Lord The Llower oder Eine Tragödie in Ankh-Morpork

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von Hauptgefreite Rea Dubiata (SUSI)
Online seit 31. 07. 2005
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Ein Zwerg wird tot aufgefunden. Steckt doch mehr dahinter als man

Dafür vergebene Note: 13

Vorwort

Eigentlich existiert diese Single in ihrer Rohform schon seit letztem September. Sie wurde an einem Tag verlesen, der zwei Menschen sicherlich für immer im Gedächtnis bleiben wird. Deshalb ist sie ihnen, jetzt, da ich die finale Version endlich zustande gebracht habe, nachträglich gewidmet. Die Single wurde seit der Erstverlesung einigen Änderungen unterzogen, die ich so einigen Korrektoren verdanke und ich will gar nicht zählen, wievielen Leuten ich mit diesen paar tausend Wörtern auf den Geist gegangen bin.
Die Geschichte basiert auf dem Theaterstück eines berühmten englischen Dichters, es ist jedoch unwichtig dieses zu kennen, um sie zu verstehen. Sollte es doch von Interesse sein, befindet sich im Nachwort ein Link, der die Anspielungen und Zitate aufdeckt. Lest das aber bitte zuletzt, denn wer weiß, ob ihr nicht selbst darauf gekommen wärt.


Ein Gefährt rumpelte über die schlechte Brücke. Es war nicht laut, doch man konnte die Erschütterungen des Baus bis in das kleine Zimmer spüren, das zur einen Hälfte über dem Ankh und zur anderen Hälfte auf der Brücke gelegen war. Leise klirrten verschieden förmige Fläschchen auf einem Regal. Auf den Oberflächen ihrer zweifelhaften Inhalte ließen sich im schummrigen Licht Kreise erkennen, als wäre ein Stein hineingefallen. Dann beruhigten sich die winzige aufgewühlte See wieder, nur um wenige Sekunden später noch stärker zu vibrieren, als hätten sich viele kleine Stürme in die Flaschen verirrt.
Rea schreckte auf und hielt die Luft an. Das Leben auf der schlechten Brücke hatte viele Vorteile, doch trotz des massiven Baus war jede größere Belastung der Brücke furchteinflößend. Als Rea bemerkte, dass sie nicht drei Meter tiefer auf dem Ankh trieb, sondern in ihrem warmen Bett lag, war sie beruhigt. Ein fast voller Mond schien in die kleine Kammer und Regentropfen klatschten auf das teilweise undichte Dach. Die verirrten Tropfen platschen leise in extra für sie aufgestellte Gefäße.
Gähnend mummelte sich Rea wieder in ihre Decke und war schon wieder eingeschlafen.

"We cannot all be masters, nor all masters cannot be truly followed"

Es war nach Mitternacht und Regen prasselte auf das Dach der Kutsche. Der Wind pfiff durch die Ritzen der Lederbespannung und Rodentigo zog seinen Mantel enger. Die Kutsche holperte gerade über die schlechte Brücke, als die sie so abrupt stoppte, dass der Zwerg sich mit der Nase im gegenüberliegenden Sitz wiederfand.
"Sir?", rief der Kutscher, kaum hörbar durch die Kutschenwand und den Regen.
"Ja?"
"Ein Mr Nome möchte Sie sprechen."
"Er soll einsteigen."
Die Tür der Kutsche öffnete sich und ein, selbst für seine Spezies, recht kleiner Zwerg betrat die Kutsche. Er war so nass, dass man aus seinem dünnen, rötlichen Bart einen Badesee hätte wringen können.
"Mr. Rodentigo, wie gut dass ich Euch treffe!" der andere Zwerg kletterte auf die Sitzbank.
Die Zügel klatschten auf nasse Pferdehintern und die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung.
"Ich weiß es bereits." Rodentigos Stimme zitterte. Der Zorn und die Verzweiflung rüttelten an seinen Stimmbändern und es war ihm anzusehen, dass er schon lange nicht mehr geschlafen hatte.
Ima Nome wirkte ruhig. Er faltete die Hände in seinem Schoß und blickte sein Gegenüber schuldbewusst an. Mochte das Spiel beginnen, er war vorbereitet. Im Gegensatz zu Rodentigo wusste er was er wollte und auch, wie er es bekommen würde.
"Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass so etwas geschehen könnte. Ich hätte es dir sofort erzählt!" Nome lächelte entschuldigend. Ein Lächeln hatte ihm bereits so einiges verziehen, doch Rodentigo schien wirklich wütend zu sein. Wütend, weil er Menschen hasste. Weil er Lord the Llower hasste. Und weil er viel Gold in Dessalias Liebe investiert hatte, die ihm nicht mehr gehörte.
Hass und Liebe, beides macht blind, dachte Ima und war glücklich darüber dass er sich geschworen hatte, sich auf keines von beiden Gefühlen einzulassen.
"Ich habe dich dafür bezahlt, sie im Auge zu behalten, Ima. Morgen weiß es die ganze Stadt!"
"Mr. Rodentigo! Noch ist nicht aller Tage Abend. Vielleicht können wir das Schlimmste noch verhindern.."
Doch Rodentigo schien ihm nicht zuzuhören. Er brummelte etwas in seinen Bart und sah dann zu dem rothaarigen Zwerg hinunter. Sonst war er immer entspannt, wenn er zu Anderen hinab schauen konnte, doch Ima B. Nome machte ihn nervös. Er wirkte so unschuldig, doch man musste aufpassen, was man in seiner Nähe tat oder sagte. Der Zwerg war gefährlich, verdammt gefährlich sogar, doch er war Rodentigos einzige Chance.
"Ich sollte mich einfach ertränken! Ich werde das Gespött der Leute sein! Abgewiesen, wegen eines ... eines..." Rodentigo stockte. Er brachte es einfach nicht fertig, es auszusprechen. "Und das Gold, Ima, das Gold! Ich bin ruiniert, Dess war meine einzige Chance! Mit einem Stein um den Bauch in den Ankh, ja. Ich werde mich ertränken."
"Ach, tatsächlich.." Imas Stimme ließ dem Zwerg die Eingeweide gefrieren. Eiskalte Kalkulationen sprachen aus Imas Augen, die zu seinem freundlichem Lächeln kaum noch passten. "Ihr glaubt, dann ist dass Problem gelöst? Auf dem Grund des Ankhs? So ein Quatsch. Es ist noch nicht zu spät, wenn wir jetzt überlegt handeln."
"Warum sollte ich weiter leben, wenn das Leben nur noch eine Qual ist? Wenn ein schlechter Stollen einstürzt, so stirb mit deinem Gold."
"Was redest du für einen Unsinn." Ima schüttelte väterlich lachend den Kopf. "Theatralisches Gesülze! Du solltest mehr auf dich selbst achten, deinen Stolz, deine Würde. Dich zu ertränken wäre ein Schuldeingeständnis! Eher würde ich mein Leben mit einem Troll tauschen als für so ein Ha'ak zu sterben!"
"Sie ist kein-" Rodentigos Gesicht verzog sich vor Schmerz.
"Wirklich?" Ima schüttelte den Kopf. "Du bist zu jung um das zu verstehen. Wichtig ist, dass wir Lord the Llower endlich dafür bestrafen was er getan hat. Er nimmt dir nicht nur dein Gold, sondern auch den Schatz, der es mit sich bringt! Stell dir vor, Minen in Menschenhand!" Das Gesicht Imas hatte sich verändert. Seine Augen hatten begonnen zu funkeln. "Dessalia ist Barbas einzige Tochter und ihr gehören schon mehr Minen als du an deinen Fingern abzählen kannst. Doch sie ist an Gold nicht interessiert und das schmerzt ihren Vater, den Vorstand der Tran-Sfär-Gemein-Schacht. Das liegt an dieser verfluchten Stadt. Zwerge sollten hier nicht leben, die Menschen machen sie korrupt und kapitalistisch.
"Sir, Ihr habt einiges zu gewinnen und wenig zu verlieren, denn Euer Vermögen ist fast aufgebraucht. Vertraut mir, ich werde euch den Weg zum Gold in Dessalias Herzen bereiten."
"Mein lieber Ima, ich bin mir deiner Loyalität nicht sicher", sagte Rodentigo, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. "Hat man dir nicht eine Stellung in einer der größten Goldminen in Überwald angeboten? Und, wie man sagt, gehört diese Mine niemand anderem als Lord The Llower ... bin ich richtig informiert?"
"Tarnung, Mr. Rodentigo. Pure Berechnung. Wenn ich Lord The Llower nicht auf meine Seite bringe, kann ich sowieso einpacken. Und du auch. Wozu ist eine Mine da, wenn nicht zum Untergraben von Loyalität? Im Übrigen steht mir der Posten nicht mehr zu. Lord The Llower vergibt ihn an Carl Kleinaxt, welcher, wie du ja weißt, seinen Sitz im Vorstand der Tran-Sfär-Gemein-Schacht zu Gunsten von Barba de Monta abgegeben hat.."
"Wir haben also denselben Feind."
"Wir sollten uns Gewissheit verschaffen, Sir!. Ich schätze, wir fahren zum De Monta Anwesen?"
"Richtig. Soweit hatte ich auch gedacht."
Sie schwiegen.
Nur das Trommeln des Regens, das Knarzen der Kutsche, der Geruch von nassem Leder...
Die Kutsche hielt wie auf ein geheimes Zeichen. Der Fahrer sprang vom Kutschbock, öffnete die Tür und hielt seinem Herrn einen Regenschirm entgegen. Milliarden kleiner Tropfen hatten aus der Straße einen zwei Zentimeter tiefen Wildbach geformt.
Rodentigo ging durch das Tor, geschützt durch seinen Regenschirm, während Ima hinter ihm herhastete und den Kopf einzog. Ein kurzer Weg führte sie zu einer- für das Haus eines Zwerges äußerst großen- Tür aus Eichenholz. Rodentigo klopfte an, doch nichts geschah. Er klopfte noch einmal.
"Sir, es ist nachtschlafende Zeit!", raunte Ima Rodentigo zu, während er versuchte, sich noch kleiner zu machen.
"Soll das heißen, es schickt sich nicht, anzuklopfen?"
"Nein, Ihr solltest ihn besser rufen! Wenn Ihr klopft hört er es doch nicht." Im Gedanken schlug sich Ima vor den Kopf. Wie konnte jemand so dumm sein? Er konnte es gar nicht mehr erwarten, bis er diesen Trottel endlich los war. Doch noch war er auf sein Geld angewiesen, noch.
"Deeeeee Moooooontaaaaaah! Deeeeeee Moooooontaaaaaaaaah! Macht die Tür auf!" Die Stimme von Rodentigo weckte einen Hund in der Nähe, der jaulend seinem Unmut Kund tat. Dann, endlich, erschien das Licht einer Kerze im Fenster. Es wurde geöffnet und De Monta, ein Zwerg in den besten Jahren, der seinen Bart zu einem Zopf gebunden hatte, sah hinaus. Er trug eine weiß-blau gestreifte Schlafmütze und ein dazu passendes Nachthemd.
"Rodentigo, bist du das? Was suchst du hier?"
"Ich suche deine Tochter!"
"Um diese Zeit? Gibt es nicht bessere Gelegenheiten für ein Candlelight-Dinner?"
Rodentigo zwirbelte nervös seinen Bart. "Ist sie zu Hause?"
"Sie übernachtet heute bei einer Freundin. Wenn ich mich Recht erinnere hieß sie ... Evelynn?"
Ima hielt es für angebracht, die Unterhaltung zu beschleunigen. Ihm war kalt und es gab keine trockenen Stellen mehr an seinem Körper. "Du weißt also nicht, dass deine liebe Dessalia heute Abend in einer, hah, Nacht und Nebel Aktion Lord The Llower geehelicht hat?"
De Monta schwieg. Er starrte in die Flamme seiner Kerze, dann blinzelte er. "Das würde sie nie tun. Das wäre eine... eine Beleidigung für die ganze Familie! Lord The Llower, einen Menschen!"
"Dürfen wir reinkommen?"

