Patchworkstory

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von Gefreite Goldie Kleinaxt (DOG)
Online seit 31. 05. 2005
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Merkwürdige Morde in der Archäologengilde und ein merkwürdiger Eichhörnchenkult lassen DOG ermitteln.

Dafür vergebene Note: 12

Diese Geschichte spielt ganz bewußt aus der Perspektive von verschiedenen Nichtwächtercharakteren und zu Zeiten, in denen DOG personell unterbesetzt war.

In den Hauptrollen:
Silvia Meerstäd – eine Schneiderin
Elisabeth Pfeiffer – eine Studentin
Skadi Pfeiffer – eine junge Studentin
Otto Franzinger – Professor und Direktor der Gildenlehranstalt
Willi Brause – der Gildenhausmeister
Desweiteren:
Robin Picardo – Abteilungsleiter von DOG
Goldie Kleinaxt – DOG-Dobermann
Dlei Hunglige Mäuler – DOG-Dobermann
Patricio Niente (alias Patrick Nichts) – DOG-Husky
Mathilda – Gehilfin von Sylvia Meerstäd
Saiyana ibn Abyadh – DOG – Terrier
Akkhuna Lupus – SUSI – Tatortwächter
In den Nebenrollen:
Junge blonde Frau mit blutverkrusteter Schürze – Rea Dubiata – SUSI-Gerichtsmediziner


*** 1. Akt - Ankh-Morpork - ein kleiner Laden in der Seifengasse ***

Silvia Meerstäd war keine sehr einfache Person. Immerhin ist es auch nicht üblich sich als Schneiderin der oberen Zehntausend mit normalen Problemen und Macken zu beschäftigen. Für gewöhnlich interessierten sie die Aktivitäten der unteren Schichten nicht besonders. Daher schenkte sie auch der kleineren Menschenansammlung vor ihrem Geschäft keine besondere Aufmerksamkeit. Sollte sich der Pöbel doch versammeln!
Sie wendete sich wieder ihren alltäglichen Geschäften zu. Ihre Kundin eine ältere Frau, offensichtlich dem unterem Adel zugehörig stand ungeduldig vor ihr. Sie hatte die Arme von sich gestreckt und war aufgrund der Dauer des Maßnehmens sichtlich verärgert.
"Was ist den nun, Frau Meerstäd? Sie wurden mir zwar besonders empfohlen, aber ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!" schimpfte die ältere Person.
Silvia Meerstäd zupfte an einer Ecke und zeichnete eilig noch zwei Linien auf den Stoff.
"Ja Frau Jinkturi! Ich bin ja schon fertig!"
Mit einem eleganten Schwung ihres Handgelenkes zog sie eine letzte kleine Nadel aus dem Gewand der älteren Dame.
"So, gnädige Dame! Ich bin soweit fertig und werde das Kleid in den nächsten Tagen zurechtschneidern!"
"Danke. Ich hoffe es wird sein Geld" die ältere Dame hob deutlich die Stimme "und die Zeit wert sein!"
"Ich kann Ihnen versichern - Madame werden zufrieden sein!" erwiderte Silvia Meerstäd mit geübt öliger Stimme.
Innerlich jedoch kochte sie. So eine bodenlose Unverschämtheit! Seit Lady Selicha vor vier Wochen wegen einer Änderung bei ihr war hatte sie etwas derartige Arrogantes nicht mehr erlebt. Was dachte die Neuadlige eigentlich, wer sie war? Dieses neureiche Pack kaufte sich in die Kreise der höheren Gesellschaft.
Und während Silvia sich innerlich über Lady Jinkturi aufregte, lächelte sie und verabschiedete ihre ehrenwerte Kundschaft mit einem "Auf Wiedersehen, gnädige Frau!".
Silvia ärgerte sich auch noch weiter, als Lady Jinkturi das Geschäft schon längst verlassen hatte. Die gesamte höhere Gesellschaft der Stadt schätzte ihre Dienste. Keine Lady oder kein Lord, den ihre besondere Kunst -wie sie es gerne nannte- nicht schon ins besondere Licht gerückt hätte. Sie hatte es nicht nötig sich von dieser Jinkturi derart hetzen und herabwürdigend behandeln zu lassen.
In sich hineingrummelnd hörte sie hinter sich das Klingeln der Türglocke und spürte einen frischen Luftzug der durch den Raum zog. Sie blickte kurz über die Schulter und erblickte Mathilde, ihre Gehilfin, welche offensichtlich bestrebt war unauffällig ihre Arbeit aufzunehmen. Da Silvia sich sofort wieder abwandte, fiel ihr nicht auf, dass Mathilda ganz weiß im Gesicht war. Selbst wenn, wäre es ihr kaum aufgefallen, denn die Schneidermeisterin interessierte sich nicht für die Befindlichkeiten ihrer Bediensteten.
Silvia hörte die leisen Schritte von Mathilda hinter ihrem Rücken. Sicher war sie wieder drüben gewesen und hatte sich mit ihm getroffen.
Normalerweise hätte sie in eine Affäre ihrer Bediensteten eingegriffen. So etwas lenkte die Mädchen nur von ihrer Arbeit ab. Aber als sie eines seiner Haare auf Mathildas Umhang gefunden hatte, wußte sie sofort wer er war, denn der junge Mann war ihr selbst schon aufgefallen.
'Tja, solches Haar kann schön und verräterisch sein!' ging es der Meister-Schneiderin durch den Kopf.
Schließlich gibt es sogar in Ankh-Morpork nur wenige Männer mit langem roten Haar. Sollte Mathilda doch ihren Spaß mit ihm haben, schließlich war sie ein herzensliebes Mädchen.
Sie beendete das Zuschneiden des Stoffes und wandte sich an Mathilda, die in der Ecke nähte.
"Kind, sag mal, was.." Sie blickte in Mathildas tränenverquollene Augen.
"Kind, was hast Du?!"
In diesem Moment öffnete sich erneut die Tür. Wieder zog ein kalter Luftschwall durch die Schneiderwerkstatt und kurz darauf hörte Silvia hinter sich die Schritte schwerer eisenbeschlagener Stiefel auf dem Holzboden hallen.
Sie blickte der weinenden Mathilda noch einmal in die Augen und drehte sich dann dem Geräusch des Eingetretenen zu. Vor ihr stand ein untersetzter Mann mit kurzen schwarzen Locken und einem grauen Mantel. Er blinzelte sie aus dunkel umringten Augen an - grade so, als würde es ihn anstrengen, sie offen zu halten. Einzig die glitzernde Marke der Stadtwache störte den Eindruck eines übernächtigten Obdachlosen.
"N' Morgen!"
Seine Stimme und der dazugehörige Tonfall entsprachen in etwa dem, was Sylvia Meerstäd von jemand mit derartig ausgewachsenen Augenringen erwartet hätte.
"Einen wunderschönen guten Morgen! Wie kann ich ihnen behilflich sein?"
Sie vertrat den Standpunkt das kein Mensch zu schade war - ihn nicht mit guten Umgangsformen zu konfrontieren.
Der kleine Mann griff in eine der Taschen seines Mantels, zog eine abgebrochene Zigarette hervor.
"Haben sie Feuer?"
"Was!?"
Silvia verlor kurzzeitig ihre rhetorische Fassung, worauf der Mann sie erstaunt ansah.
"Feuer! Haben sie Feuer? Sie wissen schon - zum Anzünden von Lampen und so weiter."
Er deutete auf seine Zigarette.
"Was!? Sie kommen in mein Geschäft, um sich eine Zigarette anzuzünden?" In Sylvia stieg die eben verrauchte Wut erneut auf. "Ich rauche nicht! Meine Mädchen rauchen nicht! Und sie,"dabei zeigte sie mit dem Finger auf den Mann "werden in meinem Laden auch nicht rauchen!!"
Gerade als sie dem Mann nach draußen bitten wollte, öffnete sich erneut die Tür und ein ebenfalls in einen grauen Mantel gehüllter Zwerg betrat das Geschäft. Sylvia traute ihren Augen kaum. Ein Zwerg mit einem Eichhörnchen auf der Schulter! In der Hand klapperte er mit einer Schachtel Streichhölzer und er hielt direkt auf den kleinen Mann zu, nachdem er der Schneiderin zur Begrüßung kurz zugenickt hatte.
"Ah, Chef, war gar nicht so einfach, die Dinger aufzutreiben. Aber Dlei hatte bei einem der Passanten Glück."
Der Zwerg reichte dem kleinen Mann die Streichholzschachtel.
"Danke Goldie. Du kannst hier gleich mit der Befragung weitermachen! Ich muß leider raus." Er deutete auf Sylvia und fügte mit ironischen Unterton hinzu "Hier drin darf man ja offensichtlich nicht rauchen!".
Die Schneidermeisterin war nun vollends verwirrt und schaute dem kleinen Mann nach, wie er den Laden verließ. Sie sah ihm durch die Glasscheibe hinterher, wie er sich einer Gruppe von drei weiteren Gestalten in grauen Umhängen anschloss und dabei die Zigarette entzündete.
Plötzlich holte sie ein Räuspern in die Wirklichkeit ihres Ladens zurück. Vor ihr befand sich noch immer der Zwerg mit dem Eichhörnchen auf der Schulter, welcher inzwischen ein kleines Notizbuch in der Hand hielt und sie erwartungsvoll anblickte.
"Ihr Name bitte."
"Ähm! Sylvia Meerstäd! Wer seid ihr eigentlich und was wollt ihr von mir?"
Der feine Umgangston der Schneiderin fing an signifikant nachzulassen.
"Achso? Hat das der Oberstfeldwebel nicht gesagt?" Verlegenheit war in der Stimme des Zwerges zu erahnen. "Gefreite Kleinaxt von der Stadtwache. Genauer gesagt von DOG - Dienststelle für Observierung von Gil-Den-An-Ge-Le-Gen-Hei-Ten."
Hatte der Zwerg erwartet, dass die Verwirrung jetzt von Sylvias Gesicht wich, wurde er enttäuscht.
"Häh? Dienststelle für WAS?!"
"DOG - Dienststelle zur Observierung von Gildenangelegenheiten." wiederholte der Zwerg pflichtbewusst, während im das Eichhörnchen etwas in Ohr krächzte, was Sylvia nicht verstehen konnte.
Eine plötzliche Erleuchtung schien durch seinen Kopf zu gehen.
"Achso - sie wollen sicher wissen, warum wir hier bei ihnen sind oder? Ähm - wir ermitteln in einem Mordfall im Ausbildungsgebäude der Archäologengilde." Der Zwerg deutete auf das Sylvia vertraute große Gebäude. "Ist ihnen in der letzten Zeit irgend etwas besonderes Aufgefallen? Oder haben sie etwas Sachdienliches beobachtet?"
Die Schneiderin stockte kurz.
"Was! Ein Mord? Wer wurde denn umgebracht?"
Der Zwerg schüttelte den Kopf.
"Tut mir leid. Wir befinden uns noch in den Ermittlungen und behandeln die Informationen auf Wunsch der Gilde streng vertraulich."
Sylvia überlegte kurz.
"Nein, mir ist in letzter Zeit nichts aufgefallen!"
Der Zwerg wirkte ein wenig enttäuscht, schrieb noch etwas in sein Notizbuch, schloss es dann und verstaute es in einer seiner Taschen.
"Da kann man nichts machen! Falls Ihnen noch etwas einfällt, finden Sie uns in der Springstraße 21."
Sylvia nickte, was ihr Gegenüber als Verabschiedung interpretierte und sich seinerseits mit einem "Auf Wiedersehen!" wieder der Tür entgegenwandte.
Sylvia beobachtete den Besucher durch die Glasscheiben ihres Ladens, wie er sich auf der Straße einer Gruppe von ebenfalls graugekleideten Gestalten anschloss. Sie erkannte auch den kleinen Mann, der zuerst ihr Geschäft betreten hatte. Er rauchte immer noch an einem Zigarettenstummel. Neben ihn stand eine weitere Gestalt, die noch kleiner als der Mann war. Sie stand mit dem Rücken zu Sylvia, weshalb sie nur ihre schlanke Gestalt und die glänzenden schwarzen Haare erkennen konnte, die in einem sehr kurzen Zopf zusammengebunden waren. Sie begrüßten den Zwerg mit einem Nicken, was dieser mit einem Kopfschütteln erwiderte. Die kleine Gruppe schiene noch etwas zu bereden als ein Mann aus dem Gebäude gegenüber trat und die graugekleideten Wächter hineinwinkte.
Sylvia konnte noch beobachten, wie die Gruppe im Hauseingang auf der anderen Straßenseite verschwand, schloss dann die Vorhänge der großen Glasfenster und wandte sich vom Fenster ab.
In der Ecke saß immer noch ihre Gehilfin und nähte. Wahrend der ganzen Zeit war von ihr nur ein gelegentliches Schluchzen zu hören gewesen. Gerade als sich Sylvia ihr zuwendete, wischte sie sich noch einmal die Tränen aus den Augen.
"Mathilda!"
"Ja, Frau Meerstäd?"
"Steh auf und sieh mir in die Augen!"
Sylvia pflegte nur selten einen solch harten Ton an den Tag zu legen, weshalb das Mädchen zuerst zusammenzuckte und dann schüchtern aufstand und zögerlich den Blick hob, um ihrer Meisterin in die Augen zu schauen. Gerade wie sie es endlich fertig brachte, ihren strengen und harten Blick zu erwidern, traf eine schallende Ohrfeige ihre Wange.
"Du undankbares Kind!" Sylvias Stimme war nunmehr von Zorn durchtränkt "Was zwingst Du mich zu lügen?!"


