Seekrank

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von Gefreite Tussnelda von Grantick (RUM)
Online seit 20. 09. 2005
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 Außerdem kommen vor: Frän FrommHerold RuthRabe RabenRea DubiataKathiopeja

Im Hafen wird ein Schiff gefunden. Alle Leute an Bord sind tot. Haben sie sich gegenseitig umgebracht, war es ein Massenselbstmord, oder steckt etwas anderes dahinter?

Dafür vergebene Note: 12

Mitten auf dem Ankh stand eine Person. Vielmehr kniete sie auf dem Ankh und in der Hand vibrierte eine Laubsäge. Schmatzende Geräusche begleiteten den Versuch, die Oberfläche des dickflüssigen Gewässers zu öffnen. Schweiß tropfte. Verbissen kämpfte Tussnelda von Grantick gegen den Gelee unter ihr. Sie hatte frei und sie war gewillt mit ihrer Freizeit etwas anzufangen. Und da Tussi nicht sehr viele Hobbys hatte, hatte sie keine Lust, sich von einem Fluss daran hindern zu lassen, es auszuüben. Sie wollte angeln! Endlich hatte sie dem Ankh ein fast rundes Loch abgerungen und zog mit einem Plop den Pfropfen sowie die Säge hinaus. Dann steckte sie einen Köder auf und ließ ihre Leine in die Öffnung gleiten. Ein paar Schaulustige hatten sich am Ufer versammelt und verrieten mit eindeutiger Geste, was sie von der ganzen Sache hielten.
"Total meschugge", raunte ein Mann. Die Wächterin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ruhe war das Wichtigste. Auch das Flattern einer Taube über ihr konnte sie nicht ablenken. Als sich die Taube entschloss, auf ihrer Schulter zu landen, verharrte sie weiterhin. Nur als das Tier anfing, gegen ihren Kopf zu picken, sah sie ein, dass sie sich geschlagen geben musste. Unwillig zog sie die Leine wieder heraus und packte den Störenfried. NATÜRLICH trug sie eine Nachricht:

"An: Gefreite Tussnelda von Grantick; Von: Rabe Raben.
Melde dich am Perlendock, Pier 3"

"Ziemlich wortkarg", maulte Tussi verärgert. Eigentlich hatte sie frei. Obwohl ihr eine kleine Stimme im Hinterkopf mitteilte, dass sie froh sein konnte, wenn sie jetzt vom Ankh runter kam. Aufseufzend ging sie an ihren Zuschauern vorbei und machte sich auf den langen Weg zum Perlendock.

***


Als sie fast eine Stunde später endlich Pier 3 erreichte, wartete Rabe schon ungeduldig.
"Wo bleibst du denn?", fragte er und wedelte mit der Hand in Richtung eines Dreimasters, "Da ist die Hölle los!"
"Äh-", machte Tussi und folgte Rabe, der sie auf das Schiff lotste. Bei diesem einen Laut des Erstaunens sollte es nicht bleiben. Überall lagen Leichen. Es roch schrecklich. Auch wenn der Ausdruck sehr schwach für das tatsächliche Ausmaß des Geruches war. Man stelle sich seit Wochen verwesende Leiber vor, kombiniere dies mit einem muffigem Schiff und verrottenden Lebensmittelvorräten. Als Tussi sah, was sich auf Deck abspielte, machte sie nicht nur viele weitere "Ähs", sondern sie opferte auch ihren Mageninhalt an das Meer. Rabe erwies sich als guter Freund und hielt ihre nicht-so-seidige Flut an Haaren.
"Was ist hier passiert?", fragte sie schließlich erstickt und nahm dankbar das in Menthol getränkte Taschentuch eines SUSI-Tatortsicherers entgegen.
"Das weiß niemand wirklich. Heute lag ein Zettel in einem toten Briefkasten. Da stand nur Pier 3 drauf, das war's", erklärte Rabe. Tussi zog die Augenbrauen hoch.
"Alle tot?", fragte sie und vermied die Leichen anzusehen. Manchmal erwog sie die Möglichkeit, vielleicht doch zu DOG zu gehen. Dort schien es sauberer zu zugehen. Und man hatte Betten in den Büros. Dummerweise hatte Tussi bis zum heutigen Tag keine Ahnung wie die Gilden hier funktionierten.
"Alle tot", erwiderte Rabe "Wenn wir hier fertig sind, lass ich dir den Bericht zukommen. Ich dachte nur, du willst dich vielleicht umsehen, solange der Tatort frisch ist."
"Vielen Dank auch", brummte Tussi, "Wer ist den mit der Ermittlung gesegnet?", fragte sie weiter.
"Kannst du dir das nicht denken? Kathi hat's mal wieder erwischt. Die soll sich wohl ihre Federn verdienen", grinste Rabe und Tussi bewunderte die Haltung, mit der er den ekelhaften Geruch und den schrecklichen Anblick ertrug.
"Und ich als einzige voll ausgebildete Püschologin habe die Ehre auch in diesem Fall mit drin zu hängen, was?", versuchsweise war Tussi ein wenig sarkastisch.
"Du hast es erfasst. Viel Spaß dabei", meinte Rabe und machte sich wieder an seine Arbeit. Tussnelda zuckte mit den Schultern. Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich hier genau umzusehen. Der Mundschutz machte die Sache wenigstens etwas erträglicher, aber an den Anblick geschundener Leichen konnte sie sich immer noch nicht gewöhnen. Leider gehörte das zum Job. Sich in ihr Schicksal ergebend zückte sie einen Notizblock und sammelte Eindrücke. Natürlich tat dies auch SUSI, aber Tussi hatte schnell festgestellt, dass es nicht schlecht war, sich auch auf den eigenen Instinkt zu verlassen. Aufmerksam sah sie sich um. Unübersehbar war die Todesursache bei allen Toten brutale Gewalt gewesen. Manchen war die Kehle durchgeschnitten worden, von einem Mast herab hingen zwei Männer an einem Strick. Unter dem Ausguck lag ein Einäugiger mit merkwürdig verrenkten Gliedern. Sogar ein paar tote Möwen lagen auf dem Deck.
"Widerwärtige Viecher", dachte Tussi. Die Möwen hatten sich an den Toten gütlich getan. Nicht allen war diese Mahlzeit gut bekommen.
"Packt die jemand ein?", fragte sie in die Runde.
"Hör mal Gefreite, wir machen unseren Tschob nicht zum ersten Mal", meckerte ein Tatortsicherer von SUSI, den sie nicht kannte. Tussi verzog das Gesicht und nickte. Dann setzte sie ihre Runde fort. Auf dem Achterdeck fand sie eine Luke, an der eine schmale Metalleiter ins Innere des Schiffe führte. Sie streifte schnell ein Paar Lederhandschuhe über, um keine relevanten Fingerabdrücke zu zerstören und machte sich an den Abstieg. Unten war es dämmrig und der intensive Fischgeruch übertünchte sogar den süßlichen Duft der Verwesung. Der Gang in dem sie stand war schmal, kaum breit genug, dass man ihn ohne die Schultern einzuziehen durchqueren konnte. Wenige Schritte weiter war eine Tür, welche sie öffnete. Und schrie. Als sie das erledigt hatte, verlor sie gnädigerweise das Bewusstsein.

