Ein Unglück kommt selten allein: Eine seltsame Akte taucht auf und während sie eigentlich ganz andere Sorgen hat, entscheidet sich Kathiopeja für einen Besuch bei ihren Eltern. Was hat diese Akte mit Kathi zu tun? Kann sich ihre Mutter endlich an ihren Beruf gewöhnen? Und wie passt ihr Bruder in den Fall?
Dafür vergebene Note: 11
Der Tag begann gut für Kathiopeja. Vielleicht etwas zu früh, aber gut. Denn Marven, der Gnom, der sich seit einiger Zeit nicht mehr von ihr löste, war weg. Einfach nicht aufzutreiben. Jeder Versuch mit noch so verlockenden Angeboten brachte nichts, er ließ sich nicht blicken.
Kathi seufzte zufrieden.
Vielleicht ist er tatsächlich abgehauen., dachte sie glücklich.
Die Turmuhren der Stadt begannen zu schlagen und als die Glocke der Unsichtbaren Universität mit unhörbarem Dröhnen die Geräusche der Stadt übertönte, durchzuckte die Ermittlerin die Gewissheit, dass sie zu spät kam.
Die Wächterin sah an sich herunter und nahm schnell zur Kenntnis, dass sie ihre Uniform trug. Manchmal war sie sich da nicht ganz so sicher. Sie überprüfte das lieber noch einmal, bevor sie das Haus verließ.
Anschließend durchkramte sie einen Papierstapel und fand nach kurzer Zeit den gesuchten Brief. Ein routinierter Griff förderte ihre Dienstmarke aus einer Schublade hervor. Und schließlich nahm die Ermittlerin eine Umhängetasche vom einzigen Stuhl ihrer... nun... na ja... "Wohnung". Sie war schwarz und eigentlich für Marven gedacht. Aber der würde im Laufe des Tages sowieso wieder auftauchen.
So viel Glück, dass er für immer verschwindet, habe ich wohl leider nicht., machte sie ihre anfängliche Hoffnung wieder zu Nichte.
Er kommt spätestens zum Mittag wieder zurück.Sie schloss die Tür hinter sich und rannte zur Wache.
Eine Gestalt stand im Schatten des gegenüberliegenden Hauses. Sie schien zu lächeln, während sie beobachtete, wie Kathiopeja zur Arbeit hastete.
***In der Wache angekommen, stellte sich heraus, dass die Wächterin nichts verpasst hatte. Keine interessanten Fälle
[1] oder etwas, das es lohnte, mit mehr als nur mit einem müden Gähnen auf den Stapel mit den Akten 'gelöst' gelegt zu werden. Papierkram war die grausamste Erfindung der Wacheleitung, wie sie fand. Gerade las sie den Bericht über einen unlizenzierten Diebstahl. Eigentlich ein Fall, bei dem die Materialkosten, ihn aufzuschreiben, wahrscheinlich höher waren als der Gegenstand des Vergehens. Und auch die aufgeschriebenen Aussagen waren nicht sehr interessant:
WORAUF HIENE ICH BEMERKTE, DASS ES WEHG IST. Es war eine ungewöhnliche Handschrift und Kathiopeja fragte sich, in welcher Verfassung sie diesen Bericht geschrieben hatte. Sie hielt sich nicht damit auf, alle Fehler, die sie fand zu verbessern. Stattdessen versuchte sie, sich an die Fallaufnahme zu erinnern. Es musste ihr Fall sein...
Sie las den Namen, er sagte ihr nichts. Das war nicht weiter ungewöhnlich. Die Gefreite erinnerte sich nur schwer an Namen.
Sie las die Beschreibung des vermutlichen Tatherganges, doch auch der sagte ihr nichts. Und das war ungewöhnlich, da die Nummerierung des Berichts darauf hinwies, dass er recht neu war.
Sie las die Adresse.
Hmm... ganz in der Nähe, dachte sie.
Kathi blickte sich um. Obwohl sie sich zu viert ein Büro teilten, kam es selten vor, dass mehr als ein oder zwei der Wächter sich in ihm aufhielten. Sie war allein und hatte nichts zu tun, sah man mal von einem Aktenberg ab.
[2]Sie steckte den Bericht und etwas zu schreiben in ihre Tasche und machte sich auf den Weg.
***Fischbeinweg 45, dachte die Ermittlerin immer wieder.
Hier irgendwo muss es sein...Während sie weiter nach der richtigen Adresse Ausschau hielt überflog sie noch einmal den beschriebenen Fall im Bericht, was nicht ganz einfach war, da sich eine schwer zu entziffernde Handschrift und Rechtschreibung durch ihn zog. Kathiopeja hatte früh gelernt, dass die meisten Leute nicht viel von Rechtschreibung und Grammatik hielten. Doch sie gab für gewöhnlich zumindest ein wenig darauf Acht.
Bisher konnte sie der Akte entnehmen, dass der betreffenden Frau etwas gestohlen worden war. Als Tatort war das Wohnzimmer angegeben und die Frau betonte in ihrer Aussage immer wieder, dass es unmöglich war, es Geld zu stehlen. Das einzige Fenster war verriegelt und die Frau zwischen dem einzigem Ausgang und der Wohnzimmertür gewesen. Alles klang nach dem zwischenzeitlich sehr beliebten Spiel "Lasst-uns-die-Wache-mit-nicht-stattgefundenen-Diebstählen-nerven". Vor allem, da nicht angegeben war, was gestohlen worden war.
Kathi stand nun endlich vor der richtigen Haustür. Aber sie zweifelte langsam an ihrer Entscheidung. Dann dachte die Klatschianerin wieder an ihren Schreibkram.
