Herzblut

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von Lance-Korporal Rea Dubiata (SUSI)
Online seit 19. 12. 2005
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"Zwischen 'persönlich' und 'wichtig' gibt es einen Unterschied", Karotte Eisengießersohn.

Dafür vergebene Note: 13

Wer eine heitere Geschichte sucht, ist hier fehl am Platz. Ebenso sollen jene Leute, die sich nach Ästhetik- und Friede-Freude-Eierkuchen-Missionen sehnen daran denken, dass Rea Gerichtsmedizinerin und der Tod nicht ästhetisch ist. Leute, die in ihren Winterdepressionen ein wenig schwelgen wollen machen sich jetzt am besten einen Tee und lesen los.
Ein kleines Schmankerl für jene Wächter mit einer großen Audiobibliothek gibt es hier.




***

1. Lebwohl

Ich sah ihr Gesicht noch immer vor mir. Ihre weit aufgerissenen, hervorgequollenen Augen, die blauen Lippen zwischen denen die Zunge schwarz hervorschaute wie eine Python. Der breite rote Striemen um ihren Hals, wie ein Schmuckstück, auf eine gewisse Art.
Noch vor wenigen Tagen war sie schön gewesen. Ihre langen dunkelroten Locken und das grüne Samtkleid, dass sich durchnässt vom Regen um die schlanke Taille schmiegte, zeugten noch davon. Es waren Relikte die nun nichts mehr wert waren, niemand würde ihr mehr Beachtung schenken. Sie würde einen marmornen Grabstein bekommen und in einem Sarg aus Eiche beerdigt werden. Man würde sie nicht aufbahren, die Spuren des Erhängens waren zu hässlich, als dass man sie zur Schau stellen wollte.
Morgen um 9 würde man sie in die Erde geben. Ich zerknüllte das Taschentuch in meiner Hand, Wasser ran über meine Finger und tropfte auf meinen Tisch, doch die Tränen, die eben noch von meinen Wangen gerollt waren, waren längst versiegt. Ich konnte nicht mehr weinen, ich wollte nicht mehr weinen - sie hätte nicht gewollt, dass ich weinte. Ich ließ das Tuch fallen und starrte auf die halbleere Weinflasche. Ich hatte mich nicht betrinken wollen; und es war auch keine psychische Schwäche die mich dazu getrieben hatte - er hatte zum Anlass gepasst. Bei allen Göttern, wenn ich meine Trauer hätte unterdrücken wollen so standen in dem Regal an der Wand fünfzig verschiedene Kräuter und getrocknete Wurzeln die mehr Macht besaßen als das billige rote Gesöff. Nein, ich betrank mich zu ihren Ehren, nicht zu ihrer Trauer auch wenn ich es mir immer wieder ins Gedächtnis rufen musste. Es war das richtige für sie gewesen, das hatte sie mir gesagt, ich, die ich ihre Freundin war - oder gedac!
ht hatte zu sein. Das war die Schwierigkeit: Nicht um sie zu trauern, sondern stolz auf sie zu sein, so wie sie es wollte.
Ich starrte weiter auf die Flasche, als ob sie an allem Schuld wäre. Mein Rücken wurde steif, meine Zähne bissen aufeinander und lösten sich erst in einem wütenden Schrei als ich aufsprang, die Flasche beim Hals griff und sie gegen die Wand schleuderte.


2. Tränenschwer

Ich weiß nicht mehr wie lange es her war, zwei, drei Wochen? Zeit spielt keine Rolle, jetzt nicht mehr. Es war ein seltsamer Tag gewesen, ich hatte die Nacht im Seziersaal verbracht, mal wieder war ich praktisch über einer Leiche eingeschlafen bei der ich mit der Autopsie nicht hatte warten wollen. Jetzt wollte ich mich nur schnell umziehen, ein paar Dinge erledigen um dann zurück in meinen Seziersaal zu gehen, weiterzumachen, wieder einen Tod aufzuklären.
Doch vor der Tür wartete jemand auf mich. Es war ein Zwerg, grimmig dreinblickend, wahrscheinlich weil er schon eine Weile gewartet hatte. Er hielt einen Brief in der Hand.
"Da bist du ja endlich. Ich stehe mir hier schon seit Stunden die Beine in den Bauch."
Ich betrachtete den Zwerg etwas genauer und stellte fest, ihn nicht zu kennen. "Du hättest den Brief auch unter der Tür durchschieben können", erwiderte ich kühl und versuchte an ihm vorbei auf die Außentreppe zu gelangen, die mich hoch zur Eingangstür meines kleinen Zimmers führen würde. Ich hatte kein Interesse an dem Brief, ich wusste schon, von wem er war. Nur eine Person schickte mir Briefe und ich hatte noch keinen von ihnen gelesen, sie lagen alle in einer kleinen Kiste unter meinem Bett.
"Kostet", sagte der Zwerg und versperrte mir den Weg. "5 Dollar."
"Was, für den Brief?", fragte ich, nun mehr verdutzt als verärgert.
"Nicht nur der Brief." Der Zwerg nickte zu einem Eselskarren auf dem ein großer Holzkasten stand. "Mutt'chen Dubiata sagte, du würdest dafür aufkommen, darin sind wohl Dinge die du brauchst."
"Ich will sie nicht und ich brauche sie nicht." Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust, unterdrückte aber das Verlangen, einen Schmollmund zu ziehen.
"Mutt'chen sagte, du würdest das sagen und ich soll hier stehen bleiben, bis du es annimmst." Der Zwerg grinste mich frech an und lehnte sich dann gegen das Geländer der Außentreppe.
"Du tust was sie dir sagt?"
Das Grinsen des Zwerges wurde breiter, doch er schwieg. Ich entschied mich, nicht darauf einzugehen und beobachtete gespielt gelangweilt, wie sich die trübe Herbstsonne in der Axt des Zwerges spiegelte. Innerlich rasten meine Gedanken hin und her. Was war es, von dem sie wollte, dass ich es bekam? Meine Lippen begannen zu zucken als ich überlegte und versuchte zu ignorieren, dass mich der Zwerg mit Blicken durchbohrte.
Es muss einige Minuten gedauerte habe, doch schließlich gab ich nach. "Ich habe keine 5 Dollar bei mir, ich müsste hoch gehen um sie zu holen."
"Netter Trick, öffne das Paket hier unten, erst dann bekomme ich mein Geld. So war die Abmachung mit Mutt'chen Dubiata."
Ich verdrehte die Augen, genervt von der Kinderei, die sich meine Mutter da mit mir erlaubte, und ging zu dem Karren. Ein Schloss versperrte den Kasten, doch der Zwerg hielt einen Schlüssel bereit. Widerwillig steckte ich ihn ins Schloss und öffnete den Deckel. Was bei allen Göttern sollte das?

Der Zwerg war getaner Arbeit abgerückt und ließ mich rätselnd alleine. Ich hielt den Brief in der Hand, noch ungeöffnet. Der Inhalt des Kastens war über mein Bett verstreut. Es war nicht viel und doch, es bedeutete die Welt für mich. Ein schwarzer Umhang, ein schwarzes Kleid und ein schwarzer, spitzer Hut mit breiter Krempe lagen dort, warteten darauf, von mir anprobiert zu werden. Kurz entschlossen und immer noch nicht im klarem darüber, was ich denken sollte, riss ich den Briefumschlag auf. Das Innenleben roch nach Wald und Rauch. Sie musste vor dem Kamin geschrieben haben. Sampo, der kleine, dürre, weiße Kater der mir und Laiza zugelaufen war, hockte sich auf meine Schulter und sah zu was ich da tat.
Hin und her gerissen zwischen Neugier und Prinzipien begann ich zu lesen:

Liebe Rea,
ich weiß, dass du keine meiner Briefe bisher gelesen hast. Das ist halb so wild, denn in ihnen steht sowieso immer das gleiche. Es ist das naive Weinen einer Mutter, die nicht wahr haben will, ihre Tochter für immer verloren zu haben. Es sind Briefe, in denen ich nicht verstanden habe, dass ich dir Unrecht getan habe. Ich hatte meine Gründe und ich dachte es wären gute Gründe. Ich würde dir gerne sagen, wieso, aber ich bringe es nicht fertig, dir die schreckliche Wahrheit zu beichten. Es ist besser wenn du nicht weißt, was ich weiß, damit Du dich nicht fürchtest , wovor ich mich fürchte, obwohl es keinen Anlass dazu gibt.
Dies ist keine Aufforderung an dich, zurückzukommen, auch wenn du hier immer willkommen bist. Die Geschenke sollen sich daran erinnern, was du bist.
Deine Helena.



3. ...zuviel gelitten und zuviel gewusst...

