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Es ist eine düstere, schwere und einsame Nacht in Ankh-Morpork, als Goldie Einblick in das Leben und Sterben von K. bekommt
Dafür vergebene Note: 13
Ein langsamer, aber tiefer Schmerz durchfuhr mich und eine langsame Kälte breitete sich in mir aus.
Ich hatte ihn sogar noch gesehen. Zumindest als schwarzen Schatten wurde ich ihn, aus meinem äußersten Blickwinkel her, gewahr. Dies bereitete mir zumindest eine gewisse Befriedigung in meiner derzeitigen Situation.
Ich löste mich mühsam aus meiner Erstarrung und versuchte mich umzudrehen. Die Schmerzen, die ich dabei empfand, waren nahezu unerträglich. Die Fragestellung, was genau diese Schmerzen verursachte, erschien mir dabei eher als nebensächlich. Ich spürte, wie ich das Gleichgewicht verlor und mich an der Wand abstützen musste. Ich schaffte es noch nicht einmal mehr, meine Axt festzuhalten, welche klirrend zu Boden fiel. Ein Kichern drang von rechts her in mein Ohr und als ich es endlich fertig brachte mich zu wenden, sah ich einen schwarzen Umriss vor mir. Genaueres konnte ich durch die Dunkelheit nicht erkennen, aber er schien immer noch in jener Nische zu stehen und mich zu beobachten. Wollte er zur Sicherheit warten, bis ich keinen Ton mehr von mir gab oder wieso beobachtete er mich - mich, sein Opfer - mit einem so seltsamen amüsierten Blick?
Der Schmerz begann langsam nachzulassen. Mir war fast so, als würde sich ein taubes Gefühl von der Stelle ausbreiten, an der er seine kalte Klinge tief in meinen Körper gerammt hatte. Und obwohl ich nichts mehr spürte außer einer großen Kälte, die sich in mir ausbreitete, zitterte und krampfte meine Hand wie Espenlaub. Und obwohl ich es versuchte zu kontrollieren, wurde das Zittern, einem Schüttelfrost gleich, immer stärker.
Der Umriss meines Mörders verschwamm langsam, ebenso wie der Rest des Raumes. Aber eines bekam ich noch klar und deutlich mit. Sein Kichern! Es kam von Vorne, genau von dort, wo ich seine Silhouette im Licht der Fackeln erkennen konnte. Er stand dort in der Ecke, in der er wahrscheinlich auch vorhin, als ich ihm unwissentlich den Rücken zugekehrt hatte, gestanden haben musste und kicherte vor sich hin. Jetzt - im Schein der Fackeln und wo ich seiner gewahr geworden war - konnte ich mir kaum mehr erklären, wieso ich ihn vorhin nicht gesehen hatte, aber eigentlich spielte das jetzt auch keine Rolle mehr.
Und so bizarr wie es mir in diesen Augenblick selbst vorkam, erschien mir dieses Kichern doch das Beste zu sein, was man in dieser Situation überhaupt tun konnte. Und merkwürdigerweise erfüllte es mich weder mit Wut, noch mit Verzweiflung. Beides fand derzeit keinen Platz mehr in meinem Bewusstsein.
Plötzlich hörte das Kichern auf und mit einem letzten Kraftakt versuchte ich, mich auf den Umriss vor mir zu konzentrieren. Aber erneut verschwamm mein Blick und ich konnte nur erkennen, wie der Schemen meines Mörders, denn ich war fest davon überzeugt, dass ich sterben würde, immer kleiner wurde.
Als auch die letzten leisen Schritte verklungen waren, spürte ich, wie auch meine letzten Kräfte schwanden. Fast als wäre die Anwesenheit meines Mörders der Grund gewesen, mich, ihm zum Trotz, auf den Beinen zu halten, gaben meine Knie jetzt nach und ich rutsche an der Wand entlang und schlug auf dem harten kalten Boden auf.
Mit einer letzten Anstrengung kämpfte ich den Anflug von ohnmächtiger Schwärze nieder, der sich meiner zu bemächtigen versuchte. Aber es erschien hoffnungslos. Der kurze Augenblick der Klarheit reichte gerade aus, um zu erkennen, dass mein Mörder den dunklen Keller bereits verlassen hatte. Offensichtlich war er sich seiner Sache sicher!
Aber wieso sollte er auch daran zweifeln, dass hier mein Ende war. Ich selbst kämpfte mit den letzten Sinnen und wusste, dass mich, sobald ich auch diese verloren hatte, hier unten sobald niemand finden würde. Vor dem Abend würde es in der Boucherie niemandem auffallen, dass ich weg war.
Mit den letzten Gedanken wurde mir klar, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war, diesem Mann hierher zu folgen, ihm derart in die Falle zu tappen. Ich hatte immer gedacht, so etwas könnte mir nicht passieren. Ich hatte fest daran geglaubt, dass wir diejenigen jagten und zur Strecke brachten, die wir für böse und schlecht hielten. In meiner grenzenlosen Naivität und Blendung war ich dem abtrünnigen Assassinen hierher gefolgt und glaubte ihn hier endlich stellen zu können.
Ich musste husten. Ein schwerer Schüttelanfall durchfuhr mich und während des krampfhaften Hustens spürte ich warmes zähes Blut in meinem Mund. Mein Blut!
Ich hatte mir niemals über das Sterben Gedanken gemacht. Es schien immer so weit entfernt. Geradeso wie etwas das nur Anderen passieren konnte.
Langsam schwanden mir immer mehr die Sinne. Ich schaffte es nicht mehr, mich auf diese Welt, die mich umgab zu konzentrieren und neben der Kälte und Taubheit meines Körpers kam diese unerträgliche Müdigkeit hinzu. Ich konnte nicht mehr dagegen ankämpfen!
"Wozu auch?" krächzte mir eine nur allzu vertraute Stimme in meiner Muttersprache ins Ohr. "Stirb endlich, Du verdammter Zwerg! Stirb endlich!"
***
Ich überfliege die ersten Einträge. Sie sind in einer offenbar zittrigen Handschrift geschrieben worden und an einigen Stellen kann ich Buchstaben oder ganze Wörter nur schwer oder gar nicht entziffern. Aber im Großen und Ganzen kann ich es lesen. Er hatte offenbar nicht regelmäßig geschrieben und oft tagelange Pausen eingelegt. Mit einer seltsamen Faszination lese ich weiter. Er beschreibt in seinen Beiträgen alltägliche Situationen, wie die Milchmädchen, die er jeden Tag aus dem Fenster des alten Hauses beobachtete oder seine Eindrücke bei den häufigen Tavernenbesuchen. Eigentlich kann ich gar nicht glauben, dass es sich hierbei wirklich um K. handelt. Zumindest bis ich auf den folgenden Beitrag stoße.
"Einer der Männer in der Taverne hat mich an den alten Mann erinnert, der versucht hatte, mich zu betrügen. Er hatte denselben dummen und abwertenden Gesichtsausdruck. Ich hasse diese Menschen, die mich behandeln als wäre ich einer der Ihren. Und es macht mich wütend an den Alten zu denken. Niemanden hat es gekümmert, als sie ihn gefunden haben. Niemand hat nach mir gesucht, die ganze Arbeit war umsonst."
***
Ein grauenhafter Stich in meinem Rücken und donnernde Kopfschmerzen weckten mich aus meinen Träumen. Zumindest war ich sicher, nicht mehr zu schlafen, obwohl ich die Augen noch nicht geöffnet hatte, denn das übergroße Eichhörnchen mit den glühend roten Augen und der Sichel in der Hand war verschwunden. Und das war auch gut so, denn obwohl ich mich an keine Einzelheiten mehr erinnern konnte, war ich mir sicher, dass dies kein normaler und auch kein angenehmer Traum gewesen war.
Langsam wurde ich mir immer mehr meiner Umgebung bewusst. Die Augen wagte ich immer noch nicht zu öffnen, denn offensichtlich war es bereits Tag. Durch meine noch geschlossenen Lider drang eine fast schmerzhaft intensive Helligkeit. Und mir war kalt. Ich konnte mich nicht erinnern wo und wann ich mich hingelegt haben könnte, aber ich fragte mich, warum ich mich auf etwas gelegt haben sollte, was zum einem kalt und zum anderen so derart hart war.