"My downright violence and scorn of fortunes May trumpet to the world"

Die Feier war überschwänglich. Es war bereits nach Mitternacht, doch die Runde um Nicholo feierte noch immer. Glücklich hielt er Dess in seinem Arm. Die Zwergin hatte ihm viel Kraft gegeben in letzter Zeit. Es war nicht leicht gewesen, seine Familie zu überzeugen dass eine Zwergin in der Familie keine Schande bedeutete. Sie war so wunderschön und sie hörte ihm als Einzige richtig zu, wenn er davon erzählte, wie er in Überwald gegen Werwölfe und Vampire gekämpft und Kinder vor herabstürzenden Gerölllawinen gerettet hatte.
"Schenk dir nochmal ein", rief Carl, mit einem Lallen in der Stimme. Ohne auf Nicholos Antwort zu warten goss er Wein in den Krug des Lords und dann in den seinen. Daraufhin knuffte er Nicholo freundschaftlich in die Seite. "Morgen geht es also los! Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder in Überwald zu sein. Ich habe es damals schweren Herzens verlassen. Doch bald werde ich die Heimaterde wieder unter meinen Eisenstiefeln spüren."
"Wir beide werden reiche Leute sein, Carl. Wirklich reich. Self-made meine ich. Nicht nur reich geerbt. Wir wollen den Göttern doch etwas vorweisen können, eines Tages." Nicholo trank einen weiteren Schluck Wein und bemerkte dann, dass Dess in seinem Arm eingeschlafen war.
"Ach, Götter hin oder her. Aber du hast recht, selbsterarbeitete Schätze sind besser als alles andere." Carl sah einige Augenblicke zu Dessalia. Was hatte er alles auf sich genommen, um ihr Glück zu sichern. Er liebte Dessalia, wie er eine eigene Tochter geliebt hätte, doch Kinder waren ihm nicht vergönnt gewesen. Ihm blieb nur Goldie, seine einzige Nichte, die es vorgezogen hatte, zur Stadtwache zu gehen. Nun, Dess würde ihren Weg nach Überwald finden und dort hoffentlich bemerken, dass im Blut jedes Zwergs ein wenig Goldstaub schwamm. Dafür hatte er seinen besten Freund, Barba De Monta hintergehen müssen, der es nie fertiggebracht hätte, Dess endlich loszulassen, schon gar nicht, um sie in die Arme eines Menschen schicken. Doch die Zeiten änderten sich ständig, man musste neue Wege gehen, immer wieder. Glücklicherweise hatte er diesen nervenden, unheimlichen Ima abwehren können, ein Zwerg, dem Nicholo sein Leben anvertrauen würde. Ima jedoch, so glaubte Carl, hatte es nur!
auf den Gewinn abgesehen, daher hatte er seinen Rücktritt eingereicht und Nicholo dazu gebracht ihn und nicht Ima zu seinem Minenvorsteher zu machen. Er hatte sowieso gehofft, nach Überwald zurückzukehren, wieso nicht jetzt?
"Es wird spät", sagte Nicholo nach einer langen Pause.
"Ich bringe Dess nach Hause", sagte Carl und stand auf. "Wir treffen uns morgen abend wieder hier, ich kann es kaum erwarten!"
Nicholo sah in die blassen Zwergenaugen Carls und nickte. "Und wenn ihr Vater sie nicht gehen lässt?"
"Barba und ich sind lange genug befreundet, er wird sie gehen lassen."
The Llower nickte und weckte Dess sanft mit einem Kuss.

"Look to her, Man, if thou hast eyes to see, She has deceived her father and may thee"

"Ich wusste es, dieser Lord The Llower hat es natürlich auf eine Zwergin abgesehen. Auf ihn würden die Zwerge in seinen Minen nicht hören." De Monta konnte es immer noch nicht fassen, doch es ergab Sinn. The Llower hatte ihn in letzter Zeit mehrfach besucht und seine Tochter hatte immer öfter die gemeinsamen Abendessen für ein "Treffen mit Freundinnen" ausfallen lassen. "Und die Sache mit Carl Kleinaxt war natürlich klar. Wer außer diesem menschenfreundlichem Dummkopf würde sich mit The Llower einlassen?"
De Monta war ein moderner Zwerg. Er akzeptierte, dass seine Tochter sich wie eine Zwergin kleidete und fand sogar, dass sie in ihren Kleidern recht hübsch aussah. Seine Frau, Damia, war bei Dessalias Geburt gestorben und so blieb ihm nichts als sein geliebtes Kind, dass die Minen in Überwald nicht kannte und sich mehr für Lippenstift interessierte als für ihre Axt. Eine Stadtzwergin die Gold nur um den Hals, an den Ohren oder um den Finger trug.
Um den Finger... Moderne Zwerge, schön und gut! Barba De Monta war ein angesehener Zwerg in Ankh-Morpork. Seine Tochter konnte sich kleiden wie sie wollte, doch einige falsche Dinge wurden selbst durch moderne Ansichten nicht richtig. Zwerge heirateten Zwerge und Menschen heirateten Menschen. So war das Leben, so musste es sein!
Imas Gedanken überschlugen sich. Ein Plan entwickelte sich mit beeindruckender Geschwindigkeit. "Mr. De Monta, ich bin mir sicher, dass sich alles wieder richten lässt. Nichts ist so schlimm wie es einem auf den ersten Blick erscheint. Es besteht noch eine geringe Chance. Eine Chance, die uns alle glücklich machen wird."
De Monta gefiel der Blick in Imas Augen nicht. Sie glänzten verschwommen, als hätte sich ein Schleier um sie gelegt. Doch andererseits, was hatte er zu verlieren?

"Oh Blood, blood, blood"

Carl hatte Dess nach Hause gebracht. Niemand hatte bemerkt, dass sie durch die Hintertür eintraten und niemand hatte sein Gehen vernommen. Es war unheimlich gewesen, in das stockdunkle Haus zu gehen, auch wenn er einen Schlüssel hatte und in dem Haus so oft gewesen war, dass er jede knarzende Diele kannte. Doch die Stille hatte ihn misstrauisch gemacht, obwohl es ganz normal war, dass man nach Mitternacht in einem anständigen Haus keine Laute mehr von sich gab.
Carl war beinahe zu Hause angelangt. Er ließ die Kutsche anhalten, er wollte noch einmal den Regen Ankh-Morporks spüren, etwas, von dem er glaubte dass er es sicherlich vermissen würde. Man vermisste immer die einfachsten Dinge, sogar die Dinge, die man nicht mochte. Gedankenverloren ging er zu seinem Haus.