Mit zitternden Händen legte ich den Brief in meinen Schoß und starrte auf die Kleidungsstücke auf meinem Bett. Es war neues Schwarz. Ein leichter Blaustich, erzeugt durch das Sonnenlicht, dass durch das Fenster fiel, ließ jede Falte schimmern.
Ich kann mich an keine Gefühle erinnern, weder Liebe noch Hass, keine Freude und keine Tränen, einfach nur Leere. Ihr Brief war keine Entschuldigung, er war keine Erklärung und was sie mir schickte, ergab keinen Sinn.
Sie hatte immer verhindern wollen, dass ich die Kunst der wahren Hexerei erlernte. Und nun hatte ich erst vor kurzem das Borgen erlernt - um mein Leben, meine Seele zu retten. Billigte sie hiermit meine Entwicklung? Ich war mir unsicher und beschloss, darüber nachzudenken. Dazu brauchte ich Tee. Und, nicht zu vergessen, das kleine Päckchen meines Lasters, der feinsten Schokolade Ankh-Morporks.
Während ich das Wasser aufsetzte, sah ich in den Spiegel. Dort schimmerte immer noch die Narbe die der Volltrottel Esus mir mit seinem Knallpulver verpasst hatt. Zum Glück war die größere Narbe am Bauch und damit unsichtbar - aber der 4 centimeter lange, rote Strich verunstaltete mein Gesicht und würde das für immer tun, auch wenn Rogi guter Hoffnung war, dass er bald so gut wie unsichtbar sein würde.
Abwesend fiel mein Blick wieder auf den Hut. Würde es schaden, ihn anzuprobieren? Nur mal so, um zu sehen, ob er mir stand? Kurz entschlossen nahm ich den Hut in beide Hände, setzte ihn auf und trat erneut vor den Spiegel.
Seltsam groß sah ich aus, das war alles was ich denken konnte, denn in diesem Moment klopfte es. Besser gesagt: Jemand hämmerte an die Tür.
Ich öffnete und blickte in das Gesicht von Lillian. Wir kannten uns seit dem Tag an dem ich Ankh-Morpork betreten hatte. Durch sie war ich zu einer der Vertrauten der Näherinnen geworden und hatte dort meinen kleinen Kräutergarten anlegen dürfen, aus dem ich die Gilde bediente. Aber die Lillian, die vor mir stand, war nicht die strahlende, rotlockige Schönheit von vor ein einhalb Jahren.
Aus ihren vor Angst weit aufgerissenen Augen liefen schwarze Tränen, ihr Haar war ungekämmt, sie wirkte als sei sie eben erst aufgestanden. Und tatsächlich: Das was unter ihrem Mantel hervorschaute, sah mehr nach einem Nachthemd aus.
"Rea, du musst mir helfen, bitte!" Ihre Stimme zitterte, nicht nur weil sie außer Atem war. "Sie sind hinter mir her!"
Verdattert trat ich zurück, um sie einzulassen. Schluchzend fiel sie auf mein Bett, auf dem immer noch die Kleidung lag, die meine Mutter mir geschickt hatte. Nur der Hut saß immer noch auf meinem Kopf, ich hatte ihn zu dieser Zeit vollkommen vergessen.
"Möchtest du Tee?", fragte ich und verriegelte die Tür. "Ich mache gerade welchen."
Sie sah auf und blickte mich ungläubig an, nickte dann aber. Ich schob ihr außerdem die Schachtel mit den Schokoladen rüber. "Erzähl, Lilly."
Lillian nahm ein Stück Schokolade aus der Schachtel und starrte darauf, als hätte sie vergessen was man damit tat. Dann sah sie mich wieder an. "Er will mich umbringen. Ich habe heute überhört was er zu seinen Kollegen gesagt hat - ich sei im Weg bei irgendeinen Auftrag."
Ich bewunderte ihre plötzliche Sachlichkeit und sah sie dann wieder mit einem jener Lächeln an, die ich für die Momente aufbewahrte, in denen ich nichts zu sagen wusste. Sie sollte sprechen.
Als wüsste sie, was diese Art von Unterhaltung zu bedeuten hatte, setzte sie sich auf. "Er heißt Gabriel, er ist ein Assassine, Rea - und noch vor zwei Stunden glaubte ich, er würde mich über alles lieben."
Das Teewasser pfiff und ich stand auf um einen Kamillentee aufzubrühen. Mit der Hand gebot ich ihr, weiterzureden.
"Ich habe die heutige Nacht bei ihm verbracht. Als ich aufwachte, war er weg, aber ich hörte Stimmen aus dem Raum unter dem Schlafzimmer. Ich hörte wie sie über mich redeten. Ich steh' seiner Karriere im Wege, seinen Plänen und ich weiß zuviel über beides."
Ich nickte und reichte ihr die Tasse Tee. "Was hat er für Pläne?"
Sie zuckte mit den Schultern.
"Er will dich umbringen und du willst mir nicht sagen, was dein Ableben so unentbehrlich macht?" Ich sah sie zweifelnd an. Wusste sie, was sie da sagte?
"Ich habe Angst, Rea. Aber ich denke ich kann ihn zurückgewinnen, ich muss ihm nur meine Treue beweisen!"
Ich verdrehte die Augen. "Weißt du, wieviele Menschen auf meinem Seziertisch gelandet sind, die einmal so geredet haben?"
"Rea!" Sie begann zu zittern, furchtbar zu zittern. Neue Tränen, schwarze Tränen, liefen ihre Wangen hinunter.
Ich ging vor ihr in die Hocke und nahm ihr Gesicht in meine Hände, zwang sie, mich anzusehen. "Du musst der Realität ins Auge blicken, vor ihr wegzulaufen hilft nichts!"
Oh, was für hohle Worte. Als ob ich je selbst etwas anders getan hätte. Aber es war so viel einfacher, die Wahrheit zu ignorieren, so viel angenehmer. Und ich wusste, dass man mir jeden Schritt, mit dem ich mich von der Realität entfernt hatte, dreifach heimzahlen würde. Mir selbst etwas vorzulügen war eine meiner geheimen Leidenschaften gewesen - und mein größtes Laster. Und dann war ich weggelaufen, hinaus aus der Höhle des Löwen in die des Drachen.
Noch mehr Tränen liefen aus ihren Augen, doch die Wimperntusche, die sie so geisterhaft geschwärzt hatten war nun versiegt, nur die schwarzen Striemen im Gesicht blieben.
Ich stellte mich wieder aufrecht hin und zog sie zu mir hoch. Ich wollte ihr sagen, standhaft zu bleiben und dass ich alles versuchen würde, ihr zu helfen - als es klopfte. Wieder war es mehr ein Hämmern, wieder mehr ein Sturm, der seinen Einlass forderte.


4. Meinen Hass wirst du nicht finden

Ich konnte ihr Herz schlagen hören, als sie die Stimme hörte, ihre Lippen bebten. "Unters Bett", zischte ich und drückte sie dann hektisch nach unten und unter das alte, morsche Holzgestell. Auch mein Herz schlug nun bis zum Hals.
"Sie werden mich finden", wisperte sie tonlos, eingezwängt zwischen Latten und Holzdielen.
Ich legte nur meinen Finger an die Lippen, richtete mich auf und ging zur Tür.
Drei Männer standen dort, alle drei waren sie in das Schwarz der Assassinen gekleidet und ich konnte die Präsenz ihrer vielen Waffen spüren, selbst wenn ich sie nicht sah. Doch ihre Gesichter passten in diesem Moment gar nicht zu ihrem würdevollen Auftreten. Sie starrten mich an wie einen Dämon als ich ihnen die Tür öffnete, der eine zuckte regelrecht zusammen als hätte ich ihn erschreckt. Der mittlere und größte der drei fand zuerst seine Fassung wieder.
"Bist du Rea Dubiata?"
Ich nickte, versperrte aber weiterhin die Tür mit meinem Körper. Sampo schlich mit drohend gewölbtem Rücken um meine Beine. "Was wollt ihr?" Der Satz war kürzer und harscher als ich ihn geplant hatte aber ich sah mich nicht in der Lage, mich um ein freundliches Auftreten zu bemühen.
"Wir suchen nach Lillian Vincent, sie ist doch hier, oder nicht?" Der Mann, der eben zusammengezuckt war, hatte das Wort ergriffen. Unter seinem Umhang knetete er seine Hände und seine ganze Haltung wirkte ein wenig in sich zusammengesunken. Ich bemerkte einen blutigen Verband um seine rechte Hand, doch noch mehr fielen mir seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen, seine gerade Nase und seine kleine Narbe am Hals auf - Merkmale, von denen mir Lillian einmal erzählt hatte.
"Sie ist nicht hier", erwiderte ich und sah Gabriel dabei fest in die Augen, Schweiß rann in der warmen Herbstsonne von seiner Stirn.
"Davon würde ich mich gerne selbst überzeugen", sagte der Mittlere. Sein graues Haar wies ihn als den Ältesten der drei aus. Ohne ein weiteres Wort und ohne dass ich etwas hätte tun können schob er mich in beiseite und betrat meinen bescheidenen Wohnraum. Sampo fauchte bedrohlich, sprang aber trotzdem, ängstlich wie er war, davon und auf eines der vielen Regale im Zimmer. Suchend sah sich der Grauhaarige um, blickte hinter den Vorhang und wollte dann meine Truhe öffnen.
"Ich sagte doch sie ist nicht hier!", erwiderte ich erschreckt, doch er grinste nur.
Langsam, grausam langsam öffnete er die Truhe und zog dann das was er als erstes sah heraus. Eine meiner besten, knielangen Unterhosen. Er hielt sie triumphierend lachend hoch und sah mich dann an, die ich im Gesicht puterrot angelaufen war. "Sehr... kokett." Er zwinkerte höhnisch und warf mir das Wäschestück in die Arme.
"Du wirst Lillian hier nicht finden", sagte ich und sah hilflos zu, wie er meine Kleidung durchwühlte und sie zerknittert auf den Boden warf. Schweiß rann über meinen Rücken in winzigen Sturzbächen und ich hoffte inständig, dass meine Stirn nicht glänzen würde. Doch schon fühlte ich auch dort die verräterischen, kleinen, salzigen Wassertropfen, die kitzelnd hinunterliefen und sich schwer in meinen Augenbrauen sammelten. Verzweifelt versuchte ich, Haltung zu bewahren, krallte meine Hände fest in meine blütenweiße Spitzenunterhose, die momentan mein einziger Halt war.
"Das werden wir ja sehen" sagte er und stellte unzufrieden fest, dass ich Lillian nicht bei meinen Westen versteckt hatte.
"Warum sollte ich lügen?" Ich legte soviel Empörung in meine Stimme wie ich mich traute, aber das war leider nicht viel. Wieder schob er mich beiseite und ging neben meinem Bett in die Knie. Am liebsten hätte ich geschrien und ihm mit irgendetwas eins über den Schädel gezogen, doch dort waren noch die beiden anderen Assassinen die in der Tür auf mich warten würden. "Ich sagte doch hier ist nichts. Unter dem Bett finden Sie nur Staub", war mein letzter, verzweifelter Versuch, ihn davon abzuhalten die Decke die bis zum Boden hing zu heben. Er scherte sich nicht drum. Langsam, so götterverdammt langsam hob er die Decke hoch. Ich wartete auf den Schrei, auf das laute, zufriedene Lachen des Assassinen und beschloss, dem ganzen mit Stolz entgegenzutreten. Das Schlimmste befürchtend reckte ich den Hals und schob das Kinn vor, wie ein Verurteilter vor der Enthauptung.
Der Assassine streckte die Hand unter dem Bett aus und gab alsbald ein verärgertes Grunzen von sich. "Recht hat sie, die Hexe", murmelte er genervt und stand wieder auf. "Du solltest mal staubwischen." Er sah mich eine Weile seltsam an, als wollte er mir sagen, dass er wusste das irgendetwas nicht stimmte. Aber ich konnte in seinen Augen die Wut sehen, die Wut, Lilly nicht gefunden zu haben. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum und somit meine Wohnung und mein Blickfeld.
Ängstlich kniete ich mich nun selbst nieder und sah unter meine Schlafstätte. Lillian lag immer noch dort ihre Augen vor Angst geweitet, ihr ganzer Körper starr wie tot.
"Komm", ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und fühlte dann eine Widerstand darüber. Götter, der blöde Hut. Wütend warf ich ihn in eine Ecke als sei er schuld an allem. Und irgendwie war er das ja auch.

"Wie hast du das gemacht", fragte Lillian mich später.
Ich zuckte die Schultern.
"Du hast mich unsichtbar gemacht! Ich war verschwunden! Er hat mir direkt in die Augen gesehen und doch wieder nicht, Rea du bist genial!"
Mürrisch rührte ich meinem - inzwischen kalten - Tee. "Es war der Hut", erwiderte ich bitter. "Der Hut ist es gewesen, nicht ich. Aber jetzt bist du hier zumindest wirklich sicher."
Sie strahlte mich an. "Es wird alles gut werden! Es ist nicht Gabriel, der mich tot sehen will, es ist dieser grauhaarige Mann, dieser Cobalt! Ja, ich meine so heißt er, Cobalt! Sie haben irgendwas vor, mit Gabriel meine ich..."


5. ...als alle Ängste war wurden und mich begruben...

