Von Problemen mit Karottencreme

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von Gefreite Tussnelda von Grantick (RUM)
Online seit 13. 07. 2005
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 Außerdem kommen vor: Araghast BreguyarKathiopeja

Ein Hausfrauenaufstand macht die Wache auf die Kosmetikfabrik von Schnapptopf Donnerstoß aufmerksam. Dann wird der zweite Geschäftsführer plötzlich ermordet. Tussnelda von Grantick versucht verzweifelt ihre Sporen als Püschologin zu verdienen.

Dafür vergebene Note: 12

Mitternacht schlug der alte Tom und alles war gut. Irgendwo weit, weit weg wachten die Tänzer schweigsam über den Schlaf der Wälder und alles war gut. Hoch oben, über der Stadt, hoch oben wachte sie und lächelte, denn alles war gut.
"Schlaf schön Ankh-Morpork", flüsterte sie und sprang mit seidig wehendem Umhang und Haar die Brüstung hinab und fiel frei bis genau zum letzten möglichen Moment. Rechtzeitig löste sich ein Gummiseil aus einer Armbrust, am anderen Ende baumelte ein Enterhaken, und grub sich mit einem kleinen "Pling" in eine Wand. Leicht wie eine Feder glitt sie daran in die schwarze Nacht und verschwand schließlich wie ein Schatten im aufkommenden Nebel...


***


Tussi gähnte kräftig. Eben gerade hatte das allgemeine Gebimmel der Gildenuhren acht Uhr angekündigt und damit war sie weit früher wach, als eigentlich nötig. Genauer gesagt hatte sie gar nicht geschlafen. Ihre erste Nachtschicht lag hinter hier und damit das ewige Geschwätz besserwissender Wächter und der unvermeidliche Besuch von Amalie Willichnicht. Das einzig Interessante war der kleine Ausflug gewesen, bei dem sie dem diensthabenden Wächter etwas "Ratte am Spieß" (blutig) besorgte. Nun hatte sie es geschafft und obwohl sie müde war, wie ein Bär nach dem Schwimmunterricht, konnte sie nicht schlafen. Ergeben rappelte sie sich auf, setzte sich ihren Helm auf den Kopf und steckte ihre Dienstmarke an. Wenn sie nicht schlafen konnte, würde sie wenigstens etwas sinnvolles tun und hier und da nach dem Rechten sehen. Mit hier und da meinte sie natürlich direkt am Viehmarkt, wo man sie 1. von der Wache aus sehen konnte und wo es 2. sicher ein Frühstück geben würde. Gelegentlich verirrte sich sogar ein annehmbarer Händler hierher, der neu in der Stadt war und dem es schwer fiel, zwischen einem hämischen und einem freundlichen Grinsen zu unterscheiden. Sie gab der Tür einen Stoss – vor ihr lag Ankh-Morpork.
Ein Rattenloch in Reinkultur hätte ihr Vater es genannt. Bei solchen Äußerungen übersah er gerne, dass sein eigenes Heim eher einer Baustelle als einem herrschaftlichen Anwesen glich. Vermutlich übersah er es zwar nur, weil er – wie so viele Adelige in Quirm – seine Zeit mit dem Genuss hochgeistiger Getränke verbrachte. Oder weil es der Familie in den Genen lag, zu übersehen, dass der Reichtum der von Granticks in der Spirituosenfabrik von Quirm angelegt war. Aber mit was sonst sollte man sich in Quirm auch schon den Tag vertreiben? Ankh-Morpork dagegen war anders, ganz anders. Ankh-Morpork war wie ein alter, gut gelegener Käse. Voller Leben. Auch hier trank meinen einen über den Durst, das mochte sein. Doch hier tat man es aus Überzeugung, zur Abwechslung nach eines langen Tages (oder einer langen Nacht) Arbeit. Die Stadt an dem zähsten Fluss, den Tussi je gesehen hatte, war so voller Vitalität, dass es sogar eine Wache brauchte, um dem Einhalt zu gebieten. Und sie – eine von Grantick – lebte hier! Verdiente echtes Geld! Erfüllt von diesem Gedanken ging sie fröhlich pfeifend die Strasse hinab und hielt Ausschau nach einem Händler.
An einer anderen Stelle des Viehmarkts rumorte die stinkende Luft. Lockenwickler hingen unter Schlafhauben hervor, Nudelhölzer reckten sich vereinzelt in den Himmel. Es wurde geschimpft und gelästert. Die Hausfrauen waren wach, hatten ihre Männer mit Butterersatzbroten versorgt, die Küche gefegt, die Kinder gewickelt und waren nun bereit, ihre Meinung der Öffentlichkeit kund zu tun. Das war keine Seltenheit. Hausfrauen ballten sich stets an Märkten, um ihren Unmut über die Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen zu bezeugen. Heute war es anders. Es fehlten die Gurken im Gesicht und der ölige Glanz von zuviel Lippenstift. Es fehlte der Geruch von "Eau de Übsch", von "Leidenschaft" und "Heißes Feuer". Die männlichen Händler bekamen Angst, die Weiblichen spitzten die Ohren. Eine Ungerechtigkeit machte die Runde, etwas was sich eine Frau nicht gefallen lassen konnte – nicht wollte. Das Rumoren wurde lauter und schwappte langsam über den ganzen Markt. Ein rotwangiger Bube schoss währenddessen den Vogel ab.
"HALT", brüllte Tussi aus Leibeskräften.
Gerade eben hatte sie einen dummen Händler erspäht, der neu in der Stadt war und in den Schatten köstliche belegte Brote anbot, als dieser seine Siebensachen zusammen packte und seinen Standort verlassen wollte. Panisch sah der Händler zu ihr, drehte sich um, fixierte einen für Tussi unbekannten Punkte, steckte sich die Finger in den Mund und knabberte an den Fingernägeln, drehte sich wieder zu Tussi, machte einen Schritt nach vorn, zwei nach links, drei nach hinten, fing an seine Ware auf einem Wagen zu stapeln, schwitzte, sah Tussi an, blickte nach hinten, schrie kurz auf und übergab dann Tussi hastig drei verbliebenen Kisten, kletterte auf seinen Wagen, knallte mit der Peitsche und war weg. Tussi sagte:
"Hä?"
Wäre Tussi in der Lage gewesen, über die drei Kisten zu schauen, die sie ganz perplex auf dem Arm balancierte, hätte sie den Mann vielleicht verstanden. Das Schicksal wollte es aber anders und so ging Tussi exakt fünf Sekunden später zu Boden und wurde von Kisten und vielen Füssen getreten. De facto traten natürlich nur die Füße aber den Unterschied hätte Tussi augenblicklich nicht bemerkt. Minuten später war das Getrampel vorbei und völlig zerstört erhob sich die junge Rekrutin, um sich umzusehen. Der Viehmarkt war leer. Völlig ausgestorben von Leben, kriechende Subkulturen ausgeschlossen. Zu denen gehörte momentan auch Tussi.
"Hallo?"
Keine Antwort. Von Niemand.
"Der Viehmarkt ist wie ausgestorben", murmelte sie, während sie sich langsam in Bewegung setzte.
"Das kann man so ja jetzt nicht sagen", geiferte eine Stimme, die piepsig klang.
"Hä?", sagte Tussi und sah sich um.
Knapp unter ihrer Nase vollzog sich eine Hüpfbewegung, wie von einem mutierten Grashüpfer. Selbstverständlich gab es in Ankh-Morpork keine Grashüpfer, aber etwas ganz ähnliches, Gnome nämlich.
"Wer-Was bist du denn?", fragte Tussi perplex, einen Gnom hatte sie noch nie gesehen.
"Was ICH bin? Sieht man das denn nicht? Bist du denn eine völlige Idiotin?", schimpfte der Gnom mit einer Stimme wie Kreide.
Tussi guckte, guckte genau und zuckte dann mit den Schultern.
"Ne, keine Ahnung. Aber ich bin im Einsatz und habe keine Zeit", antwortete sie ihm und wandte sich ab. Langsam kehrte der Rest der Bevölkerung auf den Markt zurück, jeder nahm sein Geschäft wieder auf und versuchte möglichst unbeteiligt zu schauen. Ein kleiner Junge grinste Tussi an. Dann lief er weg.
"Bist du blöde! Lässt dich auf offener Strasse beklauen", keifte der Gnom.
"Hä?"
- "Na der Bengel da! Hat dir deine hässliche Blechmarke geklaut, ohne jede Lizenz", lachte der Gnom jetzt und hüpfte ungebeten auf Tussis Schulter.
"Hinterher", brüllte er direkt in Tussis Ohr, jahrelanger Drill tat sein übriges und sie rannte los. Eilig machten ihr die wiederkehrenden Marktleute Platz, eine Ausnahme wohl in Ankh-Morpork, aber noch mehr Ärger wollte an diesem Tag keiner haben. So konnte der bisher namenlose Gnom ganz genau beobachten, wie der Flüchtige in Richtung der Unbesonnenheitsstrasse rannte und gab Anweisung:
"RECHTS!"
Obwohl Tussis Ohren klingelten, kam sie dem Befehl automatisch nach, gleich dass er von einem elenden Zivilisten kam. Gehetzt von dem Gnom auf ihrer Schulter verflüchtigte sich der Gedanke sofort wieder.
"DA! DA!", keifte der Gnom gellend.
Vor ihnen verschwand der Bursche gerade um eine Häuserecke. Tussi beschleunigte ihren Schritt weiter, rannte ebenfalls um die Ecke und – prallte in eine Menschenmenge. Erst in diesem Augenblick bemerkte sie das Stimmengewirr aus verärgerten Gekreische, zustimmendem Gemurmel und klimpernden Armreifen.
"Wir wollen unser Geld zurück!"
"Schiebung! Arme Leute ausnutzen!"
"Quacksalber!"
Die gesammelte Hausfrauenschaft von Ankh-Morpork schien hier zu sein, zu zetern und zu meckern.
"Äh", sagte Tussi. Mit so viel geballter Frauenkraft hatte sie nicht gerechnet.
"Äh", sagte sie noch mal und tippte vorsichtig eine wuchtige Dame in grünen Rock und gelber Bluse an.
"Was geht denn hier vor?"
Die Frau wirbelte zu ihr herum.
"Was hier vorgeht? Die Stadtwache will wissen was hier vorgeht? Das werde ich dir sagen, FRÄULEIN!"
Tief atmete die Person ein, dann wieder aus, wobei sich ein Schwall schlechter Gerüche über Tussi ergoss.
"Diese Quacksalber schreiben seit Jahr und Tag "Made in Ankh-Morpork" auf ihr Schmierzeug und ahnungslos benutze ich die Lippenpaste "Backsteinrot" und was müssen wir dann erfahren?! Was hält man vor uns geheim?! Womit betrügt man uns seit JAHRZEHNTEN?"
Ergeben fragte Tussi: "Womit?"
"Das werde ich dir sagen, FRÄULEIN", erwidert das Weib wieder mit der unangenehmen Betonung. "ÜBERSEE! In ÜBERSEE wird das Zeug gefertigt! Von armen kleinen Buben wie dem da!", erzählte die Frau keifend und deutet auf einen kleinen Jungen.
"HINTERHER!" gellte da wieder der Gnom auf ihrer Schulter. Tussi begann sich ernsthaft zu fragen, woher das eigentümliche Interesse des Gnoms an ihrer Dienstmarker herrührte. Dennoch – Sie setzte sich in Bewegung, schob und drängelte sich durch das Gewirr kurviger Leiber.
Und Tussi rannte. Die Strasse lag vor ihr im morgendlichen Dunst, Frauen keiften böse hinterher. Sie würde sich nicht die Dienstmarke von jemanden abnehmen lassen! Na gut, das war geschehen, aber der Kerl würde damit nicht durch kommen. Während sie hinter dem Jungen herlief, erkannte sie, dass er eindeutig dunklerer Hautfarbe war, als der Standard-Ankh-Morporkianer. Außerdem trug er nur kurze Hosen, ohne Hemd. Schon fragte sich Tussi fürsorglich, ob ihm nicht kalt war. Dann stolperte der Kerl.
"Hab ich dich!"
Der Gnom zeterte beifällig.
"Tu nix!", jammerte der Junge. "Tu nix! Wollte nur..."
"Du wolltest nur meine Dienstmarke klauen. Und jetzt willst du sie mir wieder zurück geben und wenn du Glück hast..."
"Nix Gilde! Nix Gilde!", heulte der Junge, als Tussi gerade damit drohen wollte.
"Ist schon gut, Kleiner. Nein, ich erzähl nichts der Gilde."
Der Junge krallte seine kleinen Händchen in ihren Gambeson und fing bitterlich an zu weinen. Schockiert sah Tussi wie mager der Junge war und vor allem – wie dreckig.
"Tschtsch", machte sie beruhigend "jetzt sag doch erst mal wie du heißt und dann bringe ich dich nachhause."
"Nix nachhause! Arbeit! Ich finde Arbeit und mache alle satt", sagte der Junge. Tränen malten helle Spuren auf seinem Gesicht. "Ich Arif", stellte er sich dann vor und heulte hemmungslos weiter.
Schlechtes Gewissen übermannte Tussi. Zu Hause war sie sicherlich keine gebogenen Tafeln gewohnt gewesen, aber immerhin hatte sie nie WIRKLICH Hunger gehabt. Und nun jagte sie einen ausgemergelten Knabe wegen einer bescheuerten Dienstmarke. Sie kniete sich zu Arif und tätschelte vorsichtig seinen Kopf.
"HE! Schlaf nicht ein! Ein DIIIIEB! Ein dreckiger DIIIIIEB! Der muss eingesperrt werden!", gellte es vom Gnom.
Entschlossen erhob sich Tussi, wischte den Gnom von ihrer Schulte und als er auf dem Boden landete verpasste sie ihm einen Tritt.
"Du hast mich lange genug genervt", rief sie ihm hinterher und bückte sich wieder zu Arif. Wie auf Kommando umschlang er mit seinen dürren Armen ihren Hals. Tussi kehrte zurück ins Wachhaus.