*** 2. Akt - Ein großes Haus gegenüber des kleinen Ladens ***

Professor Otto Fransinger hatte Kopfschmerzen. Er erinnerte sich daran, wie einfach und unkompliziert das Leben doch sein konnte. Gut - der erste Tag eines neuen Jahrganges war niemals einfach gewesen, aber die üblichen Probleme mit neuen Studenten erschienen ihm im Augenblick geradezu erstrebenswert - im Gegensatz zu diesem zumindest. Das hatte er als Direktor der Lehranstalt doch einfach nicht verdient!
Er wandte sich noch einmal um und vergewisserte sich, dass die drei Mitglieder der Stadtwache im immer noch folgten.
Als die Gildenleitung ihn darüber informiert hatte, dass die Stadtwache um aktive Mithilfe bei den Ermittlungen gebeten wurde, war er zuerst überrascht gewesen. Was damit bezweckt werden sollte, war ihm nicht klar, aber irgendwie war er auch sehr erleichtert gewesen, sich nicht selbst um diese unangenehme Arbeit kümmern zu müssen. Als er dann die Wächter begrüßt und ihnen den Tatort gezeigt hatte, waren aber doch wieder leichte Zweifel in ihm hochgekrochen. Was für ein komischer bunter Haufen. Ein Mann der scheinbar mindestens vier Nächte in Folge nicht geschlafen hatte - zumindest ließ sich dies aus seinem Gesichtausdruck schließen -, eine Achaterin und ein Zwerg mit einem schwarzen Eichhörnchen auf der Schulter. Irgendwie hatte er schon etwas Seriöseres erwartet.
Sie gingen weiter durch die langen Flure des weitläufigen Gildengebäudes. Ab und zu begegneten sie Studenten die ihren Direktor ordnungsgemäß grüßten und andere Lehrer, die nur nickten oder ihn völlig ignorierten.Dieses ignorante und intrigante Pack, ging es dem Professor durch den Kopf. Die Hälfte der Lehrerschaft gierte doch bereits nach seinem Stuhl.
Die Gedanken des Professors waren noch immer mit dem Mord beschäftigt.
Eine der älteren Gildenstudentinnen hatte Richard gefunden. Sie war aufgeregt zu ihm gelaufen und hatte ihn alarmiert. Wieso waren sie eigentlich im Hof gewesen, fragte sich Otto Fransinger, bevor ihm einfiel, dass er sie und eine Gruppe anderer Studenten damit beauftragt hatte, den Innenhof für seine Rede vor dem neuen Jahrgang herzurichten. Na ja, wenigstens war die Leiche schon abtransportiert worden. Das wäre ja noch schöner, wenn der Tote immer noch im Hof liegen würde. Hoffentlich wurde der Fall zügig und sauber aufgeklärt. Seine Kollegen warteten bestimmt schon auf eine Verfehlung oder einen Fehler seinerseits. Schon seit der Mord heute morgen entdeckt worden war, gingen die Gedanken und die Sorgen nicht mehr aus seinem Kopf. Er hatte dennoch den Entschluss gefasst, heute seine Rede wie geplant zu halten und sich auch sonst nichts anmerken zu lassen, was seine Kollegen oder einen der Schüler zu falschen Schlüssen veranlassen könnte. Schließlich war er nicht Schuld. Er hatte ihn nicht getötet. Oder war er es indirekt gewesen? Zumindest war es nicht seine Absicht gewesen ihn in diesen Strudel zu treiben. Otto fragte sich jetzt das erste Mal, wer denn der eigentliche Täter gewesen war? Und was hatte sich die Gildenführung bloß dabei gedacht, ihm die Stadtwache an den Hals zu hetzen.
Sie erreichten endlich die Tür seines Büros und Otto machte eine einladende Bewegung.
"Wenn ich Sie hereinbitten dürfte!"
Sein Büro bestand hauptsächlich aus Büchern. Bücher die über anderen Büchern standen. Bücher die in alten Regalen standen und Bücher die in Stapeln auf dem Boden standen, weil in den Regalen kein Platz mehr war. Die Wände waren mit Gemälden von Tempeln und Ruinen geschmückt. Das Licht, was durch die stumpfen und milchigen Fenster in den Raum drang, tauchte diesen in ein trübes gelbes Licht.
Der Professor nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und wies die Wächter auf die Stühle davor.
"Nehmen sie bitte Platz!"
Die drei Mitglieder der Stadtwache nahmen auf den Stühlen platz.
"Zunächst muß ich mich bei Ihnen entschuldigen, erst hier mit Ihnen über dieses schreckliche Verbrechen reden zu können!" begann er, während er nervös mit einem Federhalter in der Hand spielte. "Aber sie können sicher verstehen, dass ich hier sowenig Aufsehen und Gerüchte wie möglich verbreiten will!"
Einer der Wächter, der dunkelhaarige Mann - offensichtlich ihr Feldwebel, machte eine beschwichtigende Geste.
"Wir werden darum bemüht sein und verstehen ihre Bedenken."
Der Professor schob ihm eine Mappe über den Tisch zu.
"Dies ist die Akte des Opfers." Und während der Feldwebel - Otto glaubte sich zu erinnern, dass er sich mit Picardo vorgestellt hatte - und die Achaterin gemeinsam die Akte lasen, versuchte der Zwerg verzweifelt ebenfalls einen Blick hineinwerfen zu können.
Ein bis zwei Minuten herrschte Stille, während die Wächter die Akte studierten, bis sich die Achaterin an ihn wendete.
"Entschuldigen Sie! El hieß Lichard Leinherz und wohnte gleich um die Ecke. Del Lest sind offensichtlich Zeugnisse und Plüfungsbescheinigungen. Abel das ist alles Nichts elmittlungstechnisch lelevantes!"
Picardo schaltete sich ein.
"Die Hautgefreite Dlei will damit ausdrücken, dass weitere Informationen für unsere Ermittlung mehr als hilfreich sein könnten."
Ein Runzeln zeigte sich auf der Stirn des Professors. Er hatte kein so direktes Vorstoßen erwartet. Was sollte er ihnen denn jetzt erzählen.
Der Feldwebel nutzte sein Zögern um weiter nachzuhaken.
"Also unsere Spurensicherung hat festgestellt, dass der Tote bewusst im Hof platziert wurde. Möglicherweise wollte jemand auf etwas hinweisen."
Der untersetzte Mann richtete einen erwartungsvollen Blick auf Otto Fransinger.
"Nun - wissen sie wie viele Studenten wir hier unterrichten? Da kann ich unmöglich alle persönlich kennen. Soweit ich weiß, war er unter Betreuung von Dr. Sendelberg. Einer seiner hoffnungsvollsten Studenten sozusagen!" Der Professor ging in Gedanken noch einmal durch was er bereits gesagt - oder besser was er nicht gesagt hatte. Die drei anwesenden Wächter sahen ihn aufmerksam an.
"Nein! Sonst kann ich ihnen nichts weiter sagen!"
Er sah auf die Uhr auf seinem Schreibtisch.
"Tut mir leid, aber ich muss mich jetzt auf meine Rede heute Nachmittag vorbereiten! Aber es steht ihnen völlig frei sich an die anderen Kollegen zu wenden, aber bitte bleiben sie diskret und informieren sie mich umgehend über die Ermittlungsergebnisse!"
Seine drei Gegenüber sahen sich kurz fragend an. Der kleine Mann stand als erster auf.
"Ich nehme an, wir dürfen uns hier frei bewegen und ermitteln?"
"Ja, aber sicher!"
"Danke! Bis auf Weiteres einen schönen Tag noch!"
Der Oberfeldwebel deutete seinen Kollegen an, ihm zu folgen.
Fast erleichtert beobachtete der Professor, wie sie endlich sein Büro verließen.
Er lehnte sich in seinem Ohrensessel zurück.


