Tricia ist verschwunden. Will sie etwa einen alten Fall abschließen?
Dafür vergebene Note: 10
Herr Käse sah von dem Glas auf, das er gerade säuberte, und betrachtete den Zauberer, der still auf seinem Stuhl, vor einem Notizbuch saß, und nachzudenken schien.
"Wie wäre es mit einem Bier?", versuchte er ihn nicht völlig uneigennützig aufzumuntern.
"Darf ich noch nicht", antwortete Pyronekdan, ohne von seinen Notizen aufzusehen. "Ich bin noch im Dienst. Aber ein Apfelsaft wäre nicht schlecht."
"Sollten Wächter im Dienst nicht draußen herumlaufen, und Verbrecher fangen?", fragte der Kneipenbesitzer weiter und füllte das gerade gereinigte Glas mit dem gewünschten Getränk.
"Manchmal müssen sie auch über einen Fall nachdenken, um herauszufinden, wer der Täter war, oder was genau passiert ist."
"Ich habe gehört, dass es im Wachhaus dafür Büros geben soll", bemerkte Herr Käse leicht ironisch und stellte ihm das Glas hin. "Das soll nicht heißen, dass ich etwas dagegen hätte, Wächter auch im Dienst zu bedienen. Das macht übrigens 20 Cent."
"An meiner Bürotür hängt ein Schild, damit jeder, der etwas von mir will, weiß wo ich zu finden bin", erklärte Pyronekdan, und gab dem Wirt eine entsprechende Münze. "Dort ist es mir im Moment nämlich zu hektisch zum Nachdenken."
"Viele neue Fälle im Moment?"
"Ja, es scheint fast so, als wollten sich die Abteilungen gegenseitig übertrumpfen. Aber die meisten Fälle stellen für uns kein allzu großes Problem dar. Außer einem", berichtete der Zauberer.
Da es so früh am Tag noch keine weiteren Kunden gab, nahm sich Herr Käse einen Stuhl, und setzte sich zu dem Hauptgefreiten.
"Worum geht es dabei?", fragte er weiter.
"Wir vermissen eine Kollegin, die einen Fall bis in die Kerkerdimensionen verfolgt hat."
"Das nenne ich aber Enthusiasmus."
"Und das, wo der Fall offiziell schon abgeschlossen war."
"In dem Fall darfst du mir doch sicher mehr darüber sagen, oder?"
"Ich glaube schon. Zumal die Täter nicht mehr am Leben sind. Der Bildhauer Sanan hatte einer gewissen Lisa van Kraft ein magisches Artefakt gestohlen. Damit wollte er seinen Freunden, den Trollen, zur Herrschaft über die Scheibenwelt verhelfen."
"Wie denn das?"
"Wenn das dunkle Dreieck zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine Aussparung an der Spitze des Kunstturms gesetzt worden wäre, hätte sich die Scheibenwelt stark abgekühlt."
[1]"Wie ich sehe, konntet ihr das wohl glücklicher Weise verhindern", bemerkte Herr Käse, und blickte durch ein Fenster nach draußen.
"Allerdings musste ich dabei soviel Magie einsetzen, dass ein Loch zu den Kerkerdimensionen entstand, durch welches Lisa verschwunden ist", erklärte der Zauberer, der sich danach geschworen hatte, nie wieder magische Gegenstände mit Magie zu bewegen.
"Ich dachte, Tricia wäre verschwunden?", warf der Wirt ein, der Wächterin schon oft bewirtet hatte.
"Sie ist Lisa vor ein paar Tagen gefolgt, als sich erneut ein Zugang öffnete."
"Dann hoffe ich, dass sie bald wieder zu Rinas Truppe zurückfindet."
"Rinas Truppe stimmt nicht mehr ganz. Inzwischen haben wir nämlich einen neuen Abteilungsleiter, der den Laden so richtig in Schwung bringen will!"
"Scheint nicht gut für das Betriebsklima zu sein, habe ich recht?"
"Stimmt. Wenn man in seiner Nähe ist, scheinen sich manchmal sogar Gewitterwolken über einem zusammenzuziehen."
"Redet ihr über mich?", fragte Hauptmann Llanddcairfyn, der gerade den Eimer betreten hatte.
"Wie wäre es mit einem Drink?", schlug Herr Käse vor, und sprang von seinem Stuhl auf. "Ich gebe eine Runde aus."
"Was bei nur zwei Gästen, die auch noch im Dienst sind, nicht allzu teuer ist", stellte Daemon fest, nachdem er sich umgesehen hatte. "Ich schließe mich dem Hauptgefreiten an", fügte er hinzu, da er beruhigender Weise festgestellt hatte, dass dieser keinen Alkohol bestellt hatte.
"Ich nehme auch noch einen Apfelsaft", war von dem Zauberer zu hören. Und mit Blick auf seinen ehemaligen Ausbilder und neuen Abteilungsleiter: "Dabei kann man gut nachdenken."
"Gibt es was neues von Tricia?", fragte der Hauptmann, nachdem er sich zu seinem Kontakter gesetzt hatte.
"Leider noch nicht. Thask hat heute schon zweimal erfolglos in allen toten Briefkästen nachgesehen, auch in denen der Unsichtbaren Universität."
"Eine tolle Leistung, wenn man bedenkt, wie langsam er ist."
Der Wirt stellte den beiden Wächtern je ein Glas Saft hin, und zog sich hinter seinen Tresen zurück, da er offensichtlich im Moment nicht benötigt wurde.
"Wieso ist sie nur Lisa van Kraft eigenmächtig in die Kerkerdimensionen gefolgt?"
Pyronekdan holte den Zettel hervor, den die Verdeckte Ermittlerin in aller Eile in damals noch Rinas Büro zurückgelassen hatte.
"Sie schrieb, dass sie allein in Rinas Büro war, als sich plötzlich ein Eingang zu den Kerkerdimensionen öffnete, und sie Lisa van Kraft dadurch erkennen konnte. Es blieb kaum Zeit diese Nachricht zu schreiben, da es sich langsam wieder schloss."
"Ja, ja. Das habe ich auch schon oft gelesen. Aber warum ist sie hineingegangen."
"Ich glaube, sie wollte mit der Abteilungsleiterin reden", vermutete der Zauberer.
"Ich meinte, warum sie durch das Tor in die Kerkerdimensionen gegangen ist, wo sie doch wissen muss, wie gefährlich das ist! Warum ist Lisa nicht statt dessen herausgekommen?"
"Das würde ich auch gerne erfahren", meinte der Zauberer, der noch immer hoffte, seine Kollegin bald wiederzusehen. "Wenn ich nur wüsste, wieso sich das Tor in Rinas Büro geöffnet hatte."
"Kann es etwas hiermit zu tun haben?", fragte Daemon, und gab dem Hauptgefreiten ein schwarzes Dreieck. "Das habe ich in Rinas Schublade gefunden."
Ungläubig betrachtete der Zauberer den Gegenstand.
"Es scheint das echte zu sein, das als verschollen gilt, und nicht die Kopie, die ich zerbrochen hatte."
"Dann pass gut auf, dass du dieses nicht auch zerbrichst", mahnte ihn der Abteilungsleiter. "Sonst ziehe ich dir die Reparatur vom Lohn ab."
"Hat es SUSI schon untersucht?"
"Die meinen, dass du dich am besten mit magischen Gegenständen auskennst. Mit ihren Methoden konnten sie nur herausfinden, dass es aus geschwärztem Eisen ist."
"Ich versuchte mein Bestes", versprach Pyronekdan. "Hast du sonst noch etwas ungewöhnliches gefunden?"
"Nur diese Haarnadel. Aber die könnte auch Rina gehören."
"Ich tippe eher auf Lisa. Sie hat die Angewohnheit ständig welche zu verlieren", meinte der Zauberer, und nahm auch diese an sich.
"Sag mir sofort Bescheid, wenn du etwas herausfindest", wies der Abteilungsleiter den Hauptgefreiten an. Ich muss wieder in die Wache, um mich um die Ausbildung unserer neuen Mitarbeiter kümmern.
"Mach ich", erwiderte dieser, und freute sich, dass Daemon seine Saft nicht getrunken hatte.
Sein zweites Glas war inzwischen halb leer. Oder war es halb voll? Gab es da einen Unterschied? Vermutlich hing das nur von der Sichtweise ab. Aber könnte das mit den Kerkerdimensionen nicht genauso sein? Vielleicht war die Scheibenwelt aus der Sicht der Kerkerdimensionen ja auch eine Art Unterwelt. Er leerte das Glas, doch die Fragen blieben.
Nun standen auf seinem Platz zwei leere und ein volles Glas. Die leeren Gläser waren also in der Mehrheit. So wie die Meinung darüber, wie gefährlich die Kerkerdimensionen waren. Aber sagte die Mehrheit etwas über den Wahrheitsgehalt aus? Pyronekdan war jedenfalls ein volles Glas lieber, als zwei leere.
Der Wirt, der gerade nichts anderes zu tun hatte, räumte die leeren Gläser weg. Jetzt stand dort nur noch das volle Glas. Pyronekdan nahm einen Schluck. Der Saft schmeckte wirklich gut.
"Sag Bescheid, wenn du noch mehr möchtest", sagte Herr Käse und fing an die leeren Gläser abzuwaschen.
Konnte es sein, dass Lisa dort etwas gefunden hatte, dass sie veranlasste noch länger zu bleiben, und Tricia zu überreden ihr zu helfen?
Der Zauberer blätterte in seinen Aufzeichnungen. Lisa van Kraft, las er da. Wohlhabend, abenteuerlustig und immer auf der Suche nach ungewöhnlichen Artefakten.
War das dunkle Dreieck für sie nur der Zugang gewesen, um etwas viel wertvolleres zu finden? Und brachte sie dafür Tricias Hilfe? Aber was konnte das sein?
Pyronekdan legte das Dreieck vor sich auf den Tisch. Sein oktarines Leuchten war für Zauberer nicht zu übersehen. Das Fehlen jeder anderen Farbe schien das noch verstärkten. Auf der Oberfläche war allerdings nicht viel zu erkennen.
"In diesem Lokal werden keine Gäste mit Tentakeln bedient", erklärte Herr Käse vorsorglich, der das argwöhnisch beobachtete.
"Alle Dinge haben zwei Seiten", meinte der Zauberer, und drehte das Dreieck um. "Ein Wesen mit vielen Tentakeln könnte hinter dem Tresen eine Menge Wächter gleichzeitig bedienen."
"Es sind aber im Moment keine weiteren Wächter anwesend", war aus Richtung Tresen zu vernehmen, hinter dem ein Wirt in Deckung gegangen war, den das aus zweierlei Hinsicht nicht freute.
Erstens würden mehr Wächter mehr Einnahmen bedeuten, und zweitens mehr Sicherheit vor ungebetenen Gästen aus den Kerkerdimensionen.
Pyronekdan beachtete die Befürchtungen des Wirts nicht weiter, sondern wandte sich wieder dem Dreieck zu. Die Rückseite, die sich jetzt als Vorderseite entpuppte, war umgeben von sehr alten Schriftzeichen. Der Zauberer nahm sein Notizbuch zur Hand, und schrieb die Wörter hinein. Dabei murmelte er sie unabsichtlich vor sich her.
Dadurch änderte sich das Leuchten langsam zu einem Bild. Pyronekdan erkannte plötzlich Lisa van Kraft. Sie hielt ein Dreieck in den Händen, das dem dunklen Dreieck glich. Nur dass es weiß war.
Das scheint genauso zu funktionieren, wie meine Teledämonen, dachte Pyronekdan. Nur mit Bildern.
Tentakel konnte der Zauberer keine auf dem Bild erkennen. Doch zu seiner Erleichterung Tricia. Die beiden Frauen gingen einen Bergpfad entlang auf ein Dorf zu. Offensichtlich waren sie also nicht mehr in den Kerkerdimensionen, sondern hatten einen Weg zurück zur Scheibenwelt gefunden. Vermutlich mit Hilfe des weißen Dreiecks, hinter dem Lisa vermutlich her gewesen war.
"Du kannst hinter dem Tresen vorkommen", beruhigte der Hauptgefreite den Wirt. "Das Dreieck hat keine Verbindung mehr mit den Kerkerdimensionen. Und schicke eine Nachricht an die Wache, dass ich eine Runde ausgebe."
"Sagtest du nicht, dass du im Dienst bist?", wunderte sich Herr Käse.
"Mein Dienst ist für heute beendet", erklärte Pyronekdan, der froh war, dass seine Kollegin wohl auf war. "Und ich glaube, ich könnte jetzt ein Bier vertragen."
[1] siehe Multi 'Das dunkle Dreieck'
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