***


Arifs Geschichte war schnell erzählt. Er war aus Klatsch hierher gekommen, weil er hoffte, hier eine bessere Arbeit zu finden.
"Niemand findet mich", hatte er stolz erzählt.
Auf die "Perle des Südens" nämlich hatte er sich geschlichen, um nach Ankh-Morpork zu kommen.
"Aber wieso Ankh-Morpork? In Klatsch gibt es doch auch jede Menge Arbeit", hatte Tussi gefragt.
Arif hatte ihr daraufhin erklärt, dass es in Klatsch zwar Arbeit für Kinder gebe, aber eben keine, die wirklich viel Geld einbrächte. Und schließlich habe er 14 Geschwister, der Vater sei tot, die Mutter schaffte es nicht allein. Er war der Älteste, der Mann im Haus und habe einfach seine Verantwortung übernehmen wollen. Und schließlich hatte der Herr Donnerstoß eine große Halle in Klatsch, wo nur Kinder arbeiteten. Aber da konnte man nicht viel Geld verdienen.
"Muss alles transportiert werden, Schiff ist teuer", erzählte Arif verständig. Dann hatte er sich entschlossen, eben vor Ort zu arbeiten.
"Wenn ich da, muss Schiff nicht zahlen, ist mehr Geld", grinste Arif verlegen. Aber in der Kosmetikfabrik hatte man ihn abgewiesen. Dort wollte man keine Kinder arbeiten lassen. Nun also versuchte Arif einen anderen Posten zu finden, damit er endlich seiner Familie Geld schicken konnte. Laut seufzte er.
"Kein Arbeit für viel Geld. Also klauen", sagte er traurig und blickte mit schwarzen Augen Tussi an.
"Was mach ich nur mit dir?", überlegte Tussi. Viel Geld hatte sie nicht. Und das was sie verdiente verbrauchte sie schneller, als sie gucken konnte. Und da ihre Ausbildung bald zu Ende sein sollte, würde sie nicht mehr in der Kröselstraße wohnen. Eigentlich hatte sie sich schon darauf gefreut, eine eigene Wohnung zu haben. Ihren Eltern sollte sie auch mal was zukommen lassen.
"Die versaufens eh wieder nur", sagte sie laut, in einem Anfall von Aufmüpfigkeit.
Fragend sah Arif sie an.
"Ach nichts", antwortete sie und wedelte ungeduldig mit der Hand.
"Im Notfall könnte ich meine Stiefel verkaufen", dachte sie und sah bedauernd auf die blankgewienerten Spitzen ihres ganzen Stolzes. Das Teuerste, was sie jemals besessen hatte – und je besitzen würde. Ein Erbstück. Von der Ur-Ur-Ur-Oma.
"Nicht die Stiefel", seufzte sie traurig, was ihr wiederum einen Blick von Arif einbrachte.
"Na schön. Ich habe keine Ahnung, was ich mit dir machen soll. Am besten wäre es wohl, ich würde dich einfach zu einem Schiff bringen, das dich nachhause fährt. Aber da machst du wohl nicht mit. Bei einer der Gilden wärst du vielleicht nicht am schlechtesten dran...", überlegte sie laut.
Arif beobachtete sie aufmerksam.
"Die Bettlergilde, ehrliche Leute. Ich glaube, Königin Molly oder so ist Vorsitzende. Ich weiß zwar nicht, ob du dort genug Geld für zu Hause verdienst, aber, na ja... du wärst unter. Ich glaube, da brauchen wir keinen Gildenexperten."
Arif sah zwar nicht wirklich glücklich aus, aber immerhin machte er nicht mehr so ein erschrecktes Gesicht, wie bei der Erwähnung der Worte "nachhause fahren". Tussi überkam deswegen ein etwas merkwürdiges Gefühl. Wäre der kleine Arif nicht doch genau dort besser dran? Im Gleichen Moment begann Arif emsig zu nicken.
"Gilde! Ja, Gilde!", rief er.
Tussi nickte. Mehr konnte sie erst mal nicht tun. Aber sie würde das im Auge behalten...

***


Monate später

Eine Grille zirpte.
Sie grinste. Sie würde die Gerechtigkeit dorthin bringen, wo sie gebraucht wurde. Und sie wusste, wo sie gebraucht wurde. Sie war die Einzige, die das wusste. Und sie würde tun, was getan werden musste. Unaufhaltsam. Oh ja, es würde Neider geben. Böse Menschen, die versuchen würden, sie aufzuhalten. Aber sie würde... sie würde wissen, was zu tun war. Leise schlich sie durch die Gassen, da die Eingangstüre, der Schlüssel verursachte kein Geräusch, als sie ihn ins Schloss schob. Da die Tiegel, dort die Töpfe, hier ein Licht. Husch, husch, eilte sie in den Schatten, der ihr ein Gesicht gab, wie sie es sonst nicht kannte. Im Schatten hatte die Furcht keinen Platz, nicht der Skrupel. Im Schatten kam die Gerechtigkeit. IHRE Gerechtigkeit. Nun, ein Schritt, weiter, noch einer. Schnell, durch das Geschäft, schnell durch das Lager. Das Kontor. Da saß er. Fett, unansehnlich, ungerecht. Die Strafe folgt, die Strafe folgt immer. Ein Stein, schwer in ihrer Hand, hindurch. Durch das Fenster des Kontors. Ein gezielter Schuss, das Licht aus. Jetzt, schnell, handeln, nicht zögern.
"Was machst du hier? Um die Zeit? Und was soll das? Das wird jemand bezahlen müssen!"
Wortlos ging sie zu ihm, langsam, gemächlich. In ihren Ohren erklang ein klarer Chor von Stimmen. Ihre Augen weiteten sich. Mit einem Satz sprang sie durch das Fenster, ihre Füße zerbrachen die Scherben in tausend Splitter. Keine Miene zog sie dabei. Ihre behandschuhte Hand reckte sich ihm entgegen.
"Was?"
Angst verzerrte die Stimme des Mannes.
"Es gibt keinen Ausweg mehr für dich", sagte sie. Die Stimme klang heiser, sie klang sonst nie so. Doch der Schatten gab ihr nicht nur ein Gesicht, er gab ihr auch eine Stimme. Und die Stimmen in ihren Ohr. Die lauter wurden, anschwollen zu einem ohrenbetäubenden Crescendo. Sie schrieen das selbe, alle bis auf eine. Die eine Stimme musste schweigen, musste GETÖTET werden! Genau wie der Mann vor ihr. Der wich nun langsam zurück, langsam. Er fühlte etwas feuchtwarmes an seinen Beinen hinunterrinnen und wurde rot im Gesicht. Schweiß sammelte sich zwischen seinen Schulterblättern, auf seiner Oberlippe in feinen Tröpfchen und auf der Stirn. Mit grausamer Gewissheit wurde ihm klar, dass er diesen Raum nicht mehr verlassen würde.
"Bitte!", kreischte er mit hoher, sich vor Aufregung überschlagender Stimme und Tränen schossen ihm in die Augen.
"Bitte", winselte er "lass mich gehen. Meine Frau wartet! Mein Sohn, wir wollten heute Karten spielen, bitte", jammerte er in Todesangst.
"Du hast einen Sohn? Ich bin eine Tochter", entgegnete sie wieder so heiser.
"Bitte", flüsterte der Mann wieder und ging langsam, stark zitternd zu seinem Schreibtisch zurück. Er fiel hin und blieb auf dem Gesicht liegen, rührte sich nicht, wie als hoffe er, sich dadurch vergessen zu machen.
"STEH AUF!", brüllte sie und langsam, unendlich langsam stand er auf.
Dann wurde er plötzlich schnell, kam zum Schreibtisch, riss eine Schublade heraus. Ein Messer glänzte in seiner Hand. Sie hatte sich nicht bewegt. Das Messer glänzte, sang, als er es fuchtelnd vor sich bewegte. Sein sonst messerscharfer Verstand arbeitete langsam, träge. Doch er arbeitete. Sie wollte ihn töten.
Mit einem Aufschrei der Verzweiflung stürzte er sich auf seine Peinigerin. Sie rührte sich keinen Schritt.
Im letzten Moment erst griff sie nach der Hand des Mannes, lenkte sie um, drehte sie auf den Rücken und zog sie mit aller Gewalt nach oben. Ein leichtes Knacken und der Schmerzensschrei des Mannes verrieten den gebrochenen Knochen.
"Du weißt doch, dass du es nicht mehr abwenden kannst", flüsterte sie beruhigend auf den Mann ein, der sich unter ihrer Hand wand. Das Messer kam immer näher, doch der Mann sah es nicht. Mit Kraft stieß sie es ihm in den Rücken. Ein Schrei, sie ließ ihn los. Noch lebte er.
"Alles geschieht, wie es geschehen muss. Es muss Gerechtigkeit geben...", sagte sie sinnend. Packte sein Haar und zog ihn daran hoch, drehte ihn herum. Ein anderes Messer glänzte, direkt unter seinem Gesicht. Genüsslich zog sie eine Linie unter seiner Kehle. Kräftiges Rot, schönes, kräftiges Rot. Ein Sturzbach aus Rot. Wunderschön.
"Schlaf ein, mein Lieber. Schlaf ein", flüsterte sie sacht und ließ ihn zu Boden gleiten. Die andere Stimme wurde lauter, Tränen flossen nun in Strömen, wie eben noch das Rot...