***


Nur langsam kam sie wieder zu sich. Über sie beugte sich ein verschwommenes, vage vertrautes Gesicht.
"Rabe.", murmelte sie und richtete sich dann mit einem Ruck auf. Sie befand sich nicht mehr an Bord des Schiffes, noch nicht mal mehr an Pier 3. Und sie dankte allen Göttern dafür.
"Wieder alles okay?", fragte ihr ehemaliger Mitrekrut mitfühlend und reichte ihr ein Glas Wasser. Dankbar trank Tussnelda in vorsichtigen, kleinen Schlucken.
"Die haben ihn von oben bis unten aufgeschlitzt", murmelte sie entsetzt, noch immer völlig gefangen in der Erinnerung, in die aus Gründen der Jungendfreiheit nicht weiter eingegangen werden soll.
"Ja, das haben sie allerdings", antwortete der ehemalige Wasserspeier.
"Ich geh da nicht noch mal hin", sagte sie langsam.
"Das ist auch nicht nötig, es reicht ja, wenn du die ganzen Berichte hast. Ich meine, die Feldarbeit ist für dich ja nicht so wichtig, wie für uns", pflichtete ihr Rabe bei.
"Nein! Nein! Ich will nicht! Ich will nichts damit zu tun haben!", schrie die Gefreite wie von Sinnen. Rabe indes blieb ruhig. Bedächtig zog er aus seiner Hosentasche einen mehrfach gefalteten Zettel, klappte ihn vorsichtig auseinander und las vor:

"Ich, (Name des Rekruten), schwöre feierlich bei (Gottheit des Rekruten), die Gesetze und Verordnungen der Stadt Ankh-Morpork zu wahren, dem öffentlichen Vertrauen zu dienen und die Untertanen Seiner/Ihrer (Unzutreffendes streichen) Majestät (Name des regierenden Monarchen) ohne Furcht, Begünstigungen und Rücksicht auf die persönliche Sicherheit zu verteidigen. Ich schwöre weiterhin, Übeltäter zu verfolgen, die Unschuldigen zu schützen und, falls notwendig, mein Leben für die obengenannten Pflichten zu geben, so wahr mir (zuvor erwähnte Gottheit) helfe. Den Segen der Götter für den König/die Königin (Unzutreffendes streichen)."

Genauso ruhig faltete der Gefreite den Zettel wieder zusammen und gab ihn Tussnelda.
"Ich habe ihn aufgehoben. Nur für den Fall, dass - ich mal nicht mehr weiter weiß. Ich glaube, keiner von uns wusste damals, auf was er sich wirklich einlässt. Und du vielleicht am allerwenigsten. Trotzdem haben wir einen Schwur geleistet." Die Wächterin zögerte. Was würde der Korporal sagen, wenn er sie zaudern sähe? Vermutlich würde er seine Gerte auspacken und ihr beibringen, was es wirklich hieße, sich zu fürchten.
"Na siehst du? Wird schon werden."
"Du hast Recht. Es war nur so furchtbar. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich will so etwas nie mehr sehen", sagte sie leise und schüttelte dabei den Kopf.
"Dann finde heraus, was da passiert ist. Ich will so etwas auch nicht mehr sehen."
"Aber wer kommt auf die Idee, alle Mitglieder einer Besatzung zu töten? Warum?"
"Wir haben das Schiffsregister gefunden. Und der Kapitän hatte sogar ein Logbuch. Vielleicht kann man damit was anfangen. Ich sorg dafür, dass du es kriegst. Und jetzt lass uns gehen. Ich glaube wir haben genug Zeit in der Kröselstraße verbracht", grinste Rabe.

***


Hungrig betrat Tussnelda ihr Büro. Natürlich hätte sie etwas bei den vielen Imbissen auf dem Weg zum Wachhaus essen können, aber sie hatte immer noch ein flaues Gefühl im Magen. Und bis sie wieder ein Würstchen verspeisen könnte, ohne sich zu übergeben, würde es vermutlich eine Weile dauern. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich die Akten. Aktuell war sie die einzige voll ausgebildete Püschologin bei RUM und sie hoffte sehr, dass Frän Fromm und Herold Ruth ihre Ausbildung bald beenden würden. Bisher hatten die beiden großes Geschick bewiesen und Tussnelda übergab ihnen öfter die eine oder andere Akte, um auch eine Einschätzung der Beiden zu hören. Eine zweite Meinung konnte einen auf ganz andere Ideen bringen und was sie bei diesem Fall besonders brauchen würde, waren Ideen. Nur die Ikonographien würde die Püschologin den beiden Kollegen lieber nicht zeigen. Es reichte schließlich schon, wenn sie selbst an ihrer Berufswahl zweifelte.
"Hallo", sagte Kathiopeia hinter ihr. In ihrer Hand war die fragwürdige Akte von bisher ganz erstaunlichem Umfang.
"Hallo. Meinst du, du hast Zeit für eine Besprechung? Dann würde ich die zwei anderen Püschologen noch dazu rufen", sagte sie gleich und versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
"Klar. Alles in Ordnung bei dir?"
"Sicher. Nur ein bisschen flau. Hast du es gesehen?" Kathiopeia nickte.
"Ja. Ich bin kurz nachdem du... weg warst, gekommen. Scheußliche Angelegenheit."
"Allerdings. Ich hole gerade die Beiden und dann legen wir los. Um so eher wir es hinter uns bringen, um so besser."
"Ich koche Kaffee." Dankbar lächelte Tussnelda die Kollegin an und ging dann schnell zu dem Büro der beiden auszubildenden Püschologen. Sie klopfte kurz und trat dann ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Die Beiden hatten es sich anscheinend gerade gemütlich gemacht und fuhren ertappt auf, als Tussi auftauchte. Sie hob beschwichtigend die Arme.
"Ganz ruhig, Kollegen. Ich bin Gefreite, ihr seid Gefreite, kein Grund für Förmlichkeiten", erklärte sie und wies mit der Hand Richtung Ausgang "Wenn ihr Zeit hättet, würde ich euch gern bei einer Besprechung dabei haben. Ich sage aber besser gleich, dass es sich um einen besonders ekelhaften Fall handelt."
"Klar, du kannst auf uns zählen", meinte Herold und stand auf. Frän nickte nur ein wenig schüchtern. Zu dritt kehrten sie in Tussis Büro zurück, wo Kathi schon den Kaffee fertig hatte und damit vier Tassen befüllte. Jeder suchte sich eine Sitzgelegenheit und da es nur zwei Stühle gab, mussten die beiden Auszubildenden mit Kisten vorlieb nehmen, die ein Überbleibsel aus der Zeit waren, in der Tussneldas Büro noch eine Abstellkammer gewesen war.
"Also", begann Kathiopeia gedehnt "Heute wurde in einem toten Briefkasten eine Nachricht gefunden, auf der lediglich Pier 3 stand. Daraufhin sind zwei Seals dorthin gegangen und fanden ein zwar ordentlich angetautes, aber ziemlich verwaistes Schiff. Um genau zu sein, waren alle Besatzungsmitglieder ziemlich tot."
"Ist denn irgend jemand ein Zombie geworden?", fragte Herold. Die Wächterin schüttelte mit dem Kopf und wedelte mit der Akte.
"Wir warten noch auf genauere Obduktionsdaten. Bisher ist aber niemand wieder aufgestanden. Hier drin sind das Schiffsregister und das Logbuch. Ich hatte bisher noch keine Zeit das durchzugehen, das könnte ja einer von euch machen."
"Irgendjemand hat das Schiff festgemacht? Wenn wir den finden, haben wir den Mörder", sagte Herold.
"Das ist der richtige Ansatzpunkt", lobte Tussi "Herold, du hast von uns allen die meiste Erfahrung im Umgang mit Seebären", Tussi betonte das Wort Seebären leicht spöttisch, "Also wirst du zusammen mit Frän das Hafenviertel prüfen. Ob dort jemand was beobachtet hat, ob jemand was weiß, woher das Schiff kam und so weiter. Ihr übernehmt auch erst mal das Schiffsregister, ich werde das Logbuch durchsehen."
"Gut, ich werde mich dann mit Susi rumschlagen", erklärte Kathiopeia und zwinkerte Tussi zu, die lautlos mit den Lippen das Wort 'Danke' formte.