"Er macht es uns einfach. Wir müssen nicht einmal in sein Haus einbrechen", wisperte eine Stimme in einer dunklen Gasse. Der Sprecher nahm die Axt, die an der Wand lehnte und trat vorsichtig hinaus in den Regen.
"Bist du dir sicher, dass wir das tun sollten?" flüsterte eine zweite Stimme, doch sie blieb ungehört.

Carl steckte den Schlüssel ins Schloss seiner Haustür. Mit einem Mal hörte er einen Atemzug und fast direkt darauf das Platschen eines Stiefels, der in eine Pfütze trat. Er fuhr herum. Mit Entsetzen sah er eine Axt, die sich über ihn erhob und dann traf sein Blick die seines Mörders. "Oh Nein" waren Carls letzte Worte, die er aushauchte als er sich blitzschnell umdrehte um wegzulaufen.


"To be direct and honest is not safe. "

"Bingli-Bingli-Beep, Guten Morgen, MEIN VERDAMMTER NAME IST REA!!!, es ist acht-"
"Schnauze!"
"Aber es ist-"
"Schnauze!"
"Es ist bereits acht Uhr!!!"
"Waaaaas?" Rea saß mit einem Mal kerzengerade im Bett, ihr loses Haar wie ein Vogelnest verknotet. Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben. "Warum hast du mich nicht geweckt, du dummes Ding?"
"Du hast gedroht, mich mit einem Hammer zu erschlagen!", rief der Dämon empört und verschränkte die Arme.
"Das weiß ich selbst", keifte Rea. Sie war ein Morgenmuffel und eine Diskussion über ihren immer wachen Sarkasmus kam ihr recht ungelegen. Sie sprang aus dem Bett und hastete die zwei Meter zu ihrer Waschschale. Der Regen der letzten Nacht hatte sie mit -für ankh-morporkianische Umstände- frischem Wasser gefüllt. Nach einer Katzenwäsche wechselte sie vom Nachthemd in ein dunkelrotes Kleid mit einem passenden dunkelroten Umhang und schnürte dann ihre Stiefel. Das dauerte von allen morgendlichen Aktionen am längsten.
Kaum war sie damit fertig rannte sie auch schon die schmale Treppe hinunter, durch den kleinen Knopfladen ihres Vermieter und auf die schlechte Brücke hinaus. Es war reger Betrieb, wie jeden Morgen und Rea hatte es schwer, sich durch die Menge quetschen. Der Regen der letzten Nacht dampfte auf dem Kopfsteinpflaster und raubte den Leuten die Sicht. Rea stieß unzählige Male mit wildfremden Leuten zusammen, bevor sie den Pseudopolisplatz erreichte.
Der Seziersaal war leer. Nun ja, fast. Eine Leiche lag auf einer Bahre. Seltsamerweise stand ein Paar Schuhe auf dem Boden. Rea, immer noch außer Atem, versuchte die Schuhe mit etwas in Verbindung zu bringen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf der Bahre registrierte.
"Guten Morgen... Herr Made", sagte Rea, außer Puste.
"Mhmm, hmm.." murmelte Made, er wälzte sich noch einmal auf der Bahre und versuchte, sich das Leichentuch über den Kopf zu ziehen.
"Hat Jack dich rausgeworfen?", fragte Rea und setzte sich an den Schreibtisch. Sie begann ihre gestrigen Notizen zu überfliegen.
"Nein, er ist erkältet und man hört das Schnarchen noch zwei Häuser weiter", murmelte Made mit einer Stimme die nach einem Reibeisen klang. "Also bin ich heute Nacht hierher gekommen. Von wegen ewige Ruhe.. Möchtest du auch einen Kaffee?"
Rea nickte und wandte sich wieder ihren Notizen zu, während Made vom Seziertisch glitt, sich die Schuhe anzog, Reas Kaffeetasse entgegennahm und dann den Raum verließ.
Zwei Sekunden später machte es "Flopp" und eine Rohrpost suchte ihren Weg ins Freie. Sie landete in einem Blumentopf. Es war wohl der einzige Blumentopf in Ankh-Morpork, der in einem Seziersaal stand und irgendjemand fand es wohl außerordentlich aufregend, ihn immer wieder in die Flugbahn der Rohrpost zu stellen. Doch es nütze alles nichts. Das Usambaraveilchen hielt sich tapfer in seinem blauschwarzen Topf.
Rea stand auf, nahm die Rohrpost und las sie.

Eine Zwergenleiche wurde in der Gutschnellstraße gefunden.
Äußerst ungewöhnlich.
Gehe zum Leichenhaus und nimm sie wenn nötig mit in die Gerichtsmedizin.

Hauptmann Humph MeckDwarf


Rea sah auf. Es klopfte und der DOG-Dobermann Goldie Kleinaxt trat ein. Mit wichtiger Miene salutierte sie.
"Was gibt's, Goldie?", fragte Rea und zog die Augenbrauen hoch. Sie tat dies in der Hoffnung, dass ihr Gegenüber dann glauben würde, sie hätte eigentlich besseres zu tun, sich jedoch gnädigerweise dazu bereiterklärte doch ein paar Minuten ihrer Zeit zu opfern. Noch war der Gesichtsausdruck in der Probephase. Goldie runzelte nur leicht die Stirn und unterdrückte ein Kichern, da Rea mit diesem aufgesetztem Gesicht ziemlich dämlich aussah.
"Hast du bereits von der Zwergenleiche gehört? In der Gutschnellstraße?"
"Gerade eben. Ich sollte eigentlich sofort los.. Woher weißt du davon?"
"Er war mein Onkel!" Goldie ließ sich zwar geringfügiges Entsetzen, jedoch keine Trauer anmerken. "Er sollte Minenvorarbeiter in Überwald werden!"
"Tatsächlich?"
"Und er war im Vorstand der", sie holte tief Luft und sprach dann in einem Atemzug, "Tran-Sfär-Gemein-Schacht 'Gold für die Heimat' von Ankh-Morpork!" Goldie schien nun in heller Aufruhr, mit geweiteten Augen berichtete sie der Gerichtsmedizinerin weiter, wie wichtig der ankh-moporkianische Dachverband für die Beobachtung der Goldtransportwege in der ganzen Scheibenwelt, der Zwergenzuwanderung in die Zwillingsstadt und deren finanzielle Unterstützung sowie des Rücktransport von Gold von Ankh-Morpork in die restlichen, traditionelleren Zwergenhochburgen war. Mehrfach wies sie darauf hin, welch eine wichtige Rolle ihr Onkel dort gespielt hatte, welcher jedoch vor einigen Monaten seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte um bald seinen Lebensabend in einer vielversprechenden Goldmine in Überwald zu verbringen. Die Gildenexpertin schwafelte weiter, über Goldvorkommen und innere Streitigkeiten in der Gemein-Schacht, sowie andere Dinge, die Rea nicht verstand. Dies lag daran, dass !
Goldie dabei Wörter wie "grk'rrw tark" oder "mkkt' drhak" einwarf, welche sie mit einer ausschweifenden, verdeutlichenden Gestik untermalte und die Papiere auf dem Schreibtisch durcheinanderwarf, was Goldies Eichhörnchen Teufel in rege Aufregung versetzte. Der Redeschwall des Dobermanns wurde erst gebremst, als Herr Made den Seziersaal mit zwei dampfenden Tassen in der Hand betrat. Die eine reichte er Rea, die sich zunächst versicherte, dass alle Finger noch an Mades Hand hingen. Man konnte ja nie wissen, was Einen am Boden einer Kaffeetasse erwartete.
"Bitte schön", sagte Made lächelnd. Dann bemerkte er Goldie. "Oh, Besuch von D.O.G.!"
Made hob, wie üblich, seine Kaffeetasse und sah der Zwergin in die Augen, in denen goldene Dollarzeichen zu leuchten schienen.
Goldie salutierte, wobei sie fast vom Stuhl viel. Als sie sich wieder gefangen hatte drehte sie sich zu Rea.
"Wolltest du nicht los?", fragte sie ungeduldig.
Rea trank noch einen Schluck Kaffee, dann nickte sie. "Auf geht's."
Made folgte ihnen nicht. Er stellte seine Tasse ab und machte es sich wieder auf der Bahre gemütlich.