Mühsam öffnete ich meine Augen und die Helligkeit, die durch die blinzelnden Augenlider drang, schmerzte. Das Erste was ich sah, war eine graue Decke. Während sich meine Augen an das Licht gewöhnten und ich immer mehr von dem Zimmer wahrnahm, versuchte ich mich an das zu erinnern, was dazu geführt hatte, dass ich hier lag. Aber in meinem Kopf herrschte eine seltsame Leere, denn ich konnte mich an absolut nichts erinnern, als an bizarre und merkwürdige Träume.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen.
Es war ein kleiner Raum. Er schien schmucklos eingerichtet und von Fackeln an den Wänden erleuchtet. An der Seite links von mir hing eine Tafel mit merkwürdigen Notizen und gleich neben mir stand ein kleiner Tisch oder eine Kommode – ich war mir nicht sicher – aber auf ihr lagen Dinge die mir einen Schrecken einjagten. Skalpelle, Messer, Pinzetten und eine Kaffeetasse!
Zuerst fürchtete ich in die Folterkammer eines dieser Verrückten gelangt zu sein. Aber dann fiel mir auf, dass mir der Raum in welchem ich lag, bekannt vorkam. Langsam richtete ich mich auf, um mir alles genauer anzusehen. Ich schob die graue Decke beiseite, mit der ich zugedeckt war. An der anderen Seite des Raumes stand ein weiterer kleiner Tisch, auf welchem etwas lag, was mich stutzig machte. Es war ein Gipsabguss, auf welchem man bei genauerem Hinsehen die Spuren eines Karren erkennen konnte. Direkt daneben lag ein Zettel mit der Aufschrift "Fall 08/14 - Lar'a MacLaut".
Und während ich kurze Zeit über den Namen MacLaut nachdachte drang langsam die Erkenntnis über den Ort, an dem ich aufgewacht war, in mein Bewusstsein. Und um die Verwirrung an diesem Morgen – ich nahm an, dass es sich um einen Morgen handelte – noch zu verstärken, drängte sich mir eine weitere Frage ins Bewusstsein.
'Wieso?!'
Wenn man mich betrunken oder wie auch immer irgendwo in dieser verfluchten Stadt aufgelesen hatte, wieso legten meine Kollegen mich zum Aufwachen bei SUSI in die Leichenkammer?
Obwohl mein Rücken immer noch schmerzte und auch das Schwindelgefühl und die Kopfschmerzen noch nicht ganz verschwunden waren, stieg neben der Verwirrung etwas wie Wut in mir hoch.
Hatten meine werten Kollegen denn wirklich keine Zeit gehabt, mich in die Boucherie zu bringen? Und selbst wenn das nicht zu bewerkstelligen gewesen war, gab es denn in dem ganzen Wachhaus hier nichts anderes als einen Leichentisch um die Kollegen ausschlafen zu lassen?!
Ärgerlich kletterte ich von dem kalten Edelstahltisch herunter und schnappte mir meine Sachen, die ordentlich neben dem Tisch aufgereiht lagen. Schritte und das Klappern von Gegenständen drangen aus einem der Nebenräume zu mir. Offensichtlich war ich nicht alleine hier unten.
"Hallo, ist hier jemand?" Mein Ruf schallte durch die kalten gekachelten Räume und alles, was ich als Antwort vernahm, war das laute Klirren irgendeines metallischen Gegenstandes. Dann herrschte wieder Stille – ich hielt den Atem an, aber alles was ich hören konnte, war der dumpfe und entfernte Lärm der Straßen Ankh-Morporks.
"Hallo, ist hier jemand? Und was soll der Unsinn eigentlich!?"
Wieder erhielt ich keine Antwort. Aber diesmal vernahm ich leise und zaghafte Schritte, die sich diesmal zu nähern schienen. Gespannt starrte ich auf die angelehnte Tür zum angrenzenden Raum, aus der die Schritte gekommen waren. Fast wie in Zeitlupe beobachtete ich, wie sich die Tür quietschend zur Gänze öffnete und eine allzu bekannte Gestalt preisgab.
Rea Dubiata, eine der SUSI-Gerichtsmedizinerinnen, stand mit ungläubiger Mine und heruntergeklapptem Kiefer im Durchgang. Das Skalpell in ihrer Hand, welches sie wie einen Dolch auf mich gerichtet hielt, fiel klirrend zu Boden.
Ihr Blick glitt wortlos von dem Tisch auf dem ich erwacht war und mir hin und her.
"Goldie?" Ihr Tonfall hatte etwas merkwürdig fragendes, was mich beunruhigte. Es war als ob sie mich zwar erkannte, aber trotzdem an meiner Identität zweifelte.
"Rea, was soll das hier? Ist das ein Scherz, oder was?"
Ich versuchte auf sie zuzugehen, geriet aber bereits bei einem meiner ersten Schritte ins Straucheln. Es war als würde ich festhängen. Ich versuchte mich irgendwo festzuhalten und mein Gleichgewicht wieder zu erlangen. Aber meine wild rudernden Arme konnten nichts greifen.
"Aaarrgh!"
Kurz bevor ich mit dem Kopf gegen die immer näher rasenden Fliesen des Fußbodens aufschlug, erhaschte ich einen kurzen Blick auf das, was meinen Sturz verursacht hatte.
An meine rechte Zehe hatte mir offensichtlich jemand einen weißen Zettel gebunden, auf dem mein linker Fuß gerade stand.
Die Dunkelheit und die Träume aus denen ich vor wenigen Minuten erst erwacht war, umfingen meinen Geist erneut.
***
Ich blättere weiter. Mittlerweile überfliege ich die Einträge mehr grob. Der Autor schien offensichtlich über eine sehr gespaltene Persönlichkeit zu verfügen. Nur wenige Tage waren von dem gekennzeichnet, was uns dazu veranlasst hätte, in ihm tatsächlich den Mörder zu sehen, der er gewesen ist.
Interessiert komme ich zu den Tagen, an denen sich unsere schicksalhafte Begegnung ereignet haben soll, an welche ich mich allerdings nach wie vor nicht erinnern kann. Mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken stoße ich auf einen Eintrag der genau auf jene Tage datiert an denen ich gefunden wurde.
"Es ist jetzt schon Stunden her und ich kann immer noch nicht aufhören, über diesen dummen Zwerg zu lachen. Ich hätte ihm schon so oft auf verschiedene Arten beweisen können, dass mir niemand in dieser Stadt gewachsen ist. Aber ich denke er hat es am Ende begriffen und seine Freunde werden mir nun auch mehr Aufmerksamkeit schenken. Es hat mir soviel Spaß gemacht, wie mit keinem Anderen je zuvor."
***
Ich saß an meinen Schreibtisch im DOG-Quartier und grübelte. An all das, was mir die letzten Tage passiert war, dachte ich nur ungern zurück. Und dennoch ertappte ich mich immer wieder dabei, mir Gedanken darüber zu machen, was mit mir angeblich passiert sein soll.
Langsam und müde las ich die Berichte der letzten Tage. Aber außer eine Anfrage von einer anderen Abteilung – RUM hatte um die Identifizierung eines Mitgliedes der Malergilde, eines gewissen Ehrenfried Ehrlich, gebeten – war nichts Erwähnenswertes passiert.
Ich musste erneut gähnen. Diese Müdigkeit der letzten Tage war mittlerweile zum Dauerzustand geworden.
Ich schlief teils schon am helllichten Tage ein. Zumindest war ich davon überzeugt, denn die merkwürdigen Aussetzer meines Gedächtnisses hatten seit meinem Erwachen im SUSI-Labor nicht aufgehört. Immer wieder soll ich Leuten begegnet sein, an die ich mich nicht erinnern konnte. Wie genau das funktionieren sollte, konnte ich mir auch nicht erklären, aber es musste wohl so etwas wie Schlafwandeln sein. Vielleicht hatte ich es auch schon vorher – vor meinem Unfall - getan, aber ich bin nie darauf aufmerksam geworden.
Nein - Es musste mehr als nur bloßes Schlafwandeln sein. Dessen als Einziges war ich mir sicher. Nach dem was mir meine Wächterkollegen darüber erzählten, habe ich ganz anders gewirkt als sonst. Was genau sie damit meinten hatte ich nicht verstanden, aber ich war mir dabei sicher, dass sie keinen guten Eindruck von mir hatten.
