Hier spricht Eddie Wollas! Verehrter Leser, machen Sie sich gefasst auf eine Reise in das Grauen. Noch können Sie es sich anders überlegen und diese Mission nicht lesen. Denn hier werden Sie Dinge erfahren die sie zweifellos an den Rand des Wahnsinns treiben. Sie lesen ja immer noch! Nun, sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.
Dafür vergebene Note: 15
That is not dead which can eternal lie
And with strange aeons even DEATH may die...
(H. P. Lovecraft: The Call of Cthulhu)Immer wieder wird in der Bibliothekstheorie der L-Raum erwähnt.
Ein Raum, welcher sämtliche Bibliotheken des Multiversums und aller Zeiten miteinender verbindet. Es heißt, im L-Raum könnte man jedes Buch finden, das zu irgendeiner Zeit irgendwo geschrieben worden ist. Doch es gibt noch eine Steigerung...
Den L hoch 2-Raum.
Dies ist der Raum, in dem sich die Quantenmechanik abspielt.
Und hier sind selbst Dinge möglich, welche ursprünglich nur von den Göttern erfunden wurden, um die Physiker zu ärgern, wie zum Beispiel der Tunneleffekt. Eine Materiewelle ist in der Lage, ein nach den Gesetzen der klassischen Mechanik undurchdringbares Hindernis zumindest teilweise zu überwinden. Doch am Rande der Realität, dort wo eine zehntausend Meilen lange Schildkröte mit vier Elefanten auf ihrem Rücken, die nun wiederum eine flache Welt tragen, durch den interstellaren Raum paddelt, ist alles möglich...
Selbst das versehentliche Durchdringen des Stoffes aus dem die Hosen der Zeit gewebt sind.
Es gibt viele Geschichten über diese sogenannten Hosen der Zeit. Immer wenn eine Entscheidung gefällt, ein Entschluß gefaßt oder Eventualitäten abgewägt werden, entstehen mehrere, sozusagen in potentia existierende Zukünfte. Und daher trifft der Begriff Hose nicht wirklich zu, um das sich im Laufe der Jahrhunderte auf immer komplexeren Bahnen durch das Raum-Zeit-Kontinuum krümmende Gebilde zu beschreiben. Vielmehr gleicht es einer jener Konstruktionen, die selbst M.C. Escher, Felix Klein oder Stephen Hawking dazu bringen würde, sich mit Kopfschmerzen ins Bett zurückzuziehen.
Und schon ein an sich unbedeutendes Ereignis ist in der Lage den Lauf der Geschichte entscheidend zu verändern.
[1]DIE ERSTEN FÜNF TEILE DER GESCHICHTEStarker KaffeeDer erste Teil der Geschichte begann vor mehreren hundert Jahren an einem glühendheißen Mittag in der Oase El-Kefir mitten in der klatschianischen Wüste.
"Sie kommen!" flüsterte Achmed-al-Alhazred panisch und verkroch sich tiefer in den Schatten des Lehmhauses, die frisch mit dreifach destilliertem klatschianischem Kaffee gefüllte Kanne unklammernd als wäre sie der letzte Rettungsring auf einem überfüllten sinkenden Schiff. Mit zitternden Händen schenkte er seine Tasse voll und griff nach dem Federkiel. Warum waren bloß die Orakh-Vorräte der einzigen Taverne der Oase an diesem Morgen erschöpft gewesen? Nichtsahnend hatte er seinen täglichen Kaffee bestellt, nur um sich schließlich völlig knurd unter dem Tresen wiederzufinden.
Und plötzlich hatte er
SIE gesehen.
Sich genüßlich im ihrem eigenen unheiligen Schleim wälzend und sich in ihrer blasphemischen Sprache unterhaltend lagen sie an den Gestaden des Unmöglichen und gierten nach der Realität. Allein ihr Anblick hätte einem normalen, durchschnittlich nüchternen Menschen den Magen von innen nach außen gestülpt und sein Gehirn in Weichkäse verwandelt. Und Achmed-al-Alhazred war unter dem massiven Einfluß des Kaffees urplötzlich alles klar geworden.
Nicht immer war seine Welt von den Menschen und anderen humanoiden Rassen beherrscht worden. Es gab noch etwas anderes. Etwas, was in seiner Schrecklichkeit beinahe unfaßbar war.
Die
URALTEN RIESEN. Die alten, dunklen Götter der Scheibenwelt.
Vor Äonen von Jahren waren sie von den Sternen einer fernen Dimension gekommen und hatten die noch junge Welt besetzt, jedes Lebewesen das sie erblickte in den Wahnsinn getrieben und sich in jeder Samstagnacht prächtig vergnügt. Bis ihr Treiben schließlich Azrael und den Seinen zuviel wurde und sie eingriffen.
Die Seelen Cthulhupalhulhus, Bel-Shamaroths, Nylonathateps, Yob Soddoths, Tshup-Aklatheps, BiG BaNaNas und Konsorten wurden in die Kerkerdimensionen verbannt, von wo sie einst gekommen waren. Doch die Körper der Monstrositäten blieben auf der Scheibenwelt zurück, verborgen in den Fundamenten der Kontinente. Und um sie zu wecken mußte man sie nur rufen...
888. Die Nummer der Bestien.Verzweifelt Kaffee in sich hineinschüttend, begann Achmed-al-Alhazred zu schreiben.
Viele hunderte von Jahren später war Achmed-al-Alhazred alias Achmed der Verrückte beinahe vergessen. Und diejenigen, die sich noch an ihn erinnerten, taten es hinter vorgehaltener Hand, während ihnen ein kalter Schauer den Rücken herunterlief. Sein Werk, welches er einst unter Einfluß des berüchtigten klatschianischen Kaffees geschrieben hatte, war bis auf ein einziges Exemplar vernichtet worden. Und dieses Exemplar lag wohlverwahrt im Hochsicherheitstrakt der Bibliothek der Unsichtbaren Universität, Ankh-Morpork. Es hieß, jeder, der auch nur einen Blick in den schweren, eisenbeschlagenen Band werfe, würde auf der Stelle unheilbar dem Wahnsinn verfallen wenn das Buch ihn nicht schon innerhalb von Sekunden tötete.
Sein Name war unter den Zaubereistudenten Legende.
Er lautete
NECROTELICOMNICONLange ZähneDer zweite Teil der Geschichte begann vor fünfunddreißig Jahren in Schlaz, Überwald.
Zärtlich kraulte Ragnar Walerius der Zwölfte das flaumige Haar seiner zwei Tage alten Tochter. Er saß zurückgelehnt in einem weichen Ohrensessel, die Füße auf einem Hocker gelegt. Im Kamin brannte ein helles Feuer, dessen Flammen munter in Richtung des Abzugs leckten und die gesamte Szenerie in einen goldenen Schein tauchten. Porträts aus mehreren Jahrhunderten blickten auf den Mann und sein Kind herab.
Ragnar lächelte als seine kleine Tochter ihn aus ihren grünblauen Augen anblickte.
"Meine Edwina." brummte er gut gelaunt und hob mit seinem dicken Zeigefinger eine ihrer winzigen Hände an. Schon bald würden eben diese Hände den Umgang mit Pflock, Weihwassersprenger und Schwert lernen müssen. Denn ein Mitglied der berüchtigten Vampirjägerdynastie Walerius lebte gefährlich.
Ein Schlaflied für sein Kind summend bewegte Ragnar vorsichtig sein linkes Bein. Der Bruch war gut verheilt, doch an kalten, feuchten Tagen fühlte der Vampirjäger immer noch ein unangenehmes Zwicken im Knochen. An jenem Tag, als er nach der Einäscherung des Grafen Klockrock von Krukluck auf der vereisten Zugbrücke ausgerutscht und sieben Meter tief in den Burggraben gefallen war hatte er festgestellt, daß er für diesen Beruf langsam zu alt wurde.
Doch er mußte weitermachen, bis die kleine Edwina alt genug war um in seine Fußstapfen zu treten. Es hatte immer einen Vampirjäger namens Walerius zu geben. Wenn die Tradition gebrochen wurde gingen Schloß und Erbe an die Stadt Schlaz. Dies war von Ragnar Walerius dem Ersten vor über fünfhundert Jahren testamentarisch verfügt worden, nachdem ein Vampir dessen halbe Familie ausgelöscht hatte. Die Tatsache, daß der ehemalige Straßenräuber das Schlösschen und das Vermögen durch eiskaltes Einäschern des residierenden vampirischen Grafen in Besitz genommen hatte war von selbigem äußerst großzügig übersehen worden.
Doch um das Vermögen zu behalten und vor allem auch um zu überleben, würde auch Edwina Dorothea Walerius, wie so viele Nachkommen Ragnars des Ersten vor ihr, das Handwerk fortführen. Ragnar der Zwölfte schätzte, daß zahlreiche Generationen von Vampirjägern namens Walerius mittlerweile die Hälfte der adligen Bevölkerung Überwalds gegen sich aufgebracht hatten. In unregelmäßigen Abständen von einigen Jahren versuchte immer wieder einmal ein rachsüchtiger Verwandter eines zur Strecke gebrachten Blutsaugers, sich an der Familie zu rächen. Doch bisher waren sie immer wachsam und verteidigungsbereit gewesen. Bisher...
"Schlaf nur, Edwina, schlaf ein..." sang Ragnar leise. "Dein Leben wird noch früh genug hart und gefährlich werden, mein Kleines."
Mörderische GierDer dritte Teil der Geschichte begann in jener schicksalshaften Nacht, in der die Eröffnung eines gewissen Fischimbisses in der Unheilsstraße zur urbanen Legende Ankh-Morporks wurde.
Der Assassine, der auf dem Dach von Jimkin Bärdrückers Whiskeybrennerei im Schatten eines Schornsteins lauerte, wägte die beiden Möglichkeiten ab, die sich in seinem Hirn eingenistet hatten. Die Gelegenheit war einmalig. Sein Kollege wußte nicht, daß er bereits hier wartete und somit würde er das Überraschungsmoment ganz auf seiner Seite haben. Das glänzende, sprechende magische Schwert mit dem Drachenknauf erschien vor seinem geistigen Auge.
"Tu es!" schien jemand in seinem Kopf zu sagen. "Bring ihn um, so wie du es mit den anderen getan hast."
Der Assassine seufzte. Andererseits... Sein letzter Plan war fehlgeschlagen. Der Sumpfdrache war wie geplant explodiert, doch hatte er die betreffenden Person lediglich ein Bein und nicht das Leben gekostet. Und der betreffende Schlüssel befand sich nun in unerreichbarer Ferne. Und außerdem... Sie hatten einen Auftrag zu erfüllen. Und Aufträge waren wichtiger als persönliche Gelüste.
Da sah er aus den Augenwinkeln eine schwarz gekleidete Gestalt lautlos direkt auf den Dachvorsprung zuschleichen, auf dem sich seine Deckung befand.
"Ich weiß, daß du hier steckst, Bernicio Cassawar." erklärte sie mit kühler Stimme. "Und ich weiß auch, weshalb du hier im Schatten hockst und denkst, du könntest mir unentdeckt auflauern. Der letzte Schlüssel. Meine Güte, wie kann jemand bloß so gierig sein und
unlizenziert morden, nur wegen eines unsäglichen magischen Schwertes, dessen einzige Fähigkeit es zu sein scheint, jeden zu beleidigen der in seine Nähe kommt?"
Im Inneren des Assassinen kochte es. Woher wußte sein Kollege bloß wieder Bescheid? Aber so war es immer mit ihm- ständig war er den anderen mit seinen Gedankengängen ein Stück voraus.
Sollte er sich gleich auf ihn stürzen, sich den Schlüssel seines Gegenübers schnappen und der Sache ein Ende machen? Oder sollte er es leugnen und mit ihm zusammen den Auftrag erfüllen zu dem sie ursprünglich ausgesandt worden waren? Einen Bruchteil einer Sekunde überlegte er.
Dann entschied er sich und die Hosen der Zeit gabelten sich ein weiteres Mal.
Zahlreiche SorgenDer vierte Teil der Geschichte begann vierzehn Jahre nach dem Beginn des zweiten und vier Jahre nach dem Beginn des dritten Teils.
Kohlfelder erstreckten sich in alle Himmelsrichtungen bis an den Horizont. Holger Quetschkorn betrachtete sie mit von Sorgenfalten durchzogenem Gesicht. Drinnen in der armseligen Hütte lag seine Frau in den Wehen und die Hebamme hatte ihn vor kurzem freundlich aber bestimmt nach draußen befördert.
Doch es war nicht seine Hilda, die Holger Sorgen machte.
Als achter Sohn eines Kohlbauern reichte das kleine Stückchen Land das seine sieben älteren Brüder ihm übrig gelassen hatten schon kaum aus, um die Familie zu ernähren. Doch wovon sollten seine eigenen sechs Söhne leben wenn er einmal nicht mehr war? Mit jedem Kind war die Angst um die Zukunft seines Nachwuchses größer geworden.
Holger betete zu Brassica, der Göttin des Kohls, daß Hilda ihm dieses Mal, über neun Jahre nach Hermine, endlich wieder eine Tochter schenken würde. Mädchen ließen sich verheiraten und beanspruchten keinen Anteil eines ohnehin schon nicht allzugroßen Kohlfeldes. Außerdem aßen sie weniger und man bekam sie durch die Ehe früh aus dem Haus.
Seufzend blickte Holger randwärts. Dort, am fernen Horizont, wies eine Dunstglocke auf die größte Metropole der Scheibenwelt hin. Mehr als einmal hatte der Kohlbauer davon geträumt, sein elendes Leben und seinen Kohlacker aufzugeben und sich mit seiner Familie auf den Weg nach Ankh-Morpork zu machen. Doch sein praktisch denkender Verstand hatte ihn immer wieder davon abgehalten. Wovon sollten sie in der Stadt leben? Ein ungebildeter Bauer vom Lande wie wie er würde höchstens eine schlecht bezahlte Anstellung in einer Gerberei erhalten oder nach zwei Tagen tot auf dem Ankh liegen.
Holger Quetschkorn wußte nicht, wie lange er in die Ferne gestarrt hatte, als schließlich das leise Geschrei eines Kindes durch die geschlossene Hüttentür an sein Ohr drang. Er zuckte zusammen. Nun war es also soweit.
"Papa?" Eine Hand zupfte ihn am Ärmel seines zerschlissenen Hemdes.
Holger sah nach unten. Janus, sein zehnjähriger Erstgeborener, stand neben ihm und nagte an der Unterlippe.
"Warum muß Mama dauernd Kinder kriegen?" fragte er. "Wir sind doch schon so viele. Haben wir überhaupt genug zu essen für den Neuen?"
Holger seufzte nur und strich seinem Sohn über das hellbraune Haar.
"Wir werden schon irgendwie über die Runden kommen." sagte er in resigniertem Tonfall.
Schweigend warteten die beiden, bis die Hebamme die Tür öffnete.
"Und?" Holger schrie das Wort beinahe heraus als er das ernste Gesicht der alten Frau bemerkte.
"Deiner Frau geht es gut." sagte diese ausweichend.
"Habe ich einen Bruder oder eine Schwester?" schaltete sich Janus ein, der es vor Neugierde nicht mehr aushielt.
Die Hebamme seufzte.
"Es sind Zwillinge, Holger. Zwei Jungen."
Dem Kohlbauern sank der Kopf auf die Brust.
"Schlimmer hätte es nicht kommen können." murmelte er und vor seinem geistigen Auge sah er acht Söhne vor ihren winzigen Flecken Kohlfeld verhungern. "Und du bist dir wirklich sicher, daß du dich nicht verguckt hast und zumindest eins von beiden ein Mädchen ist?" fragte er vorsichtig.
Langsam schüttelte die Hebamme den Kopf.
"Ich habe eine traurige Nachricht für dich." sagte sie leise und ihre Worte klangen wie einstudiert. "Der Erstgeborene der beiden ist so gesund und kräftig wie ein Säugling nur sein kann. Ein wahrer Prachtkerl. Aber der Zweite..." Sie pausierte kurz und biß sich auf die Lippe. "Er ist zu klein und mager und außerdem schwach auf der Lunge. Ich glaube nicht, daß er lange leben wird."
Holger nickte nur grimmig. Dann würde es halt ein kleines Grab am Rande des Kohlfeldes geben. Ein hungriger Mund weniger den er stopfen mußte. Und welchen Nutzen hatte schon ein schwacher, dauernd kranker Junge auf einem Bauernhof? Er wußte, es war herzlos, seinem eigenen neugeborenen Kind den Tod zu wünschen, doch in seiner Situation konnte man es ihm wohl kaum übel nehmen.
Der Kohlbauer atmete tief durch und schickte sich an, die Hütte zu betreten. Warum bestrafte Brassica einen armen Mann wie ihn mit acht Söhnen?
Fleißiges LesenUnd schließlich, achtzehn Jahre später, begann auch der fünfte Teil der Geschichte, als Araghast Breguyar, frischgebackener Rekrut der Stadtwache Ankh-Morporks, einen mit seltsamen Dingen bis obenhin angefüllten Laden betrat, dort ein Buch kaufte und das Geschäft kurz darauf wieder verließ. Als er zwei Wochen später zurückkehrte um zu fragen ob es auch einen zweiten Band gab war der Laden spurlos verschwunden.
DER SECHSTE TEIL DER GESCHICHTEUrbane LegendenEmanuel Kaboltzmann, Zauberer sechster Stufe und seit einem halben Jahr Professor für angewandte Legendenforschung, räusperte sich. Er räusperte sich eine ganze Weile, während er vergeblich darauf wartete, daß die zirka hundert Anwesenden verstummten.
Dann räusperte er sich noch lauter.
Der Geräuschpegel im Raum blieb konstant.
"Ruuuheee!" brüllte der Magier aus voller Kehle.
Schlagartig verstummten die Anwesenden, und nur noch ein unterdrücktes Husten aus der letzten Reihe störte die Stille.
Emanuel Kaboltzmann räusperte sich noch einmal.
Dann gab er ein Handzeichen und ein Student dem es nicht schnell genug gelungen war sich vor der Arbeit zu drücken entzündete die laterna magica.
[2] Ein helles Licht flammte auf und an der weißen Wand hinter dem Dozentenkatheder erschien ein verwirrendes Geflecht von Linien.
In diesem Moment wurde die Tür vorsichtig aufgeschoben und ein dicklicher junger Mann in blaßgrünen Roben versuchte, sich unauffällig ins Zimmer zu schleichen. Seine Brille saß schief auf seiner Nase.
"Sieh an, der Erwin Furunkel!" begrüßte ihn Kaboltzmann gönnerisch. "Nur drei Minuten zu spät! Langsam kann man wirklich glauben, daß du gelernt hast wie man eine Uhr liest! Setz dich, damit wir endlich anfangen können."
Der junge Zauberer seufzte schicksalsergeben, während der Professor für angewandte Legendenforschung seine Aufmerksamkeit wieder auf die Zuhörerschaft als Ganzes richtete und mit der Begrüßung begann.
"Ich heiße Ewein Krawunkel, nicht Erwin Furunkel." murmelte der Nachwuchsmagier kaum hörbar, lehnte seinen Zauberstab an die Wand und drückte sich in die letzte Reihe auf einen freien Platz.
"Gib's auf. Er lernt es nie." wisperte eine heisere, brüchige Stimme neben ihm. "Wir werden für ihn immer Matschähre und Furunkel bleiben, egal wie lange wir mit ihm arbeiten."
Ewein wandte sich um und blickte in das blasse, hagere Gesicht Raistan Quetschkorns. Er lächelte schwach.
"Mal sehen was der große Kaboltzmann heute plant." flüsterte er und zog umständlich Papier, Schreibfeder und Tintenfaß aus den Tiefen seines Gewandes. "Nachdem sich die Geschichte um die mutierten Krokodile in der Kanalisation als absoluter Schuß in den Ofen erwiesen hat und bei den Versuchen die Zutaten von Schnappers Würstchen zu analysieren das halbe Labor explodiert ist sollte er bald mal was vorzeigen. Die Fakultät schüttelt schon den Kopf über ihn. Das ist keine Zauberei mehr. Eigentlich begibt er sich nur andauernd in Lebensgefahr und schaut was dabei rauskommt."
Raistan lächelte dünn und bedeutete ihm mit einem an die Lippen gelegten Finger, daß er besser leise sein sollte.
Und in der Tat, Emanuel Kaboltzmann blickte bereits tadelnd in ihre Richtung, während er ausschweifend über die Bedeutung der Erforschung urbaner Mythen redete. In der zweiten Reihe steckte sich ein älterer Zauberer eine Pfeife an, ein anderer wickelte seinen Zwischendurchimbiss aus. Gepflegte Langeweile verbreitete sich unter den Zuhörern. Irgendwo schnarchte jemand leise.
Ewein begann, Strichmännchen auf sein Papier zu kritzeln und seine Gedanken schweiften ab.
Schon ein Jahr war seit seiner erfolgreichen Abschlußprüfung vergangen und immer noch hatte er es nicht weiter als bis zum persönlichen Assistenten Emanuel Kaboltzmanns gebracht und durfte meistens die Folgen der schiefgegangenen Experimente des Professors ausbaden. Unwillkürlich strich er sich über die kahle Stelle am Hinterkopf wo ihm die Explosion des destillierten Schnapperwürstchensaftes das Haar weggesengt hatte. Weicher Flaum wuchs auf der noch sehr empfindlichen Kopfhaut nach. Dies war einer der wenigen Momente in denen er Raistan um dessen Lungenkrankheit beinahe beneidete die es ihm ermöglichte, sich immer wieder an die frische Luft zu verdrücken, während Ewein selbst im Labor die Geräte um die Ohren flogen.
Er seufzte tief. Schon bald würde ihn vermutlich das nächste lebensgefährliche Experiment ereilen. Und wie er Kaboltzmann kannte würde es vermutlich mit Grabungsarbeiten im Ankh um die verwunschene Schuhsohle der Hyperopie zu finden oder ähnlicher Betätigung an den ekligsten Orten Ankh-Morporks zu tun haben. Gründliche Erforschungen der Müllgruben Paul Königs zwecks Untersuchung des Gerüchtes, daß selbige tatsächlich neue Spezies hervorbrachten klang auch nicht schlecht. Oder Langzeitaufenthalte in den Mobilien um die Wirkung der thaumathurgischen Reststrahlung zu erforschen. Kaboltzmanns Tatendrang kannte keine vernünftigen Grenzen.
Ewein schrak zusammen als sich Raistans knochiger Ellenbogen in seine Seite bohrte und Kaboltzmanns Stimme erfüllte wieder sein Bewußtsein.
Der Professor marschierte mit langen Schritten vor der dem jungen Zauberer immer noch völlig unverständlichen Projektion auf und ab und klopfte mit seinem Zauberstab mal hier und mal dort gegen die beleuchtete Wand.
"Ich kann nicht genau sagen, wie viel davon verschüttet ist. Die Pläne stammen noch aus der Zeit lange vor dem Einsturz und es hat mich einiges an Zeit gekostet, sie überhaupt aufzutreiben. Aber es heißt, es soll sich immer noch ein intakter Zugang im Laden befinden. Wenn das stimmt, dann müßte er genau hier liegen." Ein weiteres Mal klopfte der Zauberstab gegen die Wand. "Dann gibt es hier einen Gang, der zu den ehemaligen zentralen Kultkammern führt, wovon ich glaube, daß es diese hier sind."
Langsam dämmerte Ewein, was er dort sah. Ein wahres Labyrinth aus Gängen und Kammern von oben betrachtet. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn.
Emanuel Kaboltzmann drehte sich triumphierend zu seinen Zuhörern um.
"Und so habe ich beschlossen herauszufinden was wirklich mit Herrn Hong geschehen ist und in die Gewölbe unter dem ehemaligen Imbiss anzusteigen." verkündete er.
Ein entsetzter Aufschrei ertönte und eine Gestalt, die aufgrund der hohen Geschwindigkeit nur schwer als der Professor für Grausame und Ungewöhnliche Geographie zu erkennen war, verließ fluchtartig den Raum.
"Nein! Ich... Mich kriegen da keine zehn Pferde rein!" Wild gestikulierend lief Ewein im Labor auf und ab. "Es heißt das einzige was man von Herrn Hong noch gefunden hat war eine Niere! Ich will nicht sterben!"
Amüsiert stellte Raistan fest, daß das Gesicht seines ehemaligen Zimmerkameraden noch bleicher war als sein eigenes.
"Zehn Pferde werden dich vielleicht nicht in den Imbiss bekommen. Aber Kaboltzmann wird schon dafür sorgen." sagte er ruhig und schloß den Schrank mit den Glaskolben.
"Niemals!" Ewein schrie diese Worte fast. "Ich breche mir ein Bein! Ich überfresse mich heute Abend so sehr, daß ich mich drei Tage lang übergeben muß! Ich miste meinetwegen auch freiwillig Hex aus! Alles nur nicht dieses Selbstmordkommando! Das kann nur schief gehen."
Raistan zuckte nur mit den mageren Schultern und langte in eine der Taschen seiner dunkelblauen Robe. Nach einigen Wühlen förderte er einen Notizblock zu Tage, welchen er wortlos aufklappte und Ewein unter die Nase hielt.
Der dickliche Jungmagier runzelte die Stirn. Alles was er auf der ansonsten leeren Seite erkennen konnte waren neun Bleistiftstriche.
"Natürlich geht es schief." sagte Raistan mit einem spöttischen Ton in seiner leisen Stimme. "Bisher sind alle anderen neun Experimente auch schief gegangen. Wir reden hier von Emanuel Kaboltzmann. Was soll man da erwarten?"
Er klappte den Block zu und steckte ihn wieder weg.
Ewein starrte seinen Freund an als hätte dieser sich soeben in ein Tentakelmonster verwandelt.
"Aber... Was... Wie kannst du das einfach nur so hinnehmen, daß ich morgen so einfach in den Tod geschickt werde?" zeterte er.
"Nicht du." Raistan hob eine Augenbraue. "Wir."
"Heißt das, du kommst mit? Aber warum? Du kannst dich doch jederzeit krank melden!"
"Mein Bruder braucht Beschäftigung." antwortete der junge Zauberer und hustete. "Seitdem die Heldengilde ihn endlich aufgenommen hat will er seine ihm zustehende Quote an Abenteuern auch ausschöpfen. Und da um Ankh-Morpork herum in der Hinsicht kaum etwas los ist und er ohne mich nie in die Mittlande reisen würde muß er halt hier irgendwie etwas zu tun bekommen."
Ewein erinnerte sich nur zu gut an Raistans Zwillingsbruder. Kamerun Quetschkorn war ein zwei Meter großer Hüne mit der Schulterbreite zweier normaler Männer und der Kraft eines Trolls, der ständig ein halbes Waffenarsenal mit sich herumschleppte. Allerdings besaß er nicht nur die Kraft sondern die Intelligenz eines Trolls, wie sich sein Bruder hin und wieder recht unverblümt ausdrückte. In wenigen Worten: Er war für den Beruf des barbarischen Helden geradezu geschaffen.
"M-mmmh." druckste Ewein. "Trotzdem gehe ich da nicht rein. Selbst wenn die gesamte Klatschianische Fremdenlegion mitkommen würde um uns zu beschützen."
"Du wirst mitkommen Ewein." wiederholte Raistan völlig unbeeindruckt und unterdrückte nur mühsam einen Hustenanfall. "Da verlaß dich auf Kaboltzmann."
Unerfreuliche ErinnerungenAEKI hatte sich in den zweieinhalb Jahren in denen er das Möbelhaus aus Nichtsfjord nicht betreten hatte kaum verändert, fand Araghast. Die gleichen langen Gänge mit den hohen Regalen, das gleiche Gedränge und immer war das wichtigste Bauteil des gewünschten Möbelstücks gerade ausverkauft. Die Einzelteile des Wohnzimmersofas BROMSTRÖ schwankten bedenklich, als der ehemalige Püschologe und momentane Abteilungsleiter der FROG die Karre um eine Ecke lenkte.
"Vorsicht!" rief Lea und wies auf einen Stapel Bretter dem der Wagen gefährlich nahe gekommen war.
"Ich weiß, wir wollten nur ein Sofa kaufen und nicht den Laden zerlegen." brummte Araghast, stemmte sich mit aller Macht gegen den Schwung und bekam das Gefährt schließlich wieder unter seine Kontrolle. Prüfend musterte er das Kistengewirr.
"Warum habe ich bloß das Gefühl, irgend etwas vergessen zu haben." murmelte er kaum hörbar.
"Das kann nicht sein." antwortete Lea und wedelte mit der Einkaufsliste. Wir haben uns jedes Teil genau aufgeschrieben."
"Aber trotzdem. Etwas fehlt. Ich weiß es." Araghast rückte seine Augenklappe zurecht. "Warte hier, ich hole es."
Ohne auf eine Antwort seiner Braut zu warten eilte er los, bog um drei Ecken, marschierte einen langen Gang entlang und wandte sich nach links als er sich endlich fragte, warum er einfach so davongestürmt war. Was genau suchte er eigentlich?
Seufzend ließ er sich gegen ein Regal sinken und rieb sich das Auge. Wenn er sich bloß erinnern könnte...
Und da fiel es ihm auf. Sämtliche Gänge die er von seinem Standpunkt aus erblicken konnte waren völlig leer. Eine unheimliche Stille hing in der Luft. Die übrigen Kunden schienen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Araghast schüttelte den Kopf. Litt er plötzlich an Halluzinationen? Er sah sich hektisch um, doch niemand war zu sehen.
"Lea!" rief er. "Hörst du mich?"
Die Stille schien beinahe Substanz anzunehmen.
"Lea! Leonata!" brüllte Araghast mit aller Kraft die seine Lungen hergaben.
Als er immer noch keine Antwort bekam zog er sein Entermesser. Doch als er in den Gang bog in dem er seine Verlobte zurückgelassen hatte stolperte er schlagartig in die Dunkelheit.
Durch die hohen Fenster der Halle schien plötzlich der Mond.
Araghast deckte seinen Rücken mit einem Regal und hob verteidigungsbereit seine Waffe. Als die Klinge im schwachen Mondlicht glänzte stutzte er. Statt seines heißgeliebten Entermessers befand sich ein schlichtes Kurzschwert aus dem Wachearsenal in seiner Hand.
Ein fürchterlicher Verdacht keimte in Araghasts Bewußtsein. Beinahe widerwillig spähte er auf seine Schulterklappen. Ein einzelner silberner Zacken zierte das dunkle Grün.
Araghast brauchte sich nicht einmal umzudrehen um zu wissen, daß in dem Regal hinter ihm die Beine des Bürostuhls VESTMANNAEYJARKAUPSTADUR gelagert wurden. Aus irgendeinem Grund war er also zurückgekehrt in seine eigene Vergangenheit.
"Schnell, Bregs! Versteck dich!" zischte eine Stimme aus der Dunkelheit eines Sesselstapels. "Er muß gleich kommen!"
Araghast fuhr zusammen. Doch dann erinnerte er sich. Kanndra saß hinter den Sesseln und zusammen lauerten sie beide Bernicio Cassawar auf, jenem Zombie der es gewagt hatte, in Araghasts Büro einzubrechen und sein magisches Schwert Magnarox zu stehlen. Während er ohne nachzudenken in das Fach mit den Stuhlbeinen kletterte zog der Fall noch einmal an Araghasts geistigem Auge vorbei. Vor vielen Jahren hatte der Assassine Cassawar versucht, seinen Kollegen Havelock Vetinari vom Dach von Jimkin Bärdrückers Whiskybrennerei zu stoßen um an einen der Schlüssel zum Versteck des magischen Schwertes zu kommen. Doch letztendlich hatte es ihn selbst erwischt gehabt und er war tot in einem der Whiskybottiche gelandet. Während Araghast es sich in seinem Versteck so bequem wie möglich machte sog er prüfend die Luft ein. Cassawar war aufgrund der sein gesamtes Denken bestimmenden Begierde nicht tot geblieben. Als ein nach ranzigem Whisky stinkender Zombie machte er erneut die Stadt unsicher und hatte es auf den Patrizier abgesehen.
Plötzlich begann die Luft direkt vor Araghast zu flimmern. Der Wächter hielt den Atem an während seine Gedanken rasten. So war es doch nicht abgelaufen... Cassawar war den Gang entlanggekommen und nicht einfach aus dem Nichts erschienen.
Doch was sich dort vor Araghast materialisierte war kein von Würmern und Maden zerfressener Zombie mit fehlendem Ohr. Es war der Geist Johnny Klawitters, des unglücklichen Mietschneevaters, komplett mit Kostüm und schlecht sitzendem falschem Bart.
"Du bist sehr unartig gewesen, Araghast Breguyar." verkündete er mit rasselnder Stimme und kam langsam auf den mit aufeinandergepressten Lippen in seinem Versteck kauernden Wächter zugeschwebt. In seiner durchsichtigen Hand erschien wie aus dem Nichts eine Rute.
"Was willst du hier?" brachte Araghast hervor und kroch rückwärts bis er die feste Wand der Mauer im Rücken spürte. Ein seltsames Grauen bemächtigte sich seiner. Für einen Augenblick erinnerte ihn die Erscheinung an den Weihnachtsras.
"Du steckst deine Nase in Dinge herein - Strafe muß dafür leider sein." antwortete der Geist hämisch und ein böses Grinsen teilte sein Gesicht beinahe in zwei Hälften. Er holte mit der Rute aus.
Araghast versuchte vergeblich, durch die Rückwand des Regals zu kriechen. Diese Erscheinung redete sogar wie der Weihnachtsras.
"Verschwinde!" schrie er. "Laß mich in Ruhe!"
Doch die bestialische Mischung aus Johnny Klawitter und dem Weihnachtsras lachte nur hinterhältig. In aller Ruhe lehnte er sich über das Regalbrett auf dem Araghast saß.
"Glaubst du an Gruselgeschichten, Araghast Breguyar?" fragte er höhnisch.
Und er schlug mit der Rute zu.
Araghast fiel. Er stürzte durch eine Dunkelheit die so vollkommen war, daß er völlig das Gefühl für Raum und Zeit verlor. Angst bemächtigte sich seiner. Eine Angst die er noch nie gefühlt hatte. Es war keine gewöhnliche Furcht. Es war jene Art von Grauen, das einem den Verstand durch den metaphorischen Fleischwolf drehte.
Und dann, urplötzlich, landete Araghast auf etwas hartem.
Stöhnend schlug er sein Auge auf und mußte sogleich blinzeln. Etwas helles blendete ihn. Mit zusammengekniffenem Auge sah er sich um. Er lag auf einem Haufen morscher Bretter und eine Laterne schien ihm direkt ins Gesicht.
"Bregs! Steh auf! Wir haben nur noch eine halbe Minute bevor das Haus explodiert!"
Es dauerte einen Moment bis die Stimme ihren Weg in Araghasts Verstand gefunden hatte.
"Lea?" fragte er matt.
"Komm!" herrschte die Stimme seiner Braut ihn an. "Beeil dich!"
Eine Hand ergriff seinen Arm und zog ihn grob auf die Beine, die sofort wieder unter ihm nachgaben. Unsanft landete Araghast auf seinem Hinterteil.
"Du wirst sterben wenn du hierbleibst!" Noch eine vertraute Stimme. Doch es war lange her, daß er sie zuletzt gehört hatte. Das war... Araghast brauchte einen Moment um diese Stimme zuzuordnen. Doch dann sprang es ihm schlagartig ins Gedächtnis zurück. Der Obergefreite Gralon Banks, gestorben vor gut anderthalb Jahren beim Zusammenbruch der Außentreppe des
Boucherie Rouge.
"Gralon?" fragte Araghast mühsam. Er hatte das Gefühl, daß sein gesamter Körper aus Blei bestand.
"Renn, verdammt noch mal! Bregs! Das A.G.L.A. geht in zehn Sekunden hoch! Was ist mit dir los?" schrie Lea ihm ins Ohr und er begriff, daß sie es war die ihn so unsanft hochgezerrt hatte.
"Ich kann nicht..." stöhnte er kaum hörbar und sein Bewußtsein driftete langsam davon. Er glaubte, in der Ferne eine Explosion zu hören, doch es war ihm seltsam gleichgültig. Das letzte was er sah bevor ihn die Dunkelheit erneut umfing war das Gesicht Leas, von Entsetzen verzerrt.
Wieder packte ihn das Grauen. Und dann begann eine rasche Folge von Bildern vor seinem Auge vorbeizuziehen.
Der verrückte Hohepriester der Kahului, der kurz davor war, ihn mit seinem Opfermesser zu köpfen. Ein grimmig dreinblickender Lebkuchenmann, bewaffnet mit einer sehr spitzen Zuckerstange. Das 'Hinweise'-Brett. Der Prothesenmacher Lindendorf in einer Lache seines eigenen Blutes. Araghasts Onkel Idian, sein Gesicht eine Maske des Erschreckens, während der Degen seiner Schwester in seiner Brust steckte. Der komische Torbogen mit der flatternden Gardine. Ein feuerspeiender Wyrmberg-Drache der geradewegs auf den Wächter zugerast kam.
Araghast fragte sich, ob er im Sterben lag. Es hieß wenn es soweit war würde der Klicker seines Lebens vor den Augen des Betreffenden vorüberziehen.
Dann war schlagartig alles vorbei.
Als Araghast wieder zu sich kam spürte er, daß sein Körper auf kaltem Stein lag. Vorsichtig öffnete er sein Auge. Halb erwartete er, eine große knochige Gestalt mit einer Sense über der Schulter neben sich zu sehen. Doch er war allein.
Vorsichtig bewegte Araghast Arme und Beine. Er verspürte keinerlei Schmerzen. Langsam setzte er sich auf und blickte um sich.
Er saß in einem Gang mit gewölbter Decke. Eine Fackel in einer Wandhalterung spendete flackerndes, trübes Licht. Aus der Richtung links von ihm schimmerte es in schwach grünlicher Farbe.
Da Araghast nicht wußte wohin er sich sonst wenden sollte erhob er sich und tastete sich langsam in Richtung des Schimmers vor, während Fragen über Fragen in seinem Gehirn Karussell fuhren.
Wo bei allen Göttern der Scheibenwelt war er hier gelandet? Und wer hatte ihn hergebracht? War das hier eine dieser Geschichten wo jemand von irgendwelchen Mächten nur zum Spaß durch Raum und Zeit geschleudert wurde?
Gewohnheitsmäßig wollte er die Hand auf den Griff seines Entermessers legen, doch seine Finger berührten stattdessen den Handschutz eines Degens.
Verwundert blieb Araghast stehen und sah an sich herunter. Seine Wächteruniform war verschwunden. Stattdessen trug er die eng anliegende schwarze Kleidung eines Berufsassassinen.
Stirnrunzelnd schlich er weiter. Wenn jemand meinte, hier ein Spiel mit ihm spielen zu müssen - wehe demjenigen wenn er ihn erwischte...
Von weit entfernt drangen die Töne eines getragenen Chors an Araghasts Ohr und er spürte, wie ihn etwas in die Richtung des Gesangs zog. Während er beinahe willenlos den unheimlichen, merkwürdig verzerrten Tönen folgte fühlte er, wie sich seine Eingeweide zu einem metaphorischen Bleiklumpen zusammenzogen. Irgend etwas lauerte hier. Etwas abgrundtief Böses.
Jetzt werd nicht albern, Bregs, schimpfte Araghast sich selbst aus. Etwas schlimmerem als den Dingen denen du bereits im Laufe deines Wachelebens begegnet bist kannst du gar nicht mehr über den Weg laufen. Du bildest dir das alles nur ein.
Doch je näher er dem Gesang kam desto präsenter wurde die unterschwellige Furcht. Die Stimmen die dort im Chor sangen schienen sämtliche Regeln der Harmonie zu ignorieren. Die Töne klangen auf eine grauenhafte Weise falsch.
Der ungesunde grünliche Lichtschimmer wurde heller und heller.
Als Araghast um eine Biegung des Ganges bog erblickte er die Quelle. Schnell verbarg er sich hinter einem Gesteinsvorsprung und spähte vorsichtig um die Kante.
Auf einem mannshohen Dreifuß, der in der Mitte einer gewaltigen Kaverne stand, brannte ein Feuer mit grünlicher Flamme. Sieben plus eins Gestalten in dunklen Roben standen im Kreis auf den Zacken eines gewaltigen in den Boden eingelassenen Oktagramms und hoben und senkten in einem gleichmäßigen Rhythmus die Arme.
Wäre nicht das allgegenwärtige Gefühl des Grauens gewesen, hätte Araghast laut gelacht. Er hätte es ahnen müssen. Der typische Kreis aus Verschwörern, Dämonologen und anderen obskuren Individuen, die wieder einmal versuchten, mit Hilfe von Kräften an die auch nur sie selbst glaubten den Patrizier zu stürzen, die Weltherrschaft an sich zu reißen oder die Unsterblichkeit zu erlangen. Und das am Besten alles gleichzeitig.
Neugierig musterte Araghast die Wände der Kaverne. Den Winkeln nach zu schätzen waren es sieben plus eins. Und alle waren sie kahl, bis auf diejenige auf die sein Blick frontal fiel.
Das Bild eines dreigelappten Auges war dort in den Stein gemeißelt worden. Drumherum prangte in riesigen Lettern ein Spruch.
Non mortuum est quid potest vivere eternam, et in tempore alieno etiam mortuum potest mori.Araghast erkannte die Worte als latatianisch, eine Sprache die er nicht beherrschte. Dennoch ließ ihn allein der Klang erschauern. Er war sich sicher, daß die Inschrift nichts Gutes bedeutete.
Langsam aber sicher schien das Ritual seinem Höhepunkt entgegenzustreben.
Die Armbewegungen der vermummten Männer wurden hektischer und die Lautstärke des Gesangs schwoll an, um schließlich in einer Polyphonie von dissonanten Klängen zu enden.
Für einen Moment herrschte absolute Stille in der Höhle.
Dann begann eine einzelne, schräg klingende Stimme zu sprechen.
"
Shi'rak Azathoth Cthuga Shudde-Mell Niggurath Tsathoggua Schodagoi!" kreischte sie.
"
Thuuuuul" antworteten die Übrigen im Chor und wandten sich der mit dem Auge verzierten Wand zu.
Neugierig beobachtete Araghast das Geschehen und versuchte, die wider Willen in ihm aufsteigende Panik zu ignorieren.
Und dann sah er es. An der Wand, direkt vor dem Relief des Auges, erhob sich ein gewaltiger schwarzer Schatten, der mit einem auch nur entfernt humanoiden Wesen nicht mehr das geringste gemein hatte. Unzählige mit weit aufgerissenen Mäulern bestückte Tentakel zuckten wild umher, während das
Ding immer mehr an Substanz gewann.
Araghast biß sich auf die Lippen, unfähig seinen Blick von dem grausigen Geschehen abzuwenden. Sein gesamter Körper war wie erstarrt. Das Grauen überschwemmte ihn und begann, seinen Verstand in Stücke zu reißen.
Der Schmerz als sich sein spitzer Eckzahn in seine Unterlippe bohrte ließ ihn wieder zu sich kommen.
"Nein, ich will nicht!" schrie er gegen seine eigene Panik an. "Mich kriegst du nicht!"
Die peitschenden Tentakel hielten in ihrer Bewegung inne.
"
Thuuuuul" sangen die verhüllten Gestalten.
Urplötzlich löste sich das schattige, tentakelbewehrte Wesen von der Wand und kam mit einer unbeschreiblichen Schnelligkeit direkt auf Araghast zu.
Reflexartig zog der Wächter seinen Degen.
"Verschwinde!" kreischte er. "Hau ab dahin wo auch immer du hergekommen bist!"
Ein einzelner Tentakelarm schoß vor und bevor Araghast sich auch nur rühren konnte wurde er an der Stirn getroffen. Er spürte einen brennenden Schmerz und die warme Nässe seines Blutes die ihm über das Gesicht lief.
Kurz bevor ihm endgültig die Sinne schwanden gewahrte er einen hellen Lichtblitz und sah dicke Felsbrocken von der Decke fallen.
Dann packte ihn etwas am Arm.
Immer noch schreiend öffnete Araghast sein Auge.
Eine kräftige Hand hielt seine Handgelenke umklammert und er sah in ein hübsches weibliches Gesicht mit der Farbe von Milchkaffee. Er kannte diese Frau. Irgendwoher...
"Bregs! Gehts dir gut?" fragte die junge Frau besorgt.
"Kanndra." murmelte Araghast als er seine Freundin und stellvertretende Abteilungsleiterin erkannte und sackte in seinem Schreibtischstuhl zusammen.
"Ja, ich bin es." sagte sie und ließ seine Hände los. "Du hast das halbe Wachhaus zusammengeschrien. Was war los?"
Immer noch leicht verwirrt schüttelte Araghast den Kopf.
"Ich weiß nicht." murmelte er und starrte auf die Schreibtischplatte.
"Wahrscheinlich bist du eingenickt und hast schlecht geträumt." sagte Kanndra und klopfte ihm auf die Schulter. Dann wurde ihr Gesicht ernst.
"Es ist der Entzug, nicht wahr?" fragte sie leise.
Araghast starrte sie an.
"Woher weißt du, daß ich..."
"He, ich bin weder blind noch taub." Kanndra ließ sich auf der Schreibtischkante nieder. "Es fing schon im Überwald-Trainingslager an. Val ist es übrigens auch aufgefallen. Aber... Du hast dich einfach verändert, Bregs. Mittlerweile knurrst du so ziemlich jeden an der sich dir auch nur nähert. Und so langsam kann man es wirklich nicht mehr glauben, daß du die Urschrei-Therapie so oft üben mußt. Schon gar nicht da du nicht einmal mehr in erster Linie Püschologe bist. Dazu der Alkohol. Den meisten mag es ja nicht auffallen, aber Valdimier und ich kennen dich schon seit GRUND. Und wir wissen genau wann du was getrunken hast und wann nicht."
Araghasts Gesicht verhärtete sich.
"Ich komme damit schon klar." sagte er schroff.
"Sicher?" fragte Kanndra. "Wir meinen es wirklich nur gut mit dir. Wir wollen dir helfen. Warum redest du nicht mal mit Nyvania darüber?"
"Nyvania versteht gar nichts." gab Araghast verbittert zurück. "Und jetzt geh, bitte. Ich will allein sein."
"Das sagst du in letzter Zeit oft, Bregs." bemerkte die Späherin.
Araghast nickte nur resigniert.
"Bitte!" sagte er beinahe flehend. "Geh und vergiß was hier eben passiert ist!"
Kanndra warf ihm noch einen letzten besorgten Blick zu und kam seinem Wunsch nach.
Kaum hatte sich die Tür hinter der Späherin geschlossen riß Araghast die unterste Schreibtischschublade auf und griff gierig nach der Rumflasche. Vier tiefe Schlucke danach ging es ihm ein wenig besser und seufzend ließ er sich in seinen Schreibtischstuhl zurücksinken.
Verdammtes AEKI-Sofa...
Nur weil Lea und er den größten Teil der Nacht damit verbracht hatten, das Möbelstück fachgerecht zusammenzusetzen, war er am Morgen unausgeschlafen zur Arbeit erschienen und auch prompt über seiner Lektüre eingenickt. Unwillkürlich tastete er nach seinem abgegriffenen Duchhaltezettel in der Hosentasche.
Nicht einen Tropfen! beschwor er sich in Gedanken. Das mehrfach zusammengefaltete Stück Papier fühlte sich dünn und faserig in seiner Hand an. Araghast verfluchte wohl zum tausendsten Mal seine halbvampirische Existenz. Es war weder ein Leben noch ein Untot sein, etwas das weder Valdimier noch Kanndra noch sonst irgendwer je begreifen würden. Insgeheim fragte Araghast sich, ob Skilla wußte, daß er war was er war. Und selbst wenn: Sie hatte nicht sein Leben führen müssen. Und jetzt hatte sie auch noch den Posten inne auf den er insgeheim seit der Ausschreibung spekuliert hatte. Okkultismusexperte. Das wäre seine Stelle schlechthin gewesen. Wer hatte sich mit den Geistern verschiedenster Schneevaterfeste herumgeschlagen? Wer war der Sache mit dem magisch beeinflußten Brettspiel auf den Grund gegangen? Wer hatte den Fall der durch den Golem-Zauber belebten Metallpuppe gelöst und die Verschwörung des Steins der Weisen aufgedeckt? Wer war an der Aufklärung des Falles beteiligt gewesen als diese seltsamen Außerscheibischen angefangen hatten, die Bürger Ankh-Morporks mental zu beeinflussen? Wer wäre beinahe von nur in der Vorstellung ihrer Reiter existierenden Wyrmberg-Drachen flambiert worden? Vermutlich kam sich Skilla jetzt mit dem Blech in ihrer Zunge und dem ach so tollen Posten doppelt kühl vor wo er, Araghast Breguyar, eigentlich der richtige Mann für die Sache gewesen war.
Frustriert gönnte sich der Abteilungsleiter der FROG einen weiteren Schluck Untervektor-Rum.
So war es nun einmal mit ihm. Nie bekam er den Posten den er haben wollte. Weder die Stelle des Experten für den Patrizierpalast bei DOG nach seiner Grundausbildung noch den SUSI-Okkultismusexperten. Frustriert knallte Araghast die Rumflasche auf die Schreibtischplatte. Das Leben, beziehungsweise seine abartige halb-untote Existenz hasste ihn.
Er trank einen letzten Schluck Rum und stellte die Flasche zurück in die Schublade. Dann klappte er das Buch zu, das aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch lag und über dessen Lektüre er offensichtlich eingeschlafen war. Beinahe zärtlich strich er über den abgegriffenen Einband aus dunkelblauem Leder.
An diesem Buch hingen eine Menge Erinnerungen. Er hatte es in einem Trödelladen erstanden kurz nachdem er der Wache beigetreten war. Es war schon von seiner damaligen Ausbilderin Irina Lanfear wegen unerlaubten Lesens im Dienst konfisziert worden. Und trotz sämtlicher Werke von Eddie Wollas war und blieb es sein absolutes Lieblingsbuch.
Der Ruf des Cthulhupalhulhu von Philipp Howards Kraftlieb.
In Erinnerungen an alte Zeiten versunken verstaute Araghast das Buch im Regal, direkt neben einer besonders dicken Akte. Fast alle seine püschologischen Fallakten waren an Venezia und Nyvania gegangen als er den Posten des Abteilungsleiters übernommen hatte, bis auf eine. Diese trug die Aufschrift
Weihnachtsras.
Energisch verbannte Araghast alle Gedanken an seine vorherige Spezialisierung aus seinem Kopf. Der Alkohol zirkulierte in seinem Kreislauf und brachte eine große Ruhe über ihn. Der Abteilungsleiter griff nach Bleistift und Papier und begann, sich Übungen für die neuen Abteilungsmitglieder auszudenken. Am Nachmittag würde er mit ihnen vor die Tore der Stadt fahren und einige Geländeübungen abhalten. Übungen waren wichtig. Sie verminderten das Risiko von lebensgefährlichen Pannen im Ernstfall.
Rein reflexartig leckte sich Araghast über die Lippen und spürte einen stechenden Schmerz. Vorsichtig tastete er mit den Fingern nach der Stelle. Als er seine Fingerspitzen betrachtete waren sie blutbefleckt. Also hatte er sich auch in der Realität seinen Eckzahn in die Lippe gerammt während er schlief...
Vor dem AbenteuerWie immer hatte Raistan recht gehabt.
Trübsinnig schlurfte Ewein Krawunkel im Gefolge Emanuel Kaboltzmanns durch Ankh-Morporks Straßen. Der Professor für angewandte Legendenforschung hatte ihn am Morgen persönlich aus dem Bett geschmissen und wie ein Wachhund aufgepaßt, daß sein Assistent nie von seiner Seite wich. Kaboltzmann kannte seine Pappenheimer, soviel war klar. Ewein dachte an Raistans Strichliste und eine neue Welle der Angst überrollte ihn. Neun von neun Versuchen und Nachforschungen waren mehr oder weniger spektakulär gescheitert.
Der dickliche Jungzauberer musterte die Mitglieder des Expeditionstrupps gründlich. Professor Kaboltzmann schritt voraus als wäre die ganze Angelegenheit nichts weiter als ein gemütlicher Oktotagsspaziergang. Er sang sogar ein fröhliches Volkslied über das Ernten von Rhabarber. Neben ihm ging Adrian Rübensaat, einer der Hex-Experten aus dem Forschungstrakt für hochenergetische Magie. Soweit Ewein es mitbekommen hatte sollte er Messungen von thaumathurgischen Feldern durchführen mit denen dann irgend etwas von Hex berechnet werden sollte.
Raistan Quetschkorn trug eine unbewegliche Miene auf seinem blassen Gesicht zur Schau und stützte sich beim Gehen auf seinen Zauberstab. Sein Zwillingsbruder Kamerun, zwei Meter wandelndes Waffenlager, sah immer wieder besorgt zu ihn herüber. Wieder einmal wunderte sich Ewein darüber, daß sich die beiden trotz der körperlichen Unterschiede ähnlich sahen wie ein Ei dem anderen. Das gleiche hellbraune, leicht gewellte Haar, die gleichen stahlgrauen Augen und die gleiche stolze, leicht an einen Raubvogel erinnernde Nase, welche in Kameruns Fall allerdings einige verheilte Bruchstellen aufwies. Ewein biß sich auf die Lippen um sie vom Zittern abzuhalten. Die Zwillinge schienen sich nicht im geringsten vor der Aussicht zu fürchten, einen der schrecklichsten Orte Ankh-Morporks zu betreten. Im Gegenteil, Ewein meinte sogar, den Anflug eines glücklichen Lächelns auf den Lippen des gewaltigen barbarischen Helden zu sehen.
"Lach doch mal, Krawunkel!" rief Jonathan Gernerauch, der einen mit Wollknäulen gefüllten Korb trug. "Du siehst aus als würdest du dir gleich in die Hosen machen!"
Beschämt blickte Ewein auf die schmutzige Straße und ballte die Fäuste in den Taschen seines Umhangs. Er war ein ausgemachter Feigling und die gesamte Universität wußte es. Der Professor für Grausame und Ungewöhnliche Geographie hatte ihm mehrmals versichert, daß es keine Schande sei, wegzurennen sondern ganz im Gegenteil das seine Überlebenschancen erheblich erhöhen würde. Dennoch war Ewein seine Angst vor fast allem ziemlich peinlich. Er fürchtete sich in der Dunkelheit. Er fürchtete sich vor Spinnen. Und ganz besonders fürchtete er sich vor Emanuel Kaboltzmann und dessen unberechenbaren Wutanfällen und verrückten Unternehmungen.
Aus den Augenwinkeln registrierte er, daß die Passanten den Zauberertrupp neugierig musterten. Einige schlossen sich sogar hinten an, in Erwartung, daß etwas spannendes passieren würde. Na wunderbar, dachte Ewein. Die haben bestimmt ihren Spaß wenn wir im Imbiss von einem Ungeheuer zum Mittagessen verspeist werden. Sogar die vier grün gekleideten Wächter auf dem Eselskarren am Straßenrand gaffen uns an.
Eine kleine Lektion in F.R.O.G.-Mentalität"Hat das was Besonderes zu bedeuten wenn eine Gruppe von Zauberern mit komischer Ausrüstung durch die Stadt läuft, Sör?" fragte die Gefreite Holly Rigg während Araghast Schusi in Richtung Stadttor lenkte.
Der Abteilungsleiter zuckte mit den Schultern.
"Vermutlich bohren sie wieder irgendwo Löcher ins Raum-Zeit-Kontinuinuum oder machen gefährliche Experimente bei denen sie sich selbst in die Luft jagen." brummte er. "Die Zuschauer haben bestimmt einen interessanten Nachmittag. Aber den werdet ihr drei auch haben." fügte er schnell hinzu. "Ich habe einiges mit euch vor."
"Uh-oh." gab Ktrask leise von sich.
"Man muß immer auf den Ernstfall vorbereitet sein." dozierte Araghast. "Auch wenn er selten eintritt. Aber gerade dann ist es äußerst wichtig, daß alles klappt. Deshalb habe ich mir auch euch drei ausgesucht. Ihr habt noch wenig Erfahrung darin, im Trupp zu arbeiten. Dem werden wir heute entgegenwirken."
Hintergründig lächelnd dachte er an die Bombenattrappe die im Gepäck steckte. Wohl wissend, daß bestimmte Klischees nun einmal schlecht aus den Köpfen des Nachwuchses zu bekommen waren hatte er sämtliche zur 'Pulverladung' führenden Schläuche rot angemalt. Er war gespannt wie Igor sich damit anstellte.
Während der Esel ruhig dahintrabte wanderten Araghasts Gedanken zurück zu seinem Alptraum vom Vormittag. Mittlerweile hatten die grausigen Bilder ihren Schrecken fast verloren. Wie konnte man nur solch einen Blödsinn träumen? Sein Freund Julius würde bestimmt sagen, daß es von den Schauerromanen kam die er immer las. Und Araghast gestand sich ein, daß zumindest die letzte Traumepisode eins zu eins aus einem Hexer von Ankh-Heft hätte stammen können. Eddie Wollas schrieb in durchschnittlich jedem zweiten Band über Tentakelmonster mit unaussprechlichen Namen, okkulte Verschwörungen und mächtige finstere Magier die mit der Hilfe unbeschreiblicher Schrecken die Scheibenwelt erobern wollten.
Hachja, der Hexer... Araghast seufzte leise. Der Mann mit der schneeweißen Haarsträhne und dem magischen Stockdegen, der zusammen mit seinem unerschrockenen Assistenten Edward ein Abenteuer nach dem anderen bestand und der sich vor nichts zu fürchten schien. Araghast hatte sich schon oft gefragt wie man darauf kam, sich einen solchen Charakter auszudenken.
Abwesend winkte er Dennis Schmied zu, der am offenen Stadttor stand und Verkehrszählungen durchführte.
"Wann sind wir da, Sör?" fragte Holly ungeduldig.
Die Expedition beginntDie gaffende Menge hatte mittlerweile beträchtliche Ausmaße angenommen. Ewein beobachtete einen alten Mann der wild mit einem Dokument herumwedelte und behauptete, Vorsitzender der Gilde der professionellen Zuschauer zu sein und somit automatisch Anspruch auf einen Platz in der ersten Reihe zu haben. Ein Mitglied der Spielergilde hatte innerhalb weniger Minuten einen kleinen Stand improvisiert und nahm nun fleißig Wetten um das Überleben der Gruppe an. Einige besonders enthusiastische Bürger hatten Fackeln und Mistgabeln mitgebracht. Zwei Rekruten der Stadtwache auf Streife diskutierten eifrig über die Frage ob hier gerade eine unlizenzierte Mobbildung, ein Einbruch in potentia, verbotenes Straßentheater oder einfach nur eine unterhaltsame Abwechslung stattfand. Über allem ertönte die Stimme Schnappers, der versuchte, seine ungenießbaren Würstchen und Pasteten an den Mann zu bringen.
Ewein Krawunkel sank das Herz in die Hose.
Fröhlich lächelnd und Zuversicht geradezu ausstrahlend baute sich Emanuel Kaboltzmann vor seiner Truppe auf, während Adrian Rübensaat die letzte Feinjustierung seiner Messapparaturen vornahm. Jonathan Gernerauch suchte das Ende des ersten Wollknäuls. Raistan kämpfte, auf seinen Stab gestützt, gegen einen seiner Hustenanfälle an. Kamerun rieb sich erwartungsvoll die Hände und zog ein gewaltiges Brecheisen hinter seinem Gürtel hervor während er seinen Bruder im Auge behielt.
Über ihnen schaukelte das verwitterte Ladenschild mit der Aufschrift
Dreimal glücklicher Fischimbiss - Inhaber H. Hong quietschend im plötzlich aufkommenden Wind. Über der Sto-Ebene brauten sich dunkle Wolken zusammen.
So wollte ich schon immer sterben, ging Ewein mißmutig durch den Kopf. Draußen gießt es in Strömen und ich werde drinnen Ungeheuerfutter. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Zitternd vor Angst schob er seine Brille zurück auf die Nasenwurzel.
Nach einem letzten sorgenvollen Blick auf seinen Bruder hob Kamerun das Brecheisen und hebelte, begleitet von den anfeuernden Rufen der Menge, die Bretter vom vernagelten Eingang der Imbissstube.
"Grüßt Herrn Hong von uns!" rief ein Zuschauer.
"Sterbt schön!" kam es von einem anderen. "Ich hab zwei Dollar drauf gewettet, daß ihr draufgeht!"
Krachend fiel das letzte Brett zu Boden. Ewein war zumute als würde der Banshee Herr Ixolit einen Zettel mit der Aufschrift
Uuuuuuhiiiuuhiiiuuhuiiiiuu unter seiner Zimmertür hindurchschieben. Jetzt ging es los. Und es gab kein Entrinnen, denn Kaboltzmann behielt ihn genau im Auge. Kamerun schob die Bretterreste mit seinen großen Füßen beiseite, zog zwei Schwerter und verschwand im Imbiss. Raistan folgte ihm, seinen Zauberstab bereit.
"Sharia" murmelte der schmächtige Jungmagier und der Kristall der in der Spitze seines Stabes saß begann zu glühen.
Ewein bereute plötzlich, seinen eigenen Stab in seiner Kammer in der Universität gelassen zu haben. Selbst wenn ihm vor Panik kein einziger Zauberspruch mehr einfiel - Zur Not war ein Zauberstab eine effektive Schlagwaffe mit großer Reichweite.
"Instrumente klar!" meldete Adrian Rübensaat und trat ebenfalls in das Lokal. Die Menge applaudierte spontan. Jonathan Gernerauch zog den Knoten fest mit dem er das lose Ende des ersten Wollknäuls am Türrahmen befestigt hatte. Dann war auch er verschwunden.
Professor Kaboltzmann sah Ewein erwartungsvoll an.
"Nach dir, Junge." sagte er und machte eine einladende Handbewegung. "Ob du es glaubst oder nicht, das beste Mittel gegen Angst ist es, sich in Gefahr zu begeben."
"Wie witzig." krächzte Ewein. Seine Kehle war staubtrocken. Hektisch sah er sich um. Die versammelten Bürger feuerten ihn mit rhythmischem Klatschen an. Alle bis auf eine Person.
Die Frau lehnte an der Wand des Nachbarhauses und kritzelte beinahe unbeteiligt etwas in ein kleines, golden glänzendes Notizbuch. In seiner panikbedingten Orientierungslosigkeit kam sie ihm riesengroß und unnatürlich real vor und er nahm jede noch so kleine Einzelheit an ihr wahr. Sie trug einen schwarzen Umhang mit einer verzierten Schnalle über einem schlichten Männerhemd und einem ärmellosen Wams. Von ihrem Gürtel hing ein Schwert.
Plötzlich sah die Frau hoch und lächelte ihn an. Unter dem Herrenhut umrahmte kinnlanges, dunkelrotes Haar ihr Gesicht. Runde Brillengläser funkelten im Tageslicht.
"Willst hier festwachsen?" raunzte Kaboltzmann und Ewein spürte eine kräftige Hand auf seiner Schulter die ihn unsanft in Richtung Imbisseingang schob. Das letzte was er sah bevor er über die Türschwelle stolperte war die fremde Frau, die ihm zuwinkte.
Stellvertretung"
Was ist los?" rief Kanndra und ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Unglaubens.
"Ich konnte es zuerst auch nicht glauben, Ma'am." erklärte Mindorah Giandorrrh und wedelte mit der Nachricht die soeben per Eiltaube von der Kröselstraße eingetroffen war. "Aber zwei Rekruten sollen es mit eigenen Augen gesehen haben."
Die Späherin und stellvertretende Abteilungsleiterin schüttelte den Kopf.
"Herr Hongs Imbiss." murmelte sie. "Wie verrückt muß man sein um da einzusteigen? Eigentlich sollte man den Betreffenden schon zum Schutz vor sich selbst verhaften."
Mindorah nickte bekräftigend.
"Schick eine verläßliche Taube raus zu Bregs." befahl sie. "Der scheucht da gerade die Neuen durch die Landschaft. Schreib er soll sofort mit dem Eselskarren zur Unheilsstraße kommen. Es gibt dicke Luft."
"Mach ich, Ma'am." Die Kommunikationsexpertin kritzelte etwas in ihren Notizblock. Dann salutierte sie eilig und lief davon in Richtung Taubenschlag.
Kanndra erhob sich aus ihrem Schreibtischstuhl. Jetzt würde sich zeigen ob sie genauso gut im Zusammenbrüllen der Mannschaft war wie Bregs, der die Rohrpost in diesem Zusammenhang für überflüssig hielt. Warum war er bloß ausgerechnet jetzt nicht da? Und dann auch noch sein komisches Verhalten am Morgen... Doch nun war nicht der richtige Zeitpunkt um sich Sorgen um ihren Freund und Kollegen zu machen.
Schwungvoll riß die Späherin die Bürotür auf.
"FROOOOOGS!" gellte ihre Stimme durch den Flur. "Einsatzbereit in drei Minuten!"
GeländeübungenMit gerunzelter Stirn beobachtete Araghast die dunklen Regenwolken die sich aus mittwärtiger Richtung langsam aber sicher der Stadt näherten. Auch das noch. Aber andererseits... Dann gewöhnten sich die Kaulquappen gleich an das Arbeiten bei jedem Wetter.
Araghast schwang sich vom Kutschbock und ging einmal um den Eselskarren herum, wachsam nach Holly, Ktrask und Igor Ausschau haltend, die sich vom Ende des kleinen Wäldchens aus an ihn heranschleichen sollten. Einige Meter entfernt und durch eine lange Leine am Karren festgebunden rupfte Schusi genüßlich das erste zarte Frühlingsgras. Der feuerrote Esel genoß es sichtlich, für ein paar Stunden den stinkenden Straßen Ankh-Morporks entkommen zu können.
Angestrengt lauschte Araghast auf verdächtige Geräusche die das Nahen einer Person ankündigten. Ein Windstoß fuhr durch das Wäldchen links von ihm und ließ die mit jungen Blättern bedeckten Zweige rascheln.
In diesem Moment sah der Abteilungsleiter aus dem Augenwinkel etwas Grünes auf den Karren zuflitzen und mit der Hand auf die Karrenwand schlagen.
"Juchuu!" rief Holly Rigg und strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Gut gemacht." lobte Araghast. "Den richtigen Moment abgewartet als die Umgebungsgeräusche lauter wurden und dann losgerannt. Wenn ich mich nicht zufällig gerade umgedreht hätte hättest du mich eiskalt erwischt."
"Danke, Sör!" Die frischgebackene Späherin strahlte. Suchend sah sie sich um. "Sind Ktrask und Igor schon da?"
Araghast schüttelte den Kopf.
"Aber du kannst mir helfen, sie zu erwischen bevor sie am Karren anschlagen, Drei Augen sehen mehr als eins."
Holly kicherte und sprang auf die Ladefläche des Karrens, wo sie breitbeinig Aufstellung bezog.
Araghast beobachtete sie schmunzelnd. Die junge Frau hatte offensichtlich Spaß an den Übungen. Wenn nur alle seine Abteilungsmitglieder so wären... Der Knallpulverexperte Xantes versteifte sich in letzter Zeit immer mehr auf Feuerwerke. Magane mit ihrem ständig wachsenden Babybauch konnte man für Einsätze mittlerweile sogar als beobachtenden Posten abschreiben. Nyvania hatte vor wenigen Tagen ein Gesuch für eine längere Beurlaubung eingereicht. Laiza hatte Andeutungen gemacht, daß sie früher oder später die Abteilung wechseln würde. Igor war...komisch. Tyros y Graco befand sich noch in der Eingewöhnungsphase. Ktrask tat seine Arbeit und war mit Magane zusammen doch eigentlich wußte Araghast so gut wie gar nichts über ihn. Rogi schien bei GRUND festgewachsen zu sein und ihm außerdem die IA-Anzeige wegen tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten übel zu nehmen. Der harte Kern der Abteilung bestand eigentlich aus ihm selbst, Venezia, Kanndra, Sidney, Valdimier, Max und Mindorah. Und dann war da seit kurzem auch noch Harry, der leichteste Bogenschütze in der Geschichte der Abteilung.
Ein Rascheln schreckte ihn auf und da hörte er auch schon Holly rufen.
"Anschlag Igor im Anmarsch!" schrie die Späherin.
"Mist." fluchte der Igor und hielt im Laufen inne. "Warum hast du mich verraten, Holly?"
"Befehl vom Schäff." grinste die Angesprochene. "Ein Späher muß auch selbst was erspähen können. Eben darum heißt es ja auch Späher und nicht Anschleicher."
Igor brummte etwas Unverständliches und schlenderte über die Wiese.
Araghast lehnte sich gegen die Karrenwand. Er war stolz auf die Idee, immer wieder kleinere Gruppen auch draußen im freien Gelände zu trainieren. Ein FROG mußte jederzeit mit allem rechnen und für alles bereit sein.
"Anschlag Taube im Anflug, Sör!" rief Holly.
Der Abteilungsleiter sah auf und bekam gerade noch mit wie der Botenvogel auf dem ausgestreckten Arm der Späherin landete. Schnell packte sie den Vogel und löste die Nachrichtenkapsel von seinem Bein.
Araghast kannte die Taube. Es war Mindorahs Liebling, den sie nur für wirklich wichtige Aufträge benutzte.
Holly reichte dem Abteilungsleiter die Nachrichtenkapsel. Dieser schraubte sie schnell auseinander und entnahm ihr die zusammengerollte Botschaft. Beim Lesen bildete sich eine steile Falte auf seiner Stirn.
In diesem Moment erbebte der Karren als jemand mit voller Wucht dagegenschlug.
"Geschafft!" schmetterte Ktrask und stützte sich keuchend auf der Karrenwand auf.
Araghast sah in die Runde.
"Die Übung wird mit sofortiger Wirkung abgebrochen." sagte er. "Wir haben einen dringenden Notfall."
Ktrask stutzte kurz, doch dann gewannen seine trainierten Reflexe die Kontrolle zurück und er lief los, um den Esel zu holen, während die übrigen sich daran machen, die Übungsmaterialien eilig wieder auf den Karren zu laden.
"Was ist denn los, Sör?" fragte Holly.
"Es ist einfach nur verrückt." antwortete Araghast. "Es sind doch tatsächlich ein paar Vollidioten in den Imbiss von Herrn Hong spaziert."
"Was ist denn damit?" mischte sich Igor ein. "Kann man nicht einfach so in einen Imbiss gehen, ohne daß gleich die Wache alarmiert werden muß?"
Araghast sah von dem Bündel das er gerade verschnürte auf.
"Du lebst noch nicht lange in Ankh-Morpork, oder?"
Angst vor der DunkelheitBeeeep - magische Hintergrundstrahlung normal - Beeeep - Realität funktioniert innerhalb normaler Parameter - Beeeep - Wenn das hier vorbei ist will ich mal wieder neuen Tabak haben ihr Flaschen - Beeeep - magische Hintergrundstrahlung normal - Beeeep - quasselte Adrian Rübensaats Aufzeichnungs- und Messdämon monoton vor sich hin.
Ewein hätte dem kleinen Wesen am liebsten den Hals umgedreht. Das andauernde Geplapper reizte seine ohnehin vor Anspannung fast zerreißenden Nerven nur noch mehr. Ein Blick auf seine Taschenuhr zeigte ihm, daß bereits eine halbe Stunde vergangen war, seit sie durch das Loch im Hinterraum des zerstörten Imbisses in die Tiefe gestiegen waren. Eine halbe Stunde lang ein dunkler, gewölbter Gang nach dem anderen. Alle paar Meter blieb Kaboltzmann stehen und ließ sich von Raistan ein angeblich besonders interessantes Stück Mauer beleuchten. Für Ewein sah alles gleich aus. Er wollte nur noch weg von hier. Hin und wieder klafften Löcher in der Decke und immer wieder mußten sie über Berge von Schutt steigen.
Kamerun Quetschkorn schien es ebenfalls nicht zu gefallen, stellte Ewein fest. Der große, kräftige Held bedauerte vermutlich, daß sie bisher nicht auch nur von einem lahmen Kobold angegriffen worden waren. Das war noch etwas, was dem dicklichen jungen Zauberer aufgefallen war. Obwohl der Rest der Stadt von Schmarotzern und Ungeziefer nur so überquoll waren sie in den halbzerstörten Gewölben noch nicht einem einzigen lebenden Wesen begegnet.
Am Rand des kleinen Kreises aus Licht knotete Jonathan Gernerauch die Enden zweier Wollknäule zusammen.
"Und weiter." befahl Kaboltzmann und der Trupp setzte sich langsam in Bewegung.
Als sie um eine Ecke bogen endete der Gang abrupt vor einer mannshohen Schuttmauer. Felsbrocken von der Größe von Koffern lagen übereinandergetürmt und versperrten den mehr oder weniger freiwilligen Forschern den Weg.
"Mehr Licht." befahl Kaboltzmann.
Raistan hob den Zauberstab.
Der Professor für angewandte Legendenforschung trat einige Schritte zurück und stellte sich auf die Zehenspitzen, um über den Steinhaufen hinwegspähen zu können.
"Faszinierend." brummte er. "Einfach interessant."
Ewein seufzte leise. 'Einfach interessant' hieß im Klartext so viel wie 'Jetzt lasst uns alle mal über den Haufen hier rüberklettern und weitergehen'. Er biß die Zähne zusammen damit sie nicht aufeinanderschlugen. Wenn er sich bloß nicht so fürchten würde...
Mittlerweile hatte Kamerun die Schuttmauer halb erklommen und half seinem Bruder. Ewein wußte, daß Kaboltzmann schon lauernd hinter ihm stand und deshalb krabbelte er hinterher. Der Messdämon zeterte wütend, als Adrian Rübensaat sich den Kasten auf den Rücken hängte.
Vorsichtig, um sich nicht die Knöchel zu brechen ließ sich Ewein auf der anderen Seite herunter. Er schnaufte heftig und verfluchte seinen enormen Appetit und das reichliche schmackhafte Essen aus der Universitätsküche. In den acht Jahren an der UU hatte er dreißig Kilo zugenommen.
Endlich war er unten. Sich den Staub von Robe und Umhang klopfend richtete er sich auf und sah sich nach den Übrigen um.
Raistan lehnte hustend an der Wand, seinen Stab mit der rechten Hand fest umklammert. Das kalte Licht des Kristalls schien hell.
"Geht es dir gut, Kleiner?" fragte Kamerun vorsichtig.
Ewein wandte sich ab und warf einen Blick in die Kaverne in deren Eingang sie standen.
Was er sah ließ ihn entsetzt aufschreien.
Auf dem mit einer dünnen Schuttschicht bedeckten Boden lagen bunt durcheinander neun menschliche Skelette. Ihre fleischlosen Köpfe schienen Ewein höhnisch anzugrinsen.
"Hörst du wohl auf zu schreien!" fauchte ihm Kaboltzmann ins Ohr und eine harte Kopfnuß traf ihn an seiner frisch verheilten Brandwunde.
"Mwaaa..." stammelte der junge Zauberer und wich mit zitternden Knien zu dem Berg aus Schutt zurück über den sie gekommen waren. Undeutlich hörte er Adrian Rübensaat erklären, daß die magische Hintergrundstrahlung hier etwas stärker war und der Dämon noch etwas anderes messen würde was er nicht so leicht definieren könne. Kaboltzmann schritt völlig unbeeindruckt durch die Höhle und brüllte nach Licht. Raistan kam, schwer auf seinen Stab gestützt, auf ihn zu. Kamerun hielt die beiden Schwerter hoch erhoben, vermutlich in der Hoffnung, daß sich eines der Skelette erheben und gegen ihn kämpfen würde. Plötzlich bückte sich Kaboltzmann und hob einen länglichen Gegenstand vom Boden auf.
Tränen liefen Ewein über das Gesicht als er sich anschickte, die Schuttmauer zu erklettern. Er wollte nur noch raus aus diesem Loch und rein in die
Geflickte Trommel, um alle Erinnerungen an diesen Tag in einer Mischung aus Knieweich und Winkels Besonders Altem Bier zu ertränken.
"Guckt mal." hörte er Raistans leise Stimme hinter sich. "Da ist eine Inschrift an der Wand."
Panisch tastete Ewein nach dem Wollfaden. Wo war der bloß... Da wurde dem jungen Nachwuchszauberer plötzlich der Fehler seines Fluchtplans klar. Das einzige Licht das die Gruppe bei sich führte saß auf der Spitze von Raistans Zauberstab. Wenn er jetzt ging mußte er sich ganz allein durch die Dunkelheit zurücktasten. Und er hatte panische Angst vor der Dunkelheit.
"Werte rapide ansteigend." sagte Rübensaat plötzlich.
"Wieso? Was ist los?" fragte Gernerauch. "Spinnt der Dämon mal wieder? Gib ihm mehr zu rauchen."
"Steigen weiter." Rübensaats Stimme klang beunruhigt. "Steigen immer schneller."
"Aber hier ist doch nichts!"
"Aber trotzdem! Gleich muß ich die Thaumometerskala wechseln! Das ist nicht normal!"
Das Klirren von Waffen und Kettenpanzer bedeutete Ewein, daß sich Kamerun in Kampfbereitschaft begab. Vorsichtig drehte sich der Zauberer um und spähte über seine Schulter hinweg in das Gewölbe.
Kaboltzmann und Raistan schienen etwas an der gegenüberliegenden Wand zu entziffern während sich Rübensaat und Gernerauch erregt diskutierend über den Kasten mit den Messgeräten beugten. Der barbarische Held schwang probeweise seine Schwerter. Ansonsten hatte sich nichts in dem Raum verändert.
Erleichtert atmete Ewein auf.
"Skala wird gesprengt!" schrie Rübensaat plötzlich.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Temperatur sank urplötzlich weit unter den Gefrierpunkt. Das Thaumometer zerbrach mit einem Klirren, das in der absoluten Stille wie ein Donnerhall erschien. Schlagartig verlosch das Licht und Raistans Zauberstab fiel klappernd zu Boden.
Von einem unbeschreiblichen Grauen gepackt verlor Ewein den Halt und rollte den Schutthaufen herunter. Auf dem Boden rollte er sich zu einem Knäuel zusammen, zog sich die Kapuze seines Umhangs über die Ohren und wartete auf das Ende.
Warten"Und es kann wirklich keiner sagen was wirklich mit Herrn Hong passiert ist, Sör?" schrie Holly gegen den Fahrtwind und den Lärm der von Ktrask geschwenkten Warnglocke an. Schusi galoppierte vor dem Karren und Araghast hoffte, daß die Ohrenschützer des Esels an ihrem Platz blieben. Wenn Schusi die Glocke hörte dann gnade ihnen in den belebten Straßen der Stadt der Gott der Wächter...
"Ich sagte doch, das einzige was man von ihm wiedergefunden hat war eine Niere!" rief der Abteilungsleiter zurück.
"Bäh." bemerkte Holly. "Das ist ja ekelhaft."
Schlingernd bog der Karren in die Willkommensseife ein. Bürger sprangen eilig aus dem Weg als sie die Glocke hörten. Schnell wischte sich Araghast das vom Fahrtwind tränende Auge und zog die Zügel an. Schusi verfiel in einen lockeren Trab und der Abteilungsleiter atmete auf.
Aus der Richtung in die sie fuhren drang fernes Stimmengewirr an die Ohren der Wächter.
"Na wunderbar." knurrte Araghast. "Die Zuschauer sind auch schon da. Macht euch auf was gefasst."
"Man hat uns bei GRUND alles über Mobs beigebracht, Sör." kam es postwendend von Holly. "Man hat zu unterscheiden zwischen bloßen gaffenden Zuschauermengen und angriffslustigen Zusammenrottungen."
"Du glaubst gar nicht wie schnell ersteres zum letzteren werden kann." gab Araghast zurück und lenkte den Eselskarren in die Unheilsstraße.
Freudiges Gebrüll und Applaus begrüßte die vier Wächter. Vereinzelt wurden Mistgabeln geschwenkt und Mützen in die Luft geworfen. Ein Mann übergab sich gerade in den Rinnstein, in der Hand ein angebissenes Würstchen. Der Ikonographierer der Ankh-Morpork Times machte Bilder und ein Reporter befragte einzelne Bürger.
Araghast atmete tief durch und drosselte Schusis Tempo auf Schritt. Ein Königreich für ein paar Schlucke Rum...
"Platz da!" brüllte er und Ktrask schwang dazu die Glocke. "Stadtwache!"
Drei SEALS machten sich daran, die Menge zu teilen und der Eselskarren fuhr durch die so entstandene Gasse direkt vor den Eingang von Herrn Hongs Imbiss.
"Brrrr." Araghast brachte den Esel zum Stehen und sprang vom Kutschbock. Mindorah Giandorrrh, einen Taubenkäfig mit drei aufgeregten Vögeln darin unter den Arm geklemmt, kam ihm entgegengerannt.
"Sie sind vor knapp zehn Minuten reingegangen, Sör." erstattete sie hastig Bericht. "Und bisher habe ich noch nichts wieder von ihnen gehört."
"Wer ist drin?" fragte Araghast knapp.
"Kanndra, Sidney, Valdimier, Max und Skilla. Sie haben sie sicherheitshalber mitgenommen falls sie auf etwas okkultes stoßen oder so." Mindorah schüttelte sich. "Ehrlich gesagt bin ich froh, daß ich nicht mit reinmusste, Sör."
Der Abteilungsleiter zuckte mit den Schultern.
"Alles was ich hier jetzt tun kann ist mal einen Blick in diesen Imbiss werfen." erklärte er.
"Da gibt es nicht viel zu sehen, Sör. Ein Haufen Schutt und ein Loch im Boden eines Hinterraums. Durch das Loch geht es irgendwo nach unten. Und ein Wollfaden ist noch da. Damit hat sich die Expedition wohl abgesichert damit sie wieder rausfinden."
Nickend bedeutete Araghast den übrigen FROGs, vom Karren zu steigen und zu warten. Er presste die Lippen aufeinander. Es gab nichts schlimmeres als untätig herumzustehen und nichts tun zu können während sich ein Teil seiner Abteilung in Gefahr begab. Doch das war das Los eines Freiwilligen Retters Ohne Gnade. Die Gefahr schlief nie.
"Entschuldigung." sprach ihn eine dunkle, weibliche Stimme an.
Araghast fuhr herum. Eine Frau lehnte mit eleganter Lässigkeit an der Mauer des Imbisses. Sie trug Männerkleidung und ein Schwert hing an ihrer Seite. Ein schwarzer Herrenhut bedeckte ihren Kopf.
"Was wollen Sie?" fuhr der Abteilungsleiter sie an. "Sehen Sie nicht, daß hier abgesperrt ist?"
Die Dame lächelte und ihre grünblauen Augen blickten ihn hinter den runden Brillengläsern durchdringend an.
"Herr Hongs Imbiss." sagte sie abwesend mit einem harten, schweren Akzent den Araghast sofort mit den Weiten Überwalds in Verbindung brachte. "Eine interressante Sache finden Sie nicht?"
"Interessant?" schnappte Araghast. "Wahnsinn ist das. Und jetzt verschwinden Sie bitte wieder hinter die Absperrung!"
"Pssst." flüsterte die Fremde und eine ihrer mit zahlreichen silbernen Ringen bestückten Hände verschwand in ihrer Gürteltasche. "Ich könnte Ihnen noch von Nutzen sein." sagte sie.
Während sie ein kleines, goldfarbenes Notizbuch aufklappte musterte Araghast die Frau genauer. Ihr Gesicht war perfekt geschminkt und die kleinen Fältchen in ihren Augen- und Mundwinkeln deuteten darauf hin, daß sie in etwa Mitte dreißig sein mußte. Glattes, dunkelrotes Haar reichte ihr bis zum Kinn und ihren Hals zierten mehrere Amulette.
"Bitteschön." sagte sie und überreichte ihm eine Karte. "Frrüherr oderr späterr werrden Sie mich brrauchen, Feldwebel."
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand ohne sich noch einmal umzublicken in der Menge.
Mit gerunzelter Stirn sah Araghast ihr nach. Dann warf er einen Blick auf die Karte.
Edwina D. Walerius
Okkulte Nachforschungen aller Art
Chrononhotonthologosstraße 72, im Torweg rechtsstand dort in schnörkeliger Schrift geschrieben. Darunter befand sich die kleine Zeichnung eines aufgeschlagenen Buches.
In diesem Moment fiel der erste Regentropfen.
Nach dem GrauenEs war kalt.
Zitternd und nach Atem ringend öffnete Raistan Quetschkorn die Augen und hob den Kopf. Völlige Dunkelheit und eine vollkommene Stille umhüllten ihn. Vorsichtig versuchte er sich zu bewegen, doch eine lähmende Schwäche schien sich seiner bemächtigt zu haben. Der junge Zauberer ließ seinen Kopf wieder sinken und wartete, bis er wieder Luft bekam. In Gedanken rekapitulierte er die Ereignisse.
Gerade war er mit dem Notieren der Reste der Inschrift fertig geworden als Adrian plötzlich aufschrie. Dann kam die plötzliche Kälte und Raistan hatte das Gefühl gehabt als würde
etwas nach ihm greifen. Es schien die wenige Kraft die er besaß in sich aufzusaugen und er war ohnmächtig zusammengebrochen.
Ein leises Wimmern ließ ihn aufhorchen.
"Mwaaa..." jammerte eine menschliche Stimme. "Mwaaa..."
Mühsam stemmte sich Raistan auf die Ellenbogen hoch und begann, blind in seiner Umgebung herumzutasten. Nach kurzer Suche fühlte er das harte, kalte Holz seines Zauberstabes unter seiner Hand.
"Sharia" hauchte der junge Zauberer kraftlos und kaltes Licht erfüllte die Höhle.
Raistan sah sich um. Die große Kaverne sah genauso aus wie vor dem Zwischenfall. Vor der Barriere aus Schutt hatte sich Ewein Krawunkel zu einer Kugel zusammengerollt und stieß wimmernde Laute aus. Kamerun lag auf dem Bauch und testete gerade, ob seine Knochen noch heil waren. Der Körper Jonathan Gernerauchs ragte unter dem Wollkorb hervor den er sich während der allgemeinen Panik über den Kopf gezogen hatte. Adrian Rübensaat saß bereits und untersuchte halbherzig seinen Instrumentenkasten.
Plötzlich schlug etwas kräftig auf Raistans Schulter.
"Komm schon, Matschähre, steh auf!" röhrte die volle Stimme Emanuel Kaboltzmanns in sein Ohr. "Jetzt mach mir nicht auch noch schlapp wie Furunkel!"
Ein paar kräftiger Hände packte ihn am Arm und unsanft wurde er auf die Füße gezogen.
"Alles klar?" dröhnte Kaboltzmann.
Raistan konnte sich gerade noch an seinem Stab festklammern, sonst wäre er wieder gestürzt. Das ständige drückende Gefühl in seiner Brust hatte sich zum Schmerz gesteigert und sein Atem kam stoßweise.
Ganz ruhig, beschwor er sich selbst. Das geht bald wieder vorbei.
Dann war auch schon sein Bruder an seiner Seite und stützte ihn.
Währenddessen schüttelte Kaboltzmann Ewein unsanft durch.
"Jetzt stell dich verdammt noch mal nicht so an, Furunkel!" schimpfte er. "Das war nur ein bisschen Spuk, weiter nichts!"
"Miieeek..." gab Ewein von sich und machte keine Anstalten, sich zu rühren.
Kopfschüttelnd sah der Professor für angewandte Legendenforschung in die Runde.
"Ich weiß nicht was ihr alle habt." bemerkte er als er seine zerschlagene Truppe musterte. "Mir geht es so prächtig wie lange nicht."
Du hast gut reden, dachte Raistan grimmig und hielt sich an Kameruns starkem Arm fest. Du hast keine kranken Lungen und dich hat wahrscheinlich kein was-auch-immer-es-war angegriffen und umgeschmissen.
"Geht es dir auch wirklich wieder besser?" fragte der barbarische Held besorgt während sie langsam auf die Schuttmauer zugingen.
Raistan nickte schwach.
"Das wird schon wieder." murmelte er. "Das weißt du doch."
"Mist." beschwerte sich Adrian Rübensaat lauthals. "Der Dämon ist auch verpufft!" Wütend hieb er auf den Instrumentenkasten ein. "Die halbe Expedition umsonst!"
"Und noch nicht einmal was das sich bekämpfen lässt." knurrte Kamerun.
Emanuel Kaboltzmann räusperte sich laut und vernehmlich. Raistan vermutete, daß nun eine Standpauke über Schreckhaftigkeit, mangelnden Forschergeist und den Zustand des heutigen Zauberernachwuchses im Allgemeinen folgen würde. Doch dazu kam es nie.
"Ankh-Morpork Stadtwache!" schallte die resolute Stimme einer Frau durch die Kaverne. "Waffen runter! Hiermit sind Sie alle wegen unlizenzierten Einbruchs und hoffnungsloser Waghalsigkeit festgenommen!"
Auf der Schuttbarriere standen wie aus dem Nichts gewachsen drei in grün gekleidete Wächter und richteten ihre Armbrüste auf den Expeditionstrupp.
PapierkramZwei Stunden später war alles vorbei.
Mißmutig betrachtete Araghast den Papierstapel auf seinem Schreibtisch, während der Regen gegen die Bürofenster trommelte. Ein mit Kaffee gefüllter Becher stand neben der linken Hand des Abteilungsleiters.
Papierkram. Darauf lief alles letztendlich immer hinaus. Aber endlich hatte er alles zusammen und konnte sich an das Zusammenstellen der Fallakte machen die dann, wie so viele Akten, ungelesen ins Archiv wandern würde. Die Verhöre waren kurz gewesen und liefen eigentlich alle auf das Gleiche hinaus. Nach einer guten Stunde wurden die Expeditionsteilnehmer wieder auf freien Fuß gesetzt. Lediglich Skilla hatte sich noch Zeit bis zum nächsten Morgen ausgebeten. Die Okkultismusexpertin war nach eigenen Angaben noch mit der Untersuchung eines verdächtigen Gegenstandes beschäftigt, den sie bei dem Leiter der Expedition konfisziert hatte.
Araghast zog eine leere Pappmappe zu sich heran und beschriftete sie vorschriftsmäßig. Aktenzeichen. Fallname. Der Abteilungsleiter überlegte kurz. Dann schrieb er
Dreimal Glücklicher Fischimbiss in das vorgesehene Feld. Verbrechen. Unentschlossen schwebte der Federhalter über dem Aktendeckel. Die Definition des Geschehenen stellte wirklich ein Problem dar. Einbruch konnte man es nicht nennen, denn letztendlich gehörte das leerstehende Gebäude niemandem mehr. Nach einigem Nachdenken notierte Araghast
Festgenommen zum Schutz vor sich selbst.
"Zauberer..." murmelte der Abteilungsleiter leise und machte sich daran, die Verhörprotokolle zu sortieren. Was sollte man von Magiern auch erwarten. Scheinbar konnten sie es nie lassen, Pulver Nummer Eins-Stangen in die Zunderbüchse des Multiversums zu stecken. Mit dem Ergebnis, daß sich zur Zeit einer von ihnen wegen eines Schocks in püschologischer Behandlung bei Oberleutnant Knurblich befand.
Und da kann er noch von Glück sagen, dachte Araghast grimmig. Die Geschichte mit Leas Onkel und dem A.G.L.A. fiel ihm ein. Noch so ein Fall von einem magischen Fehlschlag, der beinahe ein halbes Stadtviertel in die Luft gesprengt hatte. Und dann Harald Alonzo Trödelgreif und der Torbogen durch den der Zauberlehrling im Laufe des Kampfes in der Rumpelkammer gefallen und seitdem nicht wieder zum Vorschein gekommen war.
Araghast trank einen Schluck Kaffee und sah aus dem Fenster in den strömenden Regen hinaus. Eigentlich hatten Lea und er am Abend vorgehabt sich zum Abendessen Herbstrollen bei Vier Dicke Enten zu genehmigen, doch nach den Ereignissen des Nachmittags war ihm der Appetit auf achatenes Essen gründlich vergangen. Lieber würde er auf dem Heimweg eine Klatschianische Pizza holen und sich danach gemütlich auf BROMSTRÖ niederlassen.
Seufzend machte sich Araghast wieder an die Arbeit und heftete die Bögen mit den Aussagen ein. Der Tathergang war denkbar simpel gewesen. Ein Mythenforscher namens Emanuel Kaboltzmann wollte der Geschichte von Herrn Hong auf den Grund gehen und unternahm deswegen eine Expedition in den Imbiss und die Gewölbe die darunterlagen. Dort war die Gruppe auf eine Kaverne gestoßen in der sie einige Skelette und eine halbzerbröckelte Inschrift gefunden hatten. Einer der Zauberer, ein magerer junger Mann der an einer starken Erkältung zu leiden schien, war sogar in der Lage, den genauen Wortlaut anzugeben. Er lautete
on ortu t ui pote ver etern et n por ieno eti tuu tes ri. Dann war es schlagartig kalt geworden in der Höhle und für kurze Zeit hatten vier der Expeditionsteilnehmer ihr Bewußtsein verloren. Dann waren auch schon gleich Kanndra und ihr Trupp erschienen.
Selbst schuld, wenn euch irgendein okkultes Ding angreift das ihr besser in Ruhe gelassen hättet, dachte Araghast gehässig. Jeder der lange genug in Ankh-Morpork lebte wußte, daß etwas Schreckliches im
Dreimal Glücklichen Fischimbiss passiert war. Um eventuelle Nachahmer zu vermeiden hatte der Abteilungsleiter den Befehl gegeben, Fenster und Eingang des Imbisses zu versiegeln. Nicht, daß sie in drei Tagen den nächsten Spinner retten mußten...
Mit einem Knall schloß Araghast die Akte und erhob sich. Für heute würde er Feierabend machen und nach Hause gehen.
"Nach Hause." sagte er leise vor sich hin und warf einen Blick in die Zimmerecke in der bis vor kurzen noch der Käfig seines Papageis gestanden hatte. Es war nach all den Jahren die er in seinem Büro gewohnt hatte immer noch ungewohnt, nach Dienstschluß das Wachhaus zu verlassen und sich auf den Weg zur Ankertaugasse zu machen, wo Lea und er seit einigen Wochen in einer Erdgeschoßwohnung lebten. Doch das Gefühl behagte ihm. Nach einem ganzen Leben auf Wanderschaft hatte er endlich eine Heimat.
Und es gab noch eine Sache auf die Araghast sehr stolz war und die seine Laune trotz der Aussicht auf einen langen Heimweg durch den strömenden Regen deutlich anhob. Er hatte den gesamten Nachmittag lang weder an B-Wort gedacht noch jemanden unverhältnismäßig angebrüllt. Erstaunlich, was es ausmachte, endlich etwas zu tun gehabt zu haben...
Späteron ortu t ui pote ver etern et n por ieno eti tuu tes riRaistan lag auf seinem Bett und starrte auf die unvollständigen Wörter die er von der Kavernenwand abgeschrieben hatte. Er war sich sicher, daß sie in irgendeiner Form mit der Gottheit zu tun hatten die an jenem Ort verehrt worden war bevor der Tempel einstürzte. Nachdenklich klopfte der junge Zauberer mit seinem Bleistift auf die beschriebene Notizblockseite und ließ seinen Blick in der kleinen, mit Büchern und Utensilien vollgestopften Kammer umherschweifen die er im Westflügel der Unsichtbaren Universität bewohnte.
Ein behagliches Feuer brannte im Kamin und der Regen trommelte gleichmäßig gegen das Fenster. Kamerun saß am Schreibtisch und las in einem Romanheft. Das Kettenhemd hatte er gegen ein T-Shirt mit der Aufschrift
Näharbeiten, Knieweich und Musik mit Steinen drin eingetauscht. Raistan konnte sehen wie der schwielige Zeigefinger seines Bruders von Zeile zu Zeile wanderte. Auf dem Gang stritten sich zwei Studenten lauthals über ein explodiertes Unsicherheitsfach. Ihre Stimmen drangen gedämpft durch die geschlossene Zimmertür.
"Ich weiß nicht." murmelte Kamerun plötzlich und klappte seine Lektüre zu. "Irgendwas da unten... Es war... Ich kann es nicht beschreiben." Der breitschultrige junge Mann stand auf und begann, rastlos im Zimmer auf- und abzugehen. Er war blass um die Nase. "Ich hatte was ganz anderes erwartet." sagte er. "Wütende Skelette. Spukende Hohepriester. Ein Monster."
Raistan runzelte die Stirn. Es kam äußerst selten vor, daß sein Zwillingsbruder dermaßen verstört war. Im Grunde genommen war es erst dreimal vorgekommen. Zum ersten Mal als ihr Vater ihre ältere Schwester Hermine aus dem Haus jagte weil diese ein uneheliches Kind vom Sohn des regierenden Herzogs bekommen hatte. Dann als Raistan mit einer schweren Lungenentzündung im Bett gelegen hatte und die gesamte Familie am Glauben war, daß es mit ihm zu Ende gehen würde. Und heute.
Ruckartig blieb Kamerun vor dem Kamin stehen und holte den Teekessel aus dem Feuer.
"Ich... ich mache besser Tee." sagte er.
Raistan drehte sich auf den Bauch und stemmte sich mühsam auf die Ellenbogen hoch. Er fühlte sich immer noch schwach.
"Was ist los mit dir, Großer?" fragte er leise und hustete. "Was ist dir in dem unterirdischen Tempel passiert?"
"Ich konnte es nicht bekämpfen." sagte Kamerun tonlos und goss heißes Wasser in die Teekanne. Kräuterduft breitete sich in dem kleinen Zimmer aus. "Es war nicht da. Und doch."
"Fühlte es sich so an als würde dich jemand durchdringen? Oder dich testen?"
"Testen." Der junge barbarische Held hob den Kopf. "Das kann sein. So ähnlich war es. Das
Ding kam, fühlte nach mir und verschwand wieder. Als ob es nach etwas suchen würde was es bei mir aber nicht gefunden hat."
"Das ist möglich." sagte Raistan langsam und ließ sich wieder zurück auf die Kissen sinken. "Die Frage ist nur, was war es?" fuhr er flüsternd nach einer kurzen Pause fort. "Irgendein Schatten einer Existenz die sich so auf die Schnelle nicht begreifen lässt. Ein Wesen das nicht aus dieser Welt stammt. Vermutlich können wir froh sein, daß heute Nacht weder Vollmond ist noch irgendeine Sonnenwende stattfindet. Sonst wäre es uns vielleicht ähnlich ergangen wie Herrn Hong."
Kamerun nickte nur und ließ sich auf der Bettkante nieder. Die Bettfedern protestierten knarrend gegen das ungewohnte Gewicht.
"Herr Hong." sinnierte er. "Was geschah wirklich mit Herrn Hong?"
Wortlos griff sich Raistan Notizblock und Bleistift die neben ihm auf der Tagesdecke lagen und schlug das oberste Blatt auf. Beinahe feierlich malte er einen weiteren Strich neben die neun bereits vorhandenen.
ZwischenspielZögernd öffnete der junge Mann die Augen und ließ seinen Blick umherschweifen. Die Strahlen der bereits hoch am Himmel stehenden Sonne schienen durch das geöffnete Fenster und eine erfrischende Brise [3] wehte in den Raum und spielte mit den Vorhängen. Er selbst lag in einem weichen Bett. War dieses hier das Leben nach dem Tode?
Doch schnell verwarf er den Gedanken wieder. Tote litten vermutlich kaum unter stechenden Kopfschmerzen und ihr Körper fühlte sich wohl nur selten an, als wäre er unter einen Eselskarren geraten. Außerdem hatte er nicht den leichtesten Schimmer einer gewissen sensentragenden antropomorphen Personifizierung gesehen...
Und dann schlug die Erinnerung mit aller Macht zu.
Die Höhle. Der seltsame Gesang. Das Wesen, welches sich plötzlich aus der Wand gelöst hatte. Der Tentakel, der auf ihn herabgezuckt war. Die am Boden liegenden Toten. Dann verschwamm sein Erinnerungsvermögen und zeigte ihm lediglich herabstürzende Trümmer und Schmerzen...
"Ah, ich sehe, du bist wach."
Reflexartig griff der junge Mann nach einem der normalerweise in seiner Kleidung verborgenen Stilette, mußte jedoch feststellen, daß er ein langes Nachthemd trug und nicht auch nur eine Stecknadel sich in Reichweite befand.
Langsam, um seine Kopfschmerzen nicht weiter zu ermutigen, drehte er den Kopf.
In einem bequemen Lehnstuhl neben seinem Bett saß ein hochgewachsener, dürrer Mann in mittleren Jahren, die Hände auf dem Knauf eines Gehstockes übereinandergeschlagen. Feines, braunes Haar war sorgfältig zu einem Seitenscheitel frisiert. Ein kühles, graues Augenpaar musterte den im Bett Liegenden.
"Du hast doch wohl hoffentlich nichts dagegen, wenn ich rauche?" mit diesen Worten zog der Fremde ein silbernes Etui aus der Tasche seines dunkelblauen Gehrocks.
"Äh...nein." stammelte der junge Mann verwirrt.
"Wunderbar." Ein Streichholz wurde angerissen und kurze Zeit später zogen dichte Rauchschwaden durch das Zimmer und vermengten sich schließlich mit den übrigen Gerüchen der großen Zwillingsstadt Ankh-Morpork, die durch das Fenster in den Raum strömten.
Der junge Mann kniff die Augen zusammen und versuchte, die hämmernden Schmerzen unter seiner Schädeldecke zu ignorieren.
"Wo bin ich hier?" fragte er matt. [4] "Und wer sind Sie?"
"Du bist in Sicherheit." antwortete der Mann im Lehnstuhl und blies einen Rauchring in Richtung Decke. "Das reicht fürs erste."
"Aber was ist denn nun genau passiert?" hakte der junge Mann nach. "Wie bin ich hierhergekommen? Das letzte an das ich mich erinnern kann sind schleimige Tentakel und einstürzende Mauern. Eigentlich müßte ich tot sein... Der Tentakel kam auf mich zu und traf mich im Gesicht und der Rest liegt mehr oder weniger im Dunklen."
"Das ist eine lange Geschichte. Du hast überlebt."
"Überlebt." sagte der junge Mann leise und versuchte sich zu erinnern, was vor den unerfreulichen Erlebnissen in jenem Gewölbe geschehen war. Er hatte doch...
Scharf sog er die rauchgeschwängerte Luft ein. Alles war fort. Wo sich die Erinnerungen an ein ganzes Leben befinden sollten gab es nichts. Nur Leere und hämmernde Kopfschmerzen.
"Wer bin ich?" flüsterte er matt. "Wie heiße ich?"
Auf der Stirn des Rauchers bildete sich plötzlich eine steile Falte.
Selbst in seinem gegenwärtigen Zustand erkannte der junge Mann, daß dieses Stirnrunzeln nichts Gutes zu bedeuten hatte. Es kam einem unausgesprochenen Und da ist noch etwas was ich dir sagen muß und es wird nicht erfreulich für dich sein gleich.
"Die Erinnerungen an deine Vergangenheit waren der Preis für dein Leben." sagte sein geheimnisvoller Retter. "Du hast etwas getan, was kaum jemand je vollbracht hat ohne danach noch bei geistiger Gesundheit oder gar am Leben zu sein. Du hat einen der URALTEN RIESEN schwer verwundet."
"Die uralten Riesen?" fragte der junge Mann ungläubig und fühlte sich unheimlich verloren. "Sie meinen... diese Ausgeburt des Pandämoniums, dieses Ding, das mich erwischt hat?"
Ein Nicken deutete ihm an, daß er richtig geraten hatte.
"Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll..." Der Mann im Sessel atmete tief durch und griff nach einem runden Gegenstand, der auf dem Nachttisch lag. "Sieh dich an."
Der namenlose junge Mann blickte in den Spiegel. Sein eigenes, schmales Gesicht blickte ihm entgegen. Es zeigte Spuren von Erschöpfung und dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Doch dann sah er es. Eine feine, kaum sichtbare Narbe zog sich von der linken Augenbraue bis zum Haaransatz. Und dort, wo sie unter dem dichten, schulterlangen schwarzen Haar verschwand, zeigte sich eine etwa drei Zentimeter breite, wie ein Blitz geformte schneeweiße Strähne.
Der junge Mann ließ den Spiegel sinken.
"Was ist das?" fragte er sichtlich verwirrt.
Das Gesicht seines Retters wurde ernst.
"Dies, mein Freund, ist das Mal der URALTEN RIESEN. Gabe und Fluch zugleich. Wer es erhält, verfügt über große Macht und ist doch gleichzeitig Zeit seines Lebens ein Gejagter der uralten, finsteren Mächte, welche die Scheibenwelt bevölkerten, lange bevor es überhaupt so etwas wie eine Zivilisation gab." Er seufzte leise. "Und ich fürchte, dieses Schicksal steht dir nun bevor. Du hast das Erbe des Hexers von Ankh angetreten. Dies bedeutet, daß du ein völlig neues Leben beginnen mußt. Ein neuer Name, eine neue Existenz. Gewissermaßen hattest du recht, falls du geglaubt hast, du wärest tot. In der gestrigen Nacht ist dein altes Ich gestorben und der Hexer von Ankh ist zum Leben erwacht. Auch wenn du versuchst wegzulaufen- der Fluch der URALTEN RIESEN wird dich einholen, so weit du auch fliehst. Dir bleibt keine andere Wahl, als deine Bestimmung zu erfüllen."WutDer Regen wollte und wollte kein Ende nehmen. Eintöniges Grau hüllte Ankh-Morpork ein und drückte schwer auf Araghasts Gemüt als der Abteilungsleiter der FROG völlig durchnässt die Stufen zum Eingang des Wachhauses am Pseudopolisplatz hocheilte.
"Mistwetter!" fluchte er als er ins Trockene flüchtete.
"Wem sagst du das, Sör." antwortete ihm Will Passdochauf mißmutig, die hinter dem Tresen saß und Fallaufnahmeformulare sortierte. "Die Rekruten von der Kröselstraße haben es noch nicht geschafft, herzuschwimmen und den Dienst zu übernehmen."
Während er seinen Zopf auswrang warf Araghast einen Blick auf die Wanduhr. Viertel vor sieben.
"Du kannst noch zwanzig Minuten lang hoffen." bemerkte er.
"Übrigens, ihr steht in der Zeitung, Sör." Die Hauptgefreite legte ein vom Regen ziemlich mitgenommenes Exemplar der
Times auf den Tresen. "Gleich auf der Titelseite."
Araghast nickte nur und trat näher, eine Spur von Tropfen hinter sich lassend. Das war zu erwarten gewesen. Vermutlich würde die Aktion Dreimal Glücklicher Fischimbiss tagelang das Gesprächsthema Nummer Eins in der Stadt bleiben. Neugierig beugte er sich über den Artikel.
Die Ikonographie erstreckte sich über die Hälfte der Seite. Der Bildreporter hatte in genau dem Moment auf den Auslöser gedrückt in dem die FROGs den Expeditionstrupp aus dem Imbiss führten.
Was geschah wirklich mit Herrn Hong? lautete die Schlagzeile. Darunter stand etwas kleiner:
Spektakuläre Rettungsaktion der Stadtwache - was befindet sich unter dem Imbiss? Araghast überflog den Artikel, der im Prinzip nichts enthielt was ihm nicht schon bekannt war. Die UU verweigerte jegliche Stellungnahme zu dem Vorfall.
Schulterzuckend schob der Abteilungsleiter die Zeitung zurück über den Tresen.
"Verrückt." sagte er mehr zu sich selbst. "Einfach nur verrückt."
"Mit Verlaub, Sör, ich verstehe auch nicht wie man auf so eine Idee kommt." Will stützte sich mit den Ellenbogen auf die Tresenplatte. "Anscheinend hat Om Zauberern einfach keinen gesunden Menschenverstand gegeben."
"Bei denen kann auch dein Om nichts mehr retten." brummte Araghast und schickte sich an zu gehen. "Viel Glück, daß die Rekruten noch rechtzeitig kommen!"
"Danke, Sör!" Will salutierte und machte sich anschließend daran, die Formulare in die entsprechenden Fächer zu schieben.
Am oberen Ende der Treppe zum ersten Stock angekommen blieb Araghast stehen und überlegte kurz. Sollte er erst einen Abstecher in sein Büro machen und sich etwas trockenes anziehen und dann Skilla einen Besuch abstatten oder umgekehrt? Während er noch überlegte hatte seine fest in seinem Unterbewußtsein verankerte natürliche Neugierde bereits gewonnen und der Abteilungsleiter wandte sich dem Büro der Okkultismusexpertin zu.
Vor der Tür zu Skillas Büro hielt er kurz inne und musterte ein wenig neidisch das Schild.
"Feldwebel Araghast Breguyar, Okkultismusexperte." murmelte er beinahe unhörbar vor sich hin. Dies hier war eigentlich der Posten für den er wie geschaffen war. Er wettete, daß Skilla Amelia Winchester nicht auch nur ein Viertel seines eigenen okkulten Halbwissens besaß. Und sie durfte nun lernen wie man Geister austrieb während Araghast eben dieses Wissen in seinen letzten Fällen nur allzu dringend gebraucht hätte.
Weitaus energischer als nötig klopfte er an.
"Herein." erklang Skillas Stimme von drinnen.
Araghast setzte eine strenge Miene auf und trat ein. Die Göre mit dem Blech in der Zunge, wie er die Halbvampirin insgeheim für sich nannte, saß hinter ihrem Schreibtisch und las in einem Buch. Als sie den Abteilungsleiter erkannte salutierte sie schnell.
"Ist der Bericht fertig, Gefreite Winchester?" fragte Araghast ohne Umschweife.
Skilla nickte und klappte ihre Lektüre zu.
"Du solltest dich schnell umziehen, Sör." merkte sie an.
"Das mache ich wenn ich den Bericht und das Objekt habe, was das auch immer ist das du diesem verrückten Zauberer abgeknöpft hast." antwortete Araghast scharf.
Amüsiert beobachtete er, wie die Okkultismusexpertin beim Klang seiner Stimme zusammenzuckte. Eilig begann sie, in einem Stapel Papier zu wühlen und überreichte ihm schließlich ein dicht beschriebenes Blatt.
Araghast nahm sich die Zeit, es gründlich zu studieren. Es war von einem Spazierstock aus schwarzem Holz mit einem Knauf aus einem mit Goldbändern umwickelten grünem Kristall die Rede. Der Abteilungsleiter runzelte die Stirn. Das was er eben gelesen hatte konnte gar nicht möglich sein. Ein solcher Gegenstand wie der eben beschriebene existierte in der Realität nicht.
"Zeig ihn mir." befahl der Feldwebel.
Skilla starrte ihn an.
"Du hast mich verstanden, Gefreite Winchester." sagte Araghast betont deutlich. "Zeig mir den Spazierstock den du konfisziert hast."
Mit deutlich sichtbarem Widerwillen schritt die Okkultismusexpertin zu einem Regal und nahm einen schmalen, langen, in ein dunkles Tuch gehüllten Gegenstand heraus.
"Es könnte gefährlich sein, Sör." sagte sie und legte ihn auf den Schreibtisch. "Sei vorsichtig."
"Wenn der Stock dich nicht gefressen hat werd ich ihm auch nicht schmecken." gab Araghast zurück.
Behutsam schlug Skilla das Tuch zurück.
Araghast schnappte nach Luft.
Ein schwarzer Stab von insgesamt etwa neunzig Zentimetern Länge lag vor ihm. Das obere Fünftel bestand aus glänzendem Stahl, gekrönt von einem kunstvoll geschliffenen Kristall, welcher im trüben Licht des Büros geheimnisvoll funkelte. Schmale Goldbänder hielten den Stein an seinem Platz. Mit zusammengekniffenem Auge beugte sich der Abteilungsleiter über den Kristallknauf. Etwas befand sich darin. Etwas Dunkles, zackiges, das er nicht genau ausmachen konnte.
Vorsichtig streckte Araghast seinen rechten Zeigefinger aus und strich über den Kristall. Er konnte hören, wie Skilla nervös einatmete.
"Parqua Le'i al Dumak." sagte er leise wie zu sich selbst.
"Sör?" fragte die Okkultismusexpertin besorgt. "Ist alles in Ordnung?"
Araghast hatte das Gefühl, aus einem Traum zu erwachen. Kurz kniff er sein Auge zusammen und sah wieder auf den Spazierstock. Dieser hatte sich nicht verändert. Immer glitzerte der geschliffene Kristallknauf im Licht. Vor dem Abteilungsleiter lag der Beweis für die Existenz einer Legende.
"Weißt du, was das hier ist, Skilla Amelia Winchester?" fragte er lauernd.
"Wie?" fragte die Okkultismusexpertin. "Das ist der Spazierstock den ich dem Zauberer namens Kaboltzmann abgenommen habe. Und was hast du da eben gesagt, Sör?"
Ein hinterhältiges Lächeln stahl sich auf Araghasts Lippen.
"Du weißt gar nichts." sagte er leise und seine Hände schlossen sich um den Spazierstock. Eine kurze Drehung mit dem rechten Handgelenk und der Stahlgriff drehte sich um hundertachtzig Grad.
"Was wird das, Sör?" rief Skilla aus und wich vorsichtshalber einen Schritt zurück.
Langsam zog Araghast die beiden Hälften des Spazierstockes auseinander. Eine schlanke, zweischneidige Klinge schimmerte metallisch.
"Das, Gefreite, ist die Waffe des Hexers von Ankh." verkündete er feierlich und drehte den Degen langsam in seiner Hand.
"Das kann nicht sein." sagte Skilla. "Wirklich, Sör. Jeder hier im Wachhaus weiß, daß du gerne diese Romane liest. Der Hexer ist eine erfundene Figur von diesem Eddie Wollas. Entschuldige, aber in deinem derzeitigen Zustand bist du vielleicht etwas verwirrt. Der Entzug..."
Araghast starrte sie an als hätte sie soeben verkündet, daß die Scheibenwelt rund sei.
"Woher weißt du davon?" schnappte er.
"Ich habe zwei Augen im Kopf, Sör." antwortete die Okkultismusexpertin. "Ich kann verstehen, was du durchmachst. Außerdem: Der Degen und der Imbiss sind mein Fall. Leopold und ich sind die offiziellen Verantwortlichen für dieses Ding."
Wütend darüber, daß Skilla recht hatte, warf Araghast die Waffe zurück auf den Schreibtisch. Nur allzugern hätte er sich den Stockdegen einfach geschnappt und wäre aus dem Büro gerannt. Doch damit hätte er seine derzeitige püschische Labilität erst recht zugegeben.
"Du hast keine Ahnung von gar nichts!" herrschte er die Gefreite an. "Und selbst wenn du glaubst, das Wissen über unerklärliche Phänomene mit den Löffeln gefressen zu haben seit du diesen Posten inne hast - Warte nur ab! Ich werde dir zeigen, daß es den Hexer wirklich gibt, darauf kannst du Gift nehmen!"
Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um, stürmte aus dem Büro und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloß.
Araghast rannte über den Flur in sein eigenes Büro und schloß die Tür ab. Hektisch stürzte er auf seinen Schreibtisch zu, riss die unterste Schublade auf und entnahm ihr mit zitternden Händen die Rumflasche. Diese verdammte Göre. Warum hatte dieser verdammte Posten überhaupt erst geschaffen werden müssen? Um ihm, Araghast Breguyar, den Fall seines Lebens wegzunehmen? Und dann glaubte sie auch noch, über seine Probleme mit dem B-Wort Bescheid zu wissen. Der Rum brannte scharf in seiner Kehle, doch Araghast spürte es kaum. Wütend hieb er mit der Faust auf die Tischplatte ein. Er würde es Skilla zeigen. Der Hexer von Ankh existierte, auch wenn sie es nicht glauben wollte. Der Stockdegen war der unumstößliche Beweis. Außerdem besaß er den übrigen Teil der Fallakte
Dreimal Glücklicher Fischimbiss. Und bevor es Hauptmann MeckDwarf nicht ausdrücklich befahl würde er sie auch nicht herausrücken.
Mit geschlossenem Auge lehnte sich Araghast in seinem Schreibtischstuhl zurück, während er darauf wartete, daß der Alkohol die Wirkung entfaltete die vor seinem Entzug das B-Wort auf ihn gehabt hatte. Genüßlich trank er zwei weitere Schlucke.
In seinem Kopfklicker erschien das Bild des Stockdegens, wie er in seiner Hand lag. Das Schimmern der Klinge. Der grüne Kristallknauf und das schwarze Gebilde darin. Araghast wußte, daß es sich um einen achtzackigen Schotenstern handelte, ein Objekt von großer Macht gegen Dinge aus den Kerkerdimensionen. Ein Gegenstand aus einer Gruselheftreihe, plötzlich Wirklichkeit geworden.
Eddie Wollas mußte von all diesen Dingen gewußt haben als er angefangen hatte, seine Hexer von Ankh-Romane zu schreiben. Irgend etwas war in Herrn Hongs Imbiss passiert von dem keiner wußte. Bis auf Wollas und nun ihn selbst, Araghast Breguyar.
Und Eddie Wollas war die Person mit der er reden mußte.
Araghast war sich aufgrund seiner gründlichen püschologischen Ausbildung bewußt, daß sein Verhalten ziemlich irrational war. Doch sein Stolz war stärker und sein Ehrgeiz erwacht. Er wollte Skilla und der Scheibenwelt im Allgemeinen zeigen wer hier der bessere Okkultismusexperte war. Hier ging es ums Prinzip.
Der Abteilungsleiter machte sich eine geistige Notiz, in der Mittagspause seinen Freund Julius Herr zu besuchen. Der Schriftsteller konnte ihm bestimmt Informationen über Wollas und dessen derzeitigen Aufenthaltsort geben. Doch erst einmal galt es, soweit wie möglich den Schein zu wahren, daß mit ihm alles in Ordnung war. Gewissenhaft verstaute Araghast die nun schon zu zwei Dritteln leere Rumflasche in der untersten Schreibtischschublade. Dann erhob er sich und schloß seine Bürotür auf. Normalität. Darauf kam es an. Der Stockdegen war Privatsache, ein Fall, geboren aus persönlichem Interesse. Araghast zog den
Ruf des Cthulhupalhulhu aus dem Regal und setzte sich wieder. Der Hexer von Ankh. Die
URALTEN RIESEN. Herr Hongs Imbiss. Irgendwie passte alles zusammen. Bloß das wie mußte er noch herausfinden.
Am Tag danach"Meine Güte, die Jugend heutzutage..." Kopfschüttelnd musterte Emanuel Kaboltzmann die beiden Jungzauberer vor sich. Der eine krümmte sich in einem Hustenanfall und der andere erweckte den Eindruck, gerade dem Sensenmann persönlich begegnet zu sein. "Ist überhaupt nicht mehr belastbar. Stellt euch nicht so an. Ich bin gestern auch da unten gewesen und ich kann nur wiederholen, mir geht es so prächtig wie schon lange nicht mehr."
Ewein zuckte nur resigniert mit den Schultern. Die ganze Nacht über hatten ihn schreckliche Alpträume heimgesucht in denen Wesen mit unzähligen Tentakeln und rasiermesserscharfen Zähnen Jagd auf ihn gemacht hatten. Er fühlte sich als hätte er einen zwölfstündigen Gewaltmarsch durch schweres Gelände hinter sich. Nicht, daß er so etwas je in seinem Leben unternommen hatte, aber so ähnlich mußte es sich anfühlen. Schräg hinter ihm lehnte Raistan an der Wand und rang nach Atem.
Professor Kaboltzmann hingegen wirkte so glücklich wie noch nie in seinem Laben. Die Standpauke die ihm der Erzkanzler wegen der Expedition gehalten hatte schien an ihm heruntergegangen zu sein wie Öl. Ein Lied vor sich hinsummend eilte er mit wehender Robe durch das Labor und begann, Reagenzgläser auf dem Arbeitstisch zu verteilen.
"Steht nicht rum wie die Trolle in der Wüste!" rief er den beiden jungen Magiern zu. "Das mit dem Imbiss hat zwar nicht so geklappt wie es sollte, aber dafür können wir mit den Würstchen weitermachen! Es muß doch irgendwie möglich sein, die Substanz daraus zu isolieren die die Bürger trotzdem dazu bringt, immer wieder welche zu kaufen und..."
Den Rest der Rede bekam Ewein nicht mehr mit. Seine Finger fest um Raistans knochiges Handgelenk geschlossen hastete er dem Ausgang entgegen und zerrte seinen Freund dabei mit sich.
"Ohne mich!" zeterte er als die Tür hinter ihnen zuschlug. "Mir reichts endgültig! Ich laß mir nicht noch Mal die Haare vom Schädel brennen! Ganz zu schweigen davon, noch Mal dieses Labor zu betreten oder überhaupt mich Kaboltzmann bis auf hundert Meter zu nähern!"
"Dann geh und werd Kohlbauer." antwortete Raistan hustend und zerrte hektisch ein Fläschchen aus seiner Gürteltasche. "Das ist der unaufregendste Beruf der Scheibenwelt." Mit einer geübten Handbewegung drehte er den Deckel auf und atmete die Dämpfe des grünlichen Inhalts ein.
Besorgt beobachtete Ewein seinen Freund. Er kannte Raistan Quetschkorn lange genug um zu merken wann dessen Lungenkrankheit ihm wieder einmal mächtig zusetzte und er sich im Prinzip nur durch seinen starken Willen auf den Beinen hielt.
Ewein wollte gar nicht wissen wie sich Rübensaat und Gernerauch am Tag eins nach der gescheiterten Expedition fühlten. Tief in seinem Inneren spürte er, daß sich etwas in ihm verändert hatte. Er war nur um Haaresbreite daran vorbeigeschliddert, völlig der lockenden Versuchung des Wahnsinns zu verfallen. Selbst jetzt, mitten am grauen, verregneten Vormittag, krampfte sich alles in ihm zusammen als er sich an jenen Augenblick in der schuttübersäten Kaverne erinnerte. Schon spürte er wie die eisige Kälte erneut nach ihm griff.
"Nein!" kreischte er reflexartig. "Bleib weg!"
Ein schwacher Schlag auf die Wange brachte ihn wieder zurück in die Wirklichkeit.
"Jetzt dreh nicht durch, Ewein!" fauchte Raistan ihn an. "Hilf mir lieber!"
Wie in Trance streckte der dickliche Jungzauberer seinen Arm aus um seinen Freund zu stützen. Doch dieser klammerte sich mit beiden Händen an seinem Stab fest.
"Ich meinte, hilf mir herauszufinden, was da unten wirklich passiert ist." sagte er leise und seine scharfen, stahlgrauen Augen hielten Eweins Blick fest. "Es ist mir wirklich ernst. Was auch immer es war, selbst meinen Bruder hat es beeinflußt, und den kann sonst rein gar nichts erschüttern. Und da es Kaboltzmann anscheinend nicht zu interessieren scheint muß es irgendwer ja tun. Also, bist du dabei?"
Verzweiflung und RückschlagDie Pfütze zu seinen Füßen wurde langsam größer und größer als Araghast unschlüssig vor der schäbigen Wohnungstür stand. Ein Holzschild mit der Aufschrift 'Herr' war nachlässig unter der Klingelschnur an die Wand genagelt worden.
Seine Wut auf Skilla hatte sich mittlerweile fast in Luft aufgelöst und einer nagenden Häme Platz gemacht. Die Gefreite hatte trotz gründlicher Untersuchungen nicht erkannt, daß es sich bei dem konfiszierten Objekt um mehr als einen einfachen, teuren Spazierstock handelte. Und so etwas schimpfte sich Expertin. Man lernte nun einmal nichts über Okkultismus wenn man lediglich die Standardwerke las. Es waren die wilden Vermutungen, das Halbwissen, die angeblich lächerlichen unhaltbaren Theorien, mit denen man sich auskennen mußte. Irgendwann hatte es in Ankh-Morpork tatsächlich einmal einen Hexer von Ankh gegeben. Und er würde es beweisen.
Entschlossen zog Araghast an der Klingelschnur. Wenn er Eddie Wollas erst persönlich gegenüberstand würde er ihm eine Menge Fragen zu stellen haben.
Schlurfende Schritte näherten sich der Tür und jemand schniefte. Dann wurde der Riegel zurückgeschoben und ein vom Weinen verquollenes Gesicht, umrahmt von feuerrotem, welligem Haar, spähte durch die Lücke zwischen Tür und Rahmen.
"Oh du bists, Bregs." sagte Mimi Vanderby tonlos und löste die Türkette.
Araghast trat in den dunklen Flur und hängte seinen triefenden Mantel über einen Hocker. Mimi schob mit fahrigen Handbewegungen den Riegel wieder vor.
"Komm mit in die Küche." forderte sie ihn auf und nahm ihn bei der Hand. "Da ist geheizt."
Verwundert ließ Araghast sich führen. Was war bloß mit Mimi los? In diesem ungeschminkten, völlig aufgelösten Zustand hatte er sie noch nie erlebt.
"Stimmt etwas mit euch beiden nicht?" fragte er vorsichtig als sie in die Küche traten. Sofort bemerkte er die halb leere Rotweinflasche und das Glas auf dem Tisch. Drei zerknüllte Stofftaschentücher lagen daneben.
"Das hat nichts mit Julius zu tun." Die schöne Hermione lächelte schwach und schniefte. "Setz dich doch. Auch ein Glas Wein?"
Nein Danke, ich bin im Dienst, wollte Araghast schon reflexartig sagen. Doch dann besann er sich anders. Sein Tag war bis jetzt schon schlimm genug gewesen und es war erst knapp Mittag. Darum nickte er. Einen kräftigen Schluck konnte er jetzt gut vertragen.
Wortlos holte Mimi ein zweites Glas aus dem Schrank und stellte es vor ihn. Dann schenkte sie beiden ein.
"Es ist nur der Jahrestag." sagte sie und starrte in ihr Getränk. "Heute vor vierzehn Jahren hat mein Vater mich rausgeschmissen."
Araghast ergriff ihre Hand. Er kannte die Geschichte. Viele Mädchen aus den Dörfern der Sto-Ebene, die es nach Ankh-Morpork verschlagen hatte, konnten eine ähnliche erzählen. In Mimis Fall war es der Sohn des regierenden Herzogs gewesen der sie erst in Schwierigkeiten gebracht und dann fallengelassen hatte wie ein langweilig gewordenes Spielzeug. Aufgrund ihres Aussehens hatte die schöne Hermione nach ihrer Ankunft in der Stadt eine steile Karriere in der Näherinnengilde gemacht um schließlich aufgrund ihrer Liebe zu dem Schriftsteller Julius Herr zur Stripperinnengilde zu wechseln.
"Verdammter Adel." knurrte er.
Mimi lächelte unter Tränen.
"Mein viertjüngster Bruder wollte unbedingt meine Ehre wiederherstellen und das Schwein zum Duell herausfordern. Er hatte sich sogar extra ein Holzschwert gebaut. Und dabei war er erst sieben..." Schniefend griff sie nach ihrem Weinglas und leerte es in einem Zug.
"Ich frage mich, was aus ihnen allen geworden ist. Vor allem der Kleine. Als ich wegging lag er so gut wie im Sterben. Hoffentlich hat der Alte ihn nicht einfach auf dem Kohlacker verscharrt..."
Mimi entriß Araghast ihre Hand und ballte sie zur Faust.
"Ich hasse meinen Vater!" fauchte sie und bearbeitete hingebungsvoll die Tischplatte. Araghast griff schnell nach den Gläsern um diese an Umfallen zu hindern.
"Und ich hasse Guillaume von Sto Barrat! Warum war ich nur so eine dämliche, naive, fünfzehnjährige Dorfgans? Ich war die Sommerfestkönigin und ausgerechnet auf ihn mußte ich hereinfallen..."
Schluchzend sackte Mimi in sich zusammen.
"Meinen Jungen hat der Herzog mir gleich nach der Geburt weggenommen." schniefte sie. "Wahrscheinlich hat er ihn ertränkt wie eine Katze. Und Vater hat nichts dagegen unternommen! Im Gegenteil, er hat dem Herzog noch gesagt, daß er das Balg auf keinen Fall behalten will und er damit machen kann was ihm Spaß macht! Sollen sie doch alle im Pandämonium verrecken!"
Erschöpft wischte sich die schöne Hermione über die Augen.
Araghast stand auf und trat hinter sie. Behutsam legte er ihr die Hände auf die Schultern.
"Man kann die Zeit nicht wieder zurückdrehen, Mimi, so sehr man es sich manchmal auch wünscht. Aber man kann immer noch das Beste draus machen. Denk daran, wo wärst du jetzt wenn das alles nicht passiert wäre?"
"Vermutlich die bettelarme Frau eines versoffenen Kohlbauern mit zehn Kindern an den Hacken und keiner Ahnung wie ich alle satt bekommen soll, ganz genau wie meine eigene Mutter." sagte Hermione düster. "In Sto Barrat werden Frauen entweder verheiratet oder weggejagt falls sie Schande über die Familie gebracht habe." Die letzten Worte spie sie förmlich aus.
Das leise Knarren von Holz ließ Araghast aufschauen. Julius Herr lehnte am Türrahmen und nickte ihm zu. Seine Lesebrille hatte er sich auf das dunkle Haar gesteckt.
Mimi sprang ruckartig auf und lief um den Küchentisch herum auf ihn zu. Wortlos nahm er sie in die Arme und drückte sie fest an sich.
Während die beiden miteinander beschäftigt waren hing Araghast seinen eigenen düsteren Gedanken nach. Nyvania hätte Mimi vermutlich gesagt, man solle nie die Hoffnung aufgeben. Doch mit der Hoffnung verhielt es sich wie mit einer Möhre die man Schusi vor die Nase hielt damit er loslief. Sie gaukelte ein Ziel vor das nie erreicht werden konnte. Dennoch war es immer wieder erstaunlich wie sehr sich manche Leute an irrsinnige Hoffnungen klammerten. In Araghasts Augen war dies am häufigsten angewendete Art, die Wirklichkeit zu ignorieren. Darum hoffte er mittlerweile schon gar nicht einmal mehr, je von seinem Verlangen nach B-Wort geheilt zu werden. Seit fast fünf Monaten hatten sich die Entzugserscheinungen nicht gebessert. Ganz im Gegenteil. Araghast konnte förmlich spüren wie der Abgrund, das Erbe Alexeij Breguyars des Schlächters, sich immer weiter vor ihm auftat und seine menschliche Seite langsam aber sicher verschlang, so sehr er auch dagegen ankämpfte.
Schnell griff er nach seinem Weinglas und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Verdammter Olivander. Warum mußte dieser ihm vor über anderthalb Jahren auch zum Trinken von menschlichem Lebenssaft gebracht haben? Mittlerweile ging es Araghast bei dem Entzug nicht mehr nur um Lea und die Vermutung, daß es ihr insgeheim mißfiel wenn er menschliches B-Wort trank. Es ging um seinen eigenen ständigen Kampf mit sich selbst und seiner vampirischen Seite.
"Ich glaube ich lege mich ein wenig hin." sagte Mimi müde und wand sich aus der Umarmung ihres Verlobten.
Julius gab ihr noch einen Kuß auf die Stirn und strich ihr über das Haar. Hilflos sah er ihr nach als sie im Flur verschwand.
"Danke, daß du ihr einmal zugehört hast, Bregs." sagte er leise. "Mit mir wollte sie nie wirklich darüber reden."
Araghast zuckte mit den Schultern.
"Ich bin Püschologe. Oder zumindest war ich es mal. Ich habe Übung darin, Leute dazu zu bringen mehr zu erzählen als sie eigentlich wollen."
Lächelnd griff Julius nach der Weinflasche und verteilte den Rest gleichmäßig auf die beiden Gläser.
"Ich hab heute morgen die Zeitung gelesen." wechselte er das Thema. "Das war ja wirklich eine reife Leistung mit dem Imbiss. Wie kommt man bloß auf sowas?"
"Zauberer." sagte Araghast nur. "Den Rest kannst du dir denken."
"Und, was ist nun drin?" Der Stimme des Schriftstellers war die Neugierde anzuhören. "Irgendein blutrünstiges Tentakelwesen wie in diesen Wollas-Heften die Mimi und du immer so gerne lest?"
"Soweit ich es aus den Aussagen ersehen konnte gibt es da eine Art unterirdischen Tempel oder so." antwortete Araghast und trank einen Schluck Wein. "Und es ist letztendlich auch wegen dieser Sache, daß ich deine Hilfe brauche."
"Wie das?" Verwundert runzelte Julius die Stirn. "Ich hab von diesem ganzen okkulten Halbwissen keine Ahnung. Das ist doch eigentlich dein Spezialgebiet."
Araghast beugte sich über den Tisch vor.
"Ich muß mit Eddie Wollas reden." sagte er. "Dringend."
Und er erzählte die Geschichte mit dem Stockdegen, den Wortwechsel mit Skilla wohlweislich verharmlosend.
Julius hörte mit einem Gesichtsausdruck zu, der Amüsiertheit bedeutete.
"Und du glaubst wirklich daran?" fragte er zweifelnd, nachdem Araghast geendet hatte.
"Ja." gab der Abteilungsleiter zurück. "Zumindest glaube ich fest daran, daß es möglich ist. Und deshalb muß ich unbedingt mit Wollas sprechen, um Klarheit zu kriegen. Ich meine, einen solchen Zufall kann es doch gar nicht geben!" Sein Auge glänzte.
"Hmmm." Nachdenklich strich sich Julius über seinen Dreitagebart.
"Wollas muß doch Mitglied der Gilde sein, oder?" fuhr Araghast fort. "So kann man doch an ihn rankommen!"
"So einfach ist das leider nicht." sagte Julius bedauernd.
"Und warum nicht? Gildeninterner Datenschutz?"
"Wenn es der nur wäre. Tatsache ist, daß kein einziges Gildenmitglied Edward Damien Wollas je zu Gesicht bekommen hat." Der Schriftsteller räusperte sich. "Ich habe einmal versucht, für Mimi zum Geburtstag ein Autogramm zu erwischen und daher weiß ich wovon ich rede. Seine gesamten Angelegenheiten mit der Gilde laufen über den Postweg. Niemand hat es bisher geschafft, ihn aufzuspüren. Und glaub mir, es haben schon einige aus reiner Neugierde ausprobiert."
"Mist." Araghast sah seine Felle davonschwimmen. "Kannst du mir nicht wenigstens die Adresse geben so daß ich ihn schriftlich fragen kann? Es handelt sich zumindest um eine halboffizielle Ermittlung der Stadtwache."
Unschlüssig drehte Julius sein Weinglas in den Händen.
"Ich könnte es versuchen, dranzukommen." sagte er schließlich. "Allerdings bräuchte ich dafür eine offizielle Ermittlungserlaubnis des Kommandeurs der Wache."
"Die ich nicht habe, da der Stockdegen ja nun seit es diesen Okkultismusposten gibt in den Händen dieser ignoranten Göre liegt, die mich für komplett durchgedreht hält." bemerkte Araghast mißmutig. "Irgendwie geht gerade alles schief, Julius. Meine Abteilung ist nicht mehr das was sie mal war, ich zerfleische mich gerade mal wieder selbst was meine zweigeteilte Existenz betrifft, der Fall meines Lebens fällt angeblich nicht in meinen Zuständigkeitsbereich und ich glaube, Lea ist zur Zeit nicht wirklich glücklich mit mir. Sie merkt, daß etwas nicht stimmt. So, und jetzt bist du dran."
"Also gut." Julius seufzte tief. "Ich bin dreiunddreißig Jahre alt, weiß kaum wie ich meine Miete zahlen soll, meine Bücher liest kaum jemand und Mimi hat gerade wieder ihre jährliche Krise. Trinken wir noch eine Flasche auf die Welt die uns nicht leiden kann?"
Araghast nickte nur.
Alptraum in der Ulmenstraße"Was ist los mit dir, mein Junge? Du bist so blaß um die Nase."
Die besorgte Stimme seiner Zimmerwirtin riß Kamerun Quetschkorn aus seinen düsteren Gedanken. Mechanisch faltete er den Zettel zusammen auf den er gerade die grobe Planung der heutigen Schlägerei in der
Geflickten Trommel gekritzelt hatte und schob ihn in die Hosentasche.
"Mir geht es gut, Madame Pumpernickel. Wirklich." antwortete er.
"Und warum hast du dann nur drei Portionen gegessen?" hakte sie nach und legte mütterlich ihre kleine Hand auf seinen muskelbepackten Arm. "Komm schon, Junge. Ich merke wenn etwas nicht stimmt."
"Na gut." Kamerun seufzte. "Ich habe dir gestern doch erzählt, daß Raistan und ich auf ein kleines Abenteuer aus waren."
"Ja, und du warst so glücklich darüber." Die alte Dame mit der blütenweißen Haube setzte sich neben ihn auf die Küchenbank. Ihre gestärkten Unterröcke raschelten. "Also, was bedrückt dich? Die Krankheit deines Bruders?"
"Die hat er schon sein ganzes Leben lang." brummte Kamerun. "Da war gestern etwas anderes... Nein, ich kann noch nicht drüber reden."
Daraufhin wußte Madame Pumpernickel nichts mehr zu erwidern. Der junge barbarische Held war dankbar für ihr Schweigen. Er hatte keine Lust, ihr zu erklären was gestern in der Kaverne unter dem
Dreimal glücklichen Fischimbiss passiert war. Sie würde es ohnehin nicht verstehen. Auch jetzt konnte er das Grauen immer noch nicht vergessen. Die eiskalte Hand die ihn gepackt und, ja, wie sollte man es anders nennen, getestet hatte. Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, was es gewesen sein könnte. Vermutlich arbeitete Raistan gerade in der Universität daran, es herauszufinden. Er war schlau und konnte so etwas.
Kamerun war sich darüber im Klaren, daß er nicht gerade zu den klügsten Menschen der Scheibenwelt zählte. Aber er besaß einen natürlichen Instinkt für Gefahr und als er an seinen kranken, schwachen Bruder dachte, der gerade mehrere hundert Meter entfernt seine Nase in Dinge steckte die selbst einen gestandenen Mann beinahe in den Wahnsinn treiben konnten wurde ihm mulmig. Er hatte Raistan immer beschützt wo er nur konnte. Doch ausgerechnet jetzt, im Angesicht des Grauens, konnte er es nicht.
Vor seinem geistigen Auge sah er seinen Bruder mit dem Rücken zur Wand stehen, den Zauberstab mit letzter Kraft erhoben. Raistans Gesicht war kreidebleich und Blut lief über seine Lippen. Und aus den Schatten lösten sich zahllose Tentakel und schlängelten sich gnadenlos auf ihn zu um ihn zu packen und zu verschlingen...
"Lauf weg!" schrie Kamerun wie von Sinnen. "Kleiner! Neiiiiiiin!"
Das Nächste was er spürte war das dumpfe Pochen als sein kräftiger, muskulöser Körper auf dem Fußboden aufschlug. Jemand packte ihn am Arm und schüttelte ihn grob.
"Wach auf, mein Junge!" beschwor ihn Madame Pumpernickel und hörte nicht auf, ihn durchzurütteln. "Du träumst!"
Kamerun starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an als würde er ein Gespenst sehen. Dann sprang er wie der Blitz auf und stürmte aus der Küche und in den Hinterhof, wo er seinen Kopf unter den kalten Strahl der Wasserpumpe hielt.
Der Kälteschock klärte sein Bewußtsein. Laut aufbrüllend ließ sich Kamerun gegen den Rand des Wasserbeckens sinken und verbarg das Gesicht in seinen großen, kräftigen Händen. Was war mit ihm losgewesen? Schwebte Raistan wirklich in akuter Lebensgefahr? Und was war das Wesen mit den vielen Tentakeln das sich angeschickt hatte, seinen Bruder zu verschlingen?
Eines war klar. Er mußte sofort zur Unsichtbaren Universität und sich vergewissern, daß Raistan noch lebte.
Weinselige Gedanken Verdammt, verflucht, dreimal vermaledeit!
Nur mit Mühe beherrschte sich Araghast und schmiss die Bürotür nicht hinter sich ins Schloß. Eddie Wollas war unerreichbar, er selbst der Frage nach der Herkunft des Stockdegens noch immer kein Stück weitergekommen und draußen regnete es noch immer.
Beschwipst marschierte der Abteilungsleiter zu seinem Bürostuhl und ließ sich hineinfallen. Die Mittagspause bei Julius hatte sich etwas länger, gesprächsreicher und weinseliger als geplant hingezogen und Araghast fragte sich insgeheim wie er den Nachmittag überstehen sollte. Wenn sie zu einem dringenden Einsatz gerufen werden sollten war er geliefert und die IA-Anzeige wegen Alkohol im Dienst vorprogrammiert. Doch seltsamerweise berührte es ihn wenig. Er hatte zumindest zwei Stunden lang in der Küche seines Freundes eine gute Zeit verbracht. Das war mehr als er seit Monaten im Wachhaus erlebt hatte wo er in letzter Zeit immer mehr komische Blicke erntete. Vermutlich hatte sich sein Zusammenstoß mit Skilla schon herumgesprochen und es konnte sich nur noch um eine Frage der Zeit handeln bis jemand auf die Idee kam, Nyvania nach ihm zu schicken.
Plötzlich warf Araghast den Kopf in den Nacken und lachte. Es war kein fröhliches Lachen wie man es von Männern hörte die in der Kneipe einen zu viel intus hatten und sich über einen flachen Witz amüsierten. Es war ein kaltes, grausames Lachen, das an dem Bewußtsein des Zuhörers kratzte wie Fingernägel über eine Schultafel.
Die ganze Situation war aber auch zu absurd. Hier saß er, ein innerlich zerrissenes Wesen zwischen Leben und Untod, Mensch und Bestie, das verzweifelt versuchte, vor seinen Mitwächtern die Fassade der Normalität zu bewahren.
Cthulhupalhulhus Ruf, dachte Araghast plötzlich. Der schleichende Wahnsinn, geboren aus dem Abgrund des Bösen. Vielleicht war es eben dieser Ruf, dem er folgte. Ein vom Schicksal Verfluchter auf dem Weg zu seiner ganz persönlichen Verdammnis. Der Alptraum neulich. Er mußte ein Zeichen gewesen sein, genau wie das plötzliche Auftauchen des Stockdegens des Hexers von Ankh.
Du hast zuviel gesoffen, Bregs, meldete sich der vernünftig denkende Teil seines Gehirns zu Wort. Jetzt bleib mal bei den Fakten. Geh alles ganz logisch an so wie du es bisher immer getan hast.
Araghast atmete tief durch und beschloß auf die Stimme der Vernunft zu hören. Wenn er wirklich die Wahrheit herausfinden wollte mußte er logisch vorgehen. Er griff sich ein Fallaufnahmeformular und begann, die Rückseite mit den bisherigen Fakten zu füllen.
- Stockdegen, gefunden in einer Kaverne unter dem Imbiss von Herrn Hong. Beschreibung passt genau auf diejenige der Waffe des Hexers von Ankh aus den Romanheften von E. Wollas
- Wie kam der Stockdegen in die Höhle? Starb der Hexer dort?
- Warum ist es so unmöglich, Eddie Wollas zu erreichen?
- Was geschah nun eigentlich wirklich mit Herrn Hong?
Der Blick des Abteilungsleiters wanderte zu den
100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt in dem Regal neben seinem Schreibtisch. In dem Buch gab es ein größtenteils auf wilden Spekulationen basierendes Kapitel über Herr Hongs Imbiss, in dem auch die Falltür im hinteren Teil erwähnt wurde. War es möglich, daß es sich auch hier um eine Verschwörung handelte? Der Feldwebel war sich mittlerweile sicher, daß der Hexer von Ankh mehr war als eine reine Romanfigur. Aber warum schrieb Wollas dann all diese genialen Romane?
Ruckartig sprang Araghast auf und begann, in seinem Büro auf- und abzugehen. Irgendwer führte ihn gewaltig an der Nase herum. Gedankenverloren schob er die Hände in die Hosentaschen.
Seine Finger berührten eine kleine Pappkarte von der er sich nicht erinnern konnte wie sie dort hingekommen war. Verwundert holte er sie hervor und hielt sie ins Licht.
Edwina D. Walerius
Okkulte Nachforschungen aller Art
Chrononhotonthologosstraße 72, im Torweg rechtsUnd schlagartig erinnerte er sich an die seltsame Überwaldianerin mit dem Schwert, die ihn vor Herrn Hongs Imbiss angesprochen hatte.
"Frrüherr oderr späterr werrden Sie mich brrauchen, Feldwebel." hallten ihre Worte in Araghasts Bewußtsein wieder.
"Ja." flüsterte der Abteilungsleiter triumphierend und schob die Karte zurück in seine Tasche. Er hatte wieder eine Spur.
Cthulhupalhulhus Ruf"Zum letzten Mal, Raistan! Gib es auf! Laß es sein!" flehte Ewein seinen Freund an. "Dein Bruder hatte recht! Hier ist etwas am Werk das man besser in Ruhe lässt!"
"Und eben darum müssen wir herausfinden, was es ist!" krächzte Raistan und schob, schwer auf seinen Zauberstab gestützt, die Tür zum Hof auf. Regen und Kälte schlugen ihm entgegen. Er hustete und murmelte einen Zauberspruch. Schlagartig hörte der Regen etwa einen halben Meter über seinem Kopf auf zu fallen.
"Komm jetzt." fauchte er Ewein an. "Sei keine solche Memme."
Mit hängendem Kopf folgte der dickliche Jungzauberer seinem Freund über den Hof. Nur zu gut erinnerte er sich an jenen Moment kurz nach dem Mittagessen als Kamerun mit einem panischen Ausdruck im Gesicht in das kleine Zimmer seines Bruders gestürmt gekommen war und vor Erleichterung beinahe weinte als er ihn lebend vorfand. Langsam drehen wir alle durch, ging Ewein durch den Kopf. Es ist, als ob wir uns alle unter dem Imbiss mit Verrücktheit angesteckt hätten.
In der Haupthalle des Forschungstraktes für hochenergetische Magie brannte nur gedämpftes Licht. Auf Ewein wirkte es, als habe sich auch Hex von der allgemeinen bedrückten Stimmung anstecken lassen. Selbst das leise Rasseln unzähliger Ameisenbeine in den Glasröhren des Denkapparates klang in den Ohren des dicklichen jungen Zauberers wie Sand der durch abertausende von Stundengläsern rann, ein jedes Sandkorn ein Stückchen verflossene Lebenszeit.
"Rübensaat!" hallte Raistans heisere Stimme flüsternd durch den Saal. "Steckst du hier irgendwo?"
Im Inneren von Hex erklang ein trauriges
parp.
"Adrian Rübensaat! Wir sinds nur! Wir wollen mal eben mit Hex etwas..." Raistans magerer Körper erbebte unter einem seiner Hustenanfälle.
"Jetzt glaube ich euch." meldete sich eine zaghafte Stimme aus dem Inneren des Denkapparates zu Wort. "Ich dachte ihr wärt gekommen um mich zu holen..."
Etwas raschelte und Adrian Rübensaat kam hinter einigen Rollen des Hex-Ausgabestellen-Papiers hervorgekrochen.
"Dich holen?" fragte Raistan schwach. "Wer sollte dich holen?"
"Sie." murmelte Adrian kaum hörbar. "Die Ungeheuer aus den Kerkerdimensionen. Sie wollten mich mitnehmen, in Stücke reißen und mein Gehirn fressen. Ich weiß, es klingt albern, aber vorhin habe ich es wirklich geglaubt..." Seine Stimme verlor sich.
Ewein lief bei den Worten des Hex-Experten ein kalter Schauer den Rücken herunter und er spürte wie sich die mittlerweile schon fast vertraute Panik seiner bemächtigen wollte. Sein Atem ging schneller.
Da krallten sich Raistans lange, knochige Finger so fest in seinen Arm, daß es weh tat.
"Au!" quiekte er erschrocken.
Sein Freund warf ihm einen Blick zu der selbst das Innere einer Sonne hätte gefrieren lassen.
Ewein presste die Lippen fest aufeinander. Wie hatte Raistan es bloß bisher geschafft, den grauenvollen Halluzinationen und Angstanfällen zu entkommen die den Rest der Expeditionsteilnehmer heimsuchten? Was besaß dieser körperlich schwache, kaum einundzwanzigjährige Zauberer für Kräfte die ihn geistig gesund hielten? Vorsichtig sah er Raistan von der Seite an. Was er erblickte ließ ihn vor Schreck aufschreien.
Das Aussehen seines Freundes hatte sich verändert. Schwarze Schatten verwandelten sein hageres Gesicht in eine Maske des Todes. Die scharfen, stahlgrauen Augen hatten eine funkelnd goldene Farbe angenommen. Doch das schlimmste von allem waren die Pupillen. Sie hatten sich zu der Form von Stundengläsern verzerrt und Ewein glaubte, dahinter einen Abgrund zu sehen, so tief, daß kein menschlicher Geist ihn je erfassen konnte. Das Geräusch der durch die Röhren von Hex laufenden Ameisen schwoll in seinen Ohren zu einem monotonen Brausen an, in dem zahlreiche Stimmen seltsame Worte flüsterten, deren Klang allein schon genügte, den letzten Rest gesunden Menschenverstandes in seinem Kopf in Fetzen zu reißen.
Entsetzt taumelte Ewein mehrere Schritte zurück.
"Du bist es!" brüllte er und richtete einen zitternden Zeigefinger auf das Ungeheuer, welches einmal Raistan Quetschkorn gewesen war. "Du warst es die ganze Zeit der uns alle verrückt gemacht hat! Du bist das Monster aus dem Imbiss!"
Und dann, als ob eine fremde Macht von ihm ergriffen hätte, riß er die Arme hoch und schrie Worte in einer Sprache die er noch nie zuvor gehört hatte.
"
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn!!!!!"
Wie durch eine dicke Schicht Watte nahm sein bewußtes Selbst wahr, daß er aus dem Forschungstrakt für hochenergetische Magie hinaus in den Regen floh.
Raistan und Adrian sahen einander an und schüttelten synchron die Köpfe.
"Ihm scheint es noch viel schlimmer zu gehen als mir." stellte der Hex-Experte fest und schob sich seinen spitzen Hut in den Nacken. "Und ich fühle mich schon einfach nur dreckig nach der letzten Nacht." Er runzelte die Stirn. "Was meinte er damit, daß du das Monster aus dem Imbiss sein sollst?"
Raistan hustete hingebungsvoll.
"Ewein halluziniert schon den ganzen Tag vor sich hin." keuchte er und presste eine Hand auf seine schmerzende Brust. "Ihn hat es von uns allen am schlimmsten erwischt. Kaboltzmann ist komischerweise munter wie immer."
"Nicht verwunderlich." bemerkte Adrian Rübensaat trocken. "Dem könnte die gesamte Scheibenwelt um die Ohren fliegen und er würde sich noch freuen, daß er nach einem Grund dafür suchen kann."
Bei der absolut treffenden Beschreibung des Professors für angewandte Legendenforschung lächelte Raistan schwach. Sein Kollege starrte ihn ungläubig an.
"Du... Du hast Blut am Mund!" rief der Hex-Experte aus.
Raistan zog mit einer routinierten Bewegung ein bereits rot geflecktes Taschentuch aus dem Ärmel seiner Robe und wischte sich über die Lippen.
"Keine Sorge, ich habe nicht vor, hier auf der Stelle tot umzufallen." zischte er.
"Aber..." stammelte Rübensaat. "Wie lange hast du noch?" fragte er leise. Zauberer waren in der Lage, den Zeitpunkt ihres Todes um einige Wochen vorauszuahnen.
"Woher soll ich das wissen?" gab Raistan zurück und schob das Taschentuch zurück in seinen Ärmel. "Ein Jahr? Fünfzig? Hundert? Ich will nicht wissen wie oft mein Vater schon kurz davor war, ein Grab am Rand des Kohlfeldes zu schaufeln. Fakt ist, ich habe diese Krankheit seit ich denken kann und bin entgegen sämtlicher Prophezeiungen von Hebammen, Eltern, Experten für Kohlwachstum und Dorfquacksalbern immer noch am Leben. Und ich plane auch nicht, in absehbarer Zeit zu sterben!"
Rübensaat konnte den jungen Zauberer gerade noch am Arm packen als dieser vor Schwäche zu stürzen drohte. Behutsam führte er ihn zu einer Sitzbank neben dem Hauptschaltpult von Hex.
"Warum bist du hier?" fragte Adrian nachdem sie einige Minuten lang schweigend auf der Bank gesessen hatten.
Raistan zog sein Notizbuch aus der Gürteltasche und reichte es dem Hex-Experten.
"Auf der zweiten Seite." sagte er. Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. "Glaubst du, daß du es mit Hex wieder zusammenkriegst? Das sind die Reste der Inschrift von der Kavernenwand."
"On ortu t ui pote ver etern et n por ieno eti tuu tes ri" las Adrian vor. "Hm, das kann schwierig werden. Was glaubst du, was das ist? Latatianisch?"
"Höchstwahrscheinlich. Die Buchstabenfolgen sehen dem jedenfalls sehr ähnlich."
Adrian nickte.
"Wenn wir schon mal dabei sind... Hast du irgendeine Ahnung was das für ein Kauderwelsch war, das der gute Ewein da vorhin von sich gegeben hat? Es klang zwar eher nach einer Halskrankheit als nach einer Sprache aber trotzdem einfach nur gruselig. Pfglu mwarg Cthulhupludingsbums Läschp waargh ftan oder so ähnlich."
"Cthulhupalhulhu." krächzte Raistan heiser und hustete.
"Was, du kennst das Ding?" staunte Adrian.
"Meine Abschlußprüfungen sind erst ein Jahr her." klärte der junge Zauberer ihn auf. "Da hat sich noch nicht alles wieder in Luft aufgelöst. Im
Necrotelicomnicon für Studenten erklärt mit praktischen Experimenten kam der Name öfters im Zusammenhang mit einem Mythos vor. Was es genau war stand allerdings nirgendwo."
"Und das ist vermutlich auch gut so." murmelte Rübensaat. "Pass mal auf, Raistan. Du legst dich jetzt ein paar Stunden lang hin und ruhst dich aus, während ich den verhackstümmelten Spruch durch Hex schicke. Dann gehen wir in den großen Saal und schlagen uns den Bauch voll bis wir vor lauter Magenkrämpfen sämtliche Fischimbisse und Halluzinationen vergessen haben. Ist das eine Idee?"
Die Akte Edwina WaleriusDas Archiv der Stadtwache war ein verwinkelter, staubiger Raum ohne Fenster, in dem die Regale so dicht standen, daß ein durchschnittlich korpulenter Wächter kaum zwischen ihnen hindurchpasste. Doch an diesem trüben, verregneten Nachmittag kam es Araghast wie das Paradies vor. Hier würden sich keine Kollegen besorgt nach seinem Wohlbefinden erkundigen oder ihm gleich die Püschologin vorbeischicken.
Vorsichtig stellte der Abteilungsleiter die Brandschutzlaterne auf einem Stapel mit alten Obduktionsberichten ab und zog sich einen Hocker heran. Irgendein Idiot hatte vor langer Zeit einmal beschlossen, die Buchstaben U bis Z der SUSI-Erfassung auf dem obersten Regalbrett unterzubringen. Schlieren im Staub zeigten Araghast, daß schon einige andere Wächter am Erreichen des Aktenkastens beinahe verzweifelt waren. Mühsam auf dem wackeligen Hocker das Gleichgewicht haltend begann der Abteilungsleiter, die schwere Holzkiste aus dem Regal zu ziehen, immer hoffend, daß sie ihn nicht auf den Kopf fallen würde.
Feldwebel in Archiv von Aktenkiste erschlagen, ging ihm durch den Kopf als er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das drohende Kippen der Kiste stemmte. Das wäre doch mal ein spektakuläres Ableben eines Wächters im Dienst...
Schließlich hatte er es geschafft und ließ sich nach Atem ringend auf den Hocker sinken.
"Na, Edwina D, Walerius. Mal sehen was es hier so über dich gibt." keuchte er und unterdrückte krampfhaft einen Hustenanfall. Zahllose Staubkörnchen tanzten im Laternenlicht.
Während er noch angeheitert in seinem Büro saß und sich über die neue Spur freute die ihn vielleicht zu weiteren Informationen über den Hexer von Ankh im Allgemeinen und den Stockdegen im Besonderen führen könnte war ihm klar geworden, daß die ganze Sache mehr als nur ein wenig seltsam war. Eine Frau gab ihm ihre Karte und erklärte er würde sie brauchen, ohne daß sie überhaupt eine Ahnung von den Vorfällen im Imbiss gehabt haben konnte. Und warum hatte sie sich ausgerechnet ihn herausgepickt und nicht einen der SEALS-Wächter die die schaulustige Menge im Schach hielten? Etwas war eindeutig faul an dieser Edwina D. Walerius und deshalb hatte sich Araghast auf den Weg ins Archiv gemacht um nachzuschauen, ob selbige Dame schon einmal bei der Wache aktenkundig geworden war.
Wie insgeheim erwartet wurde der Abteilungsleiter auch schon sehr bald fündig. Leise pfiff er durch die Zähne als er die umfangreiche Akte durchblätterte. Achtzehn Verhaftungen innerhalb der letzten neun Jahre, für insgesamt acht verschiedene Verbrechen. Doch seltsamerweise war es nie zu einer Verurteilung oder einer Haftstrafe gekommen da es regelmäßig an Indizien gemangelt hatte.
Zufrieden über seinen Volltreffer klemmte sich Araghast die Akte unter den Arm und griff nach der Laterne. Mochte ein anderer Dummer den schweren Aktenkasten wieder zurück ins Regal wuchten.
Mehrere Stunden später, als die Abenddämmerung langsam über die verregnete Zwillingsstadt Ankh-Morpork hereinbrach, legte Araghast die Akte Edwina Dorothea Walerius von Schlaz schließlich beiseite.
"Was für eine Frau..." murmelte er beinahe unhörbar und nahm das vollgeschriebene Blatt Papier auf dem er die wichtigsten Punkte festgehalten hatte, zur Hand.
Drei Verhaftungen wegen dringenden Verdachts auf Spionage, die aber allesamt nicht haltbar gewesen waren da keine Beweise vorlagen. Dazu kamen noch sieben Mal bösartiges Herumlungern, zwei Mal widerrechtliches Eindringen in Gebäude, zwei Fälle von Bestechung und eine Beschuldigung des Einäscherns eines Vampirs. Araghast rieb sich sein Auge. Wie sollte er bloß aus dieser Frau klug werden? Und wie passten die Verhaftungen wegen unlizenziertem Nähen, unlizenzierter Dämonenbeschwörung und Besitz eines nicht auf ihren Namen ausgestellten Mitgliedsausweises der Archäologengilde in das Bild? Entweder war Edwina Dorothea Walerius von Schlaz die vielseitigste Verbrecherin der Scheibenwelt oder schlicht und einfach nur verrückt. Nachdenklich zog der Abteilungsleiter die Visitenkarte aus seiner Hosentasche. Okkulte Nachforschungen aller Art. Vielleicht war sie eine mutmaßliche Verschwörerin?
So detailliert sich die Akte über diverse Anklagen und fehlende Beweise ausgelassen hatte, so hartnäckig schwieg sie sich über die Person selbst aus. Alles was Araghast in Erfahrung bringen hatte können war die Tatsache, daß Edwina Walerius zum gegenwärtigen Zeitpunkt fünfunddreißig Jahre alt sein mußte und aus Schlaz in Überwald stammte. Letzteres hatte Araghast allerdings bereits ihr Akzent verraten und ersteres ihr Gesicht.
Kopfschüttelnd faltete der Abteilungsleiter das Blatt zusammen und schob es zusammen mit der Visitenkarte zurück in seine Tasche. Stockdegen hin oder her, allein schon aus reiner Neugierde würde er der Dame am morgigen Tag seine Aufwartung machen. Außerdem wollte er wissen, warum sie ihm ihre Hilfe angeboten hatte. Aus reiner Freundlichkeit tat so etwas niemand in Ankh-Morpork.
Pfad zum ParadiesErschöpft lehnte Raistan Quetschkorn neben der Tür seiner Kammer an der Wand und rang keuchend nach Atem. Es hatte ihn fast seine gesamte Kraft gekostet, die Kommode vor die Tür zu schieben, doch er wollte auf Nummer sicher gehen. Nachher kam Ewein in seinem offensichtlichen Wahnsinn noch auf die Idee, ihn zu ermorden weil er ihn immer noch für ein Monster hielt.
Beim Abendessen hatte Rübensaat Raistan erzählt, daß Jonathan Gernerauch von mehreren Zauberern dabei gesehen worden war wie er schreiend und wahllos Feuerbälle auf alles was sich bewegte schmeißend durch die Gänge gelaufen war, bis der Erzkanzler ihn kurzerhand in den Karzer hatte werfen lassen. Der schleichende Wahnsinn griff immer weiter um sich. Raistan fragte sich, wann es auch ihn erwischen würde.
Seinen Zauberstab als Stütze benutzend durchquerte der junge Zauberer seine Kammer und sank auf den Schreibtischstuhl. Seine Brust schmerzte als ob jemand einen glühenden Amboss daraufgelegt hätte und er spürte den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund. Mit zitternden Fingern holte er den Zettel den Rübensaat ihm beim Essen gegeben hatte aus einer der zahlreichen Taschen seiner Robe und legte ihn vor sich auf die Schreibtischplatte.
Non mortuum est quid potest vivere eternam, et in tempore alieno etiam mortuum potest mori."Nicht tot ist, was ewig leben kann, und in fremden Zeiten kann sogar der Tod sterben." wisperte Raistan und hustete. Eine passende Wandinschrift für einen unterirdischen Tempel einer obskuren Gottheit deren Schatten gerade in diesem Moment umging und alle die ihr zu nahe gekommen waren in den Wahnsinn trieb. Im Gegensatz zu Rübensaats Empfehlung hatte Raistan die Zeit bis zum Abendessen nicht damit verbracht sich auszuruhen sondern war sein Exemplar des
Necrotelicomnicon für Studenten erklärt mit praktischen Experimenten nach Informationen über Cthulhupalhulhu durchgegangen und schließlich auch fündig geworden. Von alten, dunklen Göttern war dort die Rede gewesen, den Kerkerdimensionen, Gebäuden die innen größer waren als außen und der Zahl die ein Zauberer niemals laut aussprechen sollte:
888 - Die Nummer der Bestien. Doch da das Werk für den Gebrauch von Studenten gedacht war blieb der interessante Abschnitt auf wenige Seiten beschränkt, mit einem Hinweis auf ein Werk mit dem mehr als nur seltsamen Namen
Pilze im Yoghurt, geschrieben von einem gewissen Godric Adana. Raistan hatte sich vorgenommen, am folgenden Tag einige Bananen zu besorgen und der Bibliothek einen Besuch abzustatten.
Halbherzig spielte der junge Zauberer mit seinem blutbefleckten Taschentuch herum. Namen wie Tshup Asklatep, Yob Soddoth, Bel-Shamaroth und Nylonathatep gingen ihm durch den Kopf und er begann sich zu wünschen, Kamerun wäre da. Dann würde er sich nicht mehr so schutzlos und ausgeliefert vorkommen. Zur Zeit brauchte jemand der über genügend Körperkraft verfügte nur die Tür einzutreten und die Kommode beiseitezuschieben, und schon war Raistan ihm hilflos ausgeliefert. In seinem derzeitigen Zustand würde selbst ein kleines Kind mit ihm fertig werden.
Kräftige Fäuste bollerten gegen die Tür und jemand kicherte schräg.
"Wer ist da?" zischte Raistan und schob den linken Ärmel seiner Robe zurück. Seine Finger umklammerten den langen Dolch und lösten ihn langsam aus der Armscheide.
Ein schallendes Lachen war die Antwort.
"Dieses Zeug ist sowas von irre!" kiekste die Stimme Ewein Krawunkels. "Die Farben, also sowas hast du echt noch nie gesehen!"
Raistan erhob sich und schlich zur Tür, seine Waffe fest umklammert. Sein Atem ging rasselnd. Mühsam zerrte er die Kommode ein Stück von der Tür weg und drehte den Schlüssel im Schloss herum, nur um sofort einen Schritt zurückzutreten und die Dolchspitze auf den Spalt zu richten.
"Was hast du jetzt schon wieder, Ewein?" fauchte er. "Noch mehr Ungeheuer?"
Irres Gelächter drang durch den Türspalt.
"Nene, nix mit Monstern mehr. Diese Froschpillen, weiste, die bringens total. Da geht's einem voll gut nach!"
"Du spinnst doch." gab Raistan mit letzter Kraft zurück und taumelte gegen die Kommode. Der Dolch fiel klirrend zu Boden. "Verschwinde von hier!" hauchte der junge Zauberer und brach wie in Zeitlupe auf dem Boden zusammen.
Glücklich vor sich hinlächelnd stand Ewein Krawunkel in der aufgeschobenen Tür und blickte auf Raistans bleiches, stilles Gesicht hinab. Keine Totenschädel mehr. Diese Froschpillen die er sich im Büro des Quästors besorgt hatte waren wirklich herrlich. Endlich war er nicht mehr verrückt. Ganz im Gegenteil, er fühlte sich so gut wie schon seit langem nicht mehr. Dazu kamen die ganzen schönen bunten Farben die in Schlieren vor seinen Augen vorbeizogen und der seltsame Drang, Hosen mit ausgestellten Beinen zu tragen, sich Blümchen an seinen Hut zu binden und eins mit dem Multiversum zu werden. Alles erschien ihm auf einmal unheimlich lustig.
Leise die Melodie von
Pfad zum Paradies vor sich hinsummend trat er ganz ins Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Raistan lag ohnmächtig zu seinen Füßen und die Kommode stand mitten im Raum. Die Klinge eines Dolches ragte unter der untersten Schublade hervor.
"
Eine Dame so hold sagt was glitzert ist Gold und sie zeigt mir den Pfad zum Pa-ra-di-hies" trällerte Ewein und drehte sich um die eigene Achse. Ein rosa Elefant schwebte quer durch die Kammer und zerplatzte über dem Schreibtisch in einem Regen bunter Seifenblasen.
Ewein überlegte. Irgendwas hatte er hier doch gewollt. Die Kommode wieder zurückstellen? Grübelnd setzte er sich auf das Bett. Sein Kopf fühlte sich an als wäre er mit Watte vollgestopft und würde einen guten halben Meter über seinem Körper schweben.
Nein, die Kommode war es nicht. Aber was war es dann? Undeutlich erinnerte sich Ewein daran, daß er irgend etwas aufheben wollte. Diese Froschpillen übertrafen wirklich seine kühnsten Erwartungen. Er vergaß fast alles. Selbst der Grund weshalb er die Pillen überhaupt eingenommen hatte war mittlerweile in den bunten Nebeln des Rausches verschwunden.
Sein Blick fiel auf die reglose Gestalt die auf dem Zimmerboden lag. Stimmt, das war es gewesen. Was machte Raistan überhaupt auf dem Boden?
Ewein stemmte sich vom Bett hoch und schwankte leicht. Benommen tapste er durch das Zimmer und kniete sich neben seinen Freund. Es war ihm ein Leichtes, den zierlichen jungen Zauberer aufzuheben und auf das Bett zu legen. Nachdenklich rieb er sich das Kinn und fragte sich ob Raistan wirklich nicht mehr wog oder ob die Froschpillen auch Riesenkräfte verliehen. Er gähnte herzhaft. Plötzlich war er sehr müde. Doch, der Schreibtischstuhl sah verlockend aus. Nur ein kleines Nickerchen...
Mit einem wohligen Seufzer ließ sich Ewein auf der Sitzfläche nieder und bettete den Kopf auf die Arme. Aus den Augenwinkeln sah er einen Zettel mit einer latatianischen Zeile auf der Schreibtischplatte liegen.
"Hehehehe" kicherte er noch einmal leise und schlummerte selig ein.
Die Schöne und das MonsterNicht umsonst galt Zulaide Al-Shalafi als eine der Zierden der Näherinnengilde. Ihr schokoladenbrauner Körper besaß genau jene weiblichen Rundungen die die Kunden so sehr liebten und das hüftlange Haar umrahmte ihr ebenmäßiges Gesicht mit den vollen Lippen gleich einem seidigen schwarzen Vorhang. Frau Palm brüstete sich stolz damit, das Talent der jungen Frau gleich entdeckt zu haben, kaum daß sie in der Gilde aufgetaucht war, und Zulaides rasante Karriere war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Auch an diesem verregneten Abend gewährte die schöne Klatschianerin wieder auserwählten Herren ihre Gunst.
Mit einem Lächeln das selbst das ewige Eis auf Cori Celesti zum Schmelzen gebracht hätte begrüßte sie den Mann der in der Tür stand und seinen Umhang an den Kleiderhaken hängte. Ein wenig überrascht stellte sie fest, daß er die langen Gewänder eines Zauberers trug.
"Hallo, Kleines." hauchte er sanft und kam langsam mit ausgebreiteten Armen auf sie zugeschritten. "Bist du bereit für die Nacht deines Lebens?"
Zulaide gurrte und streckte sich in einer verführerischen Pose auf ihrem Diwan aus.
"Perfekt." Mit einem einzigen katzenartigen Sprung war der Mann der vermutlich ein Zauberer war bei ihr, schob eine Hand unter ihren Nacken und zog sie an sich.
Das Letzte das Zulaide Al-Shalafi in ihrem Leben sah waren goldene Augen mit sanduhrförmigen Pupillen hinter denen ein bodenloser Abgrund gähnte.
ZwischenspielLangsam ging der Vollmond über den Dächern der Unheilsstraße auf. Ein klirrend kalter Windstoß fegte durch die Straße und ließ das frisch bemalte Ladenschild hin- und herschwingen.
Der junge Mann war nur ein Schatten unter vielen, die sich in jener ganz besonderen Nacht in den Straßen Ankh-Morporks tummelten. Den Hut, der die schneeweiße Strähne in seinem Haar verbarg, hatte er sich tief ins Gesicht gezogen. Ein langer, schwarzer Mantel umhüllte seine hochgewachsene, schlanke Gestalt und verbarg einen Gehstock, dessen goldverzierter grüner Kristallknauf ansonsten in seltsamen Mustern geschimmert hätte.
Vier Jahre waren vergangen, seit an ebendiesem Ort sein altes Ich ums Leben gekommen und der Hexer von Ankh auferstanden war. Und nun war er zurückgekehrt.
Er hatte schon seit Tagen gespürt, daß etwas nicht stimmte. Und als er die Realität aus seinem Blick herausgefiltert hatte, hatte er es gesehen: Glühende, grünliche Linien, die sich wie ein Spinnennetz über die gesamte Stadt erstreckten. Und hier, in dem frisch errichteten Imbiss auf der anderen Straßenseite, befand sich das Zentrum dieses Netzes.
Undeutlich konnte der junge Mann einen eifrig hin- und hereilenden Schatten hinter den geschlossenen Vorhängen des Lokals erkennen.
Meine Güte, dachte er. Wie konnte jemand bloß so abgrundtief dämlich sein, einen Dreimal Glücklichen Fischimbiss ausgerechnet auf einem Ort zu errichten, unter dem sich ein unterirdisches Gewölbe befand, in welchem eine uralte, finstere Gottheit beschworen worden war und die Eröffnungsfeier auch noch ausgerechnet auf den Tag der Wintersonnenwende zu legen, wo außerdem noch der Vollmond scheint?
Doch reglos blieb er in den Schatten stehen und wartete.
Allmählich stieg der Mond höher und die dämonengetriebene Taschenuhr des jungen Mannes tickte unerbittlich.
Stunden vergingen.
Und dann begann der alte Tom, Mitternacht zu schlagen. Zwölf Wogen der Stille fegten über die Stadt hinweg. Der Körper des jungen Mannes spannte sich. Er wußte, daß er nicht eingreifen durfte. Aber trotzdem ahnte er was bald passieren würde...
Und dann sah er es.
Ein weiterer Schatten hatte sich dem hin- und hereilenden Mann hinzugesellt. Es war kein gewöhnliches Schattenbild. Dazu wies es eindeutig zu viele Tentakel und andere anatomisch nicht gerade besonders häufige Ausbuchtungen auf.
Eine Erinnerung regte sich im Gedächtnis des jungen Mannes. Ein Tempel mit gewaltigen unterirdischen Gewölben gerade an jenem Flecken auf dem sich nun der Imbiss befand. Ein Auftrag von dem er nicht sagen konnte wie er gelautet hatte. Ein seltsames, finsteres Ritual. Ein monströser, unnatürlicher Schatten an der Wand. Er hatte es schwer verwundet... Einstürzende Gemäuer...
...doch diese Erinnerung war fern. Es kam ihm wie ein Traum vor. Und doch war es dort, so klar, als wäre es erst gestern gewesen...
Der Schatten schlich sich langsam an den fleißig herumeilenden Herrn Hong heran.
Der junge Mann schluckte. Das Ding
. Das Ding welches nicht sein durfte.
Und dann geschah es. Der Schatten und Herr Hong...
Sie wurden eins.
Ein schriller Schrei erfüllte die Unheilsstraße, begleitet von einigen unangenehmen schmatzenden Geräuschen.
Ein Mensch dem die Seele aus dem Leib gerissen wurde.
Der junge Mann zuckte zusammen. Seine Hand umklammerte den Gehstock nur um so fester. Beherrscht drehte er den Knauf.
Ein leises Klicken ertönte.
Und aus dem Spazierstock zog er eine lange, schlanke Klinge.
"Parqua Le'i al Dumak
" befahl er kaum hörbar.
Das Licht hinter den Fenstern des Imbisses, welches zu einem ungesunden Grün gewechselt war, nahm zu.
Und nur wenige Sekunden später erlosch es völlig.
Eisig heulte der Wind durch die Unheilsstraße, als der junge Mann, seinen Degen, dessen Knauf nun schwach leuchtete, fest umklammert, die Fahrbahn überquerte und sich lautlos wie eine Katze an den Eingang des Imbisses heranpirschte. Mit der freien Hand wühlte er in den Taschen seines Mantels. Kurz bevor er die Tür, durch deren Ritzen nun nicht auch nur das geringste Licht schien, öffnete, hielt er inne.
Und seine bleichen, schmalen Lippen formten Worte in einer Sprache, welche schon seit Äonen auf der gesamten Scheibenwelt als vergessen galt.
"Ast tasarak sinuralan krynawi!"
Während er sprach, zog er aus einer Manteltasche einen flachen, achtzackigen Gegenstand.
Konzentriert schloß er die Augen und trat den letzten Schritt auf die Tür des Dreimal Glücklichen Fischimbisses zu.
Allein durch die Kraft seiner Gedanken schwang diese knirschend nach innen und enthüllte die schwärzlichen Umrisse einer Theke.
Der junge Mann legte seinen Hut auf ein Fenstersims neben dem Eingang. Die schneeweiße, wie ein Blitz gezackte Haarsträhne schimmerte silbern im Mondlicht.
Dann trat er ein.
Dunkelheit umfing ihn, als er auf die Theke zutrat, den Degen abwehrbereit erhoben.
Doch nichts regte sich.
Vorsichtig trat der junge Mann um den Tresen herum. Glasscherben knirschten unter seinen Füßen.
Erschrocken hielt er inne.
Doch immer noch blieb alles still.
Behutsam legte der junge Mann den sternförmigen Gegenstand, den er in der linken Hand getragen hatte, auf die Theke und entzündete einhändig ein Streichholz, welches er aus den schier unergründlichen Tiefen seines Mantels gefischt hatte.
Für kurze Zeit tanzte trübes, flackerndes Licht über die Wände des Imbisses und enthüllten eine fürchterliche Verwüstung. Der Inhalt diverser umgekippter und zerbrochener Krüge und Flaschen hatte sich mehr oder weniger gleichmäßig über den Fußboden verteilt. Die Vorhänge hingen zerrissen von den Stangen. Die Kasse lag auf der Seite und einige Ankh-Morpork-Cent waren quer durch den Raum verstreut worden.
Inmitten des Chaos lag eine einzelne glänzende menschliche Niere.
Das Streichholz erlosch.
Doch der junge Mann hatte bereits genug gesehen. Er nahm den sternförmigen Gegenstand wieder an sich und verließ den Dreimal Glücklichen Fischimbiss so lautlos wie er ihn betreten hatte. Vor der Tür blieb er einmal kurz stehen um seinen Hut vom Fensterbrett zu nehmen und wenige Sekunden später war er bereits zu einem Schatten von vielen geworden, welche die Unheilsstraße bevölkerten.
Wenige Tage später vernagelten einige beherzte Bürger die Fenster und die Tür des Imbisses. Und noch einige Zeit später lebte Herr Hong lediglich in einem Haufen kurioser Gerüchte weiter. Manche der älteren Leute erinnerten sich, daß vor etlichen Jahren einmal ein Tempel an der Stelle des Lokals gestanden hatte. Und so wuchsen die kuriosen Gerüchte zu noch verdrehteren Geschichten heran. Doch hin und wieder begann jemand sich zu fragen was wirklich mit Herrn Hong geschehen war...KaterstimmungEwein erwachte mit dröhnendem Schädel.
Stöhnend öffnete er die Augen und kniff sie gleich wieder zusammen. Ein scharfer Schmerz durchzuckte sein Gehirn und schnitt wie ein Rasiermesser in sein Bewußtsein.
"Örrghs." jammerte der dickliche Zauberer und vergrub das Gesicht in den weiten Ärmeln seiner blaßgrünen Robe. Seine Zunge fühlte sich an als sei ihr im Laufe der Nacht ein Fell gewachsen.
Der zweite Versuch des Augenöffnens verlief erfolgreicher. Orientierungslos blinzelte Ewein geradeaus durch eine Fensterscheibe in den gleichmäßig fallenden Regen und begann sich zu fragen wo er eigentlich steckte und warum er an einem Schreibtisch saß der nicht sein eigener war. Ein mit einem latatianischen Satz beschrifteter Zettel lag neben seinem Ellenbogen.
"Bist du auch endlich wach." stellte eine leise, brüchige Stimme fest.
Plötzlich fiel Ewein alles wieder ein. Seine Wahnvorstellungen und die Froschpillen die er dagegen eingenommen hatte. Raistan wie er bewußtlos auf dem Boden lag. Die Kommode mitten im Zimmer.
Pfad zum Paradies.
"Mir gehts so schlecht." stöhnte Ewein und sackte in sich zusammen.
Leise Schritte erklangen hinter ihm und eine schmale Hand stellte einen dampfenden Becher neben ihm ab.
"Trink das." sagte Raistan. "Danach geht es dir bestimmt besser."
Mißtrauisch schnupperte Ewein an dem Tee. Die Flüssigkeit roch verdächtig nach Kräutern.
"Was ist gestern Abend eigentlich genau passiert?" fragte der dickliche Zauberer. "Du hattest ein Messer. Und dann lagst du auf dem Boden und die Kommode stand mitten im Zimmer. Dann schwebte der rosa Elefant vorbei und ich habe all diese schönen Farben gesehen." Vorsichtig nippte er an dem Tee. Scharfer Kräutergeschmack breitete sich in seinem Mund aus und er unterdrückte nur mit Mühe ein Würgen.
"Wieviele von den Froschpillen hast du eigentlich geschluckt?" hakte Raistan nach.
"Gute Frage." Ewein rückte seine Brille gerade und musterte seinen Freund gründlich. Ihm schien es weitaus besser zu gehen als am vorigen Tag. "Vermutlich genug um in die andere Richtung durchzudrehen. Und die zwei Dosen Superbulle obendrauf waren wohl auch nicht so gut."
"Vielleicht ist es mit den Alpträumen ja nun auch wirklich vorbei." Raistan griff ein Buch vom Schreibtisch und schob es in das überquellende Regal daneben. "Außerdem weiß ich ungefähr, was Schuld an der ganzen Sache ist. Hast du schon mal was von den alten, dunklen Göttern der Scheibenwelt gehört?"
"Nein, und ich will auch nichts davon hören." schnappte Ewein und nahm schaudernd noch einen Schluck Tee. "Ich will das jetzt alles nur noch vergessen und mich nie wieder dran erinnern. Nie wieder! Wie du schon sagtest, es ist vorbei. Schluss. Aus. Feierabend. Ende."
Die Tür erbebte unter kräftigen Schlägen.
"Stadtwache Ankh-Morpork!" rief jemand. "Sofort aufmachen!"
Raistan und Ewein sahen einander an und zuckten mit den Schultern.
"Herein." sagte ersterer schließlich.
Krachend schlug die Tür gegen die Wand und zwei Wächter sprangen in den Raum. Einer der beiden, ein Vampir, hielt zwei geladene Pistolenarmbrüste schussbereit erhoben. Der andere, ein bärtiger junger Mann in einer dunkelroten Uniform, musterte die beiden Zauberer streng.
"Wer von euch beiden ist ein gewisser Ewein Krawunkel?" fragte er.
Ewein hob schüchtern die Hand und fragte sich, was nun schon wieder nicht stimmte. Er konnte sich nicht daran erinnern, in seinem Froschpillenrausch randalierend durch die Stadt gezogen zu sein.
Der rotgekleidete Wächter packte ihn mit kräftigem Griff und fesselte seine Hände mit Handschellen auf den Rücken.
"Ewein Krawunkel, du bist hiermit wegen dringenden Mordverdachts vorläufig verhaftet." verkündete er.
"Was?" entfuhr es Raistan, der gleich darauf von einem Hustenanfall heimgesucht wurde.
"In der letzten Nacht wurde eine Näherin auf brutalste Weise getötet und der Name Ewein Krawunkel stand auf der Quittung." erklärte der Wächter nachdem der junge Zauberer wieder zu Atem gekommen war. "Daher können wir wirklich von dringendem Mordverdacht sprechen."
"Dann ist es also doch noch lange nicht vorbei." sagte Raistan leise wie zu sich selbst.
Die innere Bestie"Also langsam fragt man sich wirklich in was für einer kranken Stadt man lebt." bemerkte Kanndra und schenkte Kaffee ein während Araghast seinen nassen Mantel zum Trocknen über dem Sarg drapierte.
"Falls dieser Zauberer wirklich der Täter war fresse ich mein Entermesser." antwortete der Abteilungsleiter. "Und sämtliche Eddie Wollas-Romane noch dazu."
"Guten Appetit." kam es trocken von Valdimier.
"Wieso Guten Appetit?" gab Araghast zurück und stützte sich mit den Händen auf seinem Schreibtisch ab. "Ich sage, er war es nicht. Der Fall war zu einfach. Kein noch so dummer Mörder der auf Näherinnenhirn aus ist hinterläßt seinen verdammten echten Namen auf der Quittung! Die Grundtheorie bei solchen Sachen ist eher: Wer will dem Verdächtigen schaden?"
"Ja, deswegen brauchst du mich doch nicht gleich so anzuschreien." Valdimier sah seinen Freund und Kollegen ernst an. "Man tut nun mal immer erst einmal das Naheliegendste. Und der Festgenommene hat den gesamten gestrigen Abend zugedröhnt mit getrockneten Froschpillen verbracht. Wer weiß was man da so alles anstellt?"
"Wohl kaum Gehirne von Näherinnen zum zweiten Abendessen verdrücken." Araghast schlug mit der flachen Hand auf die Akte
Dreimal Glücklicher Fischimbiss. "So etwas tun nur von
Dingen aus den Kerkerdimensionen besessene Priester dunkler Gottheiten und ähnliche total verrückte Püschopathen."
"Jetzt fängst du damit wieder an..." stöhnte Valdimier. "He, Bregs, es gibt auch noch eine Welt außerhalb von Eddie Wollas' Machwerken und obskuren Verschwörungen. Nicht jeder perverse Mord ist gleich ein dunkles Ritual zur Anrufung von Cshtullupalsonstwas!"
"Hab ich das behauptet?" fauchte Araghast. "Sagt mal, warum glaubt ihr eigentlich alle, daß ich nicht mehr richtig im Kopf bin? Ist es wegen des Stockdegens?"
"Nicht in erster Linie." mischte sich Kanndra beschwichtigend ein. "Du hast bestimmt schon geahnt, warum Val und ich heute morgen unbedingt mit dir Kaffee trinken wollten. Wir machen uns einfach Sorgen um dich. Der B-Wort-Entzug macht dir ziemlich zu schaffen, das ist nicht zu übersehen. Und da du dich strikt weigerst mit einem Püschologen zu reden dachten wir, daß wir es lieber erstmal selbst versuchen. Irgend etwas ist da, was dich innerlich kaputt macht, Bregs. Du trinkst auch tagsüber, bist immer sofort gereizt und schreist Wächter zusammen. So kann das langsam nicht mehr weitergehen. Und jetzt versuchst du auch noch mit aller Macht, Skillas Posten zu untergraben, nur weil du eifersüchtig bist, daß sie den Gegenstand bei sich herumliegen hat den du gerne hättest."
"Ganz einfach, weil ich der beste Mann für diese Sache bin!" Araghast war ruhig geworden und sein Auge funkelte gefährlich. "Was weiß Skilla schon? Sie hat noch nicht einmal erkannt, daß überhaupt ein Degen in dem Stock drinsteckte! Wie soll sie dann irgend etwas darüber herausfinden wo er herkommt?"
"Wie wäre es mit Zusammenarbeit?" Kanndra verlor langsam die Geduld. "Hilf ihr doch einfach, anstatt den Fall für dich allein einheimsen zu wollen. Wenn du dich nur hören könntest. Wo hast du nur diese plötzliche Arroganz her, Bregs? Du bist nicht mehr der Mann mit dem ich vor drei Jahren zusammen bei GRUND angefangen habe."
"Das stimmt." sagte Araghast kalt und griff nach seinem Mantel. "Ihr habt nie der Sohn des Mannes sein müssen, der als der Schlächter von Duschen-Duschen in die Geschichte einging. Ihr habt euer persönliches Pandämonium noch nicht kennen gelernt." Er schritt zur Bürotür und drehte sich noch einmal um. "Und ich werde den Fall Stockdegen lösen!" zischte er und warf die Tür krachend hinter sich ins Schloß.
Kanndras Haltung sackte in sich zusammen.
"Das ist nicht Bregs." sagte sie. "Irgendein Ungeheuer hat seinen Platz eingenommen."
Valdimier klopfte ihr auf die Schulter.
"Das kann sein." stimmte er zu. "Seitdem er ihn nicht mehr mit B-Wort besänftigt rebelliert der Vampir in ihm immer mehr gegen seine menschliche Seite. Und das wird ihn über kurz oder lang endgültig abstürzen lassen."
"Aber ganz zu Anfang trank er doch auch kein Blut." wandte Kanndra ein.
"Damals hat seine vampirische Seite geschlafen." erklärte ihr Valdimier. "Das erste Glas menschlichen Blutes mit dem Stanislaus Olivander ihn verführte hat sie geweckt. Und jetzt wird er sie nie wieder los. Du hast es gehört wie sein Vater genannt wurde. Dieser Mann trank ganze Familien in einer Nacht aus und Lisa Karolina von Canis Maior Alpha war die einzige Frau die er je hat ungeschoren gehen lassen weil sie seiner vor langer Zeit eingeäscherten Gattin wie aus dem Gesicht geschnitten war. Araghast trägt das Erbe eines der bösesten Wesen der Scheibenwelt in sich. Er wird nie wieder so sein wie früher fürchte ich.
[5]"
"Aber wie hält seine Verlobte es dann mit ihm aus?"
Valdimier lächelte.
"Die beiden sind sich ähnlicher als du denkst. Leas Vater wurde posthum des Hochverrats an Lord Schnappüber für schuldig befunden, eine Sache über die sie nie hinweggekommen ist. Und auch das Fräulein Leonata Eule hat eine Seite an sich die so manchen das Grausen lehren würde. Erinnerst du dich noch daran wie sie eiskalt ihre eigene Kusine mit einem Mathematikbuch niedergeknüppelt hat? Hätte sie das Geld wäre zum Beispiel ein gewisser Ephraim Farrux schon lange Geschichte."
"So viele Abgründe." murmelte Kanndra leise. "Wo soll das am Ende noch hinführen, Val?"
GefangenDie Pritsche in der Zelle war hart und unbequem. Zum wohl hundertsten Mal drehte Ewein sich um und versuchte, seinen Kopf auf seinem zum Kissen umfunktionierten spitzen Hut zu betten, was sich jedoch als ein aussichtsloses Unterfangen erwies. Der dickliche Jungzauberer fühlte sich miserabel. Die Nachwirkungen der Froschpillen setzten ihm immer noch zu und das recht ruppig geführte Verhör von über einer Stunde Dauer hatte auch nicht gerade dazu beigetragen, seine Behaglichkeit zu erhöhen.
Er hatte fürchterliche Angst. Was würde mit ihm geschehen wenn niemand seine Unschuld beweisen konnte? Die Gerüchte von der Vorliebe des Patriziers, besonders schwere Verbrechen durch Hinrichtung in der Skorpiongrube zu bestrafen, war auch bis an Eweins Ohren vorgedrungen. Der Zauberer biß sich auf die Lippen um sie vom Zittern abzuhalten. Das bestialische Ermorden einer Näherin und das anschließende Verspeisen ihres Gehirns zählte vermutlich zu den besonders bestrafenswerten Taten. Dabei konnte er es gar nicht gewesen sein, weil er zur Tatzeit seinen Froschpillenrausch auf Raistans Schreibtischplatte ausgeschlafen hatte.
Ewein setzte sich auf und ließ schicksalsergeben die Schultern hängen. Raistan konnte ihm kein Alibi geben weil er zur Tatzeit in einem Zustand zwischen Ohnmacht und Schlaf auf dem Bett gelegen hatte. Und sonst gab es keine Zeugen. Aber warum sollte jemand ausgerechnet seinen Namen angeben wenn er etwas dermaßen schreckliches plante? Fragen über Fragen und Ewein wußte keine Antwort darauf. Widerwillig erinnerte er sich an seine geistigen Aussetzer am vorigen Tag. Die blanke Panik, die er in seinem Inneren verspürt hatte. Raistan als Ungeheuer. Jemand hatte mit seinem Bewußtsein herumgespielt. Was wäre wenn...
Ein plötzlicher Schreck fuhr durch Eweins Körper wie ein Blitz der in einen Turm einschlug. Zitternd rollte er sich auf der Pritsche zu einer Kugel zusammen. Was wäre wenn er es doch getan hatte und sich bloß nicht daran erinnern konnte? War es möglich, daß
etwas anderes von ihm Besitz ergriffen hatte während er schlief und mordend durch Frau Palms Etablissement gezogen war? Vielleicht war ihm am Morgen auch nur deshalb so übel gewesen weil er in der Nacht das Hirn...
Ewein schaffte es gerade noch bis zum Eimer in der Ecke bevor er sich übergeben mußte.
Die JägerinNachdem Araghast seinen Flachmann um einige Schlucke seines Inhalts erleichtert hatte begann die Verschwörung langsam, in seinem Kopf Gestalt anzunehmen. Er stand auf der Sentimentalen Brücke und blickte über den Ankh, dessen Oberfläche aufgrund des schon tagelang anhaltenden Regens beinahe als flüssig bezeichnet werden konnte. Wasser lief dem Abteilungsleiter über das Gesicht und in den Mantelkragen, doch er kümmerte sich nicht darum. Warum konnten Valdimier, Kanndra und all die anderen ihn nicht einfach in Ruhe seine Arbeit machen lassen und stritten mit ihm über Zuständigkeiten herum? Lautlos verfluchte Araghast das Abteilungssystem. Es gewährleistete, daß derjenige der Okkultes aus irgendeinem Grunde schick fand den Fall bekam und nicht derjenige der wirklich Ahnung hatte. Sollten sie bloß über seine angebliche Paranoia lachen. Er wußte, daß er einer Verschwörung auf der Spur war und der Stockdegen des Hexers nur einen kleinen Teil davon ausmachte.
Bevor Araghast nach dem Streit mit seinen ältesten Freunden unter den Wächtern das Wachhaus verlassen hatte war er aus reiner Neugierde bei RUM vorbeigegangen um sich den Namen des angeblichen Hirnverspeisers zu holen. Es konnte gar kein Zufall sein, daß es sich bei dem Verdächtigen um einen jener Männer handelte die vor zwei Tagen in Herrn Hongs Imbiss eingedrungen waren. Nur allzugern hätte er selbst mit dem jungen Zauberer gesprochen, doch Leutnant Lanfear hatte ihm mit verdächtiger Selbstsicherheit zu verstehen gegeben, daß ihre Abteilung alles unter Kontrolle habe.
Araghast schnaubte verächtlich. Wahrscheinlich hatte die Abteilungsleiterin von RUM über die große Wacheklatschumverteilungsmaschine namens Cafeteria schon längst von seiner Versessenheit auf den Stockdegen und alles was damit zusammenhing gehört und tat nun alles um ihn zu entmutigen. Es war halt zu bekannt geworden, daß der Abteilungsleiter insgeheim selbst nach dem Posten des Okkultismusexperten gegiert hatte. Auch der Rest der Wache hatte sich gegen ihn verschworen oder wollte ihm schlicht und einfach aus Prinzip nicht glauben.
"Ja, macht euch nur über mich, die
URALTEN RIESEN und Eddie Wollas lustig." knurrte Araghast wütend und hieb mit der Handkante auf das Brückengeländer. Ein großes Stück Rost löste sich und fiel in den Fluß, wo es vom Regenwasser fortgespült wurde. Der Abteilungsleiter wandte sich ab. Vor ihm lag die Chrononhotonthologosstraße. Hier, in der Nummer 72 im Torweg rechts würde er hoffentlich Antworten auf einige der Fragen finden die ihm unter den Nägeln brannten. Er nahm noch einen letzten Zug aus seiner Taschenflasche und machte sich auf den Weg.
Den Zentralfriedhof im Rücken stand Araghast zehn Minuten später vor dem imposanten zweistöckigen Gebäude und verschaffte sich einen ersten Überblick. Die Fassade bestand aus dunklem Stein der im Regen feucht glänzte. Hinter mehreren Fenstern brannte warmes Licht und das Bild einer warmen, trockenen Küche erschien vor dem inneren Auge des Abteilungsleiters. Ein Torweg führte in den Innenhof des Gebäudes.
Araghast atmete tief durch und eilte über die kaum belebte Straße ins Trockene. Während er seinen Zopf auswrang suchte er die Wand der Einfahrt ab und hätte in dem trüben Zwielicht zwischen den beiden Teilen des Hauses die schlichte, grau gestrichene Tür beinahe übersehen. Daneben hingen eine Platin-Plakette der Diebesgilde und ein Messingschild.
E. D. Walerius
Okkulte NachforschungenAnerkennend pfiff Araghast durch die Zähne. Wer sich eine Platin-Plakette erlauben konnte hatte es wirklich geschafft. Dann dachte er an die achtzehn Verhaftungen zurück. Niemand wußte, auf welche Weise Edwina Walerius ihren Lebensunterhalt bestritt und ihrer Akte nach zu urteilen tat sie es vermutlich nicht unbedingt auf legalem Wege.
Doch das war Araghast in diesem Moment herzlich egal. Er wollte Fakten über Herrn Hongs Imbiss,
Dinge aus den Kerkerdimensionen und den Stockdegen. Entschlossen ergriff er den Türklopfer und betätigte ihn.
Der Abteilungsleiter brauchte nicht lange zu warten, bis sich schlurfende Schritte der Tür näherten und sie mit einem perfekten Knarren aufschwang.
"Fie wünfen?" fragte eine weibliche Stimme mit unverkennbarem Igor-Akzent.
Araghast räusperte sich.
"Mein Name ist Araghast Breguyar und ich möchte gerne mit Frau Edwina Dorothea Walerius von Schlaz sprechen." stellte er sich sehr förmlich vor. Eine Igorina, ging ihm durch den Kopf. Diese Walerius wurde immer interessanter.
"Dann treten Fie ein." forderte ihn Igorina auf. "Ihren naffen Mantel können Fie über einen der Ftühle hängen. Ich werde Fie anmelden."
Araghast trat über die Schwelle und die Dienerin schloß die Tür hinter ihm um sogleich mit schlurfenden Schritten davonzueilen. Nachdem der Abteilungsleiter seinen Mantel angelegt hatte sah er sich im Flur um. Bis auf eine massive Kommode aus dunklem Holz, eine Garderobe und zwei Stühle war der lange, schmale Raum leer. Mehrere Türen waren in den Wänden zu sehen. An einer hing ein Schild mit einer Aufschrift in überwaldianischer Sprache, welches
Keller verkündete. Igorinas Reich, stellte Araghast innerlich grinsend fest und wandte sich wieder der Garderobe zu. Die Kleidung einer Person ließ gewisse Schlüsse auf ihre Persönlichkeit ziehen hatte es in einem der zahlreichen Püschologiebücher die er im Laufe seiner Zeit in dieser Spezialisierung gelesen hatte geheißen.
Der schwarze Herrenhut und der Umhang, den die Walerius vor Herrn Hongs Imbiss getragen hatte hingen zusammen an einem Haken. Beide Kleidungsstücke waren feucht, wie Araghast feststellte. Das bedeutete, ihre Trägerin mußte im Laufe des Morgens schon aus dem Haus gewesen sein.
"Wenn der Herr mir bitte folgen würde." Wie aus dem Nichts tauchte Igorina hinter ihm auf und der Abteilungsleiter zuckte schuldbewußt zusammen. Die schwarz gekleidete Dienerin führte ihn auf die Tür am Ende des Flures zu.
"Hier herein bitte. Die Frau Waleriuf erwartet Fie." Und schon war sie wieder verschwunden.
"Herrein." erklang daraufhin auch schon eine dunkle, weibliche Stimme mit deutlichem überwaldianischem Akzent.
Araghast drückte die Türklinke herunter und betrat das Zimmer.
Edwina Dorothea Walerius saß in einem bequemen Sessel neben einem Rauchertischchen, eine qualmende, langstielige Pfeife in der Hand. Ihr kinnlanges, dunkelrotes Haar schimmerte im Licht des Feuers, welches in einem großen Kamin auf der gegenüberliegenden Zimmerseite brannte. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre rotgeschminkten Lippen.
"Kommen Sie doch näherr, Lorrd Arraghast Brreguyarr von Canis Maiorr Alpha." sagte sie und wies auf einen zweiten Sessel. "Auch ich habe mich überr Sie inforrmiert, wie Sie merrken."
"Danke, daß Sie Zeit für mich haben." Araghast neigte den Kopf zur Begrüßung. Die Frau verwirrte ihn. Vor zwei Tagen noch in Männergewänder gekleidet trug sie nun ein elegantes, dunkles Kleid mit Spitzenbesatz und Schmucksteinen. Ihre zahlreichen Silberringe glitzerten an ihren Fingern.
"Sie haben meine Akte bei derr Wache gelesen." fuhr sie fort während Araghast sich setzte. "Woherr sollten Sie sonst meinen vollen Namen haben?" Sie lachte herzlich. "Und jetzt frragen Sie sich sicherlich, warrum ich Ihnen helfen will."
Araghast nickte.
"Warum haben Sie ausgerechnet mir Ihre Karte gegeben?" fragte er.
"Sie sind derr einzige Wächterr derr die nötigen Vorraussetzungen hat, diesen Fall errnst zu nehmen." antwortete Edwina Walerius. "Außerrdem interressierren Sie sich fürr den Hexerr von Ankh." Sie wies mit einer schwungvollen Armbewegung auf die Wand über dem massigen Schreibtisch.
Araghast starrte das Gemälde an als wäre es aus einem Traum geradewegs in die Wirklichkeit getreten. Ein dunkel gekleideter Mann in mittleren Jahren blickte überlebensgroß auf ihn herab. Eine schneeweiße, wie ein Blitz gezackte Strähne teilte sein Haar in zwei Hälften. Die Hände des Mannes ruhten verschränkt auf dem grünen, von goldenen Bändern umwickelten Kristallgriff eines Spazierstockes.
"Der Hexer." murmelte Araghast.
"Sehen Sie genauerr hin. Derr Himmel." forderte Edwina Walerius ihn auf.
Dunkle, bedrohlich wirkende Wolken bedeckten den Himmel vor dem der Mann stand. Araghast kniff sein Auge zusammen bis er es erkannte. Ein paar golden funkelnder Augen blickte aus dem Gewirr verschiedener Grautöne. Die Pupillen besaßen die Form von Stundengläsern, in den Romanen von Eddie Wollas ein unfehlbares Zeichen dafür, daß die betreffende Person von unvorstellbaren Monstrositäten besessen war.
"Wo haben Sie das her?" rief der Abteilungsleiter aus.
Ruhig nahm Edwina Walerius einen Zug aus ihrer Pfeife und blies Rauchringe.
"Ich habe es mirr malen lassen." sagte sie schließlich. "Die Idee gefiel mirr. Außerrdem ist derr Hexerr von Ankh eine wirrklich faszinierrende Perrsönlichkeit. Ein Mann, gejagt von urralten, finsterren Götterrn und verrflucht, sie sein Leben lang zu bekämpfen. Und bevorr Sie jetzt denken, ich wärre eine frrustrierrte einsame Frrau die sich zu sehrr in eine Rromanserrie herreinsteigerrt will ich Ihnen eines sagen: Derr Hexerr von Ankh ist mehrr als das. Einst gab es ihn wirrklich. Ich weiß eine Menge überr ihn und die
URRALTEN RRIESEN. Die meisten Quellen sind allerrdings kaum zugänglich." Sie zwinkerte ihm schelmisch zu. "Warrum wärre ich sonst so oft verrhaftet worrden?"
Während er ihr zuhörte ließ Araghast seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Über dem Kamin hing eine Jagdarmbrust an der Wand, daneben ein mit kleinen Fläschchen gefüllter Setzkasten. Jede der Phiolen enthielt ein graues Pulver. Eine Holztafel auf der ein Wappen abgebildet war lehnte auf dem obersten Brett eines Regals. Schwere, ledergebundene Bücher füllten die restlichen Bretter auf.
"Unserr Familienwappen." Edwina Walerius war seinem Blick gefolgt. "Die Hand mit dem Knüppel steht fürr Ragnarr Walerrius von Schlaz den errsten, einen Strraßenrräuberr derr das Schloss an sich brrachte indem err den Besitzerr pulverrisierrte. Und derr Hammerr und derr Pflock sind die Zeichen des Gewerrbes in dem meine Familie fünfhunderrt Jahrre lang tätig warr. Deswegen auch derr Morrdverrdacht wegen des Vampirrs."
"Sie sind Vampirjägerin?" fragte Araghast ungläubig.
"Ich warr es. Doch dank derr Enthaltsamkeitsliga wurrden die Zeiten immerr schlechterr um davon noch zu leben, da bin ich auf okkulte Nachforrschungen umgestiegen."
"Und auf den Hexer von Ankh gestoßen." brachte der Abteilungsleiter den Satz zuende.
Edwina Walerius nickte lächelnd.
"Igorrina!" rief sie.
"Ja, Meifterin?" kam es postwendend von einem Ort hinter ihrer rechten Schulter und die Dienerin erschien so plötzlich als wäre sie einfach aus dem Boden gewachsen.
"Brring uns einen Überrwaldianischen Kaffee und..." Die ehemalige Vampirjägerin sah ihren Gast erwartungsvoll an. Ihre Brillengläser funkelten im Feuerschein.
"Mir auch einen, bitte." antwortete Araghast. Er hatte das Gefühl, einen anständigen Schluck brauchen zu können.
"Also zwei Überrwaldianische Kaffee, bitte, Igorrina." bestellte Edwina Walerius und zog an ihrer Pfeife.
"Kann man im Gewerbe der okkulten Untersuchungen eigentlich viel Geld verdienen?" erkundigte sich Araghast.
Die ehemalige Vampirjägerin lachte.
"Immerr im Dienst die Wächterr, nicht wahrr? Interressierrt Sie das wirrklich so sehrr? Was wollen Sie nun wissen? Wovon ich lebe oderr wie derr Stockdegen in den Imbiss kam?"
"Ich glaube, da ist die Geschichte des Stockdegens schon verlockender." beeilte sich Araghast zu sagen. "Und vielleicht können Sie mir auch erzählen, woher Eddie Wollas all das Wissen hat wenn der Hexer wirklich existiert hat." Sein Herz begann schneller zu klopfen. Endlich würde er dem Fall auf den Grund gehen.
"Oh, Wollas." Edwina Walerius winkte ab. "Um es kurrz zu machen, err hat alles von mirr. Ich fand herraus was err wollte und err bezahlte mich dafürr. Selbst gesehen habe ich ihn nicht ein einziges Mal, diesen verrückten Exzentrrikerr."
"Woher kenne ich das bloß..." murmelte Araghast. "Genau das habe ich auch schon von der Schriftstellergilde gehört."
"Verrgessen Sie den Mann." sagte die ehemalige Vampirjägerin. "Err schrrieb nurr die Rromane. Ich warr und bin fürr die Wahrrheit zuständig."
Und während Igorina die Getränke brachte begann Edwina Dorothea Walerius, zu erzählen.
StudienMit einem lauten Knall schloß Raistan Quetschkorn die
Pilze in Yoghurt und legte das Buch auf den immer größer werdenden Stapel der Werke zum Thema Okkultes Halbwissen auf der linken Seite seines Leseplatzes in der großen Bibliothek der Unsichtbaren Universität. Den gesamten Vormittag hatte er schon zwischen den abertausenden leise in ihren Regalen raschelnden Folianten und Grimoires verbracht und mit jedem Werk das er sich vornahm wuchs seine Frustration. Sämtliche Autoren waren Meister darin, mit schwülstigen Worten um das eigentliche Thema herumzureden. Abenteuerliche Wortschöpfungen wie 'unheiliger schleimiger Brodem', 'peitschende Tentakel' oder 'kataklysmischer Wahnsinn' fielen beinahe im Zeilentakt, doch wirkliche Informationen waren so rar wie Wasser in der klatschianischen Wüste.
Raistan konnte sich denken, daß sich die informativen Werke in der verbotenen Zone befanden, die außer dem Bibliothekar niemand betreten durfte. Den Nachwuchszauberern war während ihrer ersten Studienwochen oft genug eingeschärft worden, sich daran zu halten, falls sie nicht ihr Leben riskieren wollten. Denn allein das Wissen um bestimmte Dinge konnte selbst erfahrene Magier in den Wahnsinn treiben. Und dazu gehörte vermutlich auch der größte Teil des Cthulhupalhulhu-Mythos, überlegte Raistan und unterdrückte mühsam einen Hustenanfall. Selbst wenn er versuchen würde, seine Nase in das legendäre
NECROTELICOMNICON zu stecken, das Buch würde ihn innerhalb weniger Sekunden töten.
Der junge Zauberer stand auf und steckte sein Schreibzeug ein. Seufzend blickte er auf den Stapel schwerer Bücher die nur darauf warteten, in ihre Regale zurückgebracht zu werden.
"Ugh." Eine ledrige Hand zeigte auf die Ansammlung von Literatur.
"Ja, ich bringe sie ja gleich zurück." antwortete Raistan müde.
"Ugh! Iiiek!" Der Bibliothekar sprang auf den Lesetisch und machte mit den Händen einige Bewegungen.
"Birne? Schneevaterfestbaum? Nein... Ein Zauberer. Ein dickerer Zauberer. Ewein?"
"Ugh!"
Die langen, schwieligen Finger malten ein Fragezeichen in die Luft.
"Wo er ist, willst du wissen?"
"Ugh-Ugh Iiek!"
Raistan ließ den Kopf hängen.
"Die Wache hat ihn wegen Mordes verhaftet. Ich meine, es ist Ewein Krawunkel! Er hat schon Angst wenn man das Licht ausbläst."
Der Bibliothekar wies auf die endlosen Bücherregale und kauerte sich dann zitternd zusammen. Raistan konnte sich nur zu gut denken, was das zu bedeuten hatte.
"Die Bücher haben Angst?" fragte er leise.
"Ugh!" Der Orang-Utan klopfte ihm auf die Schulter und griff sich die obersten vier Bücher vom Stapel. Als ob sie lediglich aus leeren Papphüllen bestehen würden klemmte er sie sich unter den Arm und verschwand zwischen den Regalen.
"Danke, Kamerad." murmelte Raistan und nahm seinen Zauberstab an sich der friedlich zusammen mit einigen Besucherregenschirmen im Schirmständer stand. Gleichmäßig trommelte der Regen auf die große Kuppel der Bibliothek.
Ewein Krawunkel saß zur Zeit vermutlich in einer Zelle im Wachhaus und fürchtete sich zu Tode. Beim Frühstück hatte Raistan sich ein Exemplar der
Times sichern können und wußte genauestens über die Anklage Bescheid. War jemand in einem Anfall von Wahnsinn in der Lage, so etwas zu tun und sich hinterher nicht mehr daran zu erinnern? Wenn es so war konnte jeder der mit in Herrn Hongs Imbiss gewesen war der Täter sein. Sogar er selbst.
Raistans schmale Hand krampfte sich um den Zauberstab bis die Knöchel weiß hervortraten. Die vagen Andeutungen über den Cthulhupalhulhu-Mythos besagten, daß sich die Körper oder Seelen einiger der uralten, dunklen Götter der Scheibenwelt noch eingemauert in den Fundamenten der Kontinente in dieser Dimension befanden. Und um sie zu erwecken mußte man sie nur mit den richtigen Worten rufen und schon erschienen sie und säten Wahnsinn, Tod und Chaos. Irgend jemand mußte in der Kaverne unter dem
Dreimal Glücklichen Fischimbiss einst die richtigen Worte ausgesprochen und jene Monstrosität in die Welt gerufen haben, deren Schatten sie jetzt heimsuchte. Denn nicht das war tot was ewig lebte bis daß die Zeit den Tod besiegte. Jetzt verstand Raistan, wozu der Spruch an der Mauer gedient hatte. Er war eine Art Kultmotto.
Der junge Zauberer dachte an seine eigenen Worte kurz bevor Ewein abgeführt worden war. Es war noch lange nicht vorbei, ganz im Gegenteil. Es fing gerade erst an.
Ein Stückchen Wahrheit"Unglaublich." brachte Araghast nur noch hervor, als Edwina Walerius mit ihrer Erzählung geendet hatte. Seine Hand schmerzte vom schnellen Mitschreiben.
"Und doch wahrr." Die Okkultismusforscherin schob mit einer eleganten Handbewegung ihre Brille zurück auf die Nasenwurzel und lachte leise. "Auch wenn es sich manchmal schon fast zu verrückt anhörrt. Aberr es ist tatsächlich wahrr, daß die errsten schrriftlichen Errwähnungen des Hexerrs auf die späte Königszeit datierrt werrden können. Ich habe mehrrerre unabhängige Quellen studierrt."
"So lange lebt kein Mensch." warf Araghast ein.
"Ich weiß. Deshalb besteht auch durrchaus die Möglichkeit, daß err in irrgendeinerr Forrm untot gewesen ist und errst durch das dahingerrafft wurrde, was auch immerr in derr unterrirrdischen Kultkammerr des Thagon auf ihn gewarrtet hat."
"Thagon..." murmelte der Abteilungsleiter und notierte sich das Wort.
"Ein alterr Fischgott dessen Kult urrsprrünglich aus Ymtrri stammt." klärte Edwina Walerius ihn auf. "Derr Tempel auf dessen Rruinen derr Imbiss gebaut wurrde warr ihm geweiht."
"Was mich wirklich wundert ist, daß Sie scheinbar nie das Bedürfnis hatten, in die Gewölbe abzusteigen." bemerkte Araghast und trommelte nachdenklich mit dem stumpfen Ende des Bleistiftes auf seinem Block herum.
Ein schallendes Lachen war die Antwort.
"Ich bin doch nicht verrückt!" Die ehemalige Vampirjägerin beugte sich vor. "Irrgend etwas haben diese verrückten Zauberrerr dorrt unten geweckt." sagte sie beinahe flüsternd. "Dieserr Orrt warr nicht dazu gedacht, jemals wiederr von einem menschlichen Wesen betrreten zu werrden. Was auch immerr dorrt beschworren wurrde, es hat genug Macht besessen um den Hexerr von Ankh zu töten. Drrum sieh dich vorr, Arraghast Brreguyarr. Hierr sind Mächte im Spiel gegen die keinerr von uns etwas ausrrichten kann. Derr Schatten des
URRALTEN RRIESEN geht, verrborrgen im Körrperr eines Menschen, berreits in der Stadt um. Mit derr arrmen Näherrin hat es nurr begonnen."
"Der Hauptverdächtige ist einer der Zauberer die im Imbiss gewesen sind." sinnierte Araghast. "Ich habe ja gleich gesagt, daß das eine mit dem anderen zusammenhängt aber in der Wache haben sie mich nur ausgelacht." Der Abteilungsleiter presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen als er sich an das Gespräch mit Valdimier und Kanndra erinnerte. Nur weil er zur Zeit püschisch am Ende war schien jeder zu glauben, er sei komplett unzurechnungsfähig. Vermutlich war es auch nur noch eine Frage der Zeit bis man ihm FROG wegnahm.
"Stimmt etwas nicht?" durchdrang die Stimme Edwina Walerius' seine trüben Gedanken.
"Nein." gab er zurück. "Es läuft zur Zeit so viel falsch, daß ich gar nicht weiß wo ich anfangen soll. Aber das spielt jetzt keine Rolle." Sein Blick wanderte zu dem Ölgemälde von dem aus der Hexer von Ankh ihn ungerührt anstarrte. "Und selbst wenn mich meine Kollegen geschlossen zum Püschologen schicken wollen - Sie wissen gar nichts. Dabei könnte ihr Hirn schon das nächste sein das im Magen eines
URALTEN RIESEN landet!"
"Selig sind die Unwissenden." sagte Edwina Walerius und ihre harte, dunkle Stimme klang in Araghasts Ohren wie ein Wiederhall aus dem Abgrund. "Sie müssen nicht mit derr Errkenntnis leben, daß unserre rreale Welt so dünn ist wie eine Eierrschale und das Ei das von ihrr umhüllt wirrd faul und verrdorrben. Ein Fehlerr bei einerr Beschwörrung, ein mächtigerr Zauberrsprruch derr außerr Kontrolle gerrät - und schon hat die Schale ein Loch das kaum noch zu stopfen ist."
FrüherKamerun Quetschkorn liebte die tägliche Prozedur der Waffenpflege. Das stumpfsinnige Polieren und das Scharren des Wetzsteins über die Schneiden der Schwerter beruhigte seine Nerven, die ihm seit zwei Tagen mehr oder weniger blank lagen. Immer wenn er auch nur kurz eindöste kehrten die Alpträume zurück.
Bilder von unbeschreiblichen Ungeheuern und Gebäuden die sich nicht auf die üblichen drei Raumdimensionen beschränkten zogen vor seinen Augen vorüber. Mindestens ein Dutzend Mal hatte er seinen Zwillingsbruder auf die unterschiedlichsten brutalen Arten sterben sehen. Und immer schwebte über allem ein funkelnd goldenes Augenpaar hinter dessen sanduhrförmigen Pupillen Kamerun eine unvorstellbare Leere erblickte die ihm das Gehirn aus den Ohren zu quetschen drohte. Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd war er jedes Mal erwacht, nur um gleich darauf wieder das Gleiche durchzumachen.
Nur nicht einschlafen war seit dem ersten Morgengrauen sein Motto gewesen und die fünf leeren Dosen Superbulle auf dem Fensterbrett seines Zimmers zeugten von seiner Mühe. Das über einem alten Stuhl hängende Kettenhemd funkelte geradezu und der mit einem grünen F.E.S.-Schriftzug verzierte Schild war in den letzten Stunden fast sämtliche Beulen losgeworden.
Zärtlich strich Kamerun über den lederumwickelten Griff des großen Anderthalbhänders der auf seinen Knien lag. Eingravierte, verschnörkelte Buchstaben zogen sich über den oberen Teil der Klinge und bildeten das Wort
Hildegard. Bei dem Gedanken an seine Großmutter verzogen sich Kameruns Lippen zu einem schwachen Lächeln. Sie war gestorben als er noch sehr klein gewesen war und sein Großvater hatte es nie verwunden, so daß er ihr nach nur wenigen Jahren folgte. Großvater Hühnertau war kein Kohlbauer gewesen wie Großvater Quetschkorn sondern hatte in jungen Jahren als Söldner große Teile der Scheibenwelt bereist, das nach Großmutter benannte Schwert an seiner Seite.
Das Gesetz des Herzogtums Sto Barrat verbot der einfachen Bevölkerung unter Androhung des Abhackens einer Hand sämtliche Klingenwaffen mit einer Länge von mehr als zwanzig Zentimetern und so war das Schwert für viele Jahre unter eine lose Bodendiele in der Hütte der Hühnertaus gewandert, bis Großvater kurz vor seinem Tode das Versteck an Raistan verriet, zusammen mit der Bitte, es Kamerun zu geben sobald dieser alt genug dafür sei.
Der junge barbarische Held schüttelte den Kopf. Er erinnerte sich nur zu gut an jenen letzten Abend daheim bevor sie beide Sto Barrat verlassen hatten. Gemeinsam waren sie in Großvaters alte Hütte eingebrochen und hatten Hildegard geholt. Immer wieder war Kameruns Verwunderung groß gewesen, daß sein fünf Minuten jüngerer Bruder es tatsächlich fertig gebracht hatte, all die Jahre lang den Mund zu halten. Er selbst hätte jedem stolz von der prächtigen Klinge erzählt. Doch im Nachhinein war er zu der Erkenntnis gekommen, daß eben dies der Grund gewesen war, weshalb Raistan nichts gesagt hatte. Wer wollte schon gern, daß jemand aus der Familie eine Hand verlor?
Seitdem war Hildegard zu Kameruns ständigem Begleiter geworden. Zusammen hatten sie unzählige Tavernenschlachten bestritten und waren mittlerweile in diversen Kneipen der Stadt gefürchtet. Nun, da Kameruns Hauptverdienst das Koordinieren der allabendlichen Schlägerei in der
Geflickten Trommel war kam die Klinge seltener zum Einsatz, aber dennoch hielt er sie grundsätzlich scharf. Man konnte schließlich nie wissen was einen erwartete.
Nach einem letzten kritischen Blick schob Kamerun Hildegard zurück in die Scheide und ließ sich rückwärts auf sein Bett fallen, dessen Federn lautstark protestierten. Die Untoten Socken glotzten von einem Holzschnitt auf ihn herab. Noch fünf Stunden blieben ihm bevor die Arbeit rief. Fünf Stunden in denen er sich irgendwie dazu bringen mußte, wach zu bleiben. Nur nicht einschlafen...
"Verdammt!" fluchte der junge barbarische Held laut und sprang auf. Wenn er sich hinlegte fing er garantiert wieder an zu träumen. Seine Gedanken begannen wieder einmal um Raistan und die gefährlichen Nachforschungen zu kreisen die sein Bruder gerade betrieb. Und er selbst war nicht zur Stelle um sich schützend mit gezogener Hildegard vor ihn zu stellen wenn eines dieser Tentakelwesen aus den Träumen wirklich angreifen sollte. Wären sie bloß nie in diesen verfluchten Imbiss mitgekommen...
Die EnttäuschungDer monoton gegen die Fensterscheiben seines Büros prasselnde Regen wollte rein gar nicht zu Araghasts momentaner Stimmung passen. Der derzeitige Gemütszustand des Abteilungsleiters erforderte mindestens einen ausgewachsenen Orkan mit Gewitter- und Hageleinlagen, sowie einer schweren Sturmflut mit gleichzeitiger Feuersbrunst. Auf der Stelle des Schreibtisches wo sich eigentlich die Fallakte
Dreimal Glücklicher Fischimbiss hätte befinden müssen lag ein eng beschriebener Zettel, den der SUSI-Stempel und die Unterschrift Hauptmann MeckDwarfs zierte.
Araghast war kurz davor, die Büroeinrichtung zu zertrümmern. Zähneknirschend las er den Brief zum wiederholten Mal.
Von: Hptm. MeckDwarf
An: Fw Breguyar
Betreff: Fallakte Herr Hongs Imbiss
Da dieser Fall nun nach der Ergreifung des mutmaßlichen Mörders von Zulaide Al-Shalafi und der Klärung der groben Tatzusammenhänge mit dem Fischimbiss-Fall endgültig an unsere Okkultismusexperten und RUM übergeben wurde besteht keine Notwendigkeit, daß Du dich weiter mit der Sache beschäftigst. Deshalb habe ich mir erlaubt, die Akte mitzunehmen und den zuständigen Wächtern zu übergeben. Hiermit bist Du von sämtlichen Ermittlungen entbunden und kannst dich wieder voll und ganz den Fröschen widmen.Hiermit war er auch offiziell ausgebootet. Die bittere Erkenntnis fraß an seinem Selbstbewußtsein wie Säure. Jetzt, wo er den Fall mit Hilfe der seltsamen Edwina Walerius so gut wie gelöst hatte, warf ihm die Wacheleitung einen Knüppel zwischen die Beine.
"Wieder voll und ganz den Fröschen widmen." schnaubte Araghast wütend. Was tat FROG eigentlich die meiste Zeit überhaupt? Es waren immer die anderen die die Verbrechen aufklärten und wenn es Ärger gab durften seine FROGs alle paar Wochen einmal ihre Kollegen wieder aus dem Schlamassel prügeln. Der Rest war Bürositzerei, hirnloses Warten und bei schönem Wetter Training in der Stadt oder außerhalb. Plötzlich ertappte sich Araghast dabei wie er sich nach seinem verlorenen Püschologenposten zurücksehnte bei dem er erst vor wenigen Monaten so froh gewesen war, ihn endlich los zu sein. Ein Püschologe tat wenigstens etwas, während der Abteilungsleiter die meiste Zeit damit verbrachte, in seinem Büro zu verschimmeln und die Abteilung zu leiten. Letzteres füllte Araghasts Zeit nicht einmal zu einem Achtel aus. Früher hatte er dank Venezias eher nachlässiger Haltung zu Papierkram das Gleiche nebenbei zu seiner Spezialisierung erledigt und war immer gut mit dem Arbeitsaufwand klargekommen. Zugegeben, auch die Püschologie war manchmal langweilig gewesen, doch dank der seltenen Momente in denen FROG überhaupt einmal etwas zu tun hatte war der Posten des Abteilungsleiters die destillierte Trostlosigkeit.
Frustriert ließ sich Araghast in seinen Bürostuhl fallen und bearbeitete die Tischplatte hingebungsvoll mit den Fäusten. Ein Schlag für Humph. Ein Schlag für Skilla die jetzt bestimmt stolz durch das Wachhaus marschierte weil gleich ihr erster Fall mit bestialischen Morden und dunklen Ritualen zu tun hatte. Ein Schlag für diese Deppen von Zauberern die wieder einmal eine brennende Lunte in den metaphorischen Haufen Pulver Nummer Eins hatten stecken müssen. Je ein Schlag für Kanndra und Valdimier die glaubten besser über sein Leben Bescheid zu wissen als er selbst.
Schließlich blieb er erschöpft mit dem Kopf auf der Schreibtischplatte liegen. So fand ihn wenige Minuten später Nyvania vor.
"Äh, Entschuldigung, Sör!" sprach sie ihn an und musterte ihn besorgt. "Geht es dir gut? Ich wollte noch mal wegen meiner Beurlaubung..."
Araghast fuhr hoch.
"Verschwinde!" brüllte er, riß einen Briefbeschwerer vom Schreibtisch und warf ihn nach der völlig verblüfften Püschologin.
Krachend schlug das Wurfgeschoß fast drei Meter neben der Tür ein. Nyvania floh.
Schwer atmend sackte Araghast in sich zusammen und seine langen knochigen Finger krallten sich um die Sessellehnen. Warum mußte die Kleine auch ausgerechnet jetzt und vor allem ohne anzuklopfen in sein Büro spazieren? Hoffentlich hatten es die anderen jetzt auch endlich begriffen, daß er mit niemandem reden wollte.
Ein plötzlicher Gedanke zuckte Araghast durch den Kopf. Langsam begann sich die Idee zu einem kleinen, gemeinen püschologischen Spiel herauszukristallisieren. In seinem Notizbuch befanden sich die fast kompletten Lösungen der Fälle Stockdegen und Näherinnenmord. Wenn er seine Dienstzeit schon von oben verordnet damit zubringen mußte sich halb zu Tode zu langweilen konnte er die Zeit auch gut dazu nutzen, eine kleine Wette mit sich selbst abzuschließen. Wie lange würden die Zuständigen brauchen um mit der Falllösung so weit zu kommen wie er? Wann würden sie ihre Niederlage eingestehen und ihn um Hilfe bitten? Sollten sie doch ihren Spaß haben und allein ermitteln. Und selbst wenn sie den Mord aufklärten - Die ganze Wahrheit wußte nur er.
Humorlos lächelnd griff sich Araghast Philipp Howards Kraftliebs
Ruf des Cthulhupalhulhu aus dem Regal. Insgeheim fragte er sich ob Edwina Walerius das Werk schon kannte. Gefallen würde es ihr ganz bestimmt. Er seufzte tief und schlug den dicken, ledergebundenen Band an der Stelle auf wo das Lesebändchen zwischen den Seiten klemmte. Er brauchte etwas zu tun, denn sonst kam die Langeweile nur allzu schnell. Und mit ihr die düsteren Gedanken über köstliche, rote, warme...
Dieses Mal brauchte Araghast sechs große Schlucke Rum um sich wieder zusammenzureißen.
VerratKamerun Quetschkorn stand am Rande einer hohen Klippe und blickte hinaus auf die See. Ohne jemals dort gewesen zu sein wußte er instinktiv, daß es sich um das Runde Meer handelte. Eine steife Brise ließ sein Haar und seinen Umhang flattern.
Über den vom Wind aufgepeitschten Wellen braute sich ein Sturm zusammen. Dunkle Wolken ballten sich zusammen und Blitze zuckten herab. In der Ferne grollte Donner.
Unwillkürlich griff Kamerun den Stab fester den er in seiner rechten Hand hielt. Ein schweres Bleigewicht schien auf seiner Brust zu liegen und er bekam nur noch mühsam Luft. Gleichzeitig ergriff eine fürchterliche Schwäche Besitz von ihm. Er mußte seinen gesamten Willen aufbringen um nicht zu Boden zu sinken und klammerte sich hilfesuchend an den Holzstab.
Die Wolken türmten sich höher und höher und nahmen eine schwärzliche Farbe an. Der Wind steigerte sich zum Sturm und Gischt spritzte bis zu Kamerun herauf und benetzte sein Gesicht.
Der barbarische Held hob seine Hand um sich über die Stirn zu wischen und hielt erstaunt inne. Dies war nicht seine eigene breite, mit Schwielen übersäte Pranke. Er sah auf eine schmale Hand mit langen knochigen Fingern, die er nur allzu gut kannte. Selbst die Narben auf dem Handrücken, die von wiederholter Züchtigung mit einer Rute wegen trotzigen Schreibens mit der linken Hand in Mütterchen Knüppelkuhs Dorfschule stammten, fehlten nicht.
Ein schrecklicher Verdacht dämmerte Kamerun und es verwunderte ihn gar nicht mehr, daß er, als er an sich herunterblickte, die langen Roben eines Zauberers trug und den Stab seines Bruders in der Hand hielt.
Die scharfe Seeluft brannte wie Feuer in seinen Lungen und er mußte husten. Doch davon wurde der Schmerz nur noch schlimmer. Es war ihm als wäre ein Sumpfdrache mitten in seinem Brustkorb explodiert. Durch einen Nebel von Tränen nahm Kamerun wahr wie das Meer zu kochen begann. Blitze zuckten unaufhörlich durch die pechschwarzen Wolken und der Donner betäubte ihn beinahe mit seiner Wucht.
Keuchend richtete sich der barbarische Held auf und fühlte wie die kalte Hand des Grauens nach seinem Herzen griff.
Etwas stieg unter dem schäumenden Wasser aus der Tiefe. Am ganzen Körper wie gelähmt sah Kamerun zu. Die Schmerzen in seiner Brust peinigten ihn wie Nadelstiche und seine Knie waren weich wie Pudding.
Dunkle, von Seetang bedeckte Türme durchstießen die Meeresoberfläche und wuchsen in unmöglichen Winkeln in den Himmel. Ihre Geometrie war entsetzlich falsch anzuschauen. Das Licht der Blitze ließ ihre Oberfläche in einem ungesunden, bläulichen Licht schimmern.
Und Kamerun glaubte, in all dem apokalyptischen Getöse eine einzelne, kreischende Stimme auszumachen.
"
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn!!!!!"
Das war zu viel für ihn. Er floh. Kopflos stolperte er über das unebene Gelände, nur weg vom Meer. Mehrmals wäre er beinahe gefallen, nur der Stab bewahrte ihn vor einem Sturz. Hektisch sah sich Kamerun nach einem Versteck um und verfluchte den schwachen, kranken Körper seines Bruders in dem er steckte. Weit würde er nicht kommen. Schon spürte er das wie Feuer brennende Kribbeln in den Lungen, das den nächsten Hustenanfall ankündigte. Nur noch ein paar Schritte bis er endgültig zusammenbrach...
Ein metallischer Geschmack flutete in seinen Mund und seine Beine gaben unter ihm nach. Hart schlug er auf dem felsigen Boden auf, kniff die Augen zu und wollte nur noch sterben bevor das Grauen das aus dem Meer aufstieg ihn erreichte und verschlang.
Kurz bevor Kamerun endgültig die Sinne schwanden spürte er wie ihn jemand sanft aufhob und ihm leicht auf die Wange klopfte.
"Es ist alles in Ordnung, Großer." hörte er wie durch einen Nebel die Stimme die zu seinem eigenen Körper gehörte. "Ich hab dich."
"Was... was ist passiert?" stammelte der barbarische Held kraftlos und öffnete die Augen. Warm lief ihm das Blut über Lippen und Kinn.
Sein eigenes Gesicht beugte sich lächelnd über ihn.
"Ich habe ein wenig... verhandelt." sagte es. "Meine Magie gegen deinen Körper. Yyb-Tssslll und ich, wir verstehen uns. Er hat mir endlich das gegeben was ich mein ganzes Leben lang nie gehabt habe."
"Nein!" krächzte Kamerun und hustete schwach. "Kleiner... wie konntest du nur..."
"Dich verraten?" Sein Bruder lachte hart auf und ließ ihn einfach fallen. "Danke für all die Hilfe die du mir über die Jahre hast zukommen lassen wenn ich wieder mal nicht weiter konnte. Immer war ich der Schwache von uns beiden und ich habe es gehasst. Aber die Zeiten ändern sich, Großer. Die Macht mit der ich mich verbündet habe gibt mir alles was ich je begehrt habe. Jetzt brauche ich dich nicht mehr, mein Bruder."
Kamerun schrie erstickt auf als er hart auf dem steinigen Boden landete.
Und er schrie immer noch als er vom Bett rollte und auf dem Fußboden fiel.
Reflexartig krallte er sich an seinem Bettvorleger fest, rollte sich ab und hechtete nach seinem Schwert. In Bruchteilen einer Sekunde fuhr Hildegard aus der Scheide und beschrieb einen weiten Bogen durch das Zimmer.
Erst dann realisierte Kamerun, daß es niemanden gab gegen den er kämpfen konnte. Wie betäubt ließ er die Waffe fallen und stürzte zu dem kleinen Spiegel über der Kommode. Sein eigenes markantes Gesicht mit der mehrfach gebrochenen Nase blickte ihm entgegen. Unter dem Hemd spannten sich seine beeindruckenden Muskeln.
Der junge barbarische Held atmete tief durch. Seine Lungen funktionierten perfekt wie eh und je. Und seine Hände... Im schwindenden Tageslicht starrte er auf seine eigenen kräftigen, von der Kohlhackerei und den vielen Schwertkampfübungen gestählten Finger.
Doch der Geschmack in seinem Mund war und blieb metallisch. Kamerun riß seine Kiefer auseinander und streckt seine Zunge heraus. Sie war blutverschmiert und wies die Abdrücke seiner Zähne auf. Er mußte im Schlaf hineingebissen haben.
Es war alles nur ein Traum gewesen.
Trotzdem blieb ein schales Gefühl in Kameruns Bauch zurück. Sein Zwillingsbruder, die Person die ihm mehr bedeutete als alle anderen Personen auf der Scheibenwelt zusammen, hatte ihn verraten. Eiskalt hatte der Kleine seine magischen Fähigkeiten gegen den Körper seines Bruders getauscht und sie gewissenlos einer Monstrosität die nicht sein durfte vermacht. Üüb Tßl oder wie auch immer der Name gewesen war.
Doch gleichzeitig erinnerte sich Kamerun an die Qualen die er durchlitten hatte. Diese Schwäche, die Schmerzen, und das Gefühl der Hilflosigkeit. Wenn Raistan das gleiche jeden Tag seines Lebens durchlitt... Würde er, Kamerun, dafür, endlich gesund und kräftig zu sein nicht auch seine eigene Mutter verkaufen?
Mit zitternden Händen zog der junge barbarische Held das kohlkopfförmige Amulett das er an einer Schnur um den Hals trug hervor und barg es in seinen gefalteten Händen.
"Verehrte Brassica." betete er. "Du, die du den Kohl und die Felder segnest, gib mir Antwort. Warum hast du aus meinem Bruder und mir gemacht was wir sind? Warum sind wie nicht eine Person sondern zwei, aufgeteilt in Körperkraft und Verstand? Bitte befreie mich von diesen Alpträumen und mach, daß alles endlich vorbei geht..."
Doch niemand antwortete ihm und die Glocken der verschiedenen Gildenhäuser die nach und nach Sechs Uhr schlugen brachten ihn langsam zurück in die Wirklichkeit. Gegen acht erwartete Hibiskus Dunhelm in der
Geflickten Trommel eine Reisegruppe aus dem achatenen Reich die gern einmal eine echte morporkianische Tavernenschlägerei miterleben wollte.
Kamerun hoffte von ganzem Herzen, daß ihn die Arbeit von seinen grauenhaften Visionen ablenkte.
PanikAuch Ewein Krawunkel hatte in seiner Zelle schlecht geträumt. Vor Angst mit den Zähnen klappernd kauerte der dickliche Nachwuchszauberer auf der Pritsche und versuchte zu vergessen, wie Adrian Rübensaat mit goldenen Stundenglasaugen auf ihn zugestürmt kam während sich der Schatten des Hex-Experten in hunderte von wild zuckenden Tentakeln verwandelt hatte. Sein Magen war mittlerweile leer, sonst hätte er sich wieder einmal übergeben müssen, wie schon so oft an diesem schrecklichen Tag. Das Schlimmste war jedoch, daß die vampirisch aussehende Frau in seinem schwachen Magen einen Beweis für seine Besessenheit sah und ihm den halben Nachmittag lang mit diversen heiligen Objekten verschiedenster Religionen auf die Pelle gerückt war um das
Ding in ihm zu vertreiben. Als auch das seinen Zustand nicht sichtlich verbessert hatte war sie dazu übergegangen, ihm wie es schien hunderte heiliger Schriften von Om über den Blinden Io bis hin zu obskuren Llamedosianischen Druidenkulten vorzulesen bis Ewein allein schon vom Zuhören noch elender wurde als ihm sowieso schon gewesen war. Doch vor einer Stunde hatte sie endlich aufgegeben und ihn in Ruhe gelassen. Vermutlich hatte sie eingesehen, daß sich wohl doch kein Wesen aus den Kerkerdimensionen in seinem Körper aufhielt das sie vertreiben konnte.
Oder das Ding ist immun gegen alle religiösen Gegenstände.Schlagartig fühlte Ewein wieder die Panik in sich aufsteigen. Er wollte nur noch raus aus dieser beengenden, fensterlosen Zelle deren Wände ihn schier zu erdrücken schienen und wo er glaubte, daß die Stimmen der grauenhaften Monstrositäten ihm durch das dicke Gestein hindurch die fürchterlichen Träume schickten...
"Hiiilfe!" schrie der dickliche Zauberer panisch, sprang auf und rüttelte wild an der vergitterten Tür. "Ich ersticke! Ich muß hier raus! Sie kriegen mich! Hilfe! Hilfe!"
Der diensthabende Wächter sah zu ihm herüber und lachte.
"Ruhe da hinten!" rief er. "Hier kommt nichts rein oder raus ohne daß ich es merke, und du schon gar nicht!"
"Ich muß hier weg!" kreischte Ewein und riß verzweifelt am Gitter. "Sie sind schon ganz nahe! Sie wissen wo ich bin! Und dann verschlingen sie mich!"
Der Wächter wandte sich kopfschüttelnd ab und der Zauberer brüllte vor Angst. Hier würde ihn vermutlich niemand retten wenn
Sie kamen um sich sein Gehirn einzuverleiben. Schluchzend sank er zu Boden und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Bald waren
Sie hier.
Beginn eines geplanten BesäufnissesEtwa zum gleichen Zeitpunkt als Ewein Krawunkel in seiner Zelle tobte verließ Araghast das Wachhaus mit dem Ziel den Abend damit zu verbringen, so betrunken wie möglich zu werden. Während er den Kopf einzog und den Mantelkragen hochklappte um nicht nasser als nötig zu werden ging er im Geiste die Liste der städtischen Tavernen durch. Wenn nur irgend möglich wollte er es vermeiden dort zu landen wo sich andere Wächter aufhielten. Also fielen der
Eimer und die
Geflickte Trommel schon einmal weg. Im
Knochen hielt sich Max Schreckt öfter auf und außerdem wurde dort jene Flüssigkeit ausgeschenkt an die er am liebsten nie wieder denken wollte. Verstohlen tastete Araghast nach seiner Rumflasche die er unter dem Mantel trug. Nachdem er genug Bier zu sich genommen hatte würden der Untervektor-Rum und er einen kleinen Spaziergang durch die nächtlichen Straßen unternehmen und sich gründlich unterhalten. Die alte Frage, wer sich um den Püschologen und auch den Ex-Püschologen kümmerte, ging Araghast durch den Kopf als er seine Schritte in Richtung der Tollen Schwestern lenkte. Bisher war es zumindest bei ihm immer der Alkohol gewesen der ihm zugehört hatte. Und eben selbigen würde er sich im
Explodierenden Kessel hinter die Augenklappe kippen. In die kleine Alchimistenkneipe, in deren Hinterzimmer die Lebenstrinker unter der Führung von Lord Todesschwinge sich regelmäßig getroffen hatten, verirrte sich eigentlich nie irgendein Wächter und die übrigen Gäste waren größtenteils damit beschäftigt zu analysieren weshalb ihr letzter Versuch in die Luft geflogen war und wann endlich ihre Augenbrauen wieder nachwuchsen. Niemand würde sich um einen einsamen Mann an der Theke kümmern.
"Trinkt aus, Piraten, Yo-ho!" sang Araghast leise als er auf die Messingbrücke trat.
ThudAbwesend schob Adrian Rübensaat die Trollfigur über das lederne Spielbrett.
"Ich kann mich einfach nicht konzentrieren." sagte er leise und rieb sich die Augen. "Die ganze letzte Nacht über habe ich kein Auge zubekommen weil ich solche Angst vor den schlimmen Träumen hatte. Und dann auch noch die Sache mit der toten Frau und Eweins Verhaftung..."
"Dann laß uns aufhören." Raistan ließ seinen Blick über das Thud-Spiel schweifen. "Du warst eh gerade am Verlieren." stellte er fest.
"Warum schläfst du eigentlich wie ein Säugling und träumst gar nichts?" hakte Rübensaat nach und begann, die kleinen, steinernen Trolle und Zwerge in der Schachtel zu verstauen.
"Vielleicht interessiere ich das
Ding einfach nicht, weil ich ihm nicht von Nutzen bin. Es kann mit einem Körper wie meinem wahrscheinlich nichts anfangen und sucht sich lieber jemanden aus der nicht alle Naselang Blut hustet und halb zusammenbricht." Die Stimme des jungen Zauberers klang bitter.
Rübensaat zuckte hilflos mit den Schultern.
"Das kann sein." sagte er gähnend. "Diese Wesen aus den Kerkerdimensionen sind wohl wählerisch." Er warf einen Blick auf die Uhr des Ungemeinschaftsraumes. "Kurz vor zehn. Ich glaube ich werde dann mal ins Bett gehen und versuchen, nicht zu schlafen. Meinst du, daß vier Dosen Superbulle reichen?"
"Ich weiß nicht." antwortete Raistan und lehnte sich in seinen Sessel zurück. "Wenn
Es will, daß du schläfst, helfen dir vermutlich auch zehn Liter von dem süßen Klebezeug nichts."
"Verdammt!" Mit der flachen Hand schlug Rübensaat auf die Tischplatte. "Was soll ich denn tun?" jammerte er. "Mich nicht hinlegen? Die längst überfällige Generalüberprüfung von Hex erledigen?"
"Das klingt doch schon mal nach einer Idee." sagte sein Gegenüber trocken. "Das Beste wird sein, immer in Bewegung zu bleiben. Da schläft es sich nicht so leicht ein."
"Hm-mmmh." brummte der Hex-Experte zögernd und nahm Zauberstab und Spielschachtel an sich. "Das wird eine harte Nacht, aber Ponder wird sich freuen. Wenigstens einer der von der ganzen Sache etwas hat. Und was hast du vor?"
"Noch ein wenig lesen und die letzten Fakten zusammenschreiben. Und gleich morgen früh werde ich mit Kaboltzmann reden. So langsam kann er das was passiert ist nicht mehr so einfach beiseiteschieben."
Rübensaat nickte.
"Am liebsten würde ich ihn für diese absolut dämliche Idee, den Imbiss zu erforschen, in einen Frosch verwandeln." grollte er. "Und ihn anschließend in einem Storchennest aussetzen, oder ihn in der Küche vorbeibringen und Froschschenkel auf den Speiseplan setzen! Sag mal," wechselte er abrupt das Thema, "War diese Wächterin vorhin auch bei dir? So eine junge Vampirfrau die sich benommen hat als wäre das alles wahnsinnig aufregend und toll?"
"Und ob sie da war." Ein hinterhältiges Lächeln spielte um Raistans schmale Lippen. "Und sie hat mich fast eine halbe Stunde lang verhört und verhört und noch mehr verhört. Man konnte fast glauben, daß sie einem für einen Hinweis die Füße geküsst hätte."
"Aber du hast ihr doch auch nichts von dem Spruch an der Wand und deinen ganzen Arbeiten gesagt, oder?" fragte Rübensaat vorsichtig. "Ich meine, was geht sie das an, was wir hier in der Universität forschen? Bis auf den Mord ist es doch eigentlich eine interne Geschichte."
"Warum sollte ich? Sie hat mir die Ohren vollgejammert, daß keines der üblichen Exorzismusrituale bei dem armen Ewein funktioniert hat und ich habe ihr vorgeschlagen mal zu überlegen, daß unser Freund gar nicht besessen sondern einfach nur zufällig der zweitgrößte Feigling der Universität ist und in der Zelle gerade Todesängste aussteht. Daraufhin hat sie mich mindestens viermal gefragt ob ich besessen wäre."
"Der war gut." Rübensaat grinste humorlos. "Entschuldigung, sind Sie zufällig besessen? Selbst wenn ich ahnen würde, daß ich tatsächlich besessen bin würde ich auf jeden Fall sofort dafür sorgen, daß die Sache ein Ende hat und nicht noch stundenlang mit der Wache plaudern. Die sollten ihre Nasen nicht in Dinge stecken die sie nichts angehen."
"Genau das sagen sie vermutlich von uns und der Imbiss-Geschichte." bemerkte Raistan leise.
Ablenkung"Ihr wart fabelhaft!" rief Hibiskus Dunhelm aus und schob ein schmieriges, mit randvollen Bierkrügen überladenes Tablett über die Theke. Es war kaum eine halbe Minute vergangen seit der letzte achatene Tourist die
Trommel verlassen hatte. In einer Ecke war Igor gerade damit beschäftigt, Jens den Knüppelkönig wieder zusammenzuflicken, dessen Begegnung mit der Axt Friedjof Donnerstoßvetters etwas unsanfter als geplant ausgefallen war.
"Danke." Kamerun Quetschkorn ließ sich auf den nächstbesten Barhocker fallen und lehnte Schild und Hildegard an den Tresen. Durstig griff er sich ein Bier und stürzte es in einem Zug herunter.
Der junge barbarische Held war zufrieden mit sich selbst. Trotz seiner schlechten Gemütsverfassung hatte er eine Schlacht geliefert wie schon lange nicht mehr. Insgeheim bedauerte er es, daß Raistan nicht zusehen hatte können. Manchmal, wenn sein Bruder in der richtigen Stimmung war, fügte er noch ein paar Spezialeffekte im Höhepunkt des Kampfes mit ein.
Nach und nach drängten sich auch die übrigen Kämpfer um die Theke und lobten sich gegenseitig für die gelungene Prügelei. Nur Friedjof Donnerstoßvetter wirkte nicht ganz glücklich.
Jemand lehnte sich an Kameruns Schulter und eine Hand strich ihm über den breiten Nacken.
"Du bist ja wirklich stark wie ein Bär."
Kamerun erkannte die Stimme gleich als diejenige Britia Nachtwinds. Die junge Stammeskriegerin der Schu-So-Le stammte aus den Steppen jenseits der Mitte und befand sich erst seit einigen Wochen in Ankh-Morpork. Vor der Schlägerei hatte er sich lange mit ihr unterhalten und ihr eine grobe Einweisung in die Kunst des Tavernenkampfes nach Punkten eingewiesen.
"Man tut was man kann." antwortete er diplomatisch und nahm sich ein weiteres Bier.
Britia schmiegte sich an ihn. Ihre Hand ruhte auf seinem Oberschenkel.
Warum eigentlich nicht, überlegte Kamerun. Ein wenig Ablenkung konnte er nach dem Grauen der letzten Tage gut gebrauchen. Außerdem war diese Barbarin zweifellos attraktiv in ihrem kurzen, gewisse Teile der weiblichen Anatomie betonenden Kettenhemd und den hohen, weichen Lederstiefeln.
Der junge Held legte sanft seinen starken Arm um Britias Taille.
"Ja, man tut wirklich was man kann." wiederholte er.
Private ErmittlungenAraghast hatte sein Ziel des Abends erreicht. Er war sturzbetrunken und empfand seit Tagen zum ersten Mal wieder so etwas wie Freude. Der Regen hatte seine Kleidung völlig durchnässt und Wasser lief ihm in Strömen über das Gesicht doch es kümmerte ihn nicht im geringsten. Die Rumflasche in seiner Hand war so gut wie leer.
Leise lachend blieb der Abteilungsleiter im Eingang eines Hauses stehen und sah über den Hier-gibts-alles-Platz hinüber zum großen Tor der Unsichtbaren Universität. Dort, in der großen Alma Pater Ankh-Morporks, hatte der Fall seines Lebens begonnen, den man ihm nun so schmächlich entzogen hatte. Die Komplettlösung lag ausgearbeitet in der obersten Schublade seines Schreibtisches.
Der Hexer von Ankh stieg in die Gewölbe unter dem Tempel des obskuren Fischgottes Thagon herab um die Beschwörung eines URALTEN RIESEN zu verhindern, kam dabei jedoch ums Leben und ein Teil des Dings das nicht sein durfte verblieb in der einstürzenden Kaverne. Als Herr Hong später zu einem denkbar unglücklichen Zeitpunkt seinen Imbiss eröffnete schlug es zu, denn es brauchte in Abständen frische Energie und zur Sonnenwende war seine Erscheinung am mächtigsten. Und dann kamen vor wenigen Tagen dieser Kaboltzmann und sein Trupp in die Kaverne und das Wesen nistete sich in einem von ihnen ein. Die Näherin hatte offensichtlich nur als Futter gedient. Und Ewein Krawunkel kam eindeutig nicht als Täter in Frage. Seine Augen waren nicht golden geworden und die Pupillen besaßen nicht die Form von Stundengläsern.Dunkel erinnerte sich Araghast daran gehört zu haben, daß Skilla sich die Zauberer noch einmal vorgenommen haben sollte. Doch was sollte so etwas schon bringen? Niemand der nichts von seinem zerebralen Gast ahnte gab freiwillig zu, besessen zu sein. Und laut Edwina Walerius waren die
Dinge aus den Kerkerdimensionen raffiniert. Sie konnten Menschen im Schlaf manipulieren und durch die Gegend dirigieren ohne daß diese sich später daran erinnerten.
Eine Welle der Hoffnungslosigkeit überspülte die vorübergehende gute Laune des Abteilungsleiters. Er stand allein sowohl gegen seine eigenen inneren Dämonen als auch gegen den Schatten des
URALTEN RIESEN. Die einzige Hoffnung, das Wesen aus den Kerkerdimensionen zu besiegen, war der Stockdegen, dessen Herkunft von seinen Kollegen so großzügig bezweifelt wurde.
Araghast ballte seine freie Hand zur Faust. So schnell würde er sich nicht ausbooten lassen. Wie er Edwina Walerius gebraucht hatte, so würden seine Kollegen ihn und sein Wissen brauchen bevor es zu Ende ging. Er allein konnte ihnen sagen was sie zu tun hatten wenn sich der Besessene erst einmal in ihren Fingern befand.
Und wieder würde FROG nur gebraucht werden um am Schluss die Drecksarbeit zu erledigen, ging ihm plötzlich durch den Kopf. Sie wurden gerufen wenn man jemanden benötigte der gut darin war, Gegner zu verprügeln, aber ansonsten waren sie lediglich schmückendes Beiwerk der Wache.
Eine leise, melancholisch Melodie fand ihren Weg in Araghasts Gehörgang. Irgendwo in der Nähe spielte jemand mitten in der Nacht auf einem Pianoforte. Unbewußt wippte der Abteilungsleiter mit dem Fuß im Takt mit. Aus unerklärlichen Gründen drückte die Musik genau aus was er in diesem Moment fühlte. Ein Bild erschien vor seinem Inneren Auge. Das Bild eines Mannes der in einem dunklen Büro hinter einem schäbigen Schreibtisch saß, vor sich eine Flasche und ein Schnapsglas. Ein Mantel ähnlich dem Kolumbinis hing an einem Haken neben der Glastür, auf welche spiegelverkehrte Buchstaben aufgemalt worden waren.
Araghast Breguyars Unterkiefer war ausgeprägt und knochig, sein Kinn ein scharf vorspringendes V unter dem ausdrucksvolleren, schmaleren V seines Mundes. Die rückwärts gebogene Linie seiner Nasenflügel bildete ein weiteres, kleineres V. Sein smaragdgrünes Auge lag waagerecht. Das V-Motiv wurde erneut von den Augenbrauen aufgegriffen, die von der leichten Doppelfalte über seiner Hakennase nach außen hin anstiegen, während sein rabenschwarzes Haar von den Schläfen aus zu einer Spitze auf der Stirnmitte hin zulief. Er sah eigentlich aus wie ein etwas lebendigerer Vampir.
Er sagte zu Leonata Eule: "Ja, mein Schatz?"
Sie war ein schlankes, hochgewachsenes und dunkelgelocktes Mädchen, der ihr schlichtes, edles Kleid wie angegossen an der korsettierten Figur saß. Ihre wunderschönen, haselnußbraunen Augen funkelten hinter den dicken Brillengläsern. Langsam zog sie die Tür hinter sich zu und sagte: "Draußen ist ein Mädchen, daß Sie sprechen möchte. Vanderby heißt sie."
"Eine Kundin?"
"Sieht so aus. Sie werden Sie aber auf jeden Fall sehen wollen, die reißt Sie vom Stuhl!"
"Immer herein mit ihr." antwortete Breguyar. "Immer herein." [6]Verwirrt schüttelte Araghast den Kopf. Was träumte er schon wieder vor sich hin? Lea war seine Braut und nicht seine Sekretärin. Und aufregende Frauen gehörten bei seinem Beruf so gut wie nie zur Tagesordnung. Die einzige aufregende Frau der er je im Laufe von Ermittlungen begegnet war hieß Leonata Eule.
Und Edwina Walerius, flüsterte eine leise Stimme in seinem Unterbewußtsein.
Ja, gab der Abteilungsleiter insgeheim zu. Und Edwina Walerius. Eine Frau der er, trotz der Informationen die sie ihm gegeben hatte und der seltsamen Faszination die sie auf ihn ausübte, immer noch nicht über den Weg traute. Die Geschichte, daß sie für Eddie Wollas Nachforschungen angestellt hatte und jetzt einfach nur neugierig war wie die Sache ausging klang zwar recht nett, aber nicht allzu glaubhaft. Ein derartiges Vermögen das nötig war um ihren Lebensstandard zu halten konnte Wollas ihr niemals gezahlt haben, nicht für alle teilweise vermutlich illegalen Untersuchungen der Scheibenwelt. Für wen arbeitete Edwina Dorothea Walerius von Schlaz wirklich? Und was waren ihre wahren Gründe, ihm ihre Hilfe anzubieten? Sein Instinkt teilte ihm mit, daß diese Frau gefährlich war. Aber war es nicht gerade die Gefahr, die ihn anzog?
Unwillkürlich mußte Araghast an Lea denken. Auch bei ihr verstand kaum jemand warum er sie liebte wie er noch niemals zuvor jemanden geliebt hatte. Aber sie war viel mehr als nur die altjüngferlich gekleidete, steife Rechnerin für die sie so viele hielten. In Leonata Eule steckte eine verwandte Seele. Beide waren sie schon früh vom Leben enttäuscht worden und hatten eine lange Karriere als belächelter Außenseiter hinter sich. Wenn es für Araghast eine Person in seinem Bekanntenkreis gab die ihm in puncto Schläue und Manipulation das Wasser reichen konnte dann war es seine Braut. Die genaue Rechnung die sie aufgestellt hatte betreffend der Zeit die sie auf die Inhumierung Ephraim Farrux' sparen mußte kannte er nur zu gut.
Sie wußte, daß er gerade einsam durch die Straßen lief und sich betrank weil ihn sein Beruf und seine Existenz wieder einmal zu sehr frustrierten. Vermutlich saß sie zur Zeit gerade selbst in einer Kneipe und haderte mit ihrem eigenen Leben als Tochter eines stadtbekannten Verräters. Lea war die einzige Person auf der gesamten Scheibenwelt der er beinahe alles erzählte.
Alles bis auf die wahre Natur der Bestie in ihm. Das blutige Erbe des Barons Alexeij Breguyar von Duschen-Duschen das an seinen Fersen klebte. Wieviele Familien hatte sein Vater auf dem Gewissen gehabt bevor ihm endlich jemand den vorübergehenden Garaus gemacht hatte? Wann würde ihn jemand aus Versehen wiedererwecken? Seitdem er kein Blut mehr trank spürte Araghast, wie der Vampir in ihm immer stärker wurde und es fiel ihm immer schwerer, ihn zu unterdrücken, so wie am Nachmittag, als er den Briefbeschwerer nach Nyvania geworfen hatte. Immer öfter verlor er die Beherrschung, was eigentlich nicht passieren durfte. Er hatte eine Abteilung zu leiten und dort konnte er sich keinerlei Schwächen erlauben. Aber tat er eben das nicht schon darin, daß er immer öfter seine Nase in die Flasche steckte? Mittlerweile war er kaum noch in der Lage, einen Tag ohne Rum durchzustehen. Selbst der Merkzettel mit der Aufschrift
NICHT EINEN TROPFEN!!! half ihm nicht mehr. Warum hatte sein Vater seine Mutter nicht einfach totbeißen können wie all die anderen sondern mußte sie unbedingt schwängern? Wenn der Hexer von Ankh noch am Leben wäre würde er, der Halbvampir, sicherlich einen würdigen Gegner abgeben. Er kannte all die Tricks der püschologischen Kriegsführung und machte ganz bestimmt nicht die üblichen dummen Fehler.
Doch bevor er sich irgendwelchen Hirngespinsten endgültig hingab hatte er einen Fall zu lösen.
"Ich kriege dich, Cthulhupalhulhu oder wer auch immer du bist!" rief Araghast in Richtung der geschlossenen Tore der Unsichtbaren Universität und schwenkte dabei die Rumflasche. "Darauf kannst du Gift nehmen!"
Während er in Richtung Wachhaus davontorkelte schlug die Glocke der Lehrergilde zwei Uhr.
Alptraum ohne ErwachenGleich zwei Wogen hallte die Stille durch die Unsichtbare Universität.
Raistan gähnte verstohlen und legte das Buch in dem er halbherzig gelesen hatte nieder. Er war schon wieder viel zu lange aufgeblieben. Im kalten Licht des Kristalls an der Spitze seines Zauberstabes trank er den letzten Schluck Kräutertee und stellte die Tasse beiseite. Unwillkürlich blickte er aus dem Fenster in den nächtlichen Regen und rekapitulierte in Gedanken den Abend.
Nachdem Rübensaat sich zum Forschungstrakt für hochenergetische Magie aufgemacht hatte war Raistan noch eine Weile im Ungemeinschaftsraum sitzen geblieben und hatte nachgedacht. Vielleicht war es doch falsch gewesen, der Wächterin nichts zu erzählen, selbst wenn die Informationen sie keinen Schritt weitergebracht hätten. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob Ewein nicht doch besessen war und es nur nicht gemerkt hatte. Und selbst wenn er die Näherin nicht ermordet hatte - es mußte jemand gewesen sein der ihn gut genug kannte um seine Unterschrift auf der Gildenquittung zu fälschen.
Ein flackerndes Licht in einem der Forschungslaboratorien erregte Raistans Aufmerksamkeit. Neugierig zählte er die Fenster ab. Kein Zweifel, es waren Kaboltzmanns Räume. Offensichtlich konnte auch der Professor nicht schlafen.
Vielleicht fragt er sich jetzt auch endlich, was er da angerichtet hat mit seiner Expedition, überlegte Raistan bissig und beobachtete, wie sich der dunkle Schatten Kaboltzmanns ruhelos vor den erleuchteten Fenstern hin- und herbewegte. Der Professor für angewandte Legendenforschung schien in ein reges Selbstgespräch vertieft zu sein, denn immer wieder wedelte er wild mit den Armen in der Luft herum.
Aus einer plötzlichen Laune heraus griff Raistan nach seinem Umhang und warf ihn sich über. Er mußte die Gelegenheit nutzen um mit Kaboltzmann endlich einmal vernünftig über die Vorfälle zu reden. Seine Hand schloß sich fest um den Zauberstab.
"Jetzt oder nie, Raistan Quetschkorn." murmelte er und verließ seine Kammer.
Die Korridore der Universität waren wie leergefegt. Lediglich drei deutlich betrunkene Studenten kreuzten Raistans Weg als er, in seiner dunklen Robe und dem schwarzen Umhang nur ein weiterer Schatten unter vielen, durch das Gebäude schlich. Die Labors befanden sich aus Sicherheitsgründen weitab von den Wohngebäuden in einem völlig anderen Flügel.
Überrascht stellte Raistan fest, daß die Tür zu Kaboltzmanns Laboratorium nur angelehnt war. Leises Gemurmel drang an seine Ohren. Er unterdrückte ein Husten und schlug die Kapuze zurück. Dann klopfte er mit dem unteren Ende seines Stabes dreimal kräftig gegen die Tür.
"Herein!" rief Kaboltzmann und der junge Zauberer stutzte. Die Stimme des Professors hatte einen seltsamen, lauernden Unterton. Vorsichtig schob er die Tür auf und betrat das Labor.
"Ah, Matschähre!" dröhnte Kaboltzmann überschwenglich und marschierte um den großen, steinernen Experimentiertisch herum um seinen Gast zu begrüßen. "Was verschafft mir die Ehre zu so später Stunde?"
"Ich will mit Ihnen noch einmal über die Imbissgeschichte reden." sagte Raistan ernst und zückte sein Notizbuch in das er sorgfältig alle Fakten die auf die er gestoßen war eingetragen hatte. "Sie wollten es nicht weiter verfolgen aber es gibt da einiges was Sie wissen sollten."
Der Professor für angewandte Legendenforschung lachte dröhnend. Seine Pranke schlug so kräftig auf Raistans Schulter, daß dieser in die Knie ging.
"Mach dir da mal keinen Kopf drüber, Junge, und geh wieder ins Bett. Alles ist bestens, glaub mir. Und das mit Ewein war nur ein Versehen. Den kriegen wir schon wieder aus der Zelle raus." Schmerzhaft bohrten sich seine Finger in den dünnen Oberarm des jungen Zauberers.
Raistan biß die Zähne zusammen und befreite sich mit einem Ruck. Etwas stimmte ganz und gar nicht.
Beschwichtigend breitete Kaboltzmann die Arme aus.
"Alles wird gut, Quetschkorn. Alles wird gut!"
Der junge Zauberer wich erschrocken zurück in Richtung Tür. Seine Gedanken rasten. Noch nie in seiner gesamten Universitätslaufbahn hatte der Professor ihn mit seinem richtigen Nachnamen angesprochen. Das hier war nicht Kaboltzmann der vor ihm stand.
"Wer bist du?" keuchte er und spürte die ersten feinen Nadelstiche in seiner Brust. "Was bist du?"
Ein plötzlicher Ruck ging durch Kaboltzmanns Körper und sein Gesicht begann sich zu den abenteuerlichsten Grimassen zu verzerren. Von jener eisigen, lähmenden Kälte gepackt die er bereits aus der Kaverne unter dem Imbiss kannte sah Raistan diesem lautlosen Kampf zu.
Plötzlich stolperte Kaboltzmann einen Schritt nach vorn, die Augen vor Panik weit aufgerissen, das Gesicht eine Maske des Schmerzes.
"Der Hexer!" kreischte er und fiel auf die Knie. "Der Hexer von Ankh, Matschähre! Nur der Hexer kann mich jetzt noch retten! Lauf um dein Leben! Es hat mich gleich! Der Hexer! Der Hexer!"
Während er noch brüllte veränderte sich der Schatten des Professors auf grausame Weise. Er begann, Beulen und Ausbuchtungen zu bilden, die langsam aber sicher anwuchsen. Plötzlich peitschte ein schattiger Tentakel durch die Luft. Kaboltzmann sackte in sich zusammen.
Mit pfeifendem Atem stolperte Raistan rückwärts aus dem Zimmer. Gerade als er die Tür gepackt hatte um sie zuzuziehen blickte der Professor auf und dem jungen Zauberer geradewegs in die Augen.
Die Iris des Wesens das einmal Emanuel Kaboltzmann gewesen war besaß die Farbe von funkelndem Gold und die Pupillen hatten die Form von Stundengläsern angenommen hinter denen die schwarze Ewigkeit gähnte und das Bewußtsein des Betrachters zu verschlingen gedachte.
Mit einer gewaltigen Willensanstrengung riß sich Raistan aus der mentalen Schlinge los, warf die Tür zu und trat einige Schritte zurück. Das Notizbuch fiel ihm aus der Hand, doch er bemerkte es nicht. Lautlos bewegten sich seine Lippen als er einen Feuerball beschwor und ihn mit einer geübten Handbewegung auf das Schloß warf. Von einer Welle glutartiger Hitze getroffen begann das Metall rot zu glühen und sich zu verziehen.
Raistan sackte gegen die Wand. Vor seinen Augen drehte sich alles. War Kaboltzmanns grausige Verwandlung Wirklichkeit gewesen oder begann er jetzt auch, ähnliche Halluzinationen wie der Rest des Expeditionstrupps zu bekommen?
Die Labortür erbebte in ihren Angeln. Jemand warf sich von innen mit aller Kraft dagegen um das mit dem Rahmen verschmolzene Schloß zu sprengen. Ein unmenschliches Fauchen hallte durch den Korridor. Und dann begannen die Umrisse der Tür in einem ungesunden grünen Licht zu glühen.
Entschlossen kniff sich Raistan in den Arm und zuckte zusammen als er den Schmerz spürte. Dies war kein Alptraum sondern die nackte Wirklichkeit. Wenn er nicht schnell handelte würde das
Ding ihn kriegen. Wegrennen kam nicht in Frage. Kaboltzmanns Körper war stark und gesund und er selbst würde keine Chance haben zu entkommen. Es blieb nur noch ein Weg.
Der junge Zauberer konzentrierte sich und streckte seine mentalen Fühler nach den dicken Mauern des Gebäudes aus. Mit beiden Händen umklammerte er seinen Zauberstab und öffnete sich der darin gespeicherten Magie. Jahrhundertealte Steinquader drückten auf sein Bewußtsein und drohten, sein selbst einfach zwischen sich zu zerquetschen. Vor Anstrengung traten feine Schweißperlen auf seine Stirn. Das grünliche Licht wurde stärker.
Schließlich fand Raistan, was er gesucht hatte. Ein haarfeiner Riß erstreckte sich im Fundament unter den sechs Stockwerken der Labore. Der junge Zauberer konzentrierte seine gesamten Gedanken auf diese kleine Spalte. Dann sprach er ein einziges Wort und ließ der Magie freien Lauf.
Die Wirkung war gewaltig. Krachend stürzte das Ende des Korridors ein und riß die oberen Etagen, das Labor, die Tür und das
Ding das sich dahinter befand dahinter befand zwei Stockwerke in die Tiefe. Mauerstücke von der Größe von Kleiderschränken sausten an der nun entstandenen Öffnung vorbei und schlugen dröhnend auf dem Steinhaufen im Hof auf.
Heftig hustend und nach Atem ringend sank Raistan auf die Knie. Erschöpfung schwappte über ihn wie eine gewaltige Woge und er fiel vornüber auf den staubbedeckten Boden und kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an. Stapelgabels mirakulöser Abrissbirne waren seit seiner Entwicklung bereits mehrere Zauberer zum Opfer gefallen, teilweise durch Überanstrengung und teilweise durch Steinschlag. Wie durch einen trüben Schleier nahm Raistan wahr wie die letzten Steine zu Boden fielen. Kurz darauf herrschte wieder Stille. Durch das nun zum Hof hin offen gähnende Ende des Korridors wurden einzelne Regentropfen hereingeweht.
Der junge Zauberer rollte sich auf die Seite und wartete, bis das Schwindelgefühl verschwunden war und er wieder Luft bekam. Ihm wurde bewußt, daß er soeben die halbe Seite des Ostflügels der Universität abgerissen hatte. Doch was dort unter den aberhunderten von Tonnen Schutt lag konnte gar nicht tief genug begraben worden sein. Dann war es also Kaboltzmann gewesen, der die Näherin auf dem Gewissen hatte. Raistan erinnerte sich zurück an den Imbiss und an das Gefühl, getestet worden zu sein. Sein eigener Körper war dem
Ding zu schwach gewesen und Kameruns Verstand wohl zu gering um sich darin einzunisten. In Kaboltzmann hatte es gefunden was es gesucht hatte. Intelligenz, gepaart mit magischem Können, Erfahrung und Körperkraft.
Mühsam setzte sich der junge Zauberer auf und krümmte sich gleich darauf unter einem erneuten Hustenanfall. Er musste von hier so schnell wie möglich verschwinden. Wenn jemand dahinterkam, daß er hinter dem Einsturz des halben Labortraktes steckte würde es böse für ihn ausgehen. Am ganzen Körper vor Erschöpfung zitternd und seinen Zauberstab als Stütze benutzend kam er schließlich auf die Beine und warf einen letzten Blick auf das gähnende Loch am Ende des Ganges. Er wollte nur noch schlafen und sich ausruhen.
Plötzlich ging ein kaum merkliches Zittern durch das Gebäude und ein dumpfer Paukenschlag, gerade noch an der unteren Grenze des Hörbaren, drang an Raistans Ohren.
"
Thuuuuul" schien eine körperlose Stimme zu flüstern.
Schlagartig wurde dem jungen Zauberer klar, daß es ihm nicht gelungen war, das
Ding zu töten. Und er war der einzige der von seiner Existenz im Körper Kaboltzmanns wußte. Grund genug, ihn zu jagen und zu ermorden. Je länger er hier stehen blieb desto wahrscheinlicher würde er gefunden werden. Er mußte irgendwohin verschwinden wo so schnell niemand nach ihm suchte.
Die Stadt. Kamerun. Seine eigene Schwäche verfluchend schleppte sich Raistan in Richtung Treppenhaus. Das Verlassen der Universität war die einzige Möglichkeit, länger am Leben zu bleiben als ein paar Stunden. Das
Ding würde vermutlich noch einige Zeit brauchen um sich aus dem Schutthaufen zu befreien.
Wenn doch nur sein Bruder hier wäre... Ein starker Arm der ihn festhielt wenn er vor Schwäche zu fallen drohte war das was er im Moment am dringendsten brauchte. Wie sollte er es in seinem Zustand überhaupt zum Studenteneingang, geschweige dann bis in die Ulmenstraße schaffen wo sein Bruder wohnte? Wieder schüttelte ein Hustenanfall seinen mageren Körper und Raistan wäre beinahe die Treppen heruntergestürzt. Metallischer Blutgeschmack erfüllte seinen Mund.
Gib auf, flüsterte die metaphorische Stimme der Vernunft ihm ins Ohr.
Du bist zu schwach."Nein!" keuchte der junge Zauberer erstickt und Blut lief ihm über das Kinn. "Niemals!"
Und während er aus dem Gebäude taumelte und ihm der Regen ins Gesicht schlug hallten Kaboltzmanns letzte Worte in seinem Kopf wieder.
Der Hexer von Ankh, Matschähre! Nur der Hexer kann mich jetzt noch retten!Die schwärzeste StundeMeister... Meister...
Meister der Puppen, wo gehst du hin
Macht in der Hand und Rache im Sinn
Erblindet im Hass und verloren im Zorn
Vergraben im Herzen der finstere DornLeise vor sich hinsingend stolperte Araghast die Treppe zum ersten Stock des Wachhauses hinauf. In der linken Hand schwenkte er die leere Rumflasche, während er sich mit der rechten am Geländer abstützte. Verwirrt sahen die beiden Tresenrekruten zu ihm hinauf, doch Araghast hatte sie völlig aus seinem Bewußtsein gestrichen. Mittlerweile hatte er jenen Zustand erreicht in dem ihm alles egal war. Selbst wenn die in Bereitschaftsraum sitzende FROG-Besetzung in diesem Moment aus dem Zimmer gekommen und ihm über den Weg gelaufen wäre hätte er ihnen nur ins Gesicht gelacht. Er stand am Rande der Klippe und unter ihm gähnte der endlos tiefe, rabenschwarze Abgrund.
Komm krieche schneller
Es wird niemals heller
Deinen Geist beschwör' ich
Sei deinem Meister hörigträllerte der Abteilungsleiter und torkelte in sein Büro. Bald würde er endgültig stürzen. Vor seinem geistigen Auge sah er sich bereits im Büro Hauptmann Ohnedursts sitzen und einige äußerst unangenehme Fragen zu unverhältnismäßiger püschischer Grausamkeit gegenüber Untergebenen und seinem Getränkekonsum während und auch außerhalb der Dienstzeit beantworten. Zu wem würde er wohl geschickt werden, Nyvania oder Venezia? Keine von beiden verstand sein Problem auch nur ansatzweise.
Araghast unterdrückte gerade noch den Impuls, die leere Flasche gegen die Wand zu werfen. Die einzigen deren Hilfe er wirklich gebrauchen hätte können hatten ihn mit der Begründung wieder fortgeschickt, daß er erstens kein Vampir und zweitens noch keine hundert Jahre alt war. Seitdem war der Zorn des Abteilungsleiters auf die Liga der Enthaltsamkeit stetig gewachsen. Regelmäßige Gruppensitzungen mit Gleichgesinnten und feste Rituale wären vielleicht seine Rettung gewesen, doch er war und blieb allein mit seinem Kampf den er im Begriff war zu verlieren. Er war dabei, sich Schritt für Schritt sein eigenes Grab zu schaufeln. Die Abteilung regierte er mittlerweile größtenteils durch püschischen Druck weil ihn ansonsten trotz seiner Fähigkeiten kaum noch jemand ernst nahm. Es konnte sich nur noch um Tage handeln bis Kanndra oder Valdimier ernsthafte Schritte ergriffen. Und dann kam der unvermeidliche Sturz in die schwarzen Tiefen aus dem ihn niemand mehr würde retten können bis auf die scharfe Klinge des Entermessers.
Mit einem dumpfen Pochen fiel die Rumflasche zu Boden und Araghast ging um seinen Schreibtisch herum, in Gedanken bereits Abschied nehmend. Er würde nicht einfach still und leise gehen. Eine spektakuläre Verhaftung am Ende des widerrechtlich gelösten Falls
Dreimal Glücklicher Fischimbiss war genau das richtige. Sein Vater, der Schlächter von Duschen-Duschen, würde stolz auf seinen Sohn sein.
"Da, bitte, Vater!" sagte Araghast mit nicht zu überhörender Bitterkeit in der Stimme und ließ sich schwer in seinen Schreibtischstuhl fallen. "Komm nur her und hol mich! Nach all den Jahren hast du es nun fast geschafft, mich durch dein Erbe zu einem der Deinigen zu machen, obwohl ich es nie gewollt habe. Komm her und hol mich, aber auch wenn du mich nun in deiner Hand hast, vergiß eins nie: Ich hasse dich für das, was du aus mir gemacht hast! Ich hasse dich für das Monster, das ich dank dir in mir trage und das mir das Leben zu Hölle macht und alles ruiniert was ich mir mühsam aufgebaut habe!"
Mit geballten Fäusten schlug der Abteilungsleiter auf die Stuhllehnen. Wahnsinn war erblich, das wußte er aus seinen Zeiten als Püschologe. Und sowohl bei seinem Vater als auch in der Familie seiner Mutter hatte es keinen Mangel an Verrücktheit gegeben, von dem krankhaft nach dem ewigen Leben geiernden Zauberer Salzhaar Sütterlin bis hin zu Araghasts hysterischer, von der Idee des Speziesismus besessener Tante Beatrice L' Etranger. Es war eine Illusion gewesen, sich bei solchen Vorfahren ein Leben in geistiger Gesundheit zu erträumen.
Die einzige Person um die es Araghast leid tun würde war Lea. Doch tat er ihr wenn er ging nicht letztendlich sogar einen Gefallen indem er sie aus der Verlobung mit einem Wahnsinnigen freigab? Sie hatte etwas Besseres verdient in diesem Leben als eines Morgens mit durchgebissener Kehle in den Kissen zu liegen weil die letzten Seile, die die Bestie im Moment noch gefesselt hielten, zerrissen waren.
Unwillkürlich strich Araghast über den Griff seines Entermessers, welches an seinem Gürtel hing. Lieber starb er als daß sein Wesen vollends von dem Vampir in ihm übernommen wurde. Doch noch war es nicht soweit. Der Stockdegen mit dem geheimnisvoll funkelnden Kristallknauf erschien vor seinem geistigen Auge und er wußte, was er zu tun hatte. Irgendwie mußte der Abteilungsleiter es schaffen, Skilla die Waffe abzuluchsen und damit das
Ding, das im Körper eines der Expeditionsteilnehmer steckte zu vernichten. Seine Intuition sagte ihm, daß der Degen die einzige Möglichkeit war, den Spuk zu beenden, doch funktionierte die Klinge auch in den Händen einer magisch völlig untalentierten Person die nicht die Macht des Hexers von Ankh besaß?
"
Parqua Le'i al Dumak" intonierte Araghast die magischen Worte feierlich und ließ seinen Blick über die Tischplatte schweifen.
Der Ruf des Cthulhupalhulhu lag immer noch dort wo er den Band am Abend zurückgelassen hatte. Ohne groß darüber nachzudenken schlug der Abteilungsleiter das Buch auf und begann zu lesen, wieder einmal bedauernd, daß die letzte Geschichte mittendrin einfach endete und es keine Fortsetzung gab. Nach wenigen Zeilen verschwammen die Buchstaben vor seinem Auge und sein Kopf sackte auf die Seiten. Sekunden später schlief Araghast tief und fest.
FluchtDie Mauer die das Grundstück der Universität von dem Rest der Stadt abgrenzte ragte wie eine unüberwindliche Barriere vor Raistan auf. Die Magie die er in seinem Stab gespeichert hatte war bei dem Zauber mit dem er gehofft hatte, das
Ding zu töten, verbraucht worden und seine eigenen körperlichen Reserven wagte er nicht weiter anzugreifen, nicht einmal für den einfachen Regenschutzzauber. Er zitterte am ganzen Körper vor Kälte und Nässe und immer wieder tanzten Sterne vor seinen Augen. Die Schmerzen in seiner Brust waren fast unerträglich und es kümmerte ihn nicht einmal mehr, wieviel Blut ihm über das Gesicht gelaufen war. Das einzige Ziel das er vor Augen hatte, war Kamerun zu erreichen und ihn um Hilfe zu bitten, diesen ominösen Hexer zu finden. Wenn dieser Mensch wer auch immer er war wirklich die letzte Möglichkeit darstellte, das Wesen welches von Kaboltzmann Besitz ergriffen hatte zu stoppen dann lag das Schicksal des Professors für angewandte Legendenforschung in seinen Händen. Und Raistan war der einzige der überhaupt wußte was zu tun war.
Mit zusammengebissenen Zähnen schleppte er sich auf den Studenteneingang zu und fiel hustend gegen die Ziegelsteinmauer. Wieder schrie ihn sein Unterbewußtsein an, aufzugeben. Doch Raistan Quetschkorn hörte nicht darauf. Wenn er jemals in seinem Leben aufgegeben hätte läge er jetzt schon seit über zehn Jahren im Grab. Entschlossen umklammerte er seinen Stab und machte sich daran, mit Hilfe der fehlenden Steine die Mauer zu erklettern.
Als er jedoch den Mauerkamm beinahe erreicht hatte verließ ihn seine Kraft völlig. Seine Hände fanden keinen Halt mehr an den glitschigen Steinen und der Zauberstab drohte ihm zu entgleiten. Gleich würde er fallen...
Jemand packte sein Handgelenk und hielt ihn fest.
"Ganz langsam." sagte eine volltönende Baritonstimme. "Schritt für Schritt."
Raistan sah nach oben.
Auf der Mauer saß ein hochgewachsener, dürrer Mann in mittleren Jahren und musterte ihn aus einem paar ernster, grauer Augen. Er trug einen dunklen Gehrock und sein feines, braunes Haar war zu einem Seitenscheitel frisiert. In seiner freien Hand hielt er eine brennende Zigarre.
Vorsichtig griff Raistan nach der Mauerkrone und legte den Stab darauf. Die Hand des Fremden zog ihn langsam aber bestimmt nach oben.
"Ein kleines Stück noch, dann hast du es geschafft." sagte der Unbekannte jenem ermunternden Tonfall den normalerweise Kindergärtnerinnen benutzen um einen ihrer Schützlinge dazu zu bewegen, wieder von dem Klettergerüst herunterzukommen das vor dem Aufstieg noch so einfach zu erklettern ausgesehen hatte.
Zu schwach um darauf zu antworten krabbelte Raistan auf die an dieser Stelle fast einen Meter breite Mauer und krümmte sich hustend zusammen. Undeutlich nahm er wahr wie der Fremde ihm auf die Schulter klopfte.
"Ruh dich einen Moment aus. Und wisch dir das Blut aus dem Gesicht. Du siehst aus als hätte dir jemand sämtliche Vorderzähne ausgeschlagen."
"Wie witzig." keuchte Raistan erstickt und suchte in seinem feuchten Ärmel nach dem Taschentuch.
Der Fremde nahm ungerührt einen Zug von seiner Zigarre und blies den Rauch durch die Nasenlöcher aus. Er benahm sich als wäre es natürlichste der Scheibenwelt, mitten in regnerischen Nächten auf Mauern zu sitzen und denjenigen zu helfen die hinüberwollten.
"Eine beachtliche Leistung." kommentierte er und wies mit einer weitreichenden Geste zum halb eingestürzten Laborflügel der Universität um den sich bereits einige rundliche Gestalten in Morgenmänteln und spitzen Hüten scharten. "Aber es wird
ihn nicht ewig aufhalten. Deshalb solltest du verschwinden sobald du wieder zu Atem gekommen bist.
Es wird dich jagen bis es dich entweder gefunden hat oder sein Ziel durch dich nicht mehr gefährdet ist."
"Wer sind Sie?" flüsterte der junge Zauberer heiser und schwang seine Beine über die Mauer. "Und woher wissen Sie über alles Bescheid?"
Der Fremde lächelte dünn.
"Spielt das eine Rolle?" fragte er. "Und jetzt gib mir deine Hand."
Wenige Minuten später, als er im Schatten einer Säule an der Wand des Gebäudes der Spielergilde lehnte und sich das ärgste Blut von Lippen und Kinn wischte fiel Raistan siedendheiß ein, was an dem Unbekannten auf der Mauer nicht gestimmt hatte. Trotz des Regens waren seine Kleider und sein Haar so trocken gewesen als säße er in einem der feinen Herrenclubs in Ankh.
Was sie verschwiegDas flackernde Licht des Kaminfeuers ließ unruhige Schatten über das reglose Gesicht des Hexers von Ankh tanzen. Papier raschelte leise als Edwina Walerius eine Seite des schweren, ledergebundenen Buches umblätterte, das vor ihr auf der Schreibtischplatte lag. Ein leichtes Lächeln spielte um die Lippen der ehemaligen Vampirjägerin und ihr Blick wanderte zu der tickenden Standuhr in der Ecke neben der Tür. Die verschnörkelten Metallzeiger verkündeten, daß es in Kürze Drei Uhr in der Früh schlagen mußte.
Edwina schenkte sich einen echten überwaldianischen Whisky aus einer gläsernen Karaffe ein und lehnte sich gemütlich in ihrem Schreibtischsessel zurück. Sie würde den Feldwebel ins Vertrauen ziehen, gleich in der Frühe. Er hatte es verdient, die ganze Geschichte des Stockdegens und des Hexers von Ankh zu erfahren. Zudem wollte sie die legendäre Waffe persönlich in Augenschein
nehmen und einmal in der Hand halten. Nachdenklich ließ Edwina ihr Getränk im Glas kreisen. Eigentlich war es doch Ironie des Schicksals schlechthin, daß der Stockdegen, ursprünglich geschaffen um Macht über die
Dinge aus den Kerkerdimensionen zu erlangen, letztendlich dazu benutzt worden war, sie zu bekämpfen.
Die Überwaldianerin klappte das Buch zu und strich mit der beringten Hand über das dunkelrote Leder des Einbandes und den goldgeprägten Titel.
Die Seelenschmiede
Philipp Howards KraftliebDer Feldwebel würde das Buch lieben, dem war sich Edwina sicher, auch wenn der erste Teil fehlte. Die Geschichte des vom Leben bitter enttäuschten Meisterzauberers Turisas Linistar, der vor gut achthundert Jahren von seinem Turm in Überwald aus mit Hilfe des Stockdegens und der
Dinge die Herrschaft über die Scheibenwelt ergreifen wollte besaß eine Faszination der man sich kaum entziehen konnte. Viele Jahre später gelangte der Stockdegen in die Hände Godric Adanas, des Hexers von Ankh, der die Waffe dazu gebrauchte, eben jene Wesen die Turisas zu beherrschen suchte, zu vernichten. Die ehemalige Vampirjägerin wußte, daß alles was in diesem Buch stand real war. Sowohl die Existenz Linistars als auch die des Hexers waren von verschiedenen Quellen erwähnt worden und irgendwann mußte dieser seltsame Philipp Howards Kraftlieb einmal alles Wissen zu diesem Thema zusammengetragen und zu einer Art Kompendium des Cthulhupalhulhu-Mythos zusammengefaßt haben. Dank Kraftlieb hatte der Roman-Hexer des Eddie Wollas bereits erfolgreich gegen diverse Abbilder Turisas Linistars und seiner Schrecken gekämpft.
Edwina stand auf und trat ans Fenster. Gleich silbernen Fäden fiel der Regen im Licht der Laterne über dem Eingang des Zentralfriedhofs vom Himmel. Eddie Wollas-Wetter, ging der ehemaligen Vampirjägerin durch den Kopf. Eine Nacht wie geschaffen für einen einsamen Anti-Helden der betrunken durch die Straßen lief und an seinem Leben zweifelte während sich im Hintergrund finstere Mächte zu erheben gedachten. In Nächten wie dieser ging der Hexer von Ankh um und kämpfte mit dem Stockdegen des Turisas Linistar gegen Ungeheuer.
Der Blick der Überwaldianerin wanderte zu dem Bild über ihrem Schreibtisch. Der von ihr beauftragte Künstler hatte wirklich ganze Arbeit geleistet.
"Auf dich, Godrric Adana." sagte Edwina und prostete dem Gemälde zu. "Und darrauf, daß ich morrgen endlich deine Waffe in die Fingerr bekomme."
BegegnungRaistan legte seine zitternden Finger um die heiße Teetasse und seufzte leise, als das Gefühl in seine kältestarren, klammen Hände zurückkehrte. Er nahm seine ganze Willenskraft zusammen um nicht ohnmächtig vom Barhocker zu kippen.
"Du siehst beschissen aus." stellte Hibiskus Dunhelm unverblümt fest und putzte ein Bierglas mit dem obligatorischen schmierigen Lappen der vermutlich schon so alt war wie die
Geflickte Trommel selbst. Die wohl berühmteste und berüchtigtste Taverne Ankh-Morporks hatte sich bereits halb geleert. Mehrere Gäste lagen schnarchend unter den Tischen und vier Zwerge an einem Ecktisch lallten völlig durcheinander
Von Bums nach hier vor sich hin. Ein lizenzierter Dieb schlich durch die Tischreihen und bückte sich hier und dort nach den Betrunkenen, um seiner Tätigkeit nachzugehen. Der Wirt beobachtete ihn stirnrunzelnd.
"Verdammte Diebe." knurrte er. "Bestehlen sogar hier drin meine Gäste. Aber was soll man machen, er hat eine Lizenz dafür."
Doch Raistan hörte nur mit einem halben Ohr hin. Vorsichtig, um nichts zu verschütten, hob er die Teetasse an die Lippen und nippte an dem heißen Getränk. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie der erste der vier Zwerge unter den Tisch sank.
"Nein, verdammt noch mal, eine Kollegin von Ihnen hat mir vor vier Monaten schon mal einen schwulen, unfähigen Taschenrechnerdämonen gestohlen. Hier ist die Quittung, Bitteschön. Und jetzt verzieh dich!" herrschte eine energische Frauenstimme den Dieb an.
Der Tee weckte Raistans Lebensgeister wieder so weit, daß er nicht mehr gegen den endgültigen Zusammenbruch ankämpfen mußte. Langsam ließen die Schmerzen in seiner Brust etwas nach und er konnte leichter atmen.
"Ist Kamerun noch hier in der Nähe?" fragte er den Wirt heiser.
Hibiskus Dunhelm lachte.
"Da kommst du aber weit zu spät. Der hat sich schon vor ein paar Stunden mit dieser kleinen Kämpferschnecke zu zünftigen Näharbeiten davongemacht. Ist halt ein echter Weibermann, dein Bruder."
Raistans Aufstöhnen ging in einen Hustenanfall über. Nur undeutlich nahm der junge Zauberer wahr wie sich ihm pochende Schritte näherten und ein Glas auf der Theke abgestellt wurde.
"Noch einmal das Gleiche, bitte." sagte die Frauenstimme die eben den Dieb fortgejagt hatte. "Und gut vollmachen, ja?"
Erschöpft lehnte sich Raistan auf den Tresen und drehte den Kopf.
Neben ihm stand eine hochgewachsene, schlicht aber elegant gekleidete Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren. Ihre wilden, dunklen Locken waren zu einer komplizierten Frisur aufgesteckt und auf ihrer langen, geraden Nase saß eine Brille mit runden Gläsern. In der Hand hielt die Dame eine massiv wirkende braune Lederhandtasche und einen hölzernen Gehstock mit silberfarbenem Griff.
"Geht's wieder?" fragte sie und lächelte.
Der junge Zauberer nickte nur matt und richtete sich mühsam auf. Unwillkürlich erschien das Bild eines Mannes im Frack, der an einem Klavier saß und eine getragene Melodie spielte, vor seinem geistigen Auge. Es schien in diesem Moment einfach
richtig zu sein.
"Du hast Blut auf den Lippen." bemerkte die Frau ungerührt. "Man könnte meinen, du kippst hier gleich tot vom Hocker, so schlecht siehst du aus."
Mit schief gelegtem Kopf sah sie zu wie Dunhelm einen doppelten Rum in ihr Glas füllte.
"Es ist nichts." zischte Raistan und kramte im Ärmel seiner nassen Robe nach einem Taschentuch. Vor Kälte und Erschöpfung zitterte er am ganzen Körper. Warum verschwand die Frau nicht einfach und ließ ihn in Ruhe? Er hatte schon genug eigene Probleme, ohne daß jetzt auch noch jemand anfing, ihn zu bemitleiden.
Doch statt zu gehen zog sie mit ihrem Gehstock einen weiteren Barhocker heran und setzte sich. Interessiert sah sie zu, wie sich der junge Zauberer die Lippen abtupfte.
"Du bist Raistan Quetschkorn, nicht wahr?" sagte sie.
Raistan zuckte zusammen und wich zurück. Seine rechte Hand tastete nach dem Zauberstab der neben ihm an der Theke lehnte.
"Woher kennst du mich?" fauchte er und hob die freie Hand abwehrbereit.
Die junge Frau lachte.
"Onkel Hieronymus beschrieb dich als den schlimmsten Streber den er je in einem thaumomathematischen Kurs gehabt hat." erklärte sie. "Er konnte es nie fassen, daß sich jemand tatsächlich für seine Vorlesungen interessierte. Kann es sein, daß wir heute ein wenig paranoid sind?"
Erleichtert ließ Raistan die Hand sinken. Hieronymus Bolzano-Weierstrass und seine von dem weitaus größten Teil der Zaubereistudenten gefürchtete Vorlesung in Thaumomathematik. Etwas regte sich in den hinteren Regionen seines Erinnerungsvermögen und drängelte sich nach vorn.
"Dann sind Sie seine Nichte, von der er wiederum uns lang und breit erzählt hat?" flüsterte er.
"Soso, was hat er denn erzählt? Daß ich eine klugscheißerische Schreckschraube mit Holzbein bin die er einfach nicht schafft zu verheiraten?" bemerkte die junge Frau mit einem Augenzwinkern und prostete ihm zu.
Während er nach seinem Tee griff schüttelte Raistan den Kopf.
"Er war bemerkenswert. Seine Erfindung war sein ganzer Stolz. Eine Art Hex auf der Basis von irrationalen Zahlen und einem starken Realitätsfeld."
"Und letztendlich hat er damit beinahe halb Ankh in die Luft gesprengt und mich dazu." Nachdenklich starrte die junge Frau in ihr Glas. "Typisch Zauberer." murmelte sie. "Am Ende macht es entweder immer Bumm oder irgendwelche Tentakelviecher versuchen die Welt zu erobern."
"Wie wahr." antwortete Raistan nach einer kurzen Pause und trank seinen Tee aus. Schaudernd erinnerte er sich an Emanuel Kaboltzmann und dessen Verwandlung.
"Sagen Sie, haben Sie je etwas von einem Hexer von Ankh gehört?" fragte er zögernd und hustete.
"Der Hexer von Ankh." Die junge Frau atmete tief durch. "Und ob ich von ihm gehört habe. Immerhin habe ich alle bisher erschienenen Bände gelesen. Mein Verlobter ist geradezu verrückt nach den Heften. Warum?"
"Ein... Freund hat mich gefragt wer der Mann ist und ich bin neugierig geworden." antwortete Raistan ausweichend. "Was meinen Sie mit Heften?"
"Der Hexer von Ankh ist eine Heftromanserie, geschrieben von einem Mann namens Eddie Wollas. Sie handelt von einer Art besonderem Zauberer der gegen
Dinge aus den Kerkerdimensionen und allerlei andere Spukgestalten kämpft. Stellenweise ist es wirklich richtig unterhaltsam."
"Unterhaltsam?" keuchte der junge Zauberer erstickt und krümmte sich in einem seiner Anfälle. Während er nach Atem rang und der Schmerz wie Feuer in seinen Lungen brannte rasten seine Gedanken. Es waren nur Geschichten. Der Hexer von Ankh existierte nicht wirklich. Kaboltzmann mußte in dem letzten Moment in dem er noch die Kontrolle über sein Bewußtsein besaß dieser Romanheld eingefallen sein. Mit zitternden Fingern griff Raistan in seinen Geldbeutel und zählte fünfzehn Cent ab, die er auf den Tresen legte.
Die junge Frau sah ihm ruhig zu.
"Willst du in deinem Zustand jetzt schon gehen?" fragte sie und in ihrem Tonfall schwang leichte Besorgnis mit.
Der junge Zauberer zog sich die Kapuze über den Kopf und wickelte seinen nassen Umhang eng um sich.
"Ich muß weg." krächzte er und hustete erneut. "Je länger ich hierbleibe desto mehr bringe ich Sie und alle anderen hier in der
Trommel in Gefahr. Es gibt dort draußen etwas, das Sie sich in Ihren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können, und es jagt mich." Er schloß seine langen, knochigen Finger um seinen Stab und sah der jungen Frau in die Augen. "Leben Sie wohl und retten Sie sich so lange Sie noch können."
Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ, schwer auf seinen Stab gestützt und immer wieder hustend, die Taverne.
"Verrückt." sagte Leonata Eule nur und leerte den Rest ihres doppelten Untervektor-Rums in einem Zug. In dem Blick des jungen Zauberers hatte etwas Gehetztes gelegen, gleich einem Tier, das direkt auf die Spitze des auf ihn gerichteten Bolzens starrte.
Hibiskus Dunhelm brummte etwas Zustimmendes und sah zu wie der letzte sturzbetrunkene Zwerg sich zu seinen Kameraden unter den Tisch gesellte. Der Dieb hatte sich schon vor einer ganzen Weile um den Inhalt einiger Geldbeutel reicher aus dem Staub gemacht.
Lea seufzte tief.
"Was soll man von Zauberern auch groß erwarten." bemerkte sie bissig. "Hocken den ganzen Tag in ihrer Universität und kommen auf komische Ideen wie die Sache mit Herrn Hongs Imbiss. Ich will gar nicht wissen, was dem jungen Quetschkorn über die Leber gelaufen ist. Da lob ich mir die Mathematik - sie spielt nicht mit Dingen herum die man besser in Ruhe lassen sollte."
"Halb vier!" rief der Wirt. "Letzte Runde vor Schluß!"
Als Lea eine halbe Stunde später ziemlich angeheitert nach Hause ging wurde sie in der Willkommensseife auf der Höhe Unheilsstraße von einem in vollem Galopp dahinrasenden Wagen der Nicht-ganz-Freiwilligen-Feuerwehr überholt. Fluchend richtete sie ihren Regenschirm in Richtung Straße um das ärgste Spritzwasser abzuwehren, während der betrunkene Gesang der Feuerwehrleute durch die Nacht schallte.
Ich liebe diese Stadt, dachte Lea sarkastisch als sie dem durch die Straße schlingernden Wagen nachsah. Sie bemitleidete die Personen, deren Haus in Flammen stand. Nicht umsonst hieß es, daß die Nicht-ganz-freiwillige-Feuerwehr grundsätzlich erst am Ort des Brandes eintraf wenn das Feuer bereits vor Langeweile von selbst erloschen war.
Nur nicht einschlafenDas süße, klebrige Getränk ließ Adrian Rübensaats Zähne schmerzen, doch entschlossen stürzte er den Inhalt der schlanken Metalldose hinunter. Er befand sich in jenem deliriumsähnlichen Zustand zwischen tödlicher Müdigkeit und manischer Aufgekratztheit der sich normalerweise nur nach einer durchzechten Nacht und anschließendem übermäßigen Kaffeegenuß einstellt. Doch Superbulle schien zu wirken. Immerhin war er bis jetzt noch nicht über den Glasröhren eingeschlafen die er Meter für Meter auf Sprünge überprüft hatte. Vor fast zwei Stunden war aus bisher unerklärlichen Gründen ein Teil des Labortraktes im Ostflügel eingestürzt und Rübensaat fragte sich immer noch ob es wirklich geschehen war oder sein überreizter Verstand ihm den Vorfall lediglich vorgegaukelt hatte und lediglich die Alchimistengilde ein paar Straßen weiter wieder einmal in Trümmern lag.
"Muss... weiter... den Apparat... überprüfen..." murmelte der Hex-Experte vor sich hin und warf die Dose über seine Schulter. Klappernd rollte sie über den Boden und kam schließlich auf der anderen Seite der Halle zur Ruhe.
Raistan Quetschkorn hatte gut reden von wegen wach bleiben, dachte Rübensaat. Der Schlaf rief ihn trotz des regelmäßigen Koffeinnachschubs mit süßen Stimmen, die ihn einlullten und bereits mehrmals dafür gesorgt hatten, daß er unsanft mit dem Kopf gegen einen Teil des Denkapparates geprallt war. Der Hex-Experte rieb sich die Augen. Fünf volle Dosen standen noch auf dem Hauptschaltpult, der Vorrat für den Rest der Nacht.
Ein plötzliches Gefühl von Hitze durchfuhr Adrian Rübensaats Körper und Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Unwillkürlich mußte er an Feuer denken.
"Schlaf ein!" wisperten die Stimmen in seinem Kopf und der Wille des Hex-Experten brach zusammen wie ein Kartenhaus. Mit einem leisen Seufzer glitt er zu Boden. Wenig später schallte regelmäßiges Schnarchen durch den Forschungstrakt für hochenergetische Magie.
FeuerDer schnellste Weg von der
Geflickten Trommel zur Ulmenstraße führte durch Willkommensseife, die leichte Straße und die Sirupminenstraße, doch Raistan hatte sich dagegen entschieden. Falls Kaboltzmann inzwischen herausgefunden hatte, daß er sich nicht mehr in der Universität befand, würde er sich vermutlich am ehesten auf den Hauptstraßen durch die Stadt bewegen. Und so stolperte der junge Zauberer durch zahllose dunkle Nebenstraßen, immer wieder Pausen einlegend um sich auszuruhen und seinen Husten in den Griff zu bekommen. Wenn es auf der Scheibenwelt ein Pandämonium gab so befand er sich gerade mittendrin, ging ihm durch den Kopf, als er erschöpft in einem Hauseingang in der Tonstraße lehnte. Doch sein praktischer Verstand arbeitete bereits auf Hochtouren. Zuerst galt es, Kamerun zu finden, die Frau rauszuwerfen und ihm die Lage zu schildern. Anschließend mußten sie so viel wie möglich über diese Romanhefte in Erfahrung zu bringen. Vielleicht handelte es sich bei der Sache mit dem Hexer lediglich im eine verschlüsselte Botschaft und Kaboltzmann hatte es nicht gewagt sich klarer auszudrücken weil das
Ding schon mithörte.
Doch zuerst einmal mußte Raistan es bis in die Ulmenstraße schaffen, die ihm gleichzeitig so nahe und so fern vorkam. Er war naß bis auf die Haut und konnte nicht sagen ob er noch die Kraft hatte, weiterzugehen. Entschlossen biß er die Zähne zusammen und stützte sich auf seinen Stab, dessen Holz leicht unter seinen kältestarren Fingern prickelte. Nur noch zwei Straßen und er hatte es geschafft.
Während er sich durch die verregneten Straßen kämpfte bemerkte er ein rötliches Glühen am Himmel vor sich. Je näher er der Ulmenstraße kam, desto stärker wurde es. Schon witterte er entfernten Brandgeruch.
Türen und Fenster begannen aufzuklappen und eine Stimme rief "Feuer!" Mehrere Bürger in hastig übergeworfenen Morgenmänteln und Schlafmützen eilten an Raistan vorbei und hetzten in Richtung des Lichtes.
"Wo brennts denn?" hallte eine Frauenstimme von oben durch die Straße. "Lohnt es sich?"
"Ulmenstraße." antwortete einer der Vorbeieilenden. "Beeilen Sie sich, sonst sind all die guten Plätze weg."
"Egon!" schallte es gleich darauf aus dem Dachfenster. "Egon! Wach auf! In der Ulmenstraße brennts, das müssen wir uns angucken!"
Raistan beschlich ein fürchterlicher Verdacht. War es möglich, daß Kaboltzmann... Er wagte es kaum, den Gedanken zu Ende zu führen. Seine letzten Kräfte mobilisierend lief er los.
Das zweigeschossige Haus in der Ulmenstraße brannte lichterloh. Fast zehn Meter hoch schlugen die Flammen in den Himmel. Trotz der späten Nachtstunde und des schlechten Wetters hatte sich in einigem Abstand eine beträchtliche Zuschauermenge eingefunden die das Geschehen eingehend kommentierte, während die Bewohner der umliegenden Häuser verzweifelt das Übergreifen des Brandes auf ihre eigenen Behausungen zu verhindern versuchten.
"Ruft mal jemand die Feuerwehr!" gellte eine Stimme verzweifelt durch das Prasseln des Feuers. Krachend stürzte der Dachstuhl des brennenden Hauses in einem Regen von Funken ein und die gaffende Menge wich erschrocken mehrere Schritte zurück.
Raistan beobachtete das Geschehen durch einen Nebel der Erschöpfung. Hustend und mit weichen Knien lehnte er sich auf eine Regentonne. Vor seinen Augen drehte sich alles und er kämpfte darum, nicht das Bewußtsein zu verlieren. Kaboltzmann mußte geahnt haben, daß er zu Kamerun fliehen würde und hatte gleich ganze Arbeit geleistet. Ein einziger flächendeckender Feuerzauber und die Bewohner des Hauses waren verloren gewesen, verbrannt in ihren Betten kaum daß sie auch nur erwacht waren.
Kamerun war tot. Raistan wollte es immer noch nicht glauben, daß sein Zwillingsbruder, sein großes, starkes, etwas dummes Gegenstück, den er trotz all der kleineren und größeren Reibereien und dem regelmäßigen glühenden Neid auf dessen Gesundheit über alles liebte, von einer Minute auf die andere nicht mehr da sein sollte. Dem jungen Zauberer war, als wäre in dem verheerenden Feuer auch ein Teil von ihm selbst gestorben.
Zitternd, mit einer Hand auf den Rand der Regentonne und mit der anderen auf den Zauberstab gestützt, richtete er sich auf. Stetig fiel der Regen auf das brennende Haus und löschte langsam die Flammen. Unter den Zuschauern wurden die Diskussionen erregter.
"Ich habs gesehen, ich sag euch, ich habs gesehen!" rief ein nicht mehr ganz nüchterner alter Mann. "Plötzlich machte es Puff und dann brannte alles! Da muß was explodiert sein!"
"Vielleicht eine illegale Sumpfdrachenzucht." schlug eine Frau vor. "Man stelle sich all die armen Tierchen ein, eingepfercht in eine kleine Wohnung. Wenn sich da einer aufregt und einen Schluckauf kriegt dann kann es zu einer Kettenreaktion kommen hab ich mal gelesen."
"Du liest zu viele von diesen komischen Katastrophenzeitungen, Irma. Es hat gebrannt. Ganz einfach. Und es war ein sehr schöner Brand, fand ich. Außerdem können wir froh sein, daß das Feuer nicht den halben Bezirk eingeäschert hat."
Das Läuten einer Glocke erklang in der Ferne, begleitet von Hufgetrappel und einer schief gesungenen Version von
Des Zauberers Stab hat einen Knauf am Ende.
"Pünktlich nachdem das Feuer beinahe schon aus ist." kommentierte Irma die Ankunft der Nicht-ganz-freiwilligen-Feuerwehr. "Und ihren eigenen Brand haben sie vorher auch schon fleißig gelöscht."
Raistan zog sich in einen schmalen Durchgang zurück und ließ sich auf einen Stapel Feuerholz sinken. Er hatte genug gesehen und gehört. Wenn es ihm erst wieder besser ging und er sich von den Strapazen der Nacht erholt hatte würde das
Ding für Kameruns Tod bezahlen. Der Regen lief dem jungen Zauberer über das Gesicht, doch er merkte es kaum. Sobald es hell wurde und es ihm soweit wieder besser ging, daß er weitergehen konnte würde er zur Wache gehen und eine komplette Aussage über das Vorgefallene machen. Das Wachhaus in der Kröselstraße befand sich nicht allzu weit von der Ulmenstaße entfernt, so daß er glaubte, es zu schaffen. Frierend zog Raistan seinen nassen Umhang enger um sich und schloß die Augen. Bilder eines Lebens zogen auf der Innenseite seiner Lider vorbei. Kamerun als kleiner, wohlgenährter Junge wie er die mageren Hühner über den Hof jagte. Kamerun im Alter von sechs Jahren in Mütterchen Knüppelkuhs Dorfschule, einen Kreidestift nach dem anderen abbrechend. Zum Schreiben hatte er nie eine besonders enge Beziehung entwickelt. Die nächste Erinnerung zeigte den neunjährigen Kamerun Quetschkorn stolz mit einer über die Schulter gelegten Kohlhacke. Dann sein strahlendes Gesicht als Raistan Hildegard aus dem Versteck im Stall geholt und ihm übergeben hatte, in der Nacht bevor sie vierzehnjährig mit dem Zauberer Fraktus Berggießhübel aus Sto Barrat fortgelaufen waren. Ein zwei Meter aufragender, mit Muskeln nur so bepackter Kamerun mit funkelndem Kettenhemd und glänzenden Waffen, der von Gorian Kules sein offizielles Mitgliedschaftsdokument der Gilde der Helden, Abenteurer und artverwandter Berufe ausgehändigt bekam. War dies tatsächlich erst zwei Jahre her? Und schließlich Kamerun wie er mit dem Brecheisen die Bretter vor der Tür von Herrn Hongs Imbiss heraushebelte, angefeuert von den gaffenden Bürgern.
Raistan seufzte und sank hustend in sich zusammen. Hier, in einem Zimmer in der Ulmenstraße, vermutlich in den Armen eines Tavernenschlägerflittchens, hatte das Leben seines Bruders viel zu früh nach kaum einundzwanzig Jahren geendet. Der junge Zauberer und vermutlich auch der Rest der Welt hatten immer geglaubt, daß er selbst der erste der beiden sein würde der mit dem Sensenmann ging. Was war er ohne Kamerun? Zusammen hatten sie ihre ganze Kindheit über von einem anderen Leben jenseits der endlosen Kohlfelder der Sto-Ebene geträumt und waren bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr nie länger als einen Tag lang voneinander getrennt gewesen. Kein Außenstehender hatte je verstanden welches Band die nach außen hin so unterschiedlichen Zwillinge so stark zusammenhielt. Sie gehörten zusammen wie Ankh und Morpork. Raistan konnte sich ein Leben ohne seinen Bruder nicht vorstellen. Es war keiner mehr da der ihn auffing oder stützte wenn ihn die Schwäche wieder einmal übermannte oder dem er die interessantesten Artikel aus der Times vorlas. Niemand mehr mit dem er sich so wunderbar necken konnte. Ein riesiges Loch befand sich an der Seite des jungen Zauberers, dort wo eigentlich Kamerun hingehörte. Ob sich in der Asche des Hauses noch Knochen fanden die sich anständig begraben ließen? Aber was auch immer geschehen mochte - Er würde, sobald er ein sicheres Versteck gefunden und das Hexer-Rätsel gelöst hatte, dem
Ding aus den Kerkerdimensionen den persönlichen Krieg erklären.
Während er weiter seinen düsteren Gedanken nachhing sank Raistan zwischen den Holzstapeln in einen unruhigen, kalten Halbschlaf aus dem ihn erst zweieinhalb Stunden später das Rumpeln von Paul Königs Müllabfuhrkarren wieder weckte.
IndizienWarum mußten Verbrechen wenn sie draußen stattfanden, das gerade immer in üblen, regnerischen Nächten tun?
Feldwebel Larius de Gardes Laune befand sich auf dem absoluten Nullpunkt als er über den notdürftig abgesperrten Tatort stapfte. Im Inneren der ausgebrannten Ruine waren Akkhuna Lupus, Gnomen est Nomen und Olga-Maria Inös dabei, nach Spuren von Pulver Nummer Eins, Überresten von Sumpfdrachen und anderen leicht brennbaren Substanzen zu suchen. Und alles nur weil ein übereifriger Bürger der Meinung gewesen war, daß es sich bei dem Brand in der Ulmenstraße um Brandstiftung gehandelt hatte. Verstohlen sah der Feldwebel auf die mitgebrachte Taschenuhr. Fast halb sechs. Also stapften sie hier schon eine knappe Stunde lang im Regen durch die Trümmer und suchten nach Leichen und Beweisen. Vier bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Tote hatten sie bereits gefunden und Larius konnte nicht gerade von sich behaupten, die Kollegen von der Gerichtsmedizin zu beneiden. Das Identifizieren von Brandopfern war immer eine heikle Sache, da von ihnen selten mehr als schwärzliche Reste übrig blieben.
Fluchend kletterte der Spurensicherer über einige verkohlte Holzbalken und gesellte sich zu Olga, die desinteressiert mit einem Stab in einer Mischung aus Asche, Dreck und Regenwasser herumstocherte.
"Was gefunden?" fragte er.
Die Gefreite schüttelte den Kopf.
"Nicht daß es hier noch viel zu finden gibt, Sör." sagte sie und lehnte sich auf ihren Stecken. "Das Feuer war ziemlich gründlich. Ich habe vorhin eine Taube zum Pseudopolisplatz geschickt, damit sich jemand von RUM um die Frage kümmert wer hier überhaupt gewohnt hat."
"Gut gemacht." lobte Larius und schüttelte das Wasser von seinem ledernen Umhang. Suchend sah er sich um. "Wo sind die anderen beiden?"
"Gnomen sitzt neben der Absperrung und vertreibt die nicht vorhandenen Schaulustigen. Und Akky schaut sich gerade auf die andere Weise um." Olga zuckte mit den Schultern und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Öltuchjacke über die Brillengläser, was jedoch lediglich zur Folge hatte, daß sie nun alles durch eine Art schlierigen Nebel betrachtete.
"Auch wenn sie außer verbranntem Holz kaum etwas riechen wird." bemerkte Larius. "Na ja, soll sich RUM um den Rest kümmern. Wir haben die Leichen hier rausgeholt und mehr können wir nicht tun."
"Hallo? Hört mich jemand?" rief eine männliche Stimme aus der Richtung der Straße.
Larius und Olga spähten über eine halb eingestürzte Wand.
Neben dem Eselskarren der Spurensicherung stand eine kleine Gestalt und hielt sich einen zusammenklappbaren Regenschirm über den Kopf.
"Kolumbini, das ging aber schnell." freute sich der Feldwebel und beeilte sich, zu seinem Kollegen zu gelangen. "Hast du schon gehört? Du darfst die Nachbarn befragen."
"Und mir ihre schlechte Laune antun weil ich sie mitten in der Nacht aus dem Bett werfe um ihnen dumme Fragen zu stellen." gab der kleine Ermittler zurück und musterte stirnrunzelnd die dunklen Fenster der umliegenden Häuser.
Das Knirschende Geräusch von verkohltem Holz unter Schuhsohlen erklang und Akkhuna Lupus gesellte sich zu den beiden, ihren Umhang zuknöpfend.
"Weder Pulver Nummer Eins noch sonstige Rückstände brennbarer Substanzen." erstattete sie Bericht. "Allerdings gab es da noch etwas ganz Seltsames, ein leichter Dunst von..." Die Werwölfin zögerte kurz. "Eine Art Purpur-Grün mit funkelnden Punkten."
"Hmmmm..." Larius rieb sich nachdenklich das Kinn.
"Oktarin." sagte Kolumbini plötzlich. "Es scheint, hier war in irgendeiner Form von Magie im Spiel."
Gehen wir zu mir oder zu dir ist wahrscheinlich bei den meisten humanoiden Spezies im Multiversum die wichtigste Frage wenn es um Paarungsrituale geht.
In diesem Fall war es die Frage die Kamerun Quetschkorn unwissentlich das Leben gerettet hatte. Britia Nachtwind besaß eine kleine Wohnung in der Morphischen Straße, was für den jungen barbarischen Helden das ausschlagende Argument gewesen war, daß sie zu ihr gingen und nicht zu ihm. Madame Pumpernickel reagierte grundsätzlich sehr empfindlich auf Damenbesuch und Kamerun hatte keine Lust, das Verhältnis zu seiner Zimmerwirtin mehr als nötig zu gefährden.
Glücklich ein Lied von Flavius Ernestus Strawinskovitsch vor sich hinsummend bog er von der Sirupminenstraße in die Ulmenstraße ein und dachte an die vergangene Nacht zurück. Britias Nähtechniken hatten alles übertroffen was er bisher erlebt hatte und anschließend war er in ihren Armen eingeschlafen. Kein einziger Alptraum hatte seinen Schlaf gestört bis ihn schließlich das ohrenbetäubende Gekreisch eines liebeskranken Katers um kurz vor sechs geweckt hatte. Auf Zehenspitzen war er fortgeschlichen um den Schlaf seiner Angebeteten nicht zu stören und hatte einen Zettel mit seiner Adresse sowie einige Schneeglöckchen aus dem Blumenkasten der Nachbarin auf dem Küchentisch zurückgelassen.
Kamerun seufzte leise und fühlte ein leichtes, süßes Ziehen in der Brust als er an Britia dachte. Er war verliebt und nicht einmal der anhaltende Regen konnte seine Hochstimmung trüben. Raistan würde ihn zwar vermutlich auslachen, aber was wußte sein Bruder, der bei seiner Ernennung zum Magus Ordinadingsbums die Enthaltsamkeit geschworen hatte, schon von Liebe.
Der Geruch kalter Asche stieg dem jungen barbarischen Helden in die Nase. Irgendwo in der Umgebung mußte es im Laufe der Nacht gebrannt haben, und zwar kräftig.
Die Ulmenstraße bildete die natürliche Barriere zwischen den Schatten und dem Rest der Stadt und beschrieb einen weiten Bogen am Rand des verrufensten Viertels Ankh-Morporks entlang. Und so sah Kamerun den Eselskarren der Stadtwache, der vor den verkohlten Überresten des Hauses in dem er wohnte stand, erst als er nur noch knapp hundert Meter entfernt war.
Erschrocken fiel der barbarische Held in Laufschritt und seine Hand tastete nach dem Schwertgriff. Mit einem leisen Scharren glitt Hildegard aus der Scheide.
"Halt, Stadtwache!" rief jemand als er sich bis auf zwanzig Meter genähert hatte. "Runter mit der Waffe, aber schnell!"
Kamerun kam stolpernd zum Stillstand und senkte das Schwert. beinahe dämlich glotzte er die ausgebrannte Ruine an.
"Ich habe hier gewohnt." sagte er tonlos.
Ein kleiner Mann in einem zu großen Mantel trat in das Blickfeld seiner Umhangkapuze. Über den Kopf hielt er einen Regenschirm und in der freien Hand eine Dienstmarke in einem Lederetui.
"Inspäctor Kolumbini, Ankh-Morpork Stadtwache." stellte er sich vor. "Sie sagten gerade, Sie haben hier gewohnt?"
Immer noch wie betäubt steckte Kamerun sein Schwert weg.
"Ja, bei Frau Pumpernickel im Erdgeschoß." erklärte er.
"Dann sind Sie wie es scheint der einzige Überlebende wenn die Aussagen der Nachbarn über die Bewohner stimmen." stellte der Wächter fest. "Am Besten kommen Sie mit mir zum Wachhaus, da können wir die Vernehmung im Trockenen durchführen."
Eine gute Dreiviertelstunde später wußte Kamerun kaum noch wo ihm der Kopf stand. Der Aussage des Wache-Korporals nach war das Haus höchstwahrscheinlich durch einen Zauber in Brand gesteckt worden und so schnell niedergebrannt, daß keiner der schlafenden Bewohner hatte entkommen können. Zudem schienen die Wächter sehr interessiert an Kameruns Verstrickung in den Fischimbiss-Fall zu sein und eine junge, vampirisch aussehende Wächterin hatte ihn mehrmals gefragt ob er von irgend etwas besessen wäre. Doch was den jungen barbarischen Helden wirklich beunruhigte war die Tatsache, daß im Laufe der Nacht ein Teil des Laborflügels der Unsichtbaren Universität eingestürzt war. Der Ermittler der ihn verhörte hatte es nur nebenbei erwähnt, doch bei Kamerun hatten sogleich sämtliche Alarmglocken geläutet. Sein Instinkt sagte ihm, daß der Einsturz etwas mit den Ereignissen der letzten Tage zu tun haben mußte, auch wenn er sich nicht erklären konnte was dort vorgefallen sein könnte. Kamerun Quetschkorn war kein besonders schneller Denker, doch wenn er irgendwo eine Gefahr witterte behielt er meistens recht.
Hektisch sprang er auf und beugte sich über den kleinen Ermittler der gerade ein Formular ausfüllte.
"Sie müssen mir helfen!" rief er beinahe flehend. "Mein Bruder schwebt wahrscheinlich in Lebensgefahr! Da ist etwas passiert in der Uni!"
Des Bettlers Freud und LeidBlixus Schüttelfrost, Brummler zweiter Klasse der Bettlergilde, kauerte sich tiefer in seinen notdürftigen Regenschutz aus zwei Fässern und mehreren darübergelegten Brettern. Seit über zwei Tagen regnete es nun schon ununterbrochen und es der Himmel sah nicht danach aus, daß der heutige Tag trockener werden würde. Mißmutig ließ der Bettler seinen Blick über die Kröselstraße schweifen. Wetter wie dieses war geradezu fatal für das Geschäft. Die Bürger neigten noch mehr als sonst dazu, ihn einfach zu übersehen wenn er leise vor sich hinbrummelnd in seinem Verschlag saß. Wenn er doch nur nicht andauernd durch die Prüfung zum Brummler erster Klasse durchfallen würde...
Während sich Blixus für den Tag einrichtete und seine mitgebrachte Taschenflasche um den ersten Schluck Knieweich des Tages erleichterte wurde es langsam hell und gedämpft durch das Geräusch des auf die Straße prasselnden Regens konnte der Bettler eine Glocke dreiviertel sieben schlagen hören. Zufrieden brummte er. Bald würden die ersten Rekruten zum Dienst erscheinen. Zwar waren Wächter fast nie besonders spendabel doch immerhin passierte wenigstens etwas. Wieder einmal erschien Blixus die Langeweile, abgesehen von dem geringen Einkommen, als der größte Nachteil des standortgebundenen Bettelns. Als Brummler zweiter Klasse stand ihm lediglich ein Platz in einer weniger belebten Straße in einem der ärmeren Viertel Morporks zu. Wütend dachte Blixus an Bettlermeister Handauf und dessen verzerrtes, schadenfrohes Lächeln als er Blixus seine Prüfungsnote präsentiert hatte. Es brauchte zwei weitere Schlucke Knieweich um diese Erinnerung fürs erste zu verbannen.
Plötzlich sah der Bettler eine undeutliche Gestalt am Ende der Straße auftauchen. Sie schwankte und schien sich auf etwas zu stützen.
Na da ist mal wieder jemand zu lange in der Kneipe gewesen, ging Blixus durch den Kopf. Typisch Wächter. Wären nicht mal gut genug für die Bettlergilde. Während er den ganzen Tag hier draußen in seiner zugigen Ecke hockte ließen sie es sich im warmen, trockenen Wachhaus gutgehen und soffen sich anschließend abends in ihrer Stammtaverne die Hucke voll. Der Kerl der hier angetorkelt kam hatte eine Standpauke von seinem Obermotz auf jeden Fall verdient.
Hämisch grinsend genehmigte sich Blixus ein weiteres Schlückchen Knieweich, verkorkte die Flasche sorgfältig und verstaute sie in dem Berg aus Lumpen der seine Arbeitskleidung darstellte. Der Bettler war stolz auf sein Trinkverhalten. Er schaffte es immer, sich seine Ration so einzuteilen, daß es für den ganzen langen Arbeitstag reichte.
Mittlerweile befand sich die Gestalt fast auf der Höhe seines Unterschlupfes. Neugierig beugte sich Blixus vor, um Einzelheiten zu erkennen.
Es handelte sich um einen jungen Mann. Er trug das lange Gewand eines Zauberers und einen dunklen Umhang. Schulterlanges Haar hing ihm triefend ins Gesicht und er stützte sich schwer auf einen langen Stab, in dessen oberem Ende ein Kristall eingelassen war.
"Hmmm." brummte Blixus und räusperte sich. Dann begann er zu brummeln.
"Eine kleine Spende für die Armen... für die Krummen und die Lahmen... habt Erbarmen..."
Doch der junge Zauberer beachtete ihn nicht im geringsten sondern schleppte sich mühsam weiter. Immer wieder krümmte sich sein magerer Körper unter Hustenanfällen.
Schließlich gab Blixus die Brummelei auf und lauschte bewundernd. Der Junge hatte das mit der Husterei wirklich drauf, das mußte man ihm lassen. Von ihm könnte so mancher Gildenbettler noch was lernen. Interessiert beobachtete der Brummler zweiter Klasse, wie der Zauberer auf das Wachhaus zustolperte, sich die ersten beiden Stufen der Treppe zur Tür hinaufkämpfte und zusammenbrach. Die Kröselstraße kehrte zu ihrer frühmorgendlichen Stille zurück und der Regen fiel gleichmäßig auf die Pflastersteine, das Dach von Blixus' Unterschlupf und die reglos daliegende Gestalt vor der Wachhaustür.
Die SucheNeugierig untersuchte Kolumbini die gewaltsam aufgebrochene Zimmertür und klopfte auf seinem Glasauge herum. An den Ängsten dieses etwas beschränkten Muskelberges der mit besorgter Miene jeden seiner Schritte genau beobachtete schien doch etwas dran zu sein. Zuerst war der Ermittler gar nicht glücklich gewesen einer vermutlich völlig haltlosen Spur nachzugehen. Der Imbiss-Fall, beziehungsweise die tödlichen Begleiterscheinungen wie die Näherin, waren Romulus' Sache. Doch der lag noch daheim in seinem Bett und ärgerte sich wahrscheinlich wieder einmal über die nächtlichen musikalischen Übungen seines Nachbarn auf der Überwaldianischen Arschgeige.
Vorsichtig stieß Kolumbini mit seiner behandschuhten Hand die Tür auf und betrat die kleine Kammer die von dem Magus Ordinarius (UU) Raistan Quetschkorn bewohnt wurde.
Das Zimmer erweckte in dem Ermittler den Eindruck als ob der Besitzer jeden Moment zurückkommen würde. Das gemachte Bett war von einer blauen Tagesdecke bedeckt und auf dem Fensterbrett blühte eine verfrühte Topfpflanze. Leichter Kräutergeruch lag in der Luft.
"Fehlt irgend etwas?" fragte Kolumbini und trat an den Schreibtisch. Die aus dunklem Holz bestehende Tischplatte war leer bis auf ein aufgeschlagenes Buch, einen Zettel mit einer latatianischen Aufschrift und eine Teetasse in der sich noch eine winzige Pfütze befand. Vorsichtig hob Kolumbini das Buch an um auf den Titel zu schauen.
Knödel, Drescher, Teich - Eine endlos gewundene Schnur las er verwundert und warf einen Blick auf die aufgeschlagene Seite, gab das Lesen jedoch schon nach sechs Zeilen auf. Der Text handelte von einer Mischung aus Mathematik, Magie und klassischer Musik, alles Dinge mit denen der Ermittler im Moment so wenig wie möglich zu tun haben wollte.
"Sein Umhang fehlt." stellte der Muskelprotz im Kettenhemd fest. "Und Berggießhübels Stab."
Kolumbini legte das Buch zurück.
"Berggießhübels Stab?" fragte er. "Was ist das?"
"Der Zauberstab der dem Kleinen gehört. Er hat ihn von seinem früheren Meister bekommen als der nach einem Trolltritt im Sterben lag. Ein ganz erstaunliches Ding. Wenn mein Bruder das richtige Wort sagt leuchtet der Kristall am oberen Ende und man braucht keine Fackeln mehr. Außerdem springt, wenn man das untere Ende auf die richtige Art dreht, eine Klinge unten heraus. Und wenn man die Spitze abschraubt hat man auch einen Korkenzieher.
[7]"
"Bemerkenswert." kommentierte der Ermittler trocken. "Und Sie glauben, Ihr Bruder ist weggegangen und hat sein Zimmer abgeschlossen, so daß wer auch immer es war der später gekommen ist, die Tür hat aufbrechen müssen?"
"Der Kleine würde nirgendwo ohne den Stab hingehen." Nachdenklich kratzte sich der riesige barbarische Held am Kinn.
Kolumbini klopfte gegen sein Glasauge und sah aus dem Fenster in den beginnenden Tag. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes war der Universitätsgärtner mit einigen Gehilfen dabei, den riesigen Schutthaufen abzutragen der von den mittwärts zeigenden Räumen des Flügels übriggeblieben war. Der Ermittler dachte nach. Bis auf die aufgebrochene Zimmertür gab es auf den ersten Blick keine Anzeichen die auf ein Verbrechen hinwiesen, weder Kampfspuren noch fehlende wichtige Gegenstände. Dennoch beschlich ihn ein ungutes Gefühl.
Das Klirren von Kettenpanzer und Waffen bedeutete ihm, daß sein Begleiter neben ihn getreten war und gemeinsam fuhren sie fort, aus dem Fenster zu starren. Gedankenverloren zog Kolumbini seine Teezutaten aus dem MANTEL und begann, sich eine Tasse Tee zuzubereiten. Er wurde das Gefühl nicht los, daß etwas bei diesem Fall fehlte.
"Araghast." murmelte er plötzlich und verstaute Kanne, Milch und Honig wieder in seinem magischen Trenchcoat. Das war es. Kolumbini wurde bewußt, daß er die Zusammenarbeit mit dem leicht verrückten ehemaligen Püschologen schmerzlich vermisste. Zusammen hatten sie schon mehrere okkult angehauchte Fälle mehr oder weniger erfolgreich gelöst. Araghast Breguyar hätte bestimmt für alles eine Erklärung gefunden, doch leider hatte man ihm den Fall soweit er mitbekommen hatte offiziell entzogen und dieser kleinen Okkultismusexpertin zugeteilt die sich eher dafür zu interessieren schien wie toll ihr Posten war als sich wirklich mit der Materie auszukennen.
Der Ermittler trank einen Schluck Tee und versuchte, wie sein halbvampirischer Freund zu denken. Letztendlich neigte Araghast immer dazu, den gesamten Fall als eine einzige Verschwörung zu betrachten und ging davon aus, daß alles irgendwie zusammenhing. Davon ausgehend begann er, die einzelnen Verbindungen herauszufinden und das Puzzle zusammenzusetzen.
Angefangen hatte alles mit dem
Dreimal glücklichen Fischimbiss, so viel wußte Kolumbini. Mittlerweile saß einer der an der Expedition Beteiligten in einer Zelle im Wachaus weil er in Verdacht stand, eine Näherin getötet und ihr Gehirn verspeist zu haben. Und nun war ein Zweiter der an dem Fall beteiligt war scheinbar plötzlich fortgegangen und das Haus eines Dritten unter Einwirkung von Magie bis auf die Grundmauern niedergebrannt worden. Das Bett im Zimmer war unberührt, also mußte Raistan Quetschkorn im Laufe des späten Abends oder der frühen Nacht verschwunden sein.
Draußen im Regen mühten sich der zwergische Gärtner und seine Gehilfen damit ab, ein besonders großes Mauerbruchstück zum Abtransport zu zerlegen.
"Wann ist das Gebäude ungefähr eingestürzt?" fragte sich Kolumbini leise selbst. Ein Verdacht begann, in ihm zu reifen.
"Und was ist wenn Ihr Bruder etwas mit dem Einsturz dort drüben zu tun hat?" wandte er sich an den riesigen barbarischen Helden.
Dieser wurde bleich.
"Sie meinen doch nicht, daß er..." stammelte er.
"Wer weiß." gab Kolumbini zurück. "Wenn jemand mit Magie Ihr Haus niedergebrannt hat, warum sollte er dann nicht auch Ihren Bruder unter sechs Stockwerken Gebäude begraben? Ich habe das Gefühl, daß es jemand auf Ihren ganzen Trupp abgesehen hat."
Der muskelbepackte Kämpfer war auf das Bett gesunken und Tränen standen ihm in den Augen.
"Der Kleine darf nicht tot sein." sagte er tonlos. "Er war kurz davor, alles herauszufinden! Und ich habe ihn nicht beschützen können..."
Während er distanziert beobachtete wie der junge barbarische Held still vor sich hinweinte legte sich Kolumbini seine Theorie noch einmal genauer zurecht. Scheinbar war Raistan Quetschkorn dem Täter oder dem Besessenen oder wer auch immer für den Mord an der Näherin verantwortlich war zu nahe auf die Schliche gekommen. Wohlwissend war er geflohen und hatte sich im gegenüberliegenden Flügel versteckt. Der Mörder brach die Zimmertür auf und fand das Zimmer leer, woraufhin er die Universität absuchte und schließlich das Gebäude einriß in dem sich Raistan versteckt hielt. Und um sicher zu gehen, daß niemand erfuhr wer er wirklich war versuchte er gleich darauf, auch Kamerun Quetschkorn zu eliminieren, denn er konnte nicht wissen, wie viel der junge Zauberer seinem Zwillingsbruder anvertraut hatte. Einen Augenblick lang überlegte Kolumbini, einen Spurensicherungstrupp holen zu lassen, doch verwarf die Idee gleich darauf wieder. Wenn sich unter den Trümmern tatsächlich die zermalmten Einzelteile eines menschlichen Körpers befanden konnte es Tage dauern, sie zu finden.
"Kommen Sie." sagte er zu dem todtraurigen jungen Krieger und steckte seine leergetrunkene Teetasse ein. "Wir sehen uns den stehengebliebenen Teil des Gebäudes mal an. Vielleicht finden wir da ein paar Spuren."
Zwar konnte sich der Ermittler einen besseren Zeitvertreib vorstellen, als in Begleitung eines nicht gerade mit Intelligenz gesegneten Nachwuchshelden durch ein halb abgerissenes Gebäude zu tappen, doch seine Abteilungsleiterin würde nicht sehr glücklich darüber sein wenn er nicht jeder Spur nachging. Deshalb fügte sich Kolumbini mißmutig in sein Schicksal.
Kampf der BrüderAraghast stand in einem dunklen Tal. Links und rechts von ihm ragten schroffe Berge pechschwarz in den mondlosen Nachthimmel. Kein Lüftchen regte sich und eine bleierne Stille hatte sich auf die Landschaft gelegt. Eine schleichende Bedrohung lag auf der gesamten Szenerie.
Die Ruhe vor dem Sturm, dachte der Abteilungsleiter und klopfte nachdenklich gegen seine Augenklappe. Im schwachen Schein der Sterne konnte er einen Weg vor sich erkennen. Da er nicht wußte was er sonst tun sollte marschierte er los.
"Es ist alles nur ein Traum, Bregs." sagte er laut zu sich selbst. "Du hast mal wieder mehr gesoffen als gut für dich war und das hier ist jetzt die Quittung dafür. Na warte, und gleich kommen bestimmt wieder die dunklen Kavernen und die Tentakelviecher weil du kurz vor dem Einschlafen wieder im Cthulhupalhulhu gelesen hast." Mißmutig trat er nach einem losen Stein. Dieser flog ein Stück weit und prallte lautlos auf dem Weg auf, wo er ohne weiterzurollen liegenblieb als wäre er aus Blei.
"Hallo!" rief der Abteilungsleiter und zog sein Entermesser. "Ist hier irgend jemand?"
Kaum daß er gerufen hatte begann die Luft direkt vor ihm zu flirren und die Umrisse einer schlichten Holztür erschienen.
"Na gut." sagte Araghast zu der Welt im Allgemeinen. Wenn er schon kompletten Blödsinn träumte wollte er sich wenigstens ordentlich amüsieren. "Dann wollen wir doch mal sehen was das Ganze hier soll. ich werde euch schon zeigen was es heißt zu versuchen, einen FROG an der Nase herumzuführen!"
Er hob seine Waffe und stürzte mit einem Piratenkampfschrei auf den Lippen durch die Tür.
Ein weißer Lichtblitz nahm ihm die Sicht und er hatte das Gefühl, tief zu fallen...
"Begreifst du denn nicht?" drang eine verzweifelte, männliche Stimme wie durch Watte an sein Ohr. "Selbst wenn du es tatsächlich schaffst, dir Cthulhupalhulhus Brut untertan zu machen und mit ihrer Hilfe die Götter von ihren Thronen in Würdentracht zu stoßen, was bleibt dir dann noch? Die
URALTEN RIESEN werden die Scheibenwelt zerstören und du bist einziger Gott über tote Erde, verdammt, bis in alle Ewigkeit dort zu bleiben! Gib es auf, Bruder und rette dich selbst!"
Langsam wurde das Bild klarer. Araghast schwebte körperlos in einem kavernenartigen Raum. Ein gewaltiger Krieger in voller Rüstung stand mit gezogenem Schwert am Rande eines riesigen, in den Boden eingelassenen Oktagramm-Mosaiks. Ihm gegenüber, vor einem mit dunklen zerfetzten Gardinen verhangenen Torbogen, stand eine zierliche, in lange schwarze Gewänder gehüllte Gestalt. Die Kapuze ihrer Robe war zurückgeschlagen und weißes Haar wehte in einem nicht spürbaren Wind, der auch die Vorhänge des Torbogens zum Flattern brachte.
"Dann soll es so sein." verkündete die Gestalt mit leiser, brüchiger Stimme und zog etwas hinter ihrem Gürtel hervor. Araghast schnappte nach Luft. In der Hand hielt der Unbekannte den Stockdegen des Hexers der zur Zeit in einem Regal von Skillas Büro herumlag. "Ich bereits zu weit gegangen um noch zurück zu können, Bruder. Das Portal ist bereits geöffnet."
"Dann muß ich dich töten, Turisas!" Die Stimme des Kriegers zitterte als er sein Schwert hob und auf seinen schwarzgewandeten Bruder zuging. "Was hat dich nur so verblendet? Deine endlose Gier nach Macht mit der du deine körperliche Schwäche überspielen wolltest? Oder hat das
NECROTELICOMNICON dich um den Verstand gebracht, Meister der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder wie auch immer du dich jetzt nennst?"
Araghast lehnte sich gemütlich in den metaphorischen Sessel zurück. Offenbar saß er hier in einer Art Eddie Wollas-Klicker allererster Güte in dem gerade das hochdramatische Finale in der Geheimkammer des bösen Magiers stattfand.
Der schwarzgekleidete Zauberer lachte nur kalt und hob den Stockdegen hoch über den Kopf.
"
Parqua Le'i al Dumak!" befahl er und der grüne Kristall im Knauf der schlanken Waffe begann, hell zu leuchten.
Der Krieger stürmte an seinem Bruder vorbei und stellte sich zwischen ihn und das Portal, die Schwertspitze auf die Kehle des Zauberers gerichtet.
"Du gehst nirgendwo hin, Turisas Linistar! Verstehe doch endlich! Keine Macht der Scheibenwelt kann die
URALTEN RIESEN beherrschen, sei sie auch noch so groß! Du kannst die Schotensterne als Waffen gegen sie verwenden, aber nicht um sie zu unterjochen!"
"Und warum nicht?" krächzte der Magier und schlug mit dem Stockdegen leicht gegen das Schwert. "Sieh mich an, Bruder. Mein ganzes Leben lang stand ich immer im Schatten anderer. Alle waren stärker, gesünder und beliebter als ich und behandelten mich immer nur als dein unnützes Anhängsel! Und jetzt wo ich endlich mächtiger bin als sie alle willst du mich noch aufhalten? Ich hole mir nur was mir zusteht, also laß mich vorbei!"
Schwerer Fall von Minderwertigkeitsneurose, gepaart mit Bruderkomplex, bemerkte Araghasts Püschologen-Selbst beinahe automatisch.
"Nein." antwortete der Krieger schlicht, holte mit dem Schwert aus und schlug seinem Bruder den Stockdegen aus der Hand. Klappernd fiel die Waffe zu Boden und das Licht des Knaufes erlosch. Ungläubigkeit breitete sich auf dem hageren, jungen Gesicht des Magiers aus und er wich mehrere Schritte zurück. Schnell beförderte der Krieger den Stockdegen mit einem Fußtritt außer Reichweite.
"Du hast die Wahl, Turisas." sagte er und beherrschte sich nur mühsam, nicht in Tränen auszubrechen. "Entweder du verschließt dieses Portal oder ich muß dir leider den Kopf abschlagen und es selbst versuchen. Ob du es glaubst oder nicht, ich liebe dich immer noch, trotz allem was du getan hast, mein Bruder. Doch hier geht es um das Wohl der gesamten Scheibenwelt und wenn du dieses Loch zwischen den Dimensionen nicht schließt werden die
Dinge durchkommen und die gesamte Welt vernichten."
Hätte Araghast einen Körper besessen hätte er das Auge verdreht. Edle Helden waren doch immer so berechenbar und stereotyp. Gelangweilt von dem Dialog der sich vermutlich noch eine ganze Weile mit ähnlichen Floskeln wie den bereits gefallenen hinziehen würde musterte der Abteilungsleiter das Portal genauer. Es sah demjenigen durch das seinerzeit Harald Alonzo Trödelgreif spurlos verschwunden war äußerst ähnlich. Doch etwas war anders. Zwischen den Falten des Vorhangs schimmerte ein ungesundes grünliches Glühen hindurch. Araghast kannte dieses Schimmern. Es besaß die gleiche Farbe wie in seinem letzten Alptraum, kurz bevor sich der tentakelbewehrte unbeschreibliche Schrecken an der Wand materialisiert hatte.
Ein eisiger Schauer lief dem Abteilungsleiter den nicht vorhandenen Rücken herab und sein Blick wanderte zurück zu den Brüdern. Der Magier befand mittlerweile kurz vor dem Zusammenbruch und schien endlich dabei zu sein zu verstehen, was er beim Herumpfuschen mit dem Raum-Zeit-Gefüge angerichtet hatte. Lea hatte recht. Zauberer richteten Unheil an wo auch immer sie auftauchten.
Eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes erregte Araghasts Aufmerksamkeit und er wandte seinen nicht existenten Kopf in die Richtung.
Ein grünlicher, schleimiger Tentakel von der Dicke eines menschlichen Oberschenkels schlängelte sich aus dem Portal heraus in Richtung der immer noch mit ihrem ganz persönlichen Schicksalsdialog beschäftigten Brüder. Geifernde Mäuler, randvoll mit messerscharfen Zähnen, öffneten und schlossen sich.
Araghast spürte, wie das schleichende Grauen, das er schon ganz zu Beginn in der stillen, reglosen Landschaft verspürt hatte, nach ihm griff.
Urplötzlich schoß der Tentakel vor und klammerte sich um das Bein des Kriegers.
Dieser schrie auf und schlug verzweifelt mit seinem Schwert auf die schuppige, glitschige Haut ein, doch die Waffe prallte wirkungslos ab. Doch sein Bruder war nicht untätig. Mit der Flinkheit einer Katze bewegte sich der schwarzgewandete Zauberer durch den Raum und hob den Stockdegen vom Boden auf. Währenddessen wurde der sich vergeblich wehrende Krieger unerbittlich in Richtung des Portals gezogen. Da war der Magier auch schon neben ihm und richtete die Spitze des Degens auf den Tentakelarm.
"
Parqua Le'i al Dumak!" wisperte er kaum hörbar und kaum daß der Knauf entflammt war stach er zu.
Die Wirkung war die gleiche wie in Eddie Wollas' Hexer-Geschichten, stellte Araghast interessiert fest. Die Klinge hatte den Tentakel kaum durchdrungen, als dieser auch schon zu verdorren begann. Feine Rauchschwaden stiegen auf und jenseits des Portals war das enttäuschte Aufheulen einer Stimme zu hören die nicht auch nur entfernt humanoid klang.
"Danke, Bruder." sagte der Krieger, während er sich mit klirrender Rüstung aufrappelte und beinahe wieder auf dem vom Tentakel hinterlassenen Schleim ausgerutscht wäre. "Ich wußte, daß tief in dir, unter all den Schichten des abgrundtief Bösen, doch noch etwas Gutes steckt. Verschließ das Portal und komm mit mir. Laß uns durch die Gegend ziehen und Abenteuer erleben, wie in alten..."
Weiter kam er nicht. Ein ganzer Schwall von Tentakeln kam aus dem Portal hervorgeschossen. Mehrere von ihnen packten den Zauberer namens Turisas Linistar und rissen ihn mit sich. Dieser wehrte sich verzweifelt mit dem Stockdegen und mehrere der Tentakel zerfielen zu Staub, doch für jeden der außer Gefecht gesetzt worden war ringelten sich drei neue heran.
"Nein!" brüllte der Krieger verzweifelt als er sah, wie sein Bruder durch das Portal gerissen wurde. "Turisas! Tu doch was!"
Das Letzte was Araghast und er in seinem Leben von seinem Bruder hörten waren verzerrte Worte in der blasphemischen Sprache der
URALTEN RIESEN, hervorgestoßen von einem gemarterten Körper:
"
Shi'rak Azathoth Cthuga Shudde-Mell Niggurath Tsathoggua Schodagoi!"
Das kranke, grünliche Licht flackerte noch ein letztes Mal auf und verlosch. Wie abgeschnitten fielen die im Raum verbliebenen Tentakel zu Boden und begannen, zu brodelndem Schleim zu zerfließen.
Fassungslos starrte der Krieger auf das Portal.
Araghast verstand. Der Magier hatte gewußt, daß es keine Rettung mehr für ihn gab und sogleich nachdem er hindurchgezogen worden war, das Loch im Raum-Zeit-Gefüge verschlossen. Am Liebsten hätte Bregs für dieses nach der ganzen Rederei doch sehr furiose Finale applaudiert.
Dann verschwamm die Szenerie und löste sich vor seinen Augen auf.
Während der Abteilungsleiter in einem leeren Raum zu schweben schien runzelte er die Stirn über die Unlogik dieser Geschichte. Wenn der Stockdegen angeblich zusammen mit diesem Turisas Linistar in den Kerkerdimensionen verschwunden war, wie sollte der Hexer ihn dann bekommen haben? Und was sollte diese ganze Sache mit dem guten und dem bösen Bruder überhaupt aussagen? Daß Bier und Untervektor-Rum in größeren Mengen keine gute Kombination waren?
In der
Phänomenomenologie des Geistes hatte es einmal geheißen, daß Träume der Spiegel der Seele seien und Araghast glaubte, zu verstehen. Die beiden Brüder mußten eine Metapher für den Kampf zwischen dem Menschen und dem Monster sein der ständig in ihm tobte, gepaart mit der Wut über den entzogenen Imbiss-Fall und diversen Hexer-Heften.
Aber warum konnte er plötzlich im Schlaf so dermaßen klar denken? Etwas stimmte hier ganz und gar nicht und es war definitiv nicht der Restalkohol.
Urplötzlich schloß sich eine Hand fest wie ein Schraubstock um seinen Arm.
Ende einer StreifeDie Gildenglocken läuteten sieben Uhr.
Ihren Umgang gegen den Regen eng um sich geschlungen eilte die Rekrutin Breda Krulock die Kröselstraße entlang, den Golem Herrn Kurbel neben sich, und verwünschte in Gedanken die Frühstreife. Nicht genug, daß es die ganze Zeit über regnen mußte, nein, man hatte sie auch noch ausgerechnet mit diesem schweigsamen, langweiligen Golem losgeschickt der nichts weiter tat, als wie eine mechanische Aufziehpuppe Seite an Seite mit ihr durch die Straßen zu stapfen. Breda hatte sich sowohl in ihrem Leben als auch ihrer Untotenexistenz selten dermaßen gelangweilt.
Geflissentlich ignorierte sie das Gebrummle des in der Kröselstraße ansässigen Gildenbettlers und rieb sich die Hände in freudiger Erwartung des trockenen Wachhauses. Nur noch wenige Schritte trennten sie von einem Gespräch mit vernünftigen Kollegen und der im Vergleich zu den Straßen geradezu gemütlich anmutenden Kantine. Herrn Kurbel hingegen schien das anhaltende schlechte Wetter rein gar nichts auszumachen und Breda fragte sich, ob ihn überhaupt etwas kümmerte was nicht auf der Schriftrolle in seinem Kopf als beachtenswert gekennzeichnet worden war.
Dunkel ragten die Mauern des Wachhauses vor den beiden Rekruten auf und Breda beeilte sich, mit den langen Beinen des Golems Schritt zu halten. Dieser stapfte bereits die Stufen zur Eingangstür hinauf, stieg über den reglos dort liegenden Körper hinweg und trat ein.
Die Rekrutin blieb stehen und schluckte.
"He, Kurbel!" rief sie, doch die Tür war bereits hinter ihrem Mitrekruten ins Schloß gefallen.
Na wunderbar, dachte Breda und trat näher. Dieser dämliche Golem begriff wirklich nur etwas wenn man es ihm direkt befahl. Von selbst auf die Idee zu kommen jemanden aufzuheben und mitzunehmen überstieg anscheinend seine geistigen Kapazitäten.
Immer noch den Kopf über ihren tönernen Kollegen und die Denkweise von Golems im Allgemeinen schüttelnd beugte sich Breda über die still auf den Stufen liegende, völlig durchnässte Gestalt und nahm sie genauer in Augenschein. Ein schwarzer Umhang bedeckte den größten Teil des Körpers. Lediglich eine knochige, bleiche Hand ragte unter dem schweren Stoff hervor und umklammerte einen knapp einen Meter und achtzig langen Holzstab in dessen oberes Ende ein Kristall eingelassen war. Die Rekrutin ging in die Hocke und zog die Kapuze des Umhangs beiseite. Sie erblickte das hagere, blasse Gesicht eines jungen Mannes, eingerahmt von schulterlangem, braunem Haar. Ein dünnes Rinnsal von Blut lief von seinem Mundwinkel zum Kinn.
Vor Bredas Augen begann sich alles zu drehen.
"Nnnein!" stammelte sie noch. "Ich werde st...stark blei..."
Mit einem leisen Seufzer sank sie neben dem jungen Mann zu Boden und verlor das Bewusstsein.
SpurenNach der gründlichen Durchsuchung zweier halbverschütteter Korridore konnte Kolumbini keinen Staub mehr sehen. Zumal er nicht einmal genau wußte wonach er eigentlich suchte. Durch das Erdgeschoß waren seit dem Einsturz bereits so viele Zauberer getrampelt, daß das Identifizieren der ältesten Spur ein schier aussichtloses Unterfangen darstellte, während im ersten Stock das komplette Chaos tobte weil mehrere Magier aus ihren Laboren zu retten versuchten was noch zu retten war und auf die Fragen des Ermittlers ob sie einen jungen Mann namens Raistan Quetschkorn gesehen hatten lediglich mit einem genervten Schulterzucken antworteten. Immerhin war der junge Held in der Lage gewesen, eine exakte Beschreibung seines Bruders zu geben bevor er sich wieder ganz seinem Kummer und seiner Wut hingegeben hatte. Kolumbini klopfte sich nachdenklich gegen sein Glasauge und nahm die Treppe zum zweiten Stock in Angriff. Sein Begleiter trottete mit hängendem Kopf hinter ihm her.
Während er die Stufen hinaufstieg ärgerte sich der Ermittler wieder einmal über all die Personen die kreuz und quer über Tatorte trampelten ohne darüber nachzudenken wem sie die Arbeit schwer machten. Er fühlte sich als würde er versuchen, die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Frustriert lehnte er sich gegen das Geländer und kramte in den Tiefen des MANTELS nach seiner Pfeife und dem Tabaksbeutel. Eine kleine Rauchpause würde ihm gut tun.
"Ich weiß nicht, was ich ohne den Kleinen machen soll." sagte der junge Held trübsinnig und starrte auf den Boden. "Ohne ihn hätte ich es nie fertig gebracht, von daheim wegzulaufen. Und ausgerechnet heute Nacht wo er mich am meisten gebraucht hat war ich nicht da um ihn zu verteidigen."
Kolumbini seufzte und riß ein Streichholz am steinernen Treppengeländer an. Er würde seinen Begleiter wenn sie ins Wachaus zurückgekehrt waren sofort beim Püschologen vorbeischicken.
"Sie wären nur mit umgekommen." sagte er paffend und stieg die letzten Treppenstufen hoch. "Niemand kann jemanden gegen ein einstürzendes Gebäude verteidigen, es sei denn es handelt sich um ein Schneckenhaus."
Sorgfältig musterte er, das wütende Schnaufen seines Begleiters ignorierend, das Geländer und schnalzte mit der Zunge. Blutige Fingerabdrücke zierten den hellen Stein.
"Interessant." sagte der Ermittler zu sich selbst und klemmte sich die Pfeife zwischen die Zähne. Dann wandte er sich dem Korridor zu.
Auch hier liefen Fußspuren diverser Schuhgrößen kreuz und quer und von Tür zu Tür. Kolumbini brummte frustriert und schlenderte, aufmerksam auf den Boden blickend, in Richtung des gähnenden Loches an dem der Flur abrupt endete. Je näher er der Abbruchkante kam desto weniger Spuren kreuzten seinen Weg. Schließlich war nur noch eine einzige übrig, die in Richtung der Treppe führte.
Der Ermittler blieb stehen, um die Spur genauer in Augenschein zu nehmen. Der Größe der Fußabdrücke und den kleinen, runden staubfreien Stellen nach zu urteilen hatte es sich um eine zierliche Person gehandelt, die sich auf einen Stab stützte. An seiner Pfeife ziehend ging der Ermittler weiter bis die Spur schließlich an einem länglichen, völlig staubfreien Oval endete. Mehrere Handabdrücke, Schleifspuren und ein kleiner, rechteckiger Gegenstand befanden sich dicht daneben. Kolumbini bückte sich und hob den Gegenstand auf, der sich als Notizbuch entpuppte. Vorsichtig blies er den Staub herunter und schlug die erste Seite auf. Sie zeigte lediglich zehn Bleistiftstriche, je fünf zu einem Bündel zusammengeschrieben.
Dicke Rauchwolken ausstoßend blätterte der Ermittler weiter.
On ortu t ui pote ver etern et n por ieno eti tuu tes ri stand in sauberer, schwungvoller Handschrift auf der zweiten Seite. Schwere Schritte und das leise Rasseln des Kettenhemdes kündigten das Nahen des jungen barbarischen Helden an dessen Namen sich Kolumbini nicht hatte merken können. Schnell klappte er das Buch zu und hielt es seinem Begleiter unter die Nase.
"Kennen Sie das?" fragte er.
Der muskelbepackte Hüne nickte langsam.
"Wenn auf der ersten Seite ein paar Striche sind dann gehört es dem Kleinen." sagte er und griff nach dem Buch.
"Das behalte ich erst einmal als Beweismaterial." erklärte Kolumbini und ließ den fraglichen Gegenstand in einer der zahlreichen Taschen seines MANTELS verschwinden. "Aber es scheint, daß Ihr Bruder hiergewesen ist als der halbe Flur einstürzte. Er muß hingefallen sein, ist dann wieder aufgestanden und in Richtung Treppe davongegangen. Vielleicht war er verletzt und die blutigen Fingerabdrücke stammen von ihm."
Erregt packte der junge Held seinen Arm.
"Das heißt, er lebt noch?" schrie er beinahe.
"Wenn ihn der Mörder nicht inzwischen erwischt hat höchstwahrscheinlich schon oder er letztendlich sogar selbst der Mörder ist." antwortete Kolumbini undeutlich mit der Pfeife zwischen den Zähnen und schüttelte den Griff seines Begleiters ab.
"Niemals!" entrüstete sich der muskelbepackte Hüne und seine Hand fuhr beinahe reflexartig zum Schwertgriff.
Kolumbini seufzte und fühlte sich in seine Zeit als Aushilfslehrer am Lord Winder-Internat zurückversetzt als er gerade dem Fräulein Degratia von Plotz etwas zu erklären versuchte. "Es ist lediglich eine von vielen Möglichkeiten." erklärte er mit dem letzten Rest an Geduld der ihm nach über einer Stunde in Begleitung dieses leicht begriffsstutzigen Riesen noch übrig geblieben war. "Als Wächter muß man sämtliche Eventualitäten in Betracht ziehen, selbst wenn sie unwahrscheinlich klingen. Am Besten gehen wir zurück zum Wachhaus und Sie können eine offizielle Vermisstenanzeige bei den Kollegen von SEALS aufgeben während ich den möglichen Täterkreis einschränke. Der jammernde Feigling der in der Zelle sitzt fällt nun als Mörder weg, genau wie Sie."
Jetzt muß ich nur noch meinen Kollegen irgendwie plausibel erklären, daß der Gebäudeschaden in der Universität und der Brand in der Ulmenstraße mit dem Fall Näherin und Fischimbiss höchstwahrscheinlich zusammenhängen, dachte Kolumbini im Stillen und blies Rauchringe in die Luft. Wer weiß, vielleicht halten sie mich nachher auch für genauso verrückt wie Araghast.
RekrutenlebenRogi Feinstich schritt bereits zum fünften Mal die Reihe der angetretenen Rekruten ab. Die morgendliche Dosis des extrastarken Beruhigungsmittels zirkulierte in ihren Adern und langsam gewann sie die Ruhe die sie brauchte um sich einem weiteren Tag voller Fragen ihrer Auszubildenden zu stellen.
"Und ef weif wirklich keiner wo die Wächterin Breda Krulock fteckt?" fragte sie, als der große Zeiger der Wanduhr zehn nach sieben anzeigte und die Vampirin immer noch nicht zum Dienst erschienen war. Langsam begann die Ausbilderin, sich Sorgen zu machen. "Rekrut Herr Kurbel, du bift doch heute Morgen mit ihr auf Frühftreife gewefen. Haft du fie unterwegf irgendwo verloren?"
Nein Ma'am Wir Sind Zusammen Zum Wachhaus Zurückgekehrt schrieb der Golem auf seine Schiefertafel.
Rogi seufzte.
"Alfo gut." sagte sie. "Rekrut Baumfellerfon, du befetft hier den Trefen und fendeft Breda fu den anderen in den Unterrichtfraum wenn fie wieder auftaucht. Die Rekruten Fpindel und Ruth haben vermutlich gerade daf Vergnügen mit Frau Willichnicht drüben am Pfeudopolifplatf. Der Reft von euch, ab fum theoretifen Unterricht. Heute geht ef um die Brieftauben."
Während der Rest der Rekruten mehr oder (in den allermeisten Fällen) weniger motiviert in Richtung Unterrichtsraum schlurfte begab sich Halbtag Baumfellerson hinter den Tresen und zerrte die zerknitterte, aktuelle Ausgabe von
Bögen und Bolzen aus seiner Uniformjacke. Er beneidete seine Kollegen ganz und gar nicht. Brieftauben und das Versenden von Nachrichten mit eben solchen gehörte zu Korporal Feinstichs Lieblingsthemen und Unterrichtseinheiten darüber konnten leicht die Drei-Stunden-Marke sprengen.
Sehnsüchtig ließ der Zwerg seinen Blick über eine detaillierte Abbildung der neuen besonders schnell nachladbaren Version der Burlich-und-Starkimarm Modell MK4-Präzisionsarmbrust schweifen. Sein Traum, Triffinsziel bei FROG zu werden lag mit dem baldigen Abschluß seiner Grundausbildung in beinahe greifbarer Nähe. Wenn da nur nicht die Gerüchte wären, daß dieser Feldwebel Breguyar in Bewerbungsgesprächen hinterhältige püschologische Spielchen mit den Bewerbern durchführte...
Halbtag seufzte tief und stand auf. Unruhig begann er, vom Tresen zur Eingangstür und wieder zurück zu wandern. Und der Abteilungsleiter Gnadenlos ihn, besonders nach der Geschichte mit der Bank, nicht für geeignet als Triffinsziel hielt?
Doch erst einmal brauchte er ein paar Atemzüge frischer Luft um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Es wird schon alles gutgehen, beschwor er sich selbst, als er die Tür aufzog. Einige verirrte Regentropfen benetzten sein Gesicht als er nach draußen sah und wieder zu träumen anfing. Er selbt, gekleidet in eine grüne Uniform, die Präzisionsarmbrust locker auf den rechten Arm gelegt und den Finger am Abzug, während er auf einem Dach saß und sein Ziel unten auf der Straße anvisierte...
Halbtag blinzelte verwirrt und kehrte wieder zurück in die Wirklichkeit. Vor ihm auf der Treppe im strömenden Regen lagen tatsächlich zwei Personen und rührten sich nicht. Beide waren in schwarze Umhänge gehüllt. Nachdenklich kratzte sich der Zwerg an seinem frisch rasierten Kinn und fragte sich, was die Szene vor ihm wohl bedeuten mochte. Doch zuerst einmal mußte er die beiden ins Trockene schaffen.
Anderthalb Minuten später lehnte Halbtag schnaufend am Tresen und betrachtete zufrieden sein Werk. Die beiden völlig durchnässten Ohnmächtigen, die sich als seine vermisste Kollegin Breda Krulock und ein zierlicher junger Mann in Zauberergewändern herausgestellt hatten lagen nebeneinander vor dem Kamin. Der Stab den der Magier bei sich gehabt hatte lag auf dem Tresen und Halbtag hütete sich, ihn länger als nötig zu berühren. Er traute Zauberern und ihren Gerätschaften nicht recht über den Weg. Der Zwerg griff sich den Wasserkrug und ein Glas vom Tresen und ging herüber zu den beiden Bewußtlosen. Grinsend füllte er das Glas und kippte es Breda schwungvoll ins Gesicht.
"Aufwachen!" rief er. "Der Korporal vermißt dich schon!"
Als sich die Rekrutin jedoch nicht rührte zuckte Halbtag mit den Schultern und wandte sich dem jungen Zauberer zu. Stirnrunzelnd betrachtete er dessen hageres, feingeschnittenes Gesicht und fand, daß es ganz und gar nicht gesund aussah. Blut war dem jungen Mann über Mund und Kinn gelaufen und seine schmalen Lippen waren blau vor Kälte.
Ach was solls, dachte der Zwerg und wiederholte die Wasserbehandlung, auch dieses Mal erfolglos.
Frustriert stellte er den Krug und das Glas auf das Kaminsims und dachte nach. Daheim im Bergwerk hatte ein Eimer Wasser ihn immer wieder zur Vernunft gebracht wenn seine Klaustrophobie die Überhand gewonnen hatte. Doch anscheinend galten für Vampire und Menschen andere Weckregeln.
Halbtag kniete sich zwischen Fundstück A und B und packte jeden von ihnen an einer Schulter, um sie kräftig zu schütteln.
"Guten Morgen!" posaunte er dabei. "Es ist gleich, äh, zwanzig nach sieben und alles ist guuut!"
Ein leises Stöhnen kam aus der Richtung Breda Krulocks.
"Halbtag?" fragte die Rekrutin matt. "Bist du das?"
Der Zwerg wandte sich ihr zu.
"Du lagst ohnmächtig vor der Tür." erklärte er. "Zusammen mit diesem jungen Zauberer. Ich hab euch beide reingeholt."
"Ohje." jammerte Breda und setzte sich auf. "Das Blut. Verflucht, da muß ich einfach umgefallen sein. Du weißt ja, wie das ist mit mir."
"Rekrutin Kuckuck! Rekrut Baumhackerneffe!"
Halbtag fuhr herum. Am Tresen lehnte der Ausbildungsleiter Hauptmann Daemon mit vor der Brust verschränkten Armen und musterte die beiden Rekruten streng.
"Habt ihr beiden die Güte mir zu erklären, was hier los ist?" fragte er leicht genervt.
Deja-vu"Kanndra!" rief Araghast und wehrte sich erfolglos gegen den kräftigen Griff der ihn festhielt. "Mir gehts gut, wirklich! Und ich ich kann mich nicht daran erinnern, wieder das halbe Wachhaus zusammengebrüllt zu haben."
Er bekam keine Antwort.
"Ich gebs ja zu, ich habe mich gestern Nacht sinnlos betrunken. Aber das brauchte ich einfach. Was ist los? Gibts wieder einen Einsatz? Oder steht IA schon vor der Tür um mich zum Alkoholentzug zu schicken?"
Unsanft wurde der Abteilungsleiter seitwärts gezogen.
"Dann träume ich also immer noch." sagte er laut zu sich selbst als er durch den Raum schwebte. "Aber wenn du nicht Kanndra bist, wer bist du dann?"
Immer noch antwortete ihm niemand und resigniert ergab sich Araghast in sein Schicksal, in der Hoffnung, daß bald wieder etwas passieren würde. Nach einer Zeit die ihm wie eine kleine Ewigkeit vorkam ließ die körperlose Hand ihn los.
Araghast blinzelte und fand sich plötzlich knapp unter der Decke schwebend in seinem eigenen, dämmrigen, alten Püschologenbüro wieder. Ungläubig blickte er auf die zusammengesunkene Gestalt über der Schreibtischplatte. Sie trug ein grünes Hemd und ein langer schwarzer Zopf ringelte sich einer Schlange gleich über den linken Arm. Halb unter dem Körper begraben konnte der Abteilungsleiter ein aufgeschlagenes Buch ausmachen.
Ein schrecklicher Verdacht kam ihm und hektisch sah er sich um.
"Wenn ich im Schlaf gestorben sein sollte, dann komm her und zeig dich, Tod!" rief er herausfordernd. "Ich habe keine Angst mehr vor dir, ganz im Gegenteil! Komm raus und mach meiner verfluchten Existenz endlich ein Ende!"
Doch keine sensenbewehrte Gestalt in schwarzen Gewändern erschien. Stattdessen flog die Bürotür krachend auf und ein fremder, in die Uniform von Intörnal Affärs gekleideter Wächter trat ein. Auf seinen Schultern prangten die Abzeichen eines Hauptmanns.
"Aufstehen, Feldwebel Saufnase!" brüllte er und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
Der andere Araghast stöhnte leise und bewegte sich. Mühsam hob er den Kopf und blinzelte.
"Wußte ich doch, daß ich dich mal wieder besoffen erwische!" stellte der Hauptmann zufrieden fest. "Das wievielte Verfahren ist das jetzt für dich? Das dritte? Und dieses Mal wirst du degradiert, das schwöre ich dir! Und steh gefälligst stramm und salutier wenn ein Vorgesetzter mit dir redet!"
Während sich der sitzende Araghast mühsam aufrappelte und halbherzig salutierte grübelte der körperlose Araghast angestrengt nach. Irgendwie erschien ihm das Gesicht des Alptraum-Hauptmanns entfernt vertraut.
"Wie eine lahme Ente!" höhnte dieser gerade. "Noch mal! Und zwar etwas schwungvoller!"
Der andere Araghast kam der Aufforderung nach, während sein Gesicht ausdrückte, daß er gerade an wohl hundert verschiedene Arten dachte, den Agenten zu ermorden.
"Na also, es geht doch." Ein sardonisches Lächeln spielte um die Lippen des Hauptmannes. "Und wenn du in zehn Minuten nicht voll einsatzfähig bei Oberleutnant MeckDwarf auf der Matte stehst bekommst du noch ein Verfahren wegen Befehlsverweigerung angehängt, kapiert?"
"Ja, Sör!" presste der körperliche Araghast wütend hervor.
Der IA-Agent schnaubte noch einmal verächtlich und ging ohne noch ein Wort zu sagen.
Na wunderbar, dachte der träumende Araghast. Was sollte dieser Blödsinn jetzt schon wieder? War das eine selbsterzieherische Maßnahme des Unterbewußtseins?
Plötzlich ertönte ein krachendes Geräusch und es wurde dunkel um ihn. Während er langsam zu sich kam spürte er das Papier des
Rufs des Cthulhupalhulhu unter seinen Fingern und stechende Schmerzen im Kopf. Scheinbar war er endlich aufgewacht.
"Aufstehen, Feldwebel Saufnase!" schnauzte die gleiche Stimme wie vor wenigen Sekunden und ein Schlag ließ den gesamten Schreibtisch erbeben.
Araghast hob mühsam den Kopf und blinzelte. Schemenhaft nahm er eine schwarze IA-Uniform mit Hauptmannsabzeichen auf den Schulterklappen wahr, darüber ein gleichzeitig unbekanntes und doch auf eine seltsame Weise vertrautes Gesicht.
"Wußte ich doch, daß ich dich mal wieder besoffen erwische!" höhnte der Agent. "Das wievielte Verfahren ist das jetzt für dich? Das dritte? Und dieses Mal wirst du degradiert, das schwöre ich dir! Und steh gefälligst stramm und salutier wenn ein Vorgesetzter mit dir redet!"
Was ist das, schoß Araghast durch den Kopf als er sich aus seinem Stuhl hochquälte. Haben sich Kanndra und Val und die anderen einen Scherz mit mir erlaubt um mich wieder zur Vernunft zu bringen? Eine andere Erklärung für diesen Spuk fiel ihm nicht ein. Halbherzig salutierte er.
"Wie eine lahme Ente!" höhnte der Hauptmann. "Noch mal! Und zwar etwas schwungvoller!"
Wütend stand Araghast stramm und hob die Hand an die Schläfe. Nun waren sie wirklich zu weit gegangen.
"Na also, es geht doch." Ein sardonisches Lächeln spielte um die Lippen des unbekannten Agenten. "Und wenn du in zehn Minuten nicht voll einsatzfähig bei Oberleutnant MeckDwarf auf der Matte stehst bekommst du noch ein Verfahren wegen Befehlsverweigerung angehängt, kapiert?"
Wer war dieser Mann? Ein seltsames Gefühl beschlich Araghast und er war sich ziemlich sicher, daß es keine Nachwirkung der gestrigen Sauftour war. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht und er glaubte auch nicht mehr, daß seine Kollegen dahinter steckten. Sie kannten ihn gut genug um zu wissen, daß er sie in der Luft zerreißen würde wenn sie so etwas je wagen sollten.
"Ja, Sör!" presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und versuchte, seine Kopfschmerzen zu ignorieren.
Verächtlich schnaubend drehte sich der Hauptmann um und verließ das Büro.
Araghast sank in seinen Schreibtischsessel zurück. War er plötzlich verrückt geworden, träumte er immer noch oder war er einfach immer noch zu betrunken um die simple Wahrheit zu erkennen? Hier saß er, in seinem alten Püschologenbüro, und wurde von einem Hauptmann angeschrien dem er noch nie begegnet war. Es gab nur einen Weg, es herauszufinden. Selbst wenn es eventuell sehr weh tun würde - Harte Zeiten erforderten harte Mittel.
Araghast zog einen seiner Dolche aus dem Stiefelschaft und rammte ihn sich in den Unterarmmuskel.
Vor Schmerzen hätte er beinahe aufgeschrien. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er auf die in seinem linken Arm steckende Klinge und das Blut, das langsam seinen Ärmel durchtränkte. Aber immerhin war eines bewiesen - Dies war kein Traum.
Der Abteilungsleiter atmete tief durch und hielt den Atem an als er den Dolchgriff umfaßte und die Waffe mit einem Ruck aus der Wunde zog. Schnell zerrt er ein Halstuch aus der mittleren Schreibtischschublade und wickelte es fest um seinen Arm. Während er versuchte, den pochenden Schmerz zu ignorieren dachte er nach. Das Gesicht des IA-Agenten. Diese höhnische Fratze.
Und plötzlich wußte Araghast, wo er dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte. Bläulich angelaufen hatte es vor über einem Jahr zusammen mit dem restlichen Körper an einem um den Hals geschlungenen Bettlakenstreifen vom Fensterkreuz einer der Zellen im Wachhaus gebaumelt.
Der Name des Mannes der während der Weihnachtsraswoche versucht hatte das Leben Kommandeur Ohnedursts zu ruinieren und dabei über Leichen gegangen war kehrte in Araghasts Erinnerung zurück.
Johann Zupfgut.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz einen auf dem Dach stehenden Igor. Wie konnte Zupfgut gleichzeitig Hauptmann, IA-Agent, seit fast drei Jahren unehrenhaft aus der Wache entlassen und tot sein? Was soeben geschehen war war schier unmöglich, genau wie die Tatsache, daß er und all seine Sachen sich wieder in seinem alten Büro befanden.
Vielleicht würde sich alles klären wenn er erst einmal bei Oberleutnant...
Der Abteilungsleiter stutzte. Humph MeckDwarf war Hauptmann, nicht Oberleutnant. Und soweit er wußte war selbiger wegen der angeblichen Brandstiftung lediglich mit Schuldstufe eins verurteilt worden. Aber was sollte der ganze Blödsinn? Eine obskure Verschwörung? War Zupfgut aus dem Totenreich zurückgekehrt und hatte im Laufe der letzten Nacht irgendwelche komischen Dinge mit den Wächtern angestellt?
Schwungvoll klappte Araghast Philipp Howards Kraftliebs
Ruf des Cthulhupalhulhu zu und er spürte wie die Wut in ihm aufstieg. Wer auch immer ihn in diesen Alptraum ohne Erwachen geschickt hatte, er würde ihn kriegen und zu metaphorischem Hackfleisch verarbeiten.
Doch erst einmal brauchte er dringend etwas zu trinken. Wenn man einen klaren Kopf brauchte machte man am Besten da weiter wo man am Vorabend aufgehört hatte.
"Feldwebel Saufnase..." knurrte er während er seine Seekiste öffnete und die Bärdrückers-Flasche für akute Notfälle in denen ihm der Rum ausgegangen war hervorholte. "Wir werden ja sehen wer hier wen am Ende aufs Kreuz legt. Unterschätze niemals den Püschologen!"
ErwachenDas erste das Raistan bemerkte war das Fehlen des Regens.
Er lag auf etwas hartem und seine Kleider klebten ihm naß am Körper. Doch die eisige Kälte war fort und der junge Zauberer meinte, leises Stimmengemurmel und ein Streitgespräch zu hören. Ein stechender Kräutergeruch drang ihm in die Nase und prickelte in seiner dumpf schmerzenden Brust. Reflexartig zog Raistan die Nase kraus.
"Zum letzten Mal, Korporal, du kannst nicht einfach anfangen, Leute zu operieren ohne sie vorher gefragt zu haben!" schnauzte eine männliche Stimme.
"Aber ich habe gerade fo eine föne Lunge da und er kann fie beftimmt gut gebrauchen!" kam die Antwort in unverwechselbarem Igor-Akzent. "Ich meine ef doch nur gut, För!"
"Trotzdem. Wo kämen wir denn da hin wenn jeder anfängt, wehrlose Bürger zu operieren wie er gerade lustig ist? Ich will nichts mehr davon hören, klar?"
"Wenn du meinft, För." sagte die Igorstimme traurig. "Aber ef ift wirklich ein Prachtekfemplar..."
Raistan dachte fieberhaft nach. Wo war er hier bloß gelandet? Schemenhaft konnte er sich daran erinnern, die Stufen zur Wachaustür hochgestolpert zu sein bevor er das Bewußtsein verloren hatte.
"Platf da, Rekruten. Lafft mich durch."
Kräftige Finger tasteten nach Raistans Handgelenk und fühlten seinen Puls.
"Fierundfechtfig und fwach aber ftabil." sagte der weibliche Igor zufrieden. "Rekrut Runenftein, bring mir den Kaften mit den Fpritfen, und fwar fnell!"
Spritzen. Auch das noch. Raistan blinzelte.
Mehrere interessierte Gesichter glotzten von oben auf ihn herab.
"Ma'am, ich glaube, er ist wach." sagte einer der Zuschauer, ein bartloser Zwerg.
"Aufgefeichnet! Dann verfwindet mal alle hier, bif auf Halbtag der fich wieder hinter den Trefen klemmen darf. Die Unterrichtfeinheit über die Taubenpoft ift auf heute Nachmittag verfoben."
Eine Hand strich den jungen Zauberer über das nasse Haar und das narbendurchzogene Gesicht der Igorina schob sich in sein Blickfeld.
"Wie fühlft du dich?" fragte sie freundlich.
"So schlecht wie ich vermutlich aussehe." wisperte Raistan heiser und versuchte, den Kopf zu heben.
Die Igorina drückte ihn sanft aber nachdrücklich wieder zu Boden und machte sich daran, ihn in eine Decke einzuwickeln.
"Bleib liegen und ruh dich auf." sagte sie. "Du bift unterkühlt und völlig entkräftet. Außerdem ftimmt mit deinen Lungen waf nicht. Ich bin gleich wieder da, nur mal fauen wo diefer Rekrut mit den Fpritfen bleibt..."
"Hier, Ma'am!" Unversehens war ein Zwerg hinter der Igorina aufgetaucht und stellte einen kleinen ledernen Koffer neben ihr ab. Sie nickte und winkte ihn fort.
"Na dann wollen wir mal." sagte sie in einem munteren Tonfall und öffnete den Deckel. "Ef ift nur ein kleiner Pikf und dann geht ef dir auch bald wieder beffer. Ah, da ift ef ja. Oh, nein, daf war daf Beruhigungfmittel."
Ein leises Klappern ertönte, gefolgt von einem Klicken.
Raistan hoffte inständig, daß die Igorina wußte, was sie da tat. Ein überwaldianischer Studienkollege hatte davon berichtet, daß Igors wahre medizinische Wunder vollbringen konnten, doch der junge Zauberer blieb skeptisch. Er war in seinem kurzen Leben schon zu vielen Ärzten begegnet.
"Fo."
Die Igorina zog seinen rechten Arm unter der Decke hervor und schob den Ärmel zurück. Klopfend begann sie, eine Ader zu suchen.
"Ich dachte immer, in der Unverfität gibt ef fo viel fu effen." bemerkte sie und stach beiläufig mit der Spritze zu. "Aber du haft ja kaum Fleiff auf den Knochen."
"Hören Sie mir zu!" flüsterte Raistan eindringlich. "Es ist wirklich wichtig. Ich weiß, wer das Haus in der Ulmenstraße angezündet hat."
"Waf?" Mit einem Ruck zog die Igorina die Spritze aus seinem Arm und drückte ein Stück Verband auf die Einstichstelle. "Du darfft dich jetft nicht anftrengen." erklärte sie.
"Und die Näherin." fuhr der junge Zauberer unbeirrt fort während er spürte wie das Mittel das sie ihm verabreicht hatte begann, seine Wirkung zu tun. "Der Mörder, ich habe ihn gesehen. Er hat auch meinen Bruder getötet. Ich weiß, wer er ist. Er hat mich die halbe Nacht gejagt und wenn er mich findet dann bin ich dran." Ein Hustenanfall unterbrach ihn.
"Der Hexer." keuchte er mühsam. "Der Hexer von Ankh, diese Romane. Sie sind der Schlüssel..."
Und dann umfing ihn gnädige Schwärze.
Abschied"Du brauchst kein Mittagessen zu machen, Igorina." sagte Edwina Walerius zu ihrer Dienerin und setzte sich den schwarzen Herrenhut auf den Kopf. "Es könnte länger dauern."
"Ja, Meifterin." Schlurfend verschwand die gebeugte Gestalt in der Küche.
"Also gut." sagte die ehemalige Vampirjägerin zu sich selbst. Prüfend warf sie einen letzten Blick in den Garderobenspiegel, zupfte sich ihr Kleid unter dem Umhang zurecht und vergewisserte sich, daß der Schwertgurt richtig saß. Dann griff sie sich ihren Regenschirm aus dem Ständer und trat hinaus ins Freie.
Die Glocken der Stadt schlugen halb acht und Edwina stellte fest, daß sie in ihrer Aufregung viel zu früh das Haus verlassen hatte. Wenn sie jetzt schon im Wachhaus erschien würden die Wächter noch denken, daß sie es gar nicht erwarten könnte, ihre Nase in deren Fälle zu stecken. Aber da sie schon einmal draußen war konnte sie auch genauso gut zur Einstimmung auf den Stockdegen einen kleinen Spaziergang machen. Entschlossen lenkte sie ihre Schritte in Richtung Knorkestraße.
Der HinweisKolumbini schaffte es mit dem jungen barbarischen Helden im Schlepptau nicht einmal bis an die Zimmertür des amtierenden RUM-Püschologen in Ausbildung.
"Der Näherinnen-Fall ist so gut wie gelöst!" schmetterte ihm Romulus von Grauhaar durch den gesamten Flur entgegen und winkte wild mit einem zerknitterten Zettel. "Es gibt einen Zeugen!"
"Soso." Der kleine Ermittler klopfte sich gegen sein Glasauge. "Dann habt ihr ja während ich die halbe Universität nach Spuren durchsucht habe ganze Arbeit geleistet." Er zog das Notizbuch Raistan Quetschkorns aus seinem MANTEL und hielt es hoch. "Das hier habe ich heute Morgen ermittelt. Bisher enthielt es zehn Striche und einen Satz in der Sprache die im Allgemeinen auch als Kauderwelsch bekannt ist. Weiter bin ich noch nicht gekommen. Eigentlich ist es ja auch dein Fall, aber ich glaube, das Buch sollte Araghast sich mal ansehen. Der kennt sich mit solchem okkulten Kram an besten aus."
"Aber wozu haben wir dann eine Expertin für so etwas?" fragte Romulus. "Das ist doch Skillas Fachgebiet."
"Ich soll die Analyse eines Beweisstückes das ich gefunden habe einer Fachfrau überlassen die nicht mal in der Lage ist zu klären ob jemand nun eigentlich besessen ist oder nicht?" Kolumbini runzelte die Stirn. "Bei Bregs weiß ich, daß ich nicht nur ein 'ach was bin ich so toll weil ich Okkultismusexpertin bin' zurückkriege sondern eine komplette Analühse und noch drei mögliche Verschwörungstheorien gratis dazu."
Der Werwolf nickte langsam und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
"Und wer ist das?" fragte er und wies auf Kamerun, der trübsinnig vor sich hinstarrte.
"Er hat in dem Haus gewohnt das heute Nacht in der Ulmenstraße angezündet wurde. Im Moment sind wir auf der Suche nach seinem verschwundenen Bruder der auch etwas mit dem ganzen verzwickten Fall zu tun haben soll. Wo hast du den Zeugen eigentlich ausgegraben?"
"Ich habe gar nichts gemacht. Die Nachricht kam vor kurzem aus der Kröselstraße rein." Romulus reichte Kolumbini den Zettel. "Aber interessant, daß Zeugen plötzlich ohnmächtig vor dem Wachhaus liegend gefunden werden. Warum kann das nicht immer so sein?" bemerkte er während sein Kollege die hastig hingekritzelten Worte überflog. "Hoffentlich schafft Rogi es bald, ihn soweit wieder hinzukriegen, daß er vernehmungsfähig ist."
"Ha!" rief Kolumbini aus und gab Romulus die Botschaft zurück. "Ich wette mit dir um ein Kutscherbier im Pferdestall, daß unser aussagewilliger Freund der verschwundene Zwillingsbruder von meinem geschätzten Begleiter hier ist und der uns endlich vernünftig erklären kann wie der ganze Fall nun im einzelnen zusammenhängt."
"Ihr habt den Kleinen gefunden!" Das markante Gesicht des jungen barbarischen Helden drückte eine Mischung aus Erleichterung, Glück und innerer Anspannung aus. "Wo ist er? Geht es ihm sehr schlecht?"
Romulus und Kolumbini tauschten einen schnellen Blick.
"Eselskarren?" fragte der Werwolf nur und sah aus dem Fenster in den strömenden Regen hinaus.
Knorkestraße 23Dunkel ragten die Überreste der einst imposanten hochherrschaftlichen Villa aus dem unkrautüberwucherten Garten hervor. Der verdreckte Kies der Auffahrt knirschte unter Edwina Walerius' Stiefelsohlen als die ehemalige Vampirjägerin das Grundstück betrat. Es gab hier nichts von Interesse zu finden, dennoch zog es sie immer wieder aus rein sentimentalen Gründen her.
Hier hatte einst die Adana-Villa gestanden, jahrhundertelang die Heimat des Hexers von Ankh.
Nach dem Tod des Hexers vor mittlerweile über fünfundzwanzig Jahren war die Villa von Hand zu Hand gewandert, doch niemand behielt sie lange. Es hieß, ein Fluch würde auf dem alten Gemäuer lasten.
Edwina verließ die Auffahrt und stapfte durch kniehohes, verdorrtes Gras vom Vorjahr, während der Regen wie ein dichter Vorhang fiel. Der letzte Besitzer des Anwesens, ein Zauberer namens Bolzano-Weierstrass, war zwei Jahre zuvor ermordet worden als er in der Villa seine neueste Entwicklung testen wollte. Seine Nichte hatte das Grundstück anschließend für zweihundert Dollar an die Stadt verkaufen müssen weil es sonst keine Interessenten gab. Seitdem lebten hier nur noch Ratten, Unkräuter und der ein oder andere Vogel der sich in den verfallenden Mauern sein Nest gebaut hatte.
Insgeheim schüttelte Edwina den Kopf über den Aberglauben der Leute. Hätte sie das Geld besessen um völlig neu zu bauen wäre das Grundstück längst in ihren Besitz übergegangen. Die Überwaldianerin lächelte und richtete ihren Regenschirm neu aus als sie um eine Ecke der Ruine trat und der Regen von einer anderen Seite heranwehte. Sie als die neue Bewohnerin der Adana-Villa, das wäre wirklich Ironie des Schicksals gewesen.
Einst hatten laut Kraftliebs
Seelenschmiede mächtige Schutzzauber das Anwesen umgeben und die Legende sprach sogar von einer fast vollständigen Abschrift des
NECROTELICOMNICON die in einem besonders gesicherten Kellerraum aufbewahrt worden war. In Edwinas Augen klang dies nur logisch. Der Hexer von Ankh hatte gefährlich gelebt und jeden Brocken des verbotenen Wissens über die Dinge die nicht sein durften gebrauchen können. Wie sollte er schließlich die Beschwörungsrituale des Turisas Linistar, welche weiterhin in gewissen finsteren okkulten Zirkeln unter der Hand kursieren, verhindern wenn er sie nicht einmal kannte?
Edwina stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte durch ein zerbrochenes Fenster in die Eingangshalle. Die große Treppe lag in Trümmern und die Hälfte des Daches fehlte. Auf halber Treppenhöhe waren an der Wand die verblichenen Überreste der ephebianischen Kreiszahl zu erkennen, ein Überbleibsel von Weierstrass' letztem Experiment.
Turisas Linistar, überlegte Edwina während sie weiter um die Ruine schlenderte. Immer wieder Turisas. Die Geschichte des dunklen Meistermagiers und die des Hexers von Ankh waren untrennbar miteinander verknüpft. Doch über den genauen Zusammenhang schwieg sich Philipp Howards Kraftlieb hartnäckig aus. Aber wenn es wirklich stimmte, daß Linistar zusammen mit dem Stockdegen in den Kerkerdimensionen eingeschlossen worden war, woher hatte dann der Hexer plötzlich die Waffe bekommen? Edwina betrachtete es als ihre nächste Aufgabe, genau Dieses herauszufinden. Die ehemalige Vampirjägerin blickte auf ihre Taschenuhr, die fünf nach Acht anzeigte. Zufrieden nickte sie. Es war langsam Zeit, sich auf den Weg zur Wache zu machen.
Lächelnd entnahm Edwina ihrer Gürteltasche einen Flachmann und schraubte ihn auf.
"Auf dich, Godrric Adana, Hexerr von Ankh!" sagte sie wie schon in der vergangenen Nacht und trank.
Raistan und der TodWas ist nur mit Araghast los, überlegte Kolumbini als er in Begleitung von Romulus und einem vor Sorge fast durchdrehenden Kamerun Quetschkorn das Wachhaus in der Kröselstraße betrat. Alles was der Ermittler im Büro des Abteilungsleiters der FROG vorgefunden hatte waren eine leere Rumflasche auf dem Boden und eines dieser verrückten Gruselbücher auf dem Schreibