"Na dann nichts wie los, bevor er uns noch entwischt." knurrte Rince, stapfte die Galerie entlang und riß die Tür auf.
Den drei Spürnasen bot sich ein Bild der Verwüstung.
Die Überreste des Billardtisches waren auf Kniehöhe zusammengestaucht und Holzsplitter waren überall im Raum verstreut.
"Das ja ist..." Philipp Spaten versagte erstaunt die Stimme.
"Sieht aus als ob sich ein Troll draufgesetzt hätte." bemerkte Tante Jane.
Rince starrte stumm. Fräulein Marmor hatte völlig recht, genauso sah es aus. Doch wenn ein Troll hier im Hause herumgeistern würde, hätten sie es längst bemerkt, da war er sich sicher...
In diesem Moment wurde das Gebäude von einem heftigen Stoß erschüttert, der ein Gemälde an der Fensterseite des Billardzimmers dazu veranlaßte von der Wand zu fallen. Das Letzte, was Rince bemerkte, bevor sein Rahmen auf dem Boden zerschellte, war das Motiv: Ein Tisch mit geschwungener Platte, umrahmt von einem Kreis...
* * * Schwarz ragten die gewaltigen Umrisse der Unsichtbaren Universität durch den Nebel auf, als Araghast an das Tor klopfte. Die übrigen Wächter standen einige Schritte hinter ihm und froren. Valdimier trug das Brettspiel unter dem Arm.
Eine kleine Klappe schwang auf, in der sich das griesgrämige Gesicht eines Brüllers zeigte.
"Was gibt's?" knurrte er. "Es ist mitten in der Nacht, verdammt."
Bregs hielt ihm seine Dienstmarke unter die Nase.
"Stadtwache Ankh-Morpork. Wir brauchen dringend den Rat eines Zauberers in einem wichtigen Fall."
"Soso." Der Brüller schien zum Bedauern des Püschologen nicht besonders beeindruckt. "Kann das nicht bis morgen warten? Wir haben hier gerade schon genug Ärger."
"Nein, das kann es nicht." Araghast gab sich große Mühe, entschlossen zu klingen. "Es geht um das Leben des Kommandeurs. Und ich glaube nicht, daß er sehr glücklich ist, wenn er hinterher erfährt, daß
Sie uns bei seiner Rettung Steine in den Weg gelegt haben." Dies war zwar maßlos übertrieben, doch dieses mal erfüllten seine Worte den gewünschten Zweck.
"Na schön." brummte der Brüller. "Wenns denn unbedingt sein muß..."
Mit lautem Knarren schwang das Tor auf und die sechs Wächter traten ein und sahen sich um.
"Hat irgendwer hier eine Ahnung wo wir hier lang müssen?" fragte Alice zaghaft.
Spontan wandten sich alle an Gralon.
"Du warst doch in letzter Zeit öfter hier." bemerkte Val. "Also kannst du uns bestimmt auch zeigen wo man hier nen Zauberer findet."
"Äh..." Der Angesprochene sah sich hilfesuchend um. "Am Besten wir gucken da wo noch Licht brennt." zog er sich schließlich aus der Affäre.
"Da drüben." Kanndra wies auf ein ein wenig abseits stehendes Gebäude. Vielleicht finden wir da ja jemanden."
Die Wächter machten sich auf den Weg.
Und schon von weitem konnten sie eine bollernde Stimme hören die offensichtlich niemand anderem als Erzkanzler Mustrum Ridcully gehörte und aus einen geöffneten Fenster drang.
"Was soll das heißen, Hex funktioniert nicht?" "Nun, ääääh, es gab da ein kleines Problem bei einem Experiment..." erklang eine zaghafte, jüngere Stimme.
"Meine Güte, was stellt ihr auch immer an." polterte der Erzkanzler weiter. "Es reicht nicht, wenn ihr dauernd über diesen Kontinuinuum-Unsinn und die völlig aus der Luft gegriffene Idee, daß man nicht gleichzeitig seine Geschwindigkeit und seinen Aufenthaltsort angeben kann redet, nein, jetzt schafft ihr es auch noch, den Apparat lahmzulegen, und das ausgerechnet heute Nacht, wo wir morgen doch Dieses andere neumodische Dingens da, wie hieß es noch gleich mal..."
"Berggießhübels universaler Repellerator." half sein Gesprächspartner aus.
"Genau, dieses Pellendingsbums da testen wollten. Und nun baut ihr hier wieder Mist!"
"Au weia." flüsterte Kanndra. "Da scheinen wir ja gerade im richtigen Moment gekommen zu sein."
Die übrigen nickten nur stumm und lauschten weiter dem Streit.
"Es ist nicht meine Schuld!" ereiferte sich die jüngere Stimme wieder, die niemand anderem als Ponder Stibbons gehörte. "Aber wenn er so ein schlechter Verlierer ist..."
"Verlierer?" Der Erzkanzler horchte auf. "Was soll denn das schon wieder?"
Ponder räusperte sich, als müsse er Zeit gewinnen. "Nun," erklärte er schließlich zaghaft, "Also, wir haben versucht, Hex das Schachspielen beizubringen."
"Schach." schnappte Ridcully. "Wie kommt man denn auf sowas..."
"Wie gesagt, es war nur ein Versuch. Und uns hat er auch alle geschlagen. Bloß daß wir alle auch keine wirklich guten Schachspieler sind..."
"Und da ist doch bestimmt der Haken." traf der Erzkanzler den Nagel scheinbar auf den Kopf. "Und was habt ihr dann gemacht?"
"Öhm..." Bregs konnte förmlich sehen, wie Stibbons verlegen mit seinem spitzen Stiefel auf dem Fußboden scharrte. "Äh... Wir haben jemanden der wirklich spielen kann gebeten, gegen Hex anzutreten."
"Ach, und sag bloß, er hat gewonnen?"
"Ja." gestand Ponder. "Nach fünf Stunden hat er ihn mattgesetzt. Und seitdem ist Hex beleidigt."
"Das lese ich." Es raschelte. " 'Bäääääh, ihr könnt mich alle mal.' " las der Erzkanzler vor. " 'Ich rede nicht mehr mit euch, ihr Schummler.' 'Versucht ja nicht, noch mal irgendwas von mir zu wollen, mich hat eh keiner lieb...' Meine Güte, ich dachte, nach alldem was ihr mir immer zu erklären versucht, daß dieser
Apparat im Laufe der Zeit einen gesunden Menschenverstand entwickelt hat!"
"Ich begreife es auch nicht." hörten die Wächter Ponder seufzen. "Es war wirklich ein faires Spiel! Und Hex hat weiß gespielt, hatte also den Eröffnungszug. Aber er hat trotzdem verloren."
"Spiele." knurrte der Erzkanzler. "Meine Güte, hat denn die ganze Welt nichts anderes als Spiele im Kopf? Erst nervt mich dieser Bolzano-Weierstrass jahrelang mit seiner völlig absurden Amüsemeng-Idee und dann fangt ihr auch noch mit dem Quatsch an. Begreift es denn wirklich keiner, daß Magie kein Spiel ist?" donnerte er.
"Nun, immerhin hat das Experiment eins bewiesen." versuchte Stibbons, sich zu verteidigen.
"Ach? Und was?" Die Stimme des Erzkanzlers triefte vor Sarkasmus.
"Hex ist nicht unfehlbar." Ponder klang, als wünsche er sich in das nächstbeste Mauseloch.
Valdimier gab Araghast einen Rippenstoß. "Ich glaube, wir sind hier wirklich zum falschesten Zeitpunkt den man sich denken kann reingeschneit." wisperte er.
Der Püschologe nickte nur.
"Na Bitte, ich habs ja immer gesagt." kam es vom Erzkanzler. "Einem Haufen durch Röhren krabbelnder Ameisen und irgendwelchen Dingern die alle paar Minuten 'Parp' machen kann man nicht trauen. Früher oder später mußte da ja mal was schiefgehen. Und was lernt man daraus? Traue niemandem außer dir selbst in magischen Dingen. Wir können froh sein, daß die Fehlfunktion nicht während irgendeinem Teleportzauber aufgetreten ist. Auch wenn Schach nicht einmal etwas mit Magie zu tun hat. Ist es wirklich so einfach, diese Denkmaschine zu überlisten?"
"Nein, eigentlich nicht." versuchte Ponder, ein gutes Wort für Hex einzulegen.
"Aber?" bohrte Ridcully weiter.
"Nein, ich glaube nicht, daß hier irgendjemand heute Nacht Zeit für uns hat." stimmte Alice dem Vampir zu. "Die Frage ist bloß, was sollen wir jetzt machen? Stump wecken?"
"Moment..." Gralon sah zum Fenster auf, hinter dem sich der Erzkanzler und Ponder immer noch lauthals stritten. "Hat er vorhin wirklich den Namen Bolzano-Weierstrass erwähnt?"
"Irgendsowas in der Art, ja." nickte Kanndra. "Wieso, was ist denn mit dem?"
"Ich war heute Nachmittag bein Kommandeur." begann Gralon zu erzählen. "Wegen der Sache mit dem Möchtegern-Buchhalter, um für Stabsspieß Atera den Haftbefehl abzeichnen zu lassen.
Und da hat er mir gesagt, falls heute Abend etwas Wichtiges sein sollte, er sei bei dem Grafen von Bolzano-Weierstrass zum Abendessen eingeladen. In der Knorkestraße 23."
"Interessant." murmelte Araghast. "Und du glaubst, dieser Graf könnte uns mit dem Spiel weiterhelfen?"
"Wer weiß." Valdimier warf einen nachdenklichen Blick auf die Spieleschachtel. "Und wenn der Kommandeur bei ihm zu Hause herumsitzt... Vielleicht ist die Geschichte mit dem Spiel sogar seine Schuld. Ein kleiner Partyscherz der etwas ausgeufert ist oder so."
"Aber woher follte ein Graf faubern können?" fragte Rogi ein wenig skeptisch. "Und weif jemand wo die Knorkeftrafe eigentlich liegt?"
"Irgendwo in Ankh, mittwärts vom breiten Weg." erklärte Gralon. "Ist eine ziemlich feine Gegend da."
"Na dann nichts wie hin, bevor wer weiß noch was mit dem Spiel passiert." Kanndra wandte sich in Richtung Tor.
Hinter ihr hallten weiterhin die sich streitenden Stimmen Ponder Stibbons' und Erzkanzler Ridcullys durch die Nacht.
* * * Adam Zwerg war Zeit seines Lebens ein nüchterner Mensch gewesen. Er verstand nie, warum andere Leute davon träumten, daß jenseits der Realität noch andere Dinge existierten. Die existierende Welt hielt seiner Meinung nach bereits genug unberechenbare und unlogische Ereignisse bereit. Und so erschien es ihm nur als natürlich, daß er den Beruf des Kutschers ergriffen hatte. Diese Stellung verhieß unumstößliche Tatsachen, einen klar ausgeprägten Ortssinn und vor allem gab es eigentlich immer ein
Ziel.
Mit anderen Worten, Adam Zwerg war ein Mann, der nicht auch nur das kleinste Stückchen Phantasie besaß.
Knorkestraße 23 hatte ihm sein Herr als Adresse gegeben.
Zwerg konnte sich noch gut an die imposante Villa erinnern, vor der er erst wenige Stunden zuvor die Tante seines Herrn abgesetzt hatte.
Und um so erstaunter war er, daß das Gebäude plötzlich wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien. Wo damals noch das hochherrschaftliche Haus gestanden hatte, befand sich lediglich eine fensterlose Ruine. Nervös prüfte Adam ein weiteres Mal die Hausnummer, doch die Dreiundzwanzig, deren verwitterte Eisenlettern unübersehbar an den halbverfallenen Torpfosten genagelt worden waren, ließen keinen Zweifel.
Verwirrt sprang er vom Kutschbock und hielt den Wagenschlag auf.
"Ich weiß nicht, was hier los ist, Herr." sagte er leise. "Die Adresse stimmt. Aber die Villa ist weg."
"Ist Ihnen nicht gut, Adam?" kam eine kalte Stimme aus dem Inneren der Kutsche. "Ich habe Sie bisher immer für eine bemerkenswert nüchterne Person gehalten. Was meinen Sie damit, die Villa sei verschwunden?"
Der Patrizier von Ankh-Morpork stieg die Metallstufen hinunter und blickte sich mit scharfen Augen um.
Der Kutscher wies die Auffahrt hinauf.
"Dort stand sie, Herr. Und jetzt sehe ich dort nur noch eine Ruine."
Lord Vetinari blinzelte. In diesem Teil der Stadt war der allgegenwärtige Nebel nicht ganz so dicht wie in der Nähe der unsichtbaren Universität, und deutlich konnte er die die Konturen des Hauses hinter den kahlen Bäumen erkennen. Bloß daß es nicht auch nur die geringste Ähnlichkeit mit dem imposanten Herrenhaus, vor dem er seine Tante vor einigen Stunden abgesetzt hatte, aufwies. Im Gegenteil- das Gebäude, welches sich seinen Augen darbot erweckte nicht einmal mehr den Eindruck, überhaupt noch bewohnbar zu sein.
"Das ist wirklich seltsam." sagte er wie zu sich selbst. "Und Sie sind sich auch
wirklich sicher, daß Sie sich nicht in der Straße geirrt haben?" Er bedachte Adam mit einem strengen Blick.
"Ich... ich kenne die Straßen der Stadt wie meine Westentasche, Herr." stammelte der Kutscher. "Ich schwöre, bei Offler, es ist die richtige Adresse. Wenn man von der Messingbrücke aus immer geradeaus den breiten Weg hochfährt und dann die dritte Straße hinter dem Pseudopolisplatz rechts abbiegt, dann die übernächste links..."
"Schon gut." schnitt ihm der Patrizier das Wort ab. "Die Adresse mag stimmen- Doch wo ist das Haus? Niemand, und ich betone wirklich niemand, ist in der Lage, innerhalb weniger Stunden eine komplette Villa zu stehlen." Er ging einige Schritte die kaum noch als solche erkennbare Auffahrt hinauf, wobei er nachdenklich mit den Fingerspitzen auf den silbernen Knauf seines Gehstockes klopfte. "Und nach einem Brand oder einer Explosion sieht es mir hier auch nicht aus- abgesehen davon, daß es in diesem Falle hier längst nicht so ruhig wäre sondern der obligatorische Mob schon lange die Straße verstopfen würde. Also ist hier etwas im Gange." Er warf der Ruine einen herausfordernden Blick zu.
Wäre diese dazu in der Lage gewesen, hätte sie in diesem Moment die Hände hinter dem Rücken zusammengelegt, krampfhaft den Himmel angestarrt und ein unschuldiges Liedchen gepfiffen.
"Vielleicht ist es eine Art... Spuk, Herr." vermutete Adam, der langsam an seinem Verstand zu zweifeln begann. Gebäude verhielten sich einfach nicht auf solche Weise. "Was natürlich nicht heißen soll, daß ich an solchen Humbug glaube." versicherte er schnell.
"Gebäude neigen normalerweise im Gegensatz zu Menschen nicht dazu, in irgendeiner Form zu spuken." bemerkte Lord Vetinari nüchtern und winkte dem Kutscher, ihm zu folgen, während er weiter auf das verfallene Haus zuschritt. "Aber seltsam... Schon heute Abend kam mir das Haus ein wenig
zu perfekt vor. Ein Graf von Bolzano-Weierstrass der nicht existiert, eine urplötzlich verschwundene Villa- Es sollte ursprünglich nichts als ein Spiel sein, das hat Tante Jane immer wieder betont. "
Adam Zwerg seufzte leise, zog sich den Schal gegen den einsetzenden Nieselregen enger um den Hals und folgte dem Patrizier ängstlich. Ihm war die ganze Sache überhaupt nicht geheuer und seine Vorstellung von dem einzig richtigen Verhalten in einer solchen Situation bestand darin, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und den Ort des Geschehens zu bringen. Doch sehr zu seinem Leidwesen schien Lord Vetinari die Sache anders zu sehen. Nein, durchzuckte ein entsetzter Gedanke Adams Verstand. Er will sich das Gemäuer doch nicht wirklich aus der Nähe ansehen...
Schon von weitem konnte er erkennen, daß die einst beeindruckende massive Holztür halbverfault und schief in ihren Angeln hing.
Gemessen stieg der Patrizier die Stufen zum Eingang hinauf und besah sich die Tür. "Interessant." kommentierte er und stieß das Holz mit seinem Gehstock an. Einige poröse Splitter nutzten die Gelegenheit und rieselten zu Boden.
In diesem Moment fiel etwas mit hoher Geschwindigkeit herab und zerschellte direkt neben Adam Zwergs Füßen, was den Kutscher dazu veranlaßte, mit einem Aufschrei zur Seite zu springen.
Lord Vetinari fuhr herum und überblickte rasch die Lage.
"Kommen Sie hoch, Adam." Er machte eine rasche Kopfbewegung in Richtung Tür und lehnte sich selbst möglichst flach an die Wand. "Ich glaube, hier ist gerade jemand nicht sehr erfreut, uns zu sehen, auch wenn er eine Pistolenarmbrust in der Hose tragen mag."
Nicht sehr erfreut, dachte Adam bitter, als er die Stufen hinaufhastete und im Türrahmen Deckung suchte. Nicht sehr erfreut ist ja wirklich leicht untertrieben. Er wäre beinahe erschlagen worden... Vergebens versuchte er, das Zittern seiner Knie zu unterdrücken.
Die Gesichtszüge des Patriziers ließen nicht auch nur im geringsten erkennen was ihm gerade durch den Kopf ging, als er vorsichtig mit der Stockspitze Druck auf die Tür ausübte, was die Angeln der letzteren mit einem protestierenden Knirschen kommentierten. Dann gaben sie nach und die Eingangstür kippte splitternd nach innen und zerbarst mit einem lauten Krachen auf dem Fußboden.
"Wir haben angeklopft." kommentierte Vetinari ruhig. "Dann wollen wir doch auch einmal eintreten."
Es war das richtige Gebäude, da war er sich sicher. Doch langsam bezweifelte er, daß seine Tante sich darin aufhielt.
Die imposante Eingangshalle war ein weiteres untrügliches Zeichen des Verfalls, der die Villa bereits an allen Ecken und Enden heimgesucht hatte. Einzelne Stufen der breiten Treppe, die zur Galerie im ersten Stock führten, waren herausgebrochen und eine zentimeterdicke Staubschicht bedeckte alles. Doch ein unwirkliches, rötliches Glühen lag auf alldem.
Vetinari sah auf.
Am oberen Ende der Treppe, dort, wo die Galerie begann war ein Symbol in die hölzerne Wandverkleidung eingelegt. Ein von der Seite betrachteter Tisch mit geschwungener Platte, umgeben von einem Kreis. Es war die Quelle des rötlichen Lichtes.
Welches plötzlich an Intensität zunahm, nur um dann auf einen Schlag ganz zu erlöschen. Gleichzeitig begann der Fußboden, unter einem dumpfen Brummen zu vibrieren, was eine weitere Treppenstufe zum Anlaß nahm, sich aus ihrer ursprünglichen Position zu verabschieden.
Adam sah sich hektisch um. "Was ist das, Herr?" fragte er ängstlich. "Was bedeutete das Zeichen?"
Auf der Stirn des Patriziers bildete sich eine steile Falte. "Es ist ein Zeichen aus der Mathematik." erklärte er. "Mit dem ephebianischen Buchstaben pi wird die sogenannte Kreiszahl bezeichnet, deren Wert bei ungefähr drei komma eins vier liegt. Aber was sie als rotglühendes Relief an der Wand einer Ruine zu suchen hat ist wirklich eine interessante Frage."
In diesem Moment schepperte es draußen. Es klang, als ob jemand unfreiwillig auf die Überreste der steinernen Figur, von der Adam beinahe erschlagen worden war, trat.
" 'ilfe!" rief eine männliche Stimme mit unverwechselbarem quirmianischen Akzent. Und dann: "Achilles? Bist du 'ier?"
Lord Vetinari nickte seinem Kutscher zu und trat in den Schatten der Eingangshalle.
Der Umriß einer Person erschien in der Tür. Deutlich konnte der Patrizier die Pistolenarmbrust erkennen, die der Besucher in der Hand hielt.
"Isch weiß nischt was 'ier gespielt wird." rief der Mann mit zitternder Stimme. "Aber wer auch immer 'ier mit Steinfiguren nach mir schmeißt tut besser daran, 'erauszukommen. Isch bin bewaffnet."
Anfänger, dachte Vetinari bei sich. Die Silhouette des Fremden zeichnete sich schwarz vor dem gräulichen Nebel draußen ab. Er bot ein leichtes Ziel für eventuelle Schützen. Zudem deutete sein hektisches Herumgezappele auf geradezu blankliegende Nerven hin.
"Ha..." Adam Zwerg hielt sich krampfhaft die Nase. Der allgegenwärtige Staub kitzelte schon seit sie die Ruine betreten hatten in seinen Schleimhäuten. Schließlich konnte er nicht mehr an sich halten.
[7a] "Hatschiiiiii" schallte es durch die Eingangshalle.
" 'a!" Wild mit seiner Pistolenarmbrust um sich zielend sprang die Gestalt endgültig in die Halle. "Wo du auch immer bist, ergib disch und rück meinen Freund raus! Und schaff das 'aus wieder 'er!"
"So, Sie sind also auch auf der Suche nach der ach so prächtigen Villa." bemerkte Vetinari im Schutze der Dunkelheit.
Der Mann wedelte wie wild mit seiner Armbrust in der ungefähren Richtung aus der er die bis jetzt körperlose Stimme vernommen hatte.
"So, du weißt also Bescheid." Die Stimme des Fremden began zu zittern, während er krampfhaft an seiner Heldenattitüde festhielt. "Dann zeig disch, wenn du den Mut 'ast. Es sei denn du schmeißt lieber feige aus dem 'inter'alt mit Steinfiguren auf unschuldige Leute!"
"Ich habe nichts auf irgendwen geworfen." bemerkte Lord Vetinari trocken.
"Ach nein?" Die Pistolenarmbrust schwang wie wild herum. "Und wer bist du dann, der 'ier mitten in der Nacht in einer verlassenen Ruine 'erumschleischt?"
"Zufällig regiere ich diese Stadt."
"Natürlisch. Und isch bin der Kaiser des achatenen Reisches." Die Gestalt vollführte einige äußerst seltsame Bewegungen als ob sie sich gleichzeitig weiter vorwärtstasten und fliehen wollte. "Also los, was 'aben Sie mit Püree gemacht?"
"Ich habe nichts mit niemandem gemacht. Und es scheint mir, daß wir aus demselben Grunde hier sind. Ich bin ebenfalls auf der Suche nach jemandem."
In diesem Moment zerriß eine Explosion die Stille. Ein buntschillernder Feuerball stieg entgegen sämtlicher Logik aus dem unversehrten Fußboden, setzte auf dem Weg nach oben das Treppengeländer in Brand und verpuffte schließlich funkenstiebend unter der Decke.
Erschrocken bis ins Mark ließ Friederich Carl Graus, freiberuflicher Logiker und Hobby-Detektiv, wohnhaft in Quirm, seine Waffe fallen und warf sich flach auf den Boden, wobei er die Hände auf die Ohren preßte.
"Die Borograwianer kommen!" brüllte er panisch.
* * * Während der letzten zwanzig Minuten war das Gebäude immer wieder unter Erschütterungen erbebt, was die sechs mehr oder weniger unfreiwilligen Gäste des verstorbenen Grafen von Bolzano-Weierstrass zum Anlaß genommen hatten, sich auf Anraten Tante Janes unter den großen Eßtisch zurückzuziehen.
"Das ist die sicherste Methode, ein Erdbeben zu überleben." erklärte sie und machte es sich auf dem Teppich so bequem wie nur möglich. "Hach, das ist ja fast wie in alten Zeiten, als südlich des großen Nef der große Vulkanausbruch von 1960 passierte- tagelang bebte die Erde und Schwefeldämpfe quollen aus sich plötzlich auftuenden Rissen."
"Na dann will ich ja mal hoffen, daß das hier nicht als nächstes passiert." seufzte Shimura Ming und versuchte vergeblich, ihr Abendkleid am Zerknittern zu hindern.
Erneut schien das Zimmer durchgeschüttelt zu werden, was den Elefantenkopf dazu veranlaßte, von der Wand zu fallen. Einer der Stoßzähne bohrte sich nur wenige Zentimeter neben Philipp Spatens Wade in den Boden. Was dieser zum Anlaß nahm, seinem aufgestauten Unmut lautstark Luft zu machen.
"Diese Arschloch von eine Architekt!" schimpfte er und schlug mit der Faust auf den Teppich. "Ist nicht einmal in der Lage zu bauen Wände die das Gewicht von die Kopf von Elefant halten können! Es beinahe hätte aufgespießt meine Bein! Wer weiß was gleich wird passieren? Vielleicht die Decke wird fallen auf unsere Kopf?"
"Mir ist egal, was passiert." Frau Weiss krallte ihre Hände in ihre mittlerweile nicht mehr allzuweiße Schürze und blickte sich gehetzt um. "Ich will hier nur noch raus." flüsterte sie tonlos.
"Das wollen wir doch alle." Achilles Püree klopfte ihr unsicher auf die Schulter. "Und wir schaffen es auch, ganz sischer. Se'en Sie mal, in zehn Minuten ist es zwei U'r. Dann wird sisch wohl hoffentlisch 'erausstellen was das Ganze 'ier eigentlich soll."
"Havelock wird merken, daß hier etwas nicht stimmt." erklärte Tante Jane. "Er wollte mich um zwei abholen."
Und hoffentlich der Wache eine Nachricht zukommen lassen, daß sie sich um die Sache kümmern sollen, dachte Rince im Stillen. So wenig er sich auch danach sehnte, dem Patrizier zu begegnen, so hoffte er jedoch, daß dieser zumindest für einen Teil der Geschehnisse eine logische Erklärung abgeben konnte.
Ein ohrenbetäubender Knall riß den Kommandeur abrupt aus einen Gedanken.
* * * Die Krücke der jungen Frau fiel um, als sie selbst stürzte. Geistesgegenwärtig fing sie ihren Fall mit den Händen ab und blickte auf den Apparat, der sich zu ihrem Erstaunen noch in einem Stück befand.
Die bunten Blitze zwischen den beiden Metallstäben entluden sich im Sekundentakt und das gelegentliche Knattern war in ein monotones, ständiges Brummen übergegangen. Der Badewannenstöpsel an seiner Kette schwang schon seit einer ganzen Weile unkontrolliert hin und her.
Und das schlimmste war: Die junge Frau konnte anhand der Konstruktionspläne nicht den kleinsten Fehler finden. Der mathematische Beweis, der der Funktionsweise zugrundelag war hieb- und stichfest und der Pegel des klatschianischen Kaffees war auch noch hoch genug- sie hatte es während der letzten Stunde, nachdem der Apparat begonnen hatte, verrückt zu spielen, mindestens ein dutzendmal nachgeprüft.
Die unendliche Summe von Null bis unendlich des Terms x hoch n geteilt duch die Fakultät von n... Diese Zahl war niemals exakt bestimmbar.
Und genau diese Tatsache verlieh der Maschine ihre Energie.
Die junge Frau ergriff ihre Krücke und zog sich mühsam an einem Regal hoch. Regeln hin oder her- sie mußte ihrem Onkel Bescheid sagen, daß die Dinge endgültig aus dem Ruder gelaufen waren. Was hier geschah sprengte ihren Kompetenzbereich.
Sie humpelte zur Tür, fischte einen Schlüssel aus einer der zahlreichen Taschen ihrer fleckigen Schürze, steckte ihn ins Schloß und drehte ihn herum.
Dann drückte sie die Klinke herunter und stieß die Tür auf.
Zumindest hatte sie es vor.
Doch die Tür rührte sich nicht einen Millimeter vom Fleck.
Verzweifelt stemmte sich die junge Frau dagegen, welches ebenfalls keinen Effekt erzielte.
"Onkel Hieronymus?" schrie sie gegen das massive Metall.
* * * Der Nieselregen fiel, als am Ende der menschenleeren Knorkestraße sechs eifrig miteinander diskutierende Gestalten auftauchten.
"Interessant." Araghast versuchte, die Fakten im Kopf zusammenzufassen. "Der Kommandeur wird von einem Grafen von Bolzano-Weierstrass zum Abendessen eingeladen. Dann nimmt eine Spielfigur plötzlich seine Form an und ein Spielbrett zeigt Anzeichen von Magie. Und der Erzkanzler erwähnt plötzlich wiederum einen vermutlichen Magier namens Bolzano-Weierstrass, der sich angeblich mit magischen Spielen befassen soll. Da muß etwas dahinterstecken, wie Gralon schon sagte."
"Scheißwetter." brummte dieser und zog sich den Schal enger um den Hals. "Der Regen hat mir gerade noch gefehlt und eine Erkältung ist wirklich das Allerletzte was ich noch brauchen kann."
"Ist halt Eddie Wollas-Wetter." grinste Bregs. "Nebel, Regen und Nacht- das ist der Stoff aus dem Gruselgeschichten gemacht sind. Das ist das Wetter bei dem die scharze Kutsche um die Ecke biegt und ihr Besitzer unterwegs ist, weitere Näherinnen abzuschlachten..."
"Hör auf." Alice griff unwillkürlich nach Valdimiers Arm. "Ich finde es schon schlimm genug, daß hier Magie im Spiel ist, jetzt fang nicht auch noch mit irgendwelchen Irren an. Du liest einfach zu viele von diesen Heften."
"Lies mal die 'Phänomenomenologie des Geistes'." Araghast grinste schief. "So viele Neurosen wie sie da in detaillierten Diagrammen und erbsenzählerischen Analysen aufgezählt werden, gibt's gar nicht. Da braucht man Grusel als Ausgleich."
"Fieben." las Rogi die Hausnummer ab. "Feint mir eine ziemlich reiche Gegend fu fein wenn die Häufer fo weit aufeinander ftehen."
"Kein Wunder." bemerkte Val. "Wir stecken auch mitten in der feinsten Gegend von Ankh. Da wird es wohl kaum irgendwelche engen Gassen und, oh Schauder, Reihenhäuser geben." Er klopfte auf die Spielschachtel unter seinem Arm, deren Pappe sich allmählich mit der allgegenwärtigen Feuchtigkeit vollgesogen hatte. "Halt Häuser wie die Villa des Grafen Euter, die sich keine normale Person leisten kann, es sei denn sie hat unverhofft mindestens eine halbe Million geerbt. Und wer hat das schon..."
"Eine halbe Million- Das ist mehr als man in seinem ganzen Wächterleben verdient." seufzte Kanndra und warf einen Blick auf das pompöse Anwesen, welches sich gerade zu ihrer Rechten erstreckte.
"Geld... Reichtum ist relativ." kommentierte Bregs. "Zuviel Geld macht auch nicht glücklich. Siehe 'Aus dem Pandämonium': Da wird sogar der Leibarzt des Patriziers zum Mörder rein aus Vergnügen."
"Vetinari hat nen Leibarzt?" wunderte sich Gralon.
"Ne, nicht Vetinari." Araghast holte tief Luft. "In den ganzen Eddie Wollas-Romanen gibt's eh ne ganz andere Machtstruktur in der Stadt. Ein komplett irrer Patrizier, die Gilden haben einen eher illegalen Status und das unlizenzierte Verbrechen greift fröhlich um sich. Halt so wie es in den letzten hundert Jahren gelaufen ist. Inklusive diverser geheimer Bruderschaften die eine neue Weltordnung anstreben. Zum Beispiel die Freiheitsklempner."
"Freiheitsklempner?" fragte Alice verwirrt. "Leute die sich aus einem scheinbar ausbruchssicheren Verließ nach draußen gekratzt haben?"
"Nein, das ist was ganz anderes. Die Freiheitsklempner sind eine Geheimloge die für die Aufklärung und die spirituelle Wahrnehmung der Welt kämpft." erläuterte Bregs. "Obwohl das Aufnahmeritual einige ziemlich komische Zeremonien verlangt."
"Wenn du bitte mal in die Realität zurückkehren würdest..." bemerkte Kanndra. Wir haben schon so genug Probleme am Hals, an denen
dein Brettspiel nicht ganz unschuldig ist..."
"Jaja, mein Brettspiel." seufzte Araghast und schielte zu dem Karton unter Valdimiers Arm. "Ich hoffe bloß, dieser Bolzano-Weierstrass kann uns helfen, egal ob er nun ein Graf oder ein Zauberer oder beides ist. Aber magische Spiele scheinen zur Zeit ziemlich in Mode zu sein wenn man bedenkt wie sich der Erzkanzler aufgeregt hat. Würde mich wirklich mal interessieren was da abgelaufen ist und wo man hier in Ankh-Morpork einen Schachmeister herbekommt. Ich habe mal versucht es zu lernen aber ich steige durch diese ganzen Figuren einfach nicht durch. Wahrscheinlich muß man Mathematiker oder sowas sein um das ganze Zeug zu verstehen."
"He!" Alice blieb plötzlich stehen und wies die Straße hinunter.
Durch den Nebel konnten die Wächter die Umrisse zweier Fahrzeuge erkennen. Eines groß und schwarz mit zwei ebensolchen Pferden, das andere ein handelsüblicher Eselskarren inklusive eines ziemlich nassen und ziemlich gelangweilten Esels.
"Na wenigstens sind wir nicht die einzigen die hier zu nachtschlafender Zeit noch unterwegs sind." kommentierte Val und rückte den Spielkarton unter seinem Arm zurecht. "Hausnummer dreizehn erst. Was für eine Straße..."
"Und eine parkende schwarze Kutsche." unkte Bregs. "Wer weiß, vielleicht biegt hier ja gleich auch noch Jakob der Schlitzer um die Ecke. Obwohl ich nicht glaube, daß es hier irgendwo Näherinnen gibt..."
"Vermutlich nicht." Alice atmete tief durch und klammerte sich an Valdimiers Arm fest, als sie sich dem schwarzen Gefährt näherten. "Aber unheimlich ist es irgendwie trotzdem."
Neugierig umkreisten die Wächter das Gefährt. Die beiden dunklen Pferde schlugen mit den Schweifen und sahen die Wächter neugierig an.
"Kein Kutfer." stellte Rogi fest. "Fie feinen hier einfach nur fu parken."
"Hallo?" Araghast klopfte an die Tür der Kabine. "Irgendwelche Massenmörder zu Hause?"
Dann erblickte er den Wappenschild auf der Tür und lachte leise.
"Was ist denn so witzig, Bregs?" rief Gralon herüber, der sich derweil den Eselskarren angesehen hatte.
"Die Kutsche gehört Vetinari. Ich frage mich was der hier mitten in der Nacht will."
"Vielleicht auch den Grafen-Zauberer von Bolzano-Weierstrass besuchen." Kanndra wies auf die verwitterte Hausnummer. "Scheint ja eine illustre Gesellschaft zu sein heute."
"Was, in diesem Schrotthaufen?" fragte Val ungläubig und nickte zu der Ruine, die sich hinter einigen kahlen Bäumen verbarg.
Kanndra zuckte mit den Schultern. "Wer weiß... Vielleicht hat er ja auch nen Partykeller?"
"Wohl eher weniger." Gralon trat zu seinen Kollegen. "Der Eselskarren hat eine quirmianische Lizenz, ist aber sonst wirklich nichts Besonderes, abgesehen davon, daß die Warterei dem Esel ziemlich zu stinken scheint."
"Na ja, das ist nicht unser Problem." Araghast trat in die zugewucherte Auffahrt. "Und ich habe auch keine Ahnung, welchen Wohngeschmack adlige Zauberer so haben. Vielleicht steht er ja auf Abbruch-Stil. Jedenfalls sollten wir damit rechnen, Rince, dem Patrizier und diesem Quirmianer dem der Eselskarren gehört über den Weg zu laufen."
"Na dann auf in den Kampf." gähnte Gralon.
Plötzlich waren die zerstörten Fenster der Villa für einen Moment strahlend hell erleuchtet und ein ohrenbetäubendes Krachen sauste wie eine Druckwelle über die sechs Wächter hinweg.
"Was war das?" schrie Alice gegen den Lärm an.
Das Geräusch verklang und die Fenster der Ruine verdunkelten sich wieder, bis auf einen schwachen, flackernden, rötlichen Schein, der aus der Tür drang.
"Keine Ahnung." Bregs betrachtete das Haus mißtrauisch. "Vielleicht haben die da drinnen das Tischfeuerwerk mit dem für draußen verwechselt."
"Wir sollten auf jeden Fall nachsehen." Val begann, auf das Gebäude zuzustapfen. "Es könnte jemand verletzt worden sein."
"Ich weiß nicht." murmelte Kanndra. "Ich habe da ein ganz mieses Gefühl..."
TEIL 3 DAS SPIEL IST AUS (UND DU BIST RAUS) "Was..." stammelte Rince verblüfft und sah sich um.
Das unheimliche, pompöse Eßzimmer inklusive diverser ausgestopfter Tierköpfe und brutaler Buntglasfenster war verschwunden. Stattdessen sahen sich die sechs Gefangenen zwischen mit Schimmel überzogenen, brüchigen, nackten Ziegelsteinwänden wieder. Nebel und feiner Sprühregen drangen durch die zerbrochenen Fensterscheiben ins Zimmer. Genauso wie der eben noch so massive Eßtisch urplötzlich nicht mehr allzu vertrauenserweckend wirkte. Der einzige Gegenstand, der an das Speisezimmer erinnerte, war die grausam zugerichtete Leiche des Grafen, die noch immer neben der Tür lag.
"Wo das Zimmer ist hin?" Philipp Spatens Kopf bewegte sich wie wild hin und her. "Eine ganze Raum nicht kann einfach verschwinden!"
"Ich habs doch von Anfang an gesagt, daß was nicht stimmt." Tante Jane erhob sich und klopfte sich den Staub vom Rock. "Warum habe ich bloß das Gefühl, daß der ganze Abend eine einzige Illusion war?"
"Isch bin mir wirklisch nischt mehr sischer, was nun noch wirklisch existiert und was nischt." Achilles Püree krabbelte unter den Überresten des Tisches hervor und zog Frau Weiss mit sich. "Isch 'offe bloß, daß die Erdbeben endlisch aufhören."
"Wenn es denn überhaupt Erdbeben waren." entschlossen marschierte Tante Jane zur Tür, die traurig von einer einzigen Angel gehalten herabhing. "Mal sehen, vielleicht kommen wir jetzt endlich mal hier raus und können die Wache alarmieren."
Seufzend stemmte Rince sich hoch. Was sollte das Ganze eigentlich? Was hatte die Explosion mit dem Eßzimmer gemacht und warum befanden sie sich plötzlich in einer Ruine? Entweder war alles lediglich ein böser Traum wie er ihn machmal nach einem zu fetten Abendessen heimsuchte oder sein Verstand begann langsam aber sicher, ihn im Stich zu lassen.
Und dann hörte er die Stimmen.
Sie klangen zwar gedämpft, doch es waren mindestend zwei Personen, die dort irgendwo draußen im Treppenhaus in eine hitziges Gespräch vertieft waren.
"Also gut." Die Stimme des derzeitigen Sprechers schien scharf genug, um Glas zu schneiden. "Wer sind Sie? Und lassen Sie die Waffe liegen, wo sie ist."
"Na schön." In der zweiten Stimme schwang deutliche Angst mit. "Isch 'eiße Friederisch Carl Graus und will endlisch wissen, wo mein Freund und Kollege 'in verschwunden ist."
"Havelock!" brüllte Tante Jane in den Korridor. "Bist du das?"
Eine Weile blieb es still.
"Na bitte." erklang schließlich die unverkennbare Stimme des Herrschers von Ankh-Morpork. "Ich wußte doch, daß hier irgend etwas nicht stimmt. Wenn sich schon eine Villa innerhalb weniger Stunden in eine Ruine verwandelt..."
"Von Bolzano-Weierstrass ist tot." Tante Jane trat auf die Galerie und musterte mißtrauisch die ziemlich instabil wirkende Treppe. "Und es war kein Spiel." Die morschen Holzdielen knackten bedrohlich unter ihrem Gewicht und Rince fragte sich, ob sie ihn tragen würden wenn er versuchte, hinunter ins Erdgeschoß zu gelangen.
"Nischt bei diesen Verletzungen." mischte sich Püree ein und schwenkte die bis auf einige wenige Tropfen leere Flasche Untervektor-Rum, die die Verwandlung des Zimmers wie durch ein Wunder ebenfalls überstanden hatte.
"Bist du da oben, Achilles?" auch Friederich Carl Graus schien sich von seiner Verwirrung erholt zu haben.
Ruine, überlegte Rince verwundert, während die Diskussion über das Treppenhaus fortgeführt wurde. Wie kam der Patrizier auf Ruine? Bis vor wenigen Sekunden war es doch noch...
Ein Geruch, wie er normalerweise von schwelenden Holzresten ausgeht, stieg dem Kommandeur in die Nase. Nein. Jetzt, wo der Kontakt zur Außenwelt wiederhergestellt worden war, würde er der Sache auf den Grund gehen lassen und sich den Verantwortlichen für diesen bestialischen Mord und das ganze Chaos überhaupt vorknöpfen.
Entschlosssen trat er auf die Galerie...
...und fluchte herzhaft, als er geradewegs durch den Fußboden brach und in einer Wolke aus holzwurmzerfressenen Dielenfragmenten und Schnipseln porösen Teppichbodens abwärts fiel.
"Himmelarschundzwirn!"
"Alles in Ordnung?" Tante Jane beugte sich über das Geländer.
Stöhnend quälte sich Rince hoch und rieb sich das schmerzende Hinterteil.
"Danke, es geht, Tante Jane. Verdammte Holzwürmer..."
"Ah, Kommandeur Rince!" Lord Vetinari war urplötzlich aus der Dunkelheit getreten und schenkte dem Kommandeur ein dünnes Lächeln. "Gehören Sie also auch zu den sogenannten Wettpartnern des nichtexistenden Grafen von Bolzano-Weierstrass?"
* * * Unschlüssig standen die vier Wächter vor der verwitterten Treppe, die zur Eingangstür hinaufführte.
"Also gut." übernahm Bregs das Wort. "Wer geht zuerst rein? Alle zusammen?"
"Das ist wohl das Vernünftigste." nickte Alice. "Wer weiß, was da drinnen so los ist."
"Ich dachte, Zauberer wären immer nur am futtern und würden nicht viel von wilden Parties halten." murmelte Gralon, als sie die Treppe hinaufstiegen.
Ein Krachen ließ sie zusammenfahren.
"Ohje." seufzte Kanndra. "Das klang als ob etwas eingestürzt wäre..."
"Himmelarschundzwirn!" tönte es aus dem Gebäude.
"Daf war beftimmt nicht gefund..." Rogi nestelte an dem Verschluß ihrer Sanitätstasche. "Follen wir anklopfen? Die Tür fteht ja offen."
"Egal, rein da." Val trat entschlossen auf das gähnende schwarze Loch zu, vor dem sich ehemals eine schwere Eingangstür befunden hatte. "Ich will dieses Spiel endlich loswerden."
"Hallo?" rief Gralon. "Stadtwache Ankh-Morpork. Ist jemand zu Hause?"
"Nun, Herr, ich wurde auch einge... Obergefreiter Gralon Banks?"
"Ja, Sir." Gralon salutierte. "Und es sind noch einige bei mir."
"Nun, mir scheint, ihr kommt gerade rechtzeitig." ließ sich Vetinari vernehmen. "Wie man mir mitgeteilt hat liegt oben in einem der Zimmer eine Leiche."
"Äh... Leiche, Exzellenz?" stammelte Araghast, zu verblüfft um an irgendwelche Förmlichkeiten zu denken. "Wir suchen eigentlich den Zauberer Bolzano-Weierstrass, der hier wohnen soll."
"Wie, was, Zauberer?" brachte Rince hervor und sah erst vom Patrizier zu Araghast und schließlich zu Gralon. "Könnt ihr mir vielleicht erklären, was hier gerade gespielt wird? und vor allem warum bei allen Göttern ihr hier seid?"
Valdimier wies auf die längliche Schachtel unter seinem Arm. "Eigentlich hatten wir ein magisches Problem mit unserem Brettspiel, Sir." erklärte er. "Und bei der UU schienen alle mit einem schmollenden Hex beschäftigt zu sein, der es angeblich nicht vertragen konnte, ein Schachspiel verloren zu haben, und wir haben bei einem Zoff zwischen dem Erzkanzler und jemand anderem aufgeschnappt, daß sich ein gewisser Bolzano-Weierstrass mit magischen Spieleproblemen auskennen soll, woraufhin sich Gralon an Ihre Einladung erinnert hat. Und deshalb sind wir hier, Sir."
"Ich habe doch gleich gesagt, er war gar kein Graf." kommentierte Tante Jane triumphierend, während sie sich vorsichtig die Treppe herunterwagte. "Und ein Zauberer- ja, das erklärt so Einiges. Nur liegt er jetzt tot oben im Eßzimmer, ermordet mit mindestens fünf verschiedenen Gegenständen."
Wieder knackte der Fußboden der Galerie bedrohlich, als Achilles Püree behutsam Frau Weiss in Richtung Treppe führte.
"Die wir alle haben gefunden in verschiedene Zimmer." ergänzte Philipp Spaten, der sich als nächster auf das morsche Holz wagte. "Eine Kerzenleuchter, eine Strick, ein Armbrust, einen Messer und eine Rohr Stück."
Ein unangenehmes Schweigen entstand als sämtliche Wächter sich spontan zu Valdimier umwandten, der immer noch die 'Hinweise' unter dem Arm trug.
"Wenn Sie jetzt auch noch sagen," begann Araghast schließlich langsam, "Daß urplötzlich eine Kartoffelscheibe von der Decke fiel und Kaffee hinterhertropfte, dann erkläre ich mich mit größtem Vergnügen selbst für verrückt."
"Doch," erklärte Rince matt, während Rogi ihn auf Verletzungen untersuchte, "Genauso war es. Die Spritzer sind noch auf meiner Hose zu sehen, für den Fall, daß mir niemand glaubt."
"Wie..." brachte Püree heraus. "Das war
eure Kartoffelscheibe? Wie ist die denn dann 'ier'ergekommen?"
"Sie werden es kaum glauben." erklärte Kanndra. "Sie fiel auf ein Spielbrett und verschwand. Und den Kaffee haben wir draufgetropft um zu gucken ob das auch wirklich stimmte was wir da gerade gesehen hatten."
"Und dann die Figuren." berichtete Gralon weiter. "Sie nahmen plötzlich die Gestalt von..." Er stockte, blickte sich um und musterte die sich die Treppe herunterkämpfenden Wettenteilnehmer ungläubig. "...Ihnen an." brachte er schließlich hervor.
"Was ist das denn für ein Spiel?" erkundigte sich Tante Jane, die mittlerweile an die Seite ihres Neffen getreten war.
"Es heißt Hinweise." erläuterte Araghast. "Und es handelt von einer Abendgesellschaft, die versuchen muß, den Mord an einem gewissen Graf Euter aufzuklären. Es gibt verschiedene Tatwaffen, verschiedene Zimmer und verschiedene Verdächtige."
"Ach ja." Kommandeur Rince sah sich fragend um. "Sagt mal, Wächter, kennt zufällig irgendjemand das Symbol eines von der Seite betrachteten Tisches mit geschwungener Platte in einem Kreis? Es hing vorhin noch dort drüben." Er wies auf die halbzerstörte Treppe, über die zur Zeit Philipp Spaten in die Eingangshalle herabkletterte.
"Leuchtete es rötlich?" hakte der Patrizier nach.
"Ja Herr."
"Nun, es explodierte kurz nachdem Adam und ich hier eintrafen."
"Und was bedeutet es, Havelock?" fragte Tante Jane ungeduldig. "Ich habe mir den ganzen Abend den Kopf darüber zerbrochen."
Araghast bemerkte, wie ein Muskel im ansonsten völlig unbewegten Gesicht des Patriziers zuckte. Vermutlich mochte er es nicht besonders, vor diversen Leuten mit Vornamen angesprochen zu werden.
Doch dann hob Lord Vetinari wissend eine Augenbraue.
"Bei Ihrem sogenannten
Tisch handelt es sich um die sogenannte oder auch Kreiszahl." erklärte er. "Bis jetzt hat es noch niemand geschafft, sie exakt zu bestimmen, aber ihr Wert liegt ungefähr bei drei komma eins vier. Abgekürzt wird sie mit dem ephebianischen Puchstaben pi. Mehr kann ich leider auch nicht sagen."
"Was die ganze Sache macht noch verrückter." Philipp Spaten entzündete eine Zigarette aus seinem schier unerschöpflichen Vorrat und sah nachdenklich zur Treppe. "Ich frage mich wo bleiben Fräulein Shimura. Sie eigentlich längst gekommen sein müssen haben."
"Keine Ahnung. vielleicht hat sie Angst." Tante Jane legte den Kopf in den Nacken und horchte angestrengt auf das Knarren morscher Fußböden.
"Fräulein Shimura!" rief sie. "Sie können herunterkommen, wir haben es auch geschafft. Wenn die Treppe mich gehalten hat, hält sie Sie auch. Und die Leiche wird schon keiner klauen."
"Ach ja, die Leiche." seufzte Rince. "Eine weitere völlig unerklärliche Sache. Genau wie diese Erdbeben. Habt ihr irgendwelche Erdbeben bemerkt?" wandte er sich an die Wächter.
"Nein, Sir." Alice runzelte verwundert die Stirn. "Wie kommen Sie auf Erdbeben?"
"Gibt es hier einen Gärtner oder Butler, Sir?" warf Araghast ein.
"Einen Butler." antwortete ihm Achilles Püree. "Aber der ist auch tot und seine Leische spurlos verschwunden."
"Schade." flüsterte Araghast Kanndra zu. "Normalerweise ist in Fällen wie diesem der Mörder immer der Gärtner oder der Butler."
"Also gut, wie viele Tote gab es hier eigentlich überhaupt?" fragte der Patrizier derweil spitz. "Einen Grafen der sich am Ende als Zauberer entpuppt hat und einen Butler. Dazu eine prächtige Villa, die sich innerhalb weniger Stunden in eine Ruine verwandelt, explodierende mathematische Zeichen, Lebensmittel verschluckende Brettspiele, unerklärliche Erdbeben und einen Haufen in diversen Zimmern verteilte Tatwaffen. Sie müssen doch zugeben, daß das Ganze mehr als nur seltsam klingt."
"Hallo?" erklang ein diesem Moment eine Frauenstimme. "Onkel Hieronymus? Bist du hier irgendwo?"
"Fräulein Shimura?" Philipp Spaten trat einen Schritt vor. "Komisch..." sagte er leise. "Wieso der Stimme kommt von unten?"
* * * Schwärzlicher Rauch ringelte sich in einer dünnen Spirale aus einer Ritze in der Holzverkleidung des Apparates. Die Kette des Badewannenstöpsels war schon vor einigen Sekunden gerissen und Kaffeespritzer zierten die Wände und den Fußboden rings um den rechteckigen Kasten.
Doch in seinem Inneren herrschte noch Leben. Unregelmäßige, bunte Entladungen knisterten über die beiden Entladungsstäbe und zischend tropfte flüssiges, silbernes Metall auf den Boden und bildete eine kreisrunde Pfütze, während der gesamte Kellerraum von einem in den Zahnwurzeln schmerzenden Quietschen und Rattern erfüllt war und die Rohre an den Wänden zu glühen schienen.
Immer wieder wanderte der Blick der jungen Frau von der verschlossenen Tür zu einem dicken roten Hebel, der einladend aus der Seite der Kiste ragte, und wieder zurück.
In ihr regte sich das unbestimmte Gefühl, daß die Maschine in absehbarer Zeit einfach explodieren würde, und mit ihr das ganze Haus und die angrenzenden Grundstücke gleich dazu.
DIFF stand in dicken, schwarzen Lettern auf einer Metallplatte neben dem Hebel und die junge Frau wußte nur zu gut, was es bedeutete. Aber vermutlich blieb ihr letztendlich keine andere Wahl, wenn sie nicht einen Sprengkrater von mehreren hundert Metern Durchmesser und einige Thaum magische Strahlung im Boden hinterlassen wollte, und sie hoffte, daß ihr Onkel es ebenso sah. Wenn er die Explosion unbeschadet überstanden hatte...
Der Konstruktionsplan lag zerknittert in einer Ecke der Werkbank und der suchende Blick der jungen Frau fiel auf das aufgeschlagene Romanheft, in welchem sie vor zwei Stunden noch sorgenlos gelesen hatte. Warum war der Hexer von Ankh nie da wenn man ihn brauchte, dachte sie bitter. Aber wahre Helden gab es nun einmal nur in den Gruselkrimis von Eddie Wollas. Und sie bezweifelte, daß es wildgewordene Dämonen oder Dinge aus den Kerkerdimensionen gewesen waren, die den Realitätsgenerator, das Herzstück der Erfindung ihres Onkels, irreparabel zerstört hatten.
Eine weitere, gleißend helle Entladung zuckte über die beiden Stäbe und verpuffte mit einem Knall.
Die junge Frau sah sich um. Es
mußte doch irgendetwas hier geben, womit sich diese verdammte Tür einschlagen ließ.
Entschlossen griff sie sich ein Stück eisernes Rohr, klemmte es sich unter den Arm, ergriff ihre Krücke und humpelte zur Tür. Dort lehnte sie ihr improvisiertes Schlaginstrument gegen die Wand und probierte ein letztes Mal den Schlüssel.
Widerstandslos drehte er sich im Schloß und die junge Frau stolperte in einem feuchtkalten, kahlen, länglichen Raum. Moos wuchs an den rissigen Wänden und an der gegenüberliegenden Seite führte eine glitschige Steintreppe nach oben.
Die junge Frau packte das Geländer mit der einen und ihre Krücke mit der anderen Hand und begann, sich die Stufen hinaufzuarbeiten.
Schließlich hatte sie es geschafft und stand vor einer weiteren Tür, die lediglich angelehnt war. Durch den Spalt drangen Stimmen zu ihr.
"...explodierende mathematische Zeichen, Lebensmittel verschluckende Brettspiele, unerklärliche Erdbeben und einen Haufen in diversen Zimmern verteilte Tatwaffen. Sie müssen doch zugeben, daß das Ganze mehr als nur seltsam klingt." "Hallo?" rief die junge Frau. "Onkel Hieronymus? Bist du hier irgendwo?"
"Fräulein Shimura?" kam eine Antwort mit einem seltsamen Akzent. Dann Geflüster.
Jemand anderes räusperte sich.
"Wer auch immer Sie sind, kommen Sie bitte unverzüglich und mit erhobenen Händen heraus. Hier spricht die Ankh-Morpork Stadtwache."
"Wie..." stammelte die junge Frau verwirrt. "Was ist denn passiert?"
"Das werden wir
Sie gleich fragen, Madam." mischte sich eine andere, älter und erheblich strenger klingende Stimme ein. "Vielleicht können Sie uns ja sagen, warum hier in diesem Haus heute Nacht zwei Personen unter insgesamt ziemlich kuriosen Umständen ums Leben gekommen sind."
"Aber es war doch alles nur ein Spiel!" rief die junge Frau. "Und wo ist mein Onkel Hieronymus?"
"Nur ein Spiel?" fragt die Stimme bissig. "Nun, wir werden sehen. Zeigen Sie sich! Und keine Mätzchen, verstanden?"
Die junge Frau seufzte, packte ihre Krücke fester, stieß die schief in ihren Angeln hängende Kellertür auf und trat hinter der Treppe zum ersten Stock hervor.
* * * Friederich Carl Graus war sichtlich nervös.
Er hatte an der Seite Achilles Pürees schon eine Menge Mörder gesehen. Große, kleine, dicke, dünne, junge, alte, männliche, weibliche- Es gab kaum einen Typ den er nicht kannte. Und wenn Püree schließlich vor versammelter Runde den Täter entlarvte, hatte er schon jede erdenkliche Situation gesehen, zumindest jede erdenkliche Situation die sich in Quirm in einem solchen Fall abspielen konnte.
Doch dies war Ankh-Morpork.
Hier saßen die Verdächtigen nicht hübsch aufgereiht auf der Couch wenn es um die Bestimmung des Mörders ging. Schon vorhin, beim Eindringen in das Gebäude, hatte er sich vor Angst sprichwörtlich beinahe in die maßgeschneiderte Anzughose gemacht und es nur mit Mühe geschafft, seine Panik hinter einem betont harten Auftreten zu verbergen.
Der Patrizier und die Explosion hatten ihm so ziemlich den Rest gegeben und er wunderte sich, daß ihn überhaupt niemand daran gehindert hatte, seine Waffe wieder an sich zu nehmen.
Und nun zitterte er wie Espenlaub, die Armbrust in seinen Händen zitterte mit.
Da, die Tür schwang schon auf und eine Gestalt erschien. Und sie hatte eine ihrer Hände nicht erhoben sondern hielt soweit er es erkennen konnte einen langen, dünnen Gegenstand, dessen Spitze auf den Boden gerichtet war. Noch...
Erschrocken zog er den Abzug.
In trüben Licht der Laterne, die Adam auf Befehl Vetinaris aus der Kutsche geholt hatte, erkannte Araghast eine hochgewachsene, hagere junge Frau, gekleidet in ein Männerhemd und einen dunklen Rock mit einer groben, fleckigen Schürze. Ihr lockiges, schwarzes Haar war im Nacken zu einem nachlässigen Zopf zusammengebunden und auf der Nase trug sie eine runde Brille mit dicken Gläsern. Mit der Linken umklammerte sie eine Krücke, während sie ungläubig auf ihren Rock herabstarrte, in dem ein Armbrustbolzen steckte, der ihr vermutlich ins Bein gedrungen war.
"Find Fie verletft?" Rogi eilte gefolgt von Bregs auf die junge Frau zu, während Valdimier dem völlig verdatterten Quirmianer die Armbrust aus der Hand riß.
"Sind Sie denn völlig verrückt geworden?" zischte er ihm ins Ohr. "Man hätte Ihnen niemals eine Waffe in die Hand drücken dürfen! Sie hätten sonstwen erschießen können!"
Währenddessen ließ sich Rogi auf die Knie nieder und berührte vorsichtig den Bolzen.
Die junge Frau lächelte scheu.
"Es ist nichts passiert." sagte sie leise. "Er hat nur mein Holzbein getroffen." Sie klopfte gegen die Stelle, wo sich normalerweise das Knie befunden hätte. Es klang hölzern.
"Na dann ift ja gut." Die Sanitäterin packte das Corpus delicti und zog es mit einem Ruck heraus.
"Vollidiot." murmelte Bregs mit einem Seitenblick auf Graus, der sich am ganzen Leibe zitternd in eine dunkle Ecke drückte und und sich große Mühe gab, nicht anwesend zu sein. "Es tut mir wirklich leid, Fräulein. Er gehört nicht zur Wache."
Die junge Frau sah sich um und hinkte auf die Gruppe zu, die am Fußende der Treppe versammelt war.
"Also, was ist passiert?"
"Moment, nicht so eilig." wurde sie von Rince unterbrochen. "Erst einmal würde ich gern wissen wer Sie eigentlich sind und was Sie hier mitten in der Nacht zu suchen haben."
Das Mädchen seufzte. "Ich heiße Leonata Eule und das Grundstück hier gehört meinem Onkel. Er hat das Spiel hier veranstaltet." Suchend sah sie sich um. "Wo ist er eigentlich überhaupt?"
Der Kommandeur seufzte. "Hieronymus von Bolzano-Weierstrass?"
"Ja. Ist ihm etwas passiert?"
"Mein liebes Fräulein Eule," begann er schweren Herzens. Er haßte es, solche Botschften zu überbringen. "Es tut mir wirklich leid, ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihr Onkel tot ist."
Vorsichtig traten Achilles Püree und Gralon hinter Leonata, für den Fall, daß sie in Ohnmacht fallen würde, doch sie schien keine Anstalten zu machen. Stattdessen starrte sie eine Weile durch Rince hindurch in die Ferne.
"Ja." sagte sie schließlich zu irgend etwas, was sich einige Meter hinter dem Kommandeur zu befinden schien. "Irgendwie habe ich so etwas schon geahnt. Die Explosion muß ihn in Stücke gerissen haben."
"Es war nicht die Explosion, Liebes."
Araghast staunte nicht schlecht. er hätte niemals erwartet, ein Wort wie 'Liebes' aus dem Munde Jane Eberhardt Vetinaris zu hören.
Fräulein Marmor legte ihre Hand auf Leonatas Schulter. "Ihr Onkel wurde irgendwann zwischen kurz vor Mitternacht auf äußerst brutale Weise ermordet."
"Ermordet?" fragte das Mädchen ungläubig und ihre blickte Tante Jane aus schreckgeweiteten Augen an. "Warum sollte jemand meinen Onkel ermorden? Und warum hat Kohschi das Spiel nicht einfach abgebrochen?" Sie sah sich ein weiteres Mal um. "Und wo ist Kohschi? Sagen Sie nicht, er ist auch..."
"Doch." sagte Tante Jane kummervoll. "Er saß auf einmal tot am Küchentisch, das Gesicht in einem Teller Suppe. Und dann hat jemand seine Leiche gestohlen."
In einer resignierten Geste ließ Leonata ihre Faust auf ihr Holzbein niedersausen.
"Warum?" fragte sie schließlich die Welt im Allgemeinen. "Wer könnte Interesse daran haben, Kohschi und meinen Onkel zu ermorden? Niemand hat etwas von unserer Erfindung gewußt, außer ein paar Zauberern an der UU, und von denen kann ich es mir nicht vorstellen..."
"Ihr Onkel war Magier, nischt wahr?" hakte Achilles Püree nach.
Leonata nickte. "Ja. Und heute Abend wollte er sein Lebenswerk testen. Das AGLA. Wir haben über zehn Jahre daran gearbeitet."
"AGLA?" Sämtliche Anwesenden sahen sich verwundert an. "Was ist AGLA?"
"AGLA bedeutet soviel wie 'Amüsante Gesellschaftsspiele in Lebensechtem Ambiente." erklärte Leonata mit monotoner Stimme. "Es ist ein Unterhaltungskonzept. Mit Hilfe der Thaumomathematik wird eine täuschend echte Spielumgebung generiert, in der dann Detektiv-, Abenteuer- und sonstige Spiele stattfinden können. Eine Art Hex, wenn Ihnen das etwas sagt. Bloß statt von Ameisen wird das AGLA von einer irratonalen Zahl angetrieben, das heißt eine Zahl, die man nicht genau bestimmen kann, also unendlich viele Kommastellen hat."
"Wie zum Beispiel pi?" warf Lord Vetinari scharf ein.
Leonata nickte. "Berechnet wird sie duch eine Reihe, die gliedweise aufaddiert wird und somit immer mehr Nachkommastellen bestimmt werden. Bloß wird man so niemals ans Ende kommen. Ja, für den Erstversuch haben wir pi gewählt, die ephebianische Kreiszahl, doch habe ich mittlerweile meine eigene Reihenentwicklung erarbeitet und den Beweis der Irrationalität so gut wie abgeschlossen."
"Eine Maschine..." stöhnte Rince und faßte sich an die Stirn. "Eine verdammte magische Maschine! Es gab also nie eine Villa. Na dann wird wirklich so einiges klar- abgesehen von der Geschichte mit dem Spielbrett und den Morden..."
"Welches Spielbrett?" fragte Leonata.
Valdimier hielt ihr die Schachtel unter die Nase.
"Hinweise." las die junge Frau laut vor. "Was geschah wirklich mit Graf Euter? Ja, das lagert irgendwo im Keller. Es war die Vorlage für unser AGLA-Programm. Was ist denn mit dem Spiel passiert?"
"Erst verschwanden ein paar Gegenstände darin, die dann plötzlich hier in der falschen Weierstrass-Villa wieder auftauchten." erklärte ihr Araghast. "Dann haben die Spielfiguren langsam das Aussehen der Anwesenden hier angenommen. Woraufhin wir uns auf die Suche nach jemandem gemacht haben, der uns das Ganze erklären könnte und wir schließlich hier gelandet sind."
"Seltsam..." Leonata schob sich die Brille zurück auf die Nasenwurzel. "Es gibt so etwas wie magische Interferenzen, doch darüber weiß ich auch nicht wirklich Bescheid. Ich bin Mathematikerin, keine Thaumaturgin."
"War dieser Kohschi auch eine Zauberer gewesen?" meldete sich Philipp Spaten zu Wort.
"Nein, doch nicht Kohschi." Leonata lächelte halbherzig. "Antonius Kohschi war der Gehilfe meines Onkels. Er hat einige Sachen zusammengebaut und ein wenig an der Rechenarbeit mitgemacht..."
"Ein wenig!" kreischte eine schrille Stimme vom oberen Ende der Treppe.
Die Anwesenden fuhren herum.
Im Halbdunkel, vor dem zerstörten roten pi, stand ein quicklebendiger Antonius Kohschi und hielt eine ängstlich dreinblickende Shimura Ming fest umklammert. Ein spitzer, silbriger Gegenstand wies direkt auf ihre Kehle.
"Kohschi!" rief Lea überrascht aus. "Was machst du da? Wir dachten, du wärest tot!"
"Du bist zwar eine bemerkensert logische Denkerin, aber dieses Mal hast du falsch gedacht, Lea, mein Kind." Ein bösartiges Grinsen erschien auf den Lippen des ehemaligen Butlers.
"Aber wir 'aben Ihre Leische mit eigenen Augen gese'en und sogar angefaßt!" stammelte Achilles Püree.
"Tja, das AGLA mag so manche Wunder vollbringen, mein lieber Monsieur." lächelte Kohschi kalt. "Und nun bitte ich Sie, beiseite zu treten. Sie wollen doch nicht, daß dem ach so hübschen Fräulein Ming etwas passiert."
Wie um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen bohrte er seine Stichwaffe leicht in Shimuras Kehlkopf.
"Hör auf mit dem Quatsch!" rief Leonata. "Du bist völlig übergeschnappt!"
"Ach Lea..." seufzte Kohschi übertrieben theatralisch. "Du ahnst doch gar nicht, wie sehr ich mich nach dem Moment gesehnt habe, deinem Onkel und dir einmal überlegen zu sein. Hieronymus Bolzano-Weierstrass und Leonata Eule, die beiden Superhirne. und ich, der kleine Handlanger, gerade mal gut genug, die Grundrechenarbeiten zu übernehmen. Aber die Folge, die Folge auf der alles basiert, ist letztendlich aus meiner Idee entstanden! Und
er hat sie in seiner unerträglichen Arroganz Hieronymus-Folge genannt! Sie hätte Kohschi-Folge heißen müssen Und so wird sie auch heißen wenn ich das Patent erst bei der Mathematikergilde angemeldet habe! Kohschi-Folge! Nach mir!!!"
Araghast konnte die drei Ausrufungszeichen förmlich hören.
"Und jetzt!" rief Kohschi, "Bitte ich Sie alle, mir Platz zu machen, sonst wird diese Dame hier nicht mehr sehr alt."
Verschreckt sahen sich die Leute unten am Fuß der Treppe um. Valdimier hatte seine Armbrust gezogen.
"Verdammt." murmelte er. "Er hält die Frau wie einen Schild vor sich. Da treffe ich gar nichts."
"Nun, was ist?" Kohschi blickte herausfordernd hinab.
"Dann schneiden Sie ihr meinetwegen die Kehle durch wenn es Ihr dringendes Bedürfnis zu sein scheint." Lord Vetinari trat vor.
"Was?" Tante Jane starrte ihren Neffen mit offenem Munde an. "Was tust du da, Havelock? Er meint es ernst!"
"Ich weiß schon, was ich tue." entgegnete der Patrizier trocken.
"Oh je..." wisperte Gralon Alice ins Ohr. "Was hat er vor?"
"Es ist ein Trick." flüsterte Kanndra von hinten. "Ganz bestimmt."
"So?" Kohschis Lächeln wuchs in die Breite. "Seid Ihr euch da wirklich sicher, Exzellenz?"
Vetinari nickte.
"Fräulein Shimura Ming ist mir keinesfalls unbekannt. Zufällig weiß ich schon seit einiger Zeit, daß sie gewisse Informationen äußerst gewinnbringend an das Achatene Reich verkauft. Ich müßte Ihnen also sogar dankbar sein, wenn Sie sie für mich... beseitigen würden."
"Wie..." stammelte Kohschi, völlig aus dem Konzept gebracht, während das Gesicht seiner Geisel zu einer Maske des Entsetzens erstarrte.. "Ich..."
"Sie würden mir damit wirklich einen großen Gefallen tun." das Gesicht des Patriziers blieb hart wie Stein, während er mit seinem unnachahmlichen Blick den ehemaligen Butler fixierte.
Dieser war inzwischen bleich wie eine Wand geworden.
"Ich tue es wirklich." stammelte er. "Jetzt... Gleich... Wenn Sie mich nicht.. gehenlassen."
"Nur zu." Die Andeutung eines kalten Lächelns huschte über Vetinaris schmale Lippen. "Du hast verloren, egal was du tust. Das Spiel ist aus, Kohschi- und
du bist raus."
"Schön!" rief Kohschi aus. "Dann tue ich es jetzt."
"Eine Frage noch." unterbrach ihn der Patrizier und hob eine Augenbraue. "Wie willst du das anstellen... mit einem Tortenheber..."
Ein ersticktes 'Grnnnnf' im Hintergrund verkündete, daß mehrere Personen nur mit Mühe einen Lachanfall unterdrückten.
Der Mund des ehemaligen Butlers klappte auf. Mit einer unendlich langsamen Bewegung nahm er die Waffe vom Hals seiner Geisel und betrachtete sie ungläubig.
Dann ging alles sehr schnell.
"Scheiße!" brüllte er, warf den Tortenheber fort und stieß Shimura Ming von sich, die jammernd die Reste der Treppe hinunterkullerte. Er selbst machte sich daran, in die entgegengesetzte Richtung zu fliehen.
Blitzschnell hob Valdimier die Armbrust und feuerte.
Der Bolzen bohrte sich tief in den verlängerten Rücken des Fliehenden.
Dieser macht einen erschrockenen Satz und schrie auf.
Und die verwitterten morschen Treppenstufen gaben nach und Antonius Kohschi fiel anderthalb Stockwerke tief auf die Kellertreppe.
"
Wächter! schnappt ihn euch!" riß die Stimme des Kommandeurs sämtliche gebannten Zuschauer abrupt aus ihrer Erstarrung. "Und Alice, du kümmerst dich hier um die Waffe!"
"Guter Schuß, Val!" grinste Araghast und die beiden stürmten los, gefolgt von Gralon, Kanndra und Rogi. Der Spielkarton polterte vergessen zu Boden.
Auf der Kellertreppe war es stockfinster.
"Vorsicht." warnte Kanndra, die mit gezogenem Dienstdolch voranstieg. "Hier liegen überall Treppenteile."
"Hier ist er nicht." bemerkte Val, der einen neuen Bolzen in seine Armbrust einlegte. "Das heißt, er hat sich weder das Genick oder sonstwas Lebenswichtiges gebrochen."
Vorsichtig tasteten sie sich weiter vor.
"Lebt er noch?" fragte Rogi vom oberen Ende der Treppe.
"Scheint so." gab Araghast zurück. "Die bisherige Bilanz gefundener Körperteile beträgt jedenfalls Null."
"Na dann..." Die Igorina begann, sich ebenfalls abwärtszutasten.
"He, da vorne ist ne Tür." rief Kanndra aus. "Es schimmert jedenfalls Licht durch die Ritze."
"Dann Pssst jetzt!" wisperte Val.
So leise wie es inmitten diverser bei Kontakt mit einem Wächterstiefel verräterisch knackender Trümmerteile nur ging, pirschten sich die Wächter an den Lichtschimmer heran.
"Okay." hauchte Val und packte den Türgriff, während er mit der anderen Hand die Spannung seiner Armbrust prüfte. "Auf drei?"
"Auf drei." bestätigten die anderen.
"Okay.
Eins...
Zwei...
Drei!" Valdimier riß die Tür auf, hechtete in den angrenzenden Raum, rollte sich ab und richtete seine Armbrust direkt auf den Kopf Antonius Kohschis, der zerschlagen und aus diversen Wunden blutend zu Füßen eines merkwürdigen Holzkastens lag und sich nicht rührte.
"Antonius Kohschi." verkündete er. "Im Namen der Stadtwache Ankh-Morporks erkläre ich Sie hiermit als verhaftet!"
"Was ist denn das?" staunte Kanndra, die nach dem leichten Armbrustschützen in den Raum gesprungen war und fasziniert den Apparat betrachtete.
"Fieht faft auf wie fu Haufe in Überwald." bemerkte Rogi als sie der Maschine ansichtig wurde und beugte sich über den ehemaligen Butler.
"Ob das das geheimnisvolle AGLA ist, wovon Leonata geredet hat?" spekulierte Araghast und betrachtete den Apparat von allen Seiten. "Sieht jedenfalls komisch aus."
"Wem sagst du das?" Kanndra bückte sich und hob etwas hoch. "Ich frage mich, wozu sie den Badewannenstöpsel gebraucht haben." Sie ließ das Objekt an seiner Kette hin- und herschwingen.
"Och, die an der UU verbauen die erstaunlichsten Sachen bei ihrem Hex." grinste Gralon und klopfte gegen die Holzverkleidung. "Also, ich frage mich wirklich, was DIFF bedeutet."
"DIFF?" fragte Val verwundert. "Wo steht das?"
"Hier an dem roten Hebel." Gralon wies auf den langen, mittlerweile schwärzlich angelaufenen Metallarm, der unübersehbar aus der Vorderfront des Apparates ragte.
"Na ja, Hebel ist Hebel." Bregs wies auf eine Einbuchtung, in der eine gesprungene, mit einem roten Herz verzierte Kaffeetasse stand. "Ich frage mich bloß, was die rosa Spitze hier an der Kante soll."
"Zauberer sind ja für ihren schlechten Geschmack bekannt." entgegnete Gralon. "Was auch die Tasse erklären würde..."
"Er ift tot." unterbrach Rogi ihre Spekulationen.
"Was?" fragte Val ungläubig. "Wieso das denn?"
Die Sanitäterin wies erst auf Kohschis Mund und dann auf die kreisrunde Pfütze unterhalb des Apparates.
"Weil er anfeinend daf Flüffigfilber hier auf dem Boden aufgeleckt hat."
"Igitt..." Araghast schüttelte sich. "Das ist ja widerlich."
Schweigend blickten sie Wächter auf die Leiche Antonius Kohschis.
Und dann hörten sie das leise Ticken, welches seinen Ursprung in dem ansonsten völlig reglos dastehenden Apparat hatte.
"He, das Ding lebt ja noch." entfuhr es Valdimier.
* * * Shimura Ming blinzelte benommen in das Licht der Laterne.
"Ist Ihnen passiert etwas?" Vor ihren Augen verdichtete sich ein heller Fleck zu dem Gesicht Philipp Spatens und sein typischer Zigarettengeruch stieg ihr in die Nase.
"Ich bin enttarnt." flüsterte sie matt. "Vor allen Leuten. Woher wußte er es bloß? Und ich will nicht in der Skorpiongrube sterben..."
Spaten zuckte mit den Schultern und half ihr hoch.
"Spielt es eine irgend Rolle wer wie verdient Brötchen seinige?" versuchte er sie zu trösten.
"ja, das tut es." seufzte sie und unterdrückte einen Schmerzensschrei, als sie ihren linken Knöchel belastete. "Wenn man nicht mehr lange leben wird..."
Währenddessen beobachtete Leonata sorgenvoll die zerbrochene Treppe.
"Ich hoffe bloß, er zieht nicht den DIFF." sagte sie leise.
"Was ist das denn?" erkundigte sich Alice, die den Boden nach dem Tortenheber absuchte.
"Der DIFF-Hebel ist die Direkte Inbetriebnahme Fataler Fehlfunktionen." erklärte Leonata. "Quasi die Notsprengung des Apparates. Wenn der Hebel gezogen wird, löst er einen Zähler aus, der nach drei Minuten zur Notsprengung führt."
"Au Backe." bemerkte die Obergefreite und blickte auf den Fußboden. "Na dann nichts wie raus hier. Sonst fliegen wir hier noch alle in die Luft..."
Sie kletterte auf die unterste Treppenstufe und räusperte sich.
"Wenn Sie mir alle bitte einmal zuhören würden..."
Das erregte Gespräch verstummte.
"Nun," begann die Spurensichererin, die sich nun wieder eher in ihrem Element zu fühlen begann. Dies war ein Tatort. Und mit Tatorten kannte sie sich aus. "Ich habe soeben gehört, daß die Gefahr besteht, daß dieses Gebäude hier in weniger als drei Minuten explodieren wird. Deshalb bitte ich um eine unverzügliche Räumung. Danke."
Ein spitzer Schrei verkündete, daß Alice' Ankündigung ihren Weg in den Gehörgang von Frau Weiss gefunden hatte.
"Also gut!" rief Rince. "Gefreite Alice, du rennst in den Keller und hol unsere Leute da raus! Und Sie," er griff Frau Weiss am Arm, "Kommen mit mir. Keine Panik, es passiert Ihnen schon nichts..."
Derweil sprintete Alice zur Kellertreppe. Drei Minuten, hatte Leonata gesagt. Von denen nach ihrer groben Schätzung schon mindestens anderthalb vergangen waren.
Schliddernd kam sie zum Stehen und wäre um ein Haar die steilen Stufen hinuntergefallen.
"Graaaalooon!" schrie sie in die Dunkelheit.
"Vaaal!" "Was ist denn los?" kam Kanndras Stimme zurück. "Kohschi hat sich selbst umgebracht..."
"Hör auf zu quatschen und sag den anderen, sie sollen sofort da rauskommen!" brüllte Alice. "In einer knappen Minute fliegt hier alles in die Luft!"
"Warum das... Au Backe! Warte!"
Nervös trat Alice von einem Fuß auf den anderen. Was dauerte da unten bloß so lange. Ihnen blieben höchstens noch dreißig Sekunden...
Doch dann erklangen hastige Schritte auf der Treppe.
"Na dann nichts wie raus hier!" rief Araghast, als er an ihr vorbeirannte und nach ihrem Arm griff.
* * * Verbissen starrte Leonata aus sicherem Abstand auf das gähnende, dunkle Loch des Einganges und rieb mit dem Ärmel über ihre vom Nieselregen benetzten Brillengläser. Nach ihrer Rechnung blieben noch zirka eine halbe Minute bis zur Detonation. Die Faust ihrer freien Hand ballte sich. Ihr schafft das, kam es fast unhörbar von ihren Lippen. Vergeßt Kohschi und kommt da raus. Reicht nicht ein Tod heute Nacht?
Zwanzig Sekunden. Was machten sie nur so lange? Aber andererseits- aus diversen Eddie Wollas-Romanen wußte sie, daß eine klassische dramatische Rettung immer in allerletzter sekunde zu erfolgen hatte.
Fünfzehn Sekunden.
Da, eine Bewegung hinter der Türöffnung.
Und alle sechs kamen herausgesprintet, rannten die Treppe herunter und die Auffahrt hinauf, um schließlich nach Atem ringend neben der gebannt schauenden Gesellschaft zum Stehen zu kommen.
"Das war knapp." ächzte Araghast und ließ sich gegen einen Baumstamm sinken.
Dann zerriß ein Krachen die Stille der Nacht und grelles, in allen möglichen (und unmöglichen) Farben leuchtendes Licht flammte hinter diversen Fenster- und Türöffnungen der Ruine auf.
Ein gigantischer Feuerball brannte sich durch das Dach und tauchte die Knorkestraße in ein gespenstisches, bläuliches Licht. Höher und höher erhob er sich über die Stadt, um schließlich lautlos zu implodieren.
Zurück blieb eine Rauchfahne, die sich von den schwelenden Überresten des Abbruchhauses bis zum Himmel zog.
Araghast hätte schwören können, darin schemenhaft eine schier unendliche Kette von Zahlen zu erkennen:
3,14159265358979323846264338327950288419716939937510582097494459230781640 6286208998628034825342117067982148086513282306647093844609550582231725359 4081284811174502841027019385211055596446229489549303819644288109756659334 46128...
Doch dann verflüchtigte sich das Bild, als die Stimme des Kommandeurs ihn ruckartig in die Wirklichkeit zurückzerrte.
"Na zum Glück habt ihrs geschafft. Was ist mit dem Verdächtigen passiert?"
"Selbstmord." erklärte Valdimier und nahm den Bolzen aus seiner Armbrust. "Er hat anscheinend das Flüssigsilber, das aus der Maschine getropft ist, vom Boden aufgeleckt."
"Na, das ist doch ein klassisches Ende für einen Kriminalfall." kommentierte der Patrizier. "Der Bösewicht stirbt, nachdem er allen seinen Plan verraten hat, sein Werk wird durch eine Explosion vernichtet und es gibt eine Rettung in letzter Sekunde. Wirklich erstaunlich wie das Klischee die Realität immer wieder einzuholen scheint. Genau wie das Fräulein Ming früher oder später eingeholt wird, auch wenn sie sich mittlerweile vermutlich bereits über den Zaun zum Nachbargrundstück kämpft."
Erstaunt sahen sich die übrigen Anwesenden um. Von Shimura Ming war nicht die geringste Spur zu entdecken.
"Äh... sollen wir die Verfolgung aufnehmen, Herr?" bewies Gralon erstaunliche Geistesgegenwart.
Lord Vetinari winkte ab. "Das wird nicht nötig sein. Ich bekomme sie so oder so, egal wie weit oder wohin sie läuft. Er nickte Tante Jane zu. "Das Fräulein und ich werden sich jetzt auf den Heimweg machen. Falls Sie eine Aussage wünschen, Herr Kommandeur, ab morgen Mittag stehen wir zu ihrer Verfügung." Er nickte Leonata zu. "Ich nehme Ihnen nicht übel, was hier passiert ist, Fräulein Eule. Sie trifft keine Schuld. Doch..." seine Stimme hob sich und Araghast meinte, ein leichtes Funkeln in seinen Augen zu erkennen. "Hoffe ich, daß die Herstellung weiterer Exemplare dieses... AGLA... unterbleiben wird."
Leonata nickte. "Ja, Herr." sagte sie leise.
"Prächtig. Dann wäre ja soweit alles geklärt."
Mit einer fließenden Bewegung drehte sich der Patrizier auf dem Absatz um und schritt die Auffahrt hinunter in Richtung Knorkestraße, gefolgt von Tante Jane und Adam. Schließlich gelangten leise Stimmen an das Ohr der Zurückbleibenden:
"Warum gehen wir denn jetzt schon?" Das war unverwechselbar Tante Jane. "Jetzt wo die eigentlichen Ermittlungen gerade erst beginnen? Wo es gerade erst wirklich aufregend wird!"
"Wir werden die Ergebnisse spätestens morgen sowieso erfahren." antwortete Lord Vetinari ruhig. "Und außerdem gibt es keinen triftigen Grund mehr, hier zu verweilen. Ich habe heute Nacht noch einiges zu bearbeiten."
Araghast konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die gute Tante Jane. Sie hatte sich seit der Fuhsball- Meisterschaft und dem Fall Dahnisahne Sardine nicht auch nur im Geringsten geändert.
Kommandeur Rince räusperte sich.
"Nun, dann werden wir uns mal an die Spurensicherung machen." verkündete er. "Gefreiter van Varwald, du fliegst zum Wachhaus und bestellst eine Truppe von Pismires Leuten her. Und dann brauche ich noch jemanden, der hier auf den Tatort aufpaßt, bis die Spurensicherung eingetroffen ist."
"Das kann ich machen, Sir." meldete sich Araghast. Er hatte das Fehlen seines Brettspieles bemerkt und wollte sich noch ein wenig dabei umsehen.
"In Ordnung." Rince wandte sich an die verbliebenen Partygäste und den immer noch verstört dreinblickenden Friederich Carl Graus. "Und Sie möchte ich bitten, uns Ihre Anschriften zu geben, damit wir Ihre Aussagen in den nächsten Tagen aufnehmen könnten. Und ansonsten schlage ich vor, daß wir unsere kleine Versammlung hier auflösen und uns in die Federn begeben." Er gähnte herzhaft. "Ach ja, und Fräulein Eule: Von Ihnen brauchen wir auch noch eine detailliertere Aussage. Aber das kann bis morgen warten. Man sieht sich im Wachhaus." Und mit schweren Schritten stapfte er fort.
"Okay." nickte Val seinen Kollegen zu. "Wir sehen uns nachher im 'Eimer'." Mit einem leisen 'plopp' verwandelte er sich in eine Fledermaus und flatterte über die Dächer davon.
"Entschuldigung." Leonata tippte Araghast auf die Schulter. "Ich würde auch gerne noch einmal einen Blick ins Haus werfen wenn ich darf."
"In Ordnung." nickte Bregs. "Dann kommen Sie."
Und gemeinsam wagten sie sich auf das stellenweise noch rauchende Gebäude zu, während hinter ihnen die übrigen vier die Personalien der verbliebenen Verbrecherjäger aufnahmen.
Araghast bot Leonata den Arm, als sie die nun völlig zerstörte Ruine betraten.
Ihnen bot sich ein Bild der Verwüstung. Wo sich nur einige Minuten zuvor noch die halbzerfallene Treppe befunden hatte, gähnte ein schwarzer, verkohlter Abgrund, von dessen Rändern noch immer vereinzelte Rauchfahnen aufstiegen. Durch das Loch, welches der aufsteigende Feuerball in das Dach gebohrt hatte, fiel der Nieselregen in die ehemalige Eingangshalle.
"Oh..." flüsterte Leonata nur und wies mit ihrer Krücke auf eine halb verbrannte Pappschachtel, die inmitten einiger zertrümmerter, angeschmolzener Dachziegel lag. Der Schriftzug HINW... war gerade noch zu entziffern.
"Es war das Silvestergeschenk eines guten Freundes." Araghast bückte sich, hob den Karton auf und drehte ihn um. Eine grüne Spielfigur und ein Miniaturkerzenleuchter fielen in den Staub. "Vor gut sechs Stunden haben wir es gerade mal ausgepackt gehabt. Es würde mich wirklich interessieren was da an Wechselwirkungen zwischen Spiel und AGLA passiert ist."
"Ich kann da auch nicht viel mehr zu sagen, als ich versucht habe zu erklären, kurz bevor Kohschi aufgetaucht ist." Leonata seufzte leise. "Es gibt da ein Prinzip namens vollständige Induktion. In der Mathematik bedeutet es, daß man einen Beweis einer Gleichung dadurch führen kann, daß man die Gültigkeit der Gleichung erst für die eins beweist und dann für eine beliebige Zahl. In der Thaumaturgie hingegen bezeichnet man damit ein ungewolltes Einwirken eines Zaubers auf ähnliche Vorgänge in der näheren Umgebung."
"Na dann muß das AGLA ja schon ein ziemlich starkes magisches Feld besessen haben wenn es bis zum Wachhaus gereicht hat." bemerkte Araghast, hob den Miniaturkerzenhalter auf und reichte ihn der jungen Frau.
"Dreifach filtrierter und anschließend eingekochter klatschianischer Kaffee ist ein ziemlich starkes Mittel zur Realitätsgenerierung, dessen Potential man nur in die richtigen magischen Bahnen zu lenken braucht. Da läßt sich mit den richtigen Parametern und der Zahl als Laufgarantie so ziemlich alles generieren." Leonata steckte das winzige Objekt in die mit diversen Zetteln und Stiften vollgestopfte Brusttasche ihres Hemdes. "Unter anderem eine täuschend echte Leiche." fügte sie düster hinzu.
"Aber eins finde ich wirklich ein wenig komisch." Araghast sah Leonata an. "Warum hat er deinen Onkel nicht schon eher ermordet? Ich meine nur, Gelegenheiten hatte er ja im Laufe der Jahre genug."
"Ich weiß nicht." Die junge Frau blickte zu Boden. "Das AGLA bot ihm vermutlich einfach die perfekte Möglichkeit. Niemand hätte den Mord vor Ablauf des Programmes bemerkt und er selbst wäre schon längst erst im Büro der Mathematikergilde und dann über alle Berge gewesen, im Gepäck die Hieronymus-Folge, die dann offiziell seinen Namen trug. Doch dann muß ihm das AGLA selbst einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Er tötete meinen Onkel- und mußte feststellen, daß nach seinem Tod die Magie anfing, verrückt zu spielen. Onkel Hieronymus hatte den magischen Antrieb vermutlich irgendwie unter seiner Kontrolle gehabt. Und so war Kohschi ebenfalls ein Gefangener des Spiels und konnte nicht fliehen. Und als das Feld schließlich zusammengebrochen war, war ihm der Weg nach unten durch euch versperrt, so daß er diese Spionin zur Geisel genommen hat."
"Zum Glück." nickte Araghast und nahm Leonatas Hand. "Für Sie, Fräulein Eule." fügte er leise hinzu.
Ein erschrockener Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. "Sie meinen- er hätte auch mich...?"
"Wer weiß." Bregs bückte sich und hob einen silbrig glänzenden, metallenen Gegenstand aus den Trümmern des Treppenhauses und schob ihn sich hinter den Gürtel. "Menschen die gerade am Durchdrehen sind, sind zu allem fähig."
Leonata nickte düster. "Ich hätte wirklich nie gedacht, daß es einmal soweit kommen würde. Eigentlich habe ich Kohschi immer für eine Art Verbündeten gehalten. Eine der beiden Personen die in mir nicht nur eine nutzlose, hinkende häßliche Kröte sahen. Und nun hat der eine den anderen getötet..."
"Ein Holzbein ist doch nichts Schlimmes." entgegnete Araghast. "Der beste Freund den ich bisher in meinem Leben gehabt habe, hatte auch eines. Und sieh mich an." Er klopfte gegen seine Augenklappe. "Ich bin auch nicht gerade komplett wenn ich das mal so sagen darf."
Leonata lächelte scheu und stocherte abwesend mit ihrer Krücke in einem Haufen zersplitterter Bretter herum. "Ich weiß nicht..." begann sie langsam. "Eigentlich waren die Mathematik und die Basteleien meines Onkels immer mein ganzes Leben gewesen. Und nun weiß ich wirklich nicht wohin ich gehen soll. Ich könnte es machen wie meine beiden hübschen, dummen Cousinen: Den ganzen Tag vor dem Spiegel sitzen, auf Bälle gehen und darauf warten, daß mich jemand heiratet- Bloß daß bei mir bestimmt niemand kommen wird... Oder ob ich als alte Jungfer hinter einem Haufen Mathematikbücher und Eddie Wollas-Romanen versauere..."
Da wurde Araghast hellhörig.
"Sie mögen Eddie Wollas?" fragte er ungläubig. "Wirklich, Fräulein Eule?"
Sie nickte. "Obwohl immer alle sagen, Monster und irre Mörder seien keine Lektüre für ein junges Mädchen. Aber wie wir ja heute gesehen haben, sieht die Wirklichkeit auch nicht viel besser aus." fügte sie in einem schmerzlichen Tonfall hinzu. "Und bitte nennen Sie mich nicht 'Fräulein Eule'. Das paßt nicht zu mir. Ich bin Lea."
Der Püschologe lächelte. "Ich heiße Araghast Breguyar. Aber da der Name den meisten Leuten einen Knoten in der Zunge zu verpassen scheint, nennen mich eigentlich alle Bregs."
"Hmmm... ein interessanter Name." Leonata klemmte sich eine schwarze Locke, die sich aus ihren Pferdeschwanz gelöst hatte, hinter das Ohr. "Da scheint ja eine lange Geschichte hinterzustecken."
"Na ja, nicht wirklich. Meine Mutter war ein wenig arg romantisch veranlagt. Ansonsten hätte ich vermutlich Egon Kohlensack oder so ähnlich geheißen. Haben Sie... Hast du etwas dagegen, wenn ich dich noch nach Hause bringe wenn der SUSI-Trupp hier ist? Die ganze Geschichte hinter dem AGLA würde mich ziemlich interessieren und vor allem sollte jemand wie du Nachts nicht alleine durch die Straßen laufen."
