Ein Mörder hat es auf die Zwerge von Ankh-Morpork abgesehen. Wird es RUM gelingen, ihn zu stoppen, bevor es zu einem Aufstand kommt?
Dafür vergebene Note: 12
Es ist Winter. Ich liege im Schnee, ein kaltes Bett. Ich muss tot sein, denn ich fühle nichts mehr. Mein Gesicht ist dem weißen Himmel zugewandt, stille Flocken rieseln auf mich herab. Die Flocken schmelzen nicht, wenn sie mein Gesicht, meine Haut berühren. Ich bin so kalt, wie die Welt um mich herum. Ich erhebe mich, taste meinen Körper ab. Direkt unterhalb meines Herzens ist eine Wunde, ein Speer, den der Feind in mich hinein stieß, um sicher zu stellen, dass ich tot bin. Doch nun spüre ich wieder den Schlag meines Herzens, zeitverzögert, wie eingefroren. Ich nehme einen Speer und gehe von Reihe zu Reihe auf der Suche nach den Feinden. Doch Niemanden haben sie zurück gelassen, keine Lebenden, keine Toten. Um mich herum ein Friedhof, der Schnee ist ihr Grab. Er lässt uns verschwinden, auch mich, auch jedes Geräusch, dass mein Schritt macht. Ich muss tot sein.
***Das federnde Sirren des Schwertes dröhnte in Tussnelda von Granticks Ohren. Sie stand in der augenblicklich leeren Produktionsstätte für Falltüren und trainierte ihre Kampfeskunst. Ja, es stimmte, als Püschologin benötigte sie selten eine Waffe. Erfahrung aber hatte ihr gezeigt, dass es bei RUM nicht schaden konnte, sich zu wehren zu wissen. Auch die Stimme des Vaters gemahnte sie zur Ertüchtigung und so turnte sie behände durch die Halle, zerteilte mit ihrer Klinge gekonnt die Luft, übte das "Dach", den "Zwerg" und allerhand Angriffstaktiken wieder und wieder. In Herz, Seele und Leib musste jeder Schlag übergehen, bis der Instinkt das Ruder übernehmen konnte. Erst, als ihr Körper in der Kühle vor Schweiß dampfte, ließ sie es für den heutigen Morgen genug sein.
Schnellen Schrittes erklomm sie gerade rechtzeitig die Wendeltreppe, die das Fabrikgebäude mit ihrem Haus verband, bevor die ersten Arbeiter erschienen, um ihr Tagewerk aufzunehmen.
Oben angekommen, suchte sie zunächst das Badezimmer auf. Dankbar dachte sie an Michael Hochrost, der sein Heim mit derlei Annehmlichkeit ausgestattet hatte. Nachdem sie sich mit kaltem Wasser erfrischt und gereinigt hatte, blickte sie strahlend in den Spiegel. Ein gänzlich ungewohnter Anblick, so ganz ohne Akne, so rein, so klar, so frisch! Aus purer Sparsamkeit hatte sie die Rosencreme verwendet, die sie während des Falles "Pumpernickel"
[1] erstanden hatte. Man kaufte schließlich nichts, um es wegzuwerfen. Niemals hätte Tussi damit gerechnet, das die Creme eine positive Wirkung zeitigen würde.
Für die junge Gefreite lief alles bestens. Nicht nur, dass sie ihre Hautprobleme in den Griff bekommen hatte, auch die Wendung, welche sie nun über ein ganzes Haus verfügen ließ
[2], verlieh ihr erheblich Auftrieb. Beschwingt zog sie ihre Uniform-Jacke über, sputete die Wendeltreppe hinab und verließ, nach raschem Gruß an die Arbeiterschaft, das Haus.
Wie üblich um diese Zeit, lief ein Zeitungsjunge der Times durch die Kurze Strasse und pries das neuste Exemplar an. Tussnelda hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Tag die Zeitung zu lesen. Immer noch gab es viele Dinge in Ankh-Morpork, die sie nicht kannte und die Times war eine unterhaltsame Möglichkeit, zu lernen. Außerdem gab es eine Rubrik, die sich "Fernblick" nannte. Allerhand Nachrichten über die Städte des Rundmeeres waren dort zu lesen und wenn in Quirm mal was passierte, würde es dort stehen. Als sie jedoch im Stehen zur Seite 13 blätterte, fand sich nur eine Bildunterschrift unter der Ikonographie eines verschneiten Schlachtfeldes: "Neuer borogravischer Krieg richtet ein
Blutbad an".
***Die Poststation war zweckmäßig. Eine Scheune für die Pferde, ein gut beheiztes Haus für die
Postkutscher, ein Tresor für die Sendungen, ein Gasthaus. Viel Betrieb herrschte hier nicht mehr, die glanzvollen Zeiten der Postkutschen waren mit dem Aufkommen der Nachrichtentürme vorbei. So saß nur ein einziger Mann im Haus, der seinen Kakao schlürfte und darauf wartete, dass die Wärme in seine Glieder zurückkehrte. Hakennasig und dünnlippig war der einsame Kakaoschlürfer, außerdem von schlanker Statur und nobler Haltung.
Als die Türe aufknallte, schaute der Mann kaum auf, er stellte schlicht seine Tasse ab und besah sich den Ankömmling.
"Jonathan", brummte er, "Jonathan, was treibt dich hier her? Es ist Jahre her."
Hinter dem Mann schimmerte die weiße Silhouette einer Winterlandschaft. Es hatte angefangen zu schneien.
***Ophelia Ziegenberger saß in der schwarz lackierten Kutsche ihrer Schwester und spähte zwischen den Spitzengardinchen hinüber zum Ladengeschäft von Burlich & Starkimarm. Eine Reihe von Morden war geschehen, alle Opfer waren Zwerge gewesen. Die RUM hatten wenig bis gar keine Anhaltspunkte und so behielten die verdeckten Ermittler alle beliebten Zwergentreffpunkte im Auge. Einmal mehr war es sehr bedauerlich, keinen Zwerg als verdeckten Ermittler zur Verfügung zu haben. Und gerade bei Fällen, in die Zwerge involviert waren, hieß es, zu einer schnellen Aufklärung zu kommen. Gar zu schnell kamen wieder gehässige Vorwürfe an die Oberfläche, hinter all dem könne doch nur ein Troll stecken. Schaudernd erinnerte sich Ophelia an die letzten Unruhen dieser Art. Nur das rasche Eingreifen der FROG hatte damals eine Katastrophe größeren Ausmaßes abwenden können.
Die Obergefreite seufzte leise. Bisher hatte ihre Observation nichts ergeben und es sah nicht danach aus, als würde noch etwas Interessantes passieren. An diesem nass-feuchten Tag traute sich kaum jemand aus dem Haus. Der Schnee, der vor einigen Tagen eingesetzte hatte, veranlasste die Bewohner Ankh-Morporks, gemütlich vor einem Feuerchen sitzen zu bleiben. Lediglich einmal war eine Kutsche vorgefahren. Es schien sich aber nur um einen Kunden zu handeln.
***Auch Aven Resta erschauderte im Augenblick. Zu frisch war die Erinnerung an seinen letzten Versuch, einen Zwerg als Informanten zu verpflichten
[3]. Mit seinem zweiten Anlauf hatte er es zwar doch noch geschafft, aber das hatte ihn einen beachtlichen Teil seines eigenen Soldes gekostet. Natürlich hätte er versuchen können, das Geld zurück erstattet zu bekommen. Die Vorstellung wie die Schäfin das Gesicht verzogen hätte, hatte ihn allerdings davon abgehalten.
Heute war es Avens Aufgabe, heraus zu finden, woran die Opfer der letzten drei Verbrechen eigentlich gestorben waren. Nicht nur in dieser Hinsicht waren die Zwerge nämlich ein eigensinniges Volk. Kaum hatten sie davon Wind bekommen, dass ein toter Zwerg auf der Gasse lag, hatten sie ihn auch schon abtransportiert und nach alter Sitte in einer Schmiede aufgebahrt. Keine Chance also für ein Tatortsichererteam und schon gar nicht für die Gerichtsmediziner von SUSI, heraus zu finden was vorgefallen war. Ebenso viel "Zurückhaltung" übten die Zwerge bei dem Versuch einer Zeugenbefragung.
"Nichts für euch", hatten sie mehrstimmig gebrummt, sich an ihren Bärten gekratzt und waren weitergegangen.
"Nun hängt es mal wieder an uns", dachte Aven grimmig und pfiff dreimal, als bewundere er eine hübsche Frau. Dieses wenig subtile Zeichen hatte sich sein Informant ausgedacht, ein Zwerg namens Aloc Brausegesicht.
"Also?", brummte Aloc mit der Fistelstimme eines Gnoms, "Ich hab deine Nachricht gekriegt. Hast du Gold?"