Soo übel konnte eine genauere Verfolgung dieses Falles nicht sein.
Sie klopfte vorsichtig an. Eine von Grund auf schlecht gelaunte Frau öffnete die Tür. Sie war nicht sonderlich groß, hatte braune Haare und starrte die Wächterin aus ihren ebenfalls braunen Augen feindlich an.
Kathi schluckte. "Sie sind Irene Horn?", fragte sie.
"Wer will das wissen?", kam die unfreundliche Antwort.
"Stadtwache Ankh-Morpork."
Die Frau sah etwas gehetzt aus. "Bitte was?"
Kathiopeja ließ sich nicht ablenken. "Ihnen wurde etwas gestohlen, soweit ich weiß."
Die Bürgerin, die offensichtlich Irene Horn war, riss die Augen weit auf.
"Was meinen Sie?", wollte sie, für die Gefreite etwas zu schnell, wissen.
Kathi blickte verwirrt. "Nun... ich habe einen Bericht vorliegen. Ihnen wurde etwas gestohlen."
Ruckartig bewegte sich Irenes Hand. Einen kurzen Moment wollte sie die Tür zuschlagen, ließ es dann aber sein.
Ihr fiel etwas ein. "
Was wurde mir denn gestohlen?"
Die Klatschianerin dachte nach. "Das ist eine wirklich interessante Frage, Frau Horn. Genau
das geht aus dem Bericht nicht hervor."
Irene Horn wollte sich nicht weiter stören lassen. "Hören Sie zu, ich habe keine Zeit für so was!"
Kathiopeja sah die Frau seltsam an. "Wissen sie was? Sie haben sogar eine Aussage gemacht."
"Ich habe
was? Ich hatte noch nie mit der Wache zu tun!", antwortete sie etwas geschockt.
Die Gefreite hielt den Mund. Nun war sie vollkommen verwirrt. Sie hatte zwar das Gefühl, ihre Gesprächspartnerin verschweige etwas, doch sie konnte nichts weiter tun.
"Ähm... danke", sagte sie nur und ließ die Bürgerin allein zurück.
Diese schlug die Tür zu, lehnte sich von innen gegen sie und atmete auf. Wer hatte es der Wache verraten?
***Sie kehrte zum Wachhaus zurück. Als sie ihr Büro betrat, sah sie einen Brief auf ihrem Schreibtisch liegen. Die Ermittlerin konnte erkennen, dass er von ihren Eltern, oder besser gesagt: von ihrer Mutter war. In der letzten Zeit bekam sie immer wieder solche Briefe. Seit dem zweiten hatte sie sie nicht mehr gelesen, sie wusste, was darin stand.
Zum einen luden sie Kathi zum Essen am nächsten Abend ein, zum anderen beschwerten sie sich darüber, dass sie sich nicht gemeldet hatte.
Kathiopeja seufzte.
Irgendwann muss ich mich ja doch bei ihnen melden., dachte sie.
Solange hatte sie es aufgeschoben. Nun würde sie endlich antworten und die Beschwerden über ihren Beruf und darüber, dass sie noch immer keinen Mann geheiratet hatte, ertragen. Immerhin war Marven nicht da. Sie brauchte sich also keine bösen Kommentare von ihm anhören.
Sie dachte noch einmal an ihn. Schon seit heute morgen hatte er sich nicht mehr gemeldet. Es war bereits Mittagszeit. Langsam musste er Hunger bekommen. Noch nie war Marven so lange weg geblieben.
Kathi ertappte sich dabei, sich Sorgen um den kleinen Gnom zu machen, der ihr immer wieder auf die Nerven ging. Sie schüttelte den Gedanken ab. Nein, endlich war er weg. Warum sollte sie ihm nachweinen?
Sie wollte erst einmal etwas zu Mittag essen.
***Die Gefreite verließ die Kantine und suchte nach einem Kontakter. Sie musste mehr über Irene Horn und den Diebstahl herausfinden. Und darüber, warum dieser Bericht aufgetaucht war.
Es
war ihrer. Daran bestand kein Zweifel. Aber er
konnte nicht von ihr sein...
Hauptmann Daemon Llanddcairfyn, der neue Abteilungsleiter von RUM, lief ihr über den Weg.
Die Klatschianerin ging etwas schneller, um ihn einzuholen. "Sör?", fragte sie. Kathi, für die sein Name unaussprechlich war und wohl auch immer bleiben würde, lief nun neben ihm.
"Sör?", wiederholte sie.
"Hm... Ja... " Er kniff die Augen zusammen und schien zu überlegen. Schließlich fügte er hinzu: "...Gefreite Kathiopeja?"
Sie nickte eifrig. "Ja, Sör. Ich brauche einen Kontakter, der grade nichts zu tun hat."
Die Wächterin meinte, ein Grummeln zu vernehmen.
"Dann solltest du dir einen suchen."
Diese Worte klangen nicht direkt unfreundlich. Und bevor Kathiopeja etwas sagen konnte, war Daemon auch schon dem Gang weiter gefolgt.
Sie brummte und entdeckte jemanden, der ihr ganz bestimmt weiter half: Thask Verschoor.
Es hatte nur gute Argumente und einige freundlich Worte gebraucht, bis der braunhaarige Untote auf ihre Bitte einging.
Er wirkte dumm, wenig als Kontakter geeignet, plump und langsam. Doch, das wusste Kathi seit einiger Zeit, zumindest die ersten beiden Punkte trafen nicht zu. Zum Schluss hatte sie ihn noch einmal angelächelt und möglichst schnell um Ergebnisse gebeten.
