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In der Zehntes-Ei-Straße ist die Hölle losgebrochen. Können die S.E.A.L.S. den Straßenkrawallen Einhalt gebieten?
Dafür vergebene Note: 11
Vereinzelte Wächter stiegen gerade die Treppe hinauf, welche zum ersten Stock des Wachhauses führte, als Cim Bürstenkinn, Abteilungsleiter der S.E.A.L.S. selbige hinunter gehastet kam. Einige Personen wichen dem Oberfeldwebel erschrocken aus, um nicht die Treppe hinunter gestoßen zu werden. Cim ignorierte diverse zornige Rufe hinter sich, während er durch die Vorhalle auf die Eingangstür zu rannte und sich, noch während er lief, den Mantel überstreifte. Hastig stieß er die Pforte auf, woraufhin ihm die kalte Luft Ankh-Morporks ins Gesicht peitschte. Unbeirrt rannte er weiter, quer über den Pseudopolisplatz, schließlich hinein in eine Straße die vom Platz fortführte, immer weiter, so weit ihn sein Blitzspurt zu tragen vermochte. Wie sich kurz darauf herausstellte war das nicht besonders weit. An einer Straßenecke musste der Oberfeldwebel eine Pause einlegen. Keuchend stützte er sich an einer Straßenlaterne ab. Verfluchte Kondition!, dachte er. Verdammt, ich muss weiter! Ich muss so schnell wie möglich dort sein!
Sofort setzte er sich wieder in Bewegung, doch nach kurzer Zeit ging ihm erneut die Puste aus. Einige Augenblicke stand er ratlos da, doch schließlich erhellte sich seine Miene und langsam wandte er den Blick zur Straße, welche von Karren und Kutschen befahren wurde.
Ah, Polizeigewalt, dachte er und lächelte schelmisch. Dann zog er seine Dienstmarke hervor und sprang auf die Straße, Dienstmarke erhoben.
"STOP! ANHALTEN, IM NAMEN DES GESETZES!!"
Der Kutscher, der sich urplötzlich mit einem dunkelhäutigen Irren mit Tätowierungen auf dem Schädel konfrontiert sah, fluchte und zog hastig die Zügel an, um den Penner nicht zu überfahren. Polternd kam die Postkutsche zu stehen.
"Sag mal hast du sie noch alle, du verdammter Hurenso... MACH SOFORT DASS DU DA RUNTER KOMMST!!", schrie der Postkutscher, als Cim kurzerhand neben ihn auf den Kutschbock kletterte.
"Tut mir leid, doch es ist vonnöten, dass dein Gefährt vorübergehend in den Dienst der Stadtwache gestellt wird. Fahr mich zur Zehntes-Ei-Straße!", befahl der Oberfeldwebel barsch.
"Spinnst du? Das ist ja am anderen Ende der Stadt! Weißt du was für ein Umweg das ist? Du hast mir überhaupt nichts zu sagen!" erwiderte der Kutscher entrüstet, woraufhin ihm eine Dienstmarke vor's Gesicht gehalten wurde.
"Wenn du dich weigerst, ist das Widerstand gegen die Staatsgewalt!", sagte Bürstenkinn fest.
Der Kutscher schien wenig beeindruckt. "Ha! Und wenn ich mich tatsächlich weigere, Herr Wächter?", höhnte er. "Ich habe schließlich meine Anweisu..." er stockte. Während er gesprochen hatte, hatten sich die Blicke von Kutscher und Wächter getroffen. Der Kutscher blickte in die Augen des Oberfeldwebels und dessen Blick ließ ihn unweigerlich an Begriffe wie "Lizenzentzug" oder auch den harten Fußboden einer dunklen Zelle denken. Was wenn er wirklich in Schwierigkeiten geriet, wenn er den Anweisungen des Wächters nicht Folge leistete? "Ähm... hör mal", begann er nun weit unsicherer als zuvor, "Ich habe schließlich auch nur meine Befehle..."
"Es geht um Leben und Tod!", beharrte der Oberfeldwebel.
Das Gesicht des Kutschers verzerrte sich zu einer Grimasse, er schien immer noch mit sich zu hadern. Schließlich gab er auf: "Ach zur Hölle", knurrte er und fuhr los.
"Fahr zu, Mann!", herrschte Cim ihn an als die Tiere sich langsam in Bewegung setzen. "Es könnte bereits zu spät sein!!"
"Jaja...", gab der Kutscher genervt zurück und ließ die Zügel knallen, woraufhin das Tempo drastisch anstieg.
Diverse Leute, die gerade die Straße überqueren wollten, sprangen kreischend zur Seite, als sie die Postkutsche mit einem Affenzahn auf sich zu rasen sahen. Als sie abrupt um eine Ecke fuhren, hoben auf der linken Seite der Kutsche die Räder für einen Moment vom Boden ab und drehten sich in der Luft. Cim wurde von der Zentrifugalkraft in den Sitz gedrückt und wäre, als die Räder unsanft wieder auf dem Boden auf kamen, beinahe aus dem Sitz geschleudert worden. Straßenschilder, Häuser, Passanten... all das rauschte mit einer unglaublichen Geschwindigkeit an ihnen vorbei und verschwamm vor den tränenden Augen des Oberfeldwebels zu einem gräulichen Einheitsbrei.
Cim versuchte nachzudenken, was bei dieser Höllenfahrt nahezu ein Ding der Unmöglichkeit war. Im Wachhaus hatte er eine Nachricht des Obergefreiten Scoglio erhalten. Sie war zunächst über die Semaphorentürme ans Wachhaus geschickt worden und dort über die Rohrpost an Bürstenkinns Büro weitergeleitet worden. Sie war offensichtlich mit ein wenig Verspätung eingetroffen, denn Reggie, der Rohrpostdämon, hatte seinen freien Tag und der Teilzeitdämon der ihn vertrat war gnadenlos überfordert mit seiner Arbeit.
