In der RUM-Abteilung wird umgeräumt, um mehr Platz zu bekommen. Auch Pyronekdan muß sich von einigen alten Akten trennen. Da werden Erinnerungen wach.
Dafür vergebene Note: 9
Lance-Korporal Pyronekdan saß wieder einmal hinter seinem Schreibtisch und sortierte Berichte in Akten ein. Er hatte seinen Schreibtisch schon vor ein paar Wochen mit einem Brett provisorisch vergrößert. Auch darauf stapelten sich die Ordner schon in schwindelnde Höhen, und es war nicht einmal mehr genug Platz für eine Kaffeetasse vorhanden.
Als es an der Tür klopfte, antwortete er mit einem draußen kaum hörbaren "Herein".
Feldwebel Kanndra Mambosamba öffnete die Tür und folgte der Aufforderung. Vor dem Aktenstapel blieb sie stehen, blickte an ihm hoch, und klopfte vorsichtig daran
[1]. Pyronekdan blickte auf, und wollte gerade zu einem etwas lauterem Herein ansetzten, als er seine neue Chefin sah.
"Wie ich sehe, baust du dir dein eigenes Büro", kommentierte sie den Aktenberg. "Kriegen dich deine Kollegen dahinter eigentlich überhaupt mal zu Gesicht?"
"Das sind alles meine Fälle", erklärte der Zauberer. "Als Kontakter habe ich eben mit mehr Fällen zu tun, als früher, als ich nur Informantenkontaker war."
"Die meisten der Fälle sind doch sicher längst abgeschlossen. Weißt du nicht, daß wir ein Archiv haben?"
"Mich stört es nicht, daß die alten Akten noch hier sind", meinte Pyronekdan.
"Aber mich", erklärte Kanndra. "Wir brauchen mehr Platz in den Büros, und deshalb habe ich ein paar unserer Kollegen dazu abgestellt, dir beim Aufräumen zu helfen."
Noch ehe der Kontakter widersprechen konnte, war seine Chefin schon wieder gegangen. Offenbar kannte sie ihn schon besser, als er sie, und ging einer Diskussion mit ihm aus dem Weg. Er überlegte, ob er zu ihr gehen sollte, und sie bitten, daß er die Akten in seinem Büro behalten konnte. Verstand sie denn nicht, was ihm diese Akten bedeuteten? Es ging ihm doch nicht nur um die Fälle. Diese Akten waren alles, was ihm von ein paar seiner ehemaligen Kollegen geblieben war. Die Akten ins Archiv zu bringen, wäre fast so, als würde er sie begraben. Daemon hätte das sicher besser verstanden. Schließlich hatte er den Zauberer durch die Grundausbildung geführt. Jetzt mußte er aber mit Kanndra zurechtkommen. Er hatte erst einmal mit ihr zusammengearbeitet. Das war in der Sonderermittlungsgruppe bei dem Sirupminenstraßen-Fall, als sie noch Späherin bei Frog war
[2]. Da er dabei aber meist mit Aven Resta unterwegs war, konnte er sich von seiner jetzigen Vorgesetzten noch kein richtiges Bild machen. Er ließ sich immer viel Zeit, bevor er jemanden beurteilte. Oft täuschte der erste Eindruck, den man von jemandem hatte. Viele behaupten zwar das Gegenteil, aber kann es nicht sein, daß die nur ihre Vorurteile nicht aufgeben wollen, und deshalb auf ihrem ersten Eindruck beharren?
Ein erneutes Klopfen rüttelte ihn aus seinen Gedanken. Da er gerade stand, öffnete er die Tür, sah aber zunächst niemanden. Erst als er nach unten sah, bemerkte er die Zwergin Doris von Zitti. Sie hatte einen kleinen Handkarren dabei.
"Ich soll ihnen beim Auslagern der Akten helfen, Sör", sagte sie salutierend.
Das erinnerte ihn daran, daß er jetzt viele neue Kollegen hatte, die er teilweise kaum kannte. Und natürlich brauchten die einen Platz zum arbeiten. Teilweise hatte er sie sogar selbst ausgebildet. Beim Anblick der Zwergin fragte er sich, wozu RUM eigentlich vier Püschologen brauchte, und hoffte es nie herausfinden zu müssen. Er hatte zwar schon mal etwas von einem Täterprofil gehört, glaubte aber nicht, daß dazu so viele Püschologen nötig waren. Da er in seinem Job nicht viel mit diesen Kollegen zu tun hatte, wußte er von Tussnelda, Frän, Doris und Herold am wenigsten. Und umgekehrt ging es ihnen wohl ähnlich.
