Friedhofswalzer ( Dunkler Reigen, Teil I )

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von Chief-Korporal Kanndra (FROG)
Online seit 02. 08. 2005
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 Außerdem kommen vor: Araghast BreguyarIlona Istnichtgut FeldackerLaiza Harmonie

Manche Verwandtenbesuche sind die Hölle, vor allem wenn sie direkt aus dieser kommen...

Dafür vergebene Note: 13

I heard a voice, it was talkin' real slow
She said, it's time to make a choice, is it yes or is it no
I said ok, do as you wanna do,
Then she took me to a world, a world I never knew
The Hooters, Graveyard Waltz


Oktotag


Eine Träne rannte seine Wange hinunter, als er auf das Grab seiner Mutter starrte. Er stand schon seit einer Stunde hier, doch die Zeit spürte er nicht. Seine Gedanken waren in glücklicheren Zeiten. Ohne dass er es wollte, kehrten sie jedoch immer wieder zu dem Augenblick zurück, als er seine tote Mutter in die Arme schloss. Sie hätte nicht sterben dürfen, noch nicht. Und vor allem nicht so.
Dann schloss er die Augen und hob die Arme. Fast war es, als würde er wirklich ihren Körper spüren. Sie hatte so gern getanzt mit ihm. "Ja, Mutter. Das werde ich", murmelte er die Antwort auf eine Frage, die nur er hören konnte. Seine Füße fanden die Schritte wie von selbst. Eins, zwei, drei...


*Früher Abend*

"Eins, zwei, drei", zählte Knut Knackfus und klatschte dazu in die Hände. Seine nasale Stimme hallte durch den Raum und übertönte die Musik. Kanndra versuchte, möglichst flach zu atmen. Wenn man als Einzelperson in einen Tanzkurs ging, bekam man immer Partner, die entweder Schweißhände, Mundgeruch oder zwei linke Füße hatten. In diesem Fall hatte sie einen Mann erwischt, der alle drei Eigenschaften in sich vereinte. Mit Sehnsucht dachte die Wächterin an ihren alten Kurs zurück. Doch nachdem der Tanzlehrer nach Quirm umgezogen war, hatte sich die Gruppe aufgelöst und auch ihr Partner hatte plötzlich keine Zeit mehr gehabt. Kanndra musste sich eine neue Gruppe suchen und hatte heute die erste Stunde. Sie hoffte, dass sie es schaffen würde, so oft wie möglich am Kurs teilzunehmen, aber sie konnte die Zeit dafür nicht immer erübrigen, vor allem weil sie ihren Kollegen nichts davon erzählen wollte. Sie verzog das Gesicht, als Hubert oder Herbert oder wie er hieß, ihr auf die Füße trat.
"Uund die Drehung bitte. Neinneinnein. Ich mache das mal vor." Knut schnappte sich die Halbdämonin, setzte ein übertriebenes Lächeln auf und zeigte mit schwingenden Hüften eine vollendete Walzerdrehung. "Hast du das gesehen, Helfried? Gut. Dann noch einmal."
Die Tür ging auf und ein verspätetes Pärchen kam in den Raum gehetzt. "Tut mir leid, Knut. Es ging nicht früher, wir..." Den Rest des Satzes bekam Kanndra nicht mehr mit, denn Helfried zog sie in weiteren qualvollen Bemühungen von Tanzschritten davon. Doch die Wächterin versuchte immer wieder einen Blick auf das Gesicht des Mannes, der gerade den Raum mit seiner Partnerin betreten hatte, zu werfen. Als sie schließlich wieder in die Nähe des Paares gerieten, war sie fast sicher. Sie ergriff die Gelegenheit und blieb stehen.
"Juli? Bist du das?"
"Kanndra? Meine Güte ist das lange her..." Der Mann war ebenfalls stehengeblieben und starrte Kanndra in einer Mischung aus Verblüffung und Wiedersehensfreude an.
Sie konnte es nicht glauben. Mit Julian le Surprise hatte die junge Voodoo-Priesterin die bisher glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht. Er war ihre erste große Liebe und als sie ihn jetzt vor sich sah, war es wie damals. Götter! Er sah ja so gut aus. Gut, er war etwas älter geworden, so wie sie auch, aber das hatte ihm nicht geschadet, im Gegenteil. Sein glattes, karamellbraunes Haar war voll wie eh und je und die feinen Fältchen um die blauen Augen machten ihn reifer. Eine angenehme Wärme stieg in ihrem Körper langsam nach oben und in ihrem Bauch begann es zu kribbeln. Warum musste er auch damals seinem Lehrherrn, einem Kaufmann in die große weite Welt folgen und sie zurücklassen...
Julian lächelte zurück. "Darf ich dir meine Frau vorstellen? Das ist Luisa. Luisa, das ist Kanndra, eine alte Bekannte."
Alte Bekannte, dachte Kanndra, als sie die blonde Frau musterte. Sie war ein völlig anderer Typ als der Chief-Korporal. Außerdem war sie eine verwöhnte, reiche Zicke, entschied sie sofort.
"Angenehm." Bestimmt ist er unglücklich mit ihr. Eine Welle von kindischer Eifersucht überrollte sie, als sie sah, wie Juli besitzergreifend einen Arm um seine Frau legte.
"Wenn die Herrschaften kein Interesse am Walzer haben, könnten sie wenigstens ein wenig aus dem Weg gehen", wurden sie von Knut unterbrochen. Alle drei waren so auf sich konzentriert gewesen, daß sie nicht gemerkt hatten, daß sie ein Hindernis für die anderen Paare darstellten. Nur Helfried stand mit verschränkten Armen ein wenig abseits. "Julian, Luisa, bitte nehmt die Tanzhaltung ein und ihr beide auch." Mit wedelnden Armen, machte sich der Tanzlehrer zu dem nächsten Paar auf, das Schwierigkeiten mit der Schrittfolge hatte. Er begann in die Hände zu klatschen, aber so unrythmisch, dass alle irritiert zu ihm hinsahen. Erst als er alle Blicke auf sich spürte, schien er es zu bemerken. Knut räusperte sich und wandte sich an den Klavierspieler, der aufgehört hatte zu spielen. "Herr Kapellmeister, Musik bitte! Mit Geräusch geht alles besser, nicht wahr?"
"Wir können ja nachher noch einen Trinken gehen.", schlug Julian gutgelaunt vor.
"Ja, äh, gut." Kanndra fiel so schnell keine Ausrede ein, außerdem freute sie sich über das Wiedersehen. Und diese Luisa musste sie eben in Kauf nehmen... vorerst.


*Später, im Eimer*

"Und du wohnst jetzt hier in Ankh-Morpork? Und arbeitest als Wächterin?" Julian nippte an seinem Bier. "Hätte ich dir gar nicht zugetraut.".
"Was von beiden hättest du mir nicht zugetraut? Die Stadt oder die Wächterin?" Kanndra hob fragend die Augenbrauen.
"Naja, beides irgendwie. Du und deine Mutter, ihr wart immer so viel zusammen. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du mal von zuhause weggehst."
"Das ist eine lange Geschichte. Aber inzwischen gefällt es mir hier gut. Ich habe Freunde gefunden."
"Ja, ich auch, wie du siehst." Der Gennuaner drehte sich zu seiner Frau um, die schon seit einer ganzen Weile in eisiges Schweigen verfallen war. Sie lächelte ihn verkrampft an, aber ihre Augen sagten: "Komm du mir nach Hause!"
"Und was tust du jetzt so? Immer noch Kaufmann?" Die Wächterin ignorierte Luisa einfach.
"Inzwischen mache ich in Immobilien. Bei Luisas Vater, um genau zu sein."
Ha! Sie hatte es gewusst. Er liebte sie gar nicht, sondern hatte sie nur wegen des Geldes geheiratet.
"Das ist sehr praktisch, nicht wahr Liebling? So sehen wir uns den ganzen Tag."
Kanndra verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall.
Besorgt beugte sich ihr alter Freund zu ihr rüber und klopfte auf ihren Rücken. "Geht es wieder?"
"Ja, danke. Alles in Ordnung", krächzte die Wächterin.
Kurze Zeit sagte niemand etwas und ein unangenehmes Schweigen begann sich auszubreiten.
"Und das Voodoo hast du ganz aufgegeben? Ich fand es immer besonders sexy, muss ich sagen", brachte le Surprise schließlich mit einem verlegenen Lächeln heraus.
Luisa räusperte sich vernehmlich. "Ich glaube, wir müssen jetzt leider gehen, Julian. Du weißt, das Mutter auf uns wartet. Und morgen ist ein wichtiger Tag, vergiss das nicht."
"Jaja, ich weiß. Der brindisianische Käufer." Bedauernd hob Kanndras Jugendliebe die Hände. "Wir sehen uns beim Tanzen. Es ist schön, dich mal wieder getroffen zu haben."