Bürstenkinn hatte an nichts Böses gedacht als er das Memo öffnete, war aber schon kurze Zeit später aus dem Wachhaus geeilt.
Der Inhalt der Nachricht lautete: "Krawalle in der Zehntes-Ei-Straße. S.E.A.L.S.-Wächter in Gefahr! Womöglich auch mit zivilen Opfern zu rechnen! Dringend Verstärkung erforderlich. Vektoren hilfreich, da unschuldige Opfer nicht unwahrscheinlich."
Ein Gewitter aus Steinen prasselte durch die Zehntes-Ei-Straße. Fensterscheiben klirrten. Leute schrien. Allgemeine Aufregung herrschte. Der Hauptgefreite Damien G. Bleicht duckte sich unter dem Schlag hinweg, der wahrscheinlich nicht einmal ihm selbst galt, stolperte, rollte sich ab, lag kurz rücklings am Boden, nur um sich gleich darauf auf die Seite zu rollen, um nicht von einem herannahenden Stiefel getroffen zu werden. Hastig sprang er wieder auf die Beine und blickte in das zu einer Grimasse verzerrte Gesicht eines Mannes, ob Freund oder Feind wusste er nicht. Er hatte auch nicht das Bedürfnis es herauszufinden, stieß einen unartikulierten Schrei aus, rammte dem Mann die knochige Faust ins Gesicht und rannte, ohne sich umzusehen. Das war auch gar nicht nötig, da sich ihm in beiden Richtungen der Straße das gleiche Bild bot:
Die ganze Straße war übersät von Leuten die kämpften, Steine warfen, niedergeschlagen wurden oder panisch versuchten zu fliehen. Es war nicht zu erkennen wer hier gegen wen kämpfte, wieso überhaupt gekämpft wurde, wer Angreifer war und wer sich nur zur Wehr setzte, wer auf wessen Seite stand und ob es hier überhaupt irgendwelche Seiten gab oder ob sich schlicht und einfach der Wahnsinn in dieser Straße breit gemacht hatte. Das einzige was sich klar und deutlich abzeichnete war das totale Chaos!
Die Kutsche hatte die Zehntes-Ei-Straße fast erreicht, als Cim Scoglio erblickte. Einige S.E.A.L.S.-Wächter waren schon bei ihm, offenbar hatte er vorausgedacht und noch andere benachrichtigt.
"Anhalten!!"
"Du weißt auch nicht was du willst...", knurrte der Kutscher.
Polternd kam die Postkutsche zum stehen. Nachdem der Oberfeldwebel abgesprungen war, trieb der Kutscher auch sogleich seine Pferde wieder an, ohne Cim noch eines weiteren Blickes zu würdigen. "Verfluchter Bullen-Spinner!", knurrte er kaum hörbar und verschwand aus dem Blickfeld der Wächter, fuhr weiter in Richtung Zehntes-Ei-Straße.
Sie blickten ihm nach.
"Der Mann besser nicht dorthin, fahren sollte, denn sonst...", grollte der Troll in besorgtem Tonfall.
"Die Kutsche ist jetzt nicht wichtig, Scoglio!", unterbrach Cim barsch, "Ich brauche einen genauen Lagebericht."
"Also, es folgendermaßen aussieht..."
Der Troll wurde unterbrochen, als die Postkutsche aus der Richtung, in der sie zuvor verschwunden war, mit extremer Geschwindigkeit an ihnen vorbei gerast kam, und mit rotierenden Räder in eine Straße ein bog. In seiner offensichtlichen Panik hatte der Kutscher wohl übersehen, dass diese Straße aufgrund besonderer Verkehrsregelungen nur in einer Richtung befahren werden durfte und zwar in genau der entgegengesetzten.
Aus der Entfernung kündeten panische Schreie von der Aufregung, die der plötzlich auftauchende Geisterfahrer verursacht hatte.
Scoglio schüttelte traurig den Kopf. "Ich doch gesagt habe, er nicht dorthin fahren sollte."
Verwirrt blickte Cim in die Richtung in die die Kutsche verschwunden war. Schließlich löste er den Blick.
"Äh... Wie gesagt, Lagebericht, Obergefreiter. Was geht hier vor?"
Scoglio und Damien waren in ihrer Funktion als Szenekenner unterwegs gewesen. Sie sollten den Aufenthaltsort eines Schmugglers namens Bert McKrach ermitteln, der in Verdacht stand, Wertgegenstände aus dem Besitz der Familie Selachii außer Landes gebracht zu haben. Kurz nach seiner Rückkehr war er untergetaucht. Nun, an diesem Tag sollten sie nicht mehr dazu kommen ihn ausfindig zu machen:
Die beiden Szenekenner durchquerten auf ihrem Streifzug durch die Stadt gerade die Zehntes-Ei-Straße, als die Hölle losbrach.
Von einem Moment auf den anderen war alles voller Männer die sich bekämpften, mit Steinen bewarfen und versuchten einander spitze Dinge in den Leib zu stoßen. Auch diverse Armbrustbolzen flogen umher. Harmlose Passanten schrien, wurden umgestoßen oder fielen den wild durch die Gegend geschleuderten Backsteinen zum Opfer, die manchen der Männer als Wurfgeschosse dienten. Auch Fensterscheiben gingen zu Bruch noch bevor manch entsetzter Bewohner die Fensterläden zuklappen konnte. Bald war Freund kaum noch von Feind zu unterscheiden, wurde die gesamte, sonst eher unscheinbare Zehntes-Ei-Straße zu einem Schlachtfeld, zu einem Gewirr aus Kämpfenden, panischen Schreien, dem Geräusch klirrender Fensterscheiben.
