Lilli Baum war neu in der Stadtwache. Brandneu, sozusagen. Obwohl man dieses Wort besser nicht in ihrer Gegenwart erwähnen sollte, denn sie reagierte auf alles, was irgendwie mit Feuer im Zusammenhang zu stehen schien, äußerst panisch. Zumindest nahm man das an, denn sie verzichtete darauf, wild mit den Armen rudernd durch die Gegend zu laufen und um ihr Leben zu schreiben. Und beides hatte denselben Grund: Lilli hielt sich selbst (mehr oder weniger) für einen Baum.
[1] Da Bäume sich nicht laut miteinander unterhielten, unterließ sie dies auch tunlichst, und beschränkte sich darauf, sich mit wilden Gefuchtel und ausgeprägten Mienenspiel zu verständigen. Ab und griff sie auch auf Kärtchen zurück
[2], die sie mit großen geschwungenen Buchstaben zu füllen pflegte. Hierbei gab es nur zwei Probleme: Zum einen schrieb sie im selben Tempo wie eine Schnecke im Sterbebett, zum anderen verstand wegen ihrer Legastenieh kein Aas (und auch kein Lebender) ihre Sätze. Deshalb griff sie auch eher selten zur Feder, was auch nicht immer notwendig war, denn sie hob jedes Kärtchen sorgfältig auf, um es wieder zu benutzen. Derzeit waren das: "Ja.", "Nain.", "Sir.", "Ich bin ein Baum!", "Ups. Falsches Kärtchen." und "Photosynthese"
[3]. Zu ihrer Ehrenrettung sollte man aber erwähnen, dass sie eine ausgezeichnete Zuhörerin abgab – und das sogar, wenn sie nicht im Stehen mit offenen Augen schlief.
Heute war Lillis erster richtiger Einsatz: Sie hatte die enorm wichtige Aufgabe erhalten: Das Stadttor von Ankh-Morpork zu bewachen. Sie wurde allerdings das Gefühl nicht los, dass ihre Ausbilderin Carisa vom Schloss Escrow ihr diese Verantwortung nur übertragen hatte, weil sie irgendwie herausgefunden hatte, dass die halbe Flasche Sprudel, die Nass-Wet am Morgen geopfert wurde, von Lilli stammte. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Lilli zwar die einzige Anhängerin Nass-Wets ist, zumindest seit sie von seiner Existenz gehört hatte, dennoch nicht an ihn glaubte. Das tut schließlich Niemand.
[4]Und so wurde Fräulein Baum in die Stadt hinausgeschickt um das Stadttor, genauer gesagt das Drehwärtige Tor, im schlimmsten Unwetter seit Jahren zu bewachen. Einen Menschen hätte das sicher gestört, aber da Lilli sich für einen Baum hielt, schlotterte sie kaum in ihrer völlig durchweichten Wächteruniform, schließlich war Regen gut für einen Baum. Und somit auch gut für Lilli. Zumindest war sie fest dieser Ansicht.
Lilli stand also im Regen am Stadttor und dankte den Göttern (insbesondere Nass-Wet), dass sie auf der Baumschule so eine fundierte Ausbildung im Herumstehen genossen hatte. Auch wenn sie sich wieder einmal unglaublich einsam fühlte, weil sie keinen Nymphe hatte, wie es sich für einen guten Baum gehörte. Sie nahm sich fest vor, sich von ihrem ersten Sold eine grüne Perücke und einen Topf grüne Farbe zu kaufen um sich als ihr eigener Baumgeist zu verkleiden.
Und zum dritten Mal müsst ihr lesen, dass es wahre Bindfäden vom Himmel regnete und Lilli am Stadttor herumstand. Was auch recht verständlich ist, denn bei solch einem Wetter jagte man nicht einmal einen D.O.G. - pardon - Hund vor die Tür.