"This fellow's of exceeding honesty And knows all qualities, of human dealings"

"Warum?" Rodentigo war außer sich. "Er hat doch nichts getan! Er konnte doch nichts dafür!"
Ima wusch seine Hände in einer Schale, die eben noch klares Wasser enthalten hatte. Jetzt hatte es sich blutrot verfärbt. "Hör zu, die Sache ist ganz einfach. The Llower und Carl waren seit Jahren befreundet. Was meinst du, was passiert, wenn man Carl findet? Ich habe zugesehen, dass Llower so schnell wie möglich von Carls Tod erfährt. Und ich habe es geschafft, dass er mir vertrauen wird."
"Der Lord steht im Weg, nicht Carl! Wir hätten einfach ihn umbringen sollen."
"Es wäre zu offensichtlich. Er muss sich selbst zum Schuldigen machen.."
"Du glaubst wirklich dass das funktioniert? Wir hätten einen Assassinen engagieren können."
"Der Tod wäre nur eine Erlösung für ihn, vertrau mir."
"Wie kannst du nur so kaltblütig sein. Ein Zwerg sollte seiner eigenen Spezies treu sein." Rodentigo fühlte sich sichtlich unwohl. Er zwirbelte seinen Bart und sah Ima fragend an.
Auf Imas Gesicht zeichnete sich langsam ein Lächeln ab. Kein freundliches Lächeln, sondern eines voller Kalkül, eines, dass einen rasiermesserscharfen Verstand offenbarte.

"First to be hanged, and then to confess"

Die Leichenhalle, am Rande der Schatten in der Ulmenstraße war immer gut gefüllt. In Ankh-Morpork starben viele Leute. Die Lage in der Nähe der Schatten war gut gewählt, denn hier starben täglich mehr Personen als im ganzen Rest der Stadt. Meistens war die Todesursache Selbstmord. Doch Carl Kleinaxt war ein Fall für sich.
"Eines ist auf jeden Fall klar", sagte Rea und beäugte den gespaltenen Kopf des Zwerges. "Der Mörder hatte genug Kraft, Helm und Schädel mit einem Hieb in zwei Teile zu schlagen. Als Tatwaffe vermute ich eine Axt."
Rea legte das Leichentuch wieder über den kleinen Körper des Zwerges. "Du kannst wieder hersehen, Goldie", sagte Rea und wandte sich dann dem Leichenbeschauer zu: "Ich nehme ihn mit. Bitte bring ihn in die Gerichtsmedizin der Wache."
Goldie fasste sich wieder und setzte einen grimmigen Blick auf. "Du vermutest also unlizenzierten Mord?"
"Ja. Die Assassinengilde hat keine Notiz hinterlassen. Außerdem gehen die Assassinen nicht so plump vor."
"Also, Rea, ich möchte meinen Onkel nicht schlecht machen, aber, er ist ein Zwerg, weißt du.. Und du weißt wie es in Zwergenkneipen zugeht. Ein gespaltener Schädel-", Goldie schluckte, "ist dort eine natürliche Todesursache."
"Eine Zwergenkneipe in der Gutschnellstraße?", fragte Rea erstaunt. Sie kannte sich in der ankh-morporkianischen Gastronomie sehr schlecht aus, doch sie wusste dass es in dieser Gegend keine zwielichtigen Kneipen geben konnte. Obwohl sie vermutete, dass Carl nicht in der Gutschnellstraße gestorben war, glaubte sie nicht an eine Kneipenschlägerei. "Er hätte sicherlich einige blaue Flecken aufgewiesen, wäre er in einer Kneipe gestorben. Und er riecht nicht nach Kneipe. Außerdem sieht er für eine Kneipenschlägerei ein wenig zu alt aus, findest du nicht?"
Goldie zuckte die Schultern. "Er war beliebt und ich glaube nicht dass er Neider hatte, so reich war er nicht und seinen Posten in der Gemein-Schacht hatte er ja aufgegeben." Der Dobermann für diverse Gilden kratzte sich am Kopf.
"Wer könnte dann an seinem Tod interessiert sein?", fragte Rea die Zwergin.
"Das werde ich wohl noch herausfinden müssen", erwiderte die Gildenexpertin und begann dann, Teufel zu kraulen, der aus der Uniform herausgekrochen war und auf ihrer Schulter Platz genommen hatte.

"This is the night That either makes me or fordoes me quite."

Rodentigo scharrte unwirsch mit einem Fuss im steinigen Weg des Gartens der De Montas. Er wusste nicht, ob die Nachrichten die er hatte, gut oder schlecht waren und dies beunruhigte ihn mehr, als wenn er den Untergang der Welt hätte verkünden müssen.
Ima betrat den Garten mit ausdruckslosem Gesicht. Nichts deutete darauf hin, dass er in der letzten Nacht nur wenig geschlafen hatte.
"Worum geht es?", fragte er.
Rodentigo biss sich auf die Lippen, dann rückte er mit der Sprache heraus. "Die Wache war schneller. Sie haben Carl gefunden."
"Verdammt. Müssen die sich überall einmischen?" Ima dachte angestrengt nach. "Jedoch..." "Man hat sehr schnell eine Verbindung zwischen Nicholo und Carl hergestellt", warf Rodentigo ein. "Lord The Llower sitzt in Untersuchungenshaft."
Ima lachte laut auf. "Ha! Sie spielen uns direkt in die Hand!"
Rodentigo hatte die letzte Bemerkung nicht gehört. Er ging den steinigen Weg auf und ab und suchte nach einer Lösung. "Ich sollte dich anzeigen. Oder, nein, ein fairer Kampf zwischen mir und Nicholo. Das wäre ehrenhaft! "
Ima wandte sich ihm zu. "Du hast mir nicht zugehört. Es war das Beste was uns passieren konnte. Nicholo und Carl sind außer Gefecht gesetzt. Der Weg zu Dess ist frei! Wenn sie erfährt, dass Nicholo einen Zwerg getötet hat wird sie nichts mehr von ihm wissen wollen!"
"Und was bringt uns das? Die Mine gehört Nicholo und nicht Dess." Rodentigo verstand nicht worum es ging. Es gab nur eines dass er wollte und das war Dessalia. Sie - und ihr Geld vielleicht auch.
Imas Lächeln war durch den dünnen Bart gut zu sehen. Er lachte leise und schaute Rodentigo ungläubig an. "Du verstehst es immer noch nicht, was? Alles, was du jetzt noch tun musst, ist Dessalia für dich zu gewinnen. Ertränken kannst du dich später, mein Freund. Erst kümmern wir uns um dein Herz."
Er grinste diabolisch. Dann veränderte sich seine Miene schlagartig als aus dem Gang zum Garten Schritte zu hören waren.
Eine Zwergin erschien im den Schatten des Torbogens. Sie trug eine turbulente Hochsteckfrisur und in ihren Bart waren bunte Bänder geflochten. Ein hellblaues Kleid umschmeichelte ihre eher gedrungene Figur, doch sie bewegte sich so fließend als würde sie schweben. Sie lächelte sanft. Ima gab Rodentigo einen leichten Stups in die Seite. Dieser begriff und kam ihr entgegen um sie freundschaftlich zu begrüßen.

"I had rather have lost my purse Full of crusadoes"

Als Rea im Wachhaus ankam waren die Trolle der Leichenhalle schon wieder gegangen. Herr Made formte einige Flüche mit den Lippen, weil sie ihn geweckt hatten und sein Platz nun von einem zwiespältigen Zwerg belegt war, ließ sie aber unausgesprochen, weil er wusste, dass Rea in Punkto Schimpfworten sehr zimperlich war. Diese kümmerte sich jedoch nicht großartig darum, sie hatte besseres zu tun und wandte sich der Leiche zu.
"Hey, bist du an?", fragte Rea den Diktierdämon.
Er gab keine Antwort.
"Ich muss hier arbeiten also wäre es nett wenn du.." Rea hielt inne. Der Dämon öffnete die Tür einen Spaltbreit und hängte ein Schild an den äußeren Türknauf. STREIK stand darauf.
Rea seufzte. Sie hatte keine Lust zu diskutieren. Vor sich hin grummelnd ging sie zum Schreibtisch und nahm einen alten Notizblock zusammen mit einem Stift.

Zwerg, schrieb Rea, offensichtlich männlich, laut Goldie 153 Jahre alt. So weit, so gut. Die Todesursache war offensichtlich. Sie maß den Spalt, der fast genau die linke von der rechten Hirnhemisphäre teilte. Die Wunde ging vorne nicht so tief wie hinten und war glatt und sauber. Nur eine Axt konnte eine solche Verletzung zuführen, ein Schwert war allein durch den Schliff zu schwach und hätte niemals einen Helm von zwergischer Qualität zerteilen können als sei Eisen so weich wie Butter. Rea wandte sich vom Kopf der Leiche ab. Kettenhemd und Kleidung von Carl Kleinaxt waren vollkommen Intakt. Es konnte kein Kampf stattgefunden haben. Eine Überraschung von hinten? Dafür sprach die Wunde, die ja hinten tiefer war.
Dann entdeckte Rea etwas in der Hand des Toten, was ihr bisher nicht aufgefallen war. Ein kleines Stück Stoff lugte zwischen den Fingern hervor. Hatte Carl etwa ein Stück der Kleidung seines Mörders zu fassen bekommen? Vorsichtig zog sie an dem Tuch, doch es ließ sich nicht herausziehen, daraufhin nahm sie eine Zange. Es knirschte laut als die Fingerknochen brachen und Rea die Hand gewaltsam öffnete. Nein, es war kein Stück Kleidung, es war ein Taschentuch. Mit Spitze umrandet und schneeweiß passte es kaum zu dem Zwerg, der auf der Bahre lag. Es gehörte ihm auch nicht. Über einem künstlerischem Machwerk, dass nach dem stilisierten Eingang einer Goldmine aussah stand in geschwungenen Lettern ein Name: "Dessalia De Monta"
Rea runzelte die Stirn, der Name sagte ihr etwas.
"Die ganze Stadt spricht von Dessalia De Monta!" piepste eine Stimme in der Nähe.
"Goldie", sagte Rea und wandte sich der Zwergin zu, die, die Hände vor den Augen, auf einmal im Seziersaal stand.
"Nun, ja, nicht die ganze Stadt. Aber alle Zwerge! Sie hat einen Menschen geheiratet. Lord Nicholo The Llower."
"Ach so."
Goldie war sichtlich enttäuscht von Reas gleichgültiger Antwort. Diese Menschen hatten aber auch von nichts eine Ahnung.
"Und weißt du wo dieser Lord wohnt?", fragte sie. Nur ein leichtes Zittern verriet ihre Aufregung.
"In der Gutschnellstraße?"
"Nicht nur das! Mein Onkel wurde direkt vor seiner Wohnung gefunden!"