"Vor mir brauchst du nicht salutieren", erklärte der Zauberer. "Ich verwandele dich schon nicht gleich in einen Frosch."
Ein Quaken aus der Richtung der Zwergin ließ den sonst so ruhigen Zauberer zusammenzucken. Hatte er versehentlich einen Zauber heraufbeschworen, der die Stimme der angehenden Püschologin verwandelt hatte? Als diese ihren Frosch Isidor aus ihre Tasche holte, erklärte das Pyronekdan nicht nur das Geräusch, sondern auch den verwirrten Blick der Zwergin.
"Das habe ich nicht gewußt", versuchte Pyronekdan sie zu beruhigen, und ihm wurde klar, daß er sich mehr mit seinen Kollegen beschäftigen sollte, anstatt Mauern um seinen Schreibtisch zu bauen.
So fing er an die Akten zu sortieren. Eine nach der anderen landete auf dem Handkarren. Plötzlich kam Pyronekdans Kontakter-Kollege Thask herein, um einen weiteren Bericht abzugeben. Leider sah er den Handkarren zu spät, und stolperte zuerst über diesen, und anschließend über die Zwergin. Der Zauberer fragte sich, ob aus dem Zombie je ein vernünftiger Kontakter werden würde. Was er ihm auf jeden Fall noch beibringen mußte, war, daß Kontakter sich unauffällig bewegen mußten.
In Ilona setzte er da schon mehr Vertrauen. Sie verhielt sich vorsichtiger und scheute sich nicht, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstanden hatte. Als sich seine Kollegen wieder aufrichteten, las er schon den neuen Bericht.
Er war von der Obergefreiten Ophelia Ziegenberger, die während Carisas Abstellung zu Grund, die einzige Verdeckte Ermittlerin war, um die sich die drei Kontakter kümmern mußten. Man traute ihr gar nicht zu, daß sie einen so harten Job erledigen konnte. Und doch schaffte sie es irgendwie.
Carisa kannte er da schon etwas besser. Sie war schon länger bei der Wache als er, wenn auch vielleicht nicht nach ihrer persönlichen Zeitrechnung. Er arbeitete gerne mit ihr zusammen, auch wenn das bisher nicht oft der Fall war. Sie schien einen verstanden zu haben, bevor man etwas zuende ausgesprochen hatte. Nur bei den Kuchenstücken, die sie regelmäßig verteilte, mußte man vorsichtig sein
[3]. Und auch die Funktionsweise einer Tür sollte ihr vielleicht mal jemand erklären.
Thask verließ das Büro wieder, nicht ohne fast noch einmal über den Karren zu stolpern. Statt dessen stolperte er über Aven, der gerade auf dem Weg zu dem Büro war, das nicht nur Pyronekdan, sondern unter anderem auch auch ihm zugeteilt war.
"Lange nicht gesehen", spottete er ein wenig in Richtung des Zauberers, der deshalb ahnte, daß der Anwerber gerade mit Kanndra gesprochen hatte.
"Ich vermute, daß unsere Chefin dich schickt, um daran etwas zu ändern", kam der Lance-Korporal dem Gefreiten zuvor, was seine Wirkung nicht verfehlte, wie er an dem verdutzten Ausdruck des Gefreiten erkannte.
Obwohl Aven noch nicht so lange bei RUM war, wie Thymian, hielt er ihn trotzdem für den besseren Anwerber. Aven war so unauffällig, das er bestimmt kein Aufsehen erregte, wenn er jemanden anwarb. Die einzige Gefahr bestand bei ihm darin, daß der Anzuwerbende ihn überhaupt nicht bemerkte.
Thymian hingegen, erschien dem Zauberer viel zu schüchtern für den Job, so daß Pyronekdan manchmal befürchtete, das einer der Anzuwerbenden eher ihn zu etwas überredete, als umgekehrt.
Von dem dritten Anwerber, Amok Laufen, konnte sich der Zauberer bisher noch kein Bild machen, da er noch nicht so lange dabei war, und auch in einem anderen Büro arbeitete.
Aven half Doris, die heruntergefallenen Akten wieder auf den Karren zu stapeln.
"Wieso sind diese beiden Akten aneinander geheftet?", fragte Doris den Zauberer, als er ihr die Akten 'Marmis' und 'Sanan Meislach' gab
[4].