***


Abwesend saß Tussnelda von Grantick in ihrem Büro. Immer noch lagen ihr die schrecklichen Bilder im Magen und sie konnte es kaum über sich bringen, endlich mit der Lektüre des Logbuchs zu beginnen. Viel zu gut entsann sie sich der vier Toten, die beinah einträchtig wirkend am Tisch gesessen hatten. In ihren Augen war nichts von dem Grauen zu sehen gewesen, das über ihnen hing. Ob sie es getan hatten? Aber wer hatte dann die vier getötet? Tussnelda wischte sich mit der Hand eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie selbst hatte sich nie für besonders mutig gehalten. Aber Mut war für den Korporal die Königsdisziplin gewesen, also hatte sie ihm den Gefallen getan und vorgeben, mutig zu sein. War auf die höchsten Bäume geklettert, hatte in reißenden Flüssen gebadet, war nach Ankh-Morpork gegangen. Aber feige? Feige hatte sie sich eigentlich nie gefühlt. Höchstens vorsichtig. Dennoch: Heute war sie feige gewesen. Sie seufzte. Es half ja doch nichts, die Arbeit musste erledigt werden. Sie nahm das Logbuch in die Hand und befühlte den in Wachstuch geschlagenen Einband. "Kapitän Jeremiah Johansson", stand darauf. Sie blätterte kurz durch, ohne den Sinn den Buchstaben vor ihr wahr zu nehmen. Dann klappte sie das Buch wieder zu und legte es auf ihren Schreibtisch zurück. Sicherhalts halber schob sie noch ein paar Akten darüber.
"Erst mal muss ich Kaffee kochen", sagte sie laut und ging aus dem Raum. Vor der Tür stieß sie fast mit Kathiopeia zusammen.
"Du willst dich doch nicht etwa drücken?", fragte die nur und schob sie grinsend zurück in ihr Büro. Dann schloss sie die Türe hinter der Püschologin und die war wieder allein. Mit dem Logbuch. Unter dem Aktenstapel lugte der Einband hervor.
"Na schön...", sie ließ sich auf ihren Stuhl plumpsen und schlug die erste Seite auf.

"Tag 1, Abfahrt von AM. Bestes Wetter. Wind hat endlich gedreht. Sonne scheint. Glaube, das wird ein richtiges Vergnügen. Frau hat wieder geschimpft, aber das tut sie immer. Jungs sind guter Laune."

Tussi staunte nicht schlecht. Dass ein Kapitän so ordentlich schreiben konnte, hatte sie nicht erwartet. Viel mehr war sie auf etliche Rechtschreibfehler gefasst gewesen. Nun ja, das war wenigstens etwas. Sie blätterte weiter, fand aber erst mal nur Angaben über Windstärke, Kursänderungen und Vorratshaltung. Erst als sie Seite 17 aufgeschlagen hatte, wurde es wieder interessant:

"Tag 17. Haben in Quirm geankert. Noch zwei Passagiere an Bord genommen. Waren wohl auf Abenteuer aus, das haben sie jedenfalls gesagt. Aber sie zahlen viel Geld. Haben außerdem Käse geladen, den Runden. Abgeladen haben wir verdammt viel Riechwasser von Donnerstoß. Pah! Setzten jetzt Kurs auf Klatsch. Den Käse loswerden und klatschianische Landratten an Bord nehmen. Außerdem Riechwasser nach Ankh-Morpork. Das ganze Schiff riecht danach. Ekelhaft.

Tag 38. Schweres Unwetter. Kriegte die Pinne kaum gehalten. Focksegel muss genäht werden. Einer von den idiotischen Kerlen aus Quirm hat gepfiffen. Wind wurde aber doch nicht schlimmer.

Tag 54. Hafen in Sicht. Werd die zwei Halunken bei Ankunft abmustern.

Tag 55. Landurlaub. Die Frau ist weit, die Klatschianerinen schön. Dumm, das sie so anständig sind. Oh Elenor, anständige Frauen sind für einen anständigen Mann ein Fluch.

Tag 58. Käse abgeladen. Duftwasser drauf. Genug Verpflegung für die Jungs. Meine fast schon den Geruch der Heimat zu schmecken.

Tag 64. Blinden Passagier entdeckt. Nicht aus Klatsch. Eine Frau, hübsch genug. Guter Wind von Entgegengesetzt.

Tag 66. Wieder Blinde Passagiere entdeckt. Verfluchtes Abenteurerpack. Irizea meint sie können bleiben.

Tag 74. Wind hat gedreht. Alle Segel eingeholt und geankert.

Tag 75. Hat abgeflaut. Der Koch ist tot.

Tag 76. Heiner benimmt sich merkwürdig. Er sagt, ich soll die Segel unbedingt wieder setzen. Weiter Flaute.

Tag 77. Irgendein verfluchter Hund hat den Anker gekappt. Sind ein gutes Stück randwärts abgetrieben. Irizea meint, das wäre nicht so schlimm. Soll alle Segel setzen. Am Abend Heiner gefunden. Jemand hat ihm die Gurgel durchgeschnitten.

Tag 78. Knut spinnt. Ich soll Irizea von Bord werfen. Frauen brächten nur Unglück. Hab ihn in die Schranken gewiesen. Wollte sich am Abend an mich ranmachen. Hab ihm das Genick gebrochen.

Tag 79. Schiff lässt sich nur noch schwer steuern. Laderaum ist ziemlich voll. Die Abenteurer sagen, das wäre alles ihre Schuld. Wollen mir was zeigen, ein Buch. Sie bedrohen mich. Musste sie wegschaffen.

Tag 80. Sind nur noch zu sechst. Habe Angst. Sie hat gestern drei Männer getötet.


Als Tussi das Logbuch endlich weglegte, war es spät geworden. Schummrige Dämmerung herrschte in ihrem Büro, die auch die einzelne Kerze, die sie irgendwann angezündet hatte, nicht erhellen konnte. Müde legte sie das Buch zur Seite und starrte auf die Notizen, die sie sich während der Lektüre gemacht hatte. Elenor stand dort, das musste wohl die Frau des Kapitäns sein. Und spätestens morgen musste sie ihr die traurige Nachricht vom Ableben ihres Mannes überbringen. Abgesehen von Elenor Johansson war ein Name immer wieder gefallen: Irizea. Wer war diese Frau? In Klatsch war sie zugestiegen, aber laut des Kapitäns Log kam sie nicht von dort. Tussnelda machte sich eine Notiz, die Schiffsregister nach diesem Namen zu prüfen. Merkwürdig war an dieser Person, dass sie zunächst als blinder Passagier entdeckt wurde und dann scheinbar immer mehr das Kommando an sich gerissen hatte. Anscheinend nicht unbedingt in Übereinstimmung mit der restlichen Besatzung. Doch den Kapitän hatte sie völlig um den Finger gewickelt. Erst am Ende hatte Jeremiah sich von ihr abgewandt. Sie sogar gefürchtet. Wer war diese Frau? Tussnelda erhob sich, nahm ihren inzwischen kalten Kaffee und ging zum Büro von Frän und Herold. Vielleicht hatten die Beiden etwas Passendes gefunden.
"Na ihr zwei? Irgendwas Interessantes?" Herold und Frän hoben die Köpfe. Sie hatten den halben Tag im Hafenviertel verbracht und spürten ihre Beine kaum mehr. Viel schlimmer war, dass so mancher 'Seebär' überhaupt erst mit sich reden ließ, wenn man mit ihm Rum trank. Zum Glück ließ sich jeder Kneipenbesitzer dieser Welt zu dem alten Pfefferminzteetrick überreden, vor allem, wenn man ihn genauso teuer bezahlte wie Rum. Das Problem mit Pfefferminztee war leider, dass er einen nachhaltigen Eindruck auf die Verdauung hinterließ.
"Na ja", begann Frän zurück haltend, "Ist eigentlich nix dabei raus gekommen. Niemand hat was gesehen. Vermutlich weil keiner was sehen wollte."
"Richtig", pflichtete Herold bei, "Die meisten Seeleute sind von Natur aus abergläubig. Wenn ein Schiff einläuft und dann keiner runter kommt, ist da was faul. Und alle waren sich einig, damit nichts zu tun haben zu wollen. Man weiß ja nie, was man sich da einschleppt, haben sie gesagt. Damit war das Thema dann gestorben, niemand wollte weiter darüber reden."
"War niemand dabei, der irgendwie auffällig war? Ich meine, der Zettel aus dem Toten Briefkasten... der kam doch irgendwoher", fragte die Püschologin.
"Das ist leicht zu lösen. Herr Seebutt, ihm gehört die Bucht der Stürme, hat den Zettel eingeworfen. Er hatte Sorge, dass ein Geisterschiff ihm die Kundschaft fernhält", erzählte Frän.
"Okay, dann ist zumindest das klar. Hat er gesagt, wann er es gemerkt hat?"
"Gestern Abend, mit der Flut sei es wohl gekommen", antwortete Herold.
"Das wäre das. Wie sieht es mit den Schiffsregistern aus? War da zufälligerweise eine Frau dabei?" Herold guckte verwundert und meinte:
"Nein. Laut alter Seemannsregel bringen Frauen an Bord eines Schiffes Unglück. Wie kommst du darauf?"
"Im Logbuch stand, dass sie eine blinde Passagierin gefunden hätten. Irizea war der Name", Tussi überlegte kurz und fragte dann: "Deckt sich die Anzahl der Passagiere mit der Anzahl der Leichen?" Frän nickte.
"Aber eine Irizea stand nicht auf der Liste. Alle Toten waren Männer. Interessanterweise lagen übrigens die meisten im Laderaum. Leider haben wir immer noch keine Obduktion vorliegen, so dass wir immer noch kein Muster in der Art und Weise, wie die armen Hunde getötet worden sind suchen können."
"Ja, das ist wichtig", nickte Tussnelda und ging wieder Richtung Tür. "Ich mache jetzt Feierabend. Morgen müssen wir die Verwandten informieren, wenn wir welche finden. Der Kapitän jedenfalls hatte eine Frau."