*** 3. Akt - Innenhof der Archäologengilde ***

Es gibt in der Kriminalistik und Polizeiarbeit gewisse Gesetzmäßigkeiten. Gewisse Regelmäßigkeiten, die mit der Zeit so natürlich erscheinen, dass man ihnen bald keine Beachtung mehr schenkt. Eine dieser Regelmäßigkeiten beobachtete Elisabeth Pfeiffer in diesem Moment. Wo immer Menschen etwas Schreckliches widerfahren ist, finden sich interessierte Zuschauer ein. Die junge Studentin dachte über die ganzen Leute nach, die sich um die Absperrung der Stadtwache scharrten. Sie blickte auf die beiden Wächter, welche gerade damit beschäftigt waren, die letzten Spuren zu sichern. Der eine schrieb etwas in einen Notizblock, wären der andere mit einer Pinzette irgend etwas aus dem Gras holte und es in einem Beutel verstaute. Elisabeth beugte sich über die Brüstung der Arkade auf der sie die Szenerie beobachtete um besser in den Innenhof schauen zu können. Die roten Schärpen der beiden Wächter dort unten erinnerten sie an den Anblick von Richards Blut. Plötzlich sah sie das Bild von ihm wieder deutlich vor sich. Schockiert und angewidert wandte sie sich von der Brüstung ab, um nicht weiter an diesen grauenhaften Anblick von heute morgen erinnert zu werden. Sie beschleunigte ihre Schritte und eilte in Richtung der Hörsäle. Alles, nur weg von diesem Innenhof und dem Brunnen in seiner Mitte. Sie wandte sich der nächsten Treppe zu und wäre beinahe mit der kleinen Person zusammengestoßen, die ihr entgegenkam.
"Entschuldigung!" entfuhr es ihr beinahe automatisch.
"Entschuldigung! Ähm, sie wissen nicht zufällig, wo ich einen Helln Sendelbelg finden kann?"
Sie nahm sich die Zeit die Person ihr Gegenüber genauer anzusehen. Es handelte sich um eine junge Frau achatischer Abstammung mit glänzenden schwarzen Haaren, die sie zu einem kurzen Zopf zusammengebunden hatte.
"Ja sicher. Um die Zeit ist er meist in seinem Büro zu finden." Sie wies ihr eine ungefähre Richtung. "Er hat heute aber keine Sprechzeiten! Bist Du eine vom neuen Jahrgang?"
Elisabeth kam die Frau ein wenig zu alt vor, um zu den Frischlingen zu gehören, aber da sie sie noch nie gesehen hatte konnte sie kaum aus den anderen Jahrgängen stammen.
"Neuel Jahlgang? Ähm - wohl nein!" Die Frau kramte in ihren Taschen "Stadtwache Ankh-Molpolk - Hauptgefleite Dlei Hunglige Mäulel!"
Inzwischen hatte die Frau gefunden, was sie suchte und zeigte Elisabeth eine glänzende Marke, die sie als Mitglied einer Gruppierung namens DOG auswies.
"Also, wo kann ich Doktol Sendelberg noch einmal genau finden?"
Plötzlich schossen tausende Gedanken durch Elisabeths Kopf, die sich hauptsächlich mit dem Zusammenhang zwischen Dr. Sendelberg und der Stadtwache beschäftigten. Vielleicht ...
"Was ist jetzt?!" Die Achaterin schien eine schnellere Antwort erwartet zu haben.
"Was?!" Elisabeth schrak aus ihren Überlegungen auf. "Entschuldigung! Natürlich, folgen sie mir!"

Wie schon tausende Male zuvor schritt Elisabeth durch die Gänge des Gildengebäudes, dichtgefolgt von der Wächterin. Vorbei an dem Studententrakt und den Hörsälen. Vorbei an den Depots und Archiven.
Zielsicher bahnte sie sich ihren Weg, auch wenn sie wie schon den ganzen Tag über innerlich völlig verwirrt war. Ihre Gedanken drehten sich nach wie vor um Richard. Sie hatte es geahnt und ihn gewarnt. Aber dass es dann doch alles so schnell gegangen war, hatte sie dann doch nicht erwartet.
Während sie gingen versuchte die Wächterin Smalltalk mit ihr zu betreiben, aber Elisabeth blockte alles ab. Sie hielt sich strikt an das was sie allesamt heute früh ausgemacht hatten. Sie dachte daran, wie kühl und gelassen sie zusammengesessen hatten. Richard war noch nicht ganz kalt und sie hatten sich bereits eine passende Geschichte ausgedacht. Der Professor hatte es bereits prophezeit, dass ihnen die Stadtwache fragen stellen würde.
Ein Ruf und schnelle Schritte rissen sie aus ihren düsteren Gedanken.
"Dlei warte!!" schallte von hinten durch die Gänge.
Als Elisabeth sich nach dem Schreihals umdrehte, bemerkte sie einen Zwerg, der wildgestikulierend auf sie und die Wächterin zurannte. Offenbar musste mit Dlei die Achaterin gemeint sein, die ihr folgte.
Der Zwerg hatte sie erreicht und bevor er etwas herausbrachte, versuchte er erst mal, zu Atem zu kommen.
Mit Erstaunen bemerkte Elisabeth ein schwarzes Eichhörnchen auf der Schulter des Zwerges.
"Dlei ... hab Dich gesucht ... musst Dir was anschauen ... bitte!"
Die Achaterin schaute den Zwerg verwirrt an.
"Was ist denn!?"
"Ich hab Dich im ganzen Gebäude gesucht. Robin meinte, Du sollst das unbedingt wissen. Dem Professor ist doch noch was eingefallen! Und Rea hat uns schon nen Bericht geschickt!"
"Wow, so schnell sind die doch sonst nicht! Der Obelfeldi scheint Dluck bei den Kaffeetlinkern gemacht zu haben." Der zynische Ton der Achaterin war unverkennbar. "Na ja eigentlich wollte ich mil glad den Weg zu Sendelbelgs Bülo zeigen lassen!"
Sie deutete auf Elisabeth und schien mit einem Entschluss zu ringen, was sie den nun als nächstes angehen sollte.
"Du solltest jetzt wirklich dringend beim Oberfeldi aufkreuzen. Wir haben eine erste Spur!"
"Ok Goldie! Kannst Du bitte zu Dl. Sendelbelg gehen und dolt fül mich nachfolschen?"
"Mmh, sicher, auf die Viertelstunde kommt es jetzt auch nicht mehr an."
Die Wächterin richtete sich an Elisabeth.
"Sag, wie heißt Du eigentlich?"
"Elisabeth Pfeiffer."
Wieder an den Zwerg gerichtet setzte sie fort.
"Also Elisabeth zeigt Dil den Weg. Und Danke noch mal!"
Gerade als die Achaterin zum Gehen ansetzen wollte schien ihr noch etwas einzufallen.
"Goldie! Sag, ist Pat eigentlich schon hiel."
"Ja – macht sich schon fertig!"
"Ah, na dann bis spätel!"
Schnellen Schrittes verschwand die Wächterin, die sich als Dleivorgestellt hatte hinter der Ecke des nächsten Ganges.
"Ich nehme an, sie wollen jetzt zu Dr. Sendelberg?"
Der Zwerg nickte.
"Wohl oder übel! Sagen sie, gehören sie zur Gilde oder sind sie - wie sagt man hier doch gleich - in der Ausbildung?"
"Ich bin im 7. Semester!"
Sie bemerkte den verwirrten Blick des Zwerges.
"Das heißt, dass ich fast fertig bin."
Obwohl sie diese Wachetypen so bald wie möglich loswerden wollte, musste sie sich eingestehen, die ganze Zeit über das Eichhörnchen angestarrt zu haben.
"Merkwürdig! Wie kommen sie zu dem Tier da?"
Elisabeth hatte einen kurzen Augenblick den Eindruck, dass Eichhörnchen hätte ihre Worte verstanden, denn gerade wie sie das Wort Tier aussprach schien es auf der Schulter des Zwerges einen wahren Veitztanz aufzuführen.
"Lange Geschichte. Ich hab es nur vorübergehend, sozusagen." Verlegenheit zeichnete sich in seinem Gesicht ab "Naja, vorübergehend ist in diesem Fall auch schon fast ein Jahr."
"Wissen Sie, dass es im WieWunder-Land einen Stamm nackter Wilder gibt, die ein riesiges Eichhörnchen als Gott verehren?"
Ihr Gegenüber wirkte sichtlich begeistert. Und wieder regte sich das Tier und es schien Elisabeth so, als würde es ihm irgendwas ins Ohr flüstern. Der Zwerg verzog daraufhin kurz das Gesicht.
"Aber dieses Exemplar würden Sie sicher nicht verehren, dass kann ich Ihnen versichern. Könnten sie mir jetzt bitte das Büro von Dr. Sendelberg zeigen?"
"Ja gerne, es ist übrigens gleich dort hinten."
Elisabeth zeigte auf eine Tür am Ende des Ganges.
"Die zweite Tür links."
"Danke!"