Nun saß sie wieder in ihrem Büro und bearbeitete Akten. Nirgends war eine weitere seltsam auffallende zu finden.
Schließlich nahm sich die Gefreite wieder den Bericht des Diebstahls, der sie seit heute morgen beschäftigte.
Was sollte sie damit tun? Dort stand, in einer furchtbaren Schrift und unfassbaren Sprache, dass etwas gestohlen wurde. Nur was?
Es war eine Aussage aufgeschrieben. Doch die entsprechende Person, und Kathi zweifelte nicht daran, dass es sich heute morgen um Irene Horn gehandelt hatte, wusste nichts davon, oder gab es zumindest vor.
***Den Rest dieses und des nächsten Tages hörte sie nichts von dem Kontakter Thask. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich wieder mit den Akten der kaum nennbaren Diebstähle zu beschäftigen, zwischen denen sie den Fall Irene Horns entdeckt hatte.
Am Nachmittag seufzte sie traurig, verließ die Wache und schrak zusammen, als ihr auf dem Weg durch die Stadt ihre Zusage zum Abendessen mit ihren Eltern wieder einfiel.
Niemand würde bemerken, wenn sie heute etwas früher Schluss machte.
Sie musste sich zu Hause noch etwas erholen.
***Am Abend verfluchte sich Kathi endgültig dafür, dass sie ihren Eltern zugesagt hatte. Erst, als sie beschloss, ihre RUM-Uniform zu tragen, machte sich etwas gute Laune breit.
Mittlerweile stand sie vor der Tür des großen Hauses, das nun ihren Eltern gehörte. Sie klopfte an.
Das Dienstmädchen war im Begriff zu sagen, dass der Boteneingang am anderen Ende war, als sie Kathiopeja erkannte. Schnell öffnete sie die Tür und entschuldigte sich für nicht ausgesprochene Worte. Die Gefreite winkte nur ab.
"Die Herrschaften sind bereits im Esszimmer."
Sie registrierte das Wort 'Herrschaften' mit Unmut.
"Mein liebes..." ihre Mutter unterbrach sich, als sie die Uniform sah. Sie wurde leicht blass und Kathi musste sich Mühe geben, nicht aufzulachen. Ihrem Vater schien es ähnlich zu gehen. "...Kind" beendete sie nun endlich den Satz mit einem Zittern in der Stimme.
"Marissa, meine Liebe, ist etwas nicht in Ordnung?", erkundigte sich Kristan, Kathiopejas Vater, der am Tisch saß.
Die Angesprochene presste die Lippen aufeinander und sagte in einem bitteren Tonfall: "Deine Tochter trägt eine Uniform."
[3]Von ihrem lächelnden Mann bekam sie die Antwort: "Meine Tochter scheint eben sehr beschäftigt zu sein. Wir sollten froh sein, dass sie es zu uns geschafft hat. Wann ist das Essen fertig?"
Diese Worte ließen das Dienstmädchen mit drei dampfenden Tellern erscheinen.
"Ahh... ihr solltet euch setzen."
Nach einigen Minuten des Schweigens fragte Marissa ihre Tochter schließlich: "Du arbeitest also immer noch bei der Wache?"
Kathi schluckte und antwortete schließlich mit genervtem Gesichtsausdruck: "Jaaa, Mutter."
So, als wäre es ihr gleichgültig fragte sie weiter: "Hast du vielleicht mal jemanden kennen gelernt? Möchtest du uns ihm vorstellen?"
Kathiopeja legte das Besteck hin. "Ich arbeite. Ich habe keine Zeit, jemanden zu suchen, dem ich euch vorstellen könnte." Sie nahm ihre Gabel wieder auf. "Und außerdem verdiene ich nicht genug Geld, um den armen Kerl
dafür zu entschädigen.", fügte sie hinzu.
Ihre Mutter antwortete nicht, aber ihr Vater konnte einen Lachanfall noch grade so in Husten verwandeln.
Es folgte wieder Stille. Als das Dessert aufgetragen wurde, ließ sich Marissa noch einmal zu einem Kommentar hinreißen: "Dir ist klar, dass dein 'Beruf', nichts für dich ist? Dein Vater und ich haben hart gearbeitet, um dir ein arbeitsfreies Leben zu ermöglichen. Und, wenn du unbedingt arbeiten musst, dann doch nicht bei der
Wache!"
Sie hält sich heute ja richtig zurück., dachte Kathi.
Ich hätte einen solchen Kommentar früher und auch häufiger erwartet.Sie hatten das Essen schließlich beendet. Und es lebten sogar noch alle.
"Ich gehe in mein Zimmer, wenn du nichts dagegen hast.", wandte sich die Ermittlerin an ihre Mutter. Diese nickte nur.
"Warte noch einen Augenblick.", sagte Kristan und winkte dem Dienstmädchen. "Maria, mach bitte Licht in ihrem Zimmer. Aber zünde nicht alle Kerzen an." Er zwinkerte Kathi zu. Als das Mädchen mit Namen Maria zurückkehrte ging Kathi die Treppe hoch.
Sie hielt das Haus für zu groß. Doch ihre Eltern wollten den neu erworbenen Reichtum der Welt zeigen.