Ich fühlte mich allein und verängstigt. Die Möglichkeit von etwas besessen zu sein, was ich nicht kontrollieren konnte, ließ mir einen kalten Schauer den Rücken herunter laufen.
***
Erneut blättere ich ein paar Seiten nach vorne und lese einen Eintrag, der vor vier oder fünf Tagen geschrieben worden sein muss. Also kurz vor seinem Tod.
"Ich hatte heute eine merkwürdige Begegnung. Diese verdammten Zwerge sehen doch alle gleich aus. Dennoch hätte ich schwören können, dass dieser eine Zwerg genau derjenige ist, der eigentlich gar nicht mehr leben dürfte. Es ist fast ausgeschlossen, dass es in dieser verfluchten Stadt einen zweiten seiner Spezies gibt, der ein Eichhörnchen auf der Schulter sitzen hat. Dieses komische Vieh ist mir schon damals aufgefallen. Ich bin mir nicht sicher ob ich es mir eingebildet habe, aber ich glaube dass die Augen dieses Nagetiers rot geglüht haben. Ich hätte ein zweites Mal zustechen sollen."
***
Ich mochte diese stickige Luft des Büros des Fähnrichs nicht. Sie roch stark nach kaltem Rauch und nach Mensch. Was nicht hieß, dass sich der Fähnrich nicht waschen würde, aber er öffnete die Fenster fast nie und der Geruch, welcher den Menschen so eigen ist, klebte förmlich an diesem Raum.
Vorsichtig blickte ich mich zu den Kissen und Matratzen hinter mir um. Auch ich hatte dort einst Platz genommen, so wie mir geheißen wurde und hatte mich die restliche Zeit mehr mit dem Gedanken an das, was in den Matratzen lebte beschäftigt als mit dem Vortrag des Feldwebels.
"Obergefreite! Hören sie mir überhaupt zu?" Die Worte Picardos rissen mich in die Wirklichkeit zurück.
Ich nahm Haltung an und wendete mich Robin zu, der offensichtlich seine Akten fertig durchgesehen hatte.
"Danke für die geschätzte Aufmerksamkeit!" Zynismus tropfte förmlich in seiner Stimme. "Nach dem Theater das Du gestern hier aufgeführt hast, hätte ich wirklich mehr Motivation erwartet!"
"Welches Theater, Sir?" Egal auf was er versuchte anzuspielen, ich verstand es nicht.
"Die gestrige Besprechung!" Seine Stirn legte sich in unzählige Falten und er sah mich mit einem durchdringenden Blick an, der Skepsis und Misstrauen zum Ausdruck brachte.
"Geht es Dir gut, Goldie?"
Ich zögerte kurz.
"Ja, gut – Danke!" Wobei mir bewusst war, dass es sich dabei um eine Lüge handelte.
Denn in Wahrheit ging es mir alles andere als gut. Körperlich hatte ich mich soweit erholt. Die Wunde in meinem Rücken war erstaunlich gut verheilt. Sie war sogar so gut verheilt, dass unser Wache-Sanitäter Rogi Feinstich mich kurz mit Weihwasser bespritzt und mir eine Knoblauchzehe in den Mund gesteckt hatte. Sie nannte dies einen routinemäßigen Untotentest. Wie erwartet und trotzdem zu meiner Erleichterung stellte sie fest, dass ich kein Untoter war.
"Schlaf Dich aus und melde Dich wieder bei mir, wenn Du das hier durchgesehen hast, Obergefreite!" Die Worte des Fähnrichs klangen ernst, wobei ich nicht wusste weshalb. Es schob mir einen kleinen Stapel Akten hinüber und wandte sich wieder seinen eigenen Dingen zu. Ich ergriff die Akten, salutierte mit der noch freien Hand und drehte mich um zum gehen.
Kurz bevor ich die Tür erreichte, stoppte mich die Stimme des Fähnrichs.
"Goldie. Was ist eigentlich mit Deiner Ratte passiert?"
Verwirrt sah ich ihn an.
"Meine Ratte, Sir? Was meinen sie damit?"
"Ja, ich weiß, dass es keine Ratte ist!"
Robin schien nach einem geeigneten Wort zu suchen. Schließlich deutete er auf meine rechte Schulter und ich verstand, was er meinte.
"Meinen Sie Teufel?"
"Ja, Goldie. Was ist mit ihm? Er hat doch sonst immer auf Deiner Schulter gesessen, Obergefreite!"
Ich zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung! Er ist weg seit der..." Ich stockte kurz " Seit der Sache mit dem Unfall."
Und diesmal hatte ich meinen Vorgesetzten nicht angelogen. Ich hatte tatsächlich keine Ahnung, was aus dem Kerl geworden war. Zuerst hatte ich sein Fehlen gar nicht bemerkt. Erst als ich vor zwei Tagen in mein Büro in der Boucherie zurückkehrte, fiel mir seine kleine Futterschale auf meinem Schreibtisch auf und mit ihr das Fehlen des kleinen schwarzen, magischen Eichhörnchens.
Aber da ich mich an nichts erinnern konnte, an was ich mich aber eigentlich erinnern sollte, war das Verschwinden Teufels das Faktum, was mich von alledem, was mir die letzten zwei Tage widerfahren war, am wenigsten beschäftigte.
"Na dann! Schau Dir mal die Akten durch Goldie. Und Kopf hoch!" Der Fähnrich verzog sein Gesicht zu einer merkwürdigen schiefen Fratze, mit der er wahrscheinlich ein Grinsen oder etwas Aufmunterndes andeuten wollte. Zumindest die Geste gab mir wieder ein wenig Kraft und ich schloss die Tür zu seinem Büro hinter mir.
***
Auf mich wirkt der letzte Eintrag fast wie ein Schock. Ich sitze auf dem Stuhl an meinem kleinen Tisch, mein Atem geht schneller und ich kann kaum glauben, was ich dort lese. Dennoch bin ich wie gefesselt und wie im Zwang gleitet mein Blick zum nächsten Eintrag bei welchem ich immer mehr Schwierigkeiten habe, die immer zittriger werdende Schrift zu lesen.
"Ich habe ihn heute wieder gesehen. Mittlerweile bin ich mir ganz sicher, dass es derselbe Zwerg ist. Aber wie kann es sein. Ich könnte beschwören, dass er nicht mehr leben dürfte. Und noch etwas. Er hat mich gesehen. Ich stand an der Ecke und plötzlich drehte der Kerl sich zu mir um und sah mich an. Er und sein merkwürdiges Vieh auf der Schulter. Der Zwerg hat einen merkwürdigen Eindruck auf mich gemacht. Sein Blick war irgendwie leer, wie er mich anstarrte und die Augen des Nagetieres haben rot geglüht. Fast wie der Seelenjäger in meinen Träumen. Dann hat er sich wieder weggedreht als hätte er mich nicht erkannt. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein. Ich sollte mehr schlafen."
***
"Was weißt Du über diesen Fall?"
Ich schob Dlei und Patrick eine kleine dünne Akte über den Tisch. Draußen war es bereits dunkel und die Achaterin hatte Kerzen angezündet, die ihr Büro in flackerndes mattes Licht tauchten.
"Ist das del tote Assassine?" fragte Dlei nach einem ersten flüchtigen Blick auf die Überschrift der ersten Seite.
"Wohl eher der tote Ex-Assassine!" korrigierte sie Patrick. Der Husky hatte es sich auf dem roten Diwan gemütlich gemacht. "Ist er nicht vor einem Jahr aus der Gilde geflogen?"
Dlei schien kurz nachzudenken und seufzte tief.
"Bleda könnte uns das wohl bessel elklälen. Wild Zeit das sie wiedel zulückkommt."
Das wusste ich bereits. Es war wenig motivierend, dass meine Kollegen ebenfalls keine Ahnung darüber hatten und der Fähnrich war seit Tagen schlecht aufgelegt. Man munkelte Crunkers hätte ihm in die Stiefel ... naja, ich hasste es, solche Wörter auch nur zu denken. Aber allein die Vorstellung daran hatte die Gerüchteküche genügend inspiriert.
"Soviel hatte ich auch schon herausgefunden. Aber wieso hab ich dann diesen Fall? Wieso bearbeitet nicht RUM die Geschichte?"