Nach einer Weile konnte Lilli nicht dem Reiz widerstehen, ihre schulterlangen braunen Haare auszuwringen, was zur Folge hatte, dass noch mehr Wasser an ihr herunter lief. Auf den ersten Blick hätte man sagen können, dass sie irgendwie stämmig wirkte und auf den zweiten wäre man schon von ihr umarmt worden, wegen dieses baumigen Kompliments. Aber anscheinend nahm niemand Notiz von ihr, schließlich war ja auch niemand unterwegs. Die Wachschicht ging immer mehr ihrem Ende zu und schien entgegen sämtlicher Magiefelder, Ungeheuerlichkeiten und anderen Sperenzchen des Schöpfers völlig ereignislos zu verstreichen.
Einmal abgesehen von Nass-Wets Regenschauer.
Aber Götter sind schließlich auch nur Menschen.
Dann aber schien sich zumindest eine der vielen höheren Mächte der Scheibenwelt anders zu entscheiden und schickte einen Handlungsreisenden durch den Regen. Dieser, nennen wir ihn einfach mal Niko-Klaus, wollte durch das Stadttor in die Stadt mit dem grässli...legendären Geruch.
[5] Er führte Waren mit sich und Lilli musterte ihn genau, um zu sehen, ob er eventuell etwas im Schilde führte. Und ihr Instinkt hatte sie wahrlich nicht in die Irre geführt, auch wenn ihr diese Anhäufung von führenden Wörtern so langsam auf die Borke ging. Was bei Bäumen bekanntlich zu schlechter Laune führte. Denn ganz offensichtlich handelte es sich bei dem Handelsvertreter, den wir immer noch Niko-Klaus nennen, um einen Entführer! Die Rekrutin konnte eindeutig sehen, wie er auf einem kleinen Leiterwagen hinter sich winzigkleine Bäumchen hinter sich her zog. Und er wollte eindeutig in die Stadt eindringen.
Aber da hatte er nicht mit Wächterin Lilli gerechnet!
Sie sprang ihn in den Weg und schrie erbost: "!"
"Was?", fragte Niko-Klaus, offensichtlich verwirrt und wahrscheinlich auch von der anstrengenden Reise ermüdet.
[6]"!", wiederholte Lilli und zeigte auf den Karren mit den Bäumchen.
Niko-Klaus kratzte sich am nassen Kopf und schien nicht so recht zu wissen, was diese Wächterin da von ihm eigentlich wollte. Was er selbst wollte, wusste er: Möglichst schnell aus diesem verdammten Regen raus!
"!!!", fauchte Lilli und packte ihn am Kragen.
Man konnte ihre Zähne knirschen hören, als sie erbost den Handlungsreisenden Niko-Klaus mit puterrotem Kopf hin und her schüttelte.
"Wasurölle?!", brachte dieser mühsam hervor, als Lilli ihn unvermittelt losließ, das sie nun ihrerseits am Kragen gepackt wurde.
Eine Wasserspeierin hatte sie gepackt und funkelte sie wütend an.
"Was zur Hölle treibst du da?"
Um den Ganzen noch eine besondere Betonung zu verleihen, ließ sie das Regenwasser literweise aus ihrem Mund strömen. Wobei man anmerken sollte, dass ihr bei dem Wetter auch keine andere Wahl blieb.
Lilli schob beleidigt eine Unterlippe vor und verschränkte ihre Arme, was zugegebenermaßen etwas lächerlich wirken mochte, da sie dank ihrer Ausbilderin Carisa von Schloss Escrow in der Luft hing, was nicht nur Bäume als irgendwie unangenehm empfinden.
"Ich kann dich nicht mal fünf Minuten allein lassen!" Carisa meinte hier vermutlich Wasserspeierminuten, also rund zweieinhalb Stunden. "Was hätte ich auch von einem Rekruten erwarten sollen, der tausend Mal den Test versaut hat?!" Sie ließ los, woraufhin Lillis Hinterteil eine unsanfte Begegnung mit dem Boden machte.