Aven nickte schlicht und zog den kleinen Klumpen Gold hervor, den er für diesen Zweck zugeteilt bekommen hatte.
"Ich hoffe, die Informationen sind es wert."
"Das lass mich entscheiden", mit gierig funkelndem Blick streckte der Zwerg die Hand nach dem Klumpen aus. Aven zog ihn zurück.
"Nicht so schnell. Erst erfahre ich, was ich wissen muss", sagte er fest, steckte das Gold wieder in die Tasche und bedeutete dem Zwerg ihm zu folgen, "gehen wir eine Runde um den Block."
Griesgrämig verzog Aloc das Gesicht, ging aber dennoch mit. Der Ruf des Goldes war zu stark, um jetzt den großen Mann, Pardon Zwerg, zu spielen.
"Ist schon so, wie man sagt. Alle wurden erstochen. Aufgespießt eben."
"Aufgespießt? Und ganz sicher keine Quittung?"
"Ach was", keifte der Zwerg unleidlich, "aufspießen tut doch kein Assassine. Die Wache ist net so gescheit, hm?"
Nur mühselig gelang es Aven sich zu beherrschen. Ihm war klar, dass Aloc momentan der einzige Informant für RUM in der undurchsichtigen Welt der Zwerge war. Allein deshalb musste er den unsympathischen Wicht bei Laune halten.
"Jaja", sagte er also, "zum Glück haben wir Gold. Aber jetzt mal zurück zu den Morden. War irgendwas auffällig?"
"Dass sie tot waren. Das fiel schon ganz schön auf", grinste Aloc frech, "die Waffe kam scheints immer von Burlich. Jetzt her mit dem Gold."
"Nicht so schnell", Aven zog den Goldklumpen hervor, "ich brauche die Namen. Du kennst sie."
"Hmpf!", machte Aloc zornig und zog einen gerollten Zettel aus seinem Wams.
***Ilona Istnichtgut Feldacker befand sich zum gleichen Zeitpunkt am anderen Ende der Stadt. Auch sie schauderte, in diesem Fall nicht wegen unangenehmer Erinnerungen, sondern wegen des ausnehmend schlechten Wetters. Wenigstens war ihre Ausbeute bisher saftig, ein ganzer Stapel Hinweise zu allen möglichen Fällen oder solchen, die es noch werden wollten. Nun steuerte sie den letzten Kasten ihrer Route an und blies dabei kontinuierlich in ihre klammen Hände. Wieder wurde sie fündig. Eine schmierige Rolle Papier lag dort, die augenscheinlich eine lange Reise hinter sich gebracht hatte. Zufrieden sackte sie auch diesen potentiellen Hinweis ein und kehrte endlich zur warmen Wache zurück. Sie merkte nicht, dass sie von einem verstohlenen Augenpaar beobachtet worden war...
*** Der Duft von frischem Kaffee hing im Raum. Irgendjemand hatte etwas Gebäck mitgebracht, das von den Anwesenden geräuschvoll verspeist wurde. Die meisten Mitglieder der SUKZ (Sonder-Untersuchungs-Kommision-Zwerge) waren versammelt, nur die Kollegen die als verdeckte Ermittler unterwegs waren fehlten.
"Also, Leute, wie sieht es aus?", versuchte Kathiopeja für Ruhe zu sorgen, eine Rolle, die ihr eigentlich völlig fremd war. Nervös trommelte sie mit den Fingern auf der Tischplatte, als niemand ihr Gehör schenkte.
"Ich werde jetzt also die Situation zusammen fassen", versuchte es die Ermittlerin noch einmal und warf ihr silbernes Haar über die Schulter, "und ich denke, dieser Fall ist wichtig genug, dass wir ALLE ihm gebührende Aufmerksamkeit schenken."
Die Gefreite räusperte sich vernehmlich und tatsächlich, nun flogen ihr die schuldbewussten Blicke der Anderen zu. Befriedigt nickte sie und schlug ihren Notizblock auf.
"Wir haben also drei Morde innerhalb der letzten sieben Tage gehabt. Alle Opfer waren Zwerge. Bei keinem Opfer konnten wir eine Obduktion durchführen lassen, weil die Zwerge dies verhinderten."
Tussnelda schnipste energisch mit den Fingern.
"Ja?", forderte sie Kathiopeja leicht enerviert auf, sich zu äußern.
"Haben wir nicht das Recht die Leichen einzufordern? Immerhin sind wir die Wache. Und es sind Morde geschehen", erleichterte sich die Püschologin.
"Das ist ja schön und gut. Aber der Aufruhr unter den Zwergen ist auch so schon groß genug. Wir haben Weisung von höchster Stelle", Kathiopeja machte eine bedeutungsschwangere Pause, "das nicht noch schlimmer zu machen. Und wenn wir vehement auf unser Recht pochen würden, wäre genau das der Fall. Aber", die Gefreite machte eine beschwichtigende Geste, "sollten wir durch unsere Informanten und die verdeckten Ermittler nicht schnell zu Ergebnissen kommen, wird uns keine andere Wahl bleiben, als doch noch die Leichen zu besorgen."
"Also vorerst Eine Ermittlung ohne Leiche?", fragte Tussnelda skeptisch.
"Du hast es gehört. Okay, Aven schieß mal los. Konnte dein Informant uns helfen?"
Aven verzog missleidig das Gesicht. "Die Todesursache konnte er mir sagen, ebenso die Namen", der Anwerber reichte der Ermittlerin die Schriftrolle, "dort stehen sie. Krischnak Silberhaar, Dante Eisenfaust und Grotwig Hammerhall. Alle drei wurden auf offener Strasse aufgespießt, wie mein Informant es so schön ausdrückte. Dafür wurde anscheinend immer eine Waffe von Burlich & Starkimarm benutzt."
"Gab es eine Quittung?", erkundigte sich Tussnelda.
Aven schüttelte den Kopf. "Ganz eindeutig kann ich das nicht sagen. Aber so etwas entspricht nicht ganz dem Stil eines Assassinen", erklärte er.
"Ich werde trotzdem die DOG bitten, das für uns abzuklären", fiel Kathiopeja ein und wandte sich dann an Frän und Tussnelda, "würdet ihr zwei bitte unsere Akten auf diese Namen hin überprüfen? Und versucht doch bitte auch, einen Zeugen aufzutreiben. Die Toten wurden jeweils hier, hier und hier", die Ermittlerin wies in Richtung Stadtkarte, auf der, mittels dreier roter Fähnchen die Fundorte markiert waren, "gefunden. Tut mir den Gefallen und klappert das Gebiet weiträumig ab. Ich werde dabei helfen."
Die beiden Püschologen nickten. Normalweise war das zwar nicht ganz ihr Aufgabengebiet, aber sie waren doch froh, neben staubiger Büroarbeit auch mal eine Abwechslung zu bekommen. Die Ermittlerin wandte sich wieder an Aven Resta:
"Versuch du doch, weitere zwergische Informanten zu finden. Vielleicht erfahren wir so mehr."
Aven verzog sein Gesicht und schüttelte gemächlich den Kopf. "Hast du eine Ahnung, wie schwer es war, überhaupt den einen zu finden?", protestierte der Anwerber.
"Versuch es einfach!", die Gefreite grinste leicht. "Du schaffst das schon", fügte sie mit einem Optimismus hinzu, der nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aven hatte schon oft von den Schwierigkeiten erzählt, einen Zwerg als Informanten zu verpflichten.
"Können wir eigentlich ausschließen, dass es ein innerzwergisches Problem ist?", fragte Tussnelda.
"Nein. Aber die Verschlossenheit, mit der die Zwerge auf die Sache reagierten, lässt das vermuten."
"Trolle?", gab die Püschologin zurück.
"Genauso möglich. Momentan können wir nichts ausschließen, weil wir nichts haben", die Ermittlerin seufzte vernehmlich, "es sei denn, es geschieht ein Wunder und Ilona hat was?"
Unangenehm spürte nun die Kontakterin die Blicke Aller auf sich ruhen. Unruhig zog sie ihren Notizblock hervor, blätterte einige Seiten durch und sagte dann:
"Also, von Ophelia und den anderen habe ich noch nichts gehört. Sie behalten die gängigen Orte im Auge. Die Info über das vermutliche Tatwerkzeug lasse ich ihr sofort zukommen. Demnächst kriege ich dann sicher einen Bericht. In den Untoten Briefkästen war eine ganze Menge drin."
Ilona verstummte und starrte blicklos auf die Tischplatte.
"Ist noch was?", fragte Kathiopeja, sichtlich gestresst. Prompt kassierte sie einen bitterbösen Seitenblick von Tussnelda, die sich nun vorbeugte und die blasse Ilona genau ansah.
"Möchtest du drüber reden?"
Ilona schluchzte leicht auf und schüttelte unwirsch den Kopf. Stattdessen legte sie ganz vorsichtig eine dreckige Papierrolle auf den Tisch und bemühte sich dann, in eine andere Richtung zu sehen.
Mit einem Schulterzucken zog sich Tussnelda ein paar Handschuhe über und nahm die Rolle an sich. Sie war eigentümlich schwer und beim näheren Hinsehen erkannte die Gefreite, dass es sich eher um ein röhrenförmiges Paket handelte. Lederbändel verschlossen die beiden Enden und Tussnelda löste vorsichtig einen davon, um dann den Inhalt sachte herauszuschütteln.
Alle schnappten erschrocken nach Luft.
Vor ihnen auf dem Tisch lagen drei Finger.
***Vernünftigerweise hatte Kathiopeja eine Pause angeordnet. Sie selbst hatte die unangenehme Pflicht übernommen, die drei Finger zur Untersuchung bei SUSI vorbeizubringen. Die beiden Püschologen, Frän und Tussnelda indes hatten Ilona zur Seite genommen.
"Warum hast du nicht gleich was gesagt?"
Ilona zuckte mit den Schultern. "Als ich das aus dem Untoten Briefkasten geholt habe, ist mir gar nichts aufgefallen. Dann hab ich die typischen Untersuchungen vorgenommen, Sprengstoff und so weiter. Hab mir Handschuhe angezogen und das da rausgeholt... ", Ilona brach ab, der Schock stand ihr noch zu deutlich ins Gesicht geschrieben. Tussnelda verfluchte sich selbst im Stillen dafür, dass ihr nicht aufgefallen war, wie ruhig Ilona während der ganzen Sitzung gewesen war.
"Ist in Ordnung", sprach Frän beruhigend auf die Kollegin ein und legte ihr den Arm um die Schulter, "so was kann passieren. Das gehört eben zum Tschob."
"Aber wer schmeißt drei Finger in einen Untoten Briefkasten?", begehrte Ilona auf.
"Das werden wir rausfinden", murmelte Tussnelda von Grantick betroffen.
***Kalter Stahl, unbarmherzig. Mühelos durchdringt er das weiche Gewebe seines Bauches. Das Leben in seinen Augen bricht, viel zu schnell. Wie soll er das Leid fühlen? Wie soll er es verstehen? Der scharfe Schmerz, der mein Herz durchzieht, ich beachte ihn nicht. Mit einem Ruck breche ich die Stange vom Schaft, wie ein großer Dorn ragt er nun aus dem Bauch des abscheulichen Zwergs. Sein Herz pumpt Schwall über Schwall seines dunklen Blutes auf den mondbeschienenen Asphalt. Weißer Schnee färbt sich. Plötzliche Erinnerungen überragen die Szene. Tote, keiner kennt ihre Namen. Doch der Name des Zwerges, ihn wird man wissen. Rasch durchtrenne ich das unterste Glied seines Zeigefingers. Man wird ihn kennen.
***"Scheiße!", fluchte Kathiopeja leidenschaftlich. Gerade eben hatte Aven ihr Büro betreten und ihm war sofort anzusehen gewesen, dass es wieder geschehen war. Diesmal hatten nicht zuerst die SEALS, sondern die Zwerge selbst den Toten gefunden und ihn sofort wegschaffen lassen. Nur Avens unermüdlichem Einsatz war es zu verdanken, dass sie nun überhaupt etwas davon wussten. Thorn Eisenfaust, der Bruder von Opfer Nummer zwei, lag jetzt also ebenfalls in irgendeiner Schmiede aufgebahrt. Abgesehen davon hatte Aven noch mehr erfahren können. Tatsächlich verhielt es sich so, dass allen Opfern der Zeigefinger abgeschnitten worden war. Vermutlich waren also die drei Finger, welche die Ermittlerin bei SUSI abgegeben hatte, die der bisherigen drei Opfer. Nun, das würde sich herausfinden lassen. Wer aber hatte die Finger in dem Untoten Briefkasten deponiert? Die Gefreite war überzeugt dass des Rätsels Lösung die Ermittlung einen raschen Schritt nach vorne bringen würde.
"Wie viele untote Briefkästen haben wir eigentlich in der Stadt?", fragte sie den Anwerber.
"Das musst du Ilona fragen", meinte er und rieb sich unbehaglich mit dem Kinn die Schulter.
"Schickst du sie mir eben?"
"Wird gemacht, Boss", erwiderte er sarkastisch und verließ das Büro.
"Was denkst du?", wandte sich Kathiopeja an Tussnelda, die gerade bei ihr war, um etwas Kaffee zu stibitzen. Die Püschologin gehörte zu den Leuten, die nicht in der Lage waren, Kaffee zu bereiten, der ihnen selbst schmeckte.
"Du hast Recht", Tussnelda stellte ihren vollen Becher auf die Kante des Schreibtisches und nahm Platz, "wenn wir die Briefkästen im Auge behalten, ist es möglich, dass wir den Mörder erwischen. Wer sollte uns auch diese Hinweise schicken wollen? Die Zwerge wohl nicht. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, der Täter versuche, auf sich aufmerksam zu machen. Vermutlich eher noch auf seine Tat. Als wollte er, dass wir ihn erwischen und ihn davon abhalten. Wenn wir doch nur die Leichen hätten..."
Tussneldas Blick wanderte in die Ferne und ihrer Kollegin schwante Übles. Die Püschologin war ein Fall für sich. Einerseits verabscheute sie den Anblick jeglicher Leiche, Verletzung oder anderer blutiger Dinge. Andererseits war sie die Erste, die bei den Susen auf der Matte stand.
"Wenn ich wüsste, wie die Opfer genau getötet worden sind, könnte ich wertvolle Rückschlüsse auf die Püsche des Täters gewinnen. Welchem Ritus folgt er? Das ist so wichtig...", die Gefreite brach ab und griff nach ihrer Tasse.
"Wie sieht es mit dem Durchforsten der Akten aus?", wechselte Kathiopeja das Thema.
"Wir haben die halbe Nacht dran gesessen. Und sind fündig geworden. Aber soll ich das nicht lieber bei der Besprechung erzählen?"
Ilona betrat den Raum. Die Gefreite war blass, ihre Bewegungen wirkten fahrig. Scheinbar hatte sie der makabere Fund weitaus mehr mitgenommen, als die Püschologin zunächst vermutet hatte. Oder war nicht das der Grund?
"Du wolltest mich sprechen?", wandte sich die Kontakterin an Kathi und knallte im gleichen Moment eine kleine Rolle auf den Tisch.
Die Ermittlerin starrte erst auf die Rolle und blickte dann fragend zu Ilona. "Ist es, was ich denke, dass es ist?", fragte sie zögerlich. Ilona begnügte sich mit einem Nicken.
"Oh!", machte Tussnelda und wandte sich ab, als Kathiopeja das unselige Päckchen vorsichtig öffnete. "Warum bringst du das nicht gleich zu SUSI?", fragte sie mit leidendem Gesichtsausdruck.
"Erledige du das", bat die Ermittlerin, schob den grausigen Inhalt wieder hinein und erhob sich, "Ilona und ich gehen schon mal zur Besprechung. Komm nach!"
***"Es gibt mindestens einhundert in ganz Ankh-Morpork. Alle kenne noch nicht mal ich", erklärte gerade Ilona, als sich die Türe öffnete und Tussnelda herein kam. "Wir haben sie unter uns aufgeteilt. Ich werde Lance-Korporal Pyronekdan fragen und auch Thask. Dann kann ich Genaures sagen."
"Schon mal vorab: Denkst du, es ist möglich, sie alle zu observieren?", erkundigte sich Aven Resta.
Ilona schüttelte den Kopf. "Absolut unmöglich. Es sind viel zu viele. Wir haben noch nicht einmal eine aktuelle Liste, wo alle stehen. Das ist quasi mündliche Überlieferung von Kontakter zu Kontakter", erklärte die Gefreite und nahm sich einen Keks. Offenbar hatte sie diesen jüngsten Schreckensfund besser weg gesteckt, als den ersten.
"Darf ich?", meldete sich Tussnelda und setzte sich auf ihren gewohnten Stuhl unter dem milchig-trüben Fenster des Besprechungsraums.
"Sicher."
"Die Vermutung, dass der Täter uns diese grotesken Nachrichten hinterlässt, hat sich verdichtet. Was uns nämlich weder beim zweiten, noch beim ersten Fund aufgefallen war, ist das nicht nur die Finger an sich eine Nachricht darstellen. Sondern auch die Verpackung. Hier." Tussnelda entrollte den schmierig-roten Papierfetzen auf dem Tisch. Darauf stand in gestochen scharfer Handschrift:
300 Namenlose fordern drei schuldige Opfer.
"Seht ihr, was ich meine? Auf dem Zweiten genau das Gleiche, nur das der Stand eben bei vier zu dreihundert steht."
"Um aller Götter Gnade!", flüsterte Ilona beinahe andächtig.
Eine Weile schwiegen alle Mitglieder der SUKZ, jeder hing seinen eigenen, verhängnisvollen Gedanken nach. Ein Blutbad, das war es, was sich da eben angekündigt hatte. Und wenn die Zwerge davon erführen... Dieser Fall nahm Dimensionen an, die Jedem des jungen Ermittlerteams gänzlich fremd waren. Frän brach zuerst die Stille:
"Wir können also nicht alle Untoten Briefkästen kontrollieren. Aber ich denke auch nicht, dass wir das brauchen. Bisher fand alle Hinweise Ilona. Wenn es dabei bleibt, können wir den Aktionsradius erheblich einschränken. Außerdem haben wir beim Durchstöbern der Akten eine interessante Feststellung gemacht", die Gefreite blätterte in ihren Notizen und blickte dann in die Runde, "wir haben die drei Namen überprüft. Jeder einzelne von ihnen ist aktenkundig. Und, wenn ich recht erinnere, ist auch Thorn Eisenfaust in ein Verbrechen verwickelt gewesen. Nichts Besonderes. Diebstahl, Schmuggelei, solche Sachen. Die Akten haben wir schon zu SUSI geschickt, damit sie prüfen können, ob die Fingerabdrücke mit unseren Funden übereinstimmen."
"Drei schuldige Opfer", sinnierend hatte die Gefreite von Grantick ihre Kollegin unterbrochen, "das ist eine merkwürdige Formulierung. Wenn wir aber davon ausgehen, dass der Täter wusste, das alle Opfer kriminell waren, passt sie ins Bild."
"Gute Arbeit", meinte Kathiopeja anerkennend, "ich glaube übrigens nicht, dass wir den Fall weiter in diesem kleinen Kreis belassen sollten. Ich werde den Feldwebel um Verstärkung aus den anderen Abteilungen bitten. Wenn wir alle Untoten Briefkästen auf Ilonas Route kontrollieren wollen, brauchen wir nicht nur RUM."
Vernehmlich räusperte sich Tussnelda von Grantick. "Nachdem sich unsere Vermutung", sie zeigte auf sich und Frän, "bestätigt hat, dass der Täter es auf die kriminellen Zwerge abgesehen hat, sollten wir uns auf die aktenkundigen Zwerge konzentrieren und sie schützen. Ich denke übrigens, ohne die FROG werden wir nicht auskommen."
Wieder Stille im Raum. Alle Blicke waren auf Tussnelda gerichtet, nur Frän war in die Untersuchung eines Kekses vertieft.
"Ja, die FROG. Wir allein sind einem so unfassenden Einsatz einfach nicht gewachsen", verteidigte sich die Gefreite.
"Ich dachte eher an die SEALS. Gerade für den Personenschutz der Zwerge. Wofür gibt es schließlich VEKTOREN?", meinte Kathiopeja.
"Von mir aus auch die", schnappte Tussnelda zurück.
"Abgesehen davon können wir uns jetzt keinen Fehler erlauben", grimmig hatte Kathiopeja das Gesicht verzogen. Die aufgebürdete Verantwortung machte ihr schwer zu schaffen. "Damit meine ich, dass wir die Untoten Briefkästen berücksichtigen sollten. Wenn ihr mit euren Vermutungen falsch liegt, wäre das fatal."
"Vermutungen?", Tussnelda hatte die Frage gefährlich leise ausgesprochen, leichte Röte überzog ihr Gesicht.
"Jawohl! Vermutungen!", Kathi sah die Gefreite mit zusammen gezogenen Augenbrauen an, "Die Püschologie kann uns eben nicht alle Antworten geben. Wir können nicht riskieren, dass die Spur im Sande verläuft... Hier geht es nicht um Theorie, sondern um Menschenleben!"
"Das ist keine Theorie, das ist Erfahrung", keifte Tussnelda die Freundin an.
"Jetzt mal ganz langsam. Kein Grund, überzureagieren. Ich spreche mit der Schäfin. Sie wird uns sagen, wie wir mit der Sache umgehen sollen. Lasst uns hier Schluss machen. Ihr wisst, was ihr zu tun habt."
Mit einem letzten bösen Blick auf Tussnelda verließ sie den Raum.
***Ophelia ahnte nichts von dem
Affenzirkus, der sich gerade bei ihren Kollegen abspielte. Vielmehr saß sie totenstill in ihrer Kutsche, schielte schon seit Stunden durch die Spitzengardinchen und wunderte sich. Und zwar darüber, dass sie schon wieder eine Kutsche vor Burlich & Starkimarm halten sah. Es schien exakt dasselbe Exemplar zu sein, wie am gestrigen Tage. Entweder waren die Waffen von Burlich & Starkimarm nicht mehr so solide wie sonst oder jemand hatte gehörigen Verschleiß.
Schnell schickte sie eine Brieftaube an Ilona, damit sie einen verdeckten Ermittler vor dem Geschäft der Zwerge positionierte. Sie selbst stellte sich auf eine vorsichtige Verfolgung ein...
***"Da ist jemand hinter uns", raunte Frederick seinem Bruder zu.
"Wir entkommen." Jonathan hockte in der Kutsche. Durch einen Schlitz im Holz der Kutsche konnten sie miteinander sprechen, ohne dass Frederick seinen Kutschbock dazu verlassen musste. Nun presste er sein Ohr an den Schlitz und lauschte den leicht beschleunigten Atemzügen seines Bruders. Er schmeckte Freds Aufregung, er roch seine Angst. Und das so grundlos.
"Wechsele auf die andere Fahrbahn!", wies er ihn an. Fred schnaufte deutlich.
"Das wird ein Verkehrschaos anrichten, Jon. Wir bringen nicht nur uns in Gefahr."
"Wechsele die Bahn!"
Der Kutscher tat, wie ihm geheißen. In der kurzen Zeit, die sein Bruder nun bei ihm war, hatte er gelernt, ihn zu fürchten. Erbarmungslos war er geworden und kalt, so ganz anders, als in den weit zurück liegenden Tagen ihrer Kindheit. Wie oft schon hatte er sich gewünscht, dass er niemals fort von der Familie gegangen wäre. Vielleicht hätte er diese Wendung aufhalten können? Jonathans fixe Idee, dass die Zwerge Schuld waren, hatte er freilich durch alles Reden und Überzeugen nicht wegwischen können. Natürlich gab ihm Fred in einem Punkt Recht: Hätten die Zwerge keine Waffen in das Land geschmuggelt, der Krieg hätte schon längst aus sein können. Ihre zwei Brüder hätten nicht sterben müssen. Andererseits hatte niemand Konstantin und Lorenzo gezwungen, das Schwert in die Hand zu nehmen. Wäre er selbst da gewesen, vielleicht hätte er sie daran hindern können... Insgeheim gab er sich für all das, was nun geschah die Schuld. Deswegen blieb ihm auch keine andere Wahl, als seinen jüngsten Bruder zu unterstützen, bei dem was dieser tun musste. Oder glaubte, tun zu müssen.
Zu dieser Tageszeit war der Verkehr selbst im verschneiten Ankh-Morpork sehr dicht. Kaum hatte Fred den Zweispänner auf die andere Fahrbahnseite gelenkt, brach Chaos aus. Ein Vierspänner wechselte panisch auf die andere Seite und fuhr somit genau in die Kutsche hinter ihnen. Holz splitterte, Gäule wieherten angstvoll. Ein graugecheckter Kaltblüter stieg auf die Hinterhufe und traf dabei einen Passanten am Kopf, der ohnmächtig zusammenbrach. Kinderschreie wurden plötzlich laut und eine dichte Wand aus Gaffern bildete sich lichtschnell um die Gasse. Etliche Kutschen folgten, verkeilten sich ineinander oder krachten in Laternenpfähle. Keifende Kutschenbenutzer entstiegen den nutzlos gewordenen Karossen und beschimpften ihre Angestellten, auch Jonathan war dabei. Er ließ sogar ein paar kraftlos wirkende Hiebe auf den Bruder niederprasseln, nur zur Tarnung allerdings, um ihn dann effektvoll meckernd in eine Gasse zu ziehen. Kaum waren sie den Blicken Anderer entzogen, rannte er los. Frederick keuchte hinterher. Was blieb ihm schon übrig?
***Ophelia war bei dem Zusammenstoss hart gegen die Rückwand geschleudert worden. So bekam sie nicht mit, dass mit nur wenigen Minuten Verzögerung die SEALS auf den Plan traten, um wieder für Ordnung zu sorgen.
Der Gefreite Johan Schaaf war dort, beruhigte die Geschädigten des Unfalls und kritzelte fleißig auf seinem Notizblock. Dabei unterbrochen wurde er nur von gelegentlichen Niesern, die er seinen zahlreichen Allergien zu verdanken hatte.
Außer dem Gefreiten Schaaf hatten sich auch etliche VEKTOREN eingefunden, die ebenfalls Leute beruhigten und gleichzeitig prüften, ob in den Kutschen vergessene Verletzte lagen. Auch der arme Mann, den das Pferd getroffen hatte, wurde versorgt. Die Bahre der Totengräbergilde stand schon bereit.
"Soso, ein
Geisterfahrer also", murmelte Johan und begutachtete die Kutsche, die alle Beteiligten einhellig als Verursacherin des Durcheinanders bezeichnet hatten.
"Jawohl! Hat einfach die Straßenseite gewechselt, so mir nichts, dir nichts", meckerte ein Gaffer, der zum fraglichen Zeitpunkt zwar nicht persönlich anwesend gewesen war aber über "zuverlässige" Quellen verfügte. Klatsch funktionierte in Ankh-Morpork ganz hervorragend. Jeder machte mit. Das die SEALS so schnell gekommen waren, lag auch nur am funktionierenden Klatsch. Klatsch überholte jede Brieftaube.
"Von den Insassen dieser Kutsche fehlt jede Spur", konstatierte Yogi Schulterbreit.
"Kein Wunder. Wenn ich das hier veranstaltet hätte, würde ich mich auch beeilen wegzukommen", meinte Johan beiläufig.
Yogi beugte sich näher zu seinem Kollegen und flüsterte: "Hast du schon gemerkt, dass Obergefreite Ziegenberger in der einen Kutsche sitzt? Hat sie einen Einsatz?"
Johan nieste. "Hier muss irgendwo so ein Köter rumlaufen", schniefte er.
"
Hundegrippe, was?", scherzte Yogi, "Also, was ist?"
"Ha, ha!", machte Johann humorlos und nickte dann gemächlich, "Also, ich bin mir nicht sicher, aber mir ist da was zu Ohren gekommen... anscheinend ein Grosseinsatz weil einer alle Zwerge hops gehen lassen will."
Klatsch überholt jede Brieftaube. Und Klatsch hat verdammt gute Ohren..
***Ophelias Stirn zierte der obligatorische Verband, als sie in das Besprechungszimmer kam. Ihre Miene wirkte sogar von Ferne ärgerlich und so verstockten alle Gespräche rasch, als sie sich übellaunig auf einem Stuhl niederließ.
"Was ist los?", fragte Tussnelda.
"Pft!", machte Ophelia nur, nahm eine kleine Haarklammer und steckte eine Strähne ihrer roten Mähne zurück in ihre elegante Hochsteckfrisur. "Man hat mich bemerkt", sagte sie dann und schilderte in knappen Worten, was sich auf der Straße ereignet hatte. "Und so entkam mir die vielleicht heißeste Spur des Tages", endete sie sarkastisch.
"Was ist mit der Kutsche geschehen?", fragte Tussnelda.
"Wieso? Wichtig waren doch die Insassen. Und noch viel wichtiger ist, dass die Kutsche meiner Schwester eine gehörige Schramme im Lack hat. Wie soll ich der das erklären?", die Obergefreite rang die Hände.
"Wenn ein Verdächtiger darin saß, könnte die Kutsche uns etwas über ihn erzählen", erklärte die Püschologin mit leicht gerümpfter Nase. Das immer noch NIEMAND verstand, um was es bei Püschologie wirklich ging! "Wo ist sie also?"
"Beschlagnahmt. Genauso wie meine Tarnung!", die Obergefreite erhob sich wieder, "Verflixt! Wie konnte mir das nur passieren!"
***Wie immer versuchte Tussnelda von Grantick ihre Sache gut zu machen. Deswegen hatte sie sich auch sofort auf den Weg zu den Geschäftszimmern der SEALS gemacht. Nun stand sie auf dem Flur und fühlte sich recht orientierungslos. An wen sollte sie sich wenden? Mit dieser Abteilung hatte sie in den seltensten Fällen Kontakt, meist erledigte das der zuständige Ermittler. Sie fasste sich ein Herz und klopfte pragmatisch genau an die Tür, vor der sie stand.
"Ja?"
Als die Püschologin eintrat, salutierte sie automatisch. Schließlich konnte man nie wissen, wer hinter einer Bürotüre lauerte.
"Nicht so förmlich", sagte der riesenhaft gewachsene junge Mann und erhob sich, was ihn noch riesenhafter wirken ließ.
"Äh, Hallo Gefreiter", hüstelte Tussnelda.
"Was gibts denn?"
"Ja. Also. Heute, dieser Unfall mit dem Geisterfahrer. Ich würde gerne mal die Kutsche sehen, die schuld an der ganzen Sache war."
"Kein Problem, die steht unten. Komm mit."
Michael Machwas, so stellte sich der Gefreite vor, führte Tussnelda hinunter, dorthin wo die SEALS beschlagnahmte Gerätschaften lagerten.
"Da ist sie. Hat kaum was abgekriegt", sagte Michael und deutete auf eine abgenutzte Kutsche. Wind und Wetter hatten Spuren hinterlassen, auf den Felgen prangte Flugrost.
"Das ist kein Ankh-Morporker Fabrikat, richtig?"
Michael schüttelte den Kopf. "Hier, diese Schlitze, das ist so nicht üblich. Ich tippe eher auf Zlobenien oder Borogravien. Glaube nicht, dass die Privatbesitz ist. Eher eine Postkutsche."
Tussnelda zuckte zusammen. Etwas von dem, was Michael gesagt hatte, berührte eine undeutliche Erinnerung, eine Ahnung der Zusammenhänge. Wenn dies die Kutsche war, die Ophelia verfolgt hatte... konnte das sein? Dass der Täter darin gesessen hatte? Die Püschologin zückte schnell den allgegenwärtigen Notizblock und vermerkte darauf, Ophelia unbedingt zu fragen, warum sie diese Kutsche für verfolgenswert gehalten hatte. Noch konnte sie nicht greifen, worauf sie damit hinaus wollte. Irgendwas war da, etwas das sie gehört hatte. Ganz beiläufig, so wie eine vergessene Schlagzeile.
"Danke. Ich glaube, das hat mir geholfen. Die Insassen der Kutsche? Wo sind sie?"
"Haben sich aus dem Staub gemacht. Kein Wunder, die haben ein ganz schönes Chaos angerichtet." Michael tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. "Sag mal, ist was dran an den Gerüchten? Das so ein Kerl alle Zwerge auslöschen will?"
"Alle?", die Gefreite stutzte kurz und fragte dann alarmiert: "Woher weißt du davon?"
Der VEKTOR zuckte die Schultern. "Gerüchte eben."
***Ankh-Morpork brummte. Es war ein tiefes, ein verärgertes Brummen, was sich da aus hunderten von Zwergenkehlen erhob und die ganze Stadt vibrieren ließ. Es geschah ganz allmählich, nahezu unbemerkt, wie Meeresbrandung die tagtäglich gegen die Küsten drischt, um dann unerwartet in einer Sturmflut zu münden. Alle SEALS waren plötzlich auf den Beinen und natürlich die FROG, um eine Bastion aus Sandsäcken gegen diese "Sturmflut" zu errichten. Metaphorisch gesprochen. Und um bei diesem Bild zu bleiben, die Lage rann wie Wasser durch ihre Finger. Der Mob wollte einen Schuldigen und wenn es der Wache nicht gelang einen zu präsentieren nun... Man würde ihn selbst finden. Die Wache hatte nicht mehr viel Zeit...
***Synchron sprangen die Mitglieder der SUKZ auf und salutierten vor ihrer Abteilungsleiterin.
"MÄM!", riefen sie alle mit einem Enthusiasmus, der zumindest für kurze Zeit ihre müden Mienen überschminkte. Doch all dieses Gepränge und Geprotze konnte Kanndra nicht beeindrucken.
"Gefreite Kathiopeja, du leitest diese Ermittlung?", fragte sie, nachdem sie knapp den Gruß erwidert hatte.
"Ja, Mäm!", erwiderte die Gefreite unglücklich.
"Na, dann werde ich dich mal ein wenig unterstützen", Feldwebel Kanndra blickte betont streng in die Runde, "ihr wisst alle, was da draußen los ist. Irgendwie haben die Zwerge wohl spitz gekriegt, dass die Morde an ihren Landsmännern nicht dem Zufall entsprechen, sondern ein exorbitantes Ziel haben. Wer oder was daran genau schuld ist, klären wir später", ein gestresster Blick traf prüfend jedes Mitglied der SUKZ, "jetzt aber: Was habt ihr?"