Dienstag nacht


Knaarz
Klong
Ratsch
Bumm

"Pst, leise!"
"Wer macht denn hier Lärm wie eine Horde Elefanten?"
"Au!"
"Sei doch mal still oder willst du daß First uns erwischt?"
"Vielleicht hätte man ja auch mal eine Fackel mitbringen können, wenn wir uns schon nachts in der Gruft eines Friedhofs treffen."
"Der Meister hat auf wenig Licht bestanden. Er sagte, sonst wird es nicht klappen."
Die Stimme, die sich nun zum ersten Mal erhob, klang als hätte der Sprecher Sandpapier zwischen den Stimmbändern. "Sehr richtig. Und der Ort ist ideal für unser Vorhaben."
"Oh, Meister. Ich wusste nicht, daß du auch schon hier bist." Leichte Beschämung war der Antwort anzuhören.
"Ich schlage vor, jemand zündet mal eine Kerze an. Aber nur eine", war die gelassene Reaktion.
Ein Streichholz flammte auf und entzündete den Docht einer schwarzen Kerze. Nun waren schemenhafte Figuren am Rande des Lichtkreises zu erahnen und ein bärtiges Gesicht, das schmerzhaft verzogen wurde, als die kleine Flamme des Streichholzes die Finger des Mannes erreichte. "Autsch, verdammt. Erst stoße ich mir den Kopf und jetzt..."
"Ich bitte nun um Ruhe. Ich muss mich konzentrieren. Elgard, du zeichnest das Oktagramm. Lone, du die magischen Zeichen. Und zwar genau so , wie ich es euch gezeigt habe", ordnete der Meister an.
Einige unterdrückte Flüche später, fragte der Alte: "Alles bereit?"
Nicken.
Pause.
"Ich fragte, alles bereit?"
"Äh, ja. Meister."
"Gut. Dann beginne ich nun."
Nataniel Noppel schloß die Augen und stimmte seinen eigens entwickelten Singsang an. Dieser war gespickt mit beeindruckend klingenden, pseudo-latatianischen Wörtern. Natürlich würde er nicht funktionieren, das hatte er noch nie. Schließlich war der 90-Jährige nicht so alt geworden, weil er lebensmüde war. Aber neugierige Touristen und die gelangweilten Sprößlinge reicher Familien zahlten gut für den Nervenkitzel seiner Show. Zwei Nebelkerzen und ein Stimmenverzerrer aus dem magischen Scherzartikelbedarf und seine naiven Kunden schworen, einen Höllenfürsten gesehen zu haben. Und die Beschwörergilde wurde sowieso oft mit den Dämonologen verwechselt.
"... notorius chronlogus Estarol..."
"Spürst du das auch?", flüsterte Elgard aufgeregt. "Ein fauliger Hauch hat mich gestreift."
Auch Lone klang enthusiastisch. "Das war der Höllenwind! Wir haben Erfolg!!"
Noppel schickte den beiden einen bösen Blick, der aufgrund der Dunkelheit jedoch seine Wirkung verlor. In Wahrheit freute er sich allerdings über die Dummheit seiner Kunden, die schon eine seiner Blähungen als Vorzeichen nahmen. "Wo war ich?", fragte er mit strenger Stimme. "Ach ja... Estol... nuntia chloroforma..."
Etwa eine halbe Minute später räusperte sich Lone.
"Meister? Äh, hallo? Wenn wir dich noch mal stören dürften?"
"Was ist denn jetzt schon wieder?" Ungehalten riss der Alte die Augen auf. "Oh..."
"Fehlt da nicht eine Linie?", fragte der Dämon.

*Zur gleichen Zeit im Wachhaus am Pseudopolisplatz*

Valdimier van Varwald legte die Beine übereinander auf den Tisch. Es war wieder eine dieser ereignislosen Bereitschaftsdienste und seine Armbrust hatte schon mehr Pflege bekommen, wie sie vertragen konnte. Grinsend betrachtete der Vampir seine Kollegin, die vor sich hin träumte. Diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht kannte Valdimier. Schließlich waren sie schon lange genug befreundet.
"Na, Kanndra? Wie heißt er diesmal?"
"W...was?" Die Angesprochene schreckte aus ihrem Wachtraum auf, in dem sie ein weißes Kleid trug und Julian an ihrer Seite einen Ring aus der Tasche zog. "Ich weiß gar nicht, wovon du redest."
"Ach, komm. Du hast dich wieder mal verliebt, das sehe ich dir an. Kenne ich ihn?"
"Neugierig bist du wohl gar nicht."
"Du warst auch nicht gerade zurückhaltend darin, mir die Einzelheiten meiner Bekanntschaft mit Lilith aus der Nase zu ziehen", merkte der Leichte Armbrustschütze an.
"Also gut", seufzte Kanndra. "Du kennst ihn nicht."
"Ist es der gutaussehende Typ, mit dem du gestern im Eimer warst?" So leicht gab der Vampir nicht auf. Sie wusste, sie hätten lieber woanders hingehen sollen. "Aber der hatte doch eine Frau dabei, oder nicht?" Die Späherin zuckte zusammen. Scharfsinnig, wie er war hatte Valdimier gleich die wunde Stelle erwischt.
"Ja, das... das ist seine."
"Er ist verheiratet?" Überrascht zog Valdimier die Augenbrauen hoch. "Kanny, Kanny. Was machst du nur für Sachen?"
Trotzig verschränkte die Voodoo-Priesterin ihre Arme. "Ich habe ihn zuerst gekannt. Weisst du, er war meine erste große Liebe. Wir sind zusammen aufgewachsen. Im Schuppen seiner Eltern hat er mir den ersten Kuss gegeben. Damit es sein großer Bruder nicht sieht." Sie lächelte bei der Erinnerung.
"Aber jetzt hat er anscheinend eine andere gefunden", holte sie ihr Kollege etwas rüde zurück in die Gegenwart.
"Ja, das hat er wohl."
Nach kurzem Schweigen beschloss der Vampir, es vorerst dabei zu belassen. "Lust auf eine Runde Leg-Herrn-Zwiebel-rein?", fragte er.
Während er die Karten austeilte, kam Mindorah aus der Kantine zurück und gesellte sich zu den beiden Korporalen.
"Wisst ihr übrigens schon, dass Ortbe wieder da ist?", fragte Valdimier die Frauen.
"Was? Er hat vor über einem Jahr Urlaub eingereicht und ist dann einfach nicht mehr aufgetaucht. Wo kommt der denn jetzt her?" Die Kommunikationsexpertin hob überrascht die Augenbrauen.
"Bregs hat es mir erzählt." Der Leichte Armbrustschütze grinste. "Er hat wohl seine Adoptiveltern in den Spitzhornbergen besucht. Da hat er dann angeblich nicht gewusst, wieviel Zeit vergangen ist und für den Rückweg nach Ankh-Morpork hat er auch ziemlich lange gebraucht, da er immer noch das Tempo der Trolle sozusagen intus hatte."
Kanndra schüttelte den Kopf. "Hoffentlich bleibt er nicht so langsam. Sonst könnte es in einem Einsatz brenzlig werden. Und Araghast hat ihn wieder eingestellt?"
"Sieht so aus. Ich soll ihm erstmal wieder ein bisschen Schießtraining verpassen."
"Naja, wenigstens haben wir dann einen Ersatz für Magane. Ich habe übrigens eine Kleine Zwiebel."

Xzzzib lächelte, als er auf die beiden Leichen hinunter sah. Menschen waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die jungen Männer waren einfach umgekippt, als er aus dem Oktagramm heraus getreten war. Der dritte Mensch sass zitternd in einer Ecke. "Wwwie wwäre es, wwenn du mich einfach...nicht umbringst. Ich mmmeine, ich bin doch noch jjjung..."
Der Dämon sah den Mann zweifelnd an. "Ich kenne mich nicht aus mit dem Altern von Menschen, aber du hast schon weisse Haare."
"Dddas sssieht nur so aus."
"Warum sollte ich dich verschonen?"
"Wwwweil ich ein interessanter Charakter bin?"
Xzzzib war es eigentlich egal, ob der Alte lebte oder starb, aber als Dämon hatte man nun mal einen gewissen Ruf zu wahren, deshalb zögerte er. "Na gut, aber was habe ich davon?" Dann schien ihm etwas einzufallen. "Wir sind in Ankh-Morpork, oder? Kennst du dich in der Stadt aus?"
Noppel nickte. "Ich wohne schon seit neunzig Jahren hier."
"Erst? Na gut, vielleicht kannst du mir trotzdem weiterhelfen..."
Es war gut, wieder hier zu sein. Und als erstes würde er sich mal wieder so richtig amüsieren.

Mittwoch


Das Licht begann erst zögernd am Horizont heraufzudämmern und Rekrutin Ilona Istnichtgut Feldacker schob Dienst am Wachetresen im Wachhaus am Pseudopolisplatz. Eine Hand in ihren langen, schwarzen Haaren vergraben, stützte sie den Kopf damit ab, damit er ihr nicht auf die Tischplatte sank. Trotz ihrer Abneigung gegen den Alkohol war es am Vorabend später geworden, als es gut war, wenn man am anderen Morgen pünktlich zur Arbeit erscheinen musste. Die Lampe warf flackernde Schatten auf die Formulare und den schon etwas zerfledderten Stadtplan. Zum ungefähr zehnten Mal las die Rekrutin, wer heute wann Bereitschaftsdienst bei den FROGs hatte. Nicht, weil es sie so brennend interessierte, sondern weil ihr Blick immer wieder auf den am schwarzen Brett befestigten Dienstplan fiel. Ilona gähnte herzhaft und musterte überlegend ihre Kaffeetasse. Eine weitere Portion des Heissgetränkes wäre sicher nicht zu verachten, allerdings musste sie sich dafür von ihrem Sitz erheben, zum Kaffeedämonen wanken und sich mit dem Kerl auseinandersetzen. Während die Wächterin noch in dem inneren Konflikt gefangen war, räusperte sich jemand.
Die junge Frau schreckte auf und sah den Mann, der vor ihr stand, überrascht an.
"Guten Morgen, meine Dame. Wie mundet der Kaffee?" Legitimate First [1]war nicht gerade dafür bekannt, ohne Umschweife zur Sache zu kommen.
"G...gut. Äh... was kann ich für Sie tun?"
Das Gesicht des Totengräbers verzog sich zu etwas, was er für feierlichen Ernst hielt. Ilona dagegen dachte, er hätte Bauchschmerzen.
"Ich fürchte, es hat sich eine Tragödie ereignet. Auf dem Friedhof liegen zwei Leichen." First nickte vor sich hin.
"Nun, äh... Friedhöfe sind dafür vorgesehen. Ich meine, es wird sicher mehr als zwei Leichen dort geben, oder?"
"Sicher, sicher. Und ich weiß genau, wer wo liegt, das können Sie glauben. Wenn Sie mal ein bestimmtes Grab suchen, kommen Sie einfach zu mir, ich zeige es Ihnen gerne."
Mühsam versuchte die Wächterin noch immer, einen Sinn in die Anzeige, die es ja wohl werden sollte, zu bringen. Sie griff nach einem Fallaufnahmeformular. In schwierigen Situationen half es manchmal, auf bürokratische Mittel zurückzugreifen.
"Noch einmal von vorne, bitte. Wie ist ihr Name?" Sie klang schon wesentlich energischer. Es kam gar nicht in Frage, jetzt einfach aufzugeben, sagte sie sich.
"Ich heisse Legitimate First und bin Totengräber auf dem Friedhof der Geringen Götter."
"Aha. Be-ruf: To-ten-grä-ber. Und was wollen Sie jetzt eigentlich anzeigen? Hat jemand Leichen ausgegraben?"
"Nein, diese habe ich noch nie gesehen. Da bin sicher. Ich meine, irgendwann, da kann man sie ja nicht mehr so genau voneinander unterscheiden..."
"Was ist dann passiert?" Die Rekrutin nahm sich fest vor, nicht die Geduld zu verlieren.
"Jemand hat zwei Menschen umgebracht, würde ich sagen. Auf dem Friedhof."
Erleichtert atmete Ilona auf. Das war endlich was, womit sie etwas anfangen konnte. Also füllte sie zuerst einmal das Formular zu Ende aus.

