Frische Zutaten

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von Wächter Tunnelblick
Online seit 15. 08. 2000
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Die Zauberer melden die plötzliche Abwesenheit des Quästors, haben aber aufgrund eines vorbereiteten Festmahles keine Zeit, sich darum zu kümmern.
Also muß die Wache ran.

Dafür vergebene Note: 12

Frische Zutaten Kaum hatte Ridcully sich außer Hörweite des Wachgebäudes bewegt, als aus dem Büro von Kommandeur Rince ein markerschütterndes Gebrüll erklang. Der junge Bürger, der gerade seine drei Kreuze auf die gestrichelte Linie der Rekrutierungspapiere setzen wollte, zögerte entsetzt.
"Oh Gott," kreischte er, "der Zauberer hat einen Dämon auf ihn gehetzt."
Heute besetze Feldwebel Lavaelous das Rekrutierungsbüro. Innendienst war ihm ungefährlicher erschienen als das Herumwandern auf der Straße - die Geräusche ließen ihn seinen Entschluß schon jetzt bereuen. Mit einem Wink unterbrach er Hauptgefreiten Daemon, der sich zu Unrecht angegriffen fühlte, und erklärte: "Nein, das ist nur die Aufforderung, ins Büro des Kommandeurs zu kommen. Anscheinend liegt ein Fall vor, der ihm nicht paßt."
"Ah!", stotterte der Neuling verlegen, verbeugte sich höflich und verließ das Wachhaus, ohne die Papiere zu unterzeichnen.
"Die Papiere!", rief Lavaelous.
"Ach ja, richtig. Ich, äh, komme später noch einmal vorbei. Ich muß noch... einkaufen, ja. Frische Zutaten und so. Du verstehst." Der Feldwebel blickte ihm nach. Schade, dachte er, so wie der sprintet, hätte ein guter Wächter aus ihm werden können.
Auch Rekrut Tunnelblick sandte ihm einen langen Blick hinterher. Frische Zutaten, dachte er.

"Männer der Wache," begann der Kommandeur und korrigierte sich. "Männer und Frauen der Wache."
Er erblickte ein Flugblatt der Liga für Gleiche Höhe und begann erneut.
"Männer, Frauen, Zwerge, Trolle, Wasserspeier, Gnome, Untote, Golems... ach verdammt. Wächter!
Rince bemühte sich, das Grinsen zu übersehen, das manch Wächtermiene angesichts des verpatzten Startes zierte. Seine eigene Miene war so finster, daß der Durchschnittsgesichtsausdruck aller anwesenden Wächter als neutral betrachtet werden konnte. "Wie ihr sicher bemerkt habt, war Erzkanzler Ridcully soeben bei uns."
Ein lautes Quaken bestätigte die Aussage. Ein Frosch mit Wachhelm hüpfte auf den Tisch. Rekrut Schenkel hatte ein morphologisches Problem, seit er über die Kuckucksuhr in Ridcullys Hut gelacht hatte.
"Der Quästor ist verschwunden", fuhr Rince fort. Allgemeines Schulterzucken ließ ahnen, daß die meisten Wächter dies nicht unbedingt bedauerten.
"Wie dem auch sei, heute abend ist in der Unsichtbaren Universität ein Festmahl zu Ehren des so-und-soviel-jährigen Verschwindens von Alberto Malich. Ridcully hat betont, daß aus alter Tradition der Quästor die Einleitungsworte sprechen muß."
"Warum suchen die Zauberer ihn nicht selber?"
"Angeblich müssen sie sich auf das Mahl vorbereiten. Er erzählte was von frischen Zutaten und so." Rince hatte seine eigene Vorstellung, wie diese Vorbereitung aussah. Vermutlich bestand sie hauptsächlich aus dem Verdauen der letzten Mahlzeit.
Frische Zutaten, dachte Tunnelblick wieder.
Der Kommandeur sprach weiter. "Also, Män... Leute und Unleute, raus mit Euch, sucht den Quästor."
"Und wenn wir ihn nicht finden?"
Rince zuckte mit den Schultern. Der unglückliche Rekrut quakte. Diensteifrig wie selten eilten die Wächter aus dem Zimmer.
Mißmutig wandte sich Rince wieder dem Papierkram zu. Noch mißmutiger wandte er sich wieder ab. Sein Blick traf die Augen von Rekrut Tunnelblick. "Ja?", fragte er.
"Ich habe mir meine Gedanken gemacht, Sir."
Wie immer umspielte ein leichtes Lächeln Tunnelblicks Lippen, und seine starren Augen ließen den Kommandeur nicht los. Rince hoffte, daß die Gedanken sich nicht darum drehten, seine inneren Organe mit einem stumpfen Gegenstand herauszulösen.
"Ja?", fragte er wieder, und legte seine Hand auf die Miniaturarmbrust in der Schublade. Nur zur Sicherheit.
"Ich habe eine Theorie. Was wäre, wenn eine magische Entladung, ausgelöst durch eine getrocknete Froschpille, die versehentlich in einen Zaubertrank fiel, ein Loch in das Dimensionsgefüge des Multiversums gerissen hätte, durch das der Quästor fiel, bis er der anderen Seite des Seins ankam, um nun als graue Eminenz über die Geschicke der Welt zu wachen?"
"Äh", sagte Rince.
"Ja", fügte er hinzu.
"Geh dieser Sache nach", schloß er.
Tunnelblick nickte, steckte den prostierenden Frosch ein und ging. Rince blickte Tunnelblick nach und überlegte, ob man als Wachkommandeur Froschpillen bezahlt bekam.