Erbost sprang diese auf, und zog eine Karte heraus.
Sie reichte Carisa das "Nain."
"Nain? Was 'Nain'?", verwirrt kratze sich Carisa am Kopf, so dass etwas Steinstaub beziehungsweise Schlamm zu Boden fiel.
Dann begriff sie: "Ach so. Du meinst 'Nein' und nicht 'Nain'. Aber – was 'Nein`?"
Lilli zauberte ein Blankokärtchen und eine ewig lange Schreibfeder hervor und begann zu schreiben.
Nach guten zehn Minuten reichte sie Carisa ein weiteres Kärtchen.
"Nur 43 Mal!"
Die Ausbilderin überkam einen Moment lang das dringende Bedürfnis, mit dem Kopf gegen die Wand zu hämmern, aber dafür hatte sie sich zu gut im Griff. Diese Rekrutin würde sie noch auf die Palme bringen! Einen Augenblick später wurde sie sich der besonderen Ironie dieses Gedankenganges bewusst. Und erneut kam ihr dieses seltsame Verlangen. Vielleicht sollte sie einen Püschologen aufsuchen.
Carisa schüttelte energisch den Kopf, um sich der lästigen Gedankenspiele zu entledigen und befahl dann: "Rekrutin, zurück ins Wachhaus!"
Dann blinzelte sie ungläubig. Lilli ignorierte offensichtlich nicht nur ihren Befehl, nein, sie hatte Niko-Klaus die Bonsaibäumchen weggenommen, presste diese an sich und wehrte ihn auf einen Fuß hüpfend energisch mit den anderen ab.
Es war ein seltsamer Kampf, den die beiden da ausfochten, der aber sein allzu baldiges Ende fand, als der Handlungsreisende den Fuß packte, mit dem sie nach ihm trat. Lilli verlor den Boden unter dem anderen Fuß. Sie ruderte verzweifelt mit den Armen, was sich Augenblicke später als schlechte Idee herausstellen sollte, als sehr schlechte Idee. Denn die Bonsaibäumchen fielen zu Boden, so dass die Töpfe, auf deren Unterseiten übrigens
Made in Gegengewicht-Kontinent stand (wer weiß, was Bonsai-Bäumchen mit Maden zu tun haben, melde sich bitte), in tausend kleine Scherben zersprangen.
Niko-Klaus erbleichte. Lilli besah sich das Unglück, begann bitterlich zu weinen, sagte aber kein Wort und presste die Überreste eines besonders lädierten Baumes an sich.
Carisa beschloss, dass es an der Zeit war, diesen unbescholtenen Bürger vor weiteren Übergriffen zu schützen, packte Lilli und zerrte sie von Niko-Klaus' Eigentum weg. Anschließend befahl sie: "Du lässt die Finger von den kleinen Baumdngern da! Uns stellst auch sonst nichts an!"
Dann wandte sie sich an den Handlungsreisenden: "Also"
Einen Moment später hörte sie wie einige Dachziegel am Boden zerschellten.
Der Blick der Wasserspeierin wurde immer düsterer. Man konnte diese Rekrutin nicht einen Moment aus den Augen lassen, ohne das etwas passierte. Okay, für die Dachziegel war sie nicht verantwortlich, aber es ging schließlich um das Prinzip. Sie warf Lilli einen tadelnden Blick zu, woraufhin diese beleidigt die Arme verschränkte.
Kurz entschlossen wollte sich die Ausbilderin nun an den Handlungsreisenden wenden, um ihn zu sagen, dass er zwecks Schadensersatz das Wachhaus aufsuchen solle.