Elisabeth sah dem Zwerg nach, der am Ende des Ganges an die ihm beschriebene Tür klopfte und kurz darauf in dem dahinter liegenden Raum verschwand.
Der Lärm einer entfernten Gruppe lachender Studenten drang an ihr Ohr. Unentschlossen rang sie mit sich und ihrer Neugierde. Dazu kam auch noch die Trauer um Richard.
'Hatte Sendelberg etwas damit zu tun?'
Diese Frage konnte sie sich selbst beantworten.
'Sicher, hatte er!'
Schließlich hatte Richard an einem seiner Projekte gearbeitet. Außerdem war Sendelberg sein Tutor gewesen.
In Elisabeths Kopf kreiste aber vor Allem eine Frage, was wusste er - und in Folge dessen vielleicht auch die Stadtwache - noch?
Laut dem Professor hatte Sendelberg zumindest keine Anstalten gezeigt, in ihre Unternehmungen einzugreifen, was aber nicht gleichbedeutend damit war, dass er es nicht wußte oder zumindest geahnt hatte. Schliesslich hatte er viel Kontakt mit Richard gehabt.
Und wieder ging Ihr dieses merkwürdige Eichhörnchen auf der Schulter des Zwerges durch den Kopf. War dies ein böses Ohmen. Vielleicht brachte es Sendelberg auf die Idee, der Wache mehr zu erzählen, als es gut für Elisabeth und die anderen war.
Elisabeth hielt die Ungewißheit nicht länger aus. Die Rufe und das Gelächter aus den Gängen war verstummt und nachdem Elisabeth ein paar Sekunden in die Stille lauschte, war sie sich sicher, dass sie allein war. Langsam, auf das Geräusch ihrer eigenen Schritte bedacht, schlich sie sich an die nun geschlossene Tür des Doktors. Sie wußte, dass die Tür die Geräusche aus dem Innenraum kaum dämpfte. Diese Erfahrung hatte sie vor zwei Semestern gemacht, als sie erstmals Besprechungen des Doktors belauscht hatte.
Sie stand nun zögerlich vor der Tür, vergewisserte sich erneut, dass sie unbeobachtet war und legte das Ohr an die hölzerne Oberfläche. Wie schon einige Male zuvor drangen auch diesmal gedämpfte Stimmen durch das Holz zu ihr durch. Und noch Etwas. Es klang wie ein stakkatoartiges Niesen, nur dass es viel leiser war und irgendwie nicht menschlich klang.
"Was ist mit ihrem Tier?" Sendelbergs Stimme kannte Elisabeth aus zahlreichen Vorlesungen und sie vernahm nun ein merkwürdiges Schnattern in einer seltsamen und ihr unbekannten Sprache.
"Nichts weiter! Er scheint auf irgendwas hier im Raum allergisch zu sein."
"Vielleicht die Teppichflusen."
Erneutes leises Niesen drang durch die Tür zu Elisabeth.
"Lassen sie uns zum Thema zurückkommen Herr Sendelberg. Was bedeutet das genau, was sie gerade andeuteten?"
Elisabeth erkannte die Stimme des Zwerges. Offenbar hatte sie durch ihr Zögern wichtige Teile des Gespräches verpaßt.
"Schwierig zu sagen. Ich hatte bisher nur den Verdacht, aber es liegt doch auf der Hand, dass sein Tod etwas damit zu tun haben muß! Oder?"
"Mmh, dazu darf ich mich nicht äußern! Aber eine Frage noch. So etwas, wozu sie ihn verdächtigen, kann er doch sicher nicht allein aufgezogen haben?"
"Alleine?! Bei allem Respekt, er war einer meiner besten Studenten, aber alleine? Niemals! Er muß Helfer gehabt haben, oder was ich eher glaube ist, dass er nur ein Teil einer regelrechten Organisation war."
"Eine Organisation innerhalb der Archäologengilde? Und sie wußten nichts genaues darüber?"
"Leider hatte ich nur eine Vermutung. Ich hatte die Vorkommnisse vorhin ja schon genannt. Der Direktor hatte aber nie etwas dagegen unternommen. Also ich an ihrer Stelle würde dort mit den Ermittlungen ansetzen."
Elisabeth lauschte immer noch und hörte nun Schritte und das Knarren von Holz.
"Hier! Als ich von Richards Tod erfahren habe, habe ich sofort in seinem Schriebtisch nachgesehen."
Ein Geräusch ,als ob etwas Weiches auf eine Tischplatte fiel, drang an ihr Ohr.
"Das können Sie sicher für ihre Ermittlungen gebrauchen! Bedienen Sie sich."
"Was ist das?"
"Ein paar persönliche Sachen von ihm. Zuletzt hatte er an einem Projekt über einen angeblich im Dschungel von Tezuma versteckten Schatz gearbeitet. Die ganzen Bücher, die sie hier sehen, sind vom ihm."
"Der Kult des goldenen Eichhörnchens! Seltsamer Buchtitel. Das Mädchen, was mich zu ihrem Büro geführt hat, erzählte mir auch was davon."
"Von dem Eichhörnchenkult? Mmh, kann mich gar nicht erinnern, so etwas in der Vorlesung erwähnt zu haben, aber vielleicht hat Richard ihr was davon erzählt. Wie hieß die Studentin?"
"Mmh. Gute Frage. Ich glaube Elisabeth. Elisabeth Pfeiffer!"
Elisabeth zuckte zusammen. Verflucht! Wer hätte wissen können, dass der Doktor auch grad diese Eichhörnchensache ansprechen würde. Sie bereute es, gegenüber dem Zwerg die Geschichte erwähnt zu haben. Und langsam wurde sie sich der Folgen dessen bewußt, sollte der Doktor weiter darüber nachdenken, woher sie ihr Wissen hatte.
"Danke. War nur interessehalber. Wollen sie noch etwas wissen?"
"Danke nein! Ich werde Sie jetzt nicht weiter stören."
Ihre Gedanken wurden immer hektischer. Sie mußte hier weg!
Möglichst leise entfernte sie sich von der Tür und schlüpfte gerade noch in die nächstgelegene Nische, als sie das Geräusch der sich öffnenden Tür hörte. Darauf folgten die Schritte der beschlagenen Stiefel des Zwerges. Erst als diese in dem allgemeinen Geräuschwirrwahr des Ganges verklungen waren, beschloß sie aus ihrer Nische hervorzukriechen.
Sie mußte die anderen warnen, dass Sendelberg ihnen auf der Spur war oder zumindest Verdacht schöpfte. Elisabeth versuchte sich nichts von dem was sie belastete und ihr durch den Kopf ging anmerken zu lassen, als sie sich wieder auf den Weg zurück zum Brunnenplatz machte.
Die Feierlichkeiten zur Begrüßung des neuen Jahrganges sollten eigentlich bald losgehen.