Dies war eine der Kernfragen die ich mir stellte. Es war für die Klärung nicht relevant, zumindest nicht soweit ich es zu dem Zeitpunkt wusste. Aber es machte mich skeptisch, denn der Zufall wäre allzu groß gewesen. Nicht, dass ich diesen Fall nicht haben wollte. Nein – ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich den Stapel durchsuchte, den der Fähnrich mir zugedacht hatte. Aber es hatte auch Misstrauen in mir geweckt, denn es kam mir wie blanke Ironie vor, dass wir – besser ich - den Mord genau desjenigen untersuchen sollten, den wir nunmehr über ein halbes Jahr gejagd hatten. Ich richtete erneut einen fragenden Blick auf meine beiden engsten Kollegen.
"RUM? Die können doch nicht mal bis drei zählen!" Patrick zeigte wie immer seine Wertschätzung gegenüber den anderen Abteilungen.
"Egal was Du denkst Patlick. Es sind auch gute Wächtel. Abel ich weiß auch nicht wieso gelade Du, Goldie, diesen Fall hast!"
"Wie meinst Du das, dass ich diesen Fall gekriegt habe?" antwortete ich mit entrüsteter Stimme.
Dlei sah sich kurz zu Patrick um, der genau in diesem Moment interessiert an die Decke starrte. Sie machte plötzlich einen sehr unsicheren Eindruck und schaute sich verlegen im Raum um.
"Nun ja. Goldie – wil dachten Du wüsstest was wil meinten." begann sie und warf einen hilfesuchenden Blick zu Patrick "Du hattest ja diesen Unfall odel was auch immel. Und wil dachten – bessel Lobin und Logi – es wäle jetzt bessel fül Dich, wenn Du Dich elstmal schonen wüldest. Eigentlich hätte jemand andeles den Fall kliegen sollen. Gelade diesen Fall!"
Sie atmete plötzlich tief durch, geradeso als ob es sie viel Überwindung gekostet hatte, dies auszusprechen.
Ich sah sie lange und eindringlich an. Sie schien sich geradezu unter meinen Blick zu quälen wobei ich dies eigentlich nicht beabsichtigt hatte. Es lag plötzlich eine bedrückende Stille im Raum. Patrick studierte wie noch vor Sekunden die Decke. Fast hatte ich den Eindruck, dass er selbst dann, wenn plötzlich der Kommandeur in dieses Zimmer gestürzt käme, es vorgezogen hätte, weiter nach oben zu starren.
"Wieso gerade diesen Fall? Was meint Ihr damit? Was geht hier eigentlich vor?" Beendete ich die Stille.
Hatte ich eine prompte Antwort erwartet, wurde ich zumindest enttäuscht. Patrick hatte sein Interesse von der stuckverzierten Decke lösen können und blickte zu Dlei. Die beiden schienen einige Sekunden mittels stummer Blicke und Augenzwinkern zu kommunizieren. Was das sollte und worum es dabei ging, verstand ich nicht. Schließlich wandte sich Patrick mit einem ernsten Gesichtsausdruck zu mir.
"Du weißt es nicht, oder?" fragte er mit fester Stimme.
Verwirrt zuckte ich mit den Schultern.
"Was weiß ich nicht? Vielleicht könnt Ihr mich ja mal aufklären!" Erschrocken stellte ich fest, dass meine Stimme lauter und mein Ton aggressiver klang, als von mir selbst beabsichtigt.
Erneut tauschten Dlei und Patrick verschwörerische Blicke aus.
"Naja - jetzt wo Du den Fall bekommen hast, würdest Du es wahrscheinlich eh bald herausfinden." Die Achaterin kommentierte die Worte des Husky mit einem langsamen aber bestätigenden Nicken. "Robin glaubt, dass der Tote etwas mit Deinem Unfall zu tun haben könnte."
Patrick legte eine Pause ein.
"Genauel gesagt ist sich del Fähnlich sogal sehl sichel, dass el etwas damit zu schaffen hatte. El hat bei den LUMs einen Liesenwilbel gemacht, um den Fall bei uns zu halten." Setzte Dlei nach einer Weile fort. "Deswegen haben wil uns gewundelt, dass el Dil den Fall gegeben hat."
Erneut trat Stille ein. Niemand von uns Dreien sagte ein Wort. Was hätte ich auch sagen sollen. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf. Es war plötzlich, als würde mein Kopf explodieren.
Ich musste hier raus!
Hektisch griff ich nach der Akte, die die ganze Zeit über vor uns auf dem Tisch gelegen hatte. Mit ihr in der Hand sprang ich auf und stürmte auf die Tür zu. Kurz bevor ich auf dem Gang war, fielen mir meine beiden Kollegen ein, die mich mit teils besorgter und teils verwunderter Mine beobachteten. Ich hielt inne und drehte mich zu ihnen um.
"Es tut mir leid! Ach ja und danke!"
Dann stürmte ich nach draußen, wo ich auf dem Gang fast mit unserem neuesten Welpen Arwan zusammengestoßen wäre. Mir war als hätte mich eine plötzliche Entschlossenheit erfasst den Dingen auf den Grund zu gehen. Besessenheit war vielleicht der bessere Ausdruck dafür, wie mir in diesem Moment einfiel.
***
Auf den letzten Eintrag K.s folgte ein weiterer, dessen Schrift noch zittriger und hektischer wirkte als die Tage zuvor. Meine Augen gleiten fast wie im Fieberwahn hektisch von Zeile zu Zeile. Ich kann immer noch nicht glauben, was ich lese.
"Ich habe ihn heute schon wieder gesehen und er hatte mich diesmal die ganze Zeit über angestarrt. Egal wohin ich auch ging, sein Blick folgte mir. Es macht mich wahnsinnig. Was ist, wenn die halbe Stadt jetzt weiß, wie ich aussehe. Ich muss diesem kleinen arroganten Zwerg ein Ende setzen. Ich fühle mich hier nicht mehr sicher."
***
Ich saß auf den kalten und nassen Treppenstufen, die von der Stehgreifgasse zu den Docks hinunterführten. Wie mir nach einem kurzen zufälligen Blick auf die Uhr des Kunstturmes auffiel, verweilte ich bereits drei Stunden in der engen und von dunklen bedrückenden Häusern eingefassten Straße.
Mittlerweile fragte ich mich bereits selbst, was ich hier suchte und tat. Die Spuren des Verbrechens waren durch den kürzlichen Regen verwischt und weggewaschen. Nur an einem dunklen und verschwommenen Fleck auf dem Pflaster konnte man den etwaigen Umriss des Toten erkennen, der in der vorletzten Nacht hier aufgefunden worden war. Obwohl es mir hätte auch vorher klar sein müssen, hatte ich mich in der Hoffnung auf mehr Erkenntnisse über den Mord hierher begeben. Auch die Dinge, die SUSI sichergestellt hatte, ließen keine Schlüsse zu. Ein Toter der nachts in einem Seitenbezirk der Schatten gefunden wurde. Nichts Besonderes an sich. Zumindest versuchte ich mir genau das einzureden. Alles deutete darauf hin und dennoch konnte es fast nicht sein.
Ich glaubte nicht daran. Ich glaubte nicht daran, dass K. von einem Straßenräuber in den Schatten erschlagen worden war. Wenn es so einfach gewesen wäre, hätten wir ihn schon längst gefangen.
Während ich so auf den Stufen der kleinen engen Gasse saß, fragte ich mich, was ich erwartet hatte. Die Tat war fast zwei Tage her und alles was an Spuren geblieben war, hatte SUSI bereits kassiert. Und alles was sie nicht gefunden hatten, hatte der Regen weggespült. Zum tausendsten Male glitt mein Blick über das Pflaster und die Treppen. Vorbei an dem alten Karren, der wohl bereits seit Jahren am Straßenrand vor sich hin moderte. Vorbei an den kleinen Türen und Fenstern der heruntergekommenen kleinen schiefen Hütten und Häuser. Kleine Menschenkinder liefen an mir vorbei, die Treppen zu den Docks der Stadt entlang.
Allein die Tatsache, den Kindern hinterher zu sehen und von dem Faktum abgelenkt zu werden, dass ich nichts an echten Hinweisen hatte sammeln können, brachte mich kaum weiter. Dennoch sah ich ihnen kurz nach, wie sie fröhlich von Stufe zu Stufe hüpfend, fast wie kleine Trampolinspringer langsam hinter der Ecke verschwanden.
