Des Wächters neue Kleider (oder: Warum lässt mich denn niemand ausreden?)

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von Feldwebel Sillybos (SUSI)
Online seit 06. 07. 2005
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Eine kleine Single zur Vorschrift Nr. 3426: Im Wachdienst sowie zu zeremoniellen Veranstaltungen ist eine Dienstuniform zu tragen. Das Tragen von nichtdienstlicher Kleidung im Wachdienst ist untersagt.

Dafür vergebene Note: 13

Alles begann mit Alkohol im Dienst. Und mit einem Rotweinflecken auf der Uniform...


Sillybos saß in der Mittagspause in seinem Büro, genoss die Ruhe und dachte nach. Er stieß einen leisen zufriedenen Seufzer aus, lehnte sich zurück und – da er sich unbeobachtet fühlte und seine Bürotür geschlossen war – griff er mit einer Hand zwischen seine Beine und tastete nach ...
"Sillybos!" erklang die Stimme seines Abteilungsleiters von draußen. "Du sollst dich in Rinas Büro melden. Sofort!"
Sofort bedeutete sofort. Ein bisschen verärgert, in der Mittagspause gestört worden zu sein, sprang der Feldwebel auf und ärgerte sich kurz, dass sein Sklave Hegelkant nicht da war.


Als Sklave war es Hegelkants Aufgabe, sich um Sillybos' Haushalt zu kümmern. Kochen, abwaschen, putzen, fegen, Wäsche waschen, bügeln, heizen, aufräumen, einkaufen, Müll rausbringen. Er machte es gerne, und da er es nur für zwei Personen machte, hatte er auch noch Zeit für sein Philosophiestudium bei Sillybos. Er bewunderte die aufopferungsvollen Hausfrauen, die die ganze Arbeit für eine Großfamilie bewältigen. Es bedurfte gewiss eines gehörigen logistischen und organisatorischen Talents dazu, und er war der Meinung, dass jede Behörde und sogar auch die Stadtwache von einer Hausfrau geleitet werden sollten (Sillybos hatte diese Ansicht als Unsinn bezeichnet, weil Hausfrauen nicht gebildet seien). Fröhlich marschierte der Sklave durch die Kurze Straße und schaute sich zielstrebig um.


Rina war erstaunt, als Sillybos schnell (und keuchend) in ihr Büro gelaufen kam. Sie musterte den Feldwebel aufmerksam von oben bis unten.
"Sillybos, kennst du die Vorschrift zum korrekten Tragen der Dienstuniform?"
Sillybos nickte und deutete auf die Missionsvorlage.
"Und?" fragte Rina auffordernd.
Der Feldwebel rührte sich nicht. "Stimmt etwas nicht?"
"Du bist nackt, Sillybos."
"...was nicht gegen jene Vorschrift verstößt."
"Du bist nackt, Sillybos."
Sillybos schwieg. Da musste noch was kommen.
"Etwas ungewöhnlich, findest du nicht?"
Der Philosoph dachte darüber nach und gab es nach kurzer Bedenkzeit zu.
"Warum bist du nackt?"
"Naja, ich saß gerade in meiner Wanne im Büro und tastete zwischen meinen Beinen nach einem Stück Seife –"
"Moment, Moment, du hast eine Wanne in deinem Büro? Seit wann?"
"Seit gestern. Mit Rascaals Erlaubnis."
Rinas Gesichtsausdruck wechselte von unwissender zu wissender Verwirrung.
"Und da riefst du mich, ich solle sofort in dein Büro kommen. Also sprang ich auf, trocknete mich kurz ab und lief hierher", beendete Sillybos seine Erklärung.
Rinas Verwirrung wurde nicht weniger.
"In der Erwartung, dass du mir etwas wichtiges mitteilen möchtest", fügte der Philosoph auffordernd hinzu. Rina starrte Sillybos an, sah jedoch nicht seine erwartungsvollen Augen (die waren weiter oben), sondern meinte nur: "ich will mich hier nicht über jede Kleinigkeit aufregen. In Zukunft erwarte ich jedoch, dass du bitte jederzeit eine Uniform trägst, wenn du dein Büro verlässt."
"Meine Uniform ist im Moment in der Reinigung, Ma'am." Bewusst setzte er die ungewohnte Anrede ein, um den Augenkontakt wieder herzustellen. "Ein kleines Missgeschick heute morgen. Hegelkant hat die Uniform zur Reinigung gebracht. Ich erwarte ihn zum Ende der Mittagspause zurück."


Hegelkant betrat die Wäscherei von Lorenz Frischduft. Heute allerdings zum ersten Mal, um wirklich Wäsche zu waschen und nicht nur Waschmittel zu kaufen. Der Sklave mochte den Waschmann, der neben einigen hilfreichen Tipps zur Kleidungspflege auch immer für einen netten Plausch über dieses und jenes zu haben war. So auch dieses Mal. Hegelkant gab die Uniform ab, erläuterte kurz die ungewöhnlichen Umstände, bekam ein paar Hinweise zur Behandlung von Rotweinflecken und setzte das Gespräch über dies und das fort.


"Folgendes", begann Rina. "Du sollst heute Nachmittag eine Unterrichtsstunde für die Rekruten geben. Unterrichtsraum Zwei, um ein Uhr. Ein bisschen Theorie, du verstehst schon. Es sollte schon ein höherrangiger Wächter sein, aber die Offiziere haben gleich Besprechung wegen des Patrizierbesuchs."
"Und wovon soll der Unterricht handeln?"
"Hm, keine Ahnung. Ist alles ein bisschen kurzfristig, weißt du? Denk dir halt was aus. Ist eigentlich auch nicht wichtig. Es soll die Rekruten halt ein bisschen ablenken, damit sie sich ruhig verhalten, wenn der Patrizier zu Besuch kommt."
"In Ordnung." Sillybos richtete sich auf und salutierte.
"Aber vielleicht solltest du vorher deine Uniform wieder anziehen", sagte Rina.
"Warum?"
"Aus, äh, ästhetischen Gründen und, naja, um zu vermeiden, dass..."
Sillybos schaute die Ausbildungsleiterin fragend an. "Glaubst du, dass jemand gewisse Anspielungen machen könnte?"
"Das hast du gesagt", sagte Rina. Mit einem Schmunzeln und Nicken beendete sie das Gespräch. Männer, dachte sie, denken doch immer nur an das eine...


"Sechs", erklärte Hegelkant. "Zumindest bei mir ist das so."
Lorenz Frischduft nickte. "Sechs Jahre sind eine lange Lehrzeit", sagte der Waschmann und prüfte die Uniform. "Und was wirst du machen, wenn du fertig bist?"
"Das weiß ich noch nicht genau. Mein Herr schlug eine Weltreise vor, um den Horizont zu erweitern."
"Wäre bestimmt sehr spannend."
"Ja, und es verschafft einem Philosophen mehr Respekt, hat mein Herr gesagt."
"Unter euch vielleicht. Ihr Philosophen seid ja ohnehin ein eigenes Volk." Lorenz lächelte. "In Ankh-Morpork aber zählt das Gesehene und Erlebte nichts. Hier kommt es für einen Mann vor allem auf zwei Dinge an."
Hegelkant schaute interessiert. "Meinst du Länge und Umfang?"


Wieder in seinem Büro angekommen, schloss Sillybos die Tür hinter sich und schaute zur Uhr. Dann ging er zu seinem Schreibtisch und blätterte in irgendwelchen Akten. Eigentlich konnte Hegelkant ja auch noch gar nicht zurück sein, dachte er, das ist zeitlich gar nicht zu schaffen. Sillybos überlegte, was zu tun sei. Sein Sklave war eigentlich immer recht pünktlich, aber es kann immer etwas dazwischenkommen. Vielleicht sollte er schon mal vorgehen zu den Rekruten. Dann kam ihm in den Sinn, dass er ja immer noch keine Uniform anhatte. Und schließlich reifte in ihm eine Idee...


"Hallo Rekruten, ich bin Feldwebel Sillybos, und heute werde ich euch beibringen, was es bedeutet, sich als Wächter Respekt zu verschaffen", verkündete er mit ernster Miene vor der Klasse. Die Rekruten schauten ihn aufmerksam an. Hin und wieder blickten welche zu ihren Sitznachbarn. Einige verzogen irritiert das Gesicht. Man sollte meinen, sie hätten noch nie einen untersetzten, grauhaarigen, nackten Mann gesehen.


Gefreite Akkhuna Lupus erschrak etwas, als plötzlich niemand geringeres als Lord Vetinari das Wachhaus betrat. Sie salutierte. Zu ihrem Glück (aber auch zu ihrem Unbehagen) kam aber auch gleich der Kommandeur aus dem Besprechungsraum geeilt und begrüßte das Stadtoberhaupt. Akkhuna salutierte auch vor dem Kommandeur.
"Freut mich, dass du es einrichten konntest, Herr", sagte Rascaal.
"Ich bedanke mich für die Einladung, Kommandeur Ohnedurst", sagte Lord Vetinari. "Ich dachte mir, ich überprüfe, ob und wie sich die Stadtwache nach dem Wechsel an der Spitze verändert hat."
"Viel hat sich nicht geändert", meinte der Kommandeur. "Das meiste geht mehr oder weniger seinen gewohnten Gang."
"Davon bin ich überzeugt, Kommandeur." Lord Vetinari sah sich um. "Ich möchte mir gerne ein Bild von der Rekrutenausbildung machen, sofern es gestattet ist. Die Wächter von morgen."
"Eine ausgezeichnete Idee, Herr", log Ras und warf einen flüchtigen Blick auf den Ausbildungsplan am Wachetresen. "Im Moment befinden sie sich im Unterrichtsraum Zwei. Wir gehen am besten gleich dorthin."


Zu spät, er war viel zu spät! Hegelkant eilte durch Ankh-Morporks Straßen. Das Mittel von Lorenz Frischduft gegen den Rotweinfleck war zwar exzellent, allerdings dauerte die Einwirkzeit doch länger als erwartet. Die Mittagspause war längst vorbei und sein Herr hatte noch immer keine Uniform! Nur noch ein paar Meter bis zum Wachhaus, schnell die Stufen hoch und...
Rrraaatsch!
Er blieb am Geländer hängen und am Hosenboden der Feldwebeluniform klaffte ein riesiges Loch. Oh nein...


Sillybos saß auf dem Stuhl hinter dem Pult und schaute in der Klasse umher. Einige Rekruten kicherten. Einige machten Gesten. Einige erröteten. Für das große Gelächter war es inzwischen zu spät, erkannte der Philosoph. Er stand auf und schrieb die Vorschrift Zum Tragen Der Dienstuniform Im Wachdienst an die Tafel. Das sorgte für mehr Ruhe, weil die Rekruten lesen mussten. Er setzte sich wieder und erklärte den Rekruten ruhig, dass er nicht gegen diese Vorschrift verstoße und dass im Prinzip alle Wächter nackt herumlaufen könnten. "Doch es gibt einen triftigen Grund, warum Wächter im Dienst eine Uniform tragen sollten", sagte er.
Dann stand Sillybos auf und trat vor das Pult.
Und die Klasse starrte gebannt auf des nackten Mannes...


"Würstchen und zwei Eier." Olga-Marias Stimme klang enttäuscht bei dem Anblick.
"Zumindest ist es ein langes Würstchen", sagte Gefreite Ophelia Ziegenberger, die neben ihr saß. So wird man zumindest satt."
"Naja, auch nicht wirklich."
"Wenn du ein bisschen kleinere Bissen nehmen würdest, hättest du auch mehr davon."
"Das Würstchen ist ja auch in Ordnung, aber ich mag keine Eier."
"Wenn du 10 Minuten früher zum Essen gekommen wärst, hättest du noch etwas Kartoffelbrei abgekriegt."
"Ich kann mir ja denken, wie der schmeckt."
"Naja, die Kantine der Stadtwache ist halt kein Gourmet-Restaurant. Es soll dir ja nicht schmecken, sondern du sollst nur satt werden."
Olga-Maria beobachtete, wie Ophelia mit dem Würstchen in ihrem Kartoffelbrei rumstocherte.
"Weißt du, was ich mir manchmal wünsche?"
In dem Moment betrat ein großer, muskulöser, dunkelhäutiger Mann die Kantine. Er schaute sich kurz um und ging dann geradewegs auf die beiden Wächterinnen zu.
"Wärt ihr zwei vielleicht bereit, mir einen kleinen Gefallen zu tun?" fragte er mit einem Lächeln.
Leicht irritiert blickten die beiden Wächterinnen zu dem Mann.
"Kommt darauf an..."
"Naja, ich bräuchte etwas Nähzeug."
"Nähzeug?"
"Ja, zum Nähen. Der Weg zur Näherinnengilde ist leider etwas zu weit..."
Olga-Maria und Ophelia schauten sich an. Olga-Maria lächelte.


Sillybos hatte sich geirrt. Es war noch nicht zu spät für das große Gelächter. Nachdem ein Rekrut gerufen hatte "Schaut euch mal den an!", fingen alle an zu lachen, einer lauter als der andere. Diejenigen, die leicht beschämt wegschauten, gingen in der Masse unter. Das hatte der Philosoph auch einkalkuliert, allerdings nur für eine kurze Zeit. Er schaute auf die Wanduhr. Wo blieb bloß Hegelkant? Und als er einen Moment abgelenkt war, nutzte ein frecher Rekrut die Gelegenheit und traf den Feldwebel mit einem Papierkügelchen direkt an seinem...
"Lümmel! Wer war das?" Streng schaute Sillybos von links nach rechts. Langsam wurde es ihm zuviel. Er überlegte, was zu tun sei und rieb sich seinen steifen...


"Stabsspieß?" Hegelkant lugte unsicher durch die offene Bürotür Ateras. Als diese ihn freundlich hereinbat, drückte er die Tür auf, entschuldigte sich und machte einen halben Schritt ins Büro.
"Ich bin auf der Suche nach meinem Herrn", sagte er schüchtern.
"Sillybos? Der ist, soweit ich weiß, im Unterrichtsraum, schon seit 20 Minuten."
"Ah gut, danke."
"Sag, hast du da etwa seine Uniform?"
"Äh, ja. Ich habe sie in der Mittagspause in die Reinigung gebracht, und dann musste ich auch noch einen kleinen Riss nähen lassen, so dass es leider etwas länger gedauert hat."
Atera kramte in ihren Gedanken. "Also, ich glaube zumindest, dass er im Unterrichtsraum ist, auf alle Fälle hat Rina das in der Besprechung gesagt, und schließlich sind auch Ras und Vetinari auf dem Weg dorthin –"
Hegelkant schaute die inne haltende Chefin an.
"Sag Hegelkant, hat Sillybos eigentlich noch eine Ersatzuniform hier im Wachhaus?"
"Hier? Nein, die sind daheim im Fass."
"Oh oh –"


Der erste Teil des Unterrichts war durchaus nach Plan verlaufen. Die Rekruten zeigten keinerlei Respekt und Ansehen gegenüber dem Feldwebel, spotteten, kicherten, lachten über ihn. Jetzt wäre der zweite Teil an der Reihe gewesen, doch dazu brauchte er seine Uniform. Aber auch so musste er zumindest für etwas Ruhe sorgen, schließlich war das sein eigentlicher Auftrag! Leider war auch seine körperliche Statur nicht sonderlich Furcht einflößend gegenüber den Rekruten. Was nun vonnöten war, war Autorität. Um diese zumindest einigermaßen zeigen zu können, nahm der Philosoph seinen Stuhl, stellte ihn vor das Pult und kletterte drauf. Leicht breitbeinig stand er nun und bereitete sich darauf vor, mit lauter Stimme zu sprechen, als langsam die Tür aufging.
Endlich, dachte Sillybos.


Der Tag von Rascaal Ohnedurst war soweit ganz gut verlaufen. Zwar war Lord Vetinari eine halbe Stunde zu früh erschienen (zunächst dachte Ras auch, es wäre ein Scherz, als Daemon in der Besprechung sagte, dass soeben Lord Vetinari am Fenster vorbeigegangen wäre), aber das Stadtoberhaupt schien keine Anstalten zu machen, lange zu bleiben und hatte sich zudem auch zufrieden mit seinem Eindruck der Stadtwache erklärt. Dass er die Rekruten besuchen wollte, war zwar nicht vorgesehen, aber durch Daemon waren sie bestimmt schon entsprechend getrimmt worden, dass es keine großen Probleme geben würde. Ras wusste zwar nicht, was für ein Unterricht im Moment stattfand, aber er vermutete, dass sie sogleich zu einem kleinen Frage-Antwort-Spiel übergehen würden, wo der Patrizier die üblichen Sachen fragt, die Rekruten zunächst schüchtern und dann etwas unverblümter antworten und er als Kommandeur würde dann die Aussagen ins richtige Licht rücken und sagen, was die Rekruten eigentlich haben sagen wollen. Im Großen und Ganzen sollte das kein Problem darstellen.
Dann öffnete er die Tür und sah einen nackten Mann auf einem Stuhl inmitten von einer Meute johlender und tobender Rekruten.


"Aaachtung!", rief der Feldwebel, und er und alle Rekruten salutierten, als Lord Havelock Vetinari und Kommandeur Rascaal Ohnedurst den Raum betraten. Einen Meter vor dem Stuhl, auf dem der nackte Mann stand, blieben sie stehen. Eine Minute lang herrschte gespanntes Schweigen. Ras schaute Sillybos an. Sillybos salutierte weiterhin. Vetinari schaute zu Rascaal. Ras schaute Sillybos an. Die Rekruten wagten nicht zu atmen. Ras hielt sich die Hand vor Augen. Vetinari schaute wieder zu Sillybos. Ras lugte zwischen zwei Fingern hindurch, erblickte Sillybos und schloss seine Hand wieder. Der Philosoph stieg langsam von seinem Stuhl herunter. Der Patrizier sah Sillybos in die Augen und ließ seinen Blick den Körper hinunter wandern bis auf Sillybos' langen...
"Lord Vetinari, das, äh... ist Feldwebel Sillybos", begann Rascaal eine Vorstellung und schaute geradeaus zur Wand. "Er ... ist Philosoph und... äh, damals von Rince eingestellt worden... Wir...äh... planen derzeit keine neuen Philosophen in der Wache", fügte er hinzu.
Der Patrizier nickte Sillybos zu. Der Philosoph nahm den Arm runter und kratzte sich unauffällig am...
"Sag, Feldwebel, was tust du hier?"
"Ich, Herr, gebe Unterricht in Sachen Respekt", sagte Sillybos ernst. Lord Vetinari schien der einzige zu sein, der einem bei einem Gespräch noch in die Augen schaut.
"Ich nehme an, du weißt, dass du nackt bist, Feldwebel?" fragte Vetinari. Er hat es tatsächlich gesagt, dachte Ras. Eine Rekrutin kicherte und bekam dafür vom Kommandeur einen bösen Blick, der bestimmt Beförderungsstopp für die nächsten drei Monate bedeutete.
"Ja Herr, das ist mir bewusst", sagte Sillybos.
"Interessant", sagte der Patrizier. "Äußerst interessant."
"Feldwebel Sillybos ist für seine außergewöhnlichen Methoden bekannt", warf Rascaal ein. Berüchtigt, dachte er.
"Hast du etwas dagegen, wenn wir dem Unterricht für einen Moment beiwohnen, Feldwebel?", fragte Vetinari. "Wir werden uns auch ruhig verhalten."
"Bitte sehr, Lord Vetinari, in der letzten Reihe dort sind noch zwei Plätze frei."
Nachdem sich der Lord und der Kommandeur gesetzt hatten, setzte der nackte Mann seinen Unterricht fort. "Das hier", sagte Sillybos und deutete auf sein wichtigstes Körperteil, "ist das womit ich denke. Benutzt dieses Körperteil sooft es nur geht, nicht nur wenn ihr daheim in der Badewanne sitzt oder wenn ihr im Büro einer Ausbilderin oder einer Frau Oberleutnant seid."


Endlich kam Hegelkant am Unterrichtsraum an. Er öffnete vorsichtig die Tür und sah seinen Herrn, wie er nackt vor den Rekruten stand und erzählte. Die Rekruten waren auffallend ruhig. Sillybos nickte ihm zu und bat ihn herein. Langsam und mit einem schüchternen Grinsen schritt der Sklave in den Raum.
"Und hier", sagte Sillybos, "bringt mein Sklave Hegelkant meine Uniform. Gib sie mir. Und jetzt – danke, Hegelkant – werde ich eine kleine Verwandlung vollziehen, indem ich die Uniform anziehe. Und ihr werdet das Wunder der Uniform erleben. Ihr werdet sehen, wie sich dieser alte, dicke, nackte Mann in einen respektablen Feldwebel der Stadtwache von Ankh-Morpork verwandelt." Hegelkant half ihm bei der Jacke. "Es sind zwar nur zwei kleine, scheinbar nutzlose Teile, die aber für das Selbstwertgefühl eines Wächters von ungeheurer Bedeutung sind." Die Rekruten fragten sich kurz, welche Teile er wohl meinte, ehe Sillybos darauf deutete. "Und ihr solltet stets darauf achten, dass man sie auch gut sehen kann, besonders beim Salutieren." Er richtete sich auf. Ein bisschen stolz zeigte er den Rekruten seinen Webel. Dann kletterte er in die Hose und zog sie langsam hoch. Hegelkant stützte ihn und sah das Unheil kommen, als Sillybos' bestes Stück noch aus dem Reißverschluss seiner Hose hervorragte. Aber noch ehe er seinen Herrn warnen konnte, zog der Feldwebel den Reißverschluss mit einem Ruck zu und...
"AAAAAAAAAUUUUUUU!"


"Ich denke, es ist Zeit zu gehen, Kommandeur", sagte Vetinari zu Rascaal. "Wir haben noch so einiges zu besprechen, unter anderem auch die Rekrutenausbildung." In aller Ruhe stand er auf und verließ den Raum, der Kommandeur folgte ihm widerwillig. Zurück ließen sie einen vor Schmerzen verzweifelnden Sillybos, einen besorgten, aber letzten Endes hilflosen Hegelkant und eine Meute lachender Rekruten.


Später am Abend hatte sich Sillybos von den Schmerzen erholt und lehnte sich in seiner Bibliothek zurück. Hegelkant stand schräg hinter ihm und hatte ein Buch in der Hand.
"Ich hoffe, die Rekruten haben begriffen, was ich ihnen vermitteln wollte. Später konnte ich mit dem Unterricht zumindest einigermaßen vernünftig fortfahren."
"Gibt es eine Kernaussage, Herr?"
"Was ich den Rekruten am Ende klar machen wollte, ist, dass die Wächter sich untereinander zwar respektieren, aber dass das eigentlich die Ausnahme ist. Sobald man dort draußen auf der Straße ist, ist die Uniform nichts wert, schon gar nicht wirkt sie sich positiv auf den Respekt aus, der einem entgegengebracht wird. Wir sind hier in Ankh-Morpork."
"Ob sie das begriffen haben?"
"Ich weiß es nicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, alle Welt schaut mir nur auf meinen Bart. Man muss sich seinen Respekt hart erarbeiten. Ich habe heute sehr lange dafür arbeiten müssen bei den Rekruten. Und im Einsatz später ist es noch schlimmer."
Hegelkant dachte nach. In Ankh Morpork kam es nicht auf die Länge des Krummsäbels an (wie in Klatsch) oder auf den Umfang des verfassten Werkes (wie in Ephebe). "Lorenz Frischduft meinte, man braucht in Ankh-Morpork in erster Linie Geld und Muskelkraft, um respektiert zu werden."
"Ja, leider ist das die Realität. Das ist aber nicht so wie es sein sollte. Reichst du mir mal die Seife?"
"Wie sollte es sein, Herr?" fragte Hegelkant.
"Respekt", sagte Sillybos, "ist man jedem schuldig. Man darf einen Menschen nicht mehr als einen anderen respektieren, nur weil jemand eine Uniform trägt und jemand anderes nicht." Er hielt kurz inne und streichelte seinen langen Bart. Dieser wurde ganz schön in Mitleidenschaft gezogen, als er ihn im Reißverschluss eingeklemmt hatte.
Dann beugte er sich zu seinem Sklaven vor und deutete auf das Buch, das Hegelkant in den Händen hielt. "Aber auch dem Autor dieses Textes – Skripsipsos – solltest du mit Respekt begegnen. Er hat viele negative Kritiken bekommen, aber es ist sehr wichtig, dass du dir erst Klarheit darüber verschaffst, was der Autor denn überhaupt meint, bevor du dir ein Urteil bildest." Er kratzte sich am Hinterkopf und fand das Papierkügelchen, mit dem er heute beworfen wurde.
"Und woher weiß ich, was ein Autor meint?" fragte Hegelkant.
Sillybos rieb sich seinen steifen Nacken. "Du musst seine Texte bis zum Ende lesen."
Dann stand der Philosoph auf und stieg aus der Zweitwanne, die er sich neuerdings in die Bibliothek hatte einbauen lassen. "Heureka!", sagte er.
Demnächst auch als Hörbuch. Kritik erwünscht.



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