***


Am nächsten Morgen hatte sich eine beachtliche Truppe zusammen gefunden. Dabei war natürlich Kathiopeja, die zuständige Ermittlerin und Tussnelda mit ihren beiden Kollegen Herold und Frän. Außerdem waren Rea Dubiata und Rabe dabei, um auch die Erkenntnisse von Susi bekannt zu machen. Die junge Gerichtsmedizinerin hatte sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, um zusammen mit ihren Kollegen all die Leichen von Bord der Großen Freiheit zu obduzieren.
"Also", eröffnete Kathiopeia die Besprechung und schielte vorsichtig zu Rea, die einen schlecht gelaunten Gesichtsausdruck machte, "Was haben wir?"
"Eine Menge", sagte die Hauptgefreite, "Hat jemand einen Kaffee für mich?"
"Klar", erwiderte Frän und sprang auf, um eine Tasse zu holen. Rea hüllte sich solange in Schweigen.
"Zufrieden bin ich mit dem Ergebnis wirklich nicht", sagte sie dann, "Alle starben an massiver Gewalteinwirkung, das war von Anfang an offensichtlich. Die Todeszeitpunkte unterscheiden sich jedoch beträchtlich. Eine wirklich unappetitliche Arbeit." Tussi nickte mitfühlend. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie merkwürdig es sein musste, an und IN einem Toten nach Beweisen zu suchen.
"Wie ist es mit Gemeinsamkeiten?", fragte sie.
"Eher die fehlenden Gemeinsamkeiten sind interessant. Oft waren Kampfspuren zu finden. Zum Beispiel Blut unter den Fingernägeln, blaue Flecken, Würgemale. Bei der Analyse des Blutes haben wir mit ziemlicher Sicherheit feststellen können, dass der Gegner niemals die gleiche Person war."
"Äh?", machte Tussi verwirrt.
"Das heißt also, dass jeder auf diesem Schiff einen anderen umgebracht hat? Aber warum?", meldete sich Kathiopeia zu Wort und blätterte durch die Ikonographien der Opfer.
"Die Frage haben wir uns auch gestellt. Da die Jungs nicht lange genug unterwegs waren, um an einem Koller zu leiden, haben wir Blutproben abgenommen. Und in allen Fällen haben wir schwache Reste eines Nervengifts gefunden."
"Wissen wir welches?"
"Allerdings. Ein Sekret des weiblichen Sprung-Pavians, das Hemmungen senkt. In gewissen Kreisen sehr beliebt", erklärte Rea.
"Und das allein reicht, damit einer den anderen tötet?", fragte Herold skeptisch.
"Nein, das allein reicht nicht. Langsam glaube ich nämlich, dass an dem Aberglaube der Seeleute was dran ist", meinte Tussnelda, "Als ich das Logbuch durch gegangen bin, fand ich mehrere Einträge, in denen eine Frau eine Rolle spielte. Sie kam in Klatsch als blinder Passagier an Bord. Scheinbar war der Kapitän ihr total verfallen", Tussnelda schwieg kurz, um einen Blick auf ihre Notizen zu werfen, "Als einer seiner Männer, Knut, forderte dass sie von Bord geworfen werden sollte, tötet er ihn. Und als diese zwei Abenteurer gegen sie opponierten, schaffte er auch sie weg. Dort stand auch, dass sie ihm etwas zeigen wollten, etwas in einem Buch. Hat man ein Buch an Bord gefunden?"
"Seekarten, den Almanach, sonst nichts", meinte Rabe knapp.
"Ich denke auf jeden Fall, dass die Wurzel des Übels diese Irizea ist. Da unter den Toten keine Frau ist, wird sie wohl hier in Ankh-Morpork sein. Wenn man sie nicht doch noch über Bord geworfen hat", überlegte Tussi.
"Das ist wohl Nahe liegend. Trotzdem sollten wir auch die Augen nach anderen Möglichkeiten offen lassen", entgegnete Kathiopeia, "Ich werde auf jeden Fall über die Nachrichtentürme in Klatsch nachfragen, ob die mit dem Namen was anfangen können. Auch wenn es unwahrscheinlich ist."
"Ich werde nicht mehr gebraucht, oder?", fragte Rea, gähnte und erhob sich "Die Nacht war ziemlich lang. Für mich wird es Zeit zum Schlafen", meinte sie und ging.
"Also gut, dann löse ich diese Runde jetzt vorerst auch auf. Die Püschologen haben ja ohnehin noch etwas anderes zu tun." Missmutig verzogen alle drei das Gesicht. Sie hatten die Hinterbliebenen gerecht unter sich verteilt. Aber Lust hatte keiner von ihnen.