Früher waren sie nicht arm gewesen, aber sie hatten auch nicht in einem Haus gewohnt, in dem man problemlos eine kleine Pension aufmachen konnte
Damals teilten sich Kathiopeja und ihr Bruder ein Zimmer und kämpelten jeden Abend um das Bett, von dem aus man aus dem Fenster sehen konnte. Sie hatten ein Wohnzimmer, eine Küche, ein Bad und zwei Schlafzimmer gehabt. Heute besaß jedes Familienmitglied zwei Räume, und das, obwohl eigentlich nur noch ihre Eltern in dem neuen Haus wohnten.
Was hatte ihr Vater eben zum Dienstmädchen gesagt? "Zünde nicht alle Kerzen an."
Außerdem hatte er Kathi so seltsam zugezwinkert. Was sollte sie davon halten?
Die Wächterin öffnete die Tür zu ihrem ehemaligen Schlafzimmer und... ihr blieb die Luft weg.
Sie schloss die Tür und sah sich um. Doch sie war richtig, das
musste ihr Zimmer sein.
Kathiopeja öffnete die Tür wieder und blickte sich um. Die Dienstmagd war der Aufforderung selbstverständlich nachgekommen und so war es nur eine Art Halblicht. Aber dieses Halblicht reichte vollkommen aus, um ihr eine bisher ungekannte Sorte des Schreckens aufzuzeigen.
Rosa Wände stachen ihr entgegen. Der Mund der Ermittlerin öffnete und schloss sich immer wieder. Das Bett, nein, das
Himmelbett war mit weiß-rosanem Tüll verziert und... bei den Göttern! Waren das Rüschen an der Wand?
Jedem Besucher drängte sich bei diesem Anblick das Wort
einzigartig auf.
[4]Kathis Blick fiel auf den Schrank.
Früher hatte sie auch den mit ihrem Bruder geteilt. Sie hatten genug Geld gehabt, so dass Kathiopeja nur selten seine alten Sachen tragen musste.
Sie öffnete die Schranktür. Eigentlich hätte sie nichts mehr erschrecken können, doch mit weißen Ballkleidern hatte sie nicht gerechnet.
Die Klatschianerin hatte genug. Erst wurde ihr Beruf nicht ernst genommen, dann fand sie heraus, dass ihre Mutter (sie bezweifelte nicht, dass es ihre Mutter gewesen war) ihr nachspionierte und nun DAS.
Was will sie?, fragte sich Kathi, als sie wütend die Treppe hinunter und auf die Haustür zustapfte.
Erwartet sie mich in rosa Kleidern mit zwei geflochtenen Zöpfen? Soll ich nur darauf warten, dass man mich verheiratet um mich dann den Rest meiner Tage zu langweilen?Sie erreichte die Tür und ging, ohne sich zu verabschieden. Der laute Knall der erklang, als sie wieder zugeschmissen wurde, sollte eigentlich Hinweis genug sein.
***Marven trippelte in ihr Büro, als Aven es verließ.
Kathi bemerkte ihn erst gar nicht, bis er sie ins Bein biss.
"AU!", schrie sie und blickte nach unten. "Da bist du ja! Kannst du nicht ein Wort sagen, wenn du verschwindest?"
"Du hast geschlafen", rechtfertigte er sich. "Sollte ich dich wecken?"
Seine Frage klang, als wolle er nur ihr bestes. In Wirklichkeit hatte er mit aller Macht versucht, ihren Schlaf zu stören, es aber einfach nicht geschafft.
"Ist ja auch egal... Du bist sicher nur gekommen, um mir zu sagen, dass du mich verlässt."
Der Gnom kletterte an ihr hoch, bis er ihren Schreibtisch erreichte.
"Nein, ich bin gekommen, um dir die tolle Neuigkeit zu überbringen, dass ich dir noch eine Weile erhalten bleibe."
Kathiopeja sagte nichts dazu. Sie suchte sich Beschäftigung, denn eigentlich wartete sie nur auf Informationen über Irene Horn.
***Am Nachmittag bekam sie endlich Nachricht von Thask.
Er hatte einige Informanten befragt und zwei von ihnen hatten ihm mitgeteilt, Irene Horn hätte ein Kind entführt. Warum, konnte keiner von beiden sagen. Es hieß nur, dieses Kind sei schon einen Tag nach seiner Entführung durch Irene verschwunden und niemand hatte eine Ahnung, wo es sich nun befand. Auch der Name des Kindes konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.
Für Kathi stand nun fest, dass sie diese Frau Horn noch einmal besuchen würde. Sie musste ihr diese Entführung nachweisen und herausfinden, wo das Kind war. Da das Kind nicht mehr bei ihr war, musste die Ermittlerin FROG nicht einschalten.
Viel versprach sie sich von dem wiederholten Besuch nicht, aber sie wusste nicht, wo sie sonst beginnen sollte.
Kathiopeja nahm ihre Tasche und bemerkte, dass Marven schlief.
Einige Minuten später stand sie in einer kleinen abgelegenen Straße auf halbem Weg zur Entführerin. Das Gefühl verfolgt zu werden hatte sie einbiegen lassen. Hinter ihr war jemand.
Sie hörte, wie eine Armbrust gespannt wurde und hatte das plötzliche Verlangen, sich zu verstecken.
"Du solltest aufmerksamer sein, Wächterin."
Kathi kannte diese Stimme. Doch sie hatte sie eine Weile nicht mehr gehört und konnte nicht glauben, dass er in Ankh-Morpork sein sollte.
"Dreh dich ganz langsam um. Und ich will deine Hände sehen."
Die Klatschianerin tat, wie ihr geheißen und blickte in eine teure Armbrust. Ihr Besitzer hatte kurze, schwarze Haare und sowohl seine blauen Augen, als auch sein Mund lächelten sie an. Die Kleidung wies ihn als Assassinen aus.