***


Von der Kröselstraße bis zum Pseudopolisplatz war es ein weiter Weg. Als Tussi endlich die Pons-Brücke hinter sich gelassen hatte, war das erste, was sie sah die Oper. Imposant erhob sich das runde Gebäude im Zentrum des Platzes. Und direkt gegenüber stand das neue Wachhaus.
"Lady Käsedick hat uns damit wohl einen Gefallen erwiesen", dachte Tussi.
Sie schulterte den Sack, der ihr gesammeltes Hab und Gut enthielt, auf die andere Seite und ging tapfer auf das Wachhaus zu. Sie konnte es kaum fassen, dass sie tatsächlich den Job als Püschologin bekommen hatte und war nun absolut begierig ihre neuen Fähigkeiten auszutesten. Moment! Fähigkeiten? Es verhielt sich eher so, dass sie keine Ahnung hatte – außer eben der, die man kriegt, wenn man täglich mit Verrückten zu tun hatte. Und damit waren noch nicht mal die Kollegen von der Wache gemeint. Eher die lieben Eltern. Das brachte ihr aber noch keinerlei Erfahrung im Erstellen von Verbrecherprofilen ein. Was hatte der Chef gesagt? Araghast Breguyar, Püschologe bei FROG. Der sollte ihr erst mal weiter helfen. Praktischerweise war FROG ebenso wie RUM im Wachhaus auf dem Pseudopolisplatz untergebracht. Und das war mal was! Die Kröselstraße konnte es nicht wirklich damit aufnehmen, fand auf jeden Fall Tussi. Nicht alle Tage hatte man eine Oper direkt vor der Nase.
"Na ja, ich werde mich wohl vorher beim Chef melden müssen", murmelte Tussi und betrat das Wachhaus. Als die Türe hinter ihr ins Schloss fiel, fühlte sie sich verloren. Wie sollte sie den Chef jetzt finden?
"Ähm", sagte sie und blickte sich um.
Wie in der Kröselstraße auch, fand sich hier zunächst einmal ein Tresen. Dahinter saß natürlich der unvermeidliche Wächter, im unvermeidlich schlafenden Zustand. Ansonsten führten vom Eingangsbereich unzählige Türen in noch unzähligere Büros. Dann war da noch ein Treppenaufgang. An einer Wand hingen diverse Steckbriefe und Ankündigungen, eine betraf sogar sie. Wie sie mit scharfen Blick erkannte, wurde kund gegeben, dass sie als Püschologin in Ausbildung bei RUM anfangen würde.
"Tschuldigung", sagte sie unverbindlich und ging zu dem Tresen.
"Ja?", blaffte es verschlafen und schlecht gelaunt zurück.
"Wie komme ich denn zum Chef von RUM?", fragte sie kleinlaut.
"Treppe hoch, dann Augen auf", erklärte der Wächter knapp und schien nicht gewillt, darüber hinaus weitere Auskünfte zu geben.
Tussi nickte, grüßte zackig und ging die Treppe hinauf.
Irina Lanfear hatte sie eingestellt und Tussi hoffte, mit ihr gut auszukommen. Und vor allem hoffte sie, dass der Oberleutnant nicht zu ungehalten über den verspäteten Dienstantritt war. Sie hatte sich nämlich einige Zeit beurlauben lassen müssen, weil der Korporal –ihr lieber Vater- sie wild entschlossen zum Fahnenappell gerufen hatte. Die gesammelte Verwandtschaft und auch, was sich dafür hielt, war angetreten. Ein Essen in feinster Noblesse hatte auf sie gewartet. Allerdings nur, wenn man unter Noblesse grünen Käse versteht. Ausschließlich grünen Käse. Tussi hatte ihre Portion in die treue Topfpflanze gespuckt, die schon immer hinter ihrem Stuhl stand. Als der Korporal die Herren ins "Zigarrenzimmer" gebeten hatte, war sie in die Küche geflitzt und hatte einige Portionen Rührei zubereitet. Ohne Käse.
Beherzt klopfte Tussi an Lanfears Tür.
"Herein", tönte es von drinnen.
Sie öffnete die Tür, salutierte zackig und sagte:
"Mäm, Gefreite von Grantick meldet sich zum Dienst, Mäm!"
"Ja ja, schon gut. Kein Grund zum Schreien", gab Irina zurück. Vertieft in irgendeinen Aktenstapel nahm sie Tussi kaum wahr.
Zögernd trat Tussi einen Schritt näher.
"Gibt es irgendwelche Anweisungen, Mäm?", fragte sie etwas unsicher.
Irina legte eine Akte zur Seite, verschränkte die Hände ineinander und sagte:
"Hör mal Gefreite, ich muss eine Menge unnutzer Papiere lesen. Und du bist verdammt spät mit deinem Dienstantritt. Also, tu mir einen Gefallen, geh zu Oberfeldwebel Breguyar und lass dich von ihm einweisen. Und lass mich arbeiten."
"Verstanden, Mäm!" erwiderte Tussi, etwas weniger zackig, als vorher und verließ den Raum.
"Tür zu!", rief Irina hinterher.
Hastig schloss sie die Tür und wischte sich dann den leichten Schweißfilm von der Stirn. Das hatte ja gut angefangen! Trotzdem – Tussi wollte sich nicht einschüchtern lassen. Immerhin war sie jetzt sogar Gefreite! Nun gut, mochte sein, dass das immer noch ein Platz ganz unten war. Aber es war ein Platz den sie einzunehmen gedachte. Voller Elan machte sie sich auf die Suche nach dem Büro von Oberfeldwebel Breguyar, fand es wenig später, klopfte entschlossen an die Tür, schubste sie auf und sagte:
"Sör! Gefreite von Grantick meldet sich zum Dienst, Sör!", und um ganz sicher zu gehen, schickte sie noch hinterher: "Oberleutnant Lanfear schickt mich!"
Vor ihr stand ein großer, dunkelhaariger Mann. In seinem kantigen Gesicht funkelte ein grünes Auge, das sie jetzt betont gleichmütig musterte. Das andere war von einer Augenklappe verborgen.
"Soso, der Oberleutnant", sagte er nach abgeschlossener Musterung und sein Gesicht verriet nicht, ob ihm gefiel, was er sah. "Hat der Oberleutnant dir auch beigebracht, nach dem Anklopfen auf ein "Herein" zu warten, Gefreite?", fragte er dann spöttisch.
"Ähm, nein Sör. Tschuldigung, Sör", antworte Tussi leicht errötend. Der Korporal würde für derartige Unhöflichkeit seine Gerte zücken.
"Ah ja", meinte er gedehnt und warf dann einen Blick in das Buch, welches er bei ihrem Hereinkommen gelesen hatte. "Dann ist das wohl angeboren", fuhr er fort und zog ein Gesicht, als hätte er in eine saure Weintraube gebissen. "Und warum schickt mir also der Oberleutnant eine Gefreite, die anscheinend NICHT zu meiner Abteilung gehört?"
"Nun ja, Sör. Ich bin Püschologin in Ausbildung. Und weil sie der erfahrenste Püschologe sind, sollen sie mir alles beibringen, Sör", gab Tussi zur Antwort, innerlich zufrieden über diese schlaue Erklärung.
"Soso, bin ich das", antwortete Breguyar sarkastisch und klappte dann endlich das Buch zu. "Na schön, von mir aus. Aber bevor wir beide uns ernsthaft unterhalten, liest du erst mal das da", sagte er und reichte ihr ein Buch.
Tussi warf einen Blick auf den Titel.
"Die Phänomenomenologie des Geistes?", fragte sie zweifelnd.
"Darin lernt ein Püschologe, was es wirklich heißt, ein Püschologe zu sein", meinte er überzeugt. "Und ich habe es ohnehin gerade fertig gelesen. Aber wehe, ich entdecke ein Eselsohr oder Kaffeereste", drohte er dann und setzte sich auf einen Stuhl.
"Verstanden, Sör. Gibt es sonst noch etwas, das ich... lesen soll?", fragte Tussi.
"Am besten, du liest sie alle, Gefreite. Und dazu noch dieses", Breguyar kramte auf seinem Schreibtisch "dieses, das auch und dieses hier", damit reichte er ihr einen stattlichen Bücherstapel.
Zum Glück las Tussi recht schnell, sonst würde sie ihren ersten Fall wohl erst zur Pensionierung lösen. Ergeben nahm sie also den Bücherstapel und versuchte dann zu salutieren. Es gelang höchst unzureichend.
"Wenn es das war, Sör", fragte sie ein letztes Mal.
"Ja ja, das reicht", grinste er und winkte sie dann hinaus. "Tür zu!" rief er ihr hinterher.