"Where is that viper? Bring the villain forth"

Lord Nicholo The Llower stammte aus der Gegend von Überwald. Das zweite "L" in seinem Namen verdankte er dem starken Akzent seiner Llamedonischen Mutter, doch er konnte damit leben. Was ihn zur Zeit beunruhigte waren die Gitterstäbe, die ihn von der Freiheit trennten. Er setzte sich auf das Bett und überlegte was passiert war.
Noch vor zwei Stunden war er der glücklichste Mensch von Ankh-Morpork, ja, von der ganzen Scheibenwelt gewesen, denn er hatte die Frau seiner Träume geheiratet. Er hatte gewusst dass es keine einfache Beziehung werden würde, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass sich die Wache einschaltete. Als er am morgen mit einem ziemlichen Kater aufgewacht war, hatte er erst gemeint, das Hämmern käme aus seinem Kopf. Doch wenige Augenblicke später hatte er bemerkt, dass jzwei Rekruten an seiner Tür nach seiner Person verlangten. Ein Troll und ein Vampir in Uniform duldeten keinen Widerspruch und nun war er hier.
Es gab Schlimmeres. Die Zellen in seiner heimatlichen Burg hatten statt einem Bett einen Haufen altes Stroh und durch das kleine vergitterte Fenster drang tatsächlich Tageslicht.
Schritte erklangen auf dem Gang. Nicholos mächtiges Kreuz spannte sich an. Er hörte kurzes Gemurmel und dann ein Klacken in seiner Zelltür. Diese schwang auf und gab den Blick auf den Troll frei, der Nicholo verhaftet hatte.
"Lässt du mich bitte durch, Rekrut Zahnstein?", erklang eine etwas genervte Frauenstimme.
"Ja, Sör!", sagte der Troll.
"Und nenn' mich nicht Sör."
"Ja, Sör."
Der Troll bewegte sich ein Stück zur Seite und hinter ihm kam eine Wächterin zum Vorschein. Sie trug keine Uniform, doch an ihrem Umhang prangte eine sauber polierte Marke. Die Frau war recht klein. Ihre blonden Haare und das runde Gesicht ließen sie wie ein junges, unsicheres Mädchen wirken, doch ihre Augen... Als Nicholo aber ihre Augen sah, schätzte er diese auf mindestens zwanzig Jahre älter geschätzt. Es war eine seltsame Mischung zwischen einem Mädchen und einer Frau.
"Nicholo The Llower, man beschuldigt dich des Mordes an Carl Kleinaxt, ist dir das bewusst?" Die Stimme der Wächterin war harsch, als ob sie wüsste, welchen ersten Eindruck sie auf Nicholo gemacht hatte und nun versuchte, ihn auszugleichen. Ihr Blick durchdrang Nicholo wie ein scharfes Rapier.
"Carl... Carl... ist tot?" Nicholos Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sein bester Freund war tot? Warum hatte ihm niemand Bescheid gesagt? Und warum glaubte sagte diese Frau, dass er der Mörder war? Seine Finger klammerten sich haltsuchend um die Kante des Bettes, auf dem er saß.
"Man hat ihm den Schädel gespalten. Mit einer Axt. Seltsamerweise fehlt in der Waffensammlung bei dir zu Hause eine Axt in der Größe die wir suchen.."
Der Lord schwieg zunächst. Es dauerte eine Weile, bis er sich der Situation bewusst wurde. Carl... tot... .
"Aber, warum? Wer sollte Carl umbringen?", fragte Nicholo. Dann begriff er seine Lage. "Warum sollte ich ihn umbringen? Wir waren Freunde!"
"Wir fanden das hier in seiner Hand", erwiderte die Wächterin, als sei es eine Antwort. Sie reichte Nicholo ein weißes Etwas. Er nahm es und entfaltete es langsam. Er wusste, was kommen würde. Aber das ergab doch alles keinen Sinn. Was hatte Dess' Taschentuch in der Hand seines besten Freundes zu suchen? Jegliche Emotion war aus seinem Gesicht gewichen als er aufsah.
"Was soll das?", fragte er leise.
"Das ist das Taschentuch deiner Frau", antwortete die Wächterin, als ob sie nicht wusste, dass Nicholo sich dessen völlig gewahr war.
"Wie kommt es in Carls Besitz? Dess hätte es ihm nie gegeben!" Nicholos Augen waren weit aufgerissen. Seine Gedanken tanzten um ihn her und er konnte keinen von ihnen fassen. Das Geschenk, dass er Dessalia gemacht hatte. Bestickt mit echtem Gold! In Carls Hand? Hatte er es... gefunden? Nein, Dess passte sehr gut auf ihre Sachen auf. Sie würde dieses Geschenk nicht so einfach verlieren. Es war für sie wie ein Verlobungsring gewesen.
"Wer hätte es ihm sonst geben können?" Die Lippen der Wächterin wurden schmal und ihre Augen beobachteten ihn fast lauernd. "Du hast die Kraft einem Zwerg den Schädel zu spalten. Der arme Kerl wurde vor deinem Haus gefunden. Ich weiß nicht, wer sonst noch in diese Sache verwickelt ist, also entweder redest du jetzt mit mir oder ich gebe die Sache an die Assassinengilde weiter wegen unlizenziertem Mord."
"Ich habe Carl nicht getötet", sagte Nicholo kalt. In seinem Kopf kamen Visionen auf, von seinem Freund, wie sie noch am Vorabend gelacht und sich gefreut hatten, weil sie heute Abend in Richtung Überwald aufbrechen wollten. Dann erinnerte er sich an den Blick von Ima. Ima und er hatten lange Geschäfte gemacht, sie waren wie Freunde gewesen. Gestern noch hatte er seinen Blick als Trauer gedeutet, weil er in Ankh-Morpork zurückbleiben musste, doch jetzt war sich Nicholo sicher: Pure Eifersucht hatte in diesem Moment aus Ima Bigg Nomes Augen gesprochen.

"No, by my life and soul: Send for the man and ask him"

Dessalia weinte. Tränen stürzten wie Bäche aus ihren Augen. Sie konnte es nicht glauben: Ihr Goldschatz, der Mann mit dem sie den Rest ihres Lebens hatte verbringen wollen hatte einen der angesehensten Zwerge von Ankh-Morpork getötet. Sogar die Wache hatte dies schon erfahren.
"Warum?", schluchzte sie in die Arme Rodentigos, der sie geduldig tröstete. "Warum sollte er seinen besten Freund töten?"
"Weißt du, was für ein Vermögen Carl unter seiner Matratze gelagert hatte? Carl hat Nicholo durchschaut. Anscheinend wollte er ihn umbringen, sobald ihr in Überwald gewesen wärt. Carl gehörte die Hälfte der Mine, meinst du nicht, Nicholo hätte sie für sich selbst gewollt? Doch Carl fand es zu früh heraus.."
Ima hörte zu. Wie schnell Rodentigo lernte und wie nützlich er für seine Zwecke war. Natürlich war alles eine Lüge. Sein Leben bestand aus Lügen, doch er war geschickt genug, sich nicht in sie zu verwickeln. Vorsichtig dirigierte er die Personen in seiner Umgebung in dem er die richtige Portion Wahrheit in die richtige Form presste.
"Aber ich liebe ihn doch!", schluchzte Dess weiter. Doch liebte sie ihn noch immer? War es nicht blanker Hass, der da ihr Herz verschlang als hätte man ihn seit Jahren nicht gefüttert?
"Meine liebe Dess," sagte Rodentigo beruhigend. Er strich über Dessalias Wange und nahm ihre Hand in die seine. "Du bist noch jung in dieser Welt. Lass dir von einem erfahrenen Zwerg die Wahrheit über sie sagen: Nichts ist so wie es scheint und vertrauen kannst du nur Wenigen. Die Menschen sind mit ihren Köpfen zu nah an der Sonne und ihre Nase steht zu hoch im Wind."

"I cannot weep, nor answers have I none"

Rea beobachtete die Augen des Gefangenen. Aus ihnen sprach weder Trauer noch Angst. Regungslos stierten sie auf einen unbestimmten Punkt in der Wand.
Sie räusperte sich.
"Es kann doch nicht sein," begann sie, "dass du eine Leiche vor deiner Tür nicht bemerkt hast.
Der Lord schwieg.
"So wird es auch nicht besser."
Nicholo zwinkerte, sagte jedoch nichts. Rea schüttelte den Kopf und ging.