Also doch..., dachte sie nach einem Moment der Überraschung.
Laut und etwas entspannter meinte sie: "Was machst du denn hier?"
"Was ich hier mache?", fragte der schlanke und recht große Assassine vor Kathi. Belustigt fügte er hinzu: "Ich prüfe, wie leicht man dich erschießen kann."
"Offensichtlich sehr leicht. Und jetzt NIMM ENDLICH DIE ARMBRUST AUS MEINEM GESICHT!", sagte sie noch immer ein wenig geschockt aber mit einem genervten Knurren in der Stimme.
Ihr Gegenüber lachte und ließ die Waffe sinken. "Weißt du, Reg, es ist wirklich schön, dich mal wieder zu sehen."
Reg..., dachte sie. Es gab einige, die versucht hatten, sie so zu nennen. Allerdings immer nur
einmal. Sie bestand auf ihren zweiten Vornamen. Und ihren Ersten abzukürzen, war für Kathi auch keine befriedigende Lösung. Das erfuhren auch diejenigen schnell, die es auf diesem Weg probierten.
Die Klatschianerin seufzte zufrieden. "Könntest du jetzt bitte den Bolzen wieder aus der Armbrust entfernen?"
"Die Wache macht dich übervorsichtig, was?"
"Nein, es ist ganz normal einem Assassinen nur aus möglichst weiter Entfernung und wenn er unbewaffnet ist gegenübertreten zu wollen.", meinte sie grinsend.
Der schwarzhaarige Mann wollte zu einer Entgegnung ansetzen, als eine kleine Hand, die Kathi erst jetzt bemerkte an seinem Bein rüttelte. Es war eine Kinderhand und das dazugehörige Kind stand noch hinter ihm. Nur der Zipfel eines blauen Kleides war zu erkennen. Offensichtlich war Kathiopeja vorher zu abgelenkt gewesen, um es zu bemerken.
"Ist das...", begann die Ermittlerin. Doch sie wurde sofort von dem Assassinen unterbrochen. Er sprach leiser als zuvor und war mit seinem Anhängsel auf unerklärliche Weise etwas näher gekommen, ohne die Beine zu bewegen.
"Ja", sagte er. "Das ist meine Tochter. Du kennst sie noch nicht, soweit ich weiß. Ich muss dich trotzdem bitten, ein, vielleicht zwei Tage auf sie aufzupassen."
Er nahm die Hand des kleinen Mädchens und führte es vor sich, so dass es zwischen ihm und Kathi stand. Daja, Kathiopeja wusste, dass sie so hieß, war ihrem Vater ähnlich. Man konnte fast sagen, wie aus dem Gesicht geschnitten. Die selben sanften Gesichtszüge, helle blaue Augen, die sich durch die gesamte Familie zogen und schwarze Haare. Zur Zeit trug sie zwei geflochtene Zöpfe und ein blaues, gemustertes Kleid.
"Ich bin schon vier.", sagte das kleine Mädchen mit unverkennbarem Stolz. Dazu zeigte sie der Wächterin vier Finger ihrer rechten Hand, um ganz sicher zu gehen, dass sie verstand. Kathi nickte nur. Sie hatte, wenn es um kleine Mädchen ging, zwei vollkommen verschiedene Meinungen:
Einerseits konnte sie sich dem Niedlichen an ihnen nicht verwehren und musste sie nett finden, andererseits wusste sie ganz genau, dass es kleine Teufel waren. Sie kannte das aus erster Hand. Immerhin war auch sie mal klein gewesen.
"Daja, das ist deine Tante Re...", er unterbrach sich. "... deine Tante Kathi. Du musst nur kurz bei ihr bleiben. Sie ist sehr nett."
Kathiopeja lächelte ihre Nichte an. "Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen."
Sie meinte, kurz gemeine Intelligenz in den Augen des Mädchens erkannt zu haben, als sie das sagte. Doch es war wohl nur Einbildung.
"Ich muss gehen"
"Was? Basti, du kannst mich nicht jetzt schon mit ihr allein lassen!", entfuhr es der Klatschianerin erschrocken.
"Schwesterchen, ich hab es ihr schon erklärt. Ihr werdet euch gut verstehen."
"Aber... aber ich bin mitten in einem Fall!"
Sebastian, der Assassine, grinste wissend. "Dabei kann sie dir bestimmt behilflich sein. Ich habe ein paar Sachen von ihr bereits bei dir unter gebracht." Mit diesen Worten verschwand er in den Schatten der Häuser.
Kathi interessierte es gar nicht, wie er herausgefunden hatte, wo sie wohnte. Sie war mit Daja allein und sollte sich eigentlich nicht um sie, sondern um ihren Fall kümmern.
Marven, der das ganze in der Umhängetasche verschlafen hatte blickte aus ihr heraus.
"Wer ist das?", wollte er auf das Mädchen deutend wissen.
"Meine Nichte.", antwortete Kathiopeja schlicht und beobachtete, wie die Kleine mit einem hölzernen Spielzeug auf dem schmutzigen Boden Ankh-Morporks spielte.
"Woher hast du sie?", fragte der Gnom verwirrt.
Geistesabwesend sagte die Gefreite: "Von meinem Bruder. Ich soll auf sie aufpassen."
Kurze Stille folgte.
"Daja?"
Das Mädchen blickte auf.
"Wir müssen jetzt weitergehen. Weißt du, was eine Wächterin ist?
Die Angesprochene nickte nur.
"Ich bin eine Wächterin und muss arbeiten. Du kannst später dabei zusehen. Jetzt gehen wir zu mir nach Hause."