***


Sie hatte ein leeres und scheinbar unbenutztes Zimmer gefunden. Zwei Schreibtische standen dort, verziert mit Staub und Spinnweben, ein Fenster blickte auf die Straße ohne jegliche Gardine. Dann war da noch ein Hutständer, ein großer Schrank und drei Stühle, wobei einem Stuhl ein Bein fehlte. Eine einsame, vertrocknete Zimmerpflanze vervollständigte das Bild. Provisorisch wischte Tussi den schlimmsten Staub mit einem Putztuch, welches praktischerweise im Schrank gelegen hatte. Dann wischte sie auch noch das Fenster, den anderen Tisch und die Stühle. Schließlich nahm sie an dem Schreibtisch vor dem Fenster Platz und begann zu lesen.
Weniger als fünf Seiten hatte sie gelesen, als etwas an ihr Fenster pochte. Sie drehte sich rum und sah nichts. Sie zuckte mit den Schultern und lass weiter – bisher hatte sie noch nicht viel gefunden, was ihr Leben als Püschologin erleichtern würde. Aber das konnte sich ändern. Wieder pochte es. Tussi brach ab und blickte über ihre Schulter – jetzt meinte sie, den Schemen einer Bewegung gesehen zu haben.
"Komisch", murmelte sie, weil sie sonst nichts sah. Ein weiteres Schulterzucken, dann las sie wieder weiter. Poch, Poch, diesmal zweimal.
"Jetzt reichts!"
Mit einem Satz erhob sich Tussi, schob das Fenster auf und linste nach draußen.
"Hallo Idiot", sagte der Gnom und grinste.
"Oh nein, nicht du!", schimpfte Tussi ungehalten. "Was willst du?", fragte sie dann entnervt.
"Was ich will? Genugtuung! Einfach einen ehrbaren Gnom treten? Das geht nicht! Das ist TIS-GRIM-I-NIEHRUNG!", antwortete der Gnom zänkisch.
Das war nicht ihr Tag, bestimmt nicht.
"Komm rein und hör auf zu schimpfen", meinte sie und der Gnom kam ihrer Aufforderung sogleich mit einem Satz durch das Fenster nach.
"Ha ha, du wirst Zlamarak nicht noch mal treten, klaro? Nur weil ich klein bin, darf man mich nicht treten! Wo ich so Probleme mit meinem I-SCHI-AS habe. Hast du Kaffee da?", sagte der Gnom und irgendwie schien es, als wolle der sich nur unterhalten.
"Ich besorg welchen. Aber mach hier drin keinen Unsinn, klaro?", äffte Tussi ihn nach.
"Ja ja, geh schon, geh schon", keifte Zlamarak und winkte sie nach draußen.
Tussi seufzte. Vielleicht war es ihre Bestimmung nach draußen gewunken zu werden. Vielleicht war dieser Gnom auch einfach nur unverschämt. Schnell spähte sie nach einer Küche aus und – fand sie nicht. Aber den Geruch von Kaffee, den nahm sie dennoch wahr. In einem der Nachbarbüros... unauffällig schlich sich Tussi heran, bereit sogar ordentlich nach Kaffee zu fragen. Aber glücklicherweise saß dort augenblicklich niemand. Und ehe sie in die Verlegenheit kam, zu erklären, dass sie den Kaffee für einen Gnom brauchte, den sie ehemals mit einem Tritt durch die Schatten befördert hatte, schnappte sie sich lieber schnell einen Pappbecher und machte ihn voll. Das würde für sie beide locker reichen. Sie blickte sich schnell um, rechts, links, keiner da und huschte in ihr Übergangsquartier.
"Hat ja lang gedauert. Hoffentlich schmeckt der", schimpfte Zlamarak. Das schien er gern zu tun. Aber irgendwie schimpfte in Ankh-Morpork ohnehin jeder gerne.
"Vor allem mit mir", sagte sie laut.
"Hä? Du bist wirklich eine Idiotin", machte Zlamarak.
"Hör mal zu", begann Tussi drohend und versuchte sich ein wenig aufzuplustern "du kannst eine Gefreite der Wache nicht dauernd Idiotin nennen! Das ist gegen das Gesetz!"
-"Ach ja? Hast du Beweise? Hast du überhaupt Beweise, dass es mich gibt? Ich meine an mehr Orten als nur in deinem Kopf? Vielleicht bin ich ja nur ein Hirngespinst?!"
-"Ein Kaffeesaufendes Hirngespinst? Wohl kaum. Und jetzt komm endlich zur Sache!", schrie Tussi. Sie war jetzt wirklich böse.
"Brauchst nicht gleich ausfallend zu werden. Mensch, du musst wissen, dass Gnomen-Leben ist nicht leicht. Keiner beachtet mich! Du warst der erste, der mich irgendwie zur Kenntnis genommen hat", erklärte Zlamarak ein wenig verlegen.
Sie schwieg verblüfft. Aber nur einen Augenblick.
"Es gibt genug Gnome in Ankh-Morpork, mit denen du sprechen kannst. Sogar hier bei der Wache arbeiten ein paar", erwiderte sie dann.
"Die wollen alle nix mehr mit mir zu tun haben", seufzte Zlamarak niedergeschlagen.
"Und warum, wenn ich fragen darf?"
"Ich war ihnen zu ehrlich. Da haben sie mich rausgeschmissen", erleichterte Zlamarak seine Seele.
Tussi begann schallend zu lachen.
"Ein ehrlicher Gnom", brachte sie unter Prusten hervor "wo gibts denn so was?"
"Jetzt fängst du auch noch an! Wenn du nicht gleich wieder nett bist, verrat ich dir GAR NIX!", zeterte Zlamarak wiederum. Das konnte er sehr gut.
"Schon gut", beschwichtigte Tussi "was willst du mir denn verraten?"
"Ha ha!", machte er gehässig "du bist ganz schön rein gefallen! Ganz schön, sag ich dir!" Wild hüpfend zeigte Zlamarak mit ausgestreckten Zeigefinger auf sie.
"Der dreckige Kerl, der deine Marke geklaut hat", fing er wieder an und lachte dann irr, "der ist eines Mordes überführt worden! An dem zweiten Geschäftsführer von der Firma vor der du ihn gekriegt hast!"
Zlamarak lachte weiter, aber Tussi wurde übel. Bleich hielt sie sich an der Kante des Schreibtischs fest.
"Das kann ich nicht glauben", flüsterte sie fassungslos und setzte sich auf einen Stuhl. Dummerweise wählte sie den mit dem fehlenden Bein und landete polternd auf dem Boden. Dies jedoch schien sie kaum zu bemerken, sie schüttelte nur den Kopf und bewegte in lautlosen Zwiegespräch mit sich Selbst die Lippen.
"Verschwinde!", brüllte sie unvermittelt Zlamarak an.
Der zuckte mit den Schultern und verschwand durchs Fenster.
"Ich komme wieder", kreischte er, böse, wie es nur ein Kobold kann.
"Das kann ich nicht glauben", sagte Tussi wieder, nur noch undeutlicher jetzt. Hatte sie sich so in dem Burschen getäuscht? War er nicht zuletzt ganz zufrieden bei den Bettlern gewesen? Ab und zu hatte sie eine seiner Ecken besucht und ihm ein paar Extra-Dollar zugesteckt, hatte mit ihm gegessen und gelacht. Das konnte doch nicht wahr sein! Er war doch nur ein Junge! Und sollte einen Mord begangen haben? Nein, das glaubte Tussi nicht, das passte doch gar nicht zu ihm! Was sollte sie jetzt tun?
"Wo steckt er jetzt?", fragte sie sich laut.
Noch immer benommen rappelte sie sich mühselig auf. Hastig ging sie die Treppe hinab - der Kerl am Wachetresen schlief wieder, ließ sich aber genauso leicht wie vorhin wecken.
"Du schon wieder", grummelte er.
"Äh, wo befinden sich den die Zellen der Gefangenen?", fragte Tussi eilig.
"Hinterhof", erwiderte er mürrisch und zeigte wage in eine Richtung.
Tussi nickte kurz und folgte dem angezeigten Weg. Tatsächlich fand sie schnell die Zellen und wurde auch von dem wachehabenden Wächter nicht weiter aufgehalten. In der ersten Zelle fand sie Arif.
"Hallo Arif", sagte sie und der Junge sah sie aus tiefgründigen schwarzen Augen an.
"Ich wars nicht. Wirklich nicht", sagte er. Sein Dialekt hatte sich wesentlich verbessert.
"Ich weiß", antwortete Tussi nur betroffen "erzähl mir, was passiert ist, ja? Ich arbeite jetzt hier, ich werde dich hier raushauen."
Und Arif erzählte. Von einer komischen Person, die durch die Nacht gehuscht war, als er Dienst in der Unbesonnenheitsstraße hatte. Wie er ihr gefolgt war, wie er sich in den Verkaufsräumen von Schnapptopfs Kosmetikgeschäft verborgen hatte, welche Schreie er gehört hatte.
"Er muss gekannt haben", erklärte er überzeugt und ziemlich bleich. Der Schreck über die nächtlichen Ereignisse und seine Verhaftung steckte ihm immer noch in den Knochen.
"Warum glaubst du das?"
"Er sagte: Was machst du hier", meinte Arif schlicht.
Schrecklich waren die Schreie und Kampfgeräusche gewesen, aber Arif hatte sich nicht getraut, aus seinem Versteck zu kommen. Seine Neugierde hatte sich sehr schnell verflüchtigt und dann in Angst verwandelt. Erst als die merkwürdige Gestalt weg war, kroch er hervor. Rannte zu dem Opfer und schaute, ob man ihm helfen könnte. Seine Hände wurden besudelt mit Blut. Dann kam der Troll, der ab einer gewissen Zeit Wache hielt und hatte ihn nicht entwischen lassen. Und der hatte ihn auch der Wache übergeben. Der Fall war klar für alle Beteiligten. Arif hatte Rache geübt, weil man ihm keine Beschäftigung gegeben hatte. Das war die Meinung der Angestellten, als man sie befragte. Keiner glaubte Arif, einem aus Klatsch traute man ohnehin alles zu. Egal ob es noch ein Kind war oder nicht. Der Schuldige war gefunden und saß jetzt im Gefängnis. Und würde vielleicht aufgeknüpft. Tussi schauderte.
"Ich werde dich hier rausholen", bekräftige Tussi noch einmal und drückte durch die Gitterstäbe seine Hand. Hoffnungsvoll nickte Arif.