Scoglio hatte schnell reagiert. "Du dich dicht hinter mir halten musst!", hatte er seinem Kollegen zugerufen und sich in Bewegung gesetzt, sich einen Weg durch das Chaos aus Kämpfenden und Flüchtenden gebahnt, bis er sie schließlich beide heil und unversehrt aus dem Chaos manövriert hatte. Dachte der Troll zumindest.
"Doch als ich mich umdrehte, er nicht mehr da war", klagte Scoglio. "Er zu langsam gewesen sein muss. Ich zurück wollte ihn holen, doch ich ihn in dem Chaos nicht ausmachen konnte. Zuviele Menschen." Der Troll schien untröstlich über das Zurückbleiben seines Kollegen. "Ich mir schwere Vorwürfe mache! Ich hätte besser aufpassen müssen!"
Cim versuchte nachzudenken. Er wünschte sich nun, dass er sich am Vortag nicht so sehr dem Alkohol hingegeben hätte. Doch so verursachte ihm das Grübeln vor allem hämmernde Kopfschmerzen. "Es ist nicht deine Schuld...", sagte er geistesabwesend, "...Jeder hätte in dieser Situation den Überblick verlieren können..."
Aus der Ferne drang die Lärmkulisse aus der Zehntes-Ei-Straße an sein Gehör. Langsam ließ er den Blick in Richtung des Geräusches schweifen. Verdammt! Ihnen blieb wohl nichts anderes übrig, als sich der "Party" anzuschließen. Die Chancen waren mehr als gering, dass sie Damien dort finden würden, fast so gering wie dass sie ihn lebend fänden. Wesentlich wahrscheinlicher war, dass sich den bereits erkaltenden Körpern, die es heute zweifellos geben würde, weitere hinzu gesellen würden und zwar ihre eigenen.
Cim musterte die kleine Truppe, die ihm zur Verfügung stand:
Seine Stellvertreterin Rea Dubiata war da, ebenso wie Oldas, Sallien, Yogi Schulterbreit, Michael Machwas, Will Passdochauf , Steven Träumer und Johan Schaaf. Es waren nicht alle S.E.A.L.S anwesend, doch Scoglio hatte so viele Leute benachrichtigt, wie er konnte.
Ja, ihre Chancen standen schlecht. Doch ein Kollege war in Gefahr. Was fast noch wichtiger war: Es war mit einem Dutzend ziviler Opfer zu rechnen. Frauen, Kinder, vielleicht wehrlose Greise... Der Vektor in ihm sagte Cim, dass er sich nie mehr guten Gewissens im Spiegel würde anblicken können, wenn er es nicht wenigstens versuchte.
Er wandte sich seiner Truppe zu.
"Viele von euch sind ohnedies auch Vektoren!", rief er. "Ihr alle wisst was zu tun ist. Versucht so wenig Gewalt wie möglich anzuwenden. Oberste Priorität ist es, so viele Unschuldige wie möglich so unversehrt wie es eben geht dort herauszuholen Ihr alle seid sowohl mit Schwert als auch Schlagstock bewaffnet! Versucht euch die Aggressoren möglichst mit dem Schlagstock vom Leib zu halten, das Schwert ist nur im äußersten Notfall zu gebrauchen! Habt ihr verstanden? Keine offene Konfrontation, Gewalt wird nur angewendet, wenn andernfalls eine direkte Gefahr für euch selbst oder andere Bestünde, klar?" Was in diesem Fall auf praktisch jede Situation zutreffen dürfte, dachte er bei sich. Laut fuhr er fort: "Wenn jemand den Hauptgefreiten Bleicht findet, hat er ihm Hilfe zu leisten, wie auch jedem anderen der sich in Gefahr befindet, verstanden?" Er wandte sich an Will Passdochauf, die Kommunikationsexpertin. "Will, du schickst eine Nachricht ans Wachhaus. Es ist dringend erforderlich, dass der Kommandeur über die Lage informiert ist, damit er entsprechende Entscheidungen treffen kann, wie weiter vorzugehen ist. Es macht mir zwar keinen Spaß, aber vielleicht brauchen doch den ein oder zwei Wächter von anderen Abteilungen. Bis es soweit ist, müssen wir zusehen, dass so wenig zivile Opfer wie möglich zu beklagen sind. Und ihr anderen: Ich zwinge niemanden dort hineinzugehen! Ich will, dass ihr euch im klaren darüber seid, dass hier eine unmittelbare Bedrohung eures eigenen Lebens vorliegt!" Niemand sagte etwas. Cim lächelte. "Dann wäre das also geklärt! So und nun lasst uns da reingehen und diesen Affenzirkus ordentlich aufmischen!"
Auf Cims Kommando bewegten sich die Wächter Richtung Zehntes-Ei-Straße. Der Abteilungsleiter marschierte voran, um schließlich massiv zu beschleunigen, was ihm die übrigen S.E.A.L.S. gleich taten. Während sie ihrem Schicksal entgegen rannten und der Lärm in Cims Ohren immer lauter wurde, versuchte er verbissen die leise Stimme in seinem Kopf zu ignorieren, die flüsterte: Wir sind alle tot! Uns steht ein schreckliches Blutbad bevor!!!