Ich hatte sie nicht gerne alleine gelassen, aber ich hatte doch meine Pflichten. Ja, was hätte ich denn tun sollen, sie war alt genug auf sich selbst acht zu geben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Aber wenn ich es gewusst hätte, wenn ich es auch nur geahnt hätte, ich hätte keinen Fuß vor die Tür gesetzt, doch ich fühlte mich so sicher, siegessicher.
Ich ging nicht wie üblich zum Wachhaus am Pseudopolisplatz, ich ging direkt zur Boucherie. Ich musste mit dem Abteilungsleiter sprechen, damit er alle Hebel in Bewegung setzen konnte, doch ich hatte Angst ihm wieder in die Augen zu sehen. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, richtig gesehen hatte, da hatte ich ihm Betäubungsmittel in den Kaffee getan und ihm mit dem Stuhl eins über gezogen. Doch das war nicht ich gewesen, das war Adianta gewesen, ein böses Pflanzenwesen das meinen Körper zu ihrem Reich auserkoren hatte, deren Spuren immer noch auf der Haut meines Rückens zu sehen waren. Würde Robin zwischen Adianta und Rea unterscheiden können? Ich fühlte mich, als hätte er allen Grund dazu, mich sofort wieder vor die Tür seines Büros zu setzen und gleichzeitig wusste ich, dass er der einzige war, dem ich wirklich trauen konnte. Die anderen DOGs, da kannte ich doch nur Patrick und Goldie. Patrick würde ich nicht mal das Geheimnis anvertrauen, dass der Himmel blau ist u!
nd Goldie war zwar Feuer und Flamme für jede Art von Ermittlung, aber sie war so übereifrig dass sie wohl alles vermasselt hätte.
Dachte ich wirklich so von all diesen Leuten? Ja, aber ich würde es ihnen nie sagen. Wie ich dachte und was ich meinte, blieb meistens unter dem versteckt, dass ich für das Richtige hielt. Das Richtige...

Gedankenverloren schlenderte ich zur Boucherie. Es herrschte der typische Alltagstrott, einige Gefreite trugen Akten durch die Gegend und ein nach Abschminke stinkender Patrick Nichts grüßte mich kurz als ich das zweite Geschoss betrat.
Zaghaft klopfte ich an das Büro des Abteilungsleiters von DOG. Als mich Robin hereinbat raste mein Herz vor aufkommenden Schuldgefühlen. An seiner Stirn war immer noch eine kleine Narbe, Adianta hatte sie ihm zugefügt.
"Hallo Rea", begrüßte er mich nüchtern, "was gibt es?"
Ohne Aufforderung setze ich mich. "Ich brauche einige Informationen zu drei Assassinen: Hector Cobalt, William Ignatius Violetti genannt Rubin und Gabriel Morgenstern."
"Hector Cobalt?" Robin sah mich fragend an. "Der Name sagt mir nichts, aber wir werden sehen. Die anderen beiden Namen sagen mir etwas, aber du bist hier bei der falschen Adresse, Breda Krulock kümmert sich um die Asssassinengilde."
"Ich weiß", erwiderte ich und knetete meine Hände. "Aber ich kenne sie kaum und ich brauche jemanden dem ich vertrauen kann, ich habe eine Zeugin die ein paar Dinge berichten kann, die ihr Leben in Gefahr bringen."
"Allen meinen Leuten kann man vertrauen", erwiderte Robin ein wenig gereizt. "Breda ist nun mal die Expertin und wie, bitte, kommst du an eine Zeugin die noch sprechen kann?"
Wahrscheinlich hatte er die letzten Worte eher scherzhaft gemeint, doch die kleine Wunde, die ich nun schon sehr lange versuchte zu ignorieren, öffnete sich: Du kannst nicht helfen, du wirst nie helfen können. Immer wirst du zu spät kommen. Zukunftsvisionen taten sich vor mir auf, ich, alt und grauhaarig in der leblosen Gerichtsmedizin, erklärte ein paar Rekruten die wichtigsten Todesursachen, nur um dann wieder meiner täglichen Arbeit zuzuwenden, die jeden Tag das Gleiche war. Jeden Tag eine andere Leiche, aber immer das gleiche Schicksal: Die ewig schwingende Sense des Todes, sie Körper und Geist unwiderruflich getrennt hatte.
Fassungslos starrte ich in die Augen des Fähnrichs, sicherlich eine halbe Ewigkeit lang. "In welchem Büro finde ich sie?"
Er sagte es mir.

Bredas Büro wirkte relativ aufgeräumt. Die Vampirin begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln - es musste freundlich sein, sie trug die Schleife der Enthaltsamen. Die dunkle Schönheit mit der blassen Haut blätterte durch ihre Karteikarten: "Hm, Ja, Rubin kenne ich, der hat erst seinen Abschluss hinter sich, hat mit einer sehr hohen Punktzahl bestanden. Morgenstern hat in letzter Zeit ein paar wichtige Aufträge ergattert, aber Cobalt. Hmm, nie gehört den Namen."
"Er war schon etwas älter, um die fünfzig würde ich schätzen", sagte ich und sah Breda fragend an.
"Älter? Dann müsste er, wenn er viel Einfluss besitzt, bekannt sein wie ein bunter Hund."
Ich zuckte die Schultern. "Ich informiere dich, wenn ich weitere Informationen habe, das kann ein bisschen dauern, ist deine Zeugin vorerst sicher?"
"Ja, ich denke schon", erwiderte ich. Götter, diese Ironie!
"Sonst würde ich dir raten, dass du sie mit ins Wachhaus nimmst - oder Wächter vor dem Versteck postierst." Breda machte ein besorgtes Gesicht.
"Nein, das würde zuviel Aufmerksamkeit auf sie lenken. Aber Danke."
Hoffnungsvoll, dass sich alles zum Guten wenden würde, machte ich mich auf den Weg zum Wachhaus. Ich wollte nur kurz vorbeischauen, mir freinehmen und wieder zurück zu Lillian gehen. Mit dem was kam, hatte ich gar nicht gerechnet. Es war mitten auf offener Straße und es ging alles so blitzschnell, dass ich gar nicht verstand, was geschah. Jemand zog an meinem Arm und im nächsten Augenblick war ich schon in einer kleinen Seitengasse. Eine Hand legte sich um meinen Mund und verschloss ihn genau in dem Moment als ich schreien wollte. Erschrocken versuchte ich einzuatmen und wusste sofort, dass dies ein Fehler gewesen war. Der Geruch von Ether stieg in mein Nase und noch bevor ich mich des Ausmaßes bewusst war, da sah ich nur noch Schwärze.


6. ...das Licht verwelkt und alles wird schwarz...

Ich fand mich in einem fensterlosen Raum wieder. Nur durch den Spalt der Tür schien ein wenig Licht und selbst das war genug, um meinen Kopf zum Explodieren zu bringen. Meine Narbe auf der Wange pulsierte und mit den Schmerzen kam die Panik: Wo war ich? Wer hatte mich hier her gebracht?
Mühsam rappelte ich mich auf, immer noch halb betäubt. Meine Hände betasteten den kühlen Stein der Wand während ich langsam auf den kleinen Spalt Licht zuging und prompt gegen etwas lief, stolperte und einen Riesenradau auslöste.
Na toll, jetzt wussten sie, dass ich wach war. Und über was war ich gestolpert? Ängstlich tastete ich danach: Ein Stuhl. Wenn mich nicht alles täuschte, stand er vor einem Tisch.
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Das Licht von Fackeln drang ein, sowie zwei Männer deren Gesichter ich nicht erkennen konnte - doch das Schwarz in dass sie gekleidet waren, sagte bereits alles.
Zitternd wich ich auf allen vieren zurück und presste mich in die Ecke, in der ich erwacht war. Das Licht blendete mich nicht nur, es löste auch eine neue Gerölllawine in meinem Gehirn aus. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht laut zu schreien.
Eine der beiden Gestalten stellte eine Kerze auf den Tisch und setzte sich dahinter, die andere schloss die Tür. Erst jetzt konnte ich ihre Gesichter erkennen. Es waren Rubin und Cobalt.
"Es freut mich, dich gesund und munter zu wiederzusehen", der flackernde Kerzenschein tauchte das blasse, faltige Gesicht Cobalts in ein gespenstisches Orange. "Setz dich doch, ich habe einiges mit dir zu bereden."
Ängstlich schüttelte ich den Kopf und suchte noch mehr in der Ecke Zuflucht, deren kalter Stein in meinem Rücken irgendetwas tröstliches barg.
"Es ist nicht so als wollten wir dir weh tun", erklärte Cobalt. "Es kann alles von statten gehen als seiest du nie hier gewesen." Er wartete meine Reaktion ab, die ausblieb. "Hilf ihr, Billy", sagte er ein paar Augenblicke später.
Der Mann mit dem wahrhaft rubinroten Haaren, denen er seinen Spitznamen verdankte, stand auf und ging wortlos um den Tisch herum. In aller Ruhe stellte er den Stuhl auf, den ich zuvor umgeworfen hatte, dann kam er langsam auf mich zu und ging vor mir in die Hocke. Er packte mich am Kragen meiner obersten Bluse, welche riss. Das störte ihn nicht, denn nun bekam er meine Schulter zu packen riss mich nach vorne und schleifte mich, die ich mich nicht wehrte, gar nicht wehren konnte, auf den Stuhl. Blitzschnell band er meinen linken Arm an die Lehne und anstatt das gleiche mit meinem anderen Arm auch zu tun kniete er sich nieder und begann an meinen Röcken zu nesteln bis er meinen Fuß zu packen bekam. Plötzlich erlöst von jeglicher Angst, trat ich mit dem anderen Fuß zu - er knurrte nur und band dann einen nach dem anderen fest. Dann stand Rubin auf und ging, ohne eine Miene zu verziehen, wieder hinter den Tisch, setzte sich und wartete.
Ungeachtet dessen das er mir zusah, versuchte ich, mit meiner rechten Hand die Fesseln der linken zu lösen. Sie waren so fest, dass ich schon kaum noch Gefühl in meinen Fingern hatte. Meinen Zehen ging es genauso. Gleichzeitig bemerkte ich, wie mein Blutdruck im restlichen Körper anstieg und stärker als je zuvor gegen meine frischen Narben auf der Wange und an meinem Bauch presste.
"Wo ist deine Magie, kleine Hexe?", fragte Cobalt spöttisch aus dem Schatten.
Ich stellte meinen kläglichen Befreiungsversuch ein und sah ihn finster an. "Was willst du von mir?"
Der Grauhaarige strich sich durchs Haar und lachte kühl. "Das weißt du nicht?"
Ich sagte nichts und er deutete mein Schweigen richtig. "Das dachte ich mir, arme kleine Gerichtsmedizinerin, du weißt noch nicht mal mit wem du es zu tun hast."
Auch Rubins Gesicht verzog sich nun zu einem Grinsen. "Schade, das würde ihr vielleicht noch mehr Angst machen", sagte er.
"Die wird sie schon noch kriegen." Lässig lehnte sich der Alte gegen die Tür. "Und nun genug Smalltalk, kommen wir zum Geschäft. Wo ist sie?"
"Wo ist wer?"
"Lillian, wo ist sie?" Rubins Augen funkelten mich an.
"Ich weiß es nicht." Ich beschloss, bei dieser Antwort zu bleiben. Mit aller Kraft legte ich soviel Gewicht in meine Stimme wie nur möglich.
"Und wir wissen dass du es weißt", sagte Cobalt ohne auch nur einen Hauch Gefühl in seine Stimme zu mischen.
"Dann irrst du dich", erwiderte ich.
"Darf ich?" Rubin drehte sich zu Cobalt um, welcher nickte. Er beugte sich über den Tisch und ehe ich begriffen hatte, worum es ihm ging,hatte er schon meine recht Hand gepackt und sie auf den Tisch gezogen. Erst jetzt sah ich den Tisch wirklich an und wurde mir meiner Lage so richtig bewusst. Dort wo meine Hand jetzt lag und einige Zentimeter drum herum war der Tisch sichtlich dunkler. Der rote Stich war selbst im Licht der Kerze zu erkennen - zweifellos war es Blut. Rubin klappte das Scharnier, dass meine Hand auf dem Tisch hielt, um und schraubte es zu, dann zog er einen Dolch.
Schweiß ran von meiner Stirn. Sie wollten doch nicht... ohne medizinische Versorgung wäre ich doch in kurzer Zeit tot! Was würden sie davon haben? Oder wollten sie mir vielleicht nur Angst einjagen? Meine Hand ballte sich zur Faust.
"Noch sind wir nicht so weit. Mal sehen, wie tapfer du bist", sagte Cobalt.
Ungeduldig drehte Rubin den Dolch in seiner Hand. "Sag uns, wo sie ist."
Ich schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. Ich wollte nichts sehen, vielleicht fühlte ich dann weniger.
Schon spürte ich, wie die feingliedrigen Hände Rubins meine Faust öffneten und die Finger spreizte. Ich zog sie wieder zusammen - er zog sie wortlos wieder auseinander. Als ich sie wieder zusammenziehen wollte rammte er den Dolch genau zwischen Ring- und Mittelfinger. Entsetzt schlug ich die Augen auf, der kalte Stahl zwischen meinen Fingern brannte aufgrund der Geschwindigkeit, mit der er zischen sie geraten war.
"Je weiter die Finger auseinander sind, desto weniger trifft er, weißt du?", sagte Cobalt leise. "Wir haben es mal ausgerechnet. Mittlerweile steht die Chance, dass er trifft bei 1 zu 2000. Mal sehen, ob er sich verbessert hat."