*** 4. Akt - Archäologengilde - wenige Tage später ***

Die Sonne schien auf den Innenhof und tauchte diesen sonst eher dunkel und trüb wirkenden Ort in ein warmes rotschimmerndes Licht. Grüppchen von Studenten standen beisammen und unterhielten sich oder genossen die wärmende Abendsonne. Alles erschien Skadi so friedlich. Einzig die Stelle an der sie den toten Studenten gefunden hatten, schien niemand betreten, oder gar auf ihr verweilen zu wollen.
Es war jetzt schon fünf Tage her, seit dem Unglück. Skadi war sich nicht sicher, ob sie es ein Verbrechen oder einen Unfall nennen sollte. Es war ihr erster Tag an der Gilde gewesen und sie hatte den Tod des älteren Jungen erst im Nachhinein und aus Erzählungen erfahren. dass die meisten Archäologen ein nicht ungefährliches Leben führten, hatte sie aus den Erzählungen ihrer Schwester bereits erfahren, aber sie war dennoch sehr verunsichert darüber gewesen.
Aber Gedanken der Unsicherheit kamen bei Skadi kaum auf. Zu groß waren die Aufregung und die Eindrücke des Neuen. Schließlich waren sie der Neue Jahrgang.
Sie hatte an jenem Tag früh vor dem Gebäude der Gilde gewartet, bis sie eingelassen und zusammen mit all den anderen Neuen zum Empfang gebracht wurde. Gemeinsam waren sie auf den großen Platz in der Mitte des Komplexes geführt worden und der Direktor hatte sie mit einer Rede begrüßt. Von dem Todesfall hatten sie alle erst später erfahren und ein leicht beklemmendes Gefühl war ihnen durch die Glieder gefahren, wie sie daran zurückdachten, dass zumindest einige genau dort gesessen haben könnten, wo der Tote gelegen hatte.
Aber all diese Erinnerungen lagen in Skadis Geist weit zurück, als wären sie schon lange vergangen.
Alles bis zu diesem einem Moment erschien ihr nunmehr unwichtig und belanglos. Obwohl sie vorher so aufgeregt auf den Beginn ihrer Ausbildung bei der Gilde gewartet hatte, hatte Skadi ihr Ziel, ein Archäologe zu werden, derzeit völlig verdrängt und zurückgestellt.
Die junge Studentin kramte in der Tasche und holte einen zerknüllten Zettel hervor. Obwohl sie ihn schon mehrmals gelesen hatte, faltete sie ihn auch diesmal auseinander um sich zu vergewissern, dass sie nicht irgend etwas übersehen hatte.

Hey!
Heute Abend um acht Uhr in der Ecke des Hofes.
P.


Sie hatte diesen Zettel heute morgen in ihrer Tasche gefunden und sofort gewußt, von wem er stammte. Sie hatte sein Bild immer noch vor Augen, wie sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

Es war bei einer ihrer ersten Stunden gewesen, welche sich mit den richtigen Vorbereitungen von Expeditionen in Wüstengebiete befaßt hatten. Alle Studenten außer ihm saßen vor Beginn zusammen und niemand sagte etwas. Dann ging die Tür auf und er stieß zu der Gruppe. Ein junger großer Mann mit langem, wehendem blondem Haar.
Zuerst hatte sie ihn für einen Spinner gehalten. Wer setzt schon eine schwarze Sonnenbrille in einem Gebäude auf? Aber dann als er dann die Sonnebrille absetzte, wanderte der Blick seiner blauen Augen langsam durch den Raum und an den anderen jungen Studenten vorbei, um an Skadi hängenzubleiben. Skadi grüßte ihn mit einem Lächeln. Ein kurzes Zwinkern war alles gewesen, was sie in diesem Moment von ihm bemerkte.
Dann war der Moment auch schon vorbei und die Studenten widmeten ihre Aufmerksamkeit dem Dozenten. Es war eine ihrer ersten Vorlesungen und der ältere Mann hatte besondere Beredsamkeit bewiesen, und den Beginn seiner Ausführungen den Idealen eines Archäologen gewidmet.
Schon nach fünf Minuten schweifte Skadis Blick wieder zu dem großen blonden Mann, der sich auf der Bank neben ihr niedergelassen hatte. Sie hatte sich die ganze Zeit schon innerlich zwingen müssen, nicht zu ihm hinüberzusehen, aber schließlich hatte ihre Neugierde wieder einmal gesiegt.
Ganz unauffällig ließ die junge Frau ihren Blick vom Dozenten aus durch den Raum schweifen. Vorbei an der großen Tafel, über die Köpfe derer die vor ihr saßen. Sie ließ den Blick kurz auf einer der Abbildungen an der Wand verweilen, die verschiedene Artefakte verschiedener Kulturen zeigten. Ganz vorsichtig drehte sie sich nun nach links um, dort wo er saß. Skadi zuckte kurz zusammen, wie sie erkannte das der junge Mann sie bereits die ganze Zeit über ansah. Sofort drehte sie sich wieder dem Dozenten zu und starrte den Rest der Vorlesung verkrampft nach vorne. Aber obwohl sie versuchte, sich auf den Vortrag zu konzentrieren, schweifte sie in Gedanken immer wieder zu dem jungen Mann neben ihr ab.