"Hell and Night will bring this monstrous birth into the world's light"

Ima saß in der Geflickten Trommel und lachte sich ins Fäustchen. Sein Plan ging auf. Dessalia würde gar keine andere Möglichkeit haben als Rodentigo zu heiraten, sie musste die Familienehre wieder in Ordnung bringen. Und wer bekam die Mine, wenn Nicholo im Gefängnis saß? Rodentigo, natürlich! Was sollte Dess auch damit anfangen. Und De Monta? Der gab sich mit dem Stadtleben zufrieden.
Wer aber würde Minenvorarbeiter werden? Er, Ima Bigg Nome. Rodentigo vertraute ihm und schuldete ihm Einiges. Es würde nicht lange dauern, bis er Rodentigo die Mine "freundschaftlich" abgenommen hatte und dann...
Aber, halt. Er musste sicher gehen, dass alles nach Plan lief. Er bezahlte und verließ die Trommel in Richtung Pseudopolisplatz.

Nicholo starrte noch immer an die Wand, als er bemerkte, dass die Wächterin schon lange gegangen und die Gefängnistür geschlossen war. Er war sich jetzt über einiges im Klarem, doch das nutzte ihm herzlich wenig. Carl war tot, daran konnte er jetzt nichts mehr ändern. Doch er musste mit Dess sprechen! Er musste ihr eine Nachricht zukommen lassen, dass er Carl nicht umgebracht hatte! Wie aber sollte er es beweisen? Er hatte kein Alibi, er hatte ein Motiv, wenn auch ein gefälschtes und er war der Wächterin nicht gerade bei ihren Ermittlungen entgegengekommen. Warum sollte ihm also irgendjemand glauben?
Dess würde ihm glauben, wenn er nur mit ihr sprach. Die Gitterstäbe lachten ihn höhnisch aus, die Steine grinsten bösartig, die Welt ergötzte sich an seinem Leid. Er war ein starker Mann, hilflos gefangen und dem Willen anderer ausgeliefert, die nichts Gutes mit ihm vorhatten. Zufrieden sahen sie zu, wie er versuchte sich aus seinen Fesseln zu befreien.
Wieder hörte er Schritte, doch diesmal waren sie schneller. Kam die Wächterin noch einmal zurück?
"..alleine mit ihm reden. Niemand darf uns stören, verstanden?", sagte eine Nicholo nur allzu gut bekannte Stimme auf dem Gang.
"Jawohl, Herr Nome", sagte Wächter Zahnstein.
Ein Schlüssel drehte sich in dem rostigen Schloss und der Troll machte eifrig einem recht kleinen Zwerg Platz. Er trug seine Axt bei sich und sah Nicholo, der seine Finger in das Holz des Bettgestells bohren musste um ihn nicht anzuspringen und zu erwürgen, bedrohlich an.
"Beweg dich und du bist tot" sagte er abfällig. "Der Troll kommt sofort wenn ich ihn rufe. Hör zu, ich habe mit der Sache nichts am Hut. Ich wusste bis heute morgen selbst nichts davon."
Nicholo spuckte auf den Boden. "Du glaubst doch nicht wirklich dass ich dir dass abkaufe. Das ist alles dein monströser Plan", zischte er.
"Nein. Dessalia hat sich das alles ausgedacht. Carl war ihr Mittel zum Zweck, so wie du. Ihr gehören jetzt deine Minen und alles, was sie jemals wollte. Was denkst du, warum du heute morgen so lange geschlafen hast? Hast du nichts seltsames in deinem Wein bemerkt?"
Nicholo starrte ihn an. Dess würde nie...
"Vor wenigen Stunden nur erfuhr ich, dass alles der grausame Plan der De Montas ist. Dessalia heuchelte Carl ihre Liebe vor und lockte ihn mit deiner Mine und schaffte dich und ihn mit einem Mal aus ihrem Weg."
Grausames spielte sich in Nicholos Kopf ab. Hatte er Ima unterschätzt? War er doch nur besorgt um ihn?
"Ich muss zugeben, ich konnte es nicht verhindern. Dess hatte Carl so sehr in ihren Bann gezogen, dass er dich für sie umbringen wollte. Ich habe ihn noch rechtzeitig erwischt. Doch ich wusste, dass mich seine Diener verfolgen würden und musste verschwinden."
In Nicholos Augen loderte es. Seine Hände zuckten. Ima hatte Carl umgebracht. Ima hatte ihn getötet und dafür saß er nun im Gefängnis! Er biss sich auf die Zähne um nicht laut zu schreien doch Ima blieb ruhig stehen. Voller Mitleid blickte er ihn an und lächelte dann gequält. Nicholo fiel auf einmal etwas ein, dass er nicht bemerkt zu haben schien. Auch Carl und Dess hatten viel Zeit miteinander verbracht, doch in seiner Nähe hatten sie selten viel miteinander geredet. Hatte Ima am Ende doch Recht?
"Carls Tod ist meine Schuld, doch ich kann es nicht mehr ändern. Nur eins bleibt mir. Ich werde dir helfen deine Freiheit zu erlangen, damit du Rache nehmen kannst. Auch an mir, wenn du willst, doch den Tod verdiene ich nicht, er wäre nur eine Erlösung von dem Leid dass ich mir selbst bereitet habe. Ich bitte dich, vertraue mir."
"Du willst mir helfen, aus dem Gefängnis herauszukommen?" fragte Nicholo.
"Ja, das werde ich. Dann kannst du selbst herausfinden, wer dich betrogen hat und du wirst sehen, dass ich die Wahrheit gesprochen habe."
"Was willst du dafür? Was versprichst du dir?"
"Ein ruhiges Gewissen, mein Freund."

"Not to pick bad from bad, but by bad mend"

Rea kam endlich dazu, sich den Leichnam genauer anzusehen. Nachdem sie das Taschentuch gesehen hatte und von Goldie einige Details über die Beziehungen der Zwerge erfahren hatte, kam ihr dies eigentlich unnötig vor, doch man wusste ja nie. Manchmal enthielten Leichen eine Information, die alles auf den Kopf stellte, was sich bisher ergeben hatte.
Vorsichtig schnitt sie den Bauch des Zwerges auf, kontrollierte den Mageninhalt - Rattatoui, außerdem eine nicht zu verachtende Menge Wein - stellte fest, dass er bei bester Gesundheit gewesen war und wollte ihn gerade wieder zunähen, als sie ein heiseres Räuspern vernahm.
Jack, mit dickem Wollschal und einer Pudelmütze bewaffnet, grüßte Rea mit einem lauten Niesen. Rea selbst nahm brav Haltung an wobei ihr gerade noch rechtzeitig einfiel, dass sie ein Skalpell in der Hand hielt.
"Ein Zwerg, ja?", sagte Jack und hustete ungesund.
"Ja. Eigentlich ist alles klar. Ich meine, er hielt einen Taschentuch in der Hand, welches dem Hauptverdächtigen ein einwandfreies Motiv gibt. Man sollte nur noch seine Freundin vernehmen, Goldie ist schon zu ihr unterwegs."
"Zu wem?"
"Dessalia De Monta, eine Zwergin die Lord The Llower geheiratet hat. Oder heiraten wollte so ganz klar ist das nicht. Aber der sitzt ja nun sowieso hinter Schloss und Riegel." Rea konnte den Stolz in ihrer Stimme nicht verbergen.
"Lord The Llower sagst du? Dieser große, dunkle Mann mit Händen wie Teller?" Jack runzelte die Stirn und putzt sich die Nase.
Rea nickte etwas verunsichert. "Immerhin hat man den Toten vor seinem Haus gefunden", erläuterte sie die Sachlage weiter, um sich zu rechtfertigen. "Und er sagt kein Wort hinsichtlich des Mordes. Für einen Unschuldigen verhält er sich zu verdächtig. Andererseits verhält er sich zu unschuldig für einen Verdächtigen.."
"Ich hole mir jetzt erst mal einen Tee", meinte Narrator und schniefte.
Reas Blick folgte ihm, bis er die Tür geschlossen hatte. Irgendetwas dass Jack gesagt hatte, hatte sie nachdenklich gemacht.
"..großer, dunkler Mann mit Händen wie Teller..", flüsterte sie, dann packte sie die Realität mit voller Wucht. Ohne den Leichnam zuzunähen oder ihn auch nur abzudecken rannte sie aus dem Seziersaal.

"Der wird schon wieder", knurrte Ima drängelnd. "Komm jetzt!"
Nicholo und der Zwerg kletterten über den reglosen Körper Zahnsteins und hechteten zur Tür. Dann zwangen sie sich zur Langsamkeit um nicht aufzufallen. Niemand war im Foyer des Wachhauses zu sehen und so konnten die beiden unbemerkt entkommen. Der Weg war nicht weit.