Damien rannte und rannte, so schnell es in dem Getümmel möglich war. Er wich Kämpfenden aus, prallte gelegentlich gegen den einen oder anderen Körper, konnte aber das Tempo halten und sich weiter vorarbeiten. Dicht über seinen Kopf hinweg spürte er den scharfen Luftzug eines knapp vorbei schießenden Bolzens, der kurz darauf mit einen dumpfen Aufprall und einem darauf folgenden Schrei sein Ziel fand. Er kümmerte sich nicht darum, ebenso wie um die vielen schreienden Leute, die panisch zwischen den Kämpfenden umher rannten. Aus den Augenwinkeln sah er einen Mann, der gerade zu Boden ging. Damien wollte nicht ebenso enden und beschleunigte. Es konnte nicht mehr weit sein, bestimmt hatte er es gleich gescha... Er würde jäh von den Füßen gerissen und prallte unsanft auf dem Boden auf. Sofort drehte er sich auf den Rücken und wollte aufspringen, doch ein schwerer Stiefel fuhr ihm auf die Brust herab und drückte ihn zu Boden. Der Szenekenner blickte in das braun gebrannte schweißfeuchte Gesicht eines stämmigen Mannes, dessen Gesicht von Narben gezeichnet war. Er lächelte, was angesichts der komplexen Muster auf seinem Gesicht einen beunruhigenden Effekt hatte, beugte sich hinunter, packte den Hauptgefreiten am Kragen und zog ihn zu sich herauf. Er hielt ihn auf Augenhöhe, was zur Folge hatte dass Damiens Stiefel den Bodenkontakt verloren, und blickte in ein kreideweißes Gesicht. Die Haut des Hauptgefreiten war weiß wie frisches Papier, was oft zur Folge hatte, dass man ihn für einen Untoten hielt. Dieser Mann jedoch hatte eine gute Beobachtungsgabe:
"Was für eine Art Freak bist du?", knurrte er. "Keine Nähte, keine scharfen Eckzähne. Wie ein Mensch siehst du auch nicht aus."
"Da war ich mir auch nie so sicher", kam die krächzende Antwort.
"Dann bist du also eine Missgeburt! Om verbietet Kreaturen wie dich!"
Der Mann holte mit einer Faust aus, die mit einem eisernen Schlagring bewehrt war. Plötzlich keuchte er und blickte an sich nach unten. Ein Messer war ihm in die Seite gefahren, gehalten von einer knochigen weißen Hand.
"Tut mir leid, das wusste ich nicht...", sagte Damien und in seinen eigenen Ohren klangen seine Worte wie aus weiter Ferne. Om?, dachte er verwirrt. Vielleicht hatte er sich auch verhört....
Der riesige Mann schrie und schleuderte ihn gegen die Wand. Das Messer entglitt Damiens Griff und blieb in der Hüfte des Mannes stecken.
"DU WIRST STERBEN, DU VERDAMMTER..." Weiter kam er nicht. Ein schwerer Armbrustbolzen schlug ihm quer durch den Kopf, drei weitere trafen ihn in Brust und Bauch, durchschlugen ihn vollständig. Aufgrund der Wucht, mit der er getroffen worden war, wurde der Körper, mitsamt Damiens Messer, mehrere Meter weit weg geschleudert, wo er in der Menschenmasse verschwand.
Damien richtete sich mühsam auf. "Scheiße...", krächzte er. Das Messer war seine einzige Waffe gewesen. Der Schlagstock, die einzige Standardausrüstung die er immer mit sich führte, war ihm schon vor einer ganzen Weile aus der Hand geschlagen worden. Zum ersten Mal wünschte er sich, dass er seine Uniform trüge, dann hätte er wenigsten irgendeinen Schutz gehabt.
Zum wiederholten Male hastete er los, trotz des Wissens, dass er wohl nicht weit kommen würde. Irgendwelche Spaßvögel warfen mit Ziegelsteinen, die auf Menschen trafen, Fenster durchschlugen, oder an den Hausfassaden, an denen der Hauptgefreite entlang eilte, abprallten. Während er rannte senkte Damien den Kopf um nicht getroffen zu werden, was ihm jedoch nicht viel nütze - Er trat auf einen am Boden liegenden Ziegelstein, rutschte aus und kam ein weiteres mal an diesem Tag unsanft auf dem Boden auf. Benommen blickte er die auf dem Boden liegenden Ziegelsteine an, von denen einige durch den Aufprall mit der Mauer in zwei Hälften zerbrochen waren.
Plötzlich kam ihm eine Idee. Er war schließlich in Ankh-Morpork aufgewachsen! Alles konnte eine Waffe sein! Er besann sich auf einen Trick, den er schon früh in seiner Zeit als Mitglied jugendlicher Straßenbanden gelernt hatte. Hastig streifte er einen Stiefel ab, zog sich einen Strumpf aus und den Stiefel rasch wieder an. Er griff sich einen halben Ziegelstein, stopfte ihn in die Socke und hielt diese am oberen Ende fest, so dass der schwere Stein in dem löchrigen Kleidungsstück baumelte.
Er sprang wieder auf und rannte weiter. Leider wurde ihm der Weg von einem ganzen Pulk Menschen versperrt, die entweder kämpften oder panisch umher rannten. Verzweifelt versuchte er einen Weg aus dem Chaos zu finden. Er hatte Pech. Im Gegenteil, die Menge an Menschen um ihn herum schien sich zu verdichten. Kalter Schweiß rollte ihm die bleichen Schläfen hinab.
"Lasst mich raus, ihr Bastarde!", knurrte er.