***


Elenor Johansson saß auf ihrem Schaukelstuhl und wippte. Ihr Haar war schon früh ergraut und sie trug es stets zu einem ordentlichen Dutt gebunden. Neben ihr lag in einem Korb eine angefangene Strickarbeit, doch jetzt ließ sie sich lieber von der heimeligen Wärme des Kamins einlullen, während ihr das Hausmädchen Tee auftrug. Niemand hätte geahnt wie dringend sie auf Nachricht wartete. Aber Elenor war so an das Warten gewöhnt, dass es ein altbekannter Vertrauter war, der sie jeden Tag schmoren ließ. Wie Zahnschmerz, an den man sich gewöhnt hatte. So schrak sie nicht auf, als die Glocke bimmelte und wies Anna ruhig an, die Türe zu öffnen. Als dann allerdings wenige Augenblicke später eine Wächterin eintrat, erschrak sie doch.
"Nun, ich denke es geht um meinen Mann, nicht wahr?", sagte sie mit ihrer freundlichen Stimme und wies die Wächterin an, auf dem Fußhocker ihr gegenüber Platz zu nehmen. Die Wächterin nickte und setzte ein vorsichtiges Lächeln auf.
"Mögen sie Tee?", fragte die Alte und hieß dem Mädchen eine weitere Tasse zu holen.
"Gern. Frau Johansson, mein Name ist Tussnelda von Grantick", stellte sie sich vor. Das Mädchen klapperte mit der Tasse.
"Ich habe die traurige Pflicht, ihnen mitzuteilen, dass ihr Gatte ums Leben gekommen ist", begann Tussi und nahm die Tasse entgegen.
"Musste er leiden?", fragte Elenor und nippte gemächlich an ihrem Tee. Tussis Mundwinkel zuckten leicht.
"Er ist einem Mord zum Opfer gefallen", erklärte sie leise. Das Flackern des Feuers malte Schatten in das unbewegte Antlitz von Elenor Johansson. Sie zog eine strichartige Augenbraue nach oben.
"Nun, sie haben den Mörder vermutlich noch nicht gefasst", sagte sie kühl aber dennoch freundlich.
"Nein, sie haben recht", gestand Tussnelda und trank einen Schluck Tee, "Aber ich versichere ihnen, das dies bald geschieht. Wir konnten den Schuldigen bereits einkreisen."
"So? Das ist schön", Elenor erhob sich elegant und nickte dem Mädchen zu, "Du kannst abräumen", dann wandte sie sich wieder an Tussnelda, "Ich wusste schon immer, das die unselige Seefahrerei sein Untergang sein wird. Ich hatte nur immer gehofft, es würde früher geschehen." Entsetzt stand auch Tussnelda auf. Sie versuchte in Elenors Gesicht einen auffälligen Ausdruck zu sehen, aber alles was sie sah war verblasste Schönheit.
"Ihnen ist klar, dass ich es nicht getan habe?", sagte die Alte, es klang wie eine Feststellung, "Und natürlich trauere ich um ihn. Ich habe ihn sehr geliebt. Doch er liebte nur die See." Das klang bitter. Elenor schritt in Richtung der Tür und bedeutete Tussnelda mit einer Geste, ihr zu folgen.
"Sie sehen, ich bin alt. Wäre er früher gestorben, dann hätte ich neu beginnen können. Ich hätte einen neuen Mann finden können, Kinder bekommen. Die Dinge, die sich eine Frau wünscht, selbst wenn sie so alt ist wie ich", sie lachte leise und ging eine Treppe hinauf. Die Püschologin bewunderte, wie graziös sie ihren Rock raffte, wie lautlos sie ging. Ihr eigener Schritt hallte unwillkürlich lauter durch das Haus.
"Hier oben. Sehen sie?" Elenor öffnete die Tür zu einem Zimmer. Einem Kinderzimmer, "Es ist alles da. Ich habe alles so gelassen wie es war." Betroffen spähte die Gefreite in den liebevoll eingerichteten Raum. Ein winzig kleines Bettchen stand unter dem Fenster, ein rosa getünchter Schrank an der Wand. Stofftiere sahen von ihren Regalen auf sie herab.
"SIE haben sie uns genommen", murmelte Eleonor und Tussi legte ihr besänftigend eine Hand auf die Schulter.
"Das tut mir leid", sagte sie.
"Oh, es ist nicht mehr so schlimm. Als SIE unsere Kleine holten, war es schrecklich. Und als Jeremiah nur noch auf der See war und gar nicht mehr nach Hause kommen wollte, war es schrecklich. Doch nun...", sie ließ ihren Satz unvollendet und schloss die Tür.
"Was war passiert?"
"SIE haben sie geholt. Die Schönen. Und eines von ihren haben SIE da gelassen. Doch ich habe es gemerkt. Es hatte nicht ihren kleinen Leberfleck. Leberflecken sind selten bei Babies", erzählte die Frau versonnen und strich sich eine imaginäre Strähne aus dem Gesicht, "Wir wollten es nicht behalten. Wir wussten, was aus den Holden wird. Wir wussten es, verstehen sie? Jeremiah hat es weggebracht." Tussi schwieg betroffen.
"Es tut mir sehr leid. Wirklich", sagte sie, doch Elenor schüttelte den Kopf.
"Sie wäre jetzt in ihrem Alter", sie schwieg kurz und sagte dann "Würden sie mir beim Essen Gesellschaft leisten?" Tussi sah an sich herab. Sogar die verblasste Schönheit von Elenor überstrahlte sie. Und auch das Dienstmädchen war hübsch, gut gebräunt und verbreitete ein Flair von Anmut und Eleganz bei jeder Bewegung. Sie selbst war ungelenk, fast schon schlaksig, ihr Haar war fad, die Haut eher fahl. Trotzdem brachte sie es nicht über sich, die Einladung abzuschlagen. So nickte sie also und versuchte zu vermeiden, dass ihr Unwohlsein auffiel. Schon trug das Dienstmädchen Töpfe und Terrinen herein, platzierte Teller und Messer und verteilte dann kleine Portionen. Zu Tussis Erstaunen nahm sie anschließend selbst an der Tafel Platz. Elenor lächelte entschuldigend und sagte:
"Das ist hier so üblich. Ich nehme an, sie speisen nicht mit ihren Dienstboten?" Tussnelda schüttelte den Kopf. Das war nicht einmal gelogen. Der Haushalt der von Granticks hatte seit mindestens drei Generationen keine Dienstboten mehr gesehen, eine Tatsache die von der Dame des Hauses geflissentlich übersehen wurde.
"Nun, ich fühle mich immer so einsam und so haben wir uns aneinander gewöhnt." Das Mädchen lächelte schüchtern. Doch sogar dieses kleine Lächeln ließ das Herz unfreiwillig aufgehen und Tussi fragte sich, wie vielen Männern dieses Mädchen schlaflose Nächte bereitete. Ohne es zu ahnen vermutlich.
"Obwohl Anna lange weg war, nicht wahr Anna?", schmunzelte Elenor über einem Bissen.
"Ich habe meine Familie besucht", erklärte Anna scheu. Tussnelda nickte verständig. Familienbesuche gehörten leider zu einer traditionsreichen Kette von Pflichten, die niemals abriss.
Später bedankte sie sich höflich für die Einladung und versprach noch einmal vorbei zu schauen. Und natürlich, dass sie, sobald sie etwas wüssten, Elenor informieren würden. Kurz nachdem die Wächterin gegangen war, entschuldigte sich Elenor und ging in ihr Schlafzimmer. Dann weinte sie für lange Zeit, allerdings ohne zu ahnen, mit welcher Genugtuung an ihrer Tür gelauscht wurde. Dann wurde sie ermordet.

***


Als Tussnelda von Grantik die Nachricht erreichte, brütete sie wieder über der Akte. Fassungslos starrte sie Kathiopeia an, die in der Tür stand, eineAkte in der Hand.
"Aber ich war doch noch vor kurzer Zeit dort!", stieß sie hervor, stand auf und riss ihrer Kollegin die Akte aus der Hand. Tatsächlich fand sie Ikonographien von Elenor, wie diese auf blutgetränkten Teppich lag. Ein sauberer Schnitt hatte ihre Kehle durchtrennt.
"Das kann ja wohl nicht wahr sein! Habt ihr das Dienstmädchen festgenommen?"
"Dienstmädchen? Nein, ein Dienstmädchen war nicht da", meinte Kathiopeia.
"Wie konnten wir so schnell davon erfahren?"
"Die Nachbarin hat einen Schrei gehört. Und die Wache alarmiert", sagte Kathiopeia und zuckte mit den Schultern "Hast du eine Idee, was es damit auf sich haben könnte?" Tussnelda nickte langsam. Sie sah sich wieder bei Elenor "Sie wäre wohl in ihrem Alter" hatte die Frau gesagt und sie dann zum Essen eingeladen. Auch Anna war im gleichen Alter und sie war erst kürzlich für längere Zeit verreist gewesen. Jetzt erinnerte sich Tussi auch wieder, was sie an Anna gestört hatte. Die aufgesprungenen Lippen, die starke Bräune.
"Sie ist es", keuchte sie und spürte schon jetzt den leisen Selbstvorwurf. Warum hatte sie nicht früher bemerkt, dass an der Sache was faul war? Schnell zog Tussi eine Schreibtischschublade auf und zog ein großes Blatt Papier heraus. Mit einem Kohlestift versuchte sie die Züge von Anna festzuhalten. Zu gut hatte sie die schöne Frau noch in Erinnerung, die ihr ein so schlechtes Gefühl gegeben hatte. Klein hatte sie sich gefühlt und unbedeutend. Sie hatte es auf die Umgebung geschoben, auf die elegante Elenor und auch auf die hübsche Anna. Wie dicht sie doch damit an der Wahrheit gelegen hatte.
"Hier", sie reichte Kathi die hastig hingeworfene Skizze, die vielleicht kein Meisterwerk war, der Realität aber entsprach und blätterte durch die Akte, die sie vorher gewälzt hatte. "Seekarten und der Almanach", brummelte sie und stürzte aus dem Büro. Kathiopeia folgte ihr irritiert zum Archiv für Beweismaterial, wo Tussi schon die passende Schublade herausgezogen hatte. Sie machte sich nicht die Mühe vorher Handschuhe anzuziehen, sondern griff sofort nach dem Almanach und blätterte ihn hurtig durch.
"Hier", sagte sie knapp und tippte mit dem Zeigefinger auf eine Stelle:

"Ein jedes Elternpaar soll auf sein Kindlein gut acht geben zu Zeiten der Sommersonnenwende. Denn die Zugänge zum Reich der Holden sind schmal an diesen Tagen und die Holden rauben gar gern ein jedes Menschenkind, dessen sie habhaft werden können. Und sie lassen etwas zurück, was einem Menschenkinde bis aufs Haar gleicht, jedoch spätestens wenn das Erwachsenenalter beginnt, wird die Grausamkeit in ihm geweckt. Dann hüte dich vor der Zwietracht, die es sät, vor der Schönheit, die es trägt und vor dem Zorn, der es beherrscht. Wenn du glaubst, du habest ein solches Balg, lege ihm ein Halsband aus Metal um. Wenn es dieses hasst, dann ist es ein Kind der Holden. Entledige dich dieses Kindes so schnell es geht, denn dein Leben ist in Gefahr."

Kathiopeia runzelte die Stirn. Offenbar war sie der Meinung, die Aufregung der letzten zwei Tage sein zuviel für Tussneldas Gemütszustand gewesen.
"Vielleicht solltest du mehr von deiner unsäglichen Lakritze essen", sagte sie deswegen und wedelte mit Tussis Zeichnung, "Aber wenn das dieses Dienstmädchen ist, kann ich damit was anfangen. Ich werde einen Haftbefehl besorgen und veranlassen, dass sie gesucht wird. Damit fassen wir wenigstens einen Mörder." Unwillig schüttelte Tussi den Kopf. Natürlich verstand ihre Kollegin nicht, sie war ja nicht bei Elenor gewesen, sie kannte nicht die ganze Geschichte.
"Versteh doch, Kathi", sagte sie eindringlich, "Elenor Johansson hat mir erzählt, dass die Holden damals ihr Kind entführt haben. Sie haben ihr ein Wechselbalg angedreht! Jeremiah hat es dann fort gebracht. Ich glaube, dass Anna und Irizea ein und dieselbe Person sind. Sie rächt sich, Kathi! Alles passt zusammen!" Kathi ließ sich nicht überzeugen. Zu vieles sprach gegen diese abenteuerliche Theorie. Natürlich waren es ein paar Zufälle zu viel. Aber woher sollte dieses Kind wissen, wer es damals verstoßen hatte? Wenn überhaupt an dieser ganzen Wechselbalg-Geschichte etwas dran war. Es war einfach zu unwahrscheinlich.
"Tussnelda, ich kann verstehen, dass du diesen Fall lösen willst. Dass du eine Erklärung suchst, das tun wir alle. Aber ich glaube, das ist einfach zu viel für dich. Hör mal - Frän und Herold sind so gut wie fertig mit ihrer Ausbildung, die können das genauso gut übernehmen. Was hältst du davon, wenn du dich um einen anderen Fall kümmerst? Du hast immerhin genug andere Arbeit", sagte Kathiopeia vorsichtig. Tussnelda lief rot an. Sie konnte nicht glauben, was ihre Kollegin ihr da antrug.
"Das ist ja wohl nicht dein ernst", erwiderte sie gefährlich leise, ihre Augen blitzten zornig.
"Doch. Ich glaube, das wäre das Beste." Langsam legte Tussi das Buch wieder in die Schublade und schloss sie. Ohne die andere Wächterin noch eines weiteren Blickes zu würdigen verließ sie den Raum und auch das Wachegebäude. Sie fühlte sich mit einen Mal wie erstickt von dieser Stadt, die sie sonst immer so berauscht hatte. Alles erschien zu laut, die Farben zu hart, die Gerüche zu intensiv. Sie beschleunigte ihren Schritt und ging bis sie das Stadttor erreichte. Den Gruß eines Verkehrsexperten ignorierend floh sie aus Ankh-Morpork.