Ich wusste nicht weiter. Ich hatte mir bereits alles angeschaut und untersucht, was meine Kollegen gefunden hatten. Der Tote war ein kleiner Mann gewesen. Als ich ihn mir bei Rea angeschaut hatte, war ich von dem Eindruck den er, nunmehr mit geschlossenen Augen, auf mich gemacht hatte, irritiert. Er hatte einen friedlichen Eindruck auf mich gemacht, fast so als ob er jeden Augenblick aufwachen und sich die Augen reiben könnte. Er war ein Mann mittlerer Größe gewesen mit tiefen Geheimratsecken im ansonsten schütteren, grauen und kurzen Haar. Ich hatte K. niemals zuvor je gesehen, obwohl unsere Abteilung ihm jetzt schon seit Monaten auf den Fersen war. Ich glaubte mich daran zu erinnern, dass Robin selbst erwähnt hatte, ihn mal als schattenhaften Umriss verschwinden gesehen zu haben wollen. Ich hatte mich schon öfters gefragt, wie er wohl aussehen würde. Er der Mörder, die Bestie, die über ein halbes Jahr wahllos Menschen aus purem Vergnügen und zur Befriedigung getötet hatte. Ich wusste jetzt im Nachhinein nicht mehr, was ich mir vorgestellt hatte. Fast zweifelte ich daran, dass dieser harmlos wirkende Mann auf dem kalten Stahltisch K. sein sollte. Aber sowohl der Assassinenring als auch die Schriftrolle, die in seiner Tasche gefunden wurden, räumten jeden Zweifel aus.
Jetzt lag er da, mit einem dreckigen weißen Laken zugedeckt! Wie ein erlegtes Tier – mir war fast, als entwickelte ich am Ende noch so etwas wie Mitleid.
Laut Rea, die ihn untersucht hatte, hatte er mehrere tiefe und breite Schnittwunden im Rücken und am hinteren Oberschenkel. Obwohl ich natürlich Genaueres wissen wollte, hatte sie sich nicht festlegen wollen, verriet mir aber, dass die Verletzungen wohl einer Axt am nächsten kämen.
Mich schauderte, als ich an den kalten und unzureichend beleuchteten Leichenkeller im Hauptgebäude der Wache am Pseudopolisplatz zurückdachte. An die großen Tische in der Mitte und die gelben kalten Kacheln an den Wänden. Ich spürte wie mir eine Gänsehaut den Rücken herunter lief und verscheuchte diese beängstigenden Gedanken aus meinem Kopf.
Ich konzentrierte mich wieder auf das Hier und Jetzt. Ich musste weiterkommen, sonst würde mir der Fähnrich den Fall am Ende wieder entziehen. Obwohl ich nicht wirklich wusste, wo ich weitermachen – oder besser überhaupt anfangen – sollte, beschloss ich in die Wache zurückzukehren. Hier konnte ich nichts mehr finden. Nichts was mir bei meinen Ermittlungen eine Hilfe gewesen wäre. Ich beobachtete ein letztes Mal das alte Zeitungsblatt, welches vom Wind wie wild in beliebige Richtungen getrieben wurde. Willenlos wie ein kleines Sandkorn auf der Scheibe. Das Blatt blieb einen Meter vor mir endgültig liegen und eine reißerische Schlagzeile, die "Geheimer Duschpartner von Lord Rust" lautete, grinste mich an.
Ich stand auf und wandte meine Schritte die kleine Gasse hinauf in Richtung der Springstraße. Der Himmel zeigte sein übliches grau und ein paar Möwen zogen ihre Kreise am Himmel. Nichts was diesen Tag anders machen würde, als all die anderen Tage in dieser Stadt. Ich stieg die Treppen, auf denen ich die Stunde zuvor gegrübelt hatte, empor.
Meine Gedanken waren aber nicht mit den Straßen Ankh-Morporks beschäftigt, sondern kreisten immer noch um den mysteriösen Tod von K.
'Es könnte mir eigentlich egal sein, wer ihn ins Jenseits geschickt hatte!' ging es mir durch den Kopf, während ich ohne weiter darauf zu achten in eine Seitengasse einbog. Aber so durfte ich nicht denken. Schließlich war ich ein Mitglied der Stadtwache. Ich durfte es mir nicht so einfach machen. Nicht nach alledem was passiert war. So oft hatte ich in meinem Büro gesessen und mich selbst dafür verflucht. Für all die Menschen und Bürger der Stadt die K. allein um von uns gejagt zu werden, ermordet hatte. Wir hätten uns auf dieses Spiel, welches wir im Endeffekt nur dadurch gewonnen hatten, dass K. selbst ermordet wurde, niemals einlassen sollen. Ich weiß nicht, ob es etwas geändert hätte, damals nicht weiter nach ihm zu suchen. Vielleicht hätte es mit den Morden plötzlich geendet, vielleicht auch nicht.
Während ich über die Ironie und den für uns glücklichen Zufall nachdachte, den K.s Tod für uns – die Wache und unsere Abteilung insbesondere – darstellte, fiel mein Blick auf ein mir vertrautes Gebäude.
Ich sah mich um und stellte plötzlich fest, dass ich wohl in Gedanken eine falsche Abzweigung erwischt haben musste. Ich stand am Ende einer kleinen Gasse, aber mein Blick ruhte auf einem alten und baufällig wirkenden Gebäude. Seine halboffene Tür wurde von dem leichten Wind, der durch die Häuserflucht wehte ein wenig hin und her getrieben. Ohne meine Schritte konkret zu steuern schritt ich auf das schiefe Haus zu. Es war das ehemalige Bordell, in welchem ich damals den ersten Kontakt zu K. hatte. Jenes Haus in welchem ich damals die Leiche des alten Kapitäns gefunden hatte. Und es war jener Ort der mir seither keinen Frieden gelassen hatte. Wie oft hatte ich mir seitdem die Frage gestellt, was wäre geschehen, wenn wir damals nicht weiter nach ihm gesucht hätten. Es war mir damals leicht gefallen, diese Entscheidung zu treffen. Keine Rücksicht mit dem Verbrechen!
Die Zweifel daran waren mir erst nachher gekommen. Dann als es bereits zu spät gewesen war und eine Leiche nach der anderen auf K.s Konto ging.
Nun stand ich vor dem Haus, welches ich seit jenem Abend nie wieder betreten hatte. Es sah noch genauso verlassen aus wie damals, nur dass es nunmehr nicht ganz so gespenstisch wirkte, wie damals im Dämmerlicht. Ich stand im Schatten der Häuserfront und betrachtete nachdenklich die Fassade. An der Tür klebte nach wie vor das Siegel von SUSI, aber es war gebrochen worden. Neugierig trat ich näher an die kleine Treppe, die im Eingang endete heran. Offensichtlich hatte sich jemand hier eingenistet, denn von der dreckigen Straße führten einige dreckige Fußspuren hinein und auch wieder aus dem Haus heraus.
Ohne dass ich etwas Besonderes vermutete, zog ich vorsichtig an der Tür, welche sich mit einem lauten Knarren öffnete.
Ich blickte ins Innere des Gebäudes. Hinter der Tür erwarteten mich dicke Staubschichten. Offensichtlich wurden die Räumlichkeiten seit jenem Mord nun endgültig nicht mehr genutzt. Die roten schweren Vorhänge tauchten den Vorraum in ein mattes trübes Licht. Alles hier vermittelte einen irgendwie abgestorbenen Eindruck. Es schien erstarrt, in dem Moment in dem erst K. und kurz darauf ich, durch diese Räume geschlichen waren. Einzig die Fußspuren, welche sich wie ein Band von der Tür quer durch den Raum bis zur Kellertreppe zogen, zeugten von Leben inmitten dieser Szene der Stille und des Todes. Es schien mir fast wie eine gemalte Szenerie. Nur dass jemand dem Maler ein Pastellfarbenverbot erteilt hatte, denn fröhlich und lebhaft wirkte das Bild, welches sich mir bot, definitiv nicht. Alles war grau in grau.