*Kurz zuvor*

"Jetzt!", schrie Krister Steingut und warf die Phiole mit dem Zauberelexier im gleichen Augenblick wie ihre Freundin. Der Dämon verpuffte unter lautem Schreien und hinterließ eine große Staubwolke.
"Puh, das war knapp. Seit Kruela tot ist, ist es nicht mehr so leicht, mit den Dämonen fertig zu werden", hustete Kibia Dottergelb.
"Du hast recht. Zu dritt waren wir einfach stärker. Aber wir dürfen jetzt nicht aufgeben, das weißt du." Eindringlich musterte die Hexe ihre jüngere Gefährtin mit den kurzen, roten Haaren.Tröstend packte sie sie an den Arm und wieder einmal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, wie mager die Kleine im Grunde war. Sie selbst brachte einige Pfunde zuviel auf die Waage. Dafür reichten ihre schwarzen Haare beinahe bis an ihr Gesäß und ihr Gesicht zierten keine Sommersprossen, so wie es bei der Jüngeren der Fall war. Beide trugen die traditionellen schwarzen Mäntel, auch wenn der Ausschnitt ein wenig tiefer und der Saum ein wenig kürzer war, als die Tradition es vorsah. Und natürlich hatten auch beide einen Hexenhut, doch Kibia zog es vor, ihn an einer Kordel auf dem Rücken zu tragen. Krister hingegen trug das Familienerbstück ihrer Mutter um den Hals, eine Kette, an dem ein merkwürdig verschlungenes Symbol als Anhänger hing. Nach dem Tod von Kruela, die die Ältere gewesen war, war die Kette in ihren Besitz übergegangen.
"Ich weiß. Ich vermisse sie eben so."
"Hey! Was macht ihr da?", brüllte auf einmal eine männliche Stimme aus der Tür.
"Mist, der Besitzer hat uns erwischt. Schnell, aus dem Fenster", scheuchte Krister Kibia vor sich her. Die Mädchen sprangen aus dem Fenster im ersten Stock und ein völlig überladener Besen flog schlingernd davon, gefolgt von einem "Wisst ihr, wieviel mich dieser Staubsaugerdämon gekostet hat? Das werde ich bei der Stadtwache anzeigen, jawohl!"

Ilona merkte schnell, dass dieser Tresendienst wohl nicht einer der ruhigsten werden würde. Kaum hatte sie den merkwürdigen Totengräber zu RUM geschickt und gleich darauf Frau Willichnicht beruhigt, dass sich die Wache natürlich schnellstens um unhöfliche Leute, die alte Damen auf der Straße anrempelten, kümmern würde, hatte sie erneut einen Bürger vor sich. Dieser wirkte auf die Rekrutin extrem beunruhigt.Wie sich herausstellte, trügte diese Einschätzung sie nicht. Wieder griff sie nach einem Formular. Diesmal weniger, um sich selbst Klarheit zu verschaffen, sondern um dem Bürger ein Gefühl von Klom...penetra... von "die schaffen das schon" zu vermitteln. Und natürlich auch, weil es von ihr verlangt wurde.
"Also, ihre Schwester wurde entführt?", vergewisserte die Wächterin sich noch mal. Ihr sehnsüchtiger Blick fiel auf ihre Kaffeetasse. Nun wäre sie sogar bis in den fünften Stock gelaufen für einen Schluck des Getränkes.
"Sagte ich doch schon. Und nun will ich Anzeige erstatten wegen...weil... naja, sie ist..."
In der Zwischenzeit hatte sich die Tür zum Pseudopolisplatz erneut geöffnet und einen recht zornigen Zwerg hereingelassen. Dieser unterbrach nun den Sprecher. "Ich will sofort einen zuständigen Wächter sprechen", polterte er. "Man hat mir meinen Staubsaugerdämonen vernichtet!"
Feldacker seufzte, drückte dem ersten Bürger das Formular in die Hand mit den Worten: "Entführung macht FROG, Oberfeldwebel Breguyar, erster Stock, zweite Tür rechts", winkte einem befreundeten Rekruten zu und zeigte dabei auf ihre Tasse, in der unberechtigten Hoffnung, dass dieser sich erbarmen würde und ihr Nachschub von dem heißen Getränk besorgte, wandte sich dem Zwerg zu und... griff nach einem Fallaufnahmeformular.

Oberfeldwebel Araghast Breguyar lehnte sich auf seinem unbequemen Bürostuhl zurück. Warum wurden eigentlich alle hysterischen Bürger, die gleich eine Entführung vermuteten, wenn der Partner oder Verwandte mal eine Nacht nicht nach Hause kamen, zu ihm geschickt? RUM hatte mittlerweile schließlich genug Püschologen, auch wenn sich alle noch in Ausbildung befanden.
"Und immer quasi direkt nach dem Aufstehen" , dachte der Halbvampir. Er hatte noch nicht einmal Zeit für einen Kaffee gehabt, geschweige denn für ein Kapitel aus dem neuesten Wollas-Roman.
"Jetzt gehen Sie erst mal zurück nach Hause und warten ab, ob Ihre Schwester nicht doch noch wieder kommt oder... äh, die Entführer sich melden. Und dann kommen Sie einfach noch mal vorbei." Mit einer einladenden Handbewegung deutete der FROG-Abteilungsleiter auf seine Tür.
Der Mann, der sich ihm als Roland Später vorgestellt hatte, machte zwar nicht gerade einen erbauten Eindruck über diesen Rausschmiss, aber er sagte sich, dass der Wächter vermutlich recht hatte. Er musste zuhause sein, wenn es ein Lebenszeichen von Nora gab. Unsicher stand er auf, verabschiedete sich und ging.
Bregs strich sich mit einer Hand die langen Haare zurück und bändigte sie mit einem Haarband. Wenn er sie nicht sorgfältig überfärben würde, wäre jetzt deutlich ein weiße Haarsträhne zu sehen gewesen. Sein Blick fiel auf die unterste Schreibtischschublade. Nein, damit war er durch. Was er jetzt brauchte, war ein Kaffee. Genau, Kaffee und nichts anderes. Er schnappte sich seinen Muggel und machte sich auf den Weg in die Kantine.

"Solltet ihr beiden nicht schon längst weg sein? Und was ist das überhaupt für ein Auflauf am frühen Morgen?"
Die Angesprochenen drehten sich zu ihrem Abteilungsleiter um und Valdimier deutete auf Myra Schwertschleifer, die im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen schien. Mindestens zwanzig Wächter bildeten eine Art Traube um die Ermittlerin, die von Gesten unterstützt wohl eine faszinierende Geschichte erzählte. Sogar ein, zwei graue Uniformen der DOGs waren zu sehen, was den Rest der Wächter vor dem unheimlichen Winseln des Pokals bewahrte, das dieser unerklärlicherweise seit einiger Zeit ausstieß, wenn kein DOG oder der Kommandeur in der Nähe waren.
"RUM wurde heute morgen auf den Friedhof der Geringen Götter gerufen, weil dort zwei Morde geschehen sind", erklärte der Vampir.
Kanndra nickte und fiel ihm ins Wort. "Ja, aber es waren keine gewöhnlichen Morde. Sie mussten feststellen, dass offensichtlich eine Beschwörung schief gelaufen ist. Und keiner weiß, wo der Dämon nun steckt." Die Späherin machte einen bedrückten Eindruck. Diese Geschichte erinnerte sie an etwas, an das sie nicht erinnert werden wollte. "Sie äh.. haben den Fall an die Okkultismus-Experten abgegeben.", fügte sie vorsichtig an.
Ihnen stand noch deutlich Bregs Verhalten im Fischimbiss-Fall vor Augen, bei dem er so frustriert gewesen war, dass nicht er den Fall erhalten hatte, dass er sogar einen Briefbeschwerer nach Nyvania geworfen hatte.
"Wer hat ihn bekommen?"
"Laiza und Skilla, soweit ich weiß."
Ein spöttisches Grinsen huschte über Araghasts Gesicht. " Dann wird die Göre ja bald wieder jeden nerven, ob er zufällig besessen ist." Dann zuckte er die Schultern. "Aber sollen die ruhig auch mal was tun für ihr Geld. Und ihr geht jetzt nach Hause, das ist ein Befehl."
Die beiden FROGs salutierten, konnten sich aber ihrerseits ein Grinsen nicht verkneifen.

Die Fackel warf flackernde Schatten auf die in den Nischen gelagerten Knochen. Besonders die Totenschädel schienen in dem Licht lebendig zu werden und sie höhnisch anzugrinsen. Laiza Harmonie hatte Erfahrung mit störrischen Dämonen gesammelt, als sie ihr GiGa-Labor im Haus des Dämonologen Schwertfleck hatte und auch ihr Büro-Untermieter, der ausgemusterte Kaffeedämon Erpresso ging ihr manchmal ganz schön auf die Nerven. Aber dies hier war mehrere Nummern größer. Dieser Dämon war keine nervtötende, aber nützliche Haushaltshilfe. Er hatte zwei Menschen getötet, vermutlich ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
"Eine Ahnung, wo wir anfangen sollen zu suchen?"
Skilla fuhr prüfend mit einem Finger über die Kreidemarkierungen auf dem Boden, was ihr einen strengen Blick von Rabe Raben, dem Tatortwächter, eintrug, und malte eine Skizze davon in ihren Notizblock. "Ganz klar, hier fehlt eine Linie. So kann das ja nichts werden. Können diese Dämonologen denn nicht wenigstens sorgfältig arbeiten, wenn sie schon mächtige Dämonen rufen? Entschuldigung, was hast du gesagt?"
Der Enthusiasmus der Halbvampirin war ein wenig entnervend für die ehemalige Gift- und Gasexpertin. Sie selbst war weit weniger begeistert über diesen Fall. "Ob du eine Ahnung hast, wo wir es ... ihn suchen sollen? Und vor allem, was tun wir, wenn wir ihn gefunden haben?"
Die Gefreite zuckte unbekümmert mit den Achseln. "Ich denke, er wird sich nicht lange verstecken können. Ein mordender Dämon fällt sogar in Ankh-Morpork auf."
Laiza stöhnte auf. "Du bist lustig. Das Letzte, was wir noch gebrauchen können, ist eine Massenpanik. Am besten, wir halten alles erst mal zurück."
"Ach, keine Sorge. Wahrscheinlich wird sowieso irgendjemand von ihm besessen sein."
"Wahrscheinlich", stimmte der Lance-Korporal zu, obwohl sie nicht wirklich überzeugt klang. "Als erstes sollten wir mal mit den Zauberern reden. Wenn sie uns das eingebrockt haben, dann sollen sie es auch wieder auslöffeln. Und du hörst dich bei der Beschwörergilde um. Vielleicht steckt auch die dahinter. Bei denen weiß man nie."
"Gut, in Ordnung."
"Seid ihr fertig? Wir müssen die Leichen jetzt abtransportieren", wurden die Okkultismus-Experten von Rea Dubiata unterbrochen. Nach deren zustimmenden Nicken hob die Gerichtsmedizinerin mit Hilfe von Raben einen der Verstorbenen vorsichtig auf eine Bahre und deckte ein großes Tuch darüber. Anschließend trugen die SUSI-Wächter, begleitet von ein paar Flüchen wegen der Enge der Krypta, den Leichnam hinaus auf einen wartenden Eselskarren. Laiza und Skilla sparten sich die Wiederholung des Schauspiels und gingen los, um die angekündigten Ermittlungen aufzunehmen.