Ohne größere Zwischenfälle erreichte Tunnelblick die Zelle des Quästors. Er blickte sich um. Die gepolsterten Wände deuteten darauf hin, daß er einem verwandten Geist folgte. Vorsichtig inspizierte er die Apparatur. Große Kolben, Verbindungsrohre, durch die sich eine oktarin schimmernde Flüssigkeit anscheinend gegen die Schwerkraft bewegte, ein Feuer, das aus einem Loch im Tisch emporflammte, um die Mixtur zu erhitzen. Dieses Feuer, so schloß Tunnelblick ehrfurchtsvoll, muß reiner Magie entspringen. Den unter dem Tisch sitzenden Sumpfdrachen ignorierte er völlig. Sein wachsamer Blick entdeckte bald eine Packung getrockneter Froschpillen. Vorsichtig entnahm er eine, betrachte sie solange mit seinem starren Blick, bis sie sich schon ungemütlich fühlte, und warf sie in die Mixtur. Ein oktarines Flimmern erfüllte den Raum, und es passierte...
nichts.
Mit einem Anflug von Enttäuschung blickte er auf die Froschpillenpackung. Nachdenklich stopfte er sie in die Tasche, wobei der andere Rekrut protestierend quakte. Tunnelblick holte ihn heraus, betrachtete ihn und die Pillen und überlegte. "Frische Zutaten," sagte er und stopfte den Frosch in den Kolben. Ein oktarines Strahlen erfüllte den Raum, und es passierte...
etwas.

Er erwachte in einem Raum, der von grauem Licht glitzerte. Graue Lettern prangten auf grauem Grund: "Aufenthaltsraum für graue Eminenzen, die durch Dimensionlöcher gefallen sind, um am anderen Ende des Seins über die Geschicke der Welt zu wachen." Befriedigt sah er sich um. Wie immer war seine Theorie richtig gewesen. Zu seiner Überraschung hielten sich nur drei graue Eminenzen hier auf. Er hatte erwartet, daß so etwas alltägliches wie ein Dimensionslochfall mehr Leute hierher verschlagen hätte.
Nun galt es noch den Quästor zu identifizieren und zurückzubringen.
"Wie lauten Eure Namen, Graue Eminenzen?", donnerte er.
"Riebesam der Forschende", rief der erste, in dessen grauen Mantel noch die Splitter eines vor Jahrtausenden explodierten Kolbens glänzten.
"Theoqod der Wahrhaftige", rief der zweite, umgeben von oktarinem Glanz, der sich in der Zeitlosigkeit gehalten hatte. "Du darfst den Elephanten im Treppenhaus nicht trauen," rief der dritte, "auch wenn sie gut angezogen sind."
Die Identifikation war gelungen.
Tunnelblick wandte sich an die anderen beiden. "Könnt ihr uns ins Multiversum zurückschaffen?
"Die ehernen Gesetze lassen es nicht zu, daß etwas diesen Ort verläßt," erwiderte Riebesam.
"Oh, fein," freute sich Tunnelblick mit starren Augen und leichtem Lächeln, "dann können wir vier ja bis in alle Ewigkeit über die Geschicke der Welt wachen."
Riebesam und Theoquod tauschten einen Blick.
"Bitte stellt Euch kurz in den magischen Kreis.

Ein oktariner Blitz.
Tunnelblick und der Quästor stehen wieder im Multiversum. Ridcully blickt in die Zelle. "Das wurde auch Zeit", sagte er.
"Das Festmahl beginnt gleich." Abschätzend betrachtete er den Wächter. "Wo du schon mal da bist, kannst du gleich hierbleiben."

Die versammelten Zauberer warteten auf die Eröffnungsworte des Quästors. Es handelte sich um seinen vierten Versuch. "Du darfst den Elephanten im Treppenhaus..."
"NEIN!!!" brüllten sie.
"Endlich ist der Alte weg."
Ein erleichtertes Raunen ging durch die Reihen, und man begann die Feier zu Alberto Malichs Verschwinden.

Rince las Tunnelblicks Bericht.
Eine magische Entladung, ausgelöst durch eine getrocknete Froschpille, die versehentlich in einen Zaubertrank fiel, riß ein Loch in das Dimensionsgefüge des Multiversums, durch das der Quästor fiel, bis er der anderen Seite des Seins ankam, um nun als graue Eminenz über die Geschicke der Welt zu wachen. Ich folgte ihm und brachte ihn zurück.
Erzkanzler Ridcully meint, Rekrut Frosch-Schenkels Verwandlung hält nur noch bis morgen Mittag an.
Das wäre etwa jetzt, dachte Rince. Er hörte draußen ein lautes "Plopp", gefolgt von Schenkels wutentbrannter Stimme: "Ich dreh dir den Hals um, du verdammtes Kameradenschwein. Frische Zutaten, was? Dir werd ich's zeigen!"
Fröhlich pfeifend legte Rince den Bericht zu den Akten und ignorierte Tunnelblicks Hilfeschreie.



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