Rea wäre beinahe über Zahnsteins Arm gestolpert, doch sie konnte sich gerade noch rechtzeitig am Türrahmen festhalten.
"Horrr", brabbelte der Troll. Seine Augen zuckten unruhig hin und her und konnten sich auf keinen Punkt fokussieren. Aber immerhin lebte er noch.
"Was ist passiert?", fragte Rea gehetzt. Die Tür zu Nicholos Zelle stand sperrangelweit offen. Er war geflohen, aber wie..
"Zwerg geben Platte..."
"Waaaaas?" Reas Augen weiteten sich. "Es kommt gleich jemand um dir zu helfen", sagte sie dann, drehte sich um und lief zum Wachetresen, wo sie zwei müde wirkende Rekruten in aller Kürze den Sachverhalt erklärte und dann zur Tür hinausstürmte.

"I am glad...to see you mad"

Der Mond stand bereits am Himmel als Ima und Nicholo das Haus der De Montas betraten. Es war ruhig und es schien, als sei nie etwas geschehen. Die Dinge standen dort, wo sie immer standen. In einem Schirmständer lehnten mehrere Äxte, ein reichverzierter Spiegel, der auf menschlicher Kniehöhe angebracht war, diente als Ablage für Helme und auf einem Wärtikoh, für Menschen von der Größe einer Kommode, stand ein Strauß Blumen.
"Wer ist da?", fragte die helle Stimme Dessalias aus einem Nebenzimmer.
"Dess." Nicholos Stimme war kühl wie der Wind, der auf einmal durch das Haus ging. Ima schloss die Tür.
"Nicholo!", ein Unterton des Hasses, so schwer wie Blei drang durch die Wände des Vorzimmers und erschütterte sie selbst aufs Tiefste. Es war, als kündigte der Donner den Blitz an.
"Komm her. Wir müssen reden." Es war ein Befehl. Nicholo erschauderte bei seinen eigenen Worten doch alles ergab Sinn. Ach, wäre ihm dass mit der Rassengleichheit doch nie in den Sinn gekommen! Er hätte eine anständige Frau geheiratet und keine durchtriebene Zwergin der es nur nach Gold und nicht nach Liebe gelüstete.
"Wir reden allein. Im Turm." Ach, hätte sie sich doch nie auf so eine verrückte Idee eingelassen. Zwerge und Menschen gehörten nicht zusammen. Einen halben Meter höher war die Luft so schlecht, dass sie die besten Gedanken verdarb. Kein Wunder dass sich die Menschen eine Stadt wie Ankh-Morpork errichtet hatten. Sie stank geradezu nach Korruption und Falschheit.

Rea rannte so schnell sie ihre Beine trugen und das war Dank des täglichen Trainings gar nicht mal so langsam. Die Gutschnellstraße war momentan gut befahren und sie musste aufpassen, nicht unter die Räder einer Kutsche zu gelangen, die ihre reichen Insassen von ihren täglichen Geschäften heimfuhr.
Keuchend stand sie vor der Tür des Anwesens und betätigte den Türklopfer. Keine Antwort. Sie klopfte noch einmal. Wieder Nichts.
Sie versuchte durch die Fenster des Hauses zu sehen, doch der Mond schien so hell, dass sie nur sich selber sehen konnte.
Sie überlegte nicht lang und rannte weiter.

"Wie konnte ich dir nur Vertrauen!", Dessalia standen Tränen in den Augen.
"Glaubst du, deine Tränen könnten mich erweichen? Da hast du dir den falschen Mann ausgesucht!"
Dess kletterte auf die kleine Feldmauer, die den Turm der De Montas umrandete. Sie wollte dem Betrüger in die Augen sehen, die Wahrheit aus seinem Mund hören.
Nicholo konnte ihr Gesicht nicht sehen, der Mond schien in ihrem Rücken und hüllte sie in einen feenhaften Glanz. Er ging einen Schritt auf sie zu.
"Einen Schritt näher und..."
"Und was? Willst du mich umbringen? So wie Carl?", Nicholo trat noch einen Schritt nach Vorne. Er musste ihr Gesicht sehen. Konnte sie ihn immer noch so anlügen wie sie es wochen- ja monatelang getan hatte?
"Duuuu hast Carl umgebracht, du brauchst es gar nicht erst abzustreiten!" Dess bereute es auf den kleinen Vorsprung geklettert zu sein. Hinter ihr lauerten zehn Meter tödliche Tiefe. Doch sie würde keine Schwäche zeigen. Er würde sie nicht einschüchtern.
"Wir sind hier unter uns, Dess. Niemand kann uns hören. Sag mir die Wahrheit und ich verschwinde für immer. Sag es mir nur ins Gesicht!"
Plötzlich standen die beiden nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt. Ihre Augen ließen nicht voneinander ab.

Fackelschein erhellte die Fenster des De Monta Anwesens. Dort war jemand zu Hause. Rea blickte zum Turm. Im Mondschein konnte sie zwei Schatten erkennen. Der eine war groß und muskulös, der andere eher klein und gedrungen. Rea kümmerte sich nicht darum anzuklopfen. Sie riss die Tür auf und sah in ihren Augenwinkeln einen Zwerg. War es tatsächlich ein Zwerg? Rea war sich nicht sicher, denn selbst für die Zwergenspezies war er recht klein. Mit schnellen Schritten versuchte er sich ihr in den Weg zu stellen.
"Nein", rief er und versuchte Rea zu erreichen. Ihr fiel auf, dass er unbewaffnet war. Die Äxte standen fein säuberlich in einem Schirmständer.
"Doch", sagte Rea und rannte eine Wendeltreppe hinauf, die sich glücklicherweise als Turmaufgang herausstellte.

War der Blitz eben noch durch den Donner angekündigt worden, fand er sich mit einiger Verspätung doch ein. Spannung knisterte zwischen den beiden Augenpaaren und zog die dazugehörigen Personen in ihren Bann. Auf einmal registrierte Dess eine Bewegung in den letzten Winkeln ihres Sichtfeldes.
"Fass mich nicht an!", schrie sie und versuchte, Nicholo zurückzustoßen. Doch sie hatte sich verrechnet. Nicholo war so gebannt von allem, was er gerade in Dess' Augen gesehen hatte, dass er sich keinen Millimeter von der Stelle rührte. Ihre eigene Kraft schleuderte Dess zurück in das hungrige Maul der Tiefe.

Rea kam aus dem Treppenaufgang gehastet und erkannte im Bruchteil einer Sekunde die Situation.
"Nein!", wollte sie rufen, doch da war es schon zu spät. Die Zwergin fiel rücklings über die Mauer und Nicholo, der sich nicht im Geringsten bewegt hatte, schrie auf einmal aus Leibeskräften und wäre ihr nachgesprungen, hätte er nicht im selben Moment eine Hand auf seiner Schulter gespürt, was seine Sinne für kurze Zeit den Geist aufgeben ließ.

Dess' Augen weiteten sich. Nicholos Augen sahen ihr nach, dann verschwand er aus ihrem Sichtfeld und auf einmal packte sie die Realität: Er war nicht schuld! Dann schrie sie und weit entfernt hörte sie auch Nicholo schreien bis auf einmal alles vorbei war.
Sie rappelte sich auf und blickte in ihre eigenen toten Augen. Die Realität traf sie noch einmal und diesmal mit voller Wucht: Sie war tot.
IST ES DAS?, fragte eine Stimme hinter ihr.
"Wie 'das'?", fragte Dess aufgebracht. "Ich bin gerade gestorben, verdammt."
ICH FRAGTE MICH NUR, OB ES DAS HIER IST, WAS DIE LEUTE ALS LIEBE BEZEICHNEN. Tod war ein wenig verlegen, immerhin starben die Leute nur einmal und sie dann direkt mit Fragen nach der Liebe zu nerven war vielleicht nicht gerade höflich.
"Liebe? Ich bin tot, weil ich jemanden geliebt habe!" Sehnsüchtig schaute Dess nach oben. Tränen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, füllten ihre Augen.
SELTSAM. OBWOHL SIE WISSEN, DASS SIE DESHALB LEIDEN MÜSSEN, LIEBEN DIE MENSCHEN. JEMAND SOLLTE EINE TRAGÖDIE DARÜBER SCHREIBEN. WAS DENKST DU, BINKY?
Der Hengst schaute kurz auf und wandte sich dann wieder den Möhren zu, die Tod zuvor für ihn aus der Satteltasche geholt hatte. Er kümmerte sich nicht um philosophische Fragen so lange er genügend Futter bekam.
Dessalia De Montas Gestalt wurde blasser. Eine einzelne, silberne Träne kullerte aus ihren Augen tropfte auf das Kopfsteinpflaster und zersprang in tausend Perlen die wenige Augenblicke später verschwanden.