Kanndra beobachtete die Spatzen von ihrem Zimmer über der Pizzeria aus. Die frechen Vögel versammelten sich regelmäßig auf dem Dach der Brennerei und gaben ihr fröhlich lärmendes Konzert. Sie schienen immer genau zu wissen, wann es Reste des Getreides abzustauben gab, das zur Whiskeyherstellung verwendet wurde.
Die Späherin fühlte sich seltsam leer. Es war nicht nur der 24stündige Dienst, der wie meistens recht ruhig verlaufen war, da war noch etwas anderes. Vielleicht war es die Begegnung mit Julian, vielleicht dieser entlaufene Dämon, vielleicht beides. Ihre Vergangenheit schien sie einzuholen und Kanndra hatte mehr Heimweh als sie seit Jahren verspürt hatte. Sie wünschte, sie könnte einfach ihre Sachen zusammenpacken und in das sonnige Land ihrer Kindheit zurückfahren. Aber so einfach ging es eben nicht. Nicht nur, dass sie bei der Wache seit Kurzem den verantwortungsvollen Posten der stellvertretenden Abteilungsleiterin angetreten hatte, auch ihre Ersparnisse ließen keine großen Sprünge zu. Schon gar nicht bis nach Gennua. Das Zimmer war zwar klein und Jovanni entgegenkommend mit der Miete, aber es lag nun mal im Zentrum der Stadt. Dazu kamen die nicht unerheblichen Preise für Kräuter und andere exotische Zutaten für die Kunst des Voodoo, die sie auf keinen Fall aufgeben wollte. Kurz, sie kam im Grunde von ihrem Sold gerade so über die Runden. Kanndra seufzte, schlüpfte in ihr Nachthemd und anschließend in ihr Bett. Sie musste halt Möglichkeiten finden, sich einzuschränken. Mit Gedanken an weiße Mauern im Sonnenlicht glitt sie langsam ins Reich der Träume.

Auch Julian le Surprise dachte an Gennua. Die Erinnerung verklärte vieles, doch aus dem wilden Mädchen, das er damals zurückgelassen hatte, war eine sexy junge Frau geworden, kein Zweifel.Verstohlen musterte er seine Frau, die am Schreibtisch gegenüber saß. Geschäftsmäßig ordnete sie irgendwelche Unterlagen. Julian wusste, dass sie keine Skrupel hatte, wenn es ums Geschäft ging, genau wie ihr Vater. Auszugsunwilligen Mietern oder Hausbesitzern wurde schon mal ein warmer Abriß spendiert. Erpressungen und andere Delikte gehörten dazu und wenn alle Stricke rissen, konnte man immer noch einen Assassinen beauftragen. Le Surprise machte das Alles nur widerstrebend mit. Aber er hatte sich da reinziehen lassen, weil er Luisa einmal geliebt hatte. Ja gut, und weil er eine Arbeit gebraucht hatte und Gerhard Mietzins zahlte gut. Doch wenn man erst mal in dem Geschäft mit drin steckte, war der Ausstieg nicht mehr so leicht. Er wußte zuviel, und das machte ihn zu "wertvoll", um ihn gehen zu lassen, dachte Julian verbittert. Noch unvorstellbarer war es, seine Frau zu verlassen, obwohl ihre Liebe sich stark abgekühlt hatte inzwischen, zumindest von seiner Seite. Und dennoch...
"Vielleicht war es ein Zeichen, dass ich Kanndra wiedergetroffen habe", überlegte er. "Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit."

Sie sah sich selbst auf einer hohen Mauer stehen, die Sonne brannte in ihren Augen und tief unter ihr lag der Sumpf ihrer Heimat. Plötzlich flüsterte jemand neben ihr: "Das alles könnte uns gehören" und sie sah in das lächelnde Gesicht Julians. Doch dieses verzerrte sich zu einer gräßlichen Fratze, die aber immer noch lächelte. Unter ihren Füßen knirschte auf einmal Sand und die Sonne war verschwunden, ebenso der Mann. Ihre Mutter rief: "Sei vorsichtig, Kind!" und Spatzen lärmten. Das Traum-Ich der Späherin tastete sich durch Dunkelheit, schien aber genau zu wissen, wohin es wollte. Kerzen flammten auf und in einer Art Höhle erhob sich ein mächtiger Schatten. Kanndra fühlte sich merkwürdigerweise gleichzeitig angezogen und abgestoßen, schritt aber unaufhaltsam auf den Schatten zu. Plötzlich wuchsen ihr Hörner und etwas schien aus ihrem Körper auf den Schatten zuzuströmen. Die Fratze tauchte wieder auf, diesmal erkannte die Voodoo-Frau sich selbst.

Mit einem Ruck fuhr Kanndra aus dem Schlaf auf. Was für ein verrückter Traum! Sie schüttelte den Kopf, wie um den Albdruck loszuwerden. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie mehrere Stunden geschlafen hatte. Die Sonne machte sich schon wieder auf den Weg zum Horizont, um sich auf ihre Wanderung unter der Scheibe her zu begeben.Sie beschloss, dass ein bisschen frische Luft [2] nicht schaden konnte. Also wusch sie sich, zog sich ein buntes Kleid an und schnappte sich ihren Korb. Mal sehen, was auf dem Hier-Gibt's-Alles-Platz so angeboten wurde.

"Die Zauberer leugnen, etwas damit zu tun zu haben. Sie leugnen sogar, so etwas wie Dämonologen in ihren Reihen zu haben. Und die beiden jungen Männer hatten sie natürlich noch nie gesehen" Frustriert ließ sich Laiza Harmonie in ihren Schreibtischstuhl sinken und warf die Ikonographien der Leichen auf den Tisch. "Hast du wenigstens was Brauchbares rausgefunden?"
Skilla schüttelte den Kopf. "Nein, die Beschwörer schwören, noch nie einen Dämonen beschworen zu haben." Kurz grinste sie über den merkwürdigen Satz, wobei sie deutlich zwei spitze Eckzähne entblößte, dann fuhr sie fort: "Und die Opfer kannte auch keiner." Sie runzelte die Stirn. "Allerdings haben sie sich merkwürdige Blicke zugeworfen, als ich erwähnte, daß es auf dem Friedhof der Geringen Götter passiert ist."
"So? Inwiefern merkwürdig?"
"Merkwürdig eben. Ich schätze, sie haben mir was verschwiegen." Die Halbvampirin zuckte die Schultern.
"Dann werden wir sie morgen noch mal in die Mangel nehmen. Als erstes sollten wir uns aber mal darüber Gedanken machen, wie wir dieses Monstrum überhaupt wieder los werden. Ich dachte, ich hätte hier noch Karolus' haimliche Künsthe liegen... hast du es genommen?" Der Lance-Korporal kramte in Stapeln von ledergebundenen Wälzern herum.
"Nein. Das habe ich schon länger nicht mehr gesehen. Aber ich weiß, wie man einen Exorzismus durchführt, vertrau mir."
Laiza verdrehte die Augen. Sie konnte die Bedenken ihres alten Schäffs langsam nachvollziehen. "Gut, dann geh mal die Laboranten fragen, ob sie was Neues für uns haben. Und ich suche dieses verflixte Buch."

Auch auf dem Markt war der Dämon in aller Munde. Die Gerüchteköche hatten bereits wieder ganze Arbeit geleistet. Kanndra störte sich nicht an dem Getuschel, das war in dieser Stadt einfach unvermeidbar und sie hatte sich schon längst daran gewöhnt. In aller Ruhe betrachtete sie das Angebot eines Kräuterhändlers aus dem Wiewunderland. Gerade hatte sie sich entschlossen, nichts bei dem Händler zu erwerben und wollte sich abwenden, da hörte sie die junge Frau neben sich fragen: "Haben Sie auch Zwölffarnwurz?" Kanndra horchte auf. Das war eine äußerst seltene und dementsprechend teure Pflanze, die man nur für einige ausgefallene Zaubertränke brauchte. Der Verkäufer schüttelte bedauernd den Kopf, doch die Neugier der Wächterin war geweckt. Die beiden Kundinnen trugen zwar die Kleider von Hexen, doch irgendetwas schien damit nicht zu stimmen. Sie waren weitaus freizügiger als normal.
Die dickere drehte sich zu der mit den kurzen Haaren um und fluchte. "Verdammt, das war der letzte. Wenn wir keins auftreiben..." den Rest des Satzes konnte Kanndra nicht mehr verstehen, weil sich die Hexen zum Gehen gewandt hatten.
"... anderes versuchen.."
"Ja, aber... nicht mal... drei."
Die Frauen schienen sich über irgendetwas nicht einig zu sein, während sie den Platz in Richtung Mobilien verließen. Sollte sie ihnen folgen? Nein, das ginge wirklich zu weit, entschied die Vodoo-Priesterin. Sie hatte keine Lust, sich vor Hauptmann Rince oder dem Kommandeur für ihre Neugier zu rechtfertigen. Was könnte sie überhaupt dabei rausfinden? Was diese Hexen trieben, war schließlich ihre eigene Sache, und solange sie dabei keine Straftat begingen, ging es sie überhaupt nichts an. Kopfschüttelnd über sich selbst, nahm sie den leeren Korb in die andere Hand und machte sich auf den Heimweg. Tania hatte ihr ihr neuestes Manuskript versprochen. Darauf freute sich der Chief-Korporal schon.