Skadi schmunzelte amüsiert, als sie an den weiteren Verlauf ihrer Romanze dachte. Wer hätte von jemand der den ganzen Tag über mit schwarzen Ledermantel und Sonnebrille rumlief, eine derartige Schüchternheit erwartet!?
Skadi kicherte kurz in sich hinein, als sie zurückdachte, wie sie nach der Vorlesung an der Tür auf ihn gewartet hatte. Plötzliches Verkrampfen, deutliche rote Gesichtsfärbung und unverständliches Stottern. Viel mehr als sein Name wahr zu diesem Zeitpunkt nicht aus ihm herauszubekommen.
Patricio Niente
Anfangs hatte Skadi ständig überlegt, wo sie sein Gesicht schon einmal gesehen hatte. Patricio behauptete zwar, nicht aus Ankh-Morpork zu stammen, aber sie hätte schwören können, ihm - oder jemandem der genauso aussah wie er - hier schon einmal begegnet zu sein.
Die junge Studentin schob auch diese Gedanken beiseite.
Erneut schaute Skadi auf die Uhr am nahen Kunstturm der unsichtbaren Universität. Sie wartete jetzt schon eine Viertelstunde auf ihn und fragte sich langsam, ob er sie versetzt hatte. Bei den zwei Treffen vorher war er immer pünktlich gewesen.
Die junge Frau begann ungeduldig auf und ab zu Laufen, was beinahe den Zusammenstoß mit dem großen Schatten zur Folge hatte, der plötzlich hinter ihr aufgetaucht war. Erschrocken und aus Instinkt fuhr ihre Hand in eine der Taschen ihres Kleides. Innerhalb von Sekundenbruchteilen kam diese wieder zum Vorschein und warf etwas wie grauen Sand oder Staub in Richtung des dunklen Umrissen.
Der Schatten, oder besser die Person die aus ihm nunmehr herausgetreten war, fing plötzlich an zu schreien und zu niesen. Mit panischen und unkontrolliert wirkenden Bewegungen, versuchte sie sich die Augen zu reiben, worauf die Person um so lauter brüllte.
"Arrrggghh!! Es brennt!! Es brennt so sehr in den Augen!!" Die Stimme der Person, kam Skadi plötzlich sehr vertraut vor.
"Patricio?!" Mehr als Feststellung, den als Frage fuhr Skadi die Gestalt an.
"Du bist zu spät!! Und wieso schleichst Du Dich von hinten an mich heran?"
Die Gestalt stolperte niesend vorwärts, wobei sie geradewegs gegen eine der Säulen der Innenhofarkaden lief.
"Auu!! Arrggh!! Mistundverflucht!! Verflucht Skadi, was soll das?! Was war das für ein Zeug? Ich kann nichts mehr sehen! Ich bin blind!"
Der Schein des Vollmondes über ihnen enthüllte nun vollends die Identität des Mannes. Tränende, ehemals blaue und nunmehr gerötete Augen blinzelten Skadi an. Die Studentin säuberte vorsichtshalber ihre Hände an ihrem Gewand. Offensichtlich hatte der Zettel, der der Packung beigelegen hatte recht und man sollte wirklich aufpassen, dass Zeug nicht in die Augen zu bekommen.
"Bist Du verrückt, Dich hier nachts so rumzuschleichen! Pfefferpulver ist da ja noch das geringste was Dir passieren kann."
"Pfefferpulver?!"
"Ja! Pfefferpulver! Doktor Sendelberg hat es uns gestern zur Sicherheit empfohlen und ich hab es mir gleich besorgt. Hätte aber wirklich nicht gedacht, es so bald zu benutzen!"
Patricio atmete tief durch. Den immer noch tränenden und verquollenen Augen zufolge, hatte das Pulver seine Wirkung nicht verfehlt.
"Eigentlich wollte ich Dich überraschen!"
"Mich überraschen?! Indem Du mich erst warten läßt und Dich anschließend im Dunkeln an mich heranschleichst!"
Skadi war von ihrer Großmutter aufgezogen worden, da ihre Mutter früh gestorben war. Sie erinnerte sich noch heute an die liebevolle alte Frau und ihre Lebensweisheiten. Viele davon hatten sich auch mit den sozialen und zwischenmenschlichen Geflogenheiten zwischen Männern und Frauen beschäftigt. Und wenn man denen Glauben schenken durfte, dann – und Skadi glaubte fest daran – mußte sie die Unnahbare spielen.
"Tut mir leid! Ich wollte Dich nicht erschrecken." Patricios Stimme rutschte in die Kategorien weinerlich bis flehend ab.
"Weißt Du eigentlich wie lange ich jetzt hier schon auf Dich warte!?"
Der Mann schielte auf die Uhr des Kunstturmes, brauchte aber offensichtlich fast fünf Sekunden, bevor er durch die immer noch geröteten Augen etwas erkennen konnte.
"Ohh! Eine Viertelstunde. Ja – tut mir leid!"
"'Tut mir leid!' Ist das etwa Alles, was Du dazu zu sagen hast?"
"Na ja! Ich konnte nicht eher weg! Ich mußte noch zu ... ähm ... einer Besprechung!" Patricio wirkte sichtlich nervöser.
"Genau – eine Besprechung!" fügte er hinzu und hob mit einen Unschuldsblick die Schultern.
"Aha – worum gings denn?"
Eine Sekunde lang schaute Patricio sie verblüfft an.
Seine Augen starrten hilfesuchend auf die Hauswand hinter ihr. "Ähm ... Es ging um ... um ... um Eichhörnchen."
Skadi sah Patricio forschend an. Sie spürte förmlich, dass er ihr etwas zu verbergen versuchte.
"Um Eichhörnchen? Etwa um einen Kult?"
"Ähm ... ja genau - um einen Eichhörnchenkult. Wieso ist das jetzt so wichtig?"
"Nur so!" erwiderte Skadi schnippisch.
Dabei fiel ihr etwas kleines weißes an Patricios Hemdkragen auf. Beim genaueren Hinsehen entpuppte sie sich als weiße Feder.
"Bist Du sicher, dass Du kein Wasserspeier bist?" bemerkte sie amüsiert.
Alles was sie an Reaktion von ihm dafür erntete war ein verstört-verwirrter Blick.
"Hä? Ich bin kein Wasserspeier. Wieso?"
Skadi seuftzte und deutete auf die kleine weiße Feder an seinem Kragen.
Hektisch schnippte Patricio die Feder weg und fluchte leise, von dem Skadi aber nur " ... verfluchte Tauben ... neues einfallen lassen ... " verstehen konnte.
Als er die Feder dann entfernt hatte, blickte er auf, sah ihr in die Augen und lächelte.
"Wo soll es eigentlich hingehen?"
"Das wirst Du schon sehen, wenn Du dort bist. Freunde von mir haben eine Feier organisiert."
Sie griff seine Hand und zog ihn aus den Schatten der Säulen auf die Freifläche des Innenhofes.
"Komm schon! Wir haben schon genug Zeit vergeudet!"
Der Mond war inzwischen über den Dächern hervorgekrochen und der Innenhof, wie auch weite Teile des Gildengebäudes wurden durch den flackernden Schein unzähliger Fackeln erleuchtet. Noch waren hier und da vereinzelte Grüppchen von zumeist älteren Studenten unterwegs.
Skadi hielt Patricios Hand und zog ihn hinter sich her. Die warme, schwüle Luft der Nacht schlug den Beiden entgegen. Vom Dach her drang das Zirpen von Grillen zu ihnen herab.
Eben in dem Moment, in dem sie an dem Brunnen in der Mitte vorbeikamen, zerriss ein dumpfer Knall die Stille und Idylle der Sommernacht.
Bhuuffftttt
Skadi zuckte kurz zusammen und blieb verwundert stehen. Auch Patricio hielt inne.
Beide lauschten angestrengt in die Nacht, die plötzlich still und ruhig vor ihnen lag. Die wenigen anderen Personen auf dem Hof und den Arkaden schienen ebenfals allesamt auf das Geräusch aufmerksam geworden, in die Stille zu lauschen. Einzig die Grillen setzten ihr Zirpen unbeeindruckt fort.
Als nach vier bis fünf Sekunden kein weiteres Geräusch folgte, schien sich allgemeine Spannung zu lösen. Die anderen Studenten spazierten oder plauschten weiter und auch Skadi entspannte sich wieder.
Ungeduldig zog sie an Patricios Hand.
"Nun komm endlich! Wir haben schon genug Zeit verloren."
"Halt warte mal! Was war das gerade für ein Geräusch?"
"Bestimmt ist irgendjemand etwas heruntergefallen. Laß uns gehen!" Skadi wurde langsam ungeduldig.
"Kam das Geräusch nicht aus dem Schuppen dort?" Patricio zeigte auf einen Schuppen in der gegenüberliegenden Ecke des ausgedehnten Hofes. "Laß uns doch nachschauen!"
Patricio wartete gar nicht mehr auf Skadi, sondern ging direkt auf den Schuppen zu, während die junge Studentin ihm nur widerwillig folgte.
"Patricio! Das ist bloß der Stall! Da sind nichts außer ein paar alte Esel drin."
Patricio wirkte auf Skadi plötzlich irgendwie verändert. Er vorher immer irgendwie merkwürdig, verwirrt und irgendwie deplatziert gewirkt. Skadi hatte schon die Vermutung, dass er gar nicht so richtig hierher gehörte. Aber gerade mochte sie ihn auch so sehr. Sie hatte sich schon immer in Aussenseiter verliebt. Aber Patricio wirkte plötzlich so anders. Fast wie ausgewechselt. Zielstrebig und mit langen Schritten ging er auf den Stall zu. Sein schwarzer Mantel wehte wie eine Fahne hinter ihm her und sie hatte Probleme schrittzuhalten.
Als Skadi an der Tür des Schuppen ankam, stieg ihr ein übler Geruch in die Nase. Von dringen drangen neben dem Gestank nach Mist und Dung, auch vereinzelte Geräusche der Tiere nach draußen. Sie wußte zwar, dass in dem Verschlag Esel untergebracht waren, aber was diese Tiere mit der Gilde zu tun haben könnten, hatte sie bisher noch nicht beschäftigt. Ungeduldig blieb sie in ein paar Meter Abstand vom Stall stehen und beobachtete Patricio, der vorsichtig durch die Tür spähte.
"Hey Skadi! Schau mal. Da drin brennt Licht!"
"Na und. Willst Du jetzt etwa da reingehen?"
Der junge Mann öffnete zu Skadis Ärgerniss die Tür, welche anscheinend nur angelehnt war.
"Da hat jemand eine Laterne stehen lassen! Komm laß uns nachsehen!"
Er deutete Skadi, ihm vorsichtig zu folgen und verschwand hinter Tür.
Bhuuffftttt
Skadi erstarrte förmlich zur Salzsäule, als die das kurze dumpfe Geräusch erneut vernahm. Diesmal nicht so gedämpft wie vor zwei Minuten und direkt vor ihr kurz gefolgt von einem weiteren kurzen Plumpsen, der die Studentin an einen fallengelassenen Kartoffelsack erinnerte. Ihre Gedanken rasten.
"Patricio?" rief sie vorsichtig in den Stall hinein.
Keine Antwort! Sogar die Geräusche der Tiere waren verstummt.
Skadi spürte wie Angst und Panik sich in ihr ausbreitete und ihre Gedanken fesselten. Mit leicht zitternden Händen tastete sie nach dem Säckchen mit dem Pfefferpulver. Vorsichtig näherte sie sich Schritt um Schritt der offenstehenden Tür und spähte in das Innere des Schuppens. Neben den Gattern der Tiere konnte sie in der Ecke einen Heuhaufen erkennen, in dem eine Mistgabel steckte. Angestrengt versuchte Skadi noch weitere Details im dünnen flackernden Licht der Laterne zu erkennen.
Der Schreck fuhr ihr durch die Knochen!
Da war Blut! Alles voller Blut!
Erschrocken taumelte Skadi einen Schritt zurück und ihr Blick viel auf den im Schatten liegenden menschlichen Körper.
'War er tot?' Skadi spürte, wie ihre Knie weich wurden.
"Patricio!" stieß sie hervor und stürmte ohne weiter nachzudenken zu der am Boden liegenden Gestalt.

Alles ging sekundenschnell und doch hatte die junge Frau das seltsame Gefühl alles ganz langsam. deutlich und klar zu sehen.
Es waren genau zwei Dinge, die Skadi in jenem Moment noch wahrnahm, bevor die Nacht und die Dunkelheit ihren Geist gefangen nahmen! Zum einem die kleine glitzernde Statue neben der Hand der liegenden Person. Sie erinnerte Skadi an ein Eichhörnchen, wenngleich sie doch stark überzeichnet und stilisiert wirkte. Sie lag mitten in einer Pfütze voll feuchten und warmen Blut. Das Andere war ein Schatten oder der dunkle Umriss einer Person, der plötzlich neben ihr aufgetauchte. Sie schrie erschreckt auf. Das Letzte was sie wahrnahm war etwas Schwarzes, was von dem Schatten aus auf sie zuraste und sie genau in dem Moment traf, wie sie sich zu ihm umdrehen wollte.
Sie spürte den Schmerz nur noch kurz, bevor ihr schwarz vor Augen wurde.