Tock Tock Tock, der Dolch sprang zwischen den Zwischenräumen meiner Finger hin und her - seit Stunden schon wie es mir schien. Doch bisher hatte ich nur kleine Schnitte abbekommen. Allerdings war mir klar, dass meine Hand, die mehr und mehr zitterte die Chancen immer mehr erhöhte, genauso wie der Arm Rubins irgendwann einmal müde werden, seine Konzentration nachlassen musste.
Alle paar Minuten hörte er auf und Cobalt wiederholte seine Frage. Immer wieder sagte ich, dass ich nichts wusste. Ich weiß nicht, woher ich die Kraft dazu nahm.


7. Und wer auf die Flut wartet, wartet auf das Leben

Plötzlich klopfte es an der Tür. Im selben Moment schrie ich auf, diesmal hatte Rubin getroffen. Blut breitete sich zwischen meinen Fingern aus, doch es war kein Schmerz verglichen mit dem, was noch kam.
Ungerührt drehte sich Rubin um als Cobalt die Tür öffnete. Ein weiterer Mann in schwarz trat ein. Er hielt eine Sack in der Hand, in dem etwas zappelte und, als ich genauer hinhörte, kläglich miaute. Mir stockte er Atem als Cobalt Sampo am Nacken aus dem Sack zog.
"Nein", flüsterte ich leise.
"Wie stehen die Chancen jetzt, Billy?", fragte Cobalt gehässig.
Rubin knurrte. "Wenn der Kerl mich nicht gestört hätte, hätte ich die zweitausend geknackt."
"Das ist egal, wir können damit aufhören", Cobalt sah sich den kleinen Kater an, welcher sich nicht bewegte und ihn unverwandt ansah. "Ich habe eine bessere Methode."
Er ließ den Kater fallen und ich hielt erschrocken die Luft an. Doch wie jede Katze landete auch Sampo immer auf den Pfoten und es dauerte keine zwei Sekunden bis er mir auf die Schulter gesprungen war um dort Schutz zu suchen.
"Ist das dein Kater?", fragte Rubin und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
"Nein, er gehört mir nicht. Er gehört nur sich selbst."
"Auch gut. Weißt du wem er jetzt gehört?"
Ich schwieg.
"Er gehört jetzt mir und weißt du was ich mache, wenn du nicht redest?"
"Wenn ihr ihm auch nur ein Haar krümmt..."
"Was tust du dann?", fragte Cobalt leise.
Wieder schloss ich meine Augen, ich wollte gar nicht mitkriegen was sie taten. Ich spürte, wie sie den Kater wieder von meiner Schulter nahmen und dann ...
Mit einem Knarzen öffnete sich erneut die Tür und ich schlug die Augen auf. Rubin drückte Sampo
auf den Tisch, in seiner freien Hand hielt er ein Messer, doch das ließ er schon wieder sinken. In der Tür stand ein hagerer, dunkelhaariger Mann mit Schnurrbart. Er flüsterte Cobalt etwas zu. Dieser sah den Fremden ungläubig an. "Billy, wir müssen etwas besprechen", sagte Cobalt. "Und lass die blöde Katze da, du wirst früh genug mit ihr spielen können. Wir müssen Gabriel finden."
Ein wenig enttäuscht ließ Billy Sampo los. Der Kater fauchte ihm aufgebracht hinterher als alle drei Assassinen den Raum verließen und sich die Tür schloss und der Schlüsse sich drehte.
Sampo stand auf, streckte sich und schritt dann über den Tisch zu mir herüber. Er tauchte seine Nase in die kleine Pfütze Blut um meine Hand herum und begann dann, die Wunde selbst abzulecken. Die rauhe Katzenzunge war eine merkwürdige Behandlung und machte sich nicht viel besser als ein Reibeisen, aber es war ein kleiner Trost. Inzwischen vollkommen mit Blut besudelt ließ Sampo von seiner Art der Ersten Hilfe ab und setzte sich vor mich. Mit einem seltsam konzentrierten Blick saß er mir gegenüber. Sein Schwanz schlug von links nach rechts als wenn er von mir etwas erwarten würde, doch ich staunte immer noch zu sehr über das was ich da eben gesehen hatte als das ich seine Sprache hätte deuten können.
"Sampo?", flüsterte ich. "Geht es dir gut?" Es war eine ziemlich bescheuerte Frage und er quittierte sie mit einem leisen Fauchen. Dann sprang er vom Tisch und ich musste mich stark verdrehen um ihm mit meinem Blick zu folgen. Gerade als ich ihn wieder ins Blickfeld gefasst hatte verschwand er in einem kleinen Rohr in der Wand.
"Verlass mich nicht, Sampo, bitte!", sagte ich heiser und im selben Moment kroch Sampo wieder aus dem Rohr hervor und sah mich erwartungsvoll an.
"Ich kann dir nicht folgen, Sampo, verstehst du das nicht?"
Der Kater sah irgendwie genervt aus. Ich hatte es immer vermieden, menschliche Emotionen auf Tiere zu projizieren, doch dieser Blick glich dem Jacks wenn morgens der Kaffee alle war.
Ich dachte nach. Was wollte er Kater von mir? Offenbar war er klüger als ich immer geglaubt hatte, denn er wollte mich hier herausbringen, auch wenn er dabei meine bescheidene Größe außer Acht ließ. Dann viel es mir wie Schuppen von den Augen. Aber woher wusste der Kater, dass ich borgen konnte? Und.. und.. Ich sah Sampo skeptisch an. Ich hasste es zu borgen und dann auch noch bei jemandem den ich kannte!
Ergeben befreite ich mich von dem halb gefühllosen, halb schmerzenden Körper und entglitt in die Welt des kleinen Katers. Und sofort fiel mir auf, dass Sampo nicht war wie andere Tiere. Er ließ mich nicht ganz in seinen Geist hinein, er verbarg mir seine Gefühle und schien mein freundliches Bitten, seine Schritte in diese oder jene Richtung zu lenken, zu ignorieren. Ich konnte noch einen Blick auf den Straßennamen erhaschen, als er mich wie Huckepack davontrug, als sei ich ein Gepäckstück und ich erkannte, dass er geradewegs auf das Wachhaus zulief.