"Glaubst du wirklich, wir werden ihn finden?" Kibia ließ ein Pendel über einem Stadtplan schweben.
Das Pendel blieb an einem Punkt hängen und wurde regelrecht von der Karte angezogen. "Das Problem ist eher, das es zu viele Dämonen hier gibt. In fast jedem Haus ist schon so ein kleiner Teufel zu finden." Krister seufzte. "Wir werden eben immer weiter suchen müssen."
Kibia Dottergelb legte das Pendel vorsichtig hin und noch vorsichtiger begann sie zu sprechen. "Und wenn wir einfach aufgeben? Ich meine, es gibt so viele und wir können nicht alle vernichten, das weißt du."
"Aufgeben? Jetzt?" Die Augen der Älteren schienen Funken zu sprühen. "Jetzt, wo er in der Stadt ist? Er könnte mein Vater sein, klar? Endlich hätte ich ihn gefunden, endlich könnte ich Rache nehmen für meine Mutter... und für meine Schwester." War am Anfang noch blanker Hass zu hören gewesen, wurde die Stimme bei den letzten drei Worten leise und traurig.
Kibia nahm ihre Freundin in den Arm.
"Weißt du, Kruela und ich haben davon geträumt, ihn zu vernichten, seit wir erfahren haben, dass unsere Mutter bei unserer Geburt gestorben ist. Sie war einfach zu schwach für zwei Dämonenkinder." Krister richtete sich wieder auf und schob ihren Hut zurecht. "Natürlich will ich dich nicht zwingen, mir weiter zu helfen. Du hast ja eigentlich nichts damit zu tun. Du könntest dir eine andere Hexe suchen, die dich weiter ausbildet."
"Nein, nein. Du hast recht", versuchte die junge Hexe sie zu beschwichtigen. "Wir werden nicht aufgeben und wir werden ihn finden. Das sind wir Kruela schuldig."
"Dann los. Schauen wir uns den nächsten Kandidaten mal an." Krister zeigte auf den Stadtplan. "Aber vergiss nicht wieder deinen Besen."

Stirnrunzelnd musterte der Oberfeldwebel die Frau, die vor ihm auf dem Stuhl saß. Sie war sicher einmal hübsch gewesen, doch tiefe Falten und dünnes Haar hatten die einstige Schönheit verwischt. Hinzu kam der leere Ausdruck in den Augen und der starre Gesichtsausdruck.
"Und Sie haben sie so vorgefunden, als Sie nach Hause kamen?"
"Ja, sie sass vor der Tür. Seitdem hat sie kein Wort geredet. Was soll ich denn jetzt tun?"
Nora Reiz, geborene Später schaukelte langsam vor sich hin. Ansonsten zeigte sie keinerlei Lebenszeichen. Es war als wäre sie in eine Welt versunken, in die ihr niemand folgen konnte. Dabei war sie vor der Entführung eine ganz normale Frau gewesen, wie ihm Herr Später versichert hatte.
Wer tat so etwas anderen Menschen an?
"Und es gab kein Erpresserschreiben?"
Der Mann schüttelte den Kopf. "Nichts."
"Haben Sie Feinde? Fällt Ihnen irgendjemand ein, der zu so etwas fähig wäre?" Während Araghast die Routine-Fragen herunterspulte, pochte diese eine Frage immer wieder in seinem Kopf. Er bekam kaum die Antwort Herrn Späters mit, der beteuerte, er wüßte niemanden, sie hätten nie jemandem etwas getan und er könne das Alles nicht begreifen.
Wer tat so etwas anderen Menschen an? Welcher Mensch, Zwerg oder... Moment. Der Fall schien doch interessanter zu werden, als Araghast gedacht hatte.
"Ich kann Ihnen eine Klinik empfehlen, wenn Sie sie nicht zu Hause behalten wollen. Mehr kann ich im Augenblick leider auch nicht tun. Aber wir werden den Schuldigen finden." Und er hatte schon eine Idee, wer das sein könnte. Er brauchte Verstärkung... Plötzlich hatte er es eilig und so wurde Herr Später mal wieder vor die Tür gesetzt.

"Du willst was?" Die dunkelhäutige Späherin starrte ihren Abteilungsleiter ungläubig an. Als sie nach Hause kam, hatte sie festgestellt, dass ihre Freizeit vorzeitig beendet war. Da sie das Fenster aufgelassen hatte, als sie ging, fand sie eine Taube auf ihrem Bett vor, die fröhlich gurrend ihre Bettwäsche verzierte. "Komm schnell, brauche deine Hilfe! A." war die Nachricht, die sie dem Vogel nur durch Streicheleinheiten und Bestechung entlocken konnte. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass Rogi die Tauben zu sehr verwöhnte.
"Keine Sorge. Hier steht alles drin, was wir wissen müssen." Zuversichtlich tippte der Oberfeldwebel auf den Stapel Bücher und Eddie-Wollas Hefte, der sich auf seinem Schreibtisch türmte.
"Moment, moment", wehrte Kanndra ab. "Noch mal von vorn. Also da ist diese Frau, die entführt wurde und am nächsten Tag völlig apathisch wieder auftaucht. Und du nimmst nun an, das der Dämon dahinter steckt?"
"Richtig. Es ist doch kein Zufall, dass die beiden Umstände zusammentreffen."
"Vielleicht doch", gab der Chief-Korporal zu bedenken.
"Ich glaube nicht an Zufälle." Araghast verschränkte die Arme vor der Brust und glitzerte Kanndra aus seinem Auge angriffslustig an. Er fühlte sich in seinem Element. Endlich hatte er die Chance, es den Möchtegern-Experten von SUSI zu zeigen.Und das Beste: der Entführungsfall war offiziell seiner!
Kanndra runzelte die Stirn. "Ok, nehmen wir an, du hast recht. Glaubst du wirklich, du kannst einen der großen Dämonen mit dem äh... Wissen aus Romanheften und Okkultismus-Ratgebern zurück ins Pandämonium verbannen?"
"Es hat sich als richtiger erwiesen, als ihr alle geglaubt habt, oder?"
"Und wozu brauchst du dann mich noch dabei?"
Plötzlich wirkte der Halbvampir verlegen. "Naja, ich äh... nun, irgendwie müssen wir ihn ja anlocken und äh... du bist ja schließlich auch... Und ich äh... brauche dein Blut."
Daher wehte also der Wind! Er brauchte einen Dämonen, um einen Dämonen zu fangen.
"Na gut. Und wie hast du dir die Sache vorgestellt?" Kanndras Stimme war um einige Grade kühler geworden. Ihr war die ganze Sache nicht geheuer. Sie wollte eigentlich gar nichts mit dem Dämonen zu tun haben und der Satz mit dem Blut machte die Sache auch nicht besser. Schließlich war Bregs erst seit Kurzem darüber hinweg... zumindest hoffte die Späherin das.

"Aus Lancre?" Woher weisst du das?"
Hauptgefreite Isis hielt einen Umschlag in die Höhe. "Das hatte einer der Toten in der Tasche. Sein Name und seine Adresse stehen drauf."
"Lone Steinschlag, Hinterdorf, Lancre", las Skilla. "Ok, aber woher wissen wir, dass er den Brief nicht einwerfen wollte?"
"Die Briefmarke ist schon abgestempelt. Hier in Ankh-Morpork", wies die Laborantin sie darauf hin. "Außerdem war der Brief noch drin. Ein gewisser Elgard hat ihm geschrieben, dass er sich sehr auf seinen Besuch freut und eine 'echt hammerharte' Überraschung organisiert hätte. Vielleicht meinte er die Beschwörung?"
Die Okkultismusexpertin drehte den Umschlag in den Händen. "Und kein weiterer Hinweis auf den Absender?"
Die hübsche Prinzessin schüttelte den Kopf. "Nein, leider. Aber ich habe hier noch den Bericht von Rea."
Skilla nahm die Mappe dankend entgegen und überflog den Gerichtsmediziner-Jargon, bis ihr Blick an einer Zeile hängenblieb: Todesursache ist damit akutes Herzversagen..
"Herzversagen? Das heißt also..."
"...sie sind vor Schreck gestorben", ergänzte Isis. "Vermutlich."

Keuchend warf sich Kibia ins Gras. Endlich hatten sie den wütenden Touristen abgeschüttelt, der ihnen den Verlust seines Ikonographendämons ziemlich übel genommen hatte.
"Schon wieder ein Fehlschlag. Und das war unser letztes Elixier mit Zwölffarnwurz."
Krister setzte sich neben ihre Freundin. "Fehlschlag würde ich es nicht nennen. Immerhin ist es wieder einer weniger."
"Ja, aber nicht der, hinter dem du... wir her sind."
"Das stimmt. Aber den werden wir schon auch noch erwischen."
"Aber nicht mehr heute." Kibia sprang auf, auf einmal wieder voller Energie. "Ich habe noch eine Verabredung mit Karlchen."
Krister blinzelte sie an. "Ist das der Maler? Na gut. Aber morgen müssen wir uns was besseres überlegen. Nur nach Dämonen pendeln hilft anscheinend nicht."

"Gut, dann morgen gegen vier in meinem Büro. Und sei pünktlich. Tei-Ming ist hier alles."
Kanndra wunderte sich kurz, was für eine seltsame achatische Sitte das nun schon wieder war, nickte dann aber ihrem Abteilungsleiter zu. Wenn das mal nur gut ging...