*** letzter Akt - Archäologengilde – eine Stunde später ***

Was auch immer in diesen Raum passiert war, es hatte Willi Brause schwer erschüttert. In seiner ganzen Zeit als Hausmeister in diesem Gebäude hatte er so etwas noch nicht erlebt. Noch immer stand er schockiert und fassungslos an eine Säule gelehnt. Willi hatte es dort drinnen nicht mehr ausgehalten. All das Blut auf dem Boden und die Leiche der Frau.
Dabei war es Zufall gewesen, dass Willi noch einmal zurückgekommen war. Er hatte ein merkwürdiges Geräusch aus Richtung Stall gehört und beschlossen auf seinem letzten Rundgang noch einmal bei seinen Tieren vorbeizuschauen. Als er dann die Tür offen vorgefunden hatte, kamen ihm als erstes die Studentenstreiche und Einbrüche der letzten Jahre in den Sinn. Er war sich bewußt, dass er nie ein mutiger Mann gewesen war , was ihm auch den Beinamen Pantoffelheld eingebracht hatte. Trotzdem entschloß er sich nachzusehen, was im Stall los war.
Beschämt schaute Willi zu dem Trupp der Stadtwache hinüber, die am Tatort beschäftigt waren.
Die Wache hatte den Tatort bereits gesichert und zwei große Trolle hielten die Schaulustigen fern. Wie immer hatten sich bereits nach wenigen Minuten Schaulustige eingefunden, die einen weiten Kreis um den Ort der Tragödie bildeten.
Willi atmete noch einmal tief durch. Der Brechreiz der ihn befallen hatte, wie er auf das ganze Blut und die am Boden liegenden Körper gestarrt hatte, war soweit verflogen und Willi ging wieder zurück zum Tatort.
Die beiden Verletzen, eine junge Studentin und ein junger Mann, den er noch nie gesehen hatte, waren mittlerweile wieder zu Bewußtsein gekommen. Sie saßen beide an die Außenwand des Stalls gelehnt und wurden von einer jungen blonden Frau mit blutverschmierter Schürze notdürftig versorgt.
Etwas abseits der Beiden lag eine mit einer Decke abgedeckte Person. Offensichtlich die arme Mathilda. Willi kannte sie seit ein paar Jahren. Früher hatte er ihr oft Süßigkeiten und altes Spielzeug geschenkt. Ein armes Straßenmädchen, welches später bei der Schneiderin gegenüber einfache Arbeiten verrichtet hatte.
'Wie konnte ihr sowas bloß passieren? Erschlagen in einem Viehstall!'
Den Gerüchten zufolge, hatte sie eine Beziehung zu diesem anderen Studenten gehabt, der vor einer Woche ermordet aufgefunden worden war.
'Was für eine traurige Geschichte!' ging es dem Hausmeister durch den Kopf.
Willi warf einen letzten Blick auf Mathildas braunes Haar, welches unter der Decke hervorschaute, mit der man sie zugedeckt hatte. Dann wandte er sich dem Durcheinander um ihn herum wieder zu.
Fünf Wächter standen vor dem Stall und diskutierten. Willi erkannte den kleinen Mann mit den schwarzen Locken und den Zwerg mit dem Eichhörnchen auf der Schulter wieder. Sie hatten vor einer Woche bei dem ersten Mord ermittelt. Auch die Achaterin, die nur unwesentlich größer war als der Zwerg, kam ihm bekannt vor. Die drei diskutierten mit einem Gnom mit einem winzigen grauen Mantel, der auf der Schulter der kleinen Frau saß.
Willi trat näher an die Gruppe heran um zu hören, worüber so lauthals diskutiert wurde.
Der kleine Mann mit den schwarzen Locken war offensichtlich ihr Chef und daher auch der Lauteste von allen.
"Wie bitte?! Was heißt hier, diese Elisabeth war die ganze Zeit auf der Feier?"
"Ich hab sie die ganze Zeit beobachtet!" Die Stimme des Gnomes war aufgrund seiner Größe eher klein und piepsend.
"Also war Patrick, die ganze Zeit alleine, ohne das einer von Euch aufgepasst hat?"
Der Gnom – und Willi war inzwischen überzeugt davon, dass es sich um eine Gnomin handelte – schien aufgebracht.
"Was heißt hier eigentlich Euch? Harry ist bei FROG, falls Du das schon vergessen oder verdrängt hast. Und Neflie ist noch in der Ausbildung und ist außerdem krank! Und ich kann auch nur an einem Ort gleichzeitig sein!"
"Neflie ist krank?"
"Die Nasennebenhöhlen!" Bemerkte die Achaterin, worauf der Mann theatralisch die Augen verdrehte.
Wütend sprang die Gnomin auf der Schulter der Achaterin auf und ab.
"Und außerdem hat in letzter Zeit immer öfter auf zusätzliche Beobachtung verzichtet." Fügte der Zwerg ein.
Der kleine Mann warf einen ärgerlichen Blick zu den beiden Verletzten.
"Na toll! Noch ein Toter und unser einziger ausgebildeter Husky lässt sich wie ein Schuljunge niederschlagen. Wenigstens ist der Anderen nichts passiert." Der kleine Mann deutete auf die Studentin, welche neben dem jungen Mann saß.
Willi bemerkte eine junge Frau, die aus dem Schuppen auf die kleine Gruppe zukam. Sie trug eine Uniform und schien daher auch zur Wache zu gehören, auch wenn ihr Mantel rot und nicht grau wie der der anderen war. Ihr dunkelblondes langes Haar schimmerte im Licht der Fackeln.
"Hey Robin. Ihr steht hier, als wartet ihr auf irgendwas!" Ein Grinsen umspielte den Mund der jungen Frau.
"Ah, Akky! Habt ihr was Verwertbares gefunden?"
Der kleine Mann zeigte seine erste freundliche Mimik seit Willi ihn beobachtete.
"Schwer zu sagen! Offenbar ist der Täter in Panik geraten, denn die Statue hat er offensichtlich vergessen." Die junge Frau reichte dem Mann der auf den Namen Robin hörte einen kleinen Beutel.
Der Mann schaute kurz rein und reichte ihn dann vorsichtig an die Achaterin und den Zwerg weiter.
"Fasst es bitte nicht an! Wir müssen es noch untersuchen." Mit diesen Worten reichte ihm die blonde Frau einen zweiten Beutel.
"Wir haben noch ein paar Stofffetzen an einen Balken gefunden. Schaut so ziemlich genau nach dem Zeug aus, was wir bei dem ersten Toten gefunden haben."
Der Gesichtsausdruck der anwesenden Wächter veränderte sich schlagartig. Alle blickten erwartungsvoll auf den kleinen Mann, der vorsichtig den Beutel öffnete.
"Riecht nach Mensch und Blut und es hat nichts mit der Toten, dem Mädchen oder Patrick zu tun!" Bemerkte die junge Frau. "Aber Genaueres kann ich noch nicht sagen."
"Also könnte es vom Täter stammen?" hakte der kleine Mann nach, erntete aber nur ein Schulterzucken auf seine Frage. Er reichte den Beutel an den Zwerg weiter, der ihn nun ebenfalls öffnete, um einen Blick hineinzuwerfen.
Plötzlich hörte Willi ein abgehaktes leises Niesen aus der Richtung der Gruppe. Es brauchte drei Sekunden, bis der Hausmeister realisierte, dass es das Eichhörnchen auf der Schulter des Zwergs war, was mit sich und den Niesanfällen rang!
"Was ist mit ihm, Goldie?"
"Keine Ahnung, scheint an dem Gebäude zu liegen."
"Hatte er das nicht auch schon bei der ersten Leiche – die Fetzen, die wir nie zuordnen konnten?"
Der Zwerg schien in sekundelang gedankenversunken zu überlegen.
"Sendelberg!!" Plötzlich schrie er fasst "Ja genau! Bei Sendelberg im Büro hat er den stärksten Anfall und ich dachte das liegt an den Teppichflusen."
"Wo ist der eigentlich? Alle anderen Dozenten stehen hier doch rum!" Die kleine Gnomin machte eine ausholende Geste und zeigte auf die Menschenmenge, die in der Zwischenzeit noch größer geworden war.
"Los! Geht ihn in Zweiertrupps suchen! Und einer holt mir die FROGs her."
"Warten Sie! Überstürzen Sie nichts, Herr Oberfeldwebel!" erschallte eine Willi allzu bekannte Stimme aus der Menge.
Der Hausmeister zuckte zusammen.
Markoph Kresl, dass Gildenoberhaupt der Archäologengilde – ein älterer Mann mit einer Adlernase und Glatze, stackste mit knöchernen Schritt auf die Gruppe der Wächter zu.
"Einen guten Abend wünsche ich Ihnen zu einer so traurigen Nacht, Herr Oberfeldwebel."
Als er bei der Gruppe ankam begrüßte ihn der kleine Mann mit einen knappen Nicken, welches keine überschwängliche Freude signalisierte.
Unbeirrt freundlich setzte Kresl fort.
"Nun ich hörte, Sie haben einen Täter! Sehr gut gemacht, Herr Picardo!"
"Wir haben bisher lediglich einen starken Verdacht."
"Aber das reicht mir schon! Hervorragende Arbeit!" Kresl machte eine amüsiert beschwichtigende Geste.
"Wie bitte? Wir stecken noch mitten in den ..." der kleine Mann brauste auf, wurde aber von dem Gildenoberhaupt unterbrochen, welcher sein gönnerhaftes Lächeln fallengelassen hatte und den Oberfeldwebel nun mit einem kalten Blick musterte.
"Ich denke ich sollte mich unmißverständlicher ausdrücken. Danke, Ihre Ermittlungen sind hiermit beendet!" Obwohl sein Ton keinen Widerspruch duldete, hob der kleine Mann nochmals an.
"Herr Kresl! Ich habe die Ermittlungen geführt und werde sie auch beenden!"
Das Gildenoberhaupt schmunzelte den Oberfeldwebel amüsiert an.
"Ich denke, sie haben offenbar vergessen, dass ich Ihnen gestattet habe das Gelände zu betreten, so wie ich sie jetzt auffordere es wieder zu verlassen. Wenn sie noch Fragen dazu haben sollten, wissen Sie, wo sie mich finden können."
Mit diesen Worten stakste er davon. Willi, wie auch die verdutzte Wächtergruppe, schauten ihm nach, bis er in der Menge verschwunden war.
Auf dem Hof herrschte plötzlich ein Moment der peinlichen Stille. Der Oberfeldwebel schien kurz davor, vor Wut zu platzen und seine Wächter schauten sich betreten und verunsichert an. Sogar einige der umstehenden Schaulustigen wendeten bewußt den Blick von der Gruppe ab.
Auch Willi überkam plötzlich das Gefühl den Hof verlassen zu wollen. Er griff ach seinem Schlüsselbund und wandte sich dem nächsten Aufgang zu.
In Gedanken hoffte er, den Abend und die schrecklichen Ereignisse bald vergessen zu können.