Keine Reaktion, um ihn herum blieb es turbulent wie zuvor. Von links sprang ein Mann mit erhobenem Dolch in der Hand und einem Pfeil in der Schulter auf ihn zu. Von der Panik mit unglaublicher Reaktion ausgestattet fuhr der Bleiche herum und hieb dem Angreifer, der nicht mal mehr zu wissen schien wen oder was er überhaupt angriff, den Ziegelstein gegen den Schädel. Es knirschte und der Mann ging zu Boden.
"Zurück!", rief Damien. "Bleibt wo ihr seid oder, ich..." Knirsch! Abermals war das grässliche knackende Geräusch zu hören als der Ziegelstein einem in Damiens Nähe befindlichen Mann den Arm brach. Der Kerl keuchte und brach zusammen. Der Szenekenner wusste nicht einmal, ob es sich hierbei um einen der wahnsinnigen Kämpfer handelte, oder nur um einen armen Teufel der einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Es kümmerte ihn nicht. Es gab nur noch ihn, den halben Ziegelstein in der Socke und Menschen die zwischen ihm und dem Entkommen aus dieser Hölle standen. "Ihr sollt zurückbleiben hab ich gesagt!", kreischte er, während er weiter den Ziegelstein hin und her schleuderte. Und tatsächlich schien der Abstand zwischen ihm und den Leuten sich leicht zu vergrößern, so dass er sich Stück für Stück nach vorne bewegen konnte. Ruckartig riss er die Socke nach hinten. "Keiner kommt mir zu nahe sonst..."
"Was sonst?"
Unbehagen regte sich in Damien, als er feststellte, dass jemand tatsächlich in der Lage gewesen war, den Stein festzuhalten und diesen nun mit festem Griff umklammert hielt, wodurch sich die Socke nun über seine Schulter spannte. Er fuhr herum und blickte in das Lächeln eines Mannes. Es war kein freundliches Lächeln. Es war auch kein kleiner Mann.
Yogi Schulterbreit bahnte sich einen Weg durch das Getümmel, fuhr Schultern und Ellenbogen aus, um das schreiende Kind zu erreichen, das ängstlich zwischen großen Füßen umherlief, die es zu zertrampeln drohten. Mit einem Hechtsprung erreichte er das kleine Mädchen, nahm es schützend in die starken Arme, was dem Geschrei zu seiner Verwunderung keinen Abbruch tat, hob es hoch und rannte mit nach vorne gesenktem Haupt in die Richtung aus der er gekommen war. Während er sich mitsamt seinem Schützling den Weg in die Freiheit zu rempeln versuchte, rannte er an Cim vorbei, welcher sich gerade über eine alte Frau beugte, die reglos am Boden lag. Sie war tot.
"Verdammt!", knurrte Cim. Er erhob sich, nur um sich gleich darauf wieder ruckartig zu ducken, da ihm sonst ein Ziegelstein den Schädel deformiert hätte. "ALSO DAS IST DOCH...", schrie er, stockte dann aber. Irgend etwas an den kämpfenden Männern kam ihm seltsam vertraut vor. Wenn er nur wüsste was...
Abermals stockte er, als er etwas weiter entfernt den Hauptgefreiten Damien G. Bleicht erblickte, der gerade von einem muskulös gebauten Hünen durch die Gegend geschleudert wurde.
"Das Bleichgesicht bringt sich auch immer in Schwierigkeiten", fluchte er. Er wollte auf die beiden Kämpfenden zu rennen, doch es gelang ihm nicht, sich bis dorthin durch zu kämpfen.
Damien prallte gegen eine Mauer und sank stöhnend zu Boden. Er blickte zu seinem übermächtigen Gegner auf, welcher nun seine improvisierte Waffe in der Hand hielt und höhnisch auf ihn herab blickte.
"Nun siehst du was passiert, wenn man sich mit uns anlegt, Bleichgesicht!", rief er.
Er holte mit dem Ziegelstein in der Socke aus. Dann ertönte ein dumpfer Schlag und er sank tot zu Boden. Hinter ihm kam ein weiterer Mann zum Vorschein. Er hielt eine blutige Axt in der Hand.
"Das wird euch, die ihr das Wort des GOTTES verspottet, eine Lehre sein!" triumphierte er.
Der Mann hatte den am Boden kauernden Damien wohl nicht gesehen, sondern nur dessen Angreifer im Visier gehabt, denn er kehrte ihm den Rücken zu. Hastig griff Damien nach der improvisierten Ziegelstein-Schleuder, die sein verschiedener Angreifer fallen gelassen hatte, kam so schnell er es vermochte auf die Beine und holte aus. Es knirschte und kurz darauf entnahm er die Axt den schlaffen Händen des Mannes.
"Das ist besser", stellte er fest und warf die ihm nun eher hinderliche Schleuder in weitem Bogen von sich, damit sich niemand ihrer bemächtigen konnte - zumindest niemand in seiner unmittelbaren Nähe. Dann rannte er los, mit der Axt als Absicherung, falls noch jemand versuchen sollte ihn anzugreifen.
"Bleib weg von mir, du ungehobelter..."
"Madam, bitte..." Cim stöhnte als ihn die Handtasche hart am Schädel traf.
"Denkst wohl, du könntest mich einfach verschleppen, wie? Das kannst du dir abschminken!!!"
Der Feldwebel krümmte sich zusammen, als er einen Tritt in seine edelsten Teile bekam. Darauf folgte ein erstaunlich kräftiger Schlag ins Gesicht. Es blieb ihm nicht anderes übrig als den nächsten Schlag abzublocken und der Dame den Arm auf den Rücken zu drehen. "Verdammt noch mal Frau, ich bin hier um dich zu beschützen!!", schrie er ihr ins Ohr. "Stadtwache von Ankh-Morpork!"
Mit der freien Hand hielt er der Frau seine Dienstmarke unter die Nase. Erstmals stutzte sie.
"Äh..."
"Willst du in dem Chaos hier sterben, Weib? Lass mich dich hier raus bringen!!"
"Aber mein Rufus... Er läuft hier noch irgendwo herum"
Cim zog sie mit sich, stieß jedoch auf Widerstand. "Ich versichere dir, wenn er noch am Leben ist, werden meine Leute deinen Mann bestimmt finden und außer Gefahr bringen!", rief er während es um sie herum immer ungemütlicher wurde. "Doch wenn du auch nur den Hauch einer Überlebenschance haben willst, musst du jetzt mit mir kommen!!!"
"Mein Mann??!! Rufus ist mein Hund!!!"
Cim wurde nun langsam wütend und zerrte die Frau grob hinter sich her, während er gleichzeitig mit dem Schlagstock einen Angreifer abwehrte. "Götter noch mal Frau, ein Haustier ist jetzt wirklich dein geringstes Problem. JETZT HÖR ENDLICH AUF DICH ZU WEHREN, WENN DU UNS NICHT BEIDE UMBRINGEN WILLST!!!!"
"NEIIIN!!!!" Ihr verzweifelter Schrei wurde von der wilden Geräuschkulisse aus anderen Schreien und Kampfgeräuschen verschluckt, während Cim sie packte, sie sich über die Schulter warf, kurz unter der Last ächzte und schließlich mit erhobenem Schlagstock los rannte. Mit grimmiger Entschlossenheit bahnte er sich einen Weg Richtung Freiheit.
Gleich!, dachte Damien. Gleich bin ich draußen!! Tatsächlich hatte er das Ende der Zehntes-Ei-Straße fast erreicht. Er war nicht der beste Kämpfer, doch die Axt hatte ihm diverse Angreifer erfolgreich vom Leib gehalten. Jedoch verdichtete sich erstaunlicherweise in diesem Gebiet die Menge an Menschen sogar noch. Er biss die Zähne zusammen. Durchhalten, dachte er Durchha... Nein!!! Er fiel. Er war über etwas gestolpert. Hilflos beobachtete er, wie die Axt seinen Händen entglitt und über das Kopfsteinpflaster schlitterte. Sie verschwand in dem Wald aus Beinen. Sie war zu weit entfernt, als dass er sie noch erreichen konnte. Er blickte auf den Leichnam eines Mannes herab, über den er gestolpert war. Völlig unbewaffnet würde er zweifellos genauso enden.
Er rappelte sich auf und blickte sich mit wachsender Panik um. Er brauchte etwas, womit er sich verteidigen konnte. Etwas effektiveres, als ein halber Ziegelstein in einer Socke... Ziegelstein? Er blickte auf den Boden. Auch hier lagen vereinzelte Ziegelsteine auf dem Boden herum. Ein wahnwitziger Einfall kam ihm.
Scoglio hatte schon den sechsten Zivilisten aus dem Chaos befreit. Langsam setzte er den Mann bei den anderen teils verletzten, teils unversehrten Bürgern ab. Sie waren angewiesen worden, hier zu bleiben, in Sicherheit, fern von dem Terrorpfuhl zwei Straßen weiter. Als Bewachung war Will Passdochauf zugegen, welche mit der Nachricht vom Wachhaus zurückgekommen war, dass bald Verstärkung eintreffen würde. Scoglio hoffte dass das bald geschehen würde. Einige seiner Mit-S.E.A.L.S. waren auch wieder heil aus dem Chaos herausgekommen, zusammen mit geretteten Zivilisten, doch der Troll vermutete dass es sie wesentlich mehr Anstrengungen kostete, als ihn selbst. Während einige seiner Kollegen erschöpft an einer Wand lehnten, oder auf dem Boden saßen, lief er wieder zur Zehntes-Ei-Straße und stürzte sich wieder ins Getümmel. Auf der Suche nach weiteren Unschuldigen erhellte sich seine Miene. In einiger Entfernung hatte er Damien erblickt.
"Endlich ich ihn gefunden! Nur... Was er da machen?"
Damien holte aus, stieß einen schrillen Schrei aus um seine Kraft zu verstärken, und warf den Ziegelstein mit so viel Wucht wie er nur konnte von sich. Es klirrte, als der Ziegel durch das Fenster der Erdgeschosswohnung krachte. Ohne zu zögern rannte der Szenekenner auf das Gebäude zu, wich mit zusammengebissenen Zähnen vorbei stolpernden Gestalten aus und schaffte es diesmal sogar, nicht hinzufallen. Schließlich hatte er die Hausfassade erreicht, zog sich am Fensterbrett hoch und kletterte durch das zerbrochene Fenster. Er zuckte zusammen, als er sich an der zersplitterten Fensterscheibe einen tiefen Schnitt im Bein zufügte, biss jedoch die Zähne zusammen. Polternd fiel er ins Innere der schäbigen Wohnung. Blut tropfte auf den Boden. Taumelnd richtete er sich auf.
Er begann sich umzusehen. Niemand zu sehen. Hier musste es doch irgend etwas geben, das sich als Waffe benutzen ließ. Beinhaltete nicht jeder Haushalt scharfe spitze Gegenstände? Langsam humpelte er dorthin, wo er die Küche vermutete. Er musste nicht lange suchen, die Wohnung war nicht besonders groß.