Donnerstag


Es schien wieder ein heißer Tag zu werden, als Laiza Harmonie und der zuständige Dobermann für diverse Gilden, Goldie Kleinaxt, an die Tür der Beschwörergilde klopften. Sie mussten eine Weile warten, ehe ihnen ein verschlafen wirkender, junger Mann die Tür öffnete.
"Stadtwache Ankh-Morpork. Wir müssen dringend den Gildenobersten sprechen." Laiza hielt dem Jüngling ihre Dienstmarke unter die Nase, doch dieser schien sich nicht dafür zu interessieren. Er nickte nur und zog die Tür weiter auf. Die zwei Wächterinnen betraten das Gebäude und schauten sich um. Das Wappen, ein Schild mit einer Jungfrau auf blauem Grund, von Sternen umgeben und durch ein gezacktes Band in zwei Hälften geteilt, hing über der Tür, die gegenüber in eine Art Versammlungsraum führte. Weitere Räume gab es anscheinend nicht, doch eine Treppe führte in den ersten Stock.
"Ham Glück, dasser überhaupt da is", nuschelte der Junge. "Is gestern ahmd bisschen später geworn, un' heute hatter Urlaub."
Laiza hob fragend eine Augenbraue, doch Goldie wisperte ihr zu: "Die Beschwörer machen das nur als Hobby. Tagsüber haben sie einen normalen Dschob." Das erklärte auch die Leere des Gildenhauses, denn sie sahen sonst keine Menschenseele, als sie dem jungen Mann die Treppe hinauf folgten. Vor einer Tür hielten sie an.
"Da drin", gähnte der Junge. "Bin dann wieder im Bett." Sprachs und schlurfte zwei Türen weiter.
Der Lance-Korporal klopfte und hörte eine bedeutend frischer klingende Stimme von innen: "Herein, wenn es kein Dämon ist, haha."
Nachdem sich die beiden in das winzige Zimmer mit reingequetscht und ihr Sprüchlein aufgesagt hatten, setzte Laiza eine strenge Miene auf. "Wir glauben, dass Sie unserer Kollegin gestern etwas verschwiegen haben. Und zwar als es um den Friedhof der Geringen Götter ging."
Der korpulente, gemütlich wirkende Beschwörer saß in einem Morgenmantel auf seinem Bett. Jetzt verzog sich sein Gesicht kummervoll. "Sie haben uns ertappt. Wir wollten nichts sagen, denn es betrifft eines unserer ältesten Mitglieder und das meine ich wörtlich." Bei den letzten Worten grinste der Mann schon wieder.
"Es geht um die Sicherheit der gesamten Stadt, vielleicht sogar der ganzen Scheibe. Ein mächtiger Dämon wurde Dienstag nacht freigelassen. Wenn Sie etwas verschweigen, machen Sie sich mitschuldig an Morden, die der Dämon begangen hat und vielleicht noch begehen wird", schaltete sich Goldie ein.
"Potzblitz, jetzt machen Sie mir aber Angst." Besonders ängstlich sah der Mann allerdings nicht aus, denn er zwinkerte den Wächterinnen zu. "Tja, also auf dem Friedhof der Geringen Götter führt Nathaniel immer seine 'Beschwörungen' durch. Hat einen kleinen Handel mit Legitimate, Sie verstehen. Aber eigentlich sind es keine richtigen Beschwörungen, so etwas tun wir nicht. Nur eine kleine Show für Touristen und andere, die darauf reinfallen."
"Und wo finden wir diesen Nathaniel?"
Er gab ihnen die Adresse und klopfte ihnen zum Abschied jovial auf den Rücken. "Nett, dass Sie mal vorbeigeschaut haben. Wir können übrigens immer neue Mitglieder gebrauchen."

Kanndra blieb wie angewurzelt stehen, als sie ihr Büro betrat. Sie hatte einen Besucher. Julian le Surprise erhob sich aus dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch und lächelte sie an. Sofort verblasste die restliche Welt um sie herum.
"Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?"
Seine Worte weckten die Wächterin aus ihrer Trance. Sie schloss die Tür und trat hinter ihren Schreibtisch. Plötzlich war es ihr peinlich, dass das Büro so kahl aussah, geschmückt nur von obskuren Glasbehältnissen und Kräutern. "Danke... äh, gut. Ja. Und äh... du?"
"Kann nicht klagen."
"Was hmm... führt dich zu mir?"
"Tja, weißt du unsere Katze ist entlaufen und da dachte ich mir, du könntest..." Schon mitten im Satz merkte Julian, dass diese Ausrede nicht wirklich überzeugend rüberkam. Ihre Blicke trafen sich.
"Ihr habt gar keine Katze, oder?"
"Nein", gab der brünette Mann zu. "Ich wollte dich sehen. Du.. bist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen seit wir uns getroffen haben."
Ein leichtes Schwindelgefühl überkam Kanndra und sie krallte sich an der Tischplatte fest.
Juli stand auf und kam langsam um den Tisch herum. Seine Hände fuhren in ihr Haar. "Wir hatten damals eine wirklich schöne Zeit, nicht wahr?"
Kanndra war nicht mehr in der Lage noch einen Ton herauszubringen und nickte nur stumm. Dann beugte er sich herunter und gab ihr einen Kuss.


"Wie war dein Date?", fragte Krister, während sie in ein Brötchen biss und mit der anderen Hand in einem dicken Wälzer blätterte.
"Ganz gut. Aber ich glaube nicht, dass er der Richtige für mich ist. Da werde ich wohl noch ein wenig suchen müssen." Die Jüngere zwinkerte ihrer Freundin zu. Doch Krister war zu vertieft in das Buch, als das sie auch nur aufgeschaut hätte.
"Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?"
"Was? Jaja, schau her. Ich habe etwas gefunden."
Kibia verdrehte seufzend die Augen. Wenn sich Krister nicht bald mal ein wenig Spaß gönnte, würde sie noch so werden wie eine dieser verbitterten, alten Hexen. Mit so einer war wirklich nicht gut Kirschen essen. Dennoch sagte sie nichts weiter sondern beugte sich über die Schulter der Hexe, um auf die aufgeschlagene Seite zu schauen. "Ist das dieses Buch aus den Schatten? Das was du dort gefunden hast?"
Krister nickte. "Ja, und es war uns schon einige Male nützlich, oder nicht?"
"Ich weiß nicht, ob wir es wirklich ständig benutzen sollten. Ich meine, wir wissen gar nicht, wem es gehört."
"Egal. Wenn wir diesen Rat befolgen, finden wir ihn vielleicht endlich."
Schweigend las die Rothaarige durch, was in dem Buch geschrieben stand. "Ja, könnte klappen. Und wir müssen dafür also zu dem Ort, wo der Dämon beschworen wurde?"
"Richtig, so steht es hier. Also lass uns noch was von dem Vernichtungselixier mixen und dann nichts wie los."

"Gut, daß die Bibliothek öffentlich zugänglich gemacht worden ist. Hier haben wir viel bessere Möglichkeiten nachzuschlagen." Laiza Harmonie strebte entschlossen auf den Tisch des Bibliothekars zu, der gerade genüsslich eine Banane verschlang, in einem Buch kritzelte und sich dabei kratzte.
Skilla sah sich skeptisch um. "Ich weiss nicht." Sie schreckte zurück, als ein Buch aus dem Regal auf sie zu kam und erst im letzten Moment von der Kette zurück gerissen wurde. "An die wirklich guten Bücher lässt er uns bestimmt sowieso nicht dran."
"Irgendwie müssen wir ja nun mal eine Lösung finden, nachdem dieser Noppel auch nicht gerade besonders hilfreich war."
Sie mussten zwei Zauberern ausweichen, die ins Gespräch vertieft an ihnen vorbei gingen.
"...klassische Überschätzung der Laien", hörten sie den einen sagen. "Eine richtige Beschwörung hätte nicht ohne Kleingeists magische..."
"Entschuldigung", fiel Laiza ihm ins Wort. "Stadtwache von Ankh-Morpork. Sie kennen sich mit Beschwörungen aus?"
Dem Zauberer, einem dicklichen, blassen Mann war anzusehen, dass ihm die Frage nicht sehr angenehm war. Dämonologen wurden in der Unsichtbaren Universität nicht gerade hoch geschätzt. Andererseits war er ein Zauberer und damit unfähig, zuzugeben, etwas nicht zu können. Sein Begleiter, ebenfalls ziemlich blass, aber größer und für einen Zauberer ungewöhnlich dünn, nickte ihm zu und verdrückte sich dann hastig. Ehe er noch in das Gespräch eingebunden wurde.
"Hmmmnjaa", gab der Zauberer schließlich zu.
"Wunderbar. Das ist Gefreite Skilla, mein Name ist Lance-Korporal Laiza Harmonie."
"Emann."
"Vielleicht können Sie uns bei einer dringenden Sache helfen, Herr Emann. Das Wohl der ganzen Stadt könnte davon abhängen."
"Nagut. Was wollen Sie wissen?"
"Wie fängt man einen Dämonen?" Gespannt musterte Laiza das Gesicht des Dämonologen.
"Oder einen Besessenen", fiel Skilla in das Gespräch ein.
Emann seufzte, dann deutete er in eine Sitzecke. "Das kann ich Ihnen nicht in fünf Minuten erklären." Verstohlen blinzelte er auf seine Uhr. Er hoffte, er würde es wenigstens vor dem nächsten Imbiss schaffen.

Kanndra klopfte an die Bürotür ihres Abteilungsleiters und Freundes, ein wenig nervös wegen des merkwürdigen Rituales, daß er vorhatte. Sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass es funktionieren würde. Aber was, wenn doch? Oder wenn etwas geschah, was sie ganz und gar nicht beabsichtigt hatten? Bei Magie konnte man nie hundertprozentig sicher sein, was passierte.
Nach dem gedämpften "Herein" von innen trat sie ein. Araghast hatte bereits alles vorbereitet.

Schnaufend ließ sich Emann in die Sitzgruppe fallen, dann ordnete er umständlich seinen Umhang. Die Wächterinnen unterdrückten mit Mühe ihre Ungeduld.
"Also", fing der Zauberer schließlich an, "ich nehme an, es geht nicht um eine klassische Beschwörung, sondern um den entlaufenen Dämon, der bereits das Stadtgespräch Nummer eins ist, richtig?"
Laiza und Skilla nickten synchron.
"Das dachte ich mir. Es mag sich seltsam anhören, aber das macht die Sache komplizierter. Eigentlich gibt es nur ein bekanntes Verfahren. Karolus beschreibt es in seinen "haimlichen Künsthen."
Die Okkultismus-Expertinnen wechselten einen Blick.
"Aber es ist höchst umstritten und keinesfalls eine Garantie für das Gelingen."
"Schon gut, wir gehen das Risiko ein."
Emann nickte. "Als erstes braucht man 50 ml Blut. Am besten von einem Dämonen."