Vorsichtig trat ich ein. Genauso, wie damals vor einem halben Jahr, knarrten die Dielen unter meinen Stiefeln. Ich folgte den Spuren durch den Raum. Sie führten zwischen zwei von dicken Staubschichten bedeckten Sesseln vorbei. Wie ich mir meinen Weg durch die graue Zimmerlandschaft bahnte, bemerkte ich, dass die Spuren eine kleine Treppe nach unten führten. Eine Treppe, die ich vor einem halben Jahr wohl nicht bemerkt hatte. Wohin sie führte konnte ich nicht erkennen, denn schon nach wenigen Metern ließ die Dunkelheit nichts mehr von den Stufen erkennen. Ich griff zu einem der vielarmigen Kerzenleuchter die immer noch auf den kleinen Tischen und Anrichten standen.
Das Licht der Kerzen legte sich wie eine warme gelbe Decke über den verlassenen Raum. Und konnte am Ende der Treppe eine Tür erkennen.
Ich zuckte zusammen. Hatte ich mich gerade geirrt oder hatte ich wirklich ein leises kurzes Knarren von dort unten gehört? Ich hielt kurz den Atem an und lauschte gespannt.
Nichts war zu hören. Ich wurde immer unsicherer und griff nach meiner Axt.
"Ist da jemand? Hier ist die Stadtwache von Ankh-Morpork! Kommen Sie heraus!"
Meine Stimme verhallte in der Stille. Ich wartete auf eine wie auch immer geartete Antwort und kam mir dabei fast schon lächerlich vor. Offensichtlich war hier tatsächlich niemand. Aber warum führten dann die Spuren hier herunter?
Die Kerze und meine Axt umklammert, trat ich vorsichtig und Schritt für Schritt die Treppe hinunter. Unten angekommen spähte ich durch den Spalt der angelehnten Wand, konnte aber nichts erkennen.
Ich spürte ein Zittern in meinen Händen und bemerkte jetzt erst wie kalt mir war. Ein kühler Luftzug kam mir durch den Türspalt entgegen und die Hand, mit welcher ich bereits das morsche Holz der Tür berührt hatte, zitterte leicht.
Was zum Teufel hatte ich hier eigentlich verloren? Was wollte ich nur hier unten?
Trotz eigener Zweifel siegte meine Neugier und mit einem leichten Druck öffnete sich die Tür. Zuerst konnte ich gar nichts erkennen, denn erst langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit die hinter der Tür auf mich wartete. Der Schein der Kerze enthüllte langsam die Form einer kleinen Kammer. In der Mitte lag eine alte und schäbige Matratze mit einer arglos zusammengerollten Decke. Offensichtlich hatte sich hier ein Bettler, welche die Straßen und Gassen der Stadt zu tausenden bevölkerten, eingenistet. Ich sah mich weiter in dem kleinen stickigen Raum um und entdeckte in der Ecke einen großen Spiegel, welcher auf einer kleinen alten Kommode stand. Ich hatte (in) ihnen keine große Bedeutung gesehen, handelte es sich doch offensichtlich nur um das Quartier eines Bettlers. Dennoch trat ich zur der Kommode. Der Spiegel war alt und das Glas an den Rändern bereits blind. In ihm sah ich mein gewohntes Antlitz. Einzig Teufel fehlte. Das merkwürdige Eichhörnchen, welches mich sonst auf Schritt und Tritt begleitet hatte, war seit dem ich im SUSI-Leichenkeller aufgewacht war, verschwunden. Einzig in meinen Träumen tauchte es auf, meist in jenen Nächten in denen ich glaubte schlaf zu wandeln. Aber an Genaues konnte ich mich nie erinnern.
Ich betrachtete die Kommode. Sie war alt und die Farbe, mit der sie bestrichen war, blätterte an einigen Stellen ab.
Eigentlich wollte ich schon wieder hinauf gehen, aber die Neugierde veranlasste mich dazu, die Kommode zu öffnen. Ich hatte keine Vorstellungen, was ich in der Kommode eines Penners finden würde. Ich öffnete eine Schublade in welcher ich auf den ersten Blick nichts als Zeitungen sah. Alte zerknitterte Zeitungen und Zettel mit irgendwelchen Kritzeleien.
Als ich mich eigentlich schon von der Kommode wegdrehen wollte, um endlich wieder aus diesem Keller herauszukommen, fiel mein Blick nochmals auf die Zeitungen. Auf der Ausgabe, die vor etwa einem halben Jahr aktuell gewesen war, prangte eine vertraut wirkende große Schlagzeile.
Stadtwache fahndet erfolglos nach K. Wieder ein neuer Mord!
Aufmerksam betrachtete ich den Artikel. Was für ein großer Zufall, dass genau diese Ausgabe mit diesem Artikel ganz oben lag. Er wurde sogar mit einer Feder unterstrichen. Neugierig sah ich in die Zeitung darunter und bemerkte mit Stirnrunzeln, dass auch dort eine ähnliche Schlagzeile über unsere erfolglosen Ermittlungen prangte. Direkt unter einem Artikel über eine Kamikaze-Ente, die angeblich Bürger in den Docks der Stadt attackierte, war erneut einer jener Artikel, in denen die Ankh-Morpork-Times über die erfolglose Hatz nach dem ehemaligen Assassinen berichtete.
Wieso hatte ein Obdachloser hier Zeitungsartikel über die Stadtwache und noch dazu über die Jagd nach K. gesammelt? Ich durchsuchte nun auch noch den Rest der Kommode. Zu meinem Entsetzen fanden sich noch mehr Artikel. Nicht alle über K., wenn auch die meisten. Aber alle berichteten über DOG. Die meisten waren kaum mehr als bessere Hetzpropaganda gegen die Stadtwache und DOG insbesondere. Einmal war Robin sogar persönlich interviewt worden.
Aber dies alles hätte mich nicht so sehr in Alarm versetzt, als das, was ich ganz am Boden des Stapels fand. Ich hielt eine neuere Ausgabe der Times in den Händen und starrte mit großen Augen auf die Schlagzeile.
Erste Tote unter der Wache: Ermittlerin auf der Jagd nach K. heimtückisch erstochen
Ich hielt das Blatt in meinen zitternden Händen und wagte gar nicht den darunter stehenden Text zu lesen. Auch diese Überschrift wurde von dem Bewohner jenes Kellerloches unterstrichen. Aber vielmehr als die Frage, wer diese Person war, die hier unten hauste, beschäftigten mich all die Dinge die mir zugestoßen sein sollen, welche ich bis dahin verdrängt hatte. Ich überflog den Text und erschrak, als ich bemerkte, dass dieser jemand der hier hauste, meinen Namen hervorgehoben hatte.
War dies womöglich der Unterschlupf von K. gewesen? Wir hatten niemals etwas über ihn herausfinden können. Die Assassinengilde hatte sich geweigert Informationen über ihr ehemaliges Mitglied heraus zu geben. Begründet hatten sie dies mit dem Schutz des Namens der Familie aus der er entstammte. Ich erinnerte mich noch sehr gut an die peinliche Nachfrage des Kommandeurs, ob wir wenigstens seinen echten Namen wissen würden.
Im Nachhinein erschien es mir durchaus möglich, dass K. an den Ort eines seiner Verbrechen zurückgekehrt war. Wir hatten die halbe Stadt nach ihm durchsucht, wären an diesem Gebäude aber sicher immer wieder vorbeigegangen.
Mit dieser Erkenntnis suchte ich fieberhaft weiter. Ich hatte den Grund welcher mich ursprünglich in diesen Keller geführt hatte völlig vergessen. Ich war von einer merkwürdigen Besessenheit ergriffen, die mich Ort, Zeit und Raum vergessen ließ. Ich kramte wie wild in den restlichen Schubladen der Kommode, förderte aber nichts weiter als weitere Zeitungen und Papiere zu Tage, denen ich keine weitere Beachtung schenkte. Ich wusste nicht wonach ich suchte, aber wenn es sich hierbei tatsächlich um einen Unterschlupf von K. handelte, dann musste doch noch irgendwas über oder von ihm hier zu finden sein. Für uns war dieser Mann auch nach dem Tode noch weitgehend unbekannt.
Ich sah mich weiter im Raum um, aber außer der schäbigen Matratze, war der Keller leer.