"Mäm?", meldete sich Ilona zu Wort, "Was heißt exorbitant?"
Kanndra verdrehte entnervt die Augen. "Der Bericht", forderte sie, nahm auf einem eilig herbei gerückten Stuhl Platz und wartete.
"Wir konnten den Kreis der Opfer drastisch reduzieren", begann Kathiopeja mit vor Aufregung roten Wangen, "der Täter hat bisher nur Zwerge mit krimineller Vorgeschichte getötet. Wenn wir also alle Zwerge mit krimineller Vorgeschichte beschützen, fehlen ihm die Opfer und wir gewinnen Zeit."
"Da alle SEALS und FROGS schon auf der Strasse sind, erübrigt sich dieser Punkt wohl", meinte Kanndra lakonisch.
"Mäm, wenn wir die entsprechenden Zwerge beobachten, haben wir vielleicht eine Möglichkeit zum Zugriff", kam nun Tussnelda ihrer Kollegin zur Hilfe.
"Das ist mir schon klar, Gefreite. Ist das alles?"
Gefreite von Grantick spürte nun schwer die Aufmerksamkeit ihrer Schäfin auf sich lasten, ein Gefühl, auf das sie gerne verzichtet hätte.
"Nun, Mäm. Äh. Es gibt Hinweise darauf, dass der Täter aus Zlobenien oder Borogravien ist", meinte sie, und kratzte sich am Hinterkopf. "Außerdem hinterlässt er uns Botschaften in Form von abgetrennten Zeigefingern."
"Sehr geschmackvoll. Wie kommt ihr auf die Zlobenien-Geschichte?"
Ophelia Ziegenberger erhob sich nun und sagte sichtlich zerknirscht: "Ich verfolgte heute eine Kutsche, die bedenklich oft Burlich & Starkimarm frequentierte. Dies weckte meinen Verdacht. Ich vermute aber", Ophelia geriet kurz ins Stocken, "dass man mich bemerkt hat. Der Kutscher lenkte seine Karosse auf die andere Fahrbahnseite und in dem dadurch entstandenen Verkehrschaos entflohen sie. Die SEALS hatten die fragliche Kutsche beschlagnahmt und bei genauerer Beobachtung festgestellt, dass dieses Gefährt wohl entweder aus Zlobenien oder Borogravien kommen muss."
"Ahja. Das klingt doch nach einer erfolgreichen Aktion", brummte die Frau Feldwebel, "und was hat es mit den Zeigefingern auf sich?"
"Ich habe sie gefunden, Mäm", meldete sich Ilona Feldacker zu Wort, "sie waren alle in den Untoten Briefkästen meiner Route. Und sie konnten als zu den Opfern zugehörig identifiziert werden."
"Absolut wundervoll", seufzte die Schäfin und beugte sich nun vor, "darf ich jetzt erfahren, warum nicht schon längst alle Untoten Briefkästen überwacht werden? Warum wurde bis jetzt noch kein einziger Borogravier oder Zlobenier kontrolliert?"
"Ich wollte zuerst mit ihnen sprechen, Mäm. Aber sie waren nicht da", äußerte Kathiopeja vorwurfsvoll.
Kanndras Augen verengten sich zu Schlitzen. "Und warum hast du mich dann nicht gesucht?"
Erschreckt setzte Kathiopejas Herz für einen kleinen Moment aus, um danach viel schneller weiterzuhüpfen. Vermutlich, um die verlorene Zeit wieder einzuholen. Nicht nur sie, auch alle anderen der SUKZ schwiegen verschreckt und versuchten, sich möglichst klein zu machen.
"Worauf wartet ihr noch? Los!"
***Der kleine Dämon wand sich unter dem Handgriff, seine kleine Schnute formte immer wieder Laute des Missfallens. Unbarmherzig quetschte ihn Jonathan weiter, er war durchaus gewillt, dieses Spiel bis an die Spitze zu treiben.
"Ich weiß nichts!", quietschte die leidendende Kreatur immer wieder und versuchte die Hand Jonathans aufzudrücken, "Bitte lass mich gehen, ich bin doch nur ein unbedeutender
Teilzeitdämon!"
Der arme Tor, der durch unglückliche Umstände in die Klauen von Jonathan geraten war, hieß Reggie und war einer der Meldedämonen der Wache.
"Lass ihn doch", Fred saß auf einem niedrigen Holzschemel und war damit beschäftigt, seinem Zylinder eine gründliche Untersuchung angedeihen zu lassen.
"Ich will wissen, was sie wissen", knurrte Jon und warf Reggie in einen kleinen Käfig, welcher normalerweise für niedliche Haustiere herhielt. Diesem Käfig hatte Reggie auch seine Gefangenschaft zu verdanken, beziehungsweise dem, was Fred als Köder hineingetan hatte.
In die Wache kam jeder hinein. Und der Aufstand, der in der Stadt herrschte hatte auch vor der Wachstube auf dem Pseudopolisplatz keinen Halt gemacht. Zu Reggies Unglück waren damit alle Anforderungen an eine optimale Entführungssituation erfüllt.
"Lass mich aus dem verfluchten Käfig raus, du HUNDSFOTT!", schimpfte Reggie und hüpfte in seinem Gefängnis auf und nieder, "Na los, du tölpelhafter Sohn eines Brauereigauls!"
"Sei still, kleiner Teilzeitdämon", sang Jonathan spöttisch. Doch die kleine, teufelartige Gestalt scherte sich einen feuchten Kehricht darum. Die folgende Szenerie wurde also untermalt von dem andauernden Gezeter des gnomengroßen Geschöpfs.
"Er sagt mir nicht, was ich wissen will", wiederum knurrte Jonathan auf beängstigende Weise und schaute dabei anklagend auf Fred. Dieser legte nun seinen Zylinder beiseite und sagte:
"Sieh mal, Jonathan. Hör doch einfach damit auf. Diese Zwerge... sie hatten damit doch gar nichts zu tun. Wenn wir jetzt die Stadt verlassen, wird uns niemand jemals finden."
Mit einer Handbewegung wischte Jon den Käfig vom Tisch, marschierte aggressiv auf Fred zu und packte ihn mit Leichtigkeit am Kragen.
"Nichts damit zu tun?!", brüllte er mit gerötetem Gesicht, besann sich im nächsten Moment aber eines anderen, "Sie hatten etwas damit zu tun. Die abscheulichen Zwerge. Sie sind es immer wieder. Ankh-Morpork und die Zwerge. Sie verdienen an unserem Tod. Sie verdienen an unserem Leid. Und niemand schaut hin. Niemand sieht, wie wir immer wieder sterben. Bis keiner mehr übrig ist. Niemand sieht hin."
Jons Blick wurde zunehmend glasig, er bemerkte gar nicht, dass er seinen Bruder wieder absetzte und damit begann, den Gang mit großen Schritten abzumessen. Dann öffnete er das Fenster. Mit einem Mal wurde das konstante Keifen des Dämons übertönt von einem Dröhnen, einem Wummern, das ganz tief aus der Strasse zu kommen schien. Tatsächlich waren es die Zwerge, die durch die Strassen zogen. Und bei ihnen waren auch die Menschen, auch die Wache.
"Jetzt geschieht es hier. Sie müssen hinsehen. Ich will ihnen zeigen, dass sie nicht wegschauen können."
Jonathan schloss wieder das Fenster und setzte sich. Sein Kopf sank auf die Tischplatte, sein Blick durchsuchte trübe den Raum.
"Vielleicht. Wenn es vorbei ist", sagte er leise und strich sich selbst über die Wangen.
"Jonathan, bitte. Lass uns aufhören. Lass uns verschwinden", sagte Fred eindringlich und stellte sich neben den Bruder, "ich bitte dich sehr darum. Wenn sie uns kriegen, werden sie uns töten. Verstehst du?"
Matt schloss Jonathan die Augen. "Ich bin schon tot, mein Bruder. Ich liege begraben in der Heimlichkeit. Die süße Vergänglichkeit des Lebens liegt lange hinter mir, vor mir sehe ich nur noch Düsternis."
Mühselig richtete Fred den kleinen Bruder auf. Er spürte, wenn es einen Moment gab, in dem er ihn erreichen konnte, so war es dieser. Wenn er ihn jetzt nicht mehr heimzubringen vermochte, lauerte nur noch der Tod auf ihn. Auf sie beide.