Kathi sprach es in einem Ton aus, als wäre, ihr bei der Arbeit zuzusehen das größte Vergnügen der Scheibenwelt.
Daja stand auf und hielt ihrer Tante eine Hand hin. Die blinzelte nur verwirrt. Offenbar war ihre Nichte gut erzogen worden und außerdem daran gewöhnt, sich bei Fremden Leuten zu befinden.
Sie nahm das Mädchen bei der Hand und führte sie zu ihrer Wohnung.
***In ihrer Wohnung fand sie tatsächlich eine Tasche mit den Sachen Dajas. Sie stand auf ihrem Bett.
Die Kleine hatte vor einer Weile angefangen zu erzählen. Kathi verstand nicht alles, da sie teilweise noch Probleme bei der Aussprache hatte. Vor allem das 'K' machte ihr Sorgen. Manchmal sagte sie statt dessen 'P', was dazu führte, dass die Wächterin erst einmal über einige Sätze nachdenken musste.
Das Mädchen schien sehr vertrauensvoll der Klatschianerin gegenüber.
"Bald geh ich zur Schule.", freute sie sich grade.
"Hast du keine Angst? Willst du gar nicht zu deinem Papa?", fragte die Ermittlerin unverhofft. Schon die ganze Zeit machten ihr diese Fragen zu schaffen. Sie fand, dass es nicht normal für ein Kind war, einfach so mit Fremden mitzugehen. Zumindest nicht, wenn sie keine Süßigkeiten oder andere Ablenkungen hatten.
Das Mädchen sah sie mit großen Augen an.
"Papa hat gesagt, du passt auf und bist nett."
Kathi verstand den Zusammenhang nicht. Schlug aber ihre Tasche leicht, als sie hörte, wie Marven kicherte und fragte: "Nett?"
"Er hat gesagt, du bist seine Schwester.", sprach Daja weiter.
"Ja, das stimmt.", antwortete die Wächterin.
Für ihre Nichte war das Thema damit abgeschlossen. Und zu Marvens Verhängnis hatte er zum falschen Augenblick aus der Tasche geblickt. Mit einem breiten Lächeln und riesiger Freude nahm sie den Gnom in ihre Hand.
Kathiopeja grinste. "Möchtest du mit ihm spielen?"
"Ja!", sagte das Mädchen und nickte begeistert.
"Sei aber vorsichtig. Marven,...", sie wandte sich an den wenig begeisterten Gnom. "...wenn du sie beißt, solltest du dich bei mir besser nicht mehr blicken lassen."
Er grummelte und wurde sofort zur Puppe umfunktioniert. "Das wird dir noch leid tun!" Marven drohte Kathi mit der geballten Faust. Doch sofort beschwerte sich Daja: "Halt still."
Schnell hatte Kathiopeja eine Schublade für die Sachen ihrer Nichte geleert. Einige Spielzeuge, die ebenfalls in der Tasche waren, hatte sie auf den Stuhl gelegt. So kam die Kleine auch alleine an sie ran.
Doch nun musste sie zu Irene Horn. Sie konnte die Kindesentführerin nicht einfach unbehelligt lassen. Kathi zweifelte nicht an den Informationen, die ihr Thask hatte zukommen lassen.
"Daja, wir müssen los." Es erschreckte die Ermittlerin, wie selbstverständlich sie das gesagt hatte. Als wäre das Kind schon immer bei ihr gewesen.
Genauso selbstverständlich löste sich das Mädchen von ihrem unfreiwilligen Spielgefährten.
***Kathi empfand es als besser, Daja auf alles vorzubereiten. Sie hatte den Blick von Frau Horn noch gut in Erinnerung.
"Pass auf,...", sagte sie zu dem Mädchen. "...diese Frau ist nicht sehr freundlich. Aber keine Angst, sie wird dir nichts tun. Hast du das verstanden?"
"Ja, Kathi."
Sie klopfte an die Tür.
Irene Horn öffnete und sah die Wächterin an.
"Was wollen Sie denn schon wieder hier?"
Daja zog Kathiopeja an der Hand.
"Das ist die böse Frau!", meinte sie ängstlich.
Irene wurde nun auch auf das Mädchen aufmerksam und fuhr geschockt zurück.
"Das... das kann nicht sein!", rief sie und lief ins Haus, ohne sich um die beiden Besucher zu kümmern.
Die Ermittlerin verstand nicht. Sie nahm die zitternde Daja auf den Arm und fragte sie ernst: "Welche böse Frau?"
Das Mädchen wischte sich ein paar Tränen aus den Augen und putzte sich an Kathis Uniform die Nase.
"Die mich vor ein paar Tagen geholt hat."
Es arbeitete im Hirn der Klatschianerin. War nicht...? Konnte es sein, dass...?
"Hat sie dich hierher gebracht?" Sie beeilte sich. Wenn sie nicht schnell genug war, würde Irene vielleicht schon geflohen sein, ehe sie etwas tun konnte.
"Jaaahaaa....", erklang es mitleidserregend.
Die Gefreite setzte Marven gemeinsam mit Daja im Türbogen des Hauses ab.
"Du spielst kurz mit Marven, ich bin gleich wieder da." An den Gnom gewandt fügte sie hinzu: "Und du passt gut auf sie auf!"
Sich um ihre Nichte Sorgen machend zog sie den Dolch, den sie immer bei sich trug. Er war nicht in bester Verfassung, doch Kathi hätte ihn nie gegen einen anderen eingetauscht.
Sie rannte ins Haus und sah Irene Horn am oberen Ende der Treppe. Diese schien nur auf die Wächterin gewartet zu haben. Die Frau trug eine Armbrust. Doch offenbar hatte sie die Waffe noch nie benutzt.
"Bleib da stehen, Wächterin!" Ihre Stimme klang gehetzt.
"Sie haben sich eben selbst überführt, Frau Horn." Die Ermittlerin gab sich Mühe, ruhig zu klingen, denn obwohl Irene eindeutig nicht mit der Armbrust umgehen konnte, bestand noch immer Gefahr, von dem Bolzen getroffen zu werden. Schicksal spielte einem manchmal übel mit.
"Ich schieße auf dich!", kreischte die Entführerin hysterisch.
Kathi sah ein, dass ihr Dolch ihr in diesem Fall wenig half.
"Es bringt nichts, wegzulaufen. Sie sollten die Waffe weglegen."
Zitternd hob die Angesprochene die Armbrust und versuchte auf Kathiopeja zu zielen. Sie schien verzweifelt genug, um wirklich auf die Wächterin zu schießen. Diese sah sich nun nach einer Deckung um. Doch noch bevor sie ein geeignetes Möbelstück erreichte, streifte der abgeschossene Bolzen ihren Fuß und riss eine lange Schramme in ihre Haut. Es schmerzte in der Nähe ihres Knöchels und die Gefreite konnte nicht sagen, ob es an dem Bolzen lag oder daran, dass sie vor Schreck umgeknickt war.
Irene versuchte unterdessen, einen neuen Bolzen einzuspannen. Sie war dabei, die Treppe hinunter zu laufen. Ein irres Glitzern in ihren Augen verriet der Klatschianerin, dass Frau Horn alles tun würde, um nicht hinter Gittern zu landen.
Kathi blickte auf ihren Dolch. Ihn zu werfen war nie eine ihrer Stärken gewesen. Etwas anderes schien ihr jedoch nicht übrig zu bleiben. Entkommen lassen wollte sie die Kindesentführerin unter keinen Umständen.
Die Wächterin sah ein, dass sie sich nicht auf ihren linken Fuß verlassen konnte. Damit wurde es noch unwahrscheinlicher den anvisierten Punkt zu treffen. Mittlerweile war Irene Horn etwas die Hälfte der Stufen hinabgestiegen und bot somit ein etwas größeres Ziel.
Jetzt oder nie..., dachte Kathiopeja. Sie warf den Dolch und zielte mehr oder weniger gut auf den Arm von Irene Horn, der die Armbrust hielt.
Ein Schrei erklang, als die klinge ihr Ziel traf. Es war ein langer Schrei, von gepolter begleitet, der erst aufhörte, nachdem die Entführerin am Fuß der Treppe endgültig aufgeschlagen war.
Tatsächlich hatte Kathi das rechte Bein getroffen, woraufhin Frau Horn das Gleichgewicht verlor und fiel.
Vorsichtig näherte sich die Gefreite, doch sie sah schnell, dass von der am Boden Liegenden keine Gefahr mehr ausging.
Sie zog ihren Dolch aus der Toten, bevor sie das Grauen darüber erfassen konnte, dass sie an diesem Tod Schuld war.
Der Sturz musste sehr laut gewesen sein, denn Marven trippelte durch den Flur auf die Treppe zu. Er begriff schnell und hinderte Daja durch Ablenkung daran, ebenfalls weit genug in das Haus zu gehen.
Kathiopeja musste dieses Haus so schnell wir möglich verlassen. Diesmal verzichtete sie darauf, Daja auf den Arm oder an die Hand zu nehmen, da durch den Dolch noch Blut an ihren Händen klebte.
Ihre Nichte konnte nicht allzu viel vom Zustand ihrer Tante mitbekommen. Der Gnom gab sich alle Mühe, die vollkommene Aufmerksamkeit des Mädchens zu bekommen.
***In der Wache angekommen, fand sich jemand, der auf die Tochter des Assassinen aufpasste, während Kathi einen sehr kurzen Bericht abgab. Außerdem musste sie ihre Hände sauber machen.
Auf dem Weg zum Wachhaus hatte sie sich wieder etwas gefangen. Sie schlug vor, Wächter zum Ort des Vorfalls zu schicken. Zu spät, denn es war bereits geschehen.
Danach legte sie besonders viel Wert darauf, sich gründlich zu waschen. Zusammen mit Daja machte sie sich auf den Weg in ihre Wohnung. Und zumindest der Besuch am Abend lenkte ihre Konzentration von dem durch sie verschuldeten Unfalltod der Frau ab.
Ihr Bruder saß auf dem Stuhl, auf dem Schoß seine Tochter, während sich Kathi auf das Bett gesetzt hatte.
"Wie hast du den Bericht in meinen Aktenstapel geschmuggelt?", unterbrach sie das Schweigen. Dass er dahinter steckte, war ihr erst vor kurzem in den Sinn gekommen.
"Wenn du es wissen willst, musst du es herausfinden.", antwortete er grinsend.
Kathiopeja nickte. Damit hatte sie gerechnet.
"Und warum diese furchtbare Schrift?"
"Hättest du dich andernfalls sofort näher damit befasst?"
Das war ein Argument. Kathi sparte sich die Frage, wie er Daja zurück bekommen hatte. Statt dessen fiel ihr etwas besseres ein.
"Warum hat diese Frau Horn Daja entführt?", wollte die Klatschianerin wissen.
Doch als Antwort bekam sie lediglich Schweigen, so dass ihre Gedanken kurz zu der Toten Frau abgleiten konnten.