Ich wollte mich mit der spärlichen Erkenntnis, dass K. Zeitungsausschnitte über seine Morde und die Wache gesammelt hatte, nicht zufrieden geben und wandte mich der Matratze zu. Es kostete mich einiges an Überwindung, die löchrige Matratze, die mit einem alten gelben Laken überzogen worden war, zu untersuchen. Und zu meinem eigenen Erstaunen fand ich an der Stelle, wo es am offensichtlichsten war, aber ich am wenigsten damit gerechnet hatte, ein kleines mit altem Papier umwickeltes Paket. Es lag unter zu einem Kopfkissen zusammengerollten Lumpen, geradeso als hätte man gewollt, dass es gefunden wird, es aber doch nicht offen hatte platzieren wollen. Ich zog das Paket heraus und drehte es vorsichtig in meinen Händen. Es war schwer und fest, ohne Rückschlüsse auf seinen Inhalt preiszugeben. Ich beschloss das Öffnen des Päckchens den Leuten von SUSI zu überlassen und wandte mich wieder der Treppe zu.
Es war nicht so, dass die Straßen der Stadt anziehend auf mich wirkten, aber mein Drang mehr über den Toten herauszufinden war derzeit gestillt und ich wollte nur noch raus aus diesem dunklen, stickigen Keller, der unter dem alten Bordell lag. Ich steckte meine Axt, die ich die ganze Zeit über in der Hand hatte, wieder in den Gürtel und stieg die Kellertreppe wieder hinauf. Ich sah bereits das Licht, welches mir vom Erdgeschoß des alten Hauses entgegen strahlte, als ich plötzlich von einem merkwürdigen Müdigkeitsgefühl erfasst wurde. Es war wie einige Male zuvor und ich hatte wieder keine Ahnung, wodurch es ausgelöst wurde. Ich spürte die Kraft aus meinen Armen und Beinen schwinden und schaffte es gerade noch mich am Geländer der linken Seite festzuhalten. Ich holte tief Luft, was aber die beginnende Umnebelung meiner Sinne nur kurz aufhalten konnte. Die Treppe verschwamm und es wurde endgültig dunkel, als meine Augen von einer schier unvorstellbar großen Kraft geschlossen wurden. Das letzte was ich hörte war ein dumpfes und zischendes Geräusch, welches wohl von der Fackel stammen konnte. Danach ergab ich mich endgültig der dunklen Schwere, welche auf meinen Geist drückte.
***
Meine Augen sind vor Erstaunen weit aufgerissen. Nach diesem einem Beitrag brach die Schrift jäh ab und eine andere eine ganz andere Schrift führt die Einträge fort. Der Stil der Schrift ist rund und schwungvoll. Und hätte ich es nicht ausschließen können, wäre ich sicher gewesen, dass es sich dabei um meine eigene Schrift handelt. Aber was kann ich jetzt nach dem was ich gelesen habe schon noch ausschließen. Ich nehme eine Feder und schreibe drei Wörter auf ein leeres Blatt und vergleiche sie mit dem Schriftbild in K.s Tagebuch. Die Schrift ist haargenau identisch. Mit Schrecken, denn ich habe mittlerweile eine Ahnung von dem was dort stehen würde, beginne ich den letzten von mir selbst geschriebenen Eintrag zu lesen. Er datiert auf den Tag an dem die Leiche K.s gefunden wurde.
***
Ich öffnete die Augen. Und schloss sie kurz darauf wieder als das Licht der Umgebung mich schmerzhaft hell blendete. Ich hatte keine Vorstellung, wie viel Zeit seit meinem Schwächeanfall vergangen war und konnte nur langsam meine Umgebung erkennen. Eines schoss mir aber sofort durch den Kopf. Wenn es draußen hell war, konnte ich mich nicht mehr in diesem Keller befinden. Ein kalter Schrecken durchfuhr mich, als ich mich an die Szene in dem SUSI-Leichenkeller erinnerte, in dem ich vor etwa einer Woche erwacht war. Ich stemmte mich auf und öffnete nun erneut die Augen.
Erstaunt stellte ich fest, dass ich mich in meinem kleinen Büro in der Boucherie befand. Von Draußen schien die Sonne durch die dreckigen Fenster herein. Ich sah mich erstaunt um. Das Paket, welches ich auf der Treppe unter dem Arm getragen hatte, lag auf dem alten Schreibtisch, geradeso, als hätte es soeben jemand dort hingelegt. Einzig die kleine Ameisenstraße die quer über jenes Paket verlief widersprach jenem Eindruck. Wie ich dieses Zimmer hasste. Aber vielmehr als die Abneigung gegen die mir von Robin zugewiesenen Räumlichkeiten, machte mir der Umstand zu schaffen, dass ich nicht wusste, wie ich hier her gekommen war. Mir war etwas in der Art bereits ein paar Mal aufgefallen. Meine Kollegen erzählten mir von Besprechungen und Gesprächen an denen ich teilgenommen haben soll. Ich hatte es für eine Art des Schlafwandelns gehalten. Ich war damals schon beängstigt darüber gewesen, hatte es aber verdrängt.
Ich stand von meinem alten Bett, in welchem ich gelegen hatte, auf, ergriff das Paket und trat aus dem Zimmer auf den Gang der Boucherie hinaus. Fast wäre Arwan in mich hineingerast. Ich schaffte es gerade noch einen Schritt rückwärts in mein Zimmer zurück zumachen und ihr dadurch auszuweichen.
"Entschuldige! Hab Dich nicht gesehen!" Mit diesen Worten verschwand die junge verdeckte Ermittlerin auch schon beim Treppenabgang. Verwundert sah ich ihr nach und wandte mich zu Dleis Tür, welche offen stand.
Meine Kollegin saß über einen Stapel alter Skripten und Akten gebeugt. Verwundert sah sie mich an.
"Hallo Goldie! Geht es Dil bessel?"
"Wieso sollte es mir besser gehen?" gab ich irritiert als Gegenfrage zurück.
"Na, weil Neflie gemeint hat, el hätte Dich vol fünf odel sechs Stunden auf dem Weg hielhel getloffen und Du hättest gesagt, es ginge Dil nicht gut und Du müsstest Dich hinlegen."
Ich stand vor ihr und wusste nicht was ich sagen sollte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung von dem was sie mir erzählte und zuckte mit den Schultern. Wenn ich ihr jetzt gestand, dass ich seit über einer Woche im Schlaf Dinge tat und mit Leuten redete, ohne mich daran zu erinnern, dann würde sie mit Robin darüber reden müssen. Und der wiederum würde mich vom Fall abziehen oder schlimmer noch. Er würde mir mit Sicherheit gar keinen Fall mehr geben oder mich gar aus der Wache werfen. Und ehrlich gesagt, könnte ich ihm das noch nicht mal wirklich verübeln.
"Ach das!" log ich "Das war nichts schlimmes, ich war nur ziemlich müde. Du weißt ja, wie anstrengend die Ermittlungen sein können."
Dlei maß mich mit einem prüfenden Blick.
"Wenn Du eine Pause blauchst, dann sag es!"
Ich zeigte ihr das Päckchen aus dem Keller, welches ich in der Hand hielt.
"Ich glaub ich hab da was Interessantes zu K. Herausgefunden. Du wirst nicht glauben ..."
"Ah wo Du K. glade elwähnst." Unterbrach mich Dlei "Volhin wal Timotheus bei mil. El sagte, dass das alte Haus, in dem Du damals den alten Kapitän gefunden hast, heute Nacht niedel geblannt ist. Nichts mehl ist davon üblig. Ist das nicht ein Zufall?"
Ich stand wie erstarrt vor ihr. Meine Gedanken rasten und ich brachte keinen Ton heraus. Wie konnte das sein? Dlei's Worte hallten durch meinen Kopf. Die Fackel schoss es mir durch den Kopf. Die Fackel musste nach unten gefallen sein und irgendetwas entzündet haben. Aber wie war ich dann dort hinaus gekommen?
"Ist alles in Oldung?" sagte Dlei mit besorgtem Tonfall "Ich meinte so ein Zufall, weil Du doch glad in del Sache elmittelst und die alte Bluchbude in del Du damals ..."
Die Achaterin unterbrach sich selbst, als sie merkte, dass ihre Worte nicht mehr bis in meinen Kopf vordringen konnten. Sie deutete auf einen der kleinen blauen Hocker, die in ihrem Büro standen.
"Vielleicht solltest Du Dich elstmal setzen, Goldie!"
Obwohl in meinem Kopf immer noch Gedanken panisch von einer Seite meines Schädels zu der anderen rasten, gehorchte ich ihrer Aufforderung ohne darüber nachzudenken und setzte mich.