***


"Herein!"
Erneut betrat Tussi Breguyars Büro. Überrascht sah der Mann auf.
"Hast du etwa schon alles gelesen? Ich dachte, du wärst damit eine Weile beschäftigt?"
"Äh, nein Sör. Ich meine doch, Sör", antwortete Tussi verunsichert.
"Ja, was denn nun?"
"Sör, ich habe ein Problem. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte", sie trat etwas näher und nahm dann ihren Helm ab, um sich durch das Haar zu fahren "haben sie von dem Mord in Schnapptopf Donnerstoß Kosmetikfabrik gehört, Sör?"
Breguyar nickte.
"Sicher habe ich das. Schlimme Sache. Aber zum Glück haben wir den Täter bereits gefasst!"
"Das ist das Problem, Sör. Der Täter ist nicht der Täter", stammelte Tussi.
Araghast zog eine Augenbraue in die Höhe.
"So? Und das weißt du woher? Hat dir deine jahrelange Erfahrung mitgeteilt, dass deine sooo unerfahrenen Kollegen den Falschen geschnappt haben?", sagte er gedehnt.
"Nein, Sör. So ist das nicht. Es ist nur... ich kenne den Täter", meinte Tussi und korrigierte dann schnell "beziehungsweise den, der dafür gehalten wird."
Breguyar schien sich jetzt eines Besseren zu besinnen und wies sie an, Platz zu nehmen.
"Erzähl mal Gefreite", sagte er und lehnte sich zurück.
Tussi erzählte ihm die ganze Geschichte, angefangen bei der Verfolgungsjagd über den Viehmarkt, hin zu dem Gespräch in der Zelle. Breguyar unterbrach die Gefreite kaum, stellte nur dann und wann eine Zwischenfrage, brummte ein paar Mal in sich hinein und nickte gelegentlich.
"Und was soll ich jetzt tun?", fragte er, als sie geendet hatte.
Tussi zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß nicht, Sör. Aber so darf die Sache nicht enden. Es ist doch nur ein Junge."
"Du magst recht haben. Na schön. Besorge dir die Akte zu dem Fall und prüf das Umfeld des Opfers. Wer hatte einen Grund ihn zu töten? Gab es überhaupt einen? Und ich werde mit deinem Chef sprechen..."
Dankbar nickte Tussi.
"Ich weiß das sehr zu schätzen, Sör", sagte sie.
"Ja ja, schon gut. Jetzt verschwinde", brummte Bregs und wedelte vielsagend mit der Hand.

***


Es hatte nicht lange gedauert, die richtige Akte zu finden. Der zuständige Ermittler hatte sie ihr einfach zugeworfen, ohne sie weiter zu beachten. Derart bewaffnet kehrte sie nun zu der Kammer zurück, die sie als ihr provisorisches Büro betrachtete. Aus dem Nachbarbüro schimpfte eine wohl bekannte Stimme:
"Frechheit! Einfach den Kaffee klauen! Und das mitten am Tag!"
Tussi klopfte an die angelehnte Türe.
"Ja?"
Grinsend kam Tussi herein. Tatsächlich: Es war Kathiopeja!
"Hallo Kathi! Mensch, tut das gut, ein bekanntes Gesicht zu sehen!", rief sie aus. Am liebsten hätte sie ihre alte Mitrekrutin umarmt und auch Kathi schien ganz froh zu sein, sie zu sehen. Im nächsten Moment hielt sie anklagend eine fast bis zur Neige geleerte Kaffeekanne hoch.
"Ist das zu glauben? Da hat mir einfach jemand Kaffee geklaut!", meckerte sie.
Zerknirscht verzog Tussi das Gesicht.
"Du, das war ich", meinte sie entschuldigend "ich hatte da einen unliebsamen Informant, der ohne Kaffee nicht reden wollte."
"Ach? Oh", antwortete Kathi. "Na ja, egal. Dann mach ich eben neuen. Und wie geht's dir so?"
"Es geht. Ich bin an einer ganz dummen Geschichte dran. Hast du von dem Mord bei Donnerstoß gehört?"
"Allerdings. Da haben sie doch einen kleinen Jungen geschnappt."
Tussi nickte beifällig. Auch Kathi schien das ganze nicht sonderlich zu gefallen. Was kein Wunder war, schließlich war sie eine Landsmännin des Burschen.
"Ich glaube nicht, dass er es war. Ich kenne ihn", erzählte Tussi.
"Und jetzt?"
"Ich wird versuchen, das zu klären", sie wedelte mit der Akte "vielleicht finde ich hier drin etwas."
"Zeig mal her", Kathi streckte die Hand nach der Akte aus und blätterte sie dann kurz durch. "Da fehlen ja die Obduktionsdaten?!", rief sie nach einem Moment und zeigte auf eine Stelle, an der ganz eindeutig ein Stück Papier herausgerissen worden war.
"Wie bitte?"
Es stimmte tatsächlich. Der Bericht von SUSI war entfernt worden. Nicht besonders ordentlich.
"Na, das sollte man rekonstruieren können. Geh einfach zu SUSI. Die haben die Leiche sicher noch im Keller", schlug Kathi vor und sagte dann zweifelnd: "Vielleicht hat nur jemand ein Stück Papier gebraucht."

***


"Ja?"
Tussi hatte eben an die Tür von Herr Made angeklopft. Wenigstens er schien etwas bessere Laune zu haben, wenigstens der Stimme nach zu urteilen.
"Hallo Sör", begann Tussi und klappte dann den Mund schnell wieder zu. Herr Made sah nicht sonderlich gesund aus. Neben einer unnatürlichen Blässe fiel vor allem sein Schädel ins Blickfeld – ein Teil schien schlicht zu fehlen.
"Geht es ihnen gut, Sör? Brauchen sie einen Arzt?", fragte sie den Mann. Der hatte scheinbar noch gar nicht bemerkt, wie schlecht es um ihn stand.
"Wieso? Ich sehe immer so aus", erklärte er und reichte ihr zur Begrüßung die Hand. Sie fühlte sich kalt an und irgendwie – tot.
"Sie sind ein Zombie", platzte es aus ihr heraus.
"Offensichtlich", gab Made trocken zur Antwort "ist das alles, weshalb du hier bist, Gefreite?" Er machte einen ungehaltenen Eindruck.
"Nein, Sör, tschuldiung", sagte sie kleinlaut.
"Na dann mal raus damit!"
Tussi nickte und zeigte ihm die Akte, die sie mitgebracht hatte.
"Sör, hier drin ist vermerkt, dass sie die Obduktion vorgenommen haben. Das Problem ist, dass die Obduktionsdaten entfernt wurden", erzählte sie.
Made nahm ihr die Akte aus der Hand und blätterte sie schnell durch.
"Tatsächlich. Wer macht denn so was? Das müssen wir uns wohl noch mal ansehen. Zum Glück habe ich ihn noch nicht zum Verbuddeln frei gegeben, das wollte ich eigentlich gerade erledigen. Komm mal mit", sagte er und hieß sie, ihm zu folgen. Er geleitete sie in einen abseits gelegenen Kellerraum.
"Der Kühlschrank", grinste er und öffnete die Tür.
Ihm schien der Temperaturunterschied von mindestens 20 Grad nichts auszumachen, Tussi dagegen schlotterte mit ihren Zähnen und Knien. Und mit dem Rest auch. Herr Made tippte sich mit dem Zeigefinger nachdenklich auf den Mund, bis er triumphierend eine übergroße und überleere Schublade rauszog.
"Und jetzt?", fragte Tussi begriffsstutzig beim Anblick der leeren Schublade.
"Nichts! Gar nichts! Wie kann so etwas passieren?!", schimpfte Made "Sie wurde gestohlen! Einfach so, mitten im Wachhaus!"
"Das darf ja wohl nicht wahr sein", dachte Tussi irritiert. Wer stahl eine Leiche? Jemand, der etwas zu verbergen hatte. Aber wer sollte das sein?
"Das war der Mörder", sagte sie mit Gewissheit.
"Der Mörder? Unmöglich, der wurde doch gleich eingebuchtet", erwiderte Made.
"Was spricht dafür, das der Kleine das war?", blaffte Tussi.
"Der Kleine? Der war doch ziemlich groß?" Made kratzte sich am Schädel. Genau an der Stelle, wo etwas Knochen herauslugte "Wie kann man einen Troll klein nennen?"
Tussi stutzte. Hier musste ein Missverständnis vorliegen.
"Es war doch gar kein Troll! Sondern ein kleiner Junge, vielleicht 12 Jahre alt, aus Klatsch. Er heißt Arif", erklärte sie.
"Nein, das kann nicht sein. Ich erinnere mich noch ganz gut an die Obduktion. Ein 12 Jahre alter Junge kann keinem erwachsenen Mann die Knochen brechen. Und auch nicht das Schultergelenk auskugeln, Hebelkraft hin oder her", meinte er.
Tussi lächelte triumphierend.
"Sie würden also sagen, dass in Anbetracht der Umstände, es gänzlich unmöglich ist, dass Arif der Täter ist?", fragte sie noch einmal nach.
"Nein. Er kann nicht der Täter sein, wenn es sich so verhält, wie du sagst, Gefreite. Wenn er nicht ein zwei Meter Zwölfjähriger ist – unmöglich!"
"Vielen Dank, Sör. Das sind gute Nachrichten", lächelte sie.
"Gute Nachrichten? Von wegen! Wenn ich dran denke, was für eine Unordnung die Tatortwächter hier anrichten werden... vielleicht gibt es sogar noch eine interne Untersuchung", schimpfte Made ungehalten.
Tussi versuchte verständig zu wirken, aber angesichts ihrer Ungeduld schlug dies fehl.
"Na geh schon, Gefreite", entließ er sie dann kopfschüttelnd.
"Aye, Sör!"