Schließlich sagte er: "Es war beruflicher Natur. Sie meinte, mich dadurch zu einem Mord überreden zu können, weil sie sich eine Inhuminierung offenbar nicht leisten konnte. Ich würde gerne wissen, woher sie von Daja wusste..."
Die Gefreite starrte ihren Bruder an. Er konnte sich mit der Moral der Assassinengilde, oder besser gesagt ganz Ankh-Morporks offenbar abfinden. Solange er bezahlt wurde und er eine Quittung hinterließ, war es rechtens. Wie schaffte er es, ohne stechende Schuldgefühle und Gewissensbisse fremde Menschen zu töten?
"Ich werde Daja nicht sofort mitnehmen. Ich habe noch zu tun. Das ist doch kein Problem, oder?" Er sah seine Schwester an.
"Nein, natürlich nicht. Wirst du zu Hause vorbeischauen?" Die Klatschianerin vergaß in diesem Moment Irene Horn. Zumindest bis zum nächsten Tag.
Sebastian blickte in die Luft. "Vermutlich nicht. Dein Besuch war ja auch nicht sonderlich erfolgreich." Er zog die Augenbrauen hoch. "Was glaubst du, wie sie darauf reagieren würden, dass ich Assassine geworden bin?"
Die Wächterin lachte. "Den Gesichtsausdruck möchte ich sehen."
Es behagte ihr nicht unbedingt, dass ihr Bruder Assassine war. Doch, das sah sie ein, wegen seiner Tochter brauchte er Geld mehr denn je.
Er stand auf, umarmte Kathi, gab Daja einen liebevollen Kuss und ging.
"Nun... was machen wir heute Abend?", fragte die Ermittlerin ihre Nichte.
Die hielt bereits ein Buch in der Hand.
"Liest du es mir vor?"
Kathiopeja las den Titel. Es war ein klatschianisches Buch, dass sie als Kind ebenfalls besessen hatte: 'Die 1001. Nacht'.
***Daja war bereits am nächsten Morgen wieder von ihrem Vater abgeholt worden. Irgendwie vermisste Kathi die Kleine. Sie hatten nicht viel voneinander gehabt. Doch das ließ sich sicher nachholen, da Basti versprochen hatte, bald endgültig nach Ankh-Morpork zu ziehen.
Außerdem hatte ihre Nichte sie abgelenkt. Nun nagte die tote Frau Horn an ihr. Es war nie ihre Absicht gewesen, dass diese die Treppe hinunter fiel. Kathiopeja sah darin jedoch keine Minderung ihrer Schuld. Irene war tot. Und sie trug die Verantwortung dafür. Das war eine einfache logische Reihe, an deren Ende die Gefreite als Mörderin stand.
Ohne es zu bemerken, wurde sie von Marven beobachtet. Falten bildeten sich auf seiner kleinen Stirn. Er begann sich Sorgen um seine menschliche Freundin zu machen, denn ihm war klar, worüber sie sich Gedanken machte. Ein Besuch beim Püschologen würde ihr bestimmt nicht schaden.
Als der Gnom sich direkt neben ihrem Ohr befand räusperte er sich. Allerdings war er zu leise und so sprach er die Wächterin schließlich an.
"Hey, Kathi."
Die zuckte so stark zusammen, dass Marven fast von ihrer Schulter flog. Mit letzter Kraft zog er sich wieder hoch und schnaufte gekränkt.
"Was willst du?", wollte Kathi dann genervt wissen.
"Alles in Ordnung?"
"Nein."
Mehr sagte sie dazu nicht. Sie hatte noch einen Bericht zu schreiben. Sollte sie viel Pech haben, würde auch noch eine Untersuchung gegen sie eingeleitet werden.
Nach einiger Zeit meinte der Gnom: "Vielleicht solltest du dich mal bei einem Püschologen melden."
Kathiopeja seufzte. "Morgen sehe ich Tussi.", antwortete sie abwesend.
So hatte Marven das nicht gemeint. Tussnelda von Grantick, kurz Tussi, war eine Püschologin in Ausbildung. Die beiden Wächterinnen kannten sich seit ihrer Rekrutenzeit.
Der Rest des Abends verging ohne weitere Gespräche. Zwar hoffte der Gnom, dass die Klatschianerin bald wieder von ihren normalen Stimmungswechseln heimgesucht wurde, doch er ahnte, dass die nächste Zeit für sie wohl nur aus konstanten Schuldgefühlen bestehen würde.
[1] Wofür sie etwas dankbar war. Fälle konnten auch
zu interessant sein.
[2] Es war unfassbar, selbst wenn man den Papierkram
sofort nach den Fällen erledigte und sich erst mit einem neuen befasste, wenn der Bericht fertig war,
sammelten sich trotzdem Berge von unerledigtem Papierkram an![3] Erstaunlicherweise hat sich bei Eltern im gesamten Multiversum die Trennung von 'dein Kind' und 'mein Kind' eingebürgert. Solange das entsprechende Kind zufriedenstellende Dinge tat, sprach man immer von 'meinem Kind'. Tat es etwas falsches, wandte man sich einfach an seinen Partner und benutzte die Wendung 'dein Kind'.
[4] Was nicht zwangsweise etwas gutes hieß. Bei einem ungewöhnlichen und nicht wirklich schmackhaften Essen sagte man aus Höflichkeit auch
Äh.. ja.. das war wirklich sehr... interessant., anstatt
Wenn du das nächste mal so etwas kochst, sag mir vorher bescheid, dann vergifte ich mich lieber.Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster
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