"Autsch, sag mal, hättest du das nicht Rogi überlassen können?"
Bregs streckte konzentriert seine Zungenspitze in den Mundwinkel, während die dunkelrote Flüssigkeit langsam in die Spritze floss, die in Kanndras Arm steckte.
"Stell dich nicht so an, zumindest habe ich jetzt die Ader getroffen", murmelte er zerstreut. Blut... Tropfen um Tropfen der kostbaren Flüssigkeit füllte den kleinen Glaskolben. Glitzernd, perlend.
"Bregs, die Spritze ist voll. Hallo? Gehts dir gut?" Mit einer besorgten Miene sah die Späherin ihn an.
Araghast schluckte und verdrängte mit Macht das Bild in seinem Geist. "Ja... ja. Alles bestens. Das ... sollte reichen."
Noch einmal biss Kanndra die Zähne zusammen, als der Halbvampir ihr die Spritze aus dem Arm zog.

"Dieses mischt man dann mit einem faulen Ei", fuhr der Dämonologe fort. "A propos Ei. Jetzt wäre eigentlich Zeit für den sechsten Imbiss..."
Skilla schüttelte energisch den Kopf. "Erst erzählen Sie uns, was wir wissen wollen."
Emann seufzte. "Na gut. Das Gemisch muss anschließend von dem getrunken werden, der den Dämonen anlocken will. Und zwar genau sieben-und-eine Stunde vor dem eigentlichen Ritual."

"Zeig her. Steht da wirklich trinken?" Ungläubig starrte Kanndra auf die Seite in dem dicken ledergebundenen Buch, das den Titel "Karolus haimliche Künsthe" trug. "Dieses stinkende Zeug?" Angewidert musterte sie, was Araghast zusammengerührt hatte.
"In deiner Voodoo-Küche geht es auch nicht besser zu." Der Püschologe grinste sie an. "Und du weißt, dass ich... ich kann das nicht." Wieder kam ihm das perlende, glitzernde Blut in den Sinn, auch wenn der Brei vor ihm kaum noch Ähnlichkeit mit den köstlichen Flüssigkeiten aus Olivanders Igordrom hatte. Verdammt, er hatte sich eigentlich für stärker gehalten.
"Gut. Aber nur wenn du mir einen Kaffee holst." Innerlich fluchte die Voodoo-Priesterin. Sie war einfach zu gutmütig. Oder es war das warme Gefühl, das Julians Kuss in ihr hinterlassen hatte und dass ihr alles andere nicht so wichtig erscheinen ließ. Sie kramte in ihrem Beutel nach der Nasenklammer, die sie von Thask bekommen hatte, setzte sie auf und sammelte all ihren Mut, während Araghast schon auf dem Weg zur Tür war. Dann schloss sie die Augen und schluckte das Zeug herunter.

"Dieses sollte dann an einem sakralen Ort stattfinden, zum Beispiel einem Tempel oder Friedhof. Ich persönlich halte das ja für übertrieben, aber Karolus hatte einen Hang zum Klischee. Das beweist auch die Tatsache, daß er für den Zeitpunkt Mitternacht empfiehlt. Es dürfte aber auch zu jeder anderen Zeit klappen... wenn es überhaupt wirkt, heißt das." Emann zuckte die Schultern.
Laiza überprüfte noch mal ihre Notizen. "Und wie genau sieht dieses Ritual aus?", fragte sie dann.
Der Zauberer zögerte. Sollte er diesen uneingeweihten Wächterinnen wirklich alles verraten? Andererseits war es sowieso schon durch diesen Stümper veröffentlicht worden, also verriet er ja kein Geheimnis. Und sein Magen knurrte. Wenn er sich beeilte, bekam er vielleicht noch was ab.
"Man trifft sich wie gesagt auf einem Friedhof oder dergleichen..."

"... und man darf natürlich nicht das Oktagramm vergessen. So wie diese Trottel, die ihn freigelassen haben."
Kanndra nickte. "Klar. Und was passiert dann?"
"Man... also du sprichst die Beschwörungsformel. Und dann sollte er eigentlich auftauchen."
"An diesem Punkt würde ich gern noch mal einhaken. Was tun wir wenn er da ist?"
"Das kannst du mir überlassen."
Kanndra musterte ihren Freund genau. Die grimmige Miene unter dem schwarzen Haar zeigte wilde Entschlossenheit. Er war sich sehr sicher, was seine neuen Fähigkeiten im okkulten Bereich anging, doch konnte sie ihm wirklich vertrauen? Andrerseits war sie jetzt schon so weit gegangen, und wem sollte sie vertrauen, wenn nicht ihm?
"Dann treffen wir uns um Mitternacht auf dem Friedhof der Geringen Götter?"
Der FROG-Abteilungsleiter nickte.

*Irgendwo in der Vergangenheit*

Er räkelte sich unter der Decke und ließ seinen Blick über den Körper der Hexe schweifen, die neben ihm lag. Gerne würde er ein weiteres Mal... aber langsam wurde es Zeit zurückzukehren. Zurück zu seiner Tochter. Auch diese Hexe hier würde bald Nachwuchs erwarten, das wusste er, denn Xzzib hatte alle seine Nachkommen im Auge behalten. Es werden Zwillinge werden und eine davon wird sterben und die andere wird ihn hassen. Es war ihm egal, sie würde trotzdem eines Tages bei ihm sein, so wie ihre Schwester. Doch Kanndra drohte ihm zu entgleiten. Sie hatte ihre Voodoo-Kunst und entschieden die falsche Vorstellung vom Leben nach dem Tod. Deshalb würde er sie sich holen. Das war das Beste für sie beide. Zwar hätte sie ihre Abkunft am liebsten verleugnet, doch sie war nicht dazu in der Lage. Er war ein Teil von ihr, das war etwas, was sie tief drinnen schon immer gespürt hatte und schon bald wird es ihr auch bewusst werden. Xzzib sprach die Formel, die er benötigte, um Kanndra zu finden. Er lächelte. Wie passend... Dann verschwand er - fast 24 Jahre zurück in die Zukunft.

*Kurz vor Mitternacht, Friedhof der Geringen Götter*

"Wie lange sollen wir denn noch hier warten? Ich bin müde und habe Hunger." Kibia rutschte auf dem alten, umgekippten Grabstein umher, den sie als Sitzplatz hinter ein Gebüsch gezerrt hatten.
"Ich bin sicher, dass er hierher zurückkehrt." Krister ließ die Nadel aus Oktiron locker herunterhängen. Noch immer zeigte sie zur Mitte der Scheibenwelt. Ein Tropfen Blut war an ihrer Spitze getrocknet, ihr Blut.
Die jüngere Hexe zeigte darauf. "Und wenn er doch nicht dein Vater ist? Dann wird das auch nicht funktionieren."
"Er ist mein Vater. Ich... habe das im Gefühl." Dann legt sie einen Finger auf die Lippen und spähte durch das Gebüsch. Kies knirschte irgendwo und Schritte kamen näher. Ein paar Meter entfernt ging jemand über den Weg an ihnen vorbei.

Kanndra fröstelte. Ein Friedhof bei Nacht war wirklich nicht der angenehmste Ort, den sie sich vorstellen konnte. Ihre Schritte knirschten auf dem Kies. Hoffentlich kam Araghast bald, damit sie das hier hinter sich bringen konnten, so oder so. Sie öffnete die schwere Tür zu der Krypta und trat in die Dunkelheit. Der Geruch nach kaltem Kerzenrauch hing in der Luft. Ihre Augen gewöhnten sich langsam an das Dunkel, als sie eine Silhoutte vor sich erkannte.
"Bregs? Warum hast du keine Fackel..."
Dann sah sie, daß der Schatten viel breiter war als ihr Kollege. Im Licht ihrer eigenen Fackel tauchten zwei Augen auf, die schwärzer waren, als alle, die sie bisher gesehen hatte. Ein nicht unattraktives Gesicht grinste sie an. Der Mann kam näher und die Späherin sah, das auf einem ansonsten kahlen Schädel wenige Haare wie Nester um zwei Hörner gruppiert waren, die oben aus dem Kopf wuchsen. Sie wollte schreien, sie wollte umdrehen und davon laufen, war aber zu beidem nicht fähig.
"Schön, daß wir uns endlich kennen lernen. Sollen wir tanzen, das tust du doch so gern?" Mit diesen, ihr durch und durch gehenden Worten packte der Dämon sie und presste ihren Körper an seinen. Die Fackel fiel auf den Boden.

Kaum waren die Schritte in Richtung Krypta verhallt, fing die Nadel an zu zittern und schwenkte plötzlich in die selbe Richtung. Krister schluckte. "Er... er ist da.", flüsterte sie.
"Na, dann nichts wie hinterher." Kibia war froh, endlich etwas tun zu können. Sie packte die Fläschchen mit dem Vernichtungselixier und rannte los.

Sie hatte keine Zweifel, wer das war. Die Gewißheit flutete in ihren Körper, kaum dass er sie berührt hatte. Noch immer war sie wie gelähmt. Muster wirbelten vor ihren Augen, verbanden sich, strebten wieder auseinander und führten einen eigenen Tanz auf. In ihrem Inneren schien etwas zu brechen und eine kaum auszuhaltende Hitze strömte durch ihren Körper. Ihre Kopfhaut fing an zu prickeln und die Muster verschwanden. Statt dessen sah sie das verzerrte Gesicht ihres Vaters vor sich.
"Wehr dich nicht länger", krächzte er heiser in ihr Ohr.
Er hatte recht, sie musste loslassen, sich fallenlassen. Augenblicklich entspannte sie sich.
"Jetzt", kreischte jemand, dann wurde es unerträglich hell. Ein Schrei, nein zwei hallten durch das Gewölbe. Mit dem letzten Augenblick der Klarheit wurde Kanndra bewusst, daß einer davon von ihr stammte. Dann sank sie in Bewusstlosigkeit.