***


Während Tussnelda mit ihrem Schicksal haderte, ging Kathiopeja an die Arbeit. Sie drückte die Skizze einem kleinen Vervielfältigungsdämon in die Hand und verständigte Herold und Frän. Als der Dämon fertig war, eilte sie zu Seals und verteilte dort den Steckbrief. Sie bat alle, die Augen auf zu halten und ging dann selbst auf die Straßen. Nicht nur, um sich selbst ein wenig umzusehen, sondern auch um sich ein wenig Brokkoli zu besorgen.
Auf dem Hier-Gibt’s-Alles-Platz wurde sie schnell fündig, "Meurigs buntes Allerlei" hatte das Verdeck des hölzernen Standes weit geöffnet und der delikate Brokkoli leuchtete viel versprechend dunkelgrün. Genau das brauchte sie jetzt, nach diesem unangenehmen Gespräch mit Tussnelda. Aber was hätte sie schon machen sollen? Die Gefreite hatte sich völlig in die Sache hinein gesteigert – ein Problem, dass Kathiopeia schon öfter an ihr bemerkt hatte. Und gab es etwas für einen Ermittler, das wichtiger war als Distanz? Nun, vielleicht waren die Regeln für Püschologen anders, auch wenn sie das nicht glaubte. Ihr blieb jetzt wohl nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass Tussi sich abregte. Und dabei wäre es sicher hilfreich die Mörderin von Elenor Johansson zu schnappen.
"Guten Tag", grüßte sie Agatha Meurig, die Gemüsehändlerin. Frau Meurig grüßte freundlich zurück, immerhin hatte Kathiopeja den Umsatz bei Brokkoli um die Hälfte gesteigert. Sonst wurde Brokkoli eher als Strafe für unartige Kinder und Ehemänner verstanden. Doch obwohl die Frau freundlich war, fiel sofort auf, dass es um ihre Laune nicht zum Besten stand. Die Augen waren sogar leicht gerötet und die Wimpern feucht.
"Ist alles in Ordnung Frau Meurig? Brauchen sie Hilfe?", fragte sie also gleich und kramte in ihrer Hosentasche nach einem Taschentuch, als sie die tropfende Nase von Frau Meurig bemerkte.
"Ach", seufzte Agatha abgrundtief und nahm dankbar das Taschentuch "Mein Willy, der ist ganz komisch. Gestern hat er so einem jungen Ding ein paar Karotten verkauft und war so angetan, dass es mir fast peinlich war", schniefte sie und rückte das Corpus Delicti zurecht, "Und dann ist sie heute wieder aufgetaucht und er hat ihr ganz unverschämt den Hof gemacht. Vor meinen eigenen Augen! Nach 40 Jahren Ehe!" Kathiopeia war erstaunt. Die Meurigs waren immer sehr freundlich und liebevoll miteinander umgegangen, wenn man sie zusammen erlebt hatte. Und Willy Meurig war eigentlich gar nicht der Typ für so etwas.
"Soll ich mal mit ihm sprechen?", fragte sie vorsichtig, "Manchmal schadet es nicht, wenn ein unbeteiligter Dritter eingreift."
"Würden sie das wirklich tun?", erwiderte Agatha dankbar und nahm eine große Papiertüte, um sie mit knackigen Brokkoli voll zu stopfen.
"Sicher!"
"Ach, das wäre wundervoll", sagte sie zaghaft und reichte ihr die volle Tüte. Als Kathi bezahlen wollte, winkte die Frau ab, "Nein, nein, lassen sie nur. Das ist ein Geschenk für ihre Mühe."
"Wo finde ich denn ihren Mann?"
"Oh, er ist zuhause. Gleich gegenüber, gehen sie durch den Hinterhof, da ist der Eingang. Dritter Stock. Ach ich hoffe, er hört auf sie!" Die Wächterin nickte knapp und lächelte aufmunternd.
"Das wird schon werden. Die Brokkoli hole ich danach ab. Ich bin gleich wieder da", meinte sie. Mit großen Schritten erreichte sie schnell den Hinterhof und folgte dann einer schmalen Wendeltreppe nach oben. Im dritten Stock angelangt, musste sie nicht lange nach der Richtung suchen. Ein Schild aus Salzteig, bunt mit Blumen dekoriert, wies ihr den Weg. "Meurig" stand darauf und sie klopfte. Nach wenigen Augenblicken hörte sie Schritte, die sich der Türe näherten und Willy öffnete.
"Guten Tag", grüßte er verwundert.
"Darf ich reinkommen?", fragte Kathi lächelnd. Willy schüttelte den Kopf.
"Es ist gerade unpassend", sagte er und wollte die Türe schließen. Kathi jedoch hatte den Fuß schon in der Tür und drückte sie gegen den erlahmenden Widerstand Willys auf.
"Eine schöne Wohnung haben sie", bemerkte die Wächterin und sah sich um, "Darf ich mich setzen?" Meurig schüttelte wieder den Kopf.
"Ich bin beschäftigt", murmelte er, leicht betreten. Auch das überging Kathi und spazierte durch den mit allerlei Plunder voll gestellten Flur in die Richtung, in der sie das Wohnzimmer vermutete.
"Guten Tag", grüßte sie die junge, überaus hübsche Frau, die dort auf der Couch saß. Auf eigentümliche Weise kam ihr diese bekannt vor. Diese Nase...
"Sie wissen hoffentlich, was sie ihrer Frau antun?", sagte sie streng zu Meurig, der ihr gefolgt war und unbehaglich in Richtung Decke schaute. Kathiopeia musste sich ernstlich fragen, was diese junge, hübsche Frau an einem Mann mit Bierbauch fand. Nun, Geschmäcker waren ja bekanntlich verschieden.
"Ich muss sie jetzt wirklich bitten, zu gehen", sagte Willy nervös. Die junge Frau hatte noch kein Wort gesprochen. Wenn sie doch nur wüsste, woher sie sie kannte...
"Ihr Name ist?", wandte sie sich also an das Mädchen, das sich von Willys Unruhe nicht anstecken ließ. Wie eine Königin thronte sie auf der Couch, hielt den Rücken gerade und das Kinn nach vorn gestreckt.
"Alisea", antwortete sie ruhig und schürzte die Lippen. Verärgert sah sie auf Kathiopeias Dienstmarke.
"Gefällt sie ihnen?", erwiderte Kathi, die Aliseas Blick bemerkt hatte "Mögen sie die Marke einmal anfassen? Viele Leute würden das gerne mal", log sie. Das eigentümliche Gefühl hatte sich verstärkt und langsam wurde ihr klar, woher sie das Gesicht kannte. Sie hatte es auf einer Zeichnung gesehen.
"Nein, danke."
"Ich bestehe darauf", mit wenigen Schritten hatte Kathi die Frau erreicht und drückte ihr unversehens die Marke in die Hand. Ein Handgemenge entbrannte, als sich Alisea versuchte dagegen zu wehren, ohne die Marke zu berühren. Willy schaute teilnahmslos. Ein keifender Laut entrang sich Aliseas so lieblicher Kehle, als die metallene Marke ihre Wange streifte. Wendig wie eine Natter schlüpfte sie unter der Wächterin hindurch und rannte Richtung Türe, die Wächterin zögerte nicht und setzte ihr sofort nach. Alisea griff sich aus dem Kram im Flur einen Besen und drehte sich damit drohend zu Kathi.
"Keinen Schritt näher", fauchte sie.
"Nun mal ganz ruhig", sagte Kathiopeia. Mit ausgestreckten Händen näherte sie sich vorsichtig der Frau, die jede Bewegung mit einem Zucken des Besens strafte. Kathi zuckte mit den Schultern.
"Ach, was soll's?", meinte sie und grinste gefährlich. Dann warf sie sich mit ausgestreckten Fäusten auf Alisea und verpasste ihr einen gewaltigen Hieb gegen die Schläfe. Alisea klappte zusammen wie ein Kartenhaus, der nutzlose Besen klapperte zu Boden.
"Und sie gehen jetzt zu ihrer Frau und entschuldigen sich!", schimpfte Kathi mit dem immer noch reglosen Willy.
"I-ich wu-wu-wußte ni-nicht, da-dass die Wache sich au-auch mit so-o-owas beschäftigt", stotterte Willy und bewegte sich endlich.
"Da sehen sie mal. Dein Freund und Helfer, immer zur Stelle und so. Und nun holen sie ein paar Blumen und entschuldigen sie sich", versetzte die Wächterin, setzte sich auf den Rücken der immer noch bewusstlosen Alisea und drehte deren Arme auf den Rücken. Dem Klicken der Handschellen schloss sich kurz darauf das Klicken der Haustüre an. Kathi erhob sich wieder und schickte eine Brieftaube Richtung Wache.
"Jeden Tag eine gute Tat", murmelte sie für sich und hockte sich dann wieder neben die Delinquentin.

***


Der Geruch von Kohl überlagerte alles. Tussnelda von Grantick hatte eigentlich immer gedacht, dass es nichts anderes geben konnte, was intensiver roch als Ankh-Morpork, aber sie war schon oftmals davon überzeugt worden, dass es anders war. Und jetzt eben Kohl. Sie zuckte missmutig mit den Schultern und überlegte, was sie tun sollte. Inzwischen sah sie natürlich ein, dass Kathi mit ihren Befürchtungen nicht Unrecht hatte. Aber zurückkehren und das zugeben? Das brachte sie nicht über sich, jetzt noch nicht. Vermutlich machte sie sich gerade strafbar. Fahnenflucht würde ihr Vater sagen, ein schreckliches Verbrechen. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben ertappte sie sich dabei, dass es ihr egal war, was ihr Vater sagte. Der sich, seit sie denken konnte, für einen Korporal hielt. Der nicht sah, das es eine Welt außerhalb des Präsentierzimmers gab. Wenn er jetzt vor ihr stehen würde, sie würde es ihm auf den Kopf zu sagen. Vielleicht auch nicht.
Die Dämmerung breitete sich über den Himmel aus, wie Schokosauce über Vaniliepudding. Und Tussnelda war ziemlich hungrig. Ob sie sich einen Kohl nehmen sollte? Wohl eher nicht. Mit einer Hand durchforstete sie ihre Hosentaschen und fand tatsächlich fünf Kringel Lakritze. Ein bisschen mager, aber schmackhaft. Sie verließ die Straße und ging in Richtung eines Gebüschs, wo sie tatsächlich einen akzeptabel flachen Stein fand, auf dem sie Platz nahm. Gemächlich rollte sie ihre Lakritze auf und lauschte dem Knacken der Äste. Es musste irgend ein Getier sein, das in dem Gebüsch sein Nest hatte. Ein ziemlich großes Tier. Tussnelda stierte auf das Gebüsch.
"Komm raus", sagte sie versuchsweise.
"Hallo", sagte Kathiopeia.
"Woher wusstest du, dass ich hier bin?"
"Drogan hat dich gesehen, als du zum Tor raus bist. Magst du ein Bier?" Tussnelda nickte und packte die Lakritze wieder weg.
"Haben wir schon Dienstschluss?", fragte sie vorsichtshalber.
"Ich würde sagen ja. Immerhin haben wir eine Mörderin gefasst", grinste die andere Wächterin und gab ihr eine Flasche.
"Wirklich?"
"Wirklich. Zumindest den Mord an Elenor können wir ihr astrein nachweisen. Und wahrscheinlich auch einige an den Seeleuten. Das wird uns Susi später sagen. Wie auch immer – die sieht kein Tageslicht mehr." Tussnelda entkronte ihr Bier und starrte beschäftigt darauf.
"Ich hatte also recht?", fragte sie. Kathi nickte.
"Ja, das hattest du. Tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe."
"Schon in Ordnung", murmelte Tussnelda. Sie schwiegen eine Weile und starrten in den zwischenzeitlich dunklen Himmel.
"Tussi?"
"Hmmm?"
"Darf ich dir mal einen Rat geben? So von Kollege zu Kollege?", Kathi schwieg kurz und wog die Flasche in der Hand hin und her, "Versuch ein bisschen Abstand von der Arbeit zu gewinnen. Du lässt dich da jedes Mal zu sehr rein ziehen. Verstehst du, was ich meine? Ich will nicht, dass du deswegen irgendwann in eine Klemme gerätst, aus der du nicht mehr raus kommst. Okay?"
"Okay. Ich versuch's." Sie stießen an. Wieder entstand eine Pause, aber diesmal klang sie keineswegs peinlich, eher durstig. Als Tussnelda absetzte, sah man an den leicht hängenden Lidern, dass das Bier seine Wirkung bereits tat. Die Gefreite trank höchst selten etwas anderes als Kaffee.
"Du sach mal, Kathi", lallte sie grinsend "Was hältst du eigentlich vom Angeln?"
Lob & Anerkennung gewünscht.