"Bitte", flüsterte er also in Jons Ohr, "bitte, tu es um meinetwillen. Lass dies das Ende sein." Fest blickte er in die erloschenen Augen und suchte nach einem Funken. Ein klitzekleiner würde genügen. Doch nichts glomm auf, in dem dürren Mann, den er in seinen Armen hielt. Er spürte nur übermächtig die Kälte, die von ihm ausging, die Furcht die aus seinen eigenen Poren wie Schweiß strömte.
"Nein, Bruder", munkelte Jonathan, "nein, es ist nicht vorbei. Und wenn du mich aufhalten willst, kannst du nicht für mich sein. Dann willst du, dass der Tod umsonst ist, genauso wie das Leben. Nein, das werde ich nicht dulden", sagte er, langsam, gemächlich und befreite sich aus Freds Armen.
"Du hast recht", murmelte Fred angespannt. "Du hast so recht."
***Tussnelda von Grantick saß unruhig in ihrem Büro. Der Hauptmann hatte sie angewiesen anhand der bisherigen Informationen die wahrscheinlichsten Opfer herauszudeuten. Eine schwierige, fast unmögliche Aufgabe, weil sie kaum etwas über Täter und Opfer wusste. Wieder und wieder las sie deshalb die Akten der bisherigen vier Todesfälle durch und hoffte endlich auf dieses winzige, entscheidende Detail zu stoßen, welches diese von anderen Zwergen unterschied. Der Zeitdruck dabei war unglaublich, immer wieder kamen Nachrichten über Ausschreitungen auf der Strasse rein.
Und dann plötzlich sah sie es, dieses kleine Detail, und ärgerte sich grenzenlos, dass es ihr nicht zuvor aufgefallen war. Hektisch zog sie die Akten anderer Zwerge hervor und fahndete dort nach einer ähnlichen Auffälligkeit. Und tatsächlich, sie wurde fündig.
"Das wird Aven nicht gefallen", murmelte die Gefreite, schnappte sich die Akte, klemmte sie unter den Arm und flitzte zu dem Kollegen.
***Sie fand Aven allein, in der Kantine bei einem hastig reingestopften Butterbrot.
"Schlechte Nachricht", sagte sie rasch und warf ihm die Akte zu.
"Was willst du mit der Akte von Aloc?", fragte Aven skeptisch.
"Vieles spricht dafür, das dein Informant das nächste Opfer sein wird", erwiderte die Gefreite spröde, "wo sind die Anderen? Wir sollten unser aller Kräfte auf ihn konzentrieren."
"Alle weg. Die kontrollieren die Route von Ilona, so gut wie es geht. Auf die Zwerge sollen die SEALSs und die FROGs aufpassen. Sogar die DOGs sind auf der Strasse, weil es einfach nicht anders zu schaffen ist."
"Wir müssen sie sofort verständigen. Kein anderer passt so gut in das Schema, wie dein Informant", sie nahm ihm die Akte aus der Hand und blätterte sie kurz durch, "siehst du das? Er ist immer wieder aufgefallen durch verschiedene, kriminelle Aktionen."
"Ja. Hätten wir nicht immer wieder ein gutes Wort bei den Gilden für ihn eingelegt, dann wäre er schon längst aus dem Verkehr gezogen worden", nickte Aven und zeichnete mit einem Finger eine symbolische Linie an seiner Kehle, "aber was genau ist denn jetzt der Punkt?"
"Schmuggel", sagte Tussnelda knapp, "alle bisherigen Opfer hatten in irgendeiner Form mit Schmuggelei zu tun, sei es durch eine Gilde oder illegal. Dein Aloc hier hat in großem Stil Waffen nach Borogravien geschmuggelt, als Ankh-Morpork es mit einem Handelsembargo belegt hatte, um ein bisschen Ruhe in den Zlobenisch-borogravischen Konflikt zu bringen. Ganz ähnlich die anderen..."
Aven verzog nachdenklich das Gesicht. "Und wie passt sein Countdown in deine Überlegung? Es wird wohl kaum 300 Zwerge in der Stadt geben, die alle Waffen nach Borogravien geschmuggelt haben... das ergibt doch keinen Sinn. Warum tötet er dann nicht die Waffenhändler?"
Tussnelda schüttelte sacht den Kopf. "Wir glauben, dass es ein Countdown ist. Aber vielleicht ist es etwas völlig anderes. Etwas, das wir nicht verstehen? Etwas, das nur für ihn einen Sinn ergibt?"
Schulterzuckend sagte Aven: "Wie auch immer, mehr haben wir nicht, also müssen wir auch der hirnrissigsten Überlegung nachgehen."
Unfreiwillig grinste die Gefreite. "Na danke schön. Schickst du eine Brieftaube los?"
***In orkanartigen Böen rieselte pulverweich Schnee auf Ankh-Morpork. Weiße Hauben bildeten sich auf den Verkaufsständen des Hier-Gibts-Alles-Platz, Verwehungen türmten sich auf den Strassen. Es wurde kalt, sehr kalt, mehr noch als in den vergangenen Tagen. In den Gassen waren immer noch die Zwerge auf ihrer haltlosen Suche, doch manche Rufe nach einem heißen Bier, einer gut gegrillten Ratte und einem kuscheligen Feuer wurden hinter schockgefrosteten Bärten laut. Und so kam es, dass die Masse hier und da einer radikalen Diät zum Opfer fiel, bis schließlich nur noch ein paar wenige, sehr überzeugte Zwerge von den Wächtern im Zaum gehalten werden mussten. Praktisch wie man war, kam dann auch dieser kleine Rest zu dem Schluss, dass sich der Täter ebenso gut in einem warmen Gasthaus aufhalten könnte. Diese Möglichkeit durfte nicht übersehen werden. So wurde es still auf den Strassen, sehr still... Kaum der Laut eines Tieres war noch zu hören, als hätten sich selbst alle Hunde, Hühner, Katzen und Ziegen endlich zur Winterruhe begeben. Ein dunkler Schatten schob sich über den schneeverhangenen Himmel Ankh-Morporks... und veranlasste selbst die eilig ausgesandte Taube zu einem frühen Nickerchen.
***Aven und Tussnelda hasteten durch die verschneiten Strassen. Es fiel ihnen schwer, der Schnee lag inzwischen so hoch, dass sie bei jedem Schritt die Beine im Storchenschritt heben mussten. Ihr kondensierendes Keuchen klang einsam durch die eigentümliche Stille, in die der Schnee Ankh-Morpork gehüllt hatte.
"Noch nicht mal ein Bellen ist zu hören", unwillkürlich flüsterte die Gefreite und fröstelte. Aven beschränkte sich auf ein Nicken und umschloss mit den Armen eng seinen Körper. "Ist es kälter geworden?", zitterte er mit bebenden Lippen, klirrende Eiskristalle hatten sein kurzes Haar erstarren lassen.
"Ich fühle mich merkwürdig...", Tussnelda blinzelte zum Himmel hinauf, "Siehst du das? Diese dunkle Wand? Hoffentlich sind wir bald da...", die Püschologin blies zaudernd in ihre klammen Finger, "Bei diesem Wetter..."
"Wir haben es gleich geschafft, er wohnt im nächsten Block."
Während sie weiter gegen den Schnee anliefen, näherte sich ihnen die dunkle Wand immer mehr.
"Ist das...?"
Wenn es am helllichten Tag plötzlich dunkel wird, ist das nie ein gutes Omen. Man könnte sogar sagen, dass eine
Sonnenfinsternis das schlechteste aller Omen ist. Tussnelda von Grantick blickte zweifelnd zum nachtdunklen Himmel und zog dabei unwillkürlichen die Brauen zusammen.
"Wie kann das sein?", erschreckt blieb Aven stehen und starrte in die jähe Schwärze. Weder er, noch seine Kollegin hatten ein passendes Wort, um dieses Ereignis zu beschreiben außer der selbst empfundenen Furcht. Was geschah hier? Waren die Götter erzürnt?
"Das Licht des Io ist verlöscht", wisperte Tussnelda schicksalsschwer und blickte großäugig zu Aven, "beten wir, dass er ein Einsehen hat..."
"Keine Zeit zum Beten! Wir müssen weiter, egal, ob sich die Welt verdunkelt!", Aven war unwillkürlich lauter geworden, vielleicht nur um seine Angst zu überwinden, vielleicht wirklich nur um die Püschologin anzutreiben.
Und dann hörten sie den Schrei. Wie ein Explosion zerriss er die Stille, ließ die Ohren scheppern und das Herz sekundenlang verharren. Eine längst überfällige Lawine löste sich von einem schiefen Dach und ging auf die Strasse nieder, genau auf die Stelle, an der eben noch die beiden Wächter verharrt hatten. Doch der Schrei hatte sie losgejagt, auf eine sehr langsame Art, behindert von Schnee, Frost und Furcht.
***Jonathans linker Hand war der Speer entglitten, ein plötzlicher Schmerz hatte den Arm kraftlos gemacht. Todesblass blickte er orientierungslos zu Frederik, der in einer Ecke verharrend auf den Exodus gewartet hatte. Der Bruder stürzte nun auf ihn zu.
"Was ist mit dir?", fragte er besorgt, als er der feinen Schweißperlen an Stirn und Oberlippe gewahr wurde und stützte den Jüngeren, als seine Beine endgültig nachgaben. Gemeinsam sanken sie zu Boden.
"Ich...", japste Jonathan kraftlos, "mir ist..."
Panisch blickte Frederick von dem Bruder zu dem röchelnden Zwerg - was war zu tun? Vorsichtig bettete er Jonathans Kopf auf seinem Schoss und strich ihm behutsam über das aschblonde Haar.
"Jonathan... was ist mit dir?"
Die schweißige Hand des Bruders tastete nach ihm, blass waren auch die Finger, wächsern wie die eines Toten. "Bring du es zu Ende, ich bitte dich", mühsam, mit flackernden Augen brachte er es hervor.
Fredericks Gesicht erstarrte zu Eis. Beinahe schon andächtig griff er nach der Hand des Bruders und führte sie an seine Lippen. Er presste einen innigen Kuss darauf, mit spröden Lippen verabschiedete er sich. "Ich werde es tun", sagte er und ihm war dabei, als hörte sein Herz auf zu schlagen. Jonathan stöhnte noch einmal leise, dann blieb er ruhig liegen. So friedfertig wirkte nun sein Gesicht, dass sich Frederick dem Gefühl nicht erwehren konnte, dieser letzte Wunsch hätte nicht so grausam sein dürfen, so unerbittlich. Es passte so wenig zu diesem jungenhaften Gesicht...
Achtsam ließ er Jonathans Haupt in den Schnee gleiten und erhob sich. In seinem weißen Bett sah er den Speer liegen und sah auch den Zwerg, schreckensgelähmt.
"Hilfe", schrie Aloc endlich und kaum war sein Ruf über die Strasse gehallt, erspähte Frederick zwei Gestalten, die sich ihren Weg durch den Schnee bahnten.
"Im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork - KEINE BEWEGUNG!"
***Als Tussnelda und Aven den Platz erreichten, hinter dessen Fenstern durch wunderbaren Zufall kein Anzeichen menschlichen Lebens auszumachen war, erblickten sie sofort die unheimliche Gestalt. Ein überlanger Reitermantel bewegte sich sachte im Wind, ein hoher Zylinder verlieh beunruhigende Größe. Wesentlich beunruhigender allerdings war der Speer, den der Mann in der Hand hielt.
"Waffe fallen lassen", bellte Tussnelda mit aller Schärfe, zu der sie fähig war.
Der Mann sah sie mit leicht gesenktem Kopf an, seine Augen blau wie Gletscher. Geschickt brachte er den Speer zum Kreisen, das Lächeln offenbarte perfekte Zähne.
"Ihr kommt zu spät", sagte er kühl. Der Speer stoppte jäh.
"Waffe fallen lassen!", brüllte Tussnelda und konnte dabei einen schrillen Unterton nicht verhindern. Bevor sie sich dessen bewusst war, hatte sie ihr Schwert aus der Scheide gerissen und es vor sich gestreckt.
"Ich schlage vor, junges Fräulein, wenn ihr meine Waffe wünscht, dann holt sie euch. Ich darf euch aber versichern, dass ich zu oft mit diebischem Gesinde zu tun hatte, als das ich mich nicht zu wehren wüsste", sagte der Zylindermann mit zynischer Freundlichkeit.
"Schlaues Kerlchen", raunte Aven der Gefreiten humorlos zu, "aber für einen Schwatz ist keine Zeit, schau nur. Wenn die beiden da noch leben, dann nicht mehr lange... ", mit der linken Hand deutete der Anwerber auf das feine Rinnsaal Blut, dass den Schnee verfärbte.
"Wir müssen ihn da weg bekommen", zischte die Püschologin durch die gefletschten Zähne. Mehrfach atmete sie tief ein und aus, die Dunkelheit die den Tag befallen hatte, nagte an ihrer Fassung. Sie musste sich besinnen, musste versuchen an den Kerl heran zu kommen, gleich wie undurchsichtig er sich im Augenblick zeigte. Es passte nichts zusammen, die Art wie er sich bewegte, war zu gestelzt, zu kontrolliert. Die offensive Selbstsicherheit, so sehr war sie beherrscht, als müsse er sich selbst überzeugen. Tussnelda besann sich und senkte das Schwert in ihrer Hand, so dass die Klinge in den Schnee tauchte.
"Spielen sie nicht mit uns", sagte sie, gerade laut genug, dass er es hören könnte und kniff in abschätziger Beobachtung die Augen zusammen, "sie wissen doch selbst, dass diese Beiden nicht schuld sind." Ein Schuss ins Blaue, nicht mehr.
Unbeweglich stand er nun da, gestützt auf seinen Speer. "Sühne? Darum soll es mir gehen? Wahrlich, Fräulein, das täuscht. Um ein Versprechen geht es... ", sekundenlang schwieg er und blickte zwischen den beiden Männern vor seinen Füssen hin und her. Der Zwerg winselte immer noch, doch zu einer Regung war er nicht fähig. Der andere gab keinen Ton von sich - dennoch verharrte sein Blick länger auf ihm, seine Lippen bewegten sich tonlos.
"Schwerer als das Leben wiegt nur ein Versprechen", sagte er, "und doch... ", er senkte die Lider und hob sein Gesicht zum dunklen Himmel, "ich vollbringe es nicht." Urplötzlich ruckte sein Blick zurück zu den beiden Wächtern. Wieder blitzten die Augen und Tussnelda, die seinem Monolog atemlos gelauscht hatte, vermeinte Traurigkeit erkennen zu können. Ruckartig riss der Zylindermann seinen Speer nach oben und lief auf sie zu, gemächlich, weil ihn der Schnee hinderte.
"Bleiben sie stehen", warnte Aven, doch der Mann schenkte ihm keine Beachtung, sein Blick blieb auf Tussnelda von Grantick geheftet, die den ihren nicht von ihm zu lösen vermochte.
"Kümmere dich um die Beiden", sagte sie nur, ohne den Gefreiten anzusehen.
Der Anwerber merkte, dass etwas Komisches im Gange war, zwischen seiner Kollegin und dem Zylindermann. Er konnte wirklich nicht sagen, ob es an seiner Unauffälligkeit lag, dass er ihn nicht beachtete, oder an dem hintergründigen Blick, dem er der Gefreiten von Grantick schenkte. Sicherheitshalber machte Aven trotzdem einen großen Bogen um die beiden Kontrahenten, als er sich den am Boden liegenden Männern näherte. "Ich hoffe nur, Tussi ist dem gewachsen", dachte er besorgt. Auch ihm war schon oft aufgefallen, dass die Püschologin allzu schnell ihre Distanz zu Fällen, Opfern und Tätern verlor. Vielleicht machte sie das mal zu einer verdammt guten Püschologin. Oder zu einer verdammt toten...
"Ist der Tod umsonst?", fragte der Zylindermann, als er sich langsam der glotzenden Gefreiten näherte. Tussnelda erwachte. Sein Blick rührte sie an und der tiefe Wunsch, ihn zu verstehen, bewegte sich weit jenseits jeglicher beruflicher Verpflichtungen - eine erschreckende Erkenntnis für die junge Gefreite und mit Macht versuchte sie sich an dem zu orientieren, von dem sie Kenntnis besaß.
"Wer aufrecht lebt, wird nicht vergessen", sagte sie daher.
"Und wer hat das Recht darüber zu entscheiden?"
Der Mann begann mit gesenktem Speer zu rennen, und just in diesem Moment kehrte die Sonne zurück und brachte Tussneldas instinktiv gehobenes Schwert zum Glänzen. Und dann, nur einen Wimpernschlag vor dem Aufprall, ließ der Zylindermann den Speer fallen. Noch bevor die Gefreite eine Chance hatte zu reagieren, war der Mann in ihr gerecktes Schwert gestürzt. Mit beiden Händen umklammerte er den Stahl und zog es tiefer in sich hinein, ohne nur ein Wort zu sagen. Nach gedehnten Sekunden, hustete er und ein Schwall tiefroten Blutes traf Tussneldas aschfahl gewordenes Gesicht.
Die Gefreite schrie, ohrenbetäubend, nicht endend.
[1] siehe S-Mission: "Von Problemen mit Karottencreme"
[2] siehe S-Mission: "...sind alle Mittel erlaubt"
[3] siehe Coop-Mission: "Wer anderen eine Ratte brät"
Zählt als Patch-Mission.
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