Kalter, harter Stein und eine brennende Kehle empfingen sie, als sie daraus erwachte. Und eine ärgerlich-ängstliche Stimme, die gerade "Wenn ihr etwas passiert ist, dann könnt ihr euch auf etwas gefasst machen" sagte.
"Bregs?", krächzte Kanndra. Sie versuchte sich aufzusetzen und schüttelte den Kopf. Das hätte sie besser gelassen, wie die hämmernden Gestalten in ihren Gehirnwindungen ihr schnell klar machten.
Das Gesicht ihres Abteilungsleiters tauchte in ihrem Blickfeld auf. Mit gerunzelten Brauen sah er auf sie herab. "Geht es dir gut?"
"Sieht das so aus, Blödmann?" Hoppla, wo kam das denn her? Sie hatte Araghast doch nicht beleidigen wollen, oder? Dann grinste sie innerlich. Egal, er hatte es verdient. "Was ist eigentlich passiert?"
Der Püschologe ließ die patzige Antwort durchgehen und half der Späherin auf die Beine. Dann zeigte er auf zwei Hexen, die sich ebenfalls in der Krypta drängelten. Kanndra musterte die beiden. Irgendwie kamen sie ihr bekannt vor, sie wusste nur nicht woher... der Gedanke ließ sich einfach nicht packen.
"Sie sind anscheinend gerade noch rechtzeitig gekommen. Wie es aussieht, hast du mit dem Dämon gerungen, als sie hier ankamen. Sie haben ihr Vernichtungselixier geworfen und der Dämon ist verschwunden. Höchstwahrscheinlich ist er tot."
Kanndra wunderte sich, warum ihr das so einen Stich versetzte. Ihr Magen, der sich bis jetzt wie betäubt angefühlt hatte, begann ein Klumpen Eis zu werden.
Die Hexe mit den langen Haaren widersprach dem FROG. "Das ist leider nicht so sicher. Wir hatten kein Zwölffarnwurz mehr, und deshalb war das Elixier nicht so stark, wie es sein sollte."
Zwölffarnwurz... jetzt wusste Kanndra wieder, wo sie die Hexen schon gesehen hatte.
"Er war mein Vater, weißt du", flüsterte sie.
Drei ungläubige Gesichter starrten sie an.
"Deiner auch?", fragte die Schwarzhaarige.
Araghast schien sich als erster davon zu erholen. "Jetzt bringe ich dich erstmal zu Rogi. Alles andere kann warten."

Samstag


Er hatte die Armbrust sorgfältig gereinigt und neu gespannt. Ortbe war froh, dass er so ohne weiteres wieder in der Wache aufgenommen wurde. Sogar in seiner alten Spezialisierung konnte er arbeiten, da Hauptgefreite Magane zu RUM gewechselt war und den FROGs damit wieder ein Triffinsziel fehlte. Seine Kollegen von früher waren zwar inzwischen ein paar Ränge aufgestiegen - einer von ihnen war jetzt sogar sein Schäff - aber das war ihm egal. Hauptsache, er konnte wieder Geld verdienen, um sich bald endlich einen Nachnamen leisten zu können. Außerdem hatte ihm sein Beruf als Wächter immer Spaß gemacht.
Der Gefreite wog die Waffe in der Hand. Nicht nötig, sie wegzustecken. Der Weg von seiner neuen Unterkunft bis zum Schießstand war nicht weit und es konnte nicht schaden, sich schon mal wieder an das Gefühl zu gewöhnen.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, dachte er: "Das wird ein wunderbarer Tag." Dann trat er in die Dämmerung hinaus.

"Hilfe!" hörte er auf einmal eine Frauenstimme rufen. Ein Stück vor ihm sah er einen Mann mit der schreienden Frau ringen, dann riss der Mann sich los und lief davon.
"Er hat meine Handtasche gestohlen! Ohne Quittung!", kreischte die Frau. Ortbe merkte, wie seine Wächterinstikte erwachten. Ohne weiter darüber nachzudenken [3], begann er zu laufen. Sein erster Einsatz nach langer Zeit hatte begonnen.

Auf dem Schießstand in In Deckung trat Valdimier van Varwald von einem Bein auf das andere. Wo blieb dieser Gefreite bloss? Kanndra hatte recht, wenn er sich keine Pünktlichkeit angewöhnen konnte, konnten sie Ortbe kaum einsetzen. Auf einen anderen FROG musste man sich im Einsatz verlassen können, auch in diesem Punkt. Und er wartete jetzt schon fast eine Stunde auf den Adoptivsohn eines Trolls. Ob ihm was passiert war?
"Unsinn", wies sich der Korporal selbst zurecht.Ortbe war nicht gerade zart gebaut, also nicht der Typ, mit dem man sich ohne Not anlegte. Ausserdem war er ein FROG, er konnte auf sich aufpassen. In allen anderen Fällen würde der Gefreite sich allerdings wünschen, ihm wäre etwas passiert. Ehe er hier noch mehr Zeit vertödelte, konnte er auch etwas unternehmen, dachte der Vampir. Mit einem leisen -Plopp- nahm er seine Fledermausgestalt an und flatterte los. Es konnte sicher nicht schaden, mal nachzusehen, wo Ortbe blieb.

Währenddessen heftete Araghast Breguyar ein neues Blatt in eine Akte. Es sah so aus, als ob doch nicht der Dämon hinter den merkwürdigen Entführungen steckte. Dieser neue Fall hatte sich erst heute ereignet und konnte schwerlich Kanndras Vater angehängt werden. Die Gedanken des Abteilungsleiters schweiften zu Donnerstag nacht. Glücklicherweise waren diese beiden jungen Hexen da gewesen, die das Schlimmste verhindert hatten, auch wenn Araghast nicht genau wusste, worin dieses Schlimmste bestanden hätte. Er wollte es auch gar nicht so genau wissen. Vor allem durfte er nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn er dieser Situation gegenüber gestanden hätte. Trotz seines selbstbewussten Auftretens hatte er nämlich keineswegs gewusst, was zu tun war. Seine Waffe wäre die Improvisation gewesen und wenn er Glück gehabt hätte, hätte er eine Chance von eins zu einer Million gehabt. Nun, jedenfalls war er froh, dass seiner Freundin nichts passiert war. Kanndra hatte ein paar Tage Sonderurlaub bekommen, damit sie sich erholen konnte und würde dann ihren Dienst wieder antreten können. Und vielleicht würden sie schon bald jeden FROG brauchen, dachte der Püschologe, als sein Blick wieder auf den Fallbericht fiel. Eine zweite Frau war in der Nacht entführt worden und heute morgen wieder aufgetaucht, genau wie Frau Reiz völlig apathisch und nicht ansprechbar.

Dort unten lag etwas großes auf der Straße und die ersten Schaulustigen strömten bereits auf die Stelle zu. Der Vampir ging tiefer und der Geruch nach Blut stieg ihm in die Nase. Hastig landete und verwandelte er sich. Teils neugierige, teils misstrauische Blicke folgten ihm, als er sich an den Menschen vorbeischob. Schon der erste Blick bestätigte ihm, daß es sich um Ortbe handelte, der dort lag. Eine kleine Lache von Blut bildete sich unter seiner breiten, von der grünen Uniform der FROGs verhüllten Brust. Vorsichtig drehte er den Gefreiten um. Ein Armbrustbolzen steckte genau im Herzen. Ortbe war tot.

Montag


Mit unbewegtem Gesicht sah sie auf Ortbes Grab hinunter. Er war ein Kollege gewesen, ein Wächter wie sie, ein FROG wie sie. Sie hatten einige Zeit zusammen gearbeitet, einige gefährliche Situationen durchgestanden. Trotzdem fühlte sie nicht viel. Ein leichtes Bedauern, das war alles. Und selbst das war kaum greifbar für sie. Einiges hatte sich geändert, seit sie ihren Vater getroffen hatte. Etwas in ihr hatte sich geändert. Es war, als wäre etwas zerbrochen, das sie bisher vor ihrem eigenen Wesen beschützt hatte. Aber nun war es frei und sie fühlte sich großartig. Kanndra lächelte und sah ihren Kollegen hinterher, die langsam den Friedhof verließen. Vielleicht sollte sie ihren Namen ändern, überlegte sie. Kanndra schien irgendwie nicht mehr richtig zu sein. Xnndra, ja der gefiel ihr schon besser. Ohne dem Grab noch einen letzten Blick zu gönnen, drehte sie sich um und folgte den anderen Wächtern.


Fortsetzung folgt
[1] Ich benutze den englischen Namen, weil die deutsche Übersetzung irgendwie blöd klingt, finde ich

[2] nun, was man in dieser Stadt so "frische Luft" nennt

[3] was ihn auch zuviel Zeit gekostet hätte




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Feedback:

Von Ilona Istnichtgut Feldacker

22.08.2005 22:51

Was ich bin die Erste *wunder* ist ja mal was ganz neues, aber Gratulation zur 13.
Also mir hat die Geschichte wirklich gut gefallen, es war spannend und lustig, so das ich bis Morgens um 2 gelesen hab.( Ich fürchte, es hat sich eine Tragödie ereignet. Auf dem Friedhof liegen zwei Leichen *lacht immer noch*) Ich fand du hast die einzelnen Charaktere super beschrieben so wirkten sie sehr lebendig und glaubwürdig. Außerdem fand ich es gut das in der Geschichte so viele verschiedene Wächter drin vorkommen und dein Charakter nicht alles im Alleingang löst. Auch wenn ich manchmal etwas den Überblick verloren habe wer jetzt was wo macht, aber das lag wohl eher an mir und der späten Uhrzeit. Sonst fällt mir wirklich nichts negatives ein und ich kann nur sagen ich warte gespannt auf die Vortsetzung.
Besonders gut hat mir noch der Satz "Nein, die Beschwörer schwören, noch nie einen Dämonen beschworen zu haben." gefallen, der hat was ;-)

Von Laiza Harmonie

23.08.2005 06:50

Leider kann ich nicht viel sagen... weil ich mal wieder das meiste vergessen habe :roll: Deshalb nur der Satz: Ich fand die Geschichte gut und die Note ist verdient!

Das einzig Negative an der Story ist wieder mal diese Fortsetzung.... Könnt ihr nicht mal an einem Stück schreiben anstatt uns immer mit einem Zweiten Teil auf später zu vertrösten?? :-D :-P

Von Ophelia Ziegenberger

23.08.2005 15:52

Lob: Deine Geschichte ließ sich hintereinanderweg leicht lesen, da sie aus verschiedenen, sich ergänzenden Ebenen und Handlungssträngen geknüpft war. Diese Fäden kreuzten einander, liefen voneinander fort um eigenständige Erlebniss zu durchlaufen und trafen wieder aufeinander. Es entstand Spannung, da man nicht nur ständig auf der Suche nach dem großen Ganzen war, sondern auch stückchenweise damit gefüttert wurde. Die verschiedenen Perspektiven ließen stets neu aufhorchen. Besonders reizvoll war die komische Aufeinanderfolge der Ereignisse am Wachetresen und um Ilona, sowie die temporeiche Szenenfolge der Perspektivwechsel um den Trunk. Ich bin sehr gespannt auf die Fortsezung und Kanndras weitere Entwicklung.

Kritik: ---

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