***


"Du schon wieder? Das wird langsam anstrengend", begrüßte sie Bregs, als sie zum dritten Mal an diesem Tag auf seiner Schwelle stand.
"Ja, Sör. Arif ist unschuldig! Wir müssen ihn sofort aus dem Gefängnis holen!"
"So, müssen wir das?", fragte Bregs trocken.
"Ja, Sör!"
Wieder machte Bregs diese ungeduldige Geste mit der Hand, an die sich Tussi langsam zu gewöhnen begann.
"Erzähl mal", forderte er sie auf.
Hastig berichtete Tussi, was sich zugetragen hatte. Ihr triumphierender Tonfall trieb Bregs ein Grinsen auf die Lippen.
"Und du glaubst, jetzt sei es eine gute Idee, ihn freizulassen, Gefreite?", spöttelte er und Tussi nickte schnell.
"Und was glaubst du, passiert dann?"
Viele Fragezeichen prangten auf Tussis Stirn. Natürlich nur rein metaphorisch gesprochen.
"Mensch, Gefreite. Du hast noch eine Menge zu lernen. Wenn jemand sich nicht nur die Mühe macht, den Obduktionsbericht verschwinden zu lassen, sondern auch noch die passende Leiche klaut – wohlgemerkt all das in den sicheren Mauern der Wache...", er machte eine vielsagende Pause "glaubst du im Ernst, der würde sich davon abhalten lassen, den einzigen Zeugen um die Ecke zu bringen?"
Tussi machte ungläubige Augen. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.
"Siehst du? Eher sollten wir ihn noch besser wegschließen und von einer Menge Wächter bewachen lassen!"
Widerstrebend nickte sie, schnell hatte sie eingesehen, dass der Oberfeldwebel recht hatte.
"Ich lerne sehr viel von ihnen, Sör", sagte sie so ehrerbietig, wie es nur eine von Grantick konnte. In ihren Augen konnte sich der Oberfeldwebel fast schon mit dem Korporal messen.
"Tust du das?", fragte Bregs. "Na ja, ich bin ja immerhin der erfahrenste Püschologe hier", fuhr er dann fort, wobei seine Betonung Bände über seine Meinung sprach. "Der Fall muss wohl noch einmal ganz neu aufgerollt werden. Aber mit Fingerspitzengefühl, du verstehst? Der Mörder scheint recht vorsichtig zu sein und nicht ganz blöde. Wenn wir jetzt zu offensiv vorgehen, verkriecht er sich in dem dunkelsten Mauseloch, das er finden kann. Und dein lieber Arif dürfte seine letzte Besorgung werden – du verstehst?"
Tussi nickt eifrig.
"Wundervoll. Zu erst check noch mal ab, ob es nicht doch ein Auftrag von den Assassinen wahr. Am Besten fragst du bei DOG nach. WAS DENN?"
Tussi hatte ihn mit einer Geste unterbrochen.
"Ich will mir Notizen machen, Sör. Damit ich nichts vergesse", sagte sie verlegen.
Bregs rollte mit seinem einen Auge. "Na schön, da hier ist ein Block, hier ein Stift. Gut? Na schön. DOG. Wenn du das geklärt hast, sieh dir den Tatort an. Sprich mit den Leuten, unauffällig. Wer hatte einen Grund den alten – wie hieß er?"
"Pumpernickel, Sör!"
"Ach? Wer hatte also einen Grund den guten alten Pumpernickel zu töten. Und denk daran, ein guter Grund kann für manche Leute schon eine geklaute Butterstulle sein. Wenn du sein Umfeld kennst, lernst du den Mörder kennen. Es wurde nichts geklaut, es war also purer Mord. Denk daran – die Dinge die scheinbar zuerst passieren, passieren manchmal gar nicht zuerst. Es gibt immer einen Grund."
Bregs machte eine Pause, um zu unterstreichen, wie wichtig dies war. Sie schrieb mit. Bregs nickte und fuhrt fort: "Versuch mal ein erstes Profil – die passenden Bücher hast du ja von mir gekriegt. Morgen früh will ich einen Bericht. Und so lange will ich nichts mehr von dir hören."
Er winkte wieder dieses Winken. Sie salutierte pflichtbewusst und ging wieder in ihr Büro.

***


Der Notizblock lag vor ihr, die paar Anweisungen von Bregs standen ganz unten. Darunter hatte sie den Namen "Max Pumpernickel" geschrieben und dann dreimal unterstrichen. Jeder Strich kennzeichnete gedankliche Leere.
"Die Dinge die scheinbar zuerst passieren, passieren manchmal gar nicht zuerst", murmelte sie. Was er damit wohl gemeint hatte? Erst passierte das eine, dann das andere, das war ja klar. Aber was war daran so wichtig? Das erste mal hatte sie erst heute von Pumpernickel gehört. Aber er war in der Firma getötet worden. Hieß das etwas? Tussi notierte:

1. Aufstand bei Donnerstoß
2. Arif erklärt, dass die Kosmetik hauptsächlich von klatschianischen Kindern gefertigt wird. Hier in Ankh-Morpork gibt man dies nicht zu und verweigert ihm Arbeit
3. Pumpernickel wird getötet
4. Troll-Wachmann greift Arif auf, der alles mit ansah
5. Arif wird eingesperrt
6. Obduktionsdaten verschwinden
7. Leiche verschwindet
8. Herr Made erinnert, dass der Täter sehr stark gewesen sein muss

Mit dem Stift kratzte sich Tussi am Hinterkopf. Das ergab nicht viel Sinn für sie. Aber mehr hatte sie eben nicht. Sie griff noch mal nach der Akte und las den Bericht über den Tatort:

"Die Aingangsthüre wies keinige Beschädigunk auf, aber das Fänsdär im ersten Stohg war geöfniget, der Theter wird dort herayn gekommigen sayn. Das Fänsdär zum Kontor ist durch einen Stein geöfniget worden. Der Stein lak auf der Inensaide. An den Schärben wurden Bhlutresde gefundigen, vermutlich vom Obfär. Das Obfär lag hinter dem Schraibtisch, eine Schuhlade war herausgezogigen. Im Rücken wurde eine Stichwuhnde fästgästelltigt. Der Thot trat aber färmuhdlich eher wägen dem aufgeschnittigten Hals ein. Auf dem Phoden liegend wurden gefundigen: Rattenvalle, einige Hahre (vermutlich des Obfärs), die obigen ärwenten Schblitär, der Stein, eine Färschluskape, ein Zeitighungsardikhel (vermutlich aus der Schuhlade gevalligen"

Die Mittagszeit war gerade angebrochen und die Sonne kroch flirrend ihrem höchsten Stand entgegen. Bald würde sie die Hitze einlullen und vor allem der durch die Wärme intensivierte Geruch des Ankh. Zugegeben: Der Pseudopolisplatz hatte auch Nachteile. Gerne wäre Tussi nach Hause gegangen, um auszuruhen. Hätte sie ein Zuhause gehabt, denn ihr bisheriges hatte sie mit dem Rekrutendasein aufgegeben. Seufzend erhob sich Tussi. Ohnehin war Zeit für eine Pause. Und dass sie die bitter nötig hatte nach diesem so turbulenten Vormittag, lag auf der Hand. Sie entschloss sich also, in ihrer Pause einen Happen zu essen, die Ohren aufzusperren und vielleicht ein Heim für sich zu finden.

***


Behaglich konnte man es nicht gerade nennen, aber zumindest war es sauber. Im Eimer hatte sie den Tipp bekommen, doch einmal die Witwe Moosfrau zu fragen. Witwe Moosfrau hatte bereits zwei Ehemänner verschlissen. Beide waren Wächter gewesen, deswegen fühlte sie sich in der Gegenwart von Wächtern wohl. Außerdem war sie rund und symphatisch, hielt ihr Haus in Ordnung und wollte nicht viel Geld.
"Das Bett ist fast neu", hatte sie nur gesagt, als sie ihr das Zimmer gezeigt hatte. Und Tussi war zufrieden. Schnell verstaute sie ihre Sachen in dem Schrank und kleidete sich dann "zivil".
"Hast du Hunger, Kindchen?", rief Witwe Moosfrau ihr zu, doch Tussi verneinte. Sie hatte im Eimer schon etwas gegessen und nun wollte sie keine Zeit mehr verlieren.
"Ich muss weg", meinte sie dann nur und verschwand. Ihr Ziel waren die Schatten...