8. Schließ die Augen und seh den Traum

Wir liefen hinunter zu SUSI, er kannte den Weg schon lange, hatte er mich im Seziersaal doch oft besucht. Aber er ging nicht zu mir, auch wenn er dort in den Rohrpostdämonenschacht sprang und den Dämon, der zu Tode erschrocken vor ihm flüchtete [1], bedrohlich anfauchte
Er tapste durch den Schacht und ein paar helle Lichtflecke später stand er in Laizas Büro. Auch hier hatte er sich, wie ich wusste, schon oft aufgehalten. Und als hätte ich nicht auch schon genug Glück gehabt, war Laiza auch noch da. Sie saß, umringt von Kerzen, auf dem Boden. Die Vorhänge hielten jegliches Licht von außen ab, was den Katzenaugen Sampos keine Probleme bereitete.
Laiza bewegte sich nicht. Sampo schritt um sie herum und als ich ihr Gesicht sah wusste ich, was los war.
Obwohl ihre Züge vollkommen gelassen aussahen waren ihre Augen vollkommen weiß, da sie vollständig nach oben gedreht waren, wie ich es bisher nur bei Fieberkranken erlebt hatte. Sie befand sich in einer Trance, denn keine Perle Schweiß deutete auf eine Erkrankung hin.
Es sah gespenstisch aus, der Blick so leer und die Züge so versteinert wie bei einer Statue.
Nun gut, was bedeutete das? Für mich, die ich hier war. Was hatte Sampo sich dabei gedacht, mich hierher zu bringen?
Es wurde mir klar, als das empfindliche Gehör Sampos eine Stimme aus dem leisen Rauschen herausfilterte: Ihr Geister der Verstorbenen, ich rufe euch... Sprecht mit mir, Geister der Vergangenheit, schenkt mir eure Aufmerksamkeit!
Die Stimme, die da sprach, war Laizas Stimme - auch wenn sie ihre Lippen nicht bewegte. Hatten alle Katzen ein so empfindliches Gehör dass sie die inneren Stimmen der Menschen aufnahmen?
"Nimmst du auch mit einem Geist der Gegenwart vorlieb?", dachte ich etwas zynisch zurück. Ich hätte nie geglaubt dass sie mich wahrnahm, meine Stimme war ja nicht mehr als ein mentales Flüstern, das Rauschen eines Regenschleiers in einer Frühlingsbrise. Nichtsdestotrotz zuckte Laiza zusammen, fiel jedoch nicht aus der Trance.
Wer ist da? Ihre Stimme klang aufgeregt.
"Ich bin es, Rea."
Der Mund der Okkultismusexpertin öffnete sich leicht. Rea, bei allen Göttern, bist du tot?
"Noch nicht", erwiderte ich. "Aber es ist gut möglich, dass es bald soweit sein könnte."
Aber, aber, was machst du dann hier?
"Ich bitte dich um Hilfe. Komm in die Torporgasse, in das kleine gelbe Haus. Nimm mindestens drei FROGs mit, ich weiß nicht wieviele es sind. Und hole Breda Krulock von DOG hinzu! Seid bewaffnet."
Laiza nickte und ich bekam gerade noch mit, dass sie aus ihrer Trance erwachte und einige Kerzen umstieß als Sampo zurück in den Rohrpostschacht sprang.
Er ging nicht zurück in mein Büro sondern schien immer weiter nach oben zu laufen. Schließlich gelangten wir auf's Dach wo sich Sampo sichtlich heimisch fühlte. Trittsicher lief er über die nassen Dächer, denn es hatte inzwischen angefangen zu regnen. Wohin er lief erkannte ich in dieser Perspektive erst sehr spät - er lief in Richtung schlechte Brücke, sprang gekonnt über die Dächer bis er mein Haus erreicht hatte und hangelte sich dann auf der Flussseite hinunter auf den Blumenkasten. Das war eine Unart, die ich ihm schon lange abgewöhnen hatte wollen, aber jetzt war es mir vollkommen gleich. Wieder kam mir das Katzengehör zugute, denn mit Erleichterung hörte ich Lillians Stimme. Sie weinte wieder - ich hätte sie nie alleine lassen dürfen! Und dann - die Beschreibung "mir stockte der Atem" ist hier natürlich unpassend, aber so ähnlich fühlte es sich an - hörte ich eine leise Männerstimme. Es war Gabriel. Jetzt war alles aus, doch ich wusste, dass ich die Zeit, die Sampo mi!
r hier gab, nicht mit sinnloser Panik verbringen durfte - das drüsenlose Denken eines vom Körper gelösten Geistes. Mit wahrlich gespitzten Ohren lauschte ich.
"...ich nehme dich mit zu mir, dort bist du sicherer! Zu meinen Eltern, okay?" Gabriels Stimme war ruhig und gefasst, in einem tröstlichen Ton gehalten. Ich konnte mir bildhaft vorstellen wie er über ihre roten Haare strich und sie an sich drückte, ihren Widerstand erstickte.
"Rea hat gesagt, ich bin hier sicher. Ich bin mir sicher, dass sie schon alles in die Wege geleitet hat, um uns zu helfen!" Ja, Lilly, genau. Bleib wo du bist!, flehte ich innerlich.
"Ich habe dich hier gefunden, meine Süße. Meinst du nicht, Cobalt kann die gleichen Schlüsse ziehen? Zwei Tassen Tee für eine Person ist schon auffällig!"
"Vielleicht...", ich merkte an ihrer Stimme wie sie schwankte. Ich konnte ihre Gedankengänge nachvollziehen: Sollte sie dem Mann vertrauen, den sie liebte aber von dem sie noch vor kurzem geglaubt hatte er wolle sie töten - denn wenn er sie wirklich umbringen wollte, warum tat er es nicht jetzt? - oder sollte sie ihrer alten, manchmal so rational denkenden Freundin Rea vertrauen, die nur ihr bestes im Sinn hatte aber was den Schutz von Personen anging, ganz offenbar eine totale Niete war.
Nun gut, den Schluss dichtete ich mir selbst hinzu, Lillian hatte sicherlich mehr Vertrauen in mich als ich selbst. Außerdem hatte sie erst vor kurzem wahre Hexerei miterlebt, von der sie nicht wusste, dass ich sie unabsichtlich ausgeführt hatte.
Genau in diesem Moment sprang Sampo zurück auf die Dachrinne wo er seinen Weg über die Dächer fortsetzte. Er trottete nun etwas langsamer, offenbar war er müde. Auch ich merkte, wie ich mich nicht sehr viel länger halten konnte, doch ich wollte näher bei meinem Körper sein bevor ich losließ.


9. ...so nah am verlieren...

"Verdammt, sie atmet nicht! Hol Rogi, Halbtag, hol gefälligst Rogi!! Halt gib mir erst dein Messer, wir müssen erst diese Fesseln durchschneiden! Sonst verliert sie noch dreiviertel ihrer Gliedmaßen."
Ich versuchte die Stimme zuzuordnen. Zurück in meinem Körper fühlte ich mich benommen und eingeengt. Ich versuchte etwas zu sagen, brachte aber keinen Laut heraus. Plötzlich fühlte ich kalten Stahl an meinem Arm, wenige Sekunden später fühlte ich wie sich meine Röcke bewegten und und plötzlich Blut in meine Füße schoss.
"Laiza", krächzte ich. Es hörte sich an wie ein unmenschliches Wesen dass da sprach. So trocken war meine Kehle. Gleichzeitig begannen mein linker Arm und meine Füße nun zu prickeln als sie aus dem langen Schlaf erwachten.
"Rea, du lebst! Den Göttern sei Dank, schau, da ist Rogi, jetzt wird alles gut!"
"Nichts wird gut..." flüsterte ich. Jemand zog mein linkes Augenlid hoch und ich Blickte in das Auge von Rogi Feinstich.
"Daf wird wieder, glaub mir." Sie lächelte mich Vertrauen erweckend an. "Mit der Hand wirft du eine Weile nicht freiben können, aber daf ift halb fo wild."
Die Igorina schickte Halbtag fort, um einen Krug Wasser zu holen und begann dann, meine rechte Hand zu bandagieren die aufgrund des künstlich erhöhten Blutdrucks stärker blutete als für diese Art von Wunden üblich. Laiza stand in der Ecke, in der noch vor eine Stunde Hector Colbalt gestanden hatte und sah mich stirnrunzelnd an.
"Hast du mich wirklich mental kontaktiert? Hast du mich von hier zu dir gerufen?", fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. "Sampo... geborgt... ich habe..."
Was nahm mich da so mit? Etwas zog in mir, zog mich in schwarze Nacht und wollte das ich schlief. Ich hatte es tagelang in anderen Körpern ausgehalten, wieso machte ich jetzt schlapp? Verzweifelt klammerte ich mich an Laizas Stimme.
"Aber ich habe doch ganz klar deine Stimme gehört als ich versucht habe mit Geistern zu reden! Allerdings hast du gesagt wir sollten mit vielen Leuten kommen - hier war genau ein alter Opa. Der hat, nachdem Bregs vom Karren gestiegen war, kaum noch ein Wort gesagt.
Verschwommen sah ich, wie ein kleines grünes Wesen den Raum betrat - Halbtag. Rogi, die mir inzwischen beide Schuhe ausgezogen hatte half mir nun beim Trinken. Schluck für Schluck fühlte ich mich wacher.

"Wir haben das ganze Haus durchsucht, hier liegt nicht mal ein Taschentuch." Araghast Breguyar hatte sich nun auch noch in den engen Raum gedrängt. Im Hintergrund spurtete Breda Krulock heran die einen Arm voll Akten unter dem Arm hielt.
"Breda kann euch wenn ihr wollt über die Leute aufklären, die mich hier festgehalten haben. Sie sind beide Assassinen und wenn wir uns nicht beeilen, bringen sie bald jemanden um!" Ich wollte aufstehen um zu unterstreichen, wie dringlich es war, doch der einäugige Blick des Oberfeldwebels schob mich förmlich auf meinen Stuhl zurück.
"Was genau willst du gegen Assassinen ausrichten?", fragte er kühl.
"Es besteht mit Sicherheit kein Vertrag für sie, oder Breda? Hast du das gecheckt?" Hoffnungsvoll sah ich die Vampirin an.
"Patrick Nichts ist auf die Sache angesetzt worden, aber meines Wissens liegt kein Vertrag gegen Lillian Vincent vor. Das heißt aber nichts, ich weiß meistens nur über wichtige Leute Bescheid."
Für eine Weile sagte niemand etwas. Dann verschmolzen zwei Erinnerungen miteinander. Cobalt und Rubin wollten nach Gabriel suchen, Gabriel war bei Lillian und wollte mit ihr zu seinen Eltern.
"Breda?", fragte ich, "hast du in deinen Akten etwas über Gabriel Morgensterns Eltern gefunden?"
Sie quetschte sich zwischen Bregs und der Tür durch und legte die Mappe auf den Tisch. Sie blätterte während es immer noch mucksmäuschenstill war. Schließlich zog sie einen Zeitungsausschnitt heraus.

Handwerksjunge schlägt Adelssöhne um Längen
Gabriel Morgenstern erhält Auszeichnung als bester Assassine in der Abschlussprüfung!

In der gestrigen Nacht wurden die jährlichen Abschlussprüfungen der Assassinen wie immer unter strengster Geheimhaltung durchgeführt. Die Ergebnisse wurden dieses Jahr jedoch zum ersten Mal öffentlich gemacht und es zeigte sich, dass blaues Blut für eine Karriere im Inhumierungsgewerbe kein Muss ist. Der junge Gabriel Morgenstern, hier mit seinen Eltern Lucinda (48) und Elias Morgenstern (50) abgebildet, überquerte alle Hindernisse, der als schwersten Abschlussprüfung im Gildensystem anerkannten Examination. "Die Ausbildung konnten wir uns nur dank des Erbes leisten, dass mein Bruder Franz uns hinterließ", sagt Frau Morgenstern, einfache Fleischersfrau, mit Tränen des Stolzes in den Augen.


"Fleischerei Morgenstern", murmelte ich. "Wir müssen sofort dorthin."
"Wenn wir endlich wüssten worum es ging, wäre das vielleicht möglich, Lance-Korporal", sagte Araghast und sah mich fragend an.
"Auf dem Weg dorthin!", sagte ich hektisch und stellte mich vorsichtig auf meine immer noch gefüllosen Beine. "Wir dürfen keine Zeit verlieren, ein Menschenleben ist in Gefahr!"


10. ...zwischen deine Schulterblätter...