*** Abspann ***

Oberfeldwebel Picardo mochte die Gilden.
Nun - er mochte sie grundsätzlich, denn sie stellten neben dem Schlafen, dem Kommandieren und dem Schreien einen kleinen Teil seines Daseinszweckes dar. Es hatte oft so etwas wie eine Symbiose zwischen ihnen bestanden - zumindest sah Robin das so. DOG braucht die Gilden und die Gilden brauchen ab und zu DOG.
Missmutig schlurfte Robin zusammen mit seinem Team zurück in Richtung Boucherie. In Gedanken versunken kam er zu den Schluß, dass zum Beispiel heute - also ganz speziell jetzt - ein Moment gekommen war, in dem er die Gilden hasste! An irgendjemand würde er sich jetzt abreagieren müssen - soviel stand fest! Bloß an wem?
Während er darüber grübelte blickte er sich nach seinen Hunden um.
"Was wird nun aus diesem Sendelberg, Sir?" Goldie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie jetzt wo der Täter praktisch feststand, einfach so aufgaben und ihn der Selbstjustiz der Gilden überließen.
"Mmh." Robin beantwortete die Frage mit einem Brummen. "Woher soll ich das wissen? Sie werden ihn schon bestrafen."
Er ließ den Blick zu Patrick schweifen. Der Verband, den Rea ihm um den Kopf gewickelt hatte, begann zu rutschen und der Husky mußte ihn immer wieder gerade rücken. Sein Gesichtsausdruck schrie geradezu nach Kopfschmerzen.
Robin schenkte Patrick einen mitleidigen Blick, und beschloß ihm im Boucherie eine ordentliche Standpauke zu verpassen.
"Was hatte dieses tote Mädchen eigentlich damit zu tun, Sir?" Goldie gab anscheinend nicht auf in dem Fall und damit in der Frustration ihres Vorgesetzten zu bohren.
Robin dachte kurz nach.
"Die Freundin des ersten Toten? Gute Frage!"
"Vielleicht wollte sie sich an Sendelbelg lächen." warf Dlei ein.
"Und was hatte das mit der Eichhörnchenstatue zu tun?"
"Die hatte dieser Richard offensichtlich entweder von Sendelberg gestohlen oder was weiß ich. Meiner Meinung hat diese ganze Bande Dreck am Stecken!"
"Hatte Richard nun mit dieser Elisabeth und dem Direktor zu tun?"
"Woher soll ich das wissen, Goldie!? Gib Ruhe – der Fall ist beendet! Reimt Euch den Rest selbst zusammen!!" gab der Oberfeldwebel genervt zurück.
Robin war von dem ewigen Gefrage Goldie's genervt. Sie waren schließlich alle dabei gewesen, wie sie dieser Kresl praktisch rausgeworfen hatte. Und mehr wußte er schließlich auch nicht, obwohl er Oberfeldwebel war.
"Geht ihr schonmal in die Boucherie zurück, ich komme dann nach."
Er beschloß dem Wachhaus in der Pseudopolisstraße einen Besuch abzustatten und sich noch einmal den Pokal anzusehen.
Ja – genau das würde er jetzt tun und nachher würde er zu Rina gehen und sie fragen ob der Pokal wieder zu ihr geheult hätte.
Robin Picardo schritt voller hämischer Erwartung durch die Straßen von Ankh-Morpork und freute sich schon auf den wütenden Gesichtausdruck des Oberleutnants.
'Ohja – der Pokal will nach Hause!' ging es ihm als letztes durch den Sinn und schmunzelt verschwand Robin Picardo hinter der nächsten Ecke.
Kritik ja

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Laiza Harmonie

01.07.2005 13:28

Ja, fang ich mal hier an.

Deine pokey konnte man wirklich gut und flüssig lesen! Die Erzählperspektive war ebenfalls sehr angenehm, hat dir aber anscheinend die letzten Punkte für den ersten Platz geraubt, weil die DOGs nur am "Rand" auftauchten.
Ich war wirklich begeistert und sah schon die 13 vor mir, doch dann .... waren die 9000 Wörter nahe gekommen und das Ende boxte dem Leser schmerzhaft in den Magen!
Wir haben schon im AIM darüber geredet. Es ist wirklich schade, dass gute Geschichten meist durch das Wortlimit zerstört werden. Aber so ist das halt bei Pokalmissionen.
Vielleicht hättest du konstanter kürzen sollen, dann wäre das Ende ein wenig umfangrecher geworden. Allerdingsglaube ich, dass der übrige Teil dann holprig geworden ist ... wie mans dreht und wendet, beides ist keine Lösung.

Andererseits zeigt dein Ende das typische Verhalten der Gilden. Aber erklär das mal deinen Magen ;-)

Auf jeden Fall herzlichen Glückwunsch zur Note und ich freu mich schon auf die nächste Single von dir!

Von Daemon Llanddcairfyn

01.07.2005 14:04

Ich mochte die Darstellung der Dogs 'von außen', wie sie alles hier und da erledigt haben und Patrick spielte ja zusammen mit Goldie und Dlei eine größere Rolle. Das Ende hat mich nicht sonderlich gestört (So sind die Gilden in AM halt), aber ich kann mir vorstellen, dass es Anderen nicht gefallen hat.

Von Daemon Llanddcairfyn

01.07.2005 14:05

Achso: Was total verwirrt hat: Am Anfang werden theatermäßig die Rollen aufgeführt, aber die Single ist überhaupt nicht in diesem Stil geschrieben. Da wären entscheidende Worte gewesen, die einfach auch hätten weg gekonnt ;o)

Von Goldie Kleinaxt

01.07.2005 14:47

Ja - ich bin selber sehr unzufrieden mit dem Ende! Aber spätestens bei 8000 Wörtern ist mir dann klar geworden, daß ich mit dem Limit kollidiere. Meine Unzufriedenheit mit dem Ende habe ich dann im Abspann auszudrücken versucht.

Von Goldie Kleinaxt

01.07.2005 15:12

Und ein großes Dankeschön an die Rea fürs Korrekturlesen, womit ich mich hiermit jeglicher orthogrammatischer Verantwortung entziehe :wink: :D

Von Patrick Nichts

01.07.2005 15:56

und ich habe dir immernoch nicht verziehen..... :evilgrin: (du weißt weswegen)


aber wirklich eine schöne Single. Hab auch etwas besser bewertet wie es ausgegangen ist.
Nur eine Frage an dich: Erscheint dir Pat echt so amateurhaft? ich hab mich manchma echt gefragt warum er so stümperhaft vergeht. Mittlerweile sollte er eigentlich besser sein wie ein totaler Anfänger.
Aber es war lustig und ich vergebe dir. *g*

Von Robin Picardo

01.07.2005 15:59

wenn wir keine Stümper/Versager/Leute mit Knacks wären wir nicht bei der Stadtwache.
*Hält ein Schild hoch*
reale Superheldenüberpowerwächter nein danke :daumenrunter: :daumenrunter:

Von Ophelia Ziegenberger

01.07.2005 17:21

Lob: Die Idee und deren Umsetzung, die Geschichte aus Sicht der Nichtwächtercharaktere zu schreiben, hat mir ausnehmend gut gefallen. Ebenso die Darstellung der eingeführten Figuren. Die Ansiedlung der Vorkommnisse und des Schauplatzes auf einer Art Gilden-Campus, ließ ein lebhaftes Universitätsbild vor dem inneren Auge entstehen. Die Auflösung war zwar kurz und knapp aber durchaus passend.

Kritik: Die letzten vier Sätze der Single dagegen zerstörten den runden Eindruck, da sie völlig zusammenhanglos angefügt wurden.

Von Patrick Nichts

01.07.2005 20:03

so meinte ich das doch garnicht Robs :))
Aber so stümperhaft ist pat nun doch mittlerweile nicht mehr. Aber darüber können wir später mal diskutieren. Nicht hier im Thread.

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