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Ein schweigender Rekrut, kein Kaffee und eine Leiche unter der Messingbrücke... was für eine Ausbildung!
Dafür vergebene Note: 9
'Oh, ein Pausenbrot... von... vor drei Monaten?...' dachte Doris, als sie ihren Spind im Wachhaus in der Kröselstraße ausräumte. Ihre Ausbildung in GRUND hatte sie gerade abgeschlossen und war nun im Begriff, sich von Tussnelda von Grantick zu einer RUM-Püschologin ausbilden zu lassen. Da in ihrem Spind nicht viel, außer dem alten Pausenbrot, drin war, war sie bald fertig, packte alles in eine Tasche und eilte den Gang entlang in Richtung Ausgang. Sie wollte heute noch ihr Büro, welches sie mit Magane, Tussnelda und Kathiopeya teilte, beziehen. Sie rannte um die Ecke - und stieß prompt mit einem der Rekruten, Klitzegroß, zusammen.
"Oh, tut mir leid, Mä'äm.." stotterte er.
"Du brauchst mich nicht Mä'äm zu nennen, ich bin auch nur Gefreite", versuchte Doris den aufgebrachten Neuling zu beruhigen. Doch dieser war nun völlig verwirrt und lief - in Schlangenlinien - den Flur entlang.
'Sind alle Neuen so merkwürdig?' fragte sich Doris und machte sich auf zum Pseudopolisplatz, um dort endlich ihr Büro beziehen zu können. Unterwegs kaufte sie noch einen großen Blumentopf mit einer Geranie drin, die sie im Büro zur Dekoration aufstellen wollte.
***
Klitzegroß indes, der eigentlich nur so schnell wie möglich zum Abort wollte, erledigte dies blitzschnell und nahm dann seine Mittagspause wahr, die er nun schon so lange vor sich hergeschoben hatte. Er holte sein Brötchen hervor und schlenderte von der Kröselstraße aus durch die ganze Stadt. An der Messingbrücke angekommen, kletterte er an derselben herunter und wollte sich, wie immer, unter ihr niederlassen um sein Brötchen, oder das, was davon übrig geblieben war, zu verspeisen. Er stieg in einen kleinen Vorsprung... machte Licht und... schrie.
***
Tussnelda von Grantick saß in ihrem neu bezogenen Büro auf ihrem Sessel und trank einen wässrigen, kalten Kaffee. Der Kaffeedämon wollte so lange streiken, bis man ihm eine 35-Stunden-Woche gewährte. Also hatte Tussnelda selbst probiert, sich Kaffee zu kochen. Das Ergebnis war mehr schlecht als recht... aber es war ein Getränk aus Bohnen und enthielt Koffein, und das war ja der Sinn der Sache. Plötzlich klopfte es an der Tür. Tussnelda öffnete, um zu sehen, wer davor stand. Sie öffnete und sah einen Blumentopf. Einen Blumentopf auf zwei Beinen mit einer Tasche... ??
"Mmmpfm..." machte der Topf.
Tussnelda hob den Topf hoch und darunter kam Doris von Zitti zum Vorschein. Die Gefreite von Grantick stellte den Topf fürs erste auf Doris' Tisch. Die Zwergin warf ihre Tasche daneben und watschelte um ebenjenen herum, um dort erstmal aufzuräumen.
"Sind eigentlich alle Rekruten so verwirrt?", fragte Doris, nachdem sie Tussnelda ihre Begegnung in der Kröselstraße erzählt hatte.
"Naja, verwirrt sind sie alle, aber ich würde sagen, es gibt nur wenige, die so sind", entgegnete Tussi.
Nachdem alles an seinem Platz war, setzte sich auch Doris hin, nahm dankend einen "Kaffee" von Tussnelda an und dachte nach. War es wirklich die richtige Entscheidung, sich als Püschologin zu bewerben? Das alles kam ihr im Moment zu hoch vor, was nicht nur daran lag, dass sie eine Zwergin war. Nachdenklich strich sie über die Überreste ihres Bartes, den ihre Ausbilderin aus GRUND bei einem "Armbrust-Unfall" entfernen musste. Doris war untröstlich gewesen.
Sie holte nun ihren Frosch Isidor aus ihrer Tasche, der sich dort nach ganz unten verkrochen hatte, und setzte ihn in das Terrarium, was sie für ihn erst neu gekauft hatte. Dann warf sie ihm seine Quietsche-Ente und ein paar Kekse in den Glaskasten, legte den Deckel darauf und wandte sich wieder intensiv dem Gebräu von Tussnelda zu.
"Was, sagtest du, ist da drin?", fragte sie und zog die Stirn in Falten.
"Ein paar Kaffee-Bohnen, etwas Zucker und Milch. Das ist doch hoffentlich richtig, oder?", entgegnete die andere Gefreite und sah etwas unsicherer aus, als zuvor.
Einige Bohnen waren wirklich in dem Getränk enthalten. Sie schwammen unten, am Grund von Doris' Tasse. Diese Tasse hatte Doris auf einem ihrer Streifzüge durch die Stadt gefunden. Darauf war ein Zwerg abgebildet und daneben stand "Ein Herz für Zwerge" in großen, roten Lettern...
***
Klitzegroß lief durch Ankh-Morpork, zurück zur Kröselstraße. Er merkte überhaupt nicht, dass er ging, denn er konnte nur an das denken, was dort unten unter der Brücke war. Alles war nebensächlich, er sah die Welt wie im Traum. Was sollte er jetzt tun? Er wusste es nicht genau. Also begab er sich erstmal zurück zum Wachhaus von GRUND, legte sich in sein Bett, und schlief einen festen, traumlosen Schlaf. Dass sein Ausbilder ihn mehrmals ansprach und sogar rüttelte, merkte er nicht.
***
Doris hatte sich hinter ihrem Schreibtisch inzwischen wohnlich eingerichtet und betrachtete die Karte von Ankh-Morpork, die ihr praktischerweise genau gegenüber hing. Die Zwergin langweilte sich. Sie nahm einen Pfeil und warf ihn auf die Karte. Er landete direkt auf der Messingbrücke. (Später fragte sich Doris, ob das wirklich nur Zufall gewesen war...) Tussnelda hatte gerade Pause und war unterwegs mit Kathiopeya.
Plötzlich klopfte es an der Tür.
"Herein!", rief Doris.
Daemon Llanddcairfyn steckte den Kopf zur Tür herein und trug den Rekruten in seiner Hand vor sich her, mit dem Doris ihre erstaunliche Begegnung hatte. Der Gnom sah blass aus, sehr sogar. Doris stand auf und salutierte.
Daemon zeigte auf den Rekruten: "Er spricht nicht mehr. Seitdem er heute Mittag von seiner Mittagspause wiedergekommen ist, hat er kein Wort mehr gesagt..."
Der Hauptmann hörte sich besorgt an.
"Gut, ich versuche herauszufinden, was es mit ihm auf sich hat", sagte Doris und bugsierte den Rekruten auf einen Stuhl.
"Wie heißt er denn eigentlich?", fragte die Zwergin.
"Er heißt Klitzegroß", antwortete Daemon. "Ich muss jetzt wieder los, sag mir bitte Bescheid, wenn du etwas herausgefunden hast."
"Ja, Sör", erwiderte Doris, salutierte noch einmal und schloss die Tür, als der Hauptmann den Raum verlassen hatte.
Dann wandte sie sich dem Rekruten zu.
"So, Klitzegroß. Unser Zusammenstoß vorhin... naja.. ähm.. wie gehts dir denn?"
Der Rekrut sah sie vorwurfsvoll an.
"Okay, also nicht. Möchtest du etwas essen?" Sie langte in das Terrarium, zog einen Keks heraus, den Isidor noch nicht angelutscht hatte und hielt ihn dem Rekruten hin. Dieser grapschte nach dem Keks, schob ihn sich in den Mund und starrte zur Decke.
"Wenn du noch einen möchtest, brauchst du nur zu fragen... äh... ach, bedien dich einfach", sagte Doris. Sie kam sich im Moment ziemlich allein vor und wünschte sich, Tussi wäre da. Die große Uhr an der Wand neben Doris' Schreibtisch schlug drei Mal. Es war also um drei. Sie seufzte. Was sollte sie nur mit diesem Rekruten machen? Sie hatte einen Zettel und einen Stift auf ihrem Tisch liegen, falls sie sich etwas notieren wollte. Doch das einzige, was jetzt darauf stand, war: "Därr Räkrut schwaigt." Sie kritzelte eine Blume in die linke untere Ecke des Blattes. Plötzlich hörte die Zwergin ein Poltern auf dem Gang. Sie ging hinaus, um nachzusehen. Dass der Rekrut sich auf das Blatt setzte und begann, den Stift auf dem Papier umherzuschieben, bemerkte sie nicht.
Fraen Fromm war mit einem großen Stapel Akten im Arm aus dem Keller gekommen und hatte diese nun fallen lassen.
"Warte, ich helfe dir", sagte Doris, hob die Akten auf und trug sie mit Fraen zu deren Büro. Dann ging sie wieder zurück, um nach Klitzegroß zu sehen. Bevor sie ihr Büro betrat, legte Doris noch einmal ein Ohr an die Tür und lauschte. Kein Laut drang aus dem Büro. Doch, da war etwas. Ein beständiges Kratzen. Was hatte das zu bedeuten? Doris entschloss sich, nachzusehen und öffnete die Tür. Sie sah, dass der Gnom auf ihrem Zettel herumgemalt hatte. Doch was er gemalt hatte, erkannte sie nicht.
"Na gut, geh erstmal nach Hause", sagte die angehende Püschologin resigniert. "Ich werde mich morgen noch einmal mit dir beschäftigen."
Bevor sie den Rekruten jedoch entließ, nahm sie einen winzigen Papierschnipsel zur Hand, zog eine Lupe aus ihrer Schublade und kritzelte:
"Ich habe schon ainigäs färrsucht, aber ärr spricht nicht. Ich färrsuche es Morgän nochmal."
Dann setzte sie ihren Namenszug darunter und drückte Klitzegroß den Zettel in die Hand.
"Bring den Mal bitte deinem Ausbilder mit, ja?"
Dann öffnete sie dem Gnom die Tür, setzte sich auf ihren Stuhl und seufzte tief. Ihr erster Fall und gleich sooo schwer... Sie hoffte, dass Tussnelda bald zurückkommen und ihr helfen würde. Was konnte sie dann tun? Sie nahm den Zettel zur Hand, den der Rekrut soeben mit Linien versehen hatte. Aber Moment! Das waren nicht nur Linien...
***
Er wanderte durch die Schatten. An der nächstbesten Bar machte er Halt, um sich ein Bier zu gönnen. Sobald wie möglich musste er sich etwas einfallen lassen, schließlich konnte er sie nicht einfach dort liegen lassen, wo sie jetzt war... Er dachte an ihren betörenden Duft, an ihre feuerroten Haare, in denen sich die Sonnenstrahlen verfangen hatten. Und er erinnerte sich an ihren Schrei und lächelte. Ja, sie war temperamentvoll gewesen. Doch nun war sie es nicht mehr. Er warf einen Blick in seine Tasche und grinste. Der Stoff, den sie am Körper getragen hatte, war nicht annähernd ausreichend gewesen, um zu bedecken, wonach er gesucht hatte. Doch wohin sollte er sie bringen? Niemals würde er es schaffen, sie aus der Stadt zu schmuggeln. Da müsste er ja an den Kontrollen der Wache vorbei, und diese wurden in der letzten Zeit verschärft, weil dort vor einigen Tagen eine männliche Leiche gefunden worden war. Überall in Ankh-Morpork waren Flugblätter verteilt worden, auf denen man jemanden suchte, der mit dem Mann gesehen worden war. Das gefiel ihm gar nicht.
Und dieser Junge... der heute Mittag unter die Brücke gekrochen war, er hatte zu viel gesehen. Er musste weg, sonst würde er früher oder später plaudern, und das durfte nicht passieren. Aber wie? Er hatte gesehen, dass der Junge ein Mitglied der Stadtwache war, und diese wurden meistens gut beschützt. Also musste er ihn irgendwo abfangen... Aber wo? ...
***
"Also für mich sieht das nach einem Spinnenetz aus... man könnte es natürlich auch für ein Wollknäuel halten...", spekulierte Tussi.
Doris schüttelte den Kopf. "Nein... irgendwie... das sieht aus, wie ein Plan... aber was für ein Plan? ..."
Sie dachte nach und brummte. Das tat sie meistens, wenn sie scharf nachdachte.
"Naja, ich gehe erstmal zu Hargas Rippenstube und hole mir ein paar von diesen Dingern, die schmecken so toll...", sagte Tussnelda, "Möchtest du auch eins?"
"Oh, ja, bitte!", entgegnete die Zwergin und ließ sich auf ihrem Stuhl nieder. Sie nahm Isidor aus seinem Terrarium und dachte nach. Während ihre Gedanken wanderten, schweifte auch ihr Blick durch den Raum. Sie blieben auf der Karte von Ankh-Morpork hängen. Irgendwoher kam ihr der Plan bekannt vor... sie hatte ihn irgendwo schonmal gesehen... aber wo? Dann sah sie noch einmal zu Klitzegroß's Kunstwerk und stutzte.
"Tussiii... !"
***
Nachdem Klitzegroß den Zettel von Doris bei seinem Ausbilder abgeliefert und sich einen besorgten Blick von demselben eingefangen hatte, setzte er sich wieder auf sein Bett und nahm ein Blatt Papier und einen Stift in seiner Größe zur Hand. Dann begann er, schematisch, die Konturen einer Frau zu zeichnen. Es sollte keine Näherin werden, obwohl sie fast so aussah. Als der Gnom die Umrisse fertig skizziert hatte, nahm er bunte Farbe und färbte die Zeichnung passend ein. Die Frau hatte Haare, die rot wie Feuer waren und auf dem erdigen Boden, auf dem sie sich befanden, lagen sie wie ein Heiligenschein um den Kopf der Frau verteilt. Sie trug nichts am Leibe, ihre Gliedmaßen waren grotesk verrenkt und ihr Mund war zu einem stummen Schrei geöffnet.
Er faltete die Zeichnung sorgfältig und legte sie in die Schublade neben seinem Bett. Dann legte er sich hin und dachte nach. Was sollte er tun? Er bekam das Bild der Frau einfach nicht aus seinem Kopf. Egal, was er gerade tat oder dachte, immer wieder tauchte diese Frau darin auf.
Er hatte sie schon einmal irgendwo gesehen... Natürlich! Als er nach Ankh-Morpork kam, hatte er angefangen, als Taschendieb zu arbeiten... Er hatte ihr einmal die Geldbörse geklaut, woraufhin sie sich umdrehte und auf ihn herabsah. Damals war sie wunderschön gewesen.
"Da ist nicht viel drin, Kleiner", hatte sie gesagt und ihre Geldbörse langsam aus seinen kleinen Händen gezogen. Er hatte nicht viel Zeit gehabt, nachzusehen, was dort drin war, aber er hatte etwas gesehen, was ihn aus der Tasche anfunkelte...
Der Gnom beschloss, noch einmal zur Brücke zu gehen und sich dort umzusehen. Vielleicht fand er dort ja einige Hinweise auf den Täter. Daemon würde Augen machen... !
***
"Schau dir das mal an!", sagte Doris und zeigte Tussnelda die Zeichnung des Gnomes. "Das sieht aus wie die Karte von Ankh-Morpork... "
"Aber das ist nur ein Teil der Karte... Siehst du das da in der Mitte?", fragte die Ausbilderin. "Das soll die Messingbrücke sein... sie ist genau in der Mitte der Karte, das muss etwas bedeuten."
"Vielleicht ist dort irgendetwas besonderes, worauf der Rekrut uns hinweisen will... ?", fragte sich Doris.
"Richtig, das denke ich auch. Komm, wir nehmen uns ein paar SUSI-Tatortwächter und gehen da mal hin!"
***
Er wartete an der Brücke, strich sich das lange braun-gewellte Haar aus dem Gesicht, zog eine Zigarette aus seiner Manteltasche, zündete sie an und rauchte gemütlich. Er sähe gut aus, wäre da nicht die Narbe, die sich quer über sein Gesicht zog. Sie hatte sie ihm zugefügt, als sie sein Messer aus seinem Gürtel gezogen hatte und er sich auf sie gestürzt hatte. Sie konnte gut kämpfen, das musste er zugeben, denn er war ziemlich außer Atem gewesen, als er sie endlich zum Schweigen gebracht hatte.
Früher oder später musste dieser Rekrut doch vorbeikommen! Und tatsächlich: er sah eine kleine, schemenhafte Gestalt, die sich an der Brücke entlanghangelte. Er schlich ihr hinterher und sah, dass der kleine Gnom zu ihr wollte. Wollte das kleine Wesen etwa herumschnüffeln? Das würde er zu verhindern wissen. Er ging zu dem Gnom, hob die Gestalt hoch und steckte sie sich in die Manteltasche. Dann setzte er sich zu ihr, strich ihr eine rote Locke aus dem Gesicht und versank in seiner Phantasie, als er sie betrachtete...
***
"Da vorne ist die Brücke!" rief Doris.
"Dort steht ja tatsächlich jemand!" stellte Tussnelda fest und beschleunigte ihren Schritt. "Halt, im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork!"
***
Klitzegroß war auf dem Weg zur Brücke gewesen, war fast angekommen, als sich plötzlich alles verdunkelte. Der kleine Gnom stellte fest, dass die Ursache des ganzen ein großer Schatten war. Bevor sich der Rekrut der Situation bewusst machen konnte, hatte ihn die Person schon hochgehoben und in ihre große Manteltasche gesteckt. Was sollte er jetzt bloß tun? Er war gefangen. Das war's dann wohl. Daemon wollte er's zeigen. Pah! Nun würde er es ihm höchstens noch als toter Rekrut zeigen können...
Doch plötzlich drangen entfernte Stimmen an sein Ohr. Moment mal! Diese Stimmen erkannte er doch! Das waren Doris von Zitti und Tussnelda von Grantick, die beiden Püschologinnen! "Halt, im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork!" hörte er sie rufen. War seine Situation vielleicht doch nicht so hoffnungslos?
***
Er war von dem plötzlichen Auftauchen der Wache so schockiert, dass er sich überhaupt nicht bewegen konnte. Er war wie gelähmt. Was hätte er auch noch tun können? Weglaufen? Um an den Toren sowieso der Wache in die Hände zu fallen? Nein. Also ergab er sich in sein Schicksal...
***
Tussnelda von Grantick war als erste bei dem Mann angekommen.
"Was machen sie hier?" fragte sie.
Der Mann schien völlig geschockt zu sein, denn er sprach langsam, fast schleppend, und seine Augen sahen ins Nirgendwo.
"Ich habe sie umgebracht." sagte er fast unhörbar.
"Wen haben sie umgebracht?" fragte Doris, die nun auch angekommen war.
Stumm wies der Mann unter die Brücke. Die Tatortwächter begannen damit, die Leiche und ihre Umgebung zu inspizieren und zu sichern.
"Aber... warum?" fragte die Zwergin weiter.
Der Mann begann zu erzählen. "Ich lernte sie eines Abends in einer Bar kennen... "
***
Er hatte schon einige Bier getrunken und hing mehr am Tresen, als er saß. Da setzte sich eine Frau zu ihm. Sie war wunderschön. Passend zu ihren flammend roten Haaren, die ihr weich und seidig um die Schultern fielen, trug sie ein grünes Kleid aus Samt, dessen Ausschnitt keine Fragen mehr offen ließ. "An deinen Diensten bin ich nicht interessiert", sagte er, wandte sich ab und bestellte noch ein Bier.
"Für solche Dienste bin ich auch nicht zuständig", antwortete sie und lächelte. "Aber ich habe etwas, das ich loswerden muss." Sie holte ihre Geldbörse hervor und öffnete sie für einen kurzen Augenblick. Etwas funkelte ihn daraus an, er konnte aber nicht genau definieren, was es war. Dann schloss sie ihr Portemonnaie wieder und steckte es an seinen Platz zurück.
"Sprechen wir in meinem Zimmer darüber?" fragte sie und wies mit dem Daumen zu einer Treppe im Hintergrund des Lokals, die er zunächst gar nicht bemerkt hatte. Er nickte nur und folgte ihr die Treppe hinauf. Als sie vor ihm die Treppe hinaufstieg, bewunderte er ihre wunderschönen Rundungen und machte sich eine gedankliche Notiz, sich damit im Laufe des Abends noch einmal näher zu befassen.
Angekommen in ihrem Zimmer, setzte sie sich aufs Bett, etwas anderes zum Sitzen gab es in dem spärlich eingerichteten Zimmer nicht, und holte wieder ihre Geldbörse hervor. Er setzte sich neben sie.
Sie kramte in dem ledernen Portemonnaie herum, bis sie fand, was sie gesucht hatte. Sie öffnete ihre Hand, um ihm zu zeigen, was darin verborgen lag. Er staunte nicht schlecht. Ein echter Diamant, und wie groß er war! Um sich so etwas leisten zu können, hätte er mehrere Jahre lang arbeiten müssen.