***


"Pling-Glong", machte ein kleiner Dämon, der oberhalb der Türe auf einem kleinen Brett saß. Er sah ziemlich entnervt aus. Und das war er auch – verdammt noch mal entnervt. Sein Vetter Al hatte einen super Tschob als Disorganizer bekommen, Cousin Tiffler war als Wecker unterwegs. Und er tat etwas, für das ein normales Windspiel völlig ausgereicht hätte. VÖLLIG! Dabei war er früher immer der Beste von ihnen gewesen, der Beste in allem! Wie war es nur so weit gekommen? Zweifelnd hob er eine dämonische Augenbraue und trank einen weiteren Schluck Bier-Aus-Der-Dose.
"Was kann ich für sie tun?", fragte die rothaarige Verkäuferin. Ihr Haar lag glatt am Kopf an, wie ein Helm. Nur eine Tolle am Stirnansatz hatte sie sich erlaubt. Und das auch nur, weil heute ein besonderer Tag war. Sie war schlank, besonders die Hände waren es: feingliedrig. Fast schon knochig, ein glänzender Ring am Zeigefinger. Eine Perlenkette war um den Hals gelegt, ihre Haltung sprach Würde aus. Die Würde, die nur Kosmetikverkäufereinen tragen. Jede einzelne Kosmetikverkäuferin im Multiversum war wunderschön, auf eine herablassende Art.
"Ein ungeschriebenes Gesetz", grinste der Kobold.
Er beobachtete die Frau gerne. Sie hieß Brei.
"Hä?"
Das Lächeln stand weiter auf Breis Lippen, gemeißelt von jahrelanger Erfahrung.
"Vielleicht eine leicht fundierende Creme gegen Hautunreinheiten? Wir haben hier ein paar wundervolle Cremes aus Rosenblättern, oder aus Karotte", lächelte Brei.
"Hä? Ja, ich hätte gerne eine Creme", erwiderte Tussi.
Sie fühlte sich unwohl. Ihre Mutter wäre in einem Laden wie diesem aufgeblüht, hätte sie von Tiegel zu Flakon getrieben, um endlich "mal etwas für dich zu tun, Kind! Du bist so blass!"
"Hier", sagte Brei. Schneller als Tussi gucken konnte, hatte sie einen Tiegel geöffnet, etwas Creme herausgespachtelt und war damit an ihre Seite gerannt.
"Fühlen sie nur die Konsistenz", lächelte sie schwärmerisch.
"Hä-Äh, wundervoll", lächelte Tussi verzweifelt und verrieb die Creme auf ihrem Handrücken. Es juckte etwas.
"Ja, ja wundervoll in dieses schrecklichen Zeiten", seufzte Brei. Und lächelte.
"Schreckliche Zeiten?", erkundigte sich Tussi.
"Ja, ja schreckliche Zeiten", lächelte Brei weiter "wie das Unternehmen diesen tragischen Verlust verkraften soll..."
"Schrecklicher Verlust? Oh, sie meinen die Sache mit Herrn Pumpernickel?", fragte Tussi, scheinbar mäßig interessiert.
"Ja, allerdings. Vielleicht doch die mit Rosenblättern?"
- "Äh, ja, das probiere ich gleich. Weiß man denn schon, wer es war?"
-"Nun, ja. Ein Fremder. Aus Klatsch. Sehr fremd", antwortete Brei und schmierte Tussis juckenden Handrücken mit einer weiteren Creme ein.
"Ist man sich da sicher? Ich meine, ein Mann wie er – hatte er keine anderen Feinde?" Tussi beugte sich verschwörerisch zu Brei. "War es nicht vielleicht sogar der Chef selbst?"
Brei gelang es, gleichzeitig entsetzt zu gucken und zu lächeln.
"Junges Fräulein, ich bitte sie", sagte sie geziert "der Herr Donnerstoß weiß doch, wie wichtig der Herr Pumpernickel für ihn war! Seit dem hat er sich in sein Büro eingeschlossen und kommt nicht mehr heraus vor lauter Trauer! Nein, nein. Der Herr Donnerstoß hat den Herrn Pumpernickel gebraucht! Kannte sich wie kein anderer aus! Hat die Gewinne im letzten Jahr nahezu ver-dop-pelt."
Verständig nickte Tussi.
"Soso", meinte sie und rieb sich über den Handrücken "das versteht sich also. Und sonst? Gab es niemand der... ?"
"Wenn ich es doch sage, es war der Kerl aus Klatsch. Riesengroß! Riesengroß muss der gewesen sein, dass er den Herrn Pumpernickel hat überwinden können!"
Tussi gab auf. So würde sie nicht die Informationen bekommen, die sie brauchte. Etwas enttäuscht, dass ihre grandiose Idee nicht funktionierte, kaufte sie die Karottencreme und murmelte einen Abschiedsgruß.

***


Als Tussi wieder in ihrem Büro angekommen war, hatte sie sich erst mal einen großen Pott Kaffee organisiert. In ihrem Kopf schwirrte die ständige Frage, was sie wohl tun könnte, um den Mörder zu verstehen. "Wenn du sein Umfeld kennst, findest du den Mörder", hatte Bregs gesagt. Wenn sein Umfeld nicht so verdammt undurchdringlich wirken würde! Was wusste sie über ihn? Das er tot war. Viel mehr nicht. Da passierte etwas ungewöhnliches – ungewöhnlich für Tussi. Ein Ideenpartikel traf sie und ließ sie endlich den logischen Gedanken denken, den sie die ganze Zeit gebraucht hatte. Beschwingt ging sie zum Archiv mit den Beweismitteln. Minuten später hielt sie eine Schachtel mit den gesammelten Beweisen in der Hand – darunter auch der Zeitungsartikel:

"Trama in der Näherinengilde. Näherin ging wegen unschönigem Hautausschlag ins Wasser. Die Näherin hinterlesstigt ein Khint."

Warum hatte Pumpernickel diesen Artikel aufbewahrt? War er ein Kunde der Näherin? Oder... fühlte er sich schuldig an ihrem Tod? Tussi rieb ihren brennenden Hautrücken. Ein unschöner Hautausschlag hatte sich gebildet und gab ihr sofort eine Antwort. Natürlich! Sie schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf. Die Näherin musste die Kosmetikprodukte von Donnerstoß benutzt haben! Und hatte genauso einen Ausschlag bekommen, wie sie selbst. Tussi konnte sich vorstellen, dass dies für eine Näherin ein Drama darstellte. Wer wollte schon mit einer Näherin... Tussi errötete leicht. Sie zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken und machte sich eine Notiz in ihrem Block. "Wer ist das Kind der Näherin?", schrieb sie auf, mit ihrer einzigartigen, korrekten Grammatik.
Weil sie schon mal dabei war, wühlte sie auch die restlichen Beweise durch. Dabei war sie vorsichtig bedacht, nicht in die Splitter zu greifen. Nachdenklich hielt sie die Verschlusskappe in ihrer Hand und drehte sie ein wenig "Meisder Schnapper" stand darauf.
"Ich muss diese Tochter finden", murmelte Tussi. Und sie wusste genau, wer ihr dabei helfen konnte. Viel zu genau.
"Das muss bis morgen warten", sprach sie und war recht froh darüber, eine Ausrede gefunden zu haben. Ein Besuch in der Boucherie Rouge – allein bei dem Gedanken wurde sie rot.

***


Tussi hatte merkwürdige Träume gehabt. Frauen mit langen Federboas waren darin vorgekommen und dickbauchige Männer. Und das alles war im roten Licht einer übergroßen Laterne gestanden. Die Laterne bekam plötzlich ein Gesicht – ihr eigenes. Sie sträubte sich gegen das Aufstehen. Aber sie hatte eine Aufgabe! Und ihre Spur führte eben direkt in das Boucherie Rouge. Der Gedanke an den eingesperrten Arif trieb sie an. Schnell kleidete sie sich in ihre Uniform und ließ auch den Helm nicht fehlen. Niemand sollte denken, ANDERE Gründe würden sie in das Boucherie treiben! Bevor sie sich es anders überlegen konnte, machte sie sich auf den Weg.

***


"Guten-Tag-mein-Name-ist-Gefreite-Tussnelda-von-Grantick-und-ich-habe-eine-rein-dienstliche-Frage", stieß sie hervor.
Vor ihr stand eine mollige Frau, in verwegenes Purpur gekleidet. Noch verwegener war ihr Ausschnitt, der bereitwillig alles bis zum Baunabel zeigte. Und von diesem Alles war sehr viel da. An ihren Fingern steckten mehrere bunte Klunker, das Haar trug sie zu einer zersausten Hochsteckfrisur gestylt. Ihr Mund war prall rot geschminkt, die Augen schwarz ummalt.
"Guten Tag, Wächterin", sagte sie jovial und lächelte mild.
"Ich bin hier wegen des tragischen Selbstmordes", erwiderte Tussi direkt. Sie wollte so schnell wie möglich weg von diesem Ausschnitt.
"Tragisch. Sehr tragisch, das mit Claudine", sinnierte die Matrone.
"Ja, sehr tragisch. Ich muss eine reine Routinemaßnahme durchführen. Rein Routine", versicherte Tussi und die Dame nickte "darf ich ihr Zimmer sehen?"
"Sicher darfst du Schätzchen, auch ein Wächter muss seine Arbeit tun."

***


Das erste, was auffiel, war der ausgeprägte Rosenduft. An zweiter Stelle eine riesige Liegelandschaft, die fast das gesamte Zimmer einnahm. Alles war in Rosé gehalten, sogar die Spiegelumrandung des kleinen Schminktisches, der in einer Ecke stand. Zielbewusst hielt sie darauf zu und wurde sofort fündig:
"Säle des Elfenparfüms & Rouge Co. – Creme de Karottes", stand auf einem Tiegel. Das war Tussi fast schon klar gewesen. Die Matrone, deren Namen Tussi immer noch nicht kannte, beobachtete sie neugierig.
"Hatte sie Verwandte?", fragte Tussi sie.
-"Eine Tochter. Ein braves Ding. Eulalia. Hat ne anständige Arbeit gefunden, das Ding", erzählte die Dame bereitwillig.
"Wie weiter?"
-"Eulalia Liestnichgut. Arbeitet bei Herrn Donnerstoß", meinte die Matrone und gesellte sich zu Tussi. Die wiederum den Tiegel, den sie bis eben noch in der Hand gehalten hatte, fallen lies.
"Wo arbeitet sie?", fragte sie atemlos.
"Bei Schnapptopf Donnerstoß, sie putzt da. Aber ärgern sie das Mädchen nicht, die hats schon schwer genug..."
Tussi schüttelte den Kopf. Ärger – das war das falsche Wort.
"Dann ist ja gut", lächelte die Matrone und verließ mit wogenden Busen den Raum. "Sie finden ja nach draußen", rief sie ihr noch hinterher.
Konnte es wirklich so einfach sein? Ein ungutes Gefühl beschlich Tussi, etwas das in ihrem Nacken begann und irgendwo im Hinterkopf endete...

***


Staub und Schatten. Siegte die Gerechtigkeit nicht, war alles nur noch Staub und Schatten. Hier stand sie, gerade zum rechten Zeitpunkt. Die beiden hatten sie nicht bemerkt, als sie das Zimmer betraten. Unter dem Bett war genug Platz gewesen. Genug Platz zum Spähen. Genug Platz um zu wissen, wen die Gerechtigkeit treffen würde. Kaum war die Wächterin gegangen, kroch sie aus ihrem Verstock hervor und schwang sich aus dem Fenster. Sie würde ihr folgen, sie würde ihr die Gerechtigkeit geben, die sie verdiente. Wer versuchte, die Gerechtigkeit zu strafen, würde sie am eigenen Leibe erfahren. Ein Grinsen zwang ihre Zähne auseinander, das Singen in ihrem Schädel trieb sie. In den Schatten war die Gerechtigkeit unsichtbar. Schneller, da lief sie. Eine Straße entlang, ein Fenstersims hinauf, über das Dach. Keiner achtete die Gerechtigkeit, die über sie wachte. Durch eine Gasse, da würde es sein, da musste es sein. Ein Schlag gegen den Schädel, vorsichtig genug, um nicht zu brechen. Stark genug, um zu vernebeln. Ein Handgriff, zwei, hin zum Versteck.