"Willow, willow, willow"

"Es nützt nichts." Reas Hand lag schwer auf der Schulter des Lords doch beruhigen konnte sie ihn nicht.
"Ich kenne jetzt die Wahrheit", sagte er tonlos. Unten auf dem Boden lag sie. Tot. Mit Sicherheit.
"Ich auch." Rea senkte den Kopf. Sie war zu spät. Sie hatte es nicht mehr verhindern können.
"Komm." Nicholo wandte sich um und stieg die Treppen hinab.
Von unten war das Zerbersten einer Vase zu hören und Rea erkannte, wie eine Zwergin sich eine Prügelei mit Ima lieferte. Ein weiterer Zwerg lag bewusstlos am Boden.
"Du hinterhältiger, gemeiner Schuft!", schrie Goldie und nahm Nome in den Schwitzkasten.
Erleichtert japste sie, als sie Rea und Nicholo erkannte. "Er hat mich eingesperrt! Ich wollte mit Dessalia De Monta sprechen und er hat mich hinterhältig überlistet!"
Auf Goldies Stirn prangte eine große Beule und aus ihrer Nase tropfte ein wenig Blut.
Nicholo schnappte sich Nome beim Schlafittchen und zog ihn auf Augenhöhe hoch.
"Duuuu... Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es verdammt noch mal wissen müssen. Es war alles dein Plan! Dein dämonischer Plan! Zwei Zwerge sind wegen dir gestorben du räudiger Hund!" Seine Augen glänzten im Fackelschein des Vorzimmers und deuteten an, dass sich die Wut des Multiversums nun auf Ima abladen würde.
"Es soll bei zwei Toten bleiben, Nicholo", sagte Rea, zu ihrem eigenen Erstaunen ruhig und gefasst.
"Der Tod ist nur eine Erlösung. Die sollst du nicht erhalten, du Gnom!"
Rea kniete sich neben den bewusstlosen Zwerg und fühlte den Puls. "Was hast du mit dem hier angestellt?"
"Ich? Das war der Kerl dadrüben!", sagte Goldie und hielt sich die aufgesprungene Lippe. "Er kam hierher, kurz nachdem ich mich befreit hatte. Ich kam hierher und lauschte zunächst. Rodentigo," sie gab dem Zwerg am Boden einen Tritt, "war in die ganze Sache verwickelt, wollte aber im allerletzten Moment aussteigen. Hat Schiss bekommen, weil ich hier war."
Rea nickte. Sie drehte sich um – Ima lag gefesselt am Boden, doch wo war Nicholo?

"Killing myself, to die upon a kiss"

Die Gerichtsmedizinerin sah zu, wie die Trolle zwei Leichen transportbereit auf zwei Bahren legten. Sie hatte es nicht mehr verhindern können, weder das Eine, noch dass Andere.
Ima hatte gestanden. Er hatte Carl getötet, um dessen Posten zu erlangen. Alles war eine Fälschung gewesen. Die Axt, die er Nicholo gestohlen hatte, hatte man auf dem Ankh gefunden. Goldie hatte versucht, mit Dessalia zu sprechen. Von Zwergin zu Zwergin wäre dies sicher einfacher gewesen. Doch Ima hatte sie mit der flachen Seite einer Axt ruhig gestellt. Dann hatte er den Hass zwischen Dessalia und Nicholo weiter schüren wollen. Doch er hatte nicht ahnen können, was dann geschah.
"Woher wusstest du, dass es nicht der Lord war, der meinen Onkel getötet hat?", fragte Goldie und bedeckte ihre Augen mit den Händen, als die Trolle Nicholos zerschmetterten Körper auf eine Trage legten.
"Die Kerbe in seinem Kopf war hinten viel tiefer als vorne. Jemand, der kleiner war als Carl musste ihn getötet haben, ansonsten wäre der Spalt gerade verlaufen."
Goldie schluckte. Sie hatten Ima gerade festgenommen, als Nicholo auf einmal verschwunden war. Seine Schritte hatte man noch im Turm hallen gehört, als das Geräusch eines dumpfen Aufschlags ihnen seinen Tod verkündet hatte.
"Ist es das, Goldie? Lieben wir nur, um zu Leiden?"
Goldie antwortete nicht.
Rea betrachtete die beiden Leichen, die transportbereit auf den Bahren lagen. Dessalias Gesicht war beinahe unverletzt. Ihre Haare hatten sich blutrot gefärbt, ein zynischer Kontrast zu ihrem rosa Kleid. Ihre Augen starrten anklagend ins Leere.
Neben ihr lag Nicholo. Die Augen geschlossen, wie im Schlaf. Er lächelte, als träume er von etwas Schönem. Seine schwarzen Haare glänzten rot als die Sonne hinter einer Wolke hervorkam, um ihre Anteilnahme zu zeigen.
Rea kniete sich nieder und schloss mit zwei Fingern die Augen Dessalias. Dann nahm sie ihre Hand, geöffnet und ohne Spuren des Sturzes und legte sie in die Nicholos.
Man kann aus Leichen lesen wie aus einem Buch, dachte Rea, doch leider gibt es nie ein Happy End.




Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

11.08.2005 23:34

Lob: In deiner Geschichte gab es einen gut nachvollziehbaren Plot, der um die interessanten Charaktere herumfloss und die Neugier auf das Ende aufrecht erhielt. Das Ganze las sich wie ein klassischer Intrigensumpf des geschätzten Shakespeare.

Kritik: Es schien mir nicht ganz nachvollziehbar, dass Zahnstein von dem Platte nahm. Immerhin war die Situation höchst allarmierend. So weit sollte sein Wächterdasein sich schon in ihm verinnerlicht haben, dass er hätte mißtrauisch werden müssen.

Von Laiza Harmonie

12.08.2005 06:58

Nun, da ich ja was schreiben muss ;-), hier meine Meinung:

Ich finde dass die Single sehr rund ist, man kann sie gut Lesen, sie hat keine Macken und keine Logikfehler.
Du hast auch den Anfang der Story sehr schön verbessert. Wenn man jetzt liest dann kommen die Zwerge viel besser herüber, vorher hatte man nicht sofort das Gefühl, dass sich dort Zwerge unterhalten.

Die 13 ist meiner Meinung genau die Richtige Note für diese Single. Wenn man sie allerdings mit Weiß, nicht unschuldig vergleicht fehlt eindeutig ein Happen Gefühl. Obwohl die aktuelle Single eigentlich Emotionsvoll von der Story ist, hast du das nicht soo gut herüber gebracht. Es ist einwenig "Gefühlsflach". Aber das hatte ich dir ja schon gesagt.
Im Grunde ist es auch nicht sooo schlimm, aber es ist das kleine Extra das dir beim nächsten Mal vielleicht sogar eine 14 einbringt...

@Ophelia: Ich find nicht, dass man die Szene mit Zahnstein wirklich kritisieren kann. Ich habe da beim lesen nicht so drauf geachtet, aber wenn man im nachhinein darüber nachdenkt, glaube ich das Ima das rednerische Talent gehabt hatt um Zahnstein dazu zubringen die Platte zu nehmen.


Ich freu mich auf deine nächste Single! Denn du bist eine große Bereicherung für die Wache. Auf die nächste 13! :-D

Von Goldie Kleinaxt

12.08.2005 22:14

Hab die Kritik zwar versprochen, weiß aber jetzt nicht so recht was ich schreiben soll.
Sie hat mir schon gut gefallen. Ich gratuliere zum Ribbon :) !
Und alles was ich an Kritik anbringen kann, fällt in die Kategorie "Geschmacksache". Ich kannte Othello nicht im Detail und habe deine Story daher auch nicht damit in Verbindung bringen können. Dadurch wurde ihr im meinem Fall ein sehr großer Teil ihres Reizes genommen. Es ist sogar so, daß für mich in Unwissen der Shakesspeare-Adaption die Geschichte nicht nur in Teilen ihren Reiz verloren hat, sondern ich sie auch gewissermaßen zu "strange" gefunden habe.

Edit: ich fand die Adaption in der Scheibenwelt ein wenig deplatziert, da dieses moralische und humanistische Gedankengut Shakespeares irgendwie nicht in die SW passt

Von Cim Bürstenkinn

13.08.2005 09:32

ja, super. sehr gutgemacht. der alte William wäre stolz auf Dich gewesen.
Wie gesagt, eigentlich hast Du nur die Charaktere ausgetauscht, und daraus haben sich contextuelle Änderungen ergeben, die Du mit großer Ernsthaftigkeit durchgezogen hast. Die Geschichte auf die Scheibenwelt adaptiert hast Du eigentlich nicht, was in der Verwendung der originalen , englischen "Zitate" kulminiert hat. Ich meine, die Stellen stammten 1:1 aus Othello, und wurden einfach nur verwendet.

Das Ribbon war aber alle Mal verdient, aber ich wurde das Gefühl nie los, dass Du eigentlich nicht genau weisst was Du mit der Story bezwecken willst.

liebe grüße,

Cim

Von Sillybos

23.08.2005 07:45

Gratulation zum Ribbon! Hätte ich von Othello mehr als nur eine Zusammenfassung gekannt, hätte ich vielleicht anders gewertet, aber so denke ich, dass die Note gerechtfertigt ist. Der bisherigen Kritik habe ich nicht viel hinzuzufügen, bis auf einen ganz klitzekleinen - unverbindlichen - Gedanken (ich weiß, ich bin furchtbar pedantisch): Wenn aus einer Aussage nicht sofort ersichtlich ist, in welchem Tonfall sie gesprochen wird, dann könntest du erwägen, den Tonfall vor die entsprechende Aussage zu setzen anstatt dahinter.
Und wenn ich schon solche Haare in der Suppe finde, heißt das, dass ich den Rest voll in Ordnung fand! :)

Gruß Silly

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