Araghasts Herz klopfte, als er diese nicht besonders geschickte Notlüge aussprach. Warum hatte er bloß das Gefühl, sich die ganze Zeit wie ein kompletter Volltrottel aufzuführen? Und Lea... gefiel ihm. Ihr gesamtes Auftreten, ihre Büchervorlieben- und nicht zuletzt das Paar wunderschöner, leicht mandelförmiger, dunkler Knopfaugen, das hinter den dicken Brillengläsern schimmerte.
Sie lächelte ihn an. "Warum nicht? Wenn ich jetzt allein wäre würde ich mir immer nur noch weiter den Kopf zerbrechen."
* * * "Stimmt das wirklich?" kicherte Dennis Schmied in sein Bier. "Mit einem Tortenheber?"
Selbst gegen drei Uhr Morgens war der 'Eimer' noch gut besucht, und zu ihrer Freude hatten die Wächter einige ihrer Kollegen an einem der langen Tische angetroffen, wo sie damit beschäftigt waren, die Spätschicht mit dem einen oder anderen Getränk herunterzuspülen.
"Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen als er es gemerkt hat." lachte Kanndra. "Ich meine, wie dumm muß jemand eigentlich sein? Mal sehen, was SUSI zur Leiche des Grafen sagen falls nach der Explosion noch was von ihr übrig ist. Ermordet mit insgesamt 5 verschiedenen Tatwaffen- einfach verrückt."
"Erzähls morgen nochmal." Ledamahn sah auf. "Ich glaub ich bin nicht mehr so ganz aufnahmefähig."
"Und wie Val dem Kerl dann den Pfeil in den Allerwertesten geschossen hat das war wirklich einmalig." Alice blickte träumerisch ins Leere. "Und Rumms, ist er durch die Treppe gescheppert."
"Ich fands nicht so lustig, beinahe in die Luft gesprengt zu werden." brummte Gralon, der mit dem Kopf auf den verschränkten Armen auf der Tischplatte lag und vor sich hindöste.
Val gab ihm einen Rippenstoß.
"Ach komm, Gralon. Ein bißchen Kitzel ist halt manchmal drin, im Wächterleben." Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Mineralwasser. "Bei FROG wärst du jedenfalls falsch."
"Au weia." bemerkte ein Rekrut lallend. "Da musch isch mir meine Bewerbung ja noch mal überl-legen..."
"Tu das und komm zu uns." rief Kanndra. "Wir sind zur Zeit eh die kleinste Abteilung."
"Aber der Tortenheber..." Lady Rattenklein hatte sich von ihrem Lachanfall erholt und spülte seine Reste mit einem weiteren Schluck Knieweich aus ihrem Fingerhut herunter. "Erzähls noch mal, Val."
"Na schön." Der Vampir erhob sich, warf sich den Umhang über die Schultern, straffte seine Gestalt und versuchte, einen möglichst kühlen, leicht ironischen Gesichtsausdruck auf seine Züge zu legen.
"Wie willst du das anstellen..." deklamierte er mit ruhiger Stimme. "Mit einem Tortenheber..."
Brüllendes Gelächter dröhnte durch den 'Eimer'.
"Wenn alle Mörder so bescheuert wären, wär unser Leben viel einfacher." nefer-pa-isis verbarg ihr Gesicht in ihrem Ärmel.
"Und wir hätten bei den Verhaftungen wenigstens was zu lachen." stimmte Robin ihr zu.
Die Tür schwang auf und Araghast Breguyar trat ein und ließ sich auf einen freien Platz zwischen Valdimier und Kanndra fallen. Ein breites Grinsen entblößte seine angespitzten Eckzähne.
"Paß auf, daß dir dein Kopf nicht auseinanderfällt wenn du weiter so breit grinst." lachte Kanndra. "Was ist denn los?"
"Erstens habe ich mit Leas Hilfe nun den Fall so ziemlich komplett rekonstruiert. Und zweitens habe hier noch eine Kleinigkeit an Beweismaterial mitgebracht." Der Püschologe zog einen silbern glänzenden Metallgegenstand hinter seinem Gürtel hervor und warf ihn auf den Tisch, was eine weitere Salve dröhnenden Gelächters auslöste.
"Wo haft du daf denn her?" Rogi hielt den Tortenheber für alle sichtbar in die Höhe.
"Der lag noch in den Trümmern herum." erklärte Bregs und winkte dem Wirt. "Alice, du kannst ihn nachher mitnehmen, aber vorher dachte ich, ich bring ihn quasi als Trophäe noch mal mit. Einen doppelten Untervektor-Rum bitte!" rief er dem Wirt zu.
"Na dann, wo wir jetzt alle komplett sind," Valdimier hob sein Glas. "Auf das AGLA, den Tortenheber und den gelösten Fall!"
Gläser klirrten und diverse geistige Getränke (und ein Mineralwasser) rannen durstige Kehlen hinunter.
Schließlich wandten sich Val, Kanndra, Rogi und Alice fast gleichzeitig zu Araghast um.
"Den Fallhergang komplett klargestellt und mit Fräulein Eule bereits auf Du und Du, wie?" Alice' Lächeln gewann eine gewisse hinterhältige Qualität.
"Äh, ja?" Bregs sah ein wenig verwirrt in die Gesichter seiner Kollegen. "Was ist denn los?"
"Nichts." kicherte Val. "Wir dachten nur, da du ja nun komplett Bescheid weißt, daß du dann auch den Bericht übernehmen könntest. Außerdem war es dein Brettspiel was uns da reingezogen hat."
"Wie..." stammelte der Püschologe, doch er wußte bereits, daß er überstimmt worden war. Theatralisch stöhnend verbarg er sein Gesicht in den Händen. "Warum eigentlich immer ich?" brummte er.
* * * Nebel und Nieselregen waberten über die Dächer des nächtlichen Ankh-Morpork.
Tante Jane wandte sich vom Fenster des rechteckigen Büros ab und lächelte ihren Neffen an.
"So, dein Schachgegner war also der Denkapparat der unsichtbaren Universität. Und du hast ihn geschlagen."
"Sieh an, sieh an." Lord Vetinari lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. "Du hast wirklich sehr genau aufgepaßt."
"Und ob." Stolz reckte Tante Jane ihr Kinn. "Erst deine Worte, daß dein Gegner nicht gerade als 'jemand' zu bezeichnen sei. Und dann die Erzählung des Wächters, daß die Maschine nach einem verlorenen Schachspiel beleidigt sei. Es war eigentlich trivial. Ich mußte nur zwei und zwei zusammenzählen."
"Nun, dafür hast du den Mörder des angeblichen Grafen von Bolzano-Weierstrass nicht gefunden." kommentierte der Patrizier ruhig. "Obwohl ich zugeben muß, daß diverse magische Pannen durchaus einen nicht zu vernachlässigenden Problemfaktor ergeben haben. So wie trivial in einem anderen Kontext auch soviel wie 'Das verstehe ich auch nicht' bedeuten kann."
"Wer hätte auch ahnen können, daß der Butler in der Lage war, seine eigene Leiche zu stehlen." bemerkte Tante Jane und machte sich an einem der Wandschränke zu schaffen, der, wie sie wußte, eine Sammlung erlesener Liköre enthielt. "Also, meiner Meinung nach kann man diese ganzen magischen Zwischenfälle und Kohschis Verhalten quasi mit Schummeln gleichsetzen. Wenn die uns nicht andauernd dazwischengekommen wären, hätten wir den Fall garantiert gelöst."
Lord Vetinari verkniff sich ein Schmunzeln. Tante Jane war und blieb unverwüstlich.
"Und eins will ich noch von dir wissen." Sie balancierte ein gefülltes Likörglas zum Schreibtisch. "Du hast doch nicht wirklich vor, Fräulein Ming hinzurichten, oder?"
"Warum sollte ich?" Die Stimme des Patriziers nahm einen überraschten Tonfall an. "Shimura Ming mag zwar eine ausgezeichnete Spürnase sein, doch ist sie eine geradezu miserable Spionin." erklärte er. "Ich weiß schon seit einer ganzen Weile über sie Bescheid. Und da sie nun wiederum weiß, daß ich weiß, was sie tut, könnte sie sich durchaus noch in der einen oder anderen Sache als nützlich erweisen."
"Sag mal, du hast auch nie Feierabend." Tante Jane warf ihm einen mild tadelnden Blick zu. "Denkst du denn immer nur logisch? Du bist fast so schlimm wie einer von diesen Mathematikern."
"So?" Lord Vetinari gestattete sich ein dünnes Lächeln. "Nun, ich glaube zwischen der Mathematik und dem erfolgreichen Regieren einer Stadt besteht eigentlich gar kein so großer Unterschied. Beides basiert auf einer komplett durchdachten Strukturierung. Erst wenn ein kleines Stückchen einwandfrei funktioniert, kann man sich daran machen, den nächsten Schritt darauf aufzubauen. Umgekehrt kann ein winziger Fehler das gesamte, mühsam aufgebaute System wieder zum Einsturz bringen. Und ebenso ist es auch mit kriminalistischen Beweisführungen wie dir vermutlich zur Genüge bekannt sein dürfte. Was vermutlich allen aus der Seele sprechen wird die die Mathematik an sich für ein Verbrechen halten." fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
[9] "Und Püschologie." setzte Tante Jane hinzu. "Ich weiß, daß der heutige Abend ein ziemliches Chaos gewesen ist, aber eins kann ich dir trotz allem sagen, Havelock: So wie heute Nacht habe ich mich wirklich schon lange nicht mehr amüsiert."
* * * Und in einer kleinen Kammer in einem Haus in der Teekuchenstraße saß Leonata Eule mit Tränen in den Augen am offenen Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Innerhalb weniger Stunden war ihr gesamtes Leben zusammengebrochen. Alles woran sie seit ihren vierzehnten Lebensjahr gearbeitet hatte, hatte sich in Rauch aufgelöst und in der zerstörten Ruine in der Knorkestraße 23 war ein Trupp Wächter vermutlich gerade dabei, die sterblichen Überreste der einzigen beiden Personen, die sie jemals wirklich ernstgenommen hatten, von den Trümmern ihres Lebens zu kratzen. Und selbst einer von ihnen war aufgrund einer geradezu lächerlichen Lappalie zum Mörder geworden. Und dann war da noch der junge Wächter mit der Augenklappe gewesen. Araghast Breguyar. Ein Name mit wirklich schönem Klang. Lea wußte nicht, wieso jedes Mal, wenn sein Gesicht vor ihrem inneren Auge erschien, etwas in ihrem Magen zu kribbeln begann.
Vielleicht war es doch an der Zeit, neu anzufangen. Sie hob ihre Brille an und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Dann griff sie in die Brusttasche ihres Hemdes und entfaltete einen verknitterten Zettel. Dort stand sie, auf eintausendfünfhndert Stellen genau bestimmt. Pi. Die Zahl, deren möglichst genaue Bestimmung letztendlich ihrem Onkel den Tod gebracht hatte.
Mit einem leisen Seufzer zerriß Lea den Zettel und ließ die einzelnen Schnipsel herunter auf die Straße rieseln. Sie beobachtete wie sie sich in einem taumelnden Tanz, der keiner sichtbaren Ordnung zu folgen schien, umeinanderbewegten und schließlich auf der regennassen Straße landeten, wo sie sich innerhalb weniger Minuten mit dem typischen Ankh-Morpork-Dreck vollgesogen hatten und am nächsten Morgen lediglich als eventuelles Nistmaterial für Vögel Verwendung finden mochten.
Lea schloß das Fenster und hinkte zu dem kleinen Tisch, der eingequetscht zwischen dem mit diversen schweren mathematischen Werken und Eddie Wollas-Romanheften vollgestopften Bücherregal und dem Bett stand und entzündete eine Kerze. Zärtlich strich sie über das zuoberst liegende Blatt Papier. Dies war
ihr Werk, welches ihr niemand mehr nehmen konnte.
Die Summe von n gleich Null bis unendlich des Terms eins durch n Fakultät.
Die Zahl, die, so hoffte sie, irgendwann einmal ihren, Leonata Eules, Namen tragen würde.
e = 2,71828182845904523536... E N D E
[1] Im 'Fröhlichen Tomus-Wörterbuch Latein ist 'Proömium' als Vorwort zu einem literarischen Werk, das vom Autor dazu benutzt wird, sich schon im Voraus für sein Elaborat zu entschuldigen, definiert (obwohl ich keinesfalls den Anspruch erhebe, daß diese Single in irgendeiner Form literarisch wertvoll ist)
[2] Mehr über Tante Jane: Siehe Multi 'Nach dem Mord ist vor dem Spiel'
[3] Siehe Multi 'Lawrince von Arabien'
[4] Hier irrte Tante Jane: Die Suppenteller-Wetttauch-Meisterschaften in Kaschnurtschka, Borograwien, erfreuten sich schon seit Jahren wachsender Beliebtheit. Allerdings nur unter dem Volk der Urumschuki, welches lediglich aus 52 Personen bestand
[5] Ja, so eine ist immer dabei
[6] Anders als vielleicht erwartet plumpste auf diesen Satz hin leider kein Exemplar der 'Gelben Seiten' auf geradezu magische Weise auf den Tisch...
[7] Hierbei handelte es sich um eine sogenannte oder auch Kurz'sche Flasche, deren Prototyp vor einigen Jahren den zweiten Platz beim jährlichen Wettbewerb um die Herstellung des sinnnlosesten Gegenstandes belegt hatte
[7a] Jaja, die Macht des Klischees setzt sich halt immer wieder durch
[9] Die Gleichung Mathematik = Politik = Verbrechen hat sowieso einiges für sich...
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