"Mach Dil keine Solgen, es ist niemand zu Schaden gekommen und die andelen Gebäude sind nul leicht beschädigt wolden."
Ihre Worte gingen zu einem meiner Ohren hinein und zu dem anderen wieder heraus.
"Tschingqutscha" Dlei schien offenbar der Geduldsfaden gerissen zu sein, denn dieser Ausspruch ihrer Muttersprache schien mir nicht freundlicher Natur gewesen zu sein. "Was ist eigentlich mit Dil los, veldammt noch mal?!"
Einen derartigen Ton, hatte ich bei Dlei, die mir immer freundlich und höflich erschienen war, noch niemals erlebt. Zumindest hatte sie mich in die reale Welt zurückgeholt. Was ungefähr soviel bedeutete, dass ich vor ihr saß und immer noch nicht wusste was ich sagen sollte und was besser nicht. Draußen auf dem Gang hörte ich Stimmen und Schritte die Treppe zu unserer Etage hinaufkommen. Dlei stand auf, ging zur Tür und schloss diese hinter sich. Danach blieb sie mitten im Raum stehen und musterte mich mit ernstem Blick. Sie erinnerte an meine Mutter, welche mich genauso vorwurfsvoll anschaute, bevor sie anfing mit mir zu schimpfen.
"Ich war dort." gestand ich leise.
"Wo ist dolt?" Dlei's Stimme klang wieder ruhig und sanft.
"Ich war in dem Haus. Ich war in dem alten Bordell, wo ich damals den Kapitän gefunden hatte."
Dleis Augen weiteten sich vor Überraschung.
"Wieso walst Du dolt? Hast Du etwas mit dem Feuel zu tun?"
Ich schaute betreten auf den Boden. Ich wusste ja selbst nicht mal, ob ich für das Feuer verantwortlich war, oder nicht.
"Ich weiß es nicht." Meine Stimme klang selbst in meinen eigenen Ohren wie ein Wispern.
"Was heißt hiel, Du weißt es nicht? Das Haus ist heute niedel geblannt und Du kannst Dich nicht elinneln,ob Du da gewesen bist?"
"Nun ich war da. Es war eigentlich nicht beabsichtigt. Aber mit dem Feuer hab ich nichts zu tun."
"Ich denke das solltest Du bessel Lobin elzählen."
"Ich hatte wieder dieses ..." Ich stockte, dem ich wusste nicht wie ich es nennen sollte ".. Ich glaube ich hatte wieder diese Phase."
"Welche Phase meinst Du?"
"Ich hatte wieder so einen Schwächeanfall oder was auch immer, als ich dieses Haus verlassen wollte und ich weiß danach nichts mehr." Ich machte eine verzweifelte Geste "Ich weiß nichts davon, dass ich Timotheus oder sonst irgendwem begegnet bin. Alles was ich seit diesem verdammten Haus weiß ist, dass ich vor etwa zehn Minuten hier aufgewacht bin."
Erneut sah mich Dlei mit einem prüfenden Blick an. Gerade so als vermutete sie, ich könnte jeden Augenblick loslachen. Erst nach einigen Sekunden, in denen ich mich nicht getraute etwas zu sagen, runzelte sie die Stirn.
"Bitte sag Robin nichts, Dlei!" Mein Ton klang dabei fast flehendlich "Er schmeißt mich bestimmt raus!
"Quatsch! El wild Dich nicht feueln! Abel von mil aus." Sie schien einen Augenblick zu überlegen "Abel nul, wenn Du versplichst Dich bei einem del Püschologen untelsuchen zu lassen. Wie wäls denn mit Tussnelda, die macht doch einen ganz velnünftigen Eindluck." Sie zeigte mit dem Finger zur Schläfe und verdrehte dabei die Augen, bevor sie hinzufügte "Wenn Du velstehst was ich meine."
Erleichterung stieg in mir auf.
"Danke, Dlei!" Ich wandte mich zur Tür und wollte schon gehen.
"Und noch etwas, Goldie. Mach am besten Deinen Belicht feltig. Ob Du nun was lausbekommen hast odel nicht." Ein aufmunterndes Lächeln umspielte ihre Lippen "Egal wel diesen Teufel auf dem Gewissen hat, wil müssten ihm eigentlich dankbal dafül sein. Außeldem hat die Wache beleits schon eine intelne Elmittlung am Hals."
"Was meinst Du damit?"
"Hast Du es nicht gehölt? Del Knollenflessel selbst elmittelt delzeit gegen Challie Holm von SUSI. Abel egal. Bitte Goldie, lass K. jetzt luhen!"
"Aber er war ein Krimineller!" rutschte es mir heraus.
"Ja, das stimmt!" etwas Beschwichtigendes klang in Dlei's Stimme mit "Abel wil haben nichts gefunden und Dil geht es nicht gut dabei. Schleib Deinen Belicht und leg ihn Lobin auf den Schleibtisch. Ok?"
Mit hängenden Schultern verließ ich ihr Zimmer wieder und trottete ohne weiter auf Neflie und Saiyana zu achten, die über den Gang wanderten, in mein Büro zurück. Ich warf einen kurzen Blick aus dem kleinen Fenster und ließ mich auf den kleinen Stuhl vor meinen Schreibtisch fallen.
Wie ich so da saß, am Boden zerstört und verwirrt, fiel mir das Paket auf, welches ich immer noch unter meinem Arm hielt. Eigentlich hatte ich es Dlei zeigen wollen, aber nach dem was ich nun erfahren hatte, war im Grunde sogar mir der Sinn nach weiteren Recherchen vergangen. Eigentlich war es jetzt auch egal, was sich darin befand.
Ich öffnete die Verpackung aus altem Papier, woraufhin ein altes abgegriffenes Buch zum Vorschein kam. Ich schlug es vorsichtig auf und blätterte in den Seiten. Es schien sich um ein Tagebuch zu handeln. Ich suchte nach dem Anfang und tatsächlich fand ich auf der ersten Seite den Namen Kasimir Kleinbrot. War dieser Kasimir der ehemalige Assassine, welcher skrupellos und aus purem Vergnügen an Macht und Angst zahllose Menschen ermordet hatte? Ich blätterte auf die letzten Einträge und begann gierig zu lesen.
***
Nie war mein Herz so schwer, wie nachdem ich den letzten – von mir selbst verfassten – Eintrag in K.s Tagebuch gelesen hatte. Panik steigt mir hoch und ich sitze mit zitternden Händen in meinem Büro. Was soll ich jetzt damit machen? Ich schlage das Buch zu und es ist fast so, als ob es mir wieder ein Stück besser geht, wenn ich den Text, in dem ich haargenau beschreibe, wie ich – oder besser Teufel, aber wer würde mir das schon glauben – einen Mann namens Kasimir Kleinbrot hinterrücks ermorde und anschließend alle Beweise vernichte.
Meine Augen gleiten panisch durch den Raum, bis mein Blick an dem Kamin mit dem lodernden Feuer hängen bleibt. Ich reiße nun Seite um Seite aus diesem Buch heraus und werfe sie ins Feuer, was zufrieden prasselt und lodert. Und mit jeder Seite die ich somit vernichte, scheint mir die Erinnerung an jene schrecklichen Dinge die ich getan habe zurückzukehren. Das Feuer lodert hell und erst am Ende als die letzte Seite verbrannt ist und ich mich an alle Einzelheiten erinnern kann, bemerke ich, dass es draußen bereits Nacht geworden ist.
Und für einen kleinen Moment, glaube ich den dunklen Schemen eines Eichhörnchens über das Dach eines der anliegenden Häuser huschen zu sehen. Einzig die Augen des Schattens heben sich durch ihr rotes Glühen von der Dunkelheit ab. Ich bin mir nicht mehr sicher was wirklich real ist und was ich mir einbilde. Oder was ich denke und woran ich glaube. Ich hoffe immer noch, das alles, was sich die letzten Wochen ereignet hat, nur geträumt zu haben. Einfach aufwachen und wieder das alte Leben weiterleben und den dunklen und böses Traum nach wenigen Minuten vergessen. Aber in meinem Innersten weiß ich, dass dies alles hier kein Traum sein kann. Ich schaue erneut aus dem Fenster. Geradeso als ob ich mich meinen Befürchtungen stellen würde, aber draußen ist nichts mehr zu sehen außer Schwärze.
Es ist eine düstere, schwere und einsame Nacht
Kritik: ja
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