Der voll besetzte Eselskarren rumpelte nicht gerade schnell durch die Straßen Ankh-Morporks. Vor meinen Augen spielte sich immer wieder eine Szene der möglichen Zukunft ab: Wie wir alle in ein Zimmer stürmten, in dem ein noch warmer, toter Körper lag. Lillys leblose Leiche.
Mit halben Ohr hörte ich zu, wie Breda die FROGs über die Verhältnisse aufklärte und sah im Augenwinkel, wie Laiza mich fragend ansah. Ich hatte ihr immer noch keine Erklärung für das gegeben, was sie gehört hatte.
"Ich weiß jetzt, das Cobalt seine Assassinenprüfung vor vierzig Jahren bestand und dann spurlos verschwand. Naja, nicht ganz spurlos, man sagt, er wäre nach Quirm gegangen, um dort als Kopfgeldjäger zu arbeiten. In einigen Unterlagen fand ich Hinweise darauf, dass Cobalt und Witwenmacher seit jeher Erzfeinde sind. Prügeleien in Kneipen sind die harmlosesten Ereignisse. Die Assassinengilde weiß entweder nichts von seiner Rückkehr oder verheimlicht, dass sie davon weiß."
Der Püschologe, der den Wagen lenkte, nickte. "Eine alte Feindschaft also", knurrte er. "Und was hat das Mädchen damit zu tun?"
"Sie hat etwas von Cobalts Vorhaben mitbekommen und Cobalt ist natürlich in Sorge, dass sie alles verraten könnte. Was sie ja auch getan hat." Breda starrte gedankenverloren in den grauen Himmel, der beschlossen hatte sich seine Wassermassen für später aufzuheben.
"Aber sie müssten doch mitbekommen haben, dass Rea sowieso schon alles an DOG weitergegeben hat!", erwiderte Halbtag. Der Gefreite hatte bislang nur interessiert gelauscht und seine Armbrust in freudiger Erwartung gestreichelt.
Ich räusperte mich. "Wenn Cobalt so lange weg war, kennt er das Boucherie sicherlich nicht", erwiderte ich leise und sah mich dann um. "Sind wir schon... wo auch immer wir hinmüssen?"
Bregs nickte und es wurde wieder still auf dem Wagen.
Laiza tippte mich an. "Wieso konnte ich dir hören?", flüsterte sie mir zu.
Leise erklärte ich ihr, wie ich Sampo geborgt hatte und ihre Trance ausgenutzt hatte. "Aber ich frage mich, woher Sampo das alles wusste!", schloss ich meine Erzählung und Laiza nickte.
"Er scheint mehr als nur eine Katze zu sein, da steckt noch etwas dahinter", sagte sie und ich merkte an ihrer Stimme dass sie der Sache nachgehen wollte.
Wenige Minuten später stoppte der Wagen. Bregs hatte die Fleischerei gefunden. Die drei FROGs sprangen vom Wagen und liefen bereits in den Laden hinein. Breda, Laiza und ich folgten und kamen an zwei verdutzten, mit erhobenen Händen dastehenden Morgensterns vorbei, liefen jedoch ohne ein Wort den Schlammspuren der Frösche nach. Sie führten eine Treppe hinauf in einen Flur in welchem bereits mehrere Türen aufgestoßen worden waren. In einer dieser Türen sah ich gerade noch Halbtag Baumfellerson verschwinden und stürzte ihnen nach.
Das Zimmer war klein und sah mehr aus wie ein Hotelzimmer, spartanisch und kühl eingerichtet. Ein Bett, ein Spiegelschrank und eine Kommode mit einem Strauß aus getrockneten Nelken darauf waren die einzigen Möbel. Halbtag beugte sich über das Sims eines weit aufgerissenen Fensters, dessen Vorhänge sachte vom Wind getragen wurden.
Rogi hatte sich über das zerwühlte Bett gebeugt und ihre Erste Hilfe Tasche ausgebreitet. Der Griff eines Dolches ragte aus den Laken hervor, mehr sah ich nicht, doch es reichte aus um eine gespenstische Leere in mir auszubreiten. Es war eingetreten was ich befürchtet hatte, wir waren zu spät gekommen.


11. Weitergehen

Mein Kopf schmerzte, ich war müde und wollte einfach gar nichts mehr fühlen. Ich saß auf einem kleinen Hocker in Rogis Büro neben der Bahre auf der Lillian lag. Die Worte, welche die Igorina gestern gesagt hatte, nachdem sie mich endlich zu Lilly gelassen hatte, hangen immer noch in meinen Ohren: "Fie hat Glück gehabt. Die Affaffinen müffen unf im Flur gehört haben. Der Einftich hat verhältniffmäfig wenig Faden angerichtet. Mit viel Ruhe und Pflege wird fie wieder auf die Beine kommen."
Und da lag sie nun, auf der Seite, um keinen Druck auf die zweieinhalb Zentimeter lange Wunde im Rücken auszuüben. Ich hatte darauf bestanden, jegliche weitere Versorgung Lillians selbst zu übernehmen, sollte sich ihr Zustand nicht verschlechtern. Außerdem weigerte ich mich, ihr Lager länger als fünf Minuten zu verlassen. In meinen Händen hielt ich eine Kopie der Zeugenvernehmung die fast gänzlich aus den Worten von Herrn und Frau Morgenstern bestanden. Nur ein Kunde der gerade das Geschäft verlassen hatte, hatte noch einige Sätze zu dem dreiseitigen Protokoll hinzugegeben, seine Personenbeschreibung war ein wenig genauer als die der Morgensterns, die bei ihrer Aussage immer noch unter Schock gestanden hatten. Immerhin war ihr Sohn nun verschwunden, dessen Freundin kurz zuvor von zwei Assassinen, die einfach so in die Filiale gestürmt waren, schwer verletzt worden war.
In Gedanken versunken lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand. Da stand ich wieder mit meiner Hilflosigkeit. Als Gerichtsmedizinerin wurde ich immer vor vollendete Tatsachen gestellt. Meine Aufgabe bestand darin, einen Mord aufzuklären, niemals jedoch darin, ihn zu verhindern. Natürlich verhinderte man durch eine Aufklärung weitere Morde - doch neben mir auf dem Krankenbett Rogis lag der Beweis dafür, dass es immer eine Chance gab...
Die Bilder des letzten Tages bauten sich wieder vor mir auf. Der Dolch, der bis zum Schaft im Rücken Lillians gesteckt hatte, das Blut, dass die weißen Laken verfärbt hatte und die leise Stimme in mir, die angefangen hatte zu schreien: Gerechtigkeit. Gerechtigkeit!

In den letzten beiden Wochen war viel passiert. Lillian hatte sich, zu meiner Erleichterung, erholt. Es ging ihr den Umständen entsprechend gut und sie schien neue Lebensenergie in der Suche nach Gerechtigkeit gefunden zu haben. Kurz nachdem sie wieder halbwegs hatte aufstehen können hatte sie Cobalt und Rubin des Mordversuchs angeklagt. Laut Patrick hatte kein Vertrag für Lillian Vincent bestanden und Cobalt war offiziell kein Assassine, das reichte vollkommen aus.
Glaubte sie.
Denn nun saß ich nervös im Zeugenstand eines kalten Gerichtssaals und sollte meine Version der Geschichte zum Besten geben.
"Haben Sie die beiden Männer gesehen, die sie entführt haben?"
"Ja, das habe ich." Immer wieder wünschte ich mir, ich hätte meinen Hut mitgenommen, ein einfaches Kleidungsstück, das mir soviel Mut verlieh.
"Sie sagten doch, es sei dunkel gewesen." Der Anwalt sah mich scharf aus seinen toten Augen an.
"Nicht zu dunkel zum Sehen."
Und so ging es weiter. Jedes meiner Worte wurde angezweifelt und nach einer Weile war ich vollkommen erschöpft davon, auf jedes meiner einzelnen Wörter genau zu achten damit man es mir nicht im Munde verdrehen konnte.
Schließlich stellte er das Abbinden meines Arm und meiner Füße als "untergeordnete Körperverletzung" dar, da ich ja keine bleibenden Schäden erlitten hatte. Auch das Messer, das gedankenzermürbend zwischen meinen Fingern getanzt hatte, war nur ein "leichtes, püschologisches Druckmittel". Nach über zwei Stunden, einer Zeit so lange wie die Folter in der Torborgasse, konnte ich mich endlich in den Zuschauerraum begeben.
Mit schweißigen Händen saß ich dort und der Zombie schritt weiterhin zwischen Zeugen- und Anklagebank hin und her und schüchterte jeden ein. So hatten die Morgensterns zugeben müssen, dass sie die Männer, die in ihren Laden gestürmt waren, kaum gesehen hatten, auch wenn sie der Wache etwas anderes erzählt hatten. Und der Kunde, der eine so genaue Personenbeschreibung abgegeben hatte, gab zu, schon einige Gläschen Wein intus gehabt zu haben. So wie Herr Schräg es darstellte, war Simon Paulson, der Zeuge, stockbesoffen gewesen.
Doch die Stichwunde mit dem Assassinendolch war nicht zu leugnen. Fraglich blieb, wer die Tat ausgeübt hatte und wo Gabriel steckte. Laut Lillian hatte Rubin ihn geschlagen, so dass er zu Boden gesunken war, dann war sie selbst das Opfer der beiden Männer geworden.
Und alle Welt wartete gespannt auf ihre Aussage. Zumindest die Times-Reporterin neben mir schielte ständig auf die hübsche, rothaarige Frau die bleich und schwanenhälsig das Geschehen verfolgte als würde sie dies alles nicht angehen. Nicht die Spur einer Mimik hatte ihr Gesicht bisher berührt. Jetzt erst bewegte sie sich, als man sie aufrief und sie erhob sich. Ich erschrak als ich erkannte, wie dürr sie geworden war. Sie trug ein smaragdgrünes Kleid dass sich eng um ihre Taille schlang und der aufmerksame Beobachter (von denen es in diesem Saal sicherlich einige gab) hätte die Rippen sehen können, die sanfteste Wellen im Kleid schlugen. Erhobenen Hauptes setzte sie sich in den Zeugenstand und wartete darauf, dass der Anwalt ihr Fragen stellte.
"Meine Beziehung mit Gabriel Morgenstern begann Anfang diesen Jahres", begann sie mit ihrer klaren, dunklen Stimme. "Ich war selten über das informiert was er tat, aber nach einer Weile, als er wusste, dass er mir vertrauen konnte, erzählte er mir von etwas. Das ist kaum zwei Monate her. Er erzählte mir von einem großen Vorhaben. Ein Mann namens Hector Cobalt habe ihn angesprochen, ein älterer Assassine, der seine Karriere ankurbeln wollte. Wie genau das vonstatten gehen sollte, erfuhr ich erst später. Lord Wittwenmacher...", ein Raunen ging durch den Saal, "sollte ein für alle mal vom Thron der Assassinengilde gestoßen werden. Cobalt war seit seiner Lehrzeit als Assassine schon immer mit Witwenmacher verfeindet und Cobalt wollte ihm dies nun heimzahlen. Ich wurde nie in die genaue Planung eingeweiht, jedoch findet nächste Woche eine Wohltätigkeitsveranstaltung im Patrizierpalast statt. Man wollte ihm eine bestimmte Droge in den Wein mischen, um ihn dort zu blamieren, dann s!
ollten, in der zweiten Phase, mehrere wichtige Aufträge scheitern, in dem sie von Cobalt und seinen Handlangern sabotiert worden wären.
Zu dieser Zeit sollte Cobalt wieder Gildenmitglied sein, mit seiner Erfahrung, die er in Quirm gesammelt hatte, wäre er ein wichtiger Kopf in der Gildenführung geworden. Von dort hätte er sich mit der Aufarbeitung der verhinderten Inhumierungen den Platz des Oberhauptes greifen können."
Lillian schwieg für eine Weile, ließ die Informationen sacken.
"Als er erfuhr, dass ich alles über diesen Plan wusste erklärte er, dass man mich beseitigen sollte. Aus Angst, dass dies eintreten könnte, ging ich zu einer befreundeten Wächterin, die es an die Wache weiterleitete."
Die Theatralik wählte diesen Zeitpunkt um mir deutlich zu machen, das alles, an das ich je geglaubt hatte, nichts weiter war als ein hoffnungsloser Traum. Nach Lillians Geschichte war ich sicher gewesen, dass zumindest Cobalt seine gerechte Strafe erhalten würde, doch als sie das letzte Wort gesprochen hatte, war die Tür des Saals aufgeschwungen und Lord Wittwenmacher betrat den Raum.
"Ich habe eine wichtiges Beweisstück", rief er, beinahe fröhlich. Sein charmantes Lächeln wurde von der Timesreporterin auf Papier gebannt. "Hiermit kann ich bestätigen, dass für Lillian Vincent ein Vertrag besteht."
Ich sprang auf und wollte auf das Gildenoberhaupt zustürzen. Der Vertrag musste eine Fälschung sein! Das musste ein Alptraum sein! Wie um alles in der Welt hatte Cobalt seinen Erzfeind auf seine Seite bekommen?