Hastig riss er alle Schubladen auf, bis er schließlich fand was er suchte. Er entschied sich für zwei besonders große scharfe Messer, die normalerweise vermutlich zum Schneiden von Fleisch gebraucht wurden. Nun, wenn man es genau nahm hatte er ja genau das mit ihnen vor. Falls es nötig sein sollte.
Langsam verließ er die Küche wieder, ein Messer in jeder Hand. Vorsichtig blickte er sich um. Augenscheinlich war es hier vollkommen ruhig, aber vielleicht war dies ja auch...
"Bleib wo du bist!"
... eine Falle.
In der Tür, welche wohl ins Schlafzimmer führte, stand eine junge Frau. Auf ihrem rechten Arm hielt sie ein Baby, was in einem recht seltsamen Kontrast zu dem Schwert stand, welches sie in der linken Hand hielt. Es war ein recht abgenutztes Schwert, doch es blieb eine Waffe.
"Lass die Messer fallen!"
"Hör mal, ähm, gute Frau..."
"Fallen lassen hab ich gesagt"
Die Messer fielen zu Boden. "Das ist wirklich nicht so, wie es aussieht..."
"Ach nein?" Sie deutete mit dem Kinn zum zerbrochenen Fenster während sie, mit dem Rücken zur Wand, langsam den Raum durchquerte. Das Schwert blieb auf den Obergefreiten gerichtet. "Ich frage mich, was ich denken soll, wenn ein völlig Fremder plötzlich mit zwei der schärfsten Küchenmesser die ich besitze plötzlich in meinem Wohnzimmer steht, währenddessen draußen sich einige Wahnsinnige gegenseitig die Köpfe einschlagen und obendrein mein Fenster zerbrochen ist!"
"Wirklich, dafür gibt es eine völlig logische Erklä..."
"Ich warne dich! Mein Mann wird jeden Moment nach Hause kommen!" Sie stand jetzt direkt vor Damien, mit dem Rücken zum Fenster.
Der Bleiche stutzte. "Ähm... Und wie soll er durch dieses Getümmel hindurchkommen?"
Nun nahm auch das Gesicht der jungen Mutter einen verwirrten Ausdruck an. "Nun..."
Peinliche Stille setzte daraufhin ein, nur durchbrochen von dem Radau draußen. Die Spitze des Schwertes sank ein wenig.
"Hör mal...", sagte Damien und fasste in seine Jackentasche.
"Keine Bewegung!", rief sie. "Ich hab doch gesagt du sollst die Hände oben lassen!!"
"Äh... Hast du?"
"Ähm... Ja! Oder nicht?"
"Nein."
"Oh..."
Damien beschloss dem Spielchen ein Ende zu setzen. Er zeigte das Ding zwar nicht gerne hervor, aber ihm blieb wohl keine Wahl. Aus seiner Jackentasche holte er seine Dienstmarke hervor und hielt sie so, dass die Frau sie sehen konnte. "Ich gehöre zur Stadtwache von Ankh-Morpork. Ich bin zufällig in diese Sache geraten, genau wie du auch! Ich war unbewaffnet, und weil ich ums Überleben fürchtete bin ich hier eingedrungen um mir etwas zur Verteidigung zu holen, und das ist die Wahrheit! Tut mir leid", fügte er etwas gequält hinzu.
Die Frau musterte ihn misstrauisch, doch Damien bemerkte dass die Schwertspitze immer tiefer gesunken war. "Sagt du wirklich die Wahrheit?"
"Ja?"
"Woher weiß ich, dass du das Ding nicht gestohlen hast? Du trägst keine Uniform."
"Nein, aber ich..."
Seine Worte wurden von dem plötzlichen Ansteigen des Geräuschpegels verschluckt. Draußen fand nun ein wilder Armbrust-Schusswechsel statt. Pfeile flogen in alle Himmelsrichtungen davon. Damien reagierte gerade noch rechtzeitig. Ruckartig warf er sich zur Seite, außer Reichweite des Fensterrahmens. Mehrere Bolzen flogen durchs Fenster, einer davon streifte Damiens Arm, während er noch in der Luft war.
Genauso schnell wie er begonnen hatte, war der Schauer auch wieder vorbei. Damien taumelte auf die Beine und blickte ins Gesicht der jungen Mutter, welche nach wie vor regungslos dastand. Das Schwert hatte sie fallen gelassen, das Baby schützen an ihre Brust gedrückt, außer Reichweite der Bolzen. Damien blickte in ihre Augen und wusste, dass sie dem Tod inzwischen näher war als dem Leben. Langsam kippte sie nach vorne, direkt auf ihn zu, und streckte die Arme aus, reichte ihm ihr Baby. Der letzte Blick den sie ihm zuwarf hatte etwas flehendes, kurz bevor er glasig wurde, noch während sie fiel. Dumpf prallte der Körper der jungen Mutter auf dem Boden auf. Aus ihrem Rücken ragten die Federn des Geschoßes das sie getroffen hatte. Stumm starrte Damien ihren Leichnam an, dann das Baby in seinen Armen.
Er blickte sich im Raum um. Langsam ging er zu einem abgenutzten Sessel und legte das strampelnde Bündel behutsam dort ab. Dann wandte er sich ab und ging zur Tür. Bei der toten Frau blieb er stehen, bückte sich und hob das Schwert auf. Einige Augenblicke verweilte sein Blick auf der Toten.
"Es tut mir leid", sagte er leise, mit trockener Kehle. "Aber das geht mich nichts an." Dann ging er zur Tür. Er legte die Hand auf die Klinke und verweilte in dieser Position. Stumm starrte er auf das fleckige Holz der Tür.
Plötzlich wandte er sich ruckartig um, lief quer durch das Wohnzimmer und nahm das Baby auf den Arm. Er drückte den kleinen Leib an seine knochige Brust, ein ungewohntes Gefühl. Auf dem linken Arm trug er das Baby, mit der rechten Hand umklammerte er fest das Schwertheft. Mit schnellen Schritten ging er zur Tür. Kurz bevor er ins Freie trat, blickte er auf das Baby, das Schwert und schließlich den Ausgang.
"Ach, scheiß drauf...", knurrte er und stieß die Tür auf.
Scoglio hatte sich weiter dorthin vorgearbeitet, wo Damien verschwunden war. Während er sich einen Weg durch die Menschenmasse bahnte, sah er wie sein Szenekenner-Kollege, aus der Wohnung, in die er vorher eingebrochen war, gestürmt kam, ein Schwert in der einen Hand, ein plärrendes Baby in der andern. "Das immer sonderbarer werden", grollte der Troll und preschte los.
Es war schwerer, wenn man nicht nur auf seinen eigenen, sondern auch noch auf einen zweiten wesentlich zerbrechlicheren Körper acht geben musste. Nun war es nicht mehr weit, Damien rannte, wild mit dem Schwert herumfuchtelnd und wilde Flüche ausstoßend, auf das Ende der Straße zu, das Kind dabei schützend an die Brust gedrückt. In diesem Teil der Straße ging es längst nicht mehr so wild zu, wie noch zuvor und selbst die wild gewordenen Kämpfer schienen zu versuchen, etwas Abstand vor dem wahnsinnigen totenblassen Babysitter mit dem Schwert zu wahren.
Plötzlich spürte der Hauptgefreite, wie er den Boden unter den Füßen verlor.
"Scoglio!" Der Troll hatte ihn hoch gehoben und ihn auf seine Schulter gesetzt. Nun, walzte er bequem durch die letzten Reste des Getümmels aus der Zehntes-Ei-Straße heraus.
"Ich mir schon Sorgen gemacht. Du unterwegs jemand kennen gelernt hast?", fragte der Troll mit Blick auf das Baby in Damiens Armen.
"Ähm, das erkläre ich dir später", sagte Damien.
"Jaja, es immer und überall passieren kann", grollte der Troll.
Sie stoppten etwa zwei Straßen von der Zehntes-Ei-Straße entfernt. Hier fanden keine Kämpfe statt. Es kam Damien fast wie eine fremde Welt vor, so sehr hatte er sich an den heutigen Schrecken gewöhnt. Der Troll setzte ihn ab und Damien blickte sich um. Eine Menge S.E.A.L.S.-Wächter waren hier, verdreckt und müde, wie er selbst auch. Außerdem ein gutes Dutzend Zivilisten einige unverletzt, jedoch auch ein großer Teil an Verwundeten.
"Wo ist Cim?", fragte Damien den Troll.
Cim befand sich gerade in einem kleinen Disput mit einer Dame.
"Du Hundemörder!"
"Jetzt hör mal, gnä' Frau..."
"Du bist Schuld, dass mein Rufus dort drin wahrscheinlich zu Tode getrampelt wurde!!!"
" Hör mal, den Verlust deines Hundes kannst du ja wohl kaum der Wache anlasten!"
"Ach nein? Wer soll ihn denn sonst hingerafft haben? Die Hundegrippe etwa?"
"Wäre doch gut möglich, findest du nicht?"
"Also..."
"Damien!" Cim war erleichtert, endlich einen Vorwand gefunden zu haben, das unangenehme Gespräch zu beenden, und eilte auf den Szenekenner zu.
"Wie ist es dir ergangen. Dort drüben ist schon kaum noch was los, ich glaube sie verlieren langsam die Lust an dem ganzen Zirkus! Und die Verstärkung dürfte jeden Moment... Was ist das?", fragte er mit verdutztem Blick auf das Baby.
"Oh, nur ein Souvenir", sagte Damien trocken. "Ich fürchte wir dürften vorübergehend einige Arbeit damit haben haben..."
Später traf die Verstärkung ein. Es befanden sich so gut wie keine Zivilisten mehr im Krisengebiet, nur noch die Kämpfenden. Viele der Urheber des Terrors hatten sich verdrückt, als sie gemerkt hatten, dass es brenzlig wurde. Doch der Rest von ihnen bemerkte gar nicht wie sich die Schlinge zuzog. Dutzende von schwarz-gelben Barrikaden wurden auf Karren herbeigeschafft. Die Wächter schafften es, die wichtigsten Ausgänge der Straße rechtzeitig zu versperren, so dass es für den Großteil der übrig Gebliebenen kein Entkommen gab.
Während Scoglio, Cim und Damien, das ganze nicht ohne gewisse Genugtuung beobachteten, wurde es dunkel. Was verwunderlich war, denn es war noch heller Nachmittag.
"Nanu, es schon Abend sein?", grollte der Troll verwundert.
"Nein, das ist eine Sonnenfinsternis", sagte Cim.
"Was ist Sonnenfinsternis?"
"Wenn es düster wird, obwohl es normalerweise hell bleiben sollte", erklärte Damien. So wie heute, dachte er.
EPILOG:
Später stellte sich der Grund für den Schrecken an jenem Tag heraus. Die sich bekämpfenden Gruppen waren die Anhänger zweier gegensätzlicher extremer Abspaltungen des omnianischen Glaubens gewesen. Sie hatten das "neutrale" Terrain als Austragungsort für ihre religiösen und ideologischen Differenzen genutzt. Kein Wunder dass sie Oberfeldwebel Bürstenkinn vertraut vorgekommen waren. Es waren seine eigenen Landsleute
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