***


Sie erwachte. Der Kopf schmerzte, ebenso wie ihre Handgelenke. Ein leichtes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, als sie den Kopf bewegte um sich in der Dunkelheit, die sie umgab umzuschauen.
"Ist da wer?", fragte sie verunsichert, als sie nichts sah. Dann spürte sie eine Bewegung an ihrem Kopf und konnte plötzlich sehen.
"Ich bin hier", hauchte es.
Ein junges Mädchen stand vor ihr, wenig jünger nur als sie selbst. Ihr Haar war aschblond, sie war von kräftiger Statur und wirkte dennoch filigran. Ihre Augen brannten merkwürdig gelb.
"Wer bist du?", wollte Tussi wissen. "Du weißt, dass du gegen das Gesetz verstößt, wenn du eine Wächterin festhältst. Lass mich frei, dann können wir reden!"
"Es gibt nichts zu reden", wisperte sie. "Ich bin Eulalia. Ich bin die Gerechtigkeit, ich bin die eine, die viele ist!" Bei diesen Worten hatte sich ihre Stimme immer weiter die Tonleiter nach oben geschraubt. Ihre Stimme klang unsagbar angenehm. Tussi blinzelte leicht.
"Die Gerechtigkeit? Das ist gut, wenn du die Gerechtigkeit bist. Dann lass mich frei", bat sie. Jetzt endlich spürte sie, was das Gefühl gewesen war, welches sie im Zimmer der Näherin umflossen hatte. Angst und das Gefühl von Augen in ihrem Rücken. Es war die ganze Zeit da gewesen, aber Tussi hatte es ignoriert. Hatte sich eingeredet dies läge nur an den Schatten. Nicht an irgendjemand bestimmten. Nur an Ankh-Morpork selbst.
"Nein, nein, nein", sang Eulalia "ich kann dich nicht frei lassen. Du wolltest die Gerechtigkeit einsperren. Du wolltest die Gerechtigkeit beenden."
"Du hast ihn getötet nicht wahr?"
Eulalias Augen begannen zu schwimmen, ihr Blick war undeutbar. Weich schien er erst zu werden, dann wieder hart. Es machte Tussi Angst. Sie zwang sich, nicht panisch zu werden, ruhig zu bleiben. "Eine von Grantick fürchtet sich nicht! Eine von Grantick schaut in die finstere Nacht und lacht alles aus, was von dort kommt. DENN! Eine von Grantick weiß, dass das Schlimmste nicht so schlimm sein kann, wie der Zorn eines von Grantick! Merk dir das!" Dies waren die Worte ihres Vaters. Sie inhalierte sie, wie vorhin noch den Rosenduft im Zimmer der Näherin.
"Die Gerechtigkeit hat ihn getötet! Er hat sie zerstört, er hat sie getötet, er hat sie in den Tod getrieben, er hat sie getötet", jedes einzelne Wort klang wie der Schlag eines großen Gongs. Sie ging ein paar Schritte und drehte sich von Tussi weg. Dann holte sie etwas aus ihrem Stiefel. Sie wandte sich wieder zu Tussi. "Du wolltest ihn schützen. Du wolltest ihr Andenken besudeln. Die Gerechtigkeit wird dich ergreifen..."
Tussi sah, dass es ein Messer war. Ein langes, scharf glänzendes Messer. Die Panik kroch zurück in ihre Knochen und füllte sie mit dem Summen eines Bienenstocks.
"Ich will nicht sterben", flüsterte sie, zu sich selbst "es stimmt nicht. Du bist ungerecht", sagte sie zu Eulalia. Das Mädchen hielt in der Bewegung inne.
"Warum?", formten ihre Lippen lautlos.
"Wegen dir sitzt ein kleiner Junge im Gefängnis. Vielleicht bringt man ihn an den Galgen!", stieß Tussi hervor, wie ein Donnerwetter.
"Ich werde ihn retten", grollte Eulalia "ich werde ihn befreien. Er ist unschuldig. Wir werden ihn retten, wir werden ihn befreien, wir werden ihn retten."
Langsam ging sie zu Boden, bis sie vor Tussi kniete. Die überlegte nicht lange – Sie trat zu, mit aller Kraft, die in ihren Beinen steckte. Ohnmächtig ging Eulalia zu Boden. Jetzt war Zeit alles was sie brauchte. Mit ihren gefesselten Händen fummelte sie an ihrer Geldkatze herum, bis der Verschluss offen war. Dann verrenkte sie sich gewaltig, bis sie schließlich den Kronkorken fand, den ihr die Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. Sie atmete hastig, wenn Eulalia jetzt aufwachte, wäre alles vorbei. Fieberhaft begann sie mit dem Kronkorken an den Fessel zu ritzen. Eine echte Fummelarbeit und der Fortschritt zeigte sich nur sehr langsam. Wenn sie jetzt aufwachte, wenn sie jetzt aufwachte, wenn... Schweiß brach Tussi aus, ihre Hände wurden so glitschig, das ihr fast der Kronkorken entglitten wäre. In ihrem Kopf tickte eine Uhr Sekundenbruchteile schnell. Dann war sie frei. Am liebsten hätte sie Eulalia noch einmal ins geschundene Gesicht getreten, aber sie verkniff es sich. Wichtiger war es, sie zu fesseln und zur Wache zu bringen. Mit grimmiger Entschlossenheit band sie dem Mädchen die Hände – und machte nicht den Fehler, die Füße zu vergessen.

***


"Ein umfassendes Geständnis. Nur was mit der Leiche passiert ist, weiß sie nicht. Im Gefängnis wird sie wohl nicht landen – eher in der Klapse", sagte Bregs und schlug zufrieden die Akte zu. "Das hast du ganz gut gemacht, Gefreite. Du hast wohl ein Gespür dafür, wie man die Püschologie richtig anwendet."
Tussi schüttelte den Kopf, salutierte zum Abschied und sagte dann:
"Das war keine Püschologie. Das war Pfüsiologie."
Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Kathiopeja

20.07.2005 13:08

also erstmal: herzlichen glückwunsch!
ich hab genauso bewertet. ich fand die single sehr unterhaltsam und über gastauftritte freut sich wohl jeder. :wink:
schade fand ich, wie gesagt, dass nich klar wird, was aus arif geworden is.
ich hab die single vor ner weile gelesen und erinner mich leider nich mehr an alle einzelheiten.
aber auf jeden fall schöne ermittlungsarbeit mit püschologie.

Von Romulus von Grauhaar

20.07.2005 13:35

Eine sehr schöne Single, hat Spaß gemacht, sie zu lesen.
Ein paar kleinere Kritikpunkte sollten trotzdem sein, damit du weißt, wo du etwas verbessern kannst:
- Schade fand ich, dass durch den Titel schon viel von der Lösung des Falls verraten wurde, was ein wenig die Spannung gemindert hat, die ansonsten durchaus vorhanden war.
- Bregs war stellenweise irgendwie nicht so der Bregs, wie man ihn sich vorstellt, er wirkte einfach zu korrekt und zu wenig griesgrämig, außerdem hätte ich unter den von Tussi zu lesenden Büchern mindestens einen Kitsch-Horror-Roman vermutet, wenn die Zusammenstellung von Bregs stammt ;)
- Dass sich die Zellen für Gefangene sicher nicht auf dem Hinterhof befinden, sondern im Keller, geht nicht nur aus den Scheibenwelt-Romanen und zahlreichen anderen Singles hervor (die man ja alle nicht unbedingt gelesen hat), sondern auch ein wenig aus der Logik: Wer baut denn bitte Zellen so, dass die Gefangenen leicht entkommen können? Ein Keller oder alternativ ein seeeehr hoher Turm ist da eigentlich immer am besten geeignet, und da die Wache keinen seeeehr hohen Turm hat, bleibt woll nur noch der Keller übrig ^^

Und noch eine Kleinigkeit in eigener Sache (die aber nichts mit meiner Bewertung zu tun hat, die mit dem Endergebnis übereinstimmt):
So schön die Single zu lesen war, so langwierig war es, sie zu korrigieren. Ich war ehrlich gesagt kurz davor, sie deswegen zurückzuschicken.
Lies dir doch deine Single nochmal gründlich durch, bevor du sie abschickst, dann fallen dir sicher vergessene oder doppelte Wörter und ähnliches auf. Rechtschreibfehler (ich glaube es waren eigentlich nur Tippfehler) kann man übrigens ganz schnell korrigieren, indem man die Rechtschreibprüfung von Word, Open Office, ... - eigentlich bei jeder Office-Variante die ich kenne - nutzt.
Und bitte, bitte, bitte, lass die Spiegelstriche vor der wörtlichen Rede weg :D

Von Sillybos

20.07.2005 20:55

Mir haben insbesondere deine schönen Metaphern gefallen. Du schreibst sehr flüssig und lebendig mit vielen humorvollen Details und interessanten Figuren. Sehr schön. :)
Das Einzige, was ich zu bemängeln habe, ist das Ende der Geschichte, das meiner Ansicht nach ziemlich gradlinig verläuft und auch nicht so detailiert ausgearbeitet ist (Eulalia schien mir viel mehr zu sagen zu haben als du sie hast sagen lassen). Auch sonst fehlt mir bei der Handlung ein bisschen die Tiefe, so dass mein Vorschlag für's nächste Mal lautet: Vielleicht eine kleine Wendung mehr einbauen, deine Figuren in ihrer ganzen Breite darstellen und - ich hoffe, du verstehst das jetzt nicht falsch - bis zum Ende durchhalten. :wink:
Ansonsten aber eine sehr schöne Single, die ich gerne gelesen habe. :)

Silly

Von Araghast Breguyar

25.07.2005 11:43

@Romulus: Das mit dem Buch stimmte schon, durch gewisse Erlebnisse hat sich Bregs' Einstellung zu gewissen Werken ein wenig... nun ja, verändert. Er würde sie nicht mehr zum Vergnügen lesen. Ich hatte die Ehre, die enstprechenden Textstellen vorher lesen zu dürfen und fand sie in Ordnung. Der Kerl ist manchmal ziemlich unberechenbar in seinem Verhalten ;)

Von Tussnelda von Grantick

27.08.2005 09:43

@Silly: ja, was das Ende betrifft, gebe ich mich geschlagen;-)

@Romulus: Was ich nicht verstehe, ist die Sache mit den Rechtschreibfehlern...? Ich habe nämlich die Rechtschreibprüfung drüber gelassen. Was die Spiegelstriche betrifft, kannste haben*gg*. Und ja, der Hinterhof ist schon ein bisschen eigenartig. Okay, das nächste mal der Keller.

Vielen Dank für die Bewertungen und vor allem für Eure Kritik!

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