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

28.09.2005 13:10

Lob: Besonders gut gefiel mir, dass Du dir die Mühe gemacht hast, eine Zusammenarbeit mit deinen Abteilungskollegen auszumalen. Andere Charaktere einzubauen, erst recht solche, die in ihren Eigenheiten und Einstellungen schon fest vorgegeben sind, ist immer wieder eine Herausforderung. Die Mischung von ruhigen Besprechungsszenen mit eher aktiveren Handlungs- und Spannungsszenen ausserhalb der Wachegebäude sorgte für gleichmäßigen Lesefluss; der von einer konsequent guten Rechtschreibung unterstrichen wurde. Dein Hauptcharakter war in einer Weise beschrieben, die ihn durchgängig lebendig und 'möglich' erscheinen ließ: von Tussneldas angeekelter Abwehrreaktion, über ihre kleinen Ansätze, Unangenehmem aus dem Wege zu gehen oder es wenigstens aufzuschieben, bis hin zu den mahnenden Erinnerungen an ihren Vater, die wiederum eine fast schon ungesunde Hartnäckigkeit in ihr auslösten. Die Idee der Geschichte, die Entwicklung eines Wechselbalgs nach dem eigentlichen Ereignis, nämlich dem Austausch, aufzugreifen, und das zudem noch innerhalb einer vorgewarnten Familie, fand ich sehr spannend. Die Dialoge waren gut gesetzt.

Kritik: Die Geschichte bestand, trotz des einen roten Fadens, im Grunde aus zwei großen Bereichen: das Schiff mit den Leichen und dem zu klärenden Hintergrund und das Dienstmädchen mit ihren Aktivitäten nach Ankunft in der Stadt. Beide Bereiche hätten jeweils für sich schon viel Stoff zum Nachdenken abgegeben; ihre Zusammenführung aufgrund einer einzigen Szene jedoch war nicht so gelungen. Es entstand bei mir der Eindruck einer gewissen "Schräglage" des Plots. Der dramatische Auftakt mit den Bildern eines unvergleichlich grausamen Gemetzels wiegt sehr, sehr schwer und zieht die Handlung gleich zu Beginn in unheilsschwangere Tiefen. Es folgten schrittchenweise Theorie, ein ernsteres Kaffeekränzchen und ein einzelner Mord irgendwo in der großen Stadt. Auftritt der Täterin. Übergangsloser Ausklang. Das klingt jetzt zwar stark verkürzt etwas heftig aber vielleicht verdeutlicht es, was ich meine. Alles, was den blutigen Anfangsbildern folgt, ist nicht imstande, die Waage wieder in die Schwebe zu bringen. Vielleicht wären ein glorreiches Happy End oder alternativ die absolute Tragödie dazu imstande gewesen? (Was gewiss einen tieferen Einblick in die Gefühle und Motive der auftretenden Personen gefordert hätte.) Die flüchtige, fast gekünzelt eingebaut wirkende Festnahme der Urheberin aber, war keines von Beidem. Es blieb ein Hohlraum in der Geschichte, der nicht ganz zufrieden machte.

Von Daemon Llanddcairfyn

28.09.2005 14:06

Huch, da stehen zwei riesige Absätze, die viel von dem enthalten, was ich auch geschrieben hätte, besonders die ersten Teile des 'Lobes'. Die Charaktere, besonders Tussnelda selbst, waren glaubwürdig und 'erkennbar'. Die Story hatte durchaus Hand und Fuß (Wir SIND auf der Scheibenwelt) und die Szenenbeschreibungen waren durch die Reaktionen der Hauptfigur auf indirekte Art sehr plastisch: Man merkt direkt, wo es ekelhaft, schauderhaft, grauenhaft, langweilig oder anstrengend ist, wenn man einfach auf Tussnelda achtet. Da braucht es dann auch keine großartigen Szenenbeschreibungen bis zur Holzart der Stuhllehnen.
Der Kritik muss ich etwas widersprechen, vielleicht, weil ich die Geschichte 'einfacher' lese (also ohne mit so tiefe Gedanken zu machen, wie Ophelia), oder weil ich sie korrigiert habe und von daher einen ganz anderen Blick auf die Single habe. Die Schiffszene als Auftakt war natürlich ein 'Knaller', aber genausoeiner gehört ja auch an den Anfang, wer will schon noch einen Sonnenaufgang? Dann wurde es halt Wächterarbeit, dadurch wirkte es aber wesentlich plausibler als ein Kontakter, der den Kopf in die Tür steckt und verkündet, quasi durch seine überirdischen Spezialisierungskräfte den entscheidenen Hinweis gefunden zu haben. Was dann vielleicht fehlte, war der Knaller zum Höhepunkt. Urplötzlich war der unglaubliche Wächterinzufall da, der ihr die Täterin vor die Füße spült. Sowas ist immer etwas traurig, gerade nach den Vorgängen vorher.
Sehr schön fand ich die Klammer persönlicher Eindrücke, die der erste und der letzte Absatz um die Geschichte bildete.

viele liebe Grüße
Daemon

Von Harry

28.09.2005 21:10

Mich hat es jedenfalls gefreut, dass meine "Wechselbalg-Mythologie" darin vorkam :-)
Tussneldas Motivation, plötzlich aus der Stadt zu stürmen, kam für mich nicht klar rüber. Da hätte vielleicht etwas innerer Monolog geholfen. Ansonsten sehr schön, von den schon oben erwähnten Punkten (Komissar Zufall) abgesehen.

Von Tussnelda von Grantick

04.10.2005 16:10

Danke für Eure Kritik!

Die Splittung der zwei Spielorte ist mir beim Schreiben selbst nicht aufgefallen, jetzt bei nochmaligen Drüberlesen muss ich allerdings Ophelia recht geben - die Reise von dem einen zum anderen Punkt war doch etwas viel für eine Geschichte.

Was das Ende inklusive Wächterinenzufall betrifft: Ich hatte zunächst ein anderes Ende geschrieben. Darin wäre Tussnelda beim Verlassen der Stadt auf das Wechselbalg gestossen... was relativ sinnig gewesen wäre. Ich hatte allerdings den Eindruck damit in ein Schema zu verfallen, weil meine letzte Single ganz ähnlich geendet hatte: Tussi verhaut den Bigboss und ist hinterher deprimiert. Das wollte ich nicht und überliess das Schnappen lieber dem Ermittler. Nun stand ich also vor der Entscheidung in 5 bis 10 weiteren Seiten den ganzen Vorgang plausibel zu machen oder den Zufall walten zu lassen.

Die Szene in der Tussi die Stadt verlässt, verstehe ich als Charakter natürlich besser. Ein Satz hat wohl nicht ganz gereicht, um auch den Leser in das Verstehen miteinzubeziehen*gg*.

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