"Ich habe jemanden dafür umgebracht." sagte sie und holte zur Bestätigung ein zusammengefaltetes Flugblatt hervor. Sie erzählte ihm, dass sie den Mann auch in einer Kneipe getroffen hatte; und als sie gesehen hatte, wieviel Geld er besaß, hatte sie sich ihm an den Hals geworfen. Dann hatte sie in der Nacht, als sie ihn endlich zum Einschlafen gebracht hatte, ein Messer gezogen und ihm die Kehle durchgeschnitten, sich sein Vermögen angeeignet und seine körperlichen Überreste in den Ankh geworfen.
Jetzt wurde ihm alles klar. Deswegen wollte sie den Diamanten loswerden, wegen den ganzen Wachen, und weil sie sonst aufmerksam werden würden. Er verstand sie, doch jetzt, da er genausoviel wusste, war er auch gefährdet. Bevor sie ihn jedoch auch umbringen konnte, dachte er, würde er schneller sein und das übernehmen. Also beschäftigte er sich zuerst mit seiner gedanklichen Notiz über Rundungen; und als sie endlich schlief, ergriff er ihren schönen, schlanken Hals und drückte zu...
... Am Morgen, die Sonne schien ins Zimmer und beleuchtete den billigen, fleckigen Parkettboden, wickelte er den Diamanten in ihr Kleid und steckte es sich vorerst in die Tasche.
Später dann, als er sich einen Sack besorgt, sie hineingesteckt und den Sack fest verschlossen hatte, transportierte er sie zur Messingbrücke. Eigentlich wollte er sie auch in den Ankh werfen, doch dann fiel ihm ein, wieviel Aufhebens wegen der letzten Leiche gemacht wurde, also deponierte er sie in einem Zwischenraum der Brücke. Den Sack brachte er zurück...
"... Und der Rest ist bekannt." schilderte er.
"Und wo ist der Diamant jetzt?" erkundigte sich Tussnelda. "Er kann ja nicht plötzlich weg sein, oder?"
"Ich habe ihn in meiner Manteltasche, einen Augenblick... Autsch!"
Klitzegroß, der immernoch in der Tasche saß, sah seine Chance, als der Mann in die Tasche griff, leckte sich über die Lippen und biss sich in seinem Zeigefinger fest. Vor Schmerz immernoch schreiend, zog der Mann seine Hand aus der Tasche und schleuderte seine Hand wie wild im Kreis. Klitzegroß kam sich vor, wie in einem Karussell. Dann, plötzlich, verkrampfte sich sein Kiefer, und er ließ los. Der Gnom wurde weit weg, fast drei Straßen weiter, geschleudert und blieb dort liegen.
Tussnelda legte dem Täter die Handschellen an und zusammen mit Doris ging sie, den Mann vor sich her schiebend, zurück zum Wachhaus am Pseudopolisplatz. Auf dem Weg sammelten sie noch Klitzegroß ein, der inzwischen wieder unablässig quasselte, und brachten ihn zu Daemon zurück.
"Ich weiß auch nicht, wieso er nichts gesagt hat." sagte Doris entschuldigend, als sie den kleinen Rekruten bei Dae abgeliefert hatte. "Wahrscheinlich der Schock oder so."
"Gut, ich danke dir. " Sagte der Hauptmann und entließ die Zwergin mit einem Wink. Sie salutierte und verließ den Raum. Dann lehnte sie sich gegen die Wand und schloss die Augen. Welch ein anstrengender Tag! Zuallererst würde sie dem Kaffeedämon solange mit einem neuen Dämon drohen, bis er ihr einen anständigen Kaffee kochte und dann würde sie noch den Bericht schreiben müssen. Langsam machte sie sich auf den Weg in ihr Büro, ließ sich auf ihren Stuhl fallen, suchte den Dämon, und als sie diesen nicht fand, begann sie mit der ärgerlichen Schreibarbeit.
Plötzlich hob sie den Kopf. War das nicht Kaffee, was ihr da in die Nase gestiegen war? Tussnelda kam breit grinsend ins Büro gestiefelt und stellte den etwas verärgert wirkenden Dämon, sowie zwei dampfende Tassen Kaffee auf den Tisch.
"Ich habe mich einfach mal etwas näher mit ihm unterhalten... " sagte die Gefreite, zwinkerte Doris zu und grinste noch breiter. Na wenn das kein Fortschritt war...
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