Wir saßen zusammen in meiner Wohnung und rührten in längst erkalteten Teetassen. Seit der Gerichtsverhandlung hatten wir kaum ein Wort gewechselt. Es war die Ungerechtigkeit der Götter, die uns heimgesucht hatte und wir konnten absolut nichts mehr dagegen tun.
Ich nippte an meiner Tasse und spuckte den eiskalten grünen Tee wieder aus. Ich stand auf, öffnete das Fenster, um mit der Flüssigkeit meinen Pflanzen im Dauerregen etwas gutes zu tun und Sampo sprang mir entgegen. Vollkommen durchnässt war er, doch es kümmerte mich nicht, als er sich tropfend auf meinen Bettlaken zusammenrollte, ganz nah am Ofen. Ich hatte ihn seit den Ereignissen vor zwei Wochen nicht mehr gesehen und war froh, das er sich entschieden hatte wieder bei mir vorbeizuschauen. Das interessierte ihn jedoch nicht so sehr wie die warme und halbwegs trockene Kammer, die ich bewohnte. Ich beobachtete den Kater einer ganze Weile, dann sah ich Lillian an.
"Was glaubst du, was mit Gabriel passiert ist?", fragte ich so vorsichtig wie möglich.
Sie zuckte die Schultern. "Sie haben ihn wohl ermordet und irgendwo verscharrt. Was kümmert mich das noch, er ist nicht mehr hier."
Ich sah sie erschrocken an. Woher kam auf einmal diese Kälte in ihrer Stimme? Was wollte sie mir damit sagen? "Aber die Assassinengilde hat Cobalt doch in allen Ehren aufgenommen! Ich meine, obwohl Cobalt versucht hatte, die Gilde zu übernehmen, haben sie ihn wieder aufgenommen, aus welchen Gründen auch immer. Aber sie würden doch nie jemanden aufnehmen, der ihre eigenen Leute..."
"Genau darin sehe ich den Beweis dafür, dass Gabriel tot ist." Lillian begann, Sampo im Genick zu kraulen, welcher leise vor sich hin schnurrte. Aus ihrem Gesicht sprach nur Leere.
"Aber, aber.. fühlst du denn gar keine Wut, keinen Hass, keine Trauer?" Ich sah sie flehend an und hoffte, dass sie mir auch nur eine winzige Gefühlsregung zeigte.
"Jetzt werde nicht sentimental, Rea", erwiderte sie.
Plötzlich füllten sich meine Augen das erste Mal seit langer Zeit mit Tränen. Erst kullerte das salzige Wasser in kleinen Perlen über meine Wangen, dann floss es in Strömen heraus. "Ich bin nicht sentimental!", schluchzte ich.
Lillian sah mich stirnrunzelnd an. Sie stand auf, hielt mich an den Schultern fest und sah mir fest in die Augen. "Weine nicht für mich", flüsterte sie. "Tränen sind eine Schwäche, hör auf zu weinen." Sanft strich sie mir über die Wange. "Es ist besser wenn ich jetzt gehe."
Und dann ging sie. Und wenige Minuten später ging ich auch. In meinen neuen, schwarzen Umhang gekleidet lief ich durch den Regen ins Wachhaus, betrat die Räumlichkeiten SUSIs und dann mein Labor.
Dort war noch alles wie gehabt, auf dem Schreibtisch sammelte sich Papierkram, eine halb aufgeschnittene Leiche, wohl von Avalania oder irgendjemand anderem in Ausbildung, lag auf einer Bahre und mein Usambaraveilchen stand unversehrt in einem zerbrochenen Topf vor dem Rohrpostdämonenein- und auswurf.
Ich ging zu dem überfüllten Schreibtisch, kramte einen einigermaßen sauberen Zettel heraus, schrieb ein paar Zeilen und verschickte ihn per Rohrpost. Zu spät fiel mir auf, dass ich da auf eine Serviette von Abdul Krynawis Klatschanischen Curry-Imbiss geschrieben hatte. Doch das war nun auch egal. Ich verließ die Pathologie wieder und ging ein paar Zimmer weiter, zum Büro meines Abteilungsleiters, Humph MeckDwarf.
Der Hauptmann begrüßte mich freundlich und bot mir einen Kaputtschino an, den ich dankend ablehnte.
"Ich möchte es kurz machen", sagte ich. "Ich denke meine Zeit bei SUSI ist vorbei."
MeckDwarf sah mich gelassen an. "Bist du dir sicher?", fragte er.
Ich nickte. "Ich muss raus aus den stickigen Labors, ich möchte endlich mal etwas tun."

Die Meldung hatte mich kurz nach dem ich das AL-Büro verlassen hatte, erreicht. Oldas, ein VEKTOR der SEALS hatte sie gefunden. Und nun stand ich da, unter einer alten Eiche im Hide Park und sah zu, wie ihre Leiche von Wind und Regen gebeutelt wurde. Scoglio hatte Oldas auf die Schultern genommen und hievte ihn auf den untersten Ast. Dort schnitt der Zwerg den Leichnam endlich los und Scoglio fing ihn geschickt auf. Wieder einmal landete ein Mensch in seinen Armen, doch diesmal konnte niemand mehr etwas für diesen Menschen tun.
Lillian war tot. Nicht mal für einen Genickbruch hatte ihr Gewicht gereicht, sie war grausam erstickt und hatte erst, als sie sich nicht mehr gerührt hatte, die Aufmerksamkeit eines verliebten Pärchens auf sich gezogen. Scoglio und Oldas waren zufällig in der Nähe gewesen und hatten eine Taube geschickt. MeckDwarf hatte es sicherlich gut gemeint, mich hinaus zu schicken, denn die Identität der Leiche war den beiden SEALS sowie dem Hauptmann unbekannt gewesen.
Und da lag Lillian nun, im Regen. Wie an dem Tag, als sie mich um Hilfe gebeten hatte, verlief nun die Schminke in dem von Sauerstoffmangel enstellten Gesicht.
Ich betrachtete den glitschigen Baum, den selbst Oldas nicht hatte erklettern können. Nie und nimmer war sie alleine hier herauf geklettert. Doch ihr Körper wies auf den ersten Blick keinen Hinweis auf Gegenwert auf - bis Scoglio mich auf etwas aufmerksam machte.
"Mä'äm? Da sehen in Kleid."
Ich sah in den tiefen Ausschnitt des Kleides. Ein kleiner Zettel war zwischen Brust und Kleid eingeklemmt. Mit einer Pinzette zog ich ihn vorsichtig heraus und entfaltete ihn. Er war von der Assassinengilde.
Eine leise Stimme keimte in mir auf. Rache. Rache!


12. Es gibt keine Würde im Tod

Freundlich hatte ich Patrick darauf hingewiesen, dass er mir noch einen Gefallen schuldete. Dass er mich im Tempel der verrückten Bel-Shamharoth-Jünger einfach hatte hängen lassen [2], hatte ich ihm noch nicht verziehen. Also hatte er sich erneut bei den Assassinen eingeschlichen und mir ein paar wichtige, kleine Informationen besorgt. Ich wartete am Tempel des Blinden Io auf ihn und er drückte mir nur schnell einen Zettel in die Hand bevor er wieder verschwand. Doch ich wagte es noch nicht zu gehen.
Ich hatte schon die ganze Zeit gefühlt, dass mich jemand beobachtete und als ich, der Unauffälligkeit halber, der Blinden Gottheit ein Opfer darbrachte, sah ich ihn auch schon. Es war Gabriel, der regungslos in einer Ecke stand. Ich hätte ihn ohne seine Assassinentracht kaum erkannt, denn nun trug er das Gewand eines Mönchs und sein Kopf war kahlgeschoren. Statt dessen zierte nun ein Bart sein Gesicht. Seine fast schwarzen Augen hatten ihn verraten und als ich auf ihn zuging, drehte er sich um und ging einige Schritte zurück in den Schatten einer Säule. Ich folgte ihm und begrüßte ihn mit einem traurig erstaunten Blick, der kaum mehr sagte als "Du lebst also noch?"
"Ich möchte nur zur Beerdigung hier sein", sagte er knapp. "Wenn die Assassinen erfahren dass ich hier bin, bin ich wohl auch zu meiner eigenen angereist."
Ich nickte. "Wir hatten geglaubt du seist tot."
Der Mann, der mir gegenüberstand und den ich kaum kannte, lächelte mich traurig an. "Sie konnte wusste, dass ich noch lebe. Ich hätte mich ihr früher anvertrauen sollen, aber es ist jetzt zu spät das zu bedauern."
Ich sah ihn nachdenklich an. "Wo bist du gewesen?"
"Sto Helit, bei ihren Eltern. Dort werde ich wieder hingehen. Ich bin kein Mitglied der Gilde mehr und laut einigen Freunden stehe ich recht weit oben auf der Abschussliste. Cobalt hat einen hohen Betrag für mich ausgesetzt. Dank dieser Freunde wusste ich auch, dass dieser Nichts dich hier treffen würde - sag ihm das bitte."
"Warum hat Witwenmacher Cobalt wieder aufgenommen?", fragte ich.
"Kennst du das Sprichwort: 'Kenne deine Feinde?' Der Assassine, der nicht danach lebt hat eine relativ kurze Karriere. In der Gilde kann Witwenmacher Cobalt besser überwachen, außerdem ist er ein hevorragender Assassine, er hat in Quirm einiges gelernt."
"Und Rubin?" Ich war neugierig geworden und hatte in diesem Moment Trauer und Wut fast vergessen.
"Dem haben sie die Ohren lang gezogen, er wird bis an sein Lebensende gestraft sein, er hat ja nichts vorzuweisen, was ihm helfen könnte bis auf seine schmierige Art der Messerspiele." Gabriel rieb sich abwesend die rechte Hand und ich sah, dass kleine Narben an seinen Fingern zu erkennen waren. "Wenn die Gilde mich findet machen sie mit mir das gleiche, wahrscheinlich noch schlimmer, denn ich habe nicht mal Geld, um Leute zu bestehen." Er sah mich mit seinen dunklen Augen an und schluckte. "Nun denn, wir sehen uns bei der Beerdigung." Bei diesen Worten durchzuckte ein Blitz den Himmel. Donner folgte nur einen Augenblick später und es begann wieder zu regnen.