Doch Niko-Klaus war spurlos verschwunden. Carisa schaute nach rechts, Carisa schaute nach links und wegen mangelnder Auswahlmöglichkeiten schaute sie auch nach unten. Dort lag der Handelsvertreter mit einem Messer und Rücken und einer geschmackvollen Kondolenzkarte. Schwarzes Papier mit silbernen Lettern und einer Lila Schleife. Carisa von Escrow bückte sich und hob die Karte auf. Neugierig schaute sie, was da drinnen wohl stehen möge und las folgende Worte: "Wire bedauern den Tod dieses Mannes sehrig und möchtän unsär Midleid mit einem Nachlasse fon drei Procent vür ieden Mord zumm Austruck bringen. Dieser Gutschain gillt nuhr dreissige Tage nach dem Tod däs Ferstorbenän. Mieht tiehvsten Bedauärn, die Assassasinengilde."
Missmutig warf Carisa die Karte zu Boden. Nur einer dieser Gutscheine der Assassinengilde, wie man sie manchmal bei einem frisch Ermordeten fand. Die Dinger gingen weg wie warme Semmeln.
Doch Carisa hatte nicht vor jemanden ermorden zu lassen, doch als ein weiterer Dachziegel zu Boden stürzte und zersprang, ließ sie die Karte in ihrer Tasche verschwinden.
Dann hieß sie Lilli an, ihr zu folgen und beeilte sich, schnell zum Wachehaus zurückzukehren, mit dieser Leiche hatte die Stadtwache nun wirklich nichts zu schaffen, alles war ja mit rechten Dingen zugegangen.
Carisa nutzte den Weg zurück als Gelegenheit sich eine passende Bestrafung für Lilli auszudenken.
‚Latrinenputzen? Nein, die macht doch solchen Gestank... Hm... ich könnte sie das ganze Laub auf dem Pseudopolisplatz zusammenfegen lassen... Besser nicht, wer weiß was sie anstellt...'
Doch als die beiden schließlich ankamen, war Carisa eine
gute Strafe eingefallen.
Sie setzte Lilli in einen leeren Raum und legte ihr einen Stapel leeres Papier vor: "Rekrut, ich will das du das Strafgesetz der Wache einmal abschreibst. Aber fehlerfrei!"
Lilli wurde kreidebleich, aber sie wagte es nicht auch nur einen Ton von sich zu geben, was mit der Tatsache, dass sie stumm ist, nur teilweise zusammenhing, und reichte Carisa missmutig das "Ja".
Noch einige Tage später war eine gewisse Wasserspeierin unglaublich gut gelaunt in der Wache anzutreffen.
Und Lilli? Tja, von der hatte man weder etwas gesehen oder gehört. Bis sich nach einer Woche der Kaffeedämon ihrer erbarmte und ihr bei der Rächtschraibung half.
[1] Dies ist eine lange und zweifellos langweilige Geschichte, deren Details zweifellos niemanden interessieren. Die Kurzfassung lautet: Lilli wurde wegen angeborener Legastenieh auf eine Baumschule geschickt. Dort lernte sie alles Wichtige - für einen Baum. Das Problem ist nur, dass Lilli definitiv kein Baum ist.
[2] Gekauft von Schnapper, der sie von Mönchen von einem fernen und überaus heiligen Berg importiert hat. Diese pflücken nachts im Mondschein Hanf und pressen diesen mit 317 geweihten und 8 heiligen Kräutern zu Kärtchen. Garantiert 100% holzfrei! Auch wenn ihn das selbst in den Ruin trieb.
[3] Was das auch immer heißen mochte.
[4] Siehe Archiv Eintrag zu Nass-Wet.
[5] Ankh-Morpork. (Dieser Hinweis wurde extra für Trolle angefertigt.)
[6] Während es regnet sind Reisen immer anstrengend, was an der einfachen Tatsache liegt, dass sich sämtliche Wege während dieser Witterung in schlammige Trampelpfade verwandelten. Das gilt für kleine Dorfstraßen mitten am Arsch der Scheibenwelt... ähm mitten in der Pampa genauso wie die breitesten und prachtvollsten Pflasterstraßen irgendeiner namenslosen Metropole.
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