"Die gehören zusammen", antwortete Pyronekdan. "Es stellte sich im Laufe der Ermittlungen heraus, daß es sich eigentlich um einen einzigen Fall handelt."
Das war der letzte Fall, den er zusammen mit Tricia McMillan gelöst hatte, erinnerte sich der Zauberer. Sie hatte er von allen Wächtern am längsten gekannt, da er ihr schon in der Unsichtbaren Universität kennenlernte, wo sie versucht hatte zu studieren. Damals hatte er immer Vorlesungen über Levitation gehalten, wenn ihn sein Weg als Karawanen-Zauberer nach Ankh-Morpork geführt hatte. Später, als er zur Wache kam, hatten sie bei vielen Fällen zusammen gearbeitet.
"Ein paar Akten haben noch Platz", meinte Aven, und weckte den Zauberer aus seinen Gedanken.
"Aber wie kommen wir damit die Treppen herunter?", wollte Doris wissen.
"Ich helfen tragen", sagte Axtspalter, der diese gerade heraufkam.
Noch ein Kollege, von dem Pyronekdan bisher mehr gehört, als gesehen hatte. Wenn auch aus einem anderen Grunde. Die Schritte des Trolls waren einfach nicht zu überhören. Über seine Fähigkeiten als Ermittler konnte der Zauberer aber noch nichts sagen, da er noch nicht mit ihm zusammengearbeitet hatte. Natürlich verglich er ihn mit Bitumen, dem Troll, an dessen entstehen Pyronekdan nicht ganz unschuldig gewesen war
[5]. Bitumen hatte sich für die Wache als untauglich erwiesen, da er nur 'ja' und 'nein' sagen konnte. Deshalb arbeitete er jetzt auf einem Nachrichtenturm, wofür er wie geschaffen war. Der Zauberer hoffte, daß Axtspalter bei der Wache mehr Glück hatte, denn ein Troll konnte den starken Arm des Gesetzes sehr gut repräsentieren, was oft sehr hilfreich sein konnte.
Als der Karren voll war trug in Axtspalter hinunter ins Archiv. Die beiden anderen Gefreiten passten dabei auf, daß nicht allzuviel dabei beschädigt wurde. Der Lance-Korporal folgte ihnen, um zu sehen, wo die Akten eingelagert wurden.
Dabei kam er am Büro des Stellvertreters vorbei. Romulus hatte eindeutig mehr Biß als Pyronekdan. Und das nicht nur, weil er ein Werwolf war. Obwohl Romulus erst zwei Monate nach dem Zauberer zur Wache kam, war dieser nun schon Chief-Corporal. Da Pyronekdan früher, als er noch Informantenkontakter war, nur für die Verdeckten Ermittler zuständig war, hatten beide, trotz der langen Zeit, erst wenig miteinander zu tun bekommen.
Das gleiche galt auch für die anderen Ermittler Kathiopeja, Magane und Kolumbini. Nun aber war er Kontakter, und mußte sich somit auch mit den Fällen der Ermittler beschäftigen. Zum Glück war er nicht allein. Er hatte Thask und Ilona ausgebildet, und zusammen mußten sie jetzt alle Informationen der Fälle sammeln, und den Ermittlern zur Verfügung stellen.
Pyronekdan war so in Gedanken die Treppe heruntergegangen, daß er unten fast stolperte, als er die letzte Stufe erreichte. Die drei Gefreiten zogen den Karren zum Archiv. Der Zauberer sah zu, wie eine Akte nach der anderen in den Regalen verschwand. Aber er würde sich an sie erinnern.
Nur eine Akte hatte er retten können. Sie war versteckt zwischen den Akten der Informanten, und war, genau wie diese, verschlüsselt. Es war die Akte des Falls wegen dem er zur Wache und zu RUM gegangen war. Kein anderer Wächter wußte davon. Noch war sie recht dünn, weil er noch nicht viele Anhaltspunkte gefunden hatte. Aber irgendwann würde er herausbekommen, wer seine Eltern vor 25 Jahren ausgeraubt und ermordet hatte.
[1] Wobei sie darauf gefaßt war, notfalls zur Seite zu springen, falls der Stapel der Schwerkraft nachgeben sollte.
[2] siehe Multi-Mission: "Sirupminenstraßen-Drama"
[3] Die Wasserspeierin nimmt das Wort Marmorkuchen einfach zu wörtlich.
[4] siehe Multi-Mission: "Das dunkle Dreieck"
[5] siehe Single-Mission: "Die andere Seite"
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