13. Ein schwarzer Schatten

Ich ging hinab in den Weinkeller, immer noch flossen die Tränen aus meinen Augen. Es war kaum vier Stunden her, dass ich ihren Leichnam gesehen hatte.
Ich wusste, dass ich ihn hier finden würde. Es war ein Gefühl, wie ein Schatten in meinem Herzen, der nicht losließ, mir die Richtung vorgab und immer wieder bestätigte: Es ist recht so. Lass Gerechtigkeit walten.
Leise, wie ein Jäger, pirschte ich mich heran. Ich sah seinen Schatten im Kerzenlicht. Er war über jemanden gebeugt, sein Klient, der Inhaber der Taverne über mir. Ich konnte ihn atmen hören - ich hatte erwartet dass mein Herzschlag alles übertönen würde, doch ich war ganz ruhig. Leises Rascheln deutete an, dass er gerade seine Quittung ausstellte, das kleine Stück Papier dass einen Mord legalisierte. Noch immer hatte er mich nicht bemerkt, so wie ich es geplant hatte. Er würde nicht wissen, dass ich hier war. Dafür sorgte die Ausstattung, die meine Mutter mir geschickt hatte. Sicherlich hatte sie nicht angedacht, dass ich sie so verwenden würde um mich, in dem blaustichigen Schwarz vor dem Schwarz der Assassinen versteckte. Erst wenn ich es wollte würde er mich sehen. Und nun wollte ich es.
Es zischte nur leise, als sich der Pfeil meiner Armbrust löste und in seine rechte Schulter traf. Erschrocken drehte er sich um - er schrie nicht vor Schmerzen, was mir ein wenig Genugtuung verschaffte. Er keuchte nur und sah dann fassungslos in meine Augen und dann auf meine entladene Armbrust, die immer noch auf ihn gerichtet war.
"Was willst du?" Aus seinem Mund lief bereits Blut, doch er war bei klarem Verstand.
Ich lächelte und ließ die Armbrust fallen. Er versuchte, sich aufzurichten und ich zog meinen Dolch unter dem schwarzen Umhang aus dem Gürtel.
"Du bist so gut wie tot. Tu' mir den Gefallen und stirb wie ein Mann."
"Ha!" Er keuchte wieder. Er wusste nicht soviel über Anatomie wie ich, er wusste nicht, wo ich ihn getroffen hatte.
"Nein, warte. Stirb nicht wie ein Mann. Stirb wie Lillian. Stirb wie eine Frau, du Schwein. Stirb mit ihrer Liebe, mit ihrer Verzweiflung, mit ihrer Angst. Stirb wie Lillian. Standhaft und mutig."
Seine Wimpern zuckten, seine Bewegungen kamen mir unwirklich langsam vor als er aufsprang und sich auf mich stürzte. Er sprang direkt in meinen Dolch. Ein weiterer Schwall Blut kam aus seinem Mund, besudelte meine Brust, erst dann tropfte das Blut seines Herzens über meinen Dolch hinab auf meine Hand. Angeekelt stieß ich ihn von mir. Er landete neben seinem "Klienten", verfehlte ihn nur im ein Haar.
Im Hintergrund grinste Tod mir zu.

Der Vorteil daran, in einer forensischen Abteilung zu arbeiten ist schlichtweg, dass man aus den Fehlern anderer lernte. Der Knackpunkt eines Mordes war die Leiche, wenn man keine Leiche fand, suchte man nach keinem Mörder. Er hatte es mir einfach gemacht, er hatte sich einen Weinkeller ausgesucht. Hunderte von Fässern, die man in dreißig Jahren nicht öffnen würde.
Das Eichenfass eines Rosés würde sein Sarg werden, auch wenn man seinen Körper schon wenige Wochen später darin nicht mehr entdecken würde. Wofür hatte der Schöpfer die Flusssäure erfunden, wenn nicht hierfür. Nur das Metall seiner Waffen war im Weg gewesen, doch es befand sich nun in meiner Tasche und würde unbemerkt in den Fundus DOGs übergehen.
Die Säure begann bereits mit ihrer Arbeit, als ich die letzten Spuren - das Blut - verwischte. Der letzte Schritt bestand in einem kleinen Gruß an unsere Werwölfe, falls die überhaupt hier auftauchen würden. Freundlicherweise hatte ich mich nicht für Pfefferminz entschieden sondern für etwas, dass sie sehr, sehr glücklich machen würde.
Leichtfüßig und befreit von einer schweren Last verließ ich den Keller, ging die Treppe nach oben und durchquerte den verlassenen Schankraum. Als ich die Taverne verließ, kämpfte sich gerade ein einsamer Sonnenstrahl durch die dicken Wolken am Himmel. Es hatte begonnen zu schneien.


***

Ich starrte an den Fleck an der Wand. Blutrot lief der Wein von der Wand herunter, lief hinunter auf die grünen Glasscherben. Es war bereits kurz vor fünf. Ich hatte noch ein Bewerbungsgespräch vor mir.
Ein letztes Mal sah ich auf den roten Fleck an der Wand. Wie Blut, so rot.
[1] anscheinend war er Sampo schon öfter begegnet

[2] buchstäblich hängen lassen




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Feedback:

Von Valdimier van Varwald

28.12.2005 01:46

Hallo Rea,

wieder eine tolle Single. Du hast den düsteren Unterton der Geschichte sehr gut getroffen, ob das nun die ungeschönte Gewalt oder das doch sehr gewagte Ende war. Gerade wegen letzten bin ich sehr auf Reas weiteren Werdegang gespannt.

Was mir allerdings etwas negativ aufgefallen ist, war der doch etwas geradlinig verlaufene Plot der Geschichte und es gab Stellen, wo ich den Schreibstil nicht ganz so eingängig wie bei deinen letzten Geschichten fand. Manche Passagen wirkten auf mich irgendwie gehetzt geschrieben.

Deswegen gibt es von mir "nur" 13 Punkte.

Von Goldie Kleinaxt

28.12.2005 13:30

Hey,
Hat mir wirklich sehr sehr gut gefallen - sogar ein wenig besser als das Ergebnis am Ende ausgefallen ist :wink: . Liegt vielleicht auch daran, daß ich die Ich-Erzählerperspektive generell mag und Du sie stilistisch sehr gut gemeistert hast! :) Die düstere und ein wenig unheilschwangere Atmosphäre kam sehr gut rüber.
Kritik um der Kritik willen: Mir kam der Plot an manchen Stellen ein wenig aufgesetzt und glatt vor. Das kann aber auch daran liegen, daß ich nicht alle Vor- oder Hintergrundgeschichten (Born Baby ?) ect. gelesen habe.
Weiter so!
:)

Von Robin Picardo

28.12.2005 13:52

Jap, Atmosphäre war toll...aber das mit der Ich-Form...(ich mag die Ich-Form!!)
Sie war gut, aber an einigen Stellen hättest du m.E. noch ein wenig feilen können...aber trotzdem Glückwunsch zum verdienten Ribbon!
LG Robs

Von Thask Verschoor

28.12.2005 15:23

Die erste Mission die ich von dir gelesen hab, hat mir sehr gut gefallen. :) :daumenhoch:

Von Tussnelda von Grantick

28.12.2005 15:42

Sehr schöne Single. Gut gefallen hat mir das wiederkehrende Bild des schwarz-vertränten Gesichts. Auch gegen die Gradlinigkeit der Single fand ich nichts einzuwenden, lieber so, als wenn man nicht mehr versteht, was man da liest.

Aufgefallen war mir: das Konzept der Gerichtsverhandlung: Gibt es doch eigentlich nicht? Hätte die Gilde selbst, oder wenn überhaupt der Patrizier gemacht?

Auch das Lebewohl hätte ich nicht so vorweggenommen, ich glaube, es hätte an der chronologisch richtigen Stelle mehr Wirkung erzielt.

Von Cim Bürstenkinn

28.12.2005 19:57

Nun, was ich Dir ja auch schon per gAIM gesagt habe:
Ich fand die Sache mit dem Kater und Laizas telepathischen Kontakt eine Spur zu "praktisch".
Ich darf Dich auch an Dein Feedback auf meine Mission erinnern, in der das Tagebuch in Deinen Augen als Lösung "zu einfach" gewesen ist.
Nun en passant hast Du hier nicht nur eine sehr einfache Lösung sondern auch noch ein "Zusatzfeature" in 2 Zeilen eingeführt, dass ihr, Du und Laiza so schnell nicht mehr los werdet.
Ohne Euch da in eure private Entwicklung hineinreden zu wollen, sei euch gesagt, was ich auch jedem Rekruten sage: seid mit sonderbaren, praktischen und über das normale hinausgehenden Fähigkeiten ein wenig vorsichtig. Auch wenn "es eh kaum funktioniert", "oft fehlschlägt", "unzuverlässig" ist. Wie Daemon schon bei den LEDs angeführt hat: im Ernstfall werdet ihr euch einfach "ganz toll anstrengen" und mit viel Glück wird es funktionieren, weil es eure geschichte ist.

Die Tatsache, dass es keine "Verästelungen" gegeben hat, war im Sinne des Erfinders, und hat die "Tiefe" der vermittelten Gefühle noch unterstützt.

Alles in allem eine sehr schöne Single in der wesentlich mehr drinnen gewesen wäre :)

Von Laiza Harmonie

28.12.2005 23:17

[quote:b7e5975d1a="Cim"]Nun, was ich Dir ja auch schon per gAIM gesagt habe:
Ich fand die Sache mit dem Kater und Laizas telepathischen Kontakt eine Spur zu "praktisch".
[/quote:b7e5975d1a]
Da muss ich die schuld auf mich nehmen, den diese Szene hab ich mir "gewünscht". ;-)
[quote:b7e5975d1a="Cim"]
seid mit sonderbaren, praktischen und über das normale hinausgehenden Fähigkeiten ein wenig vorsichtig.
[/quote:b7e5975d1a]
Laiza als Medium, darüber sollte in dem Thread meiner Single geredet werden, wenn sie denn mal fertig wird..., oder in den Coops die noch kommen ;-). Aber keine Angst die Fähigkeit wird nicht überhand nehmen ;-)

Nun, aber zu Rea'chens Single. Die Ich Form gefiel mir, wobei ich dir sagen muss, dass du dir bei Cims letzter Single noch ein wenig abgucken solltest ;-D da gefiels mir die Ich form ein wenig besser.
Gradlinig hin oder her. In der Single ging es um die Person Rea Dubiata und der Fall war dabei nur mittel zum Zweck, so empfand ich es und deshalb war es nicht schlimm, das die Geschichte keine Umwege nahm.
Ich mag singles einfach, indenen man einiges über den Char erfährt;-) Dein Stil war wie immer Spitze und du hast einen guten übergang zu deiner baldigen Spezialisierung in der Wache geschaffen. Deshalb gab es von mir einen Punkt mehr als es letztendlich geworden ist.

Von Rea Dubiata

02.01.2006 08:41

Hui, da passiert mir das mit dem Autologin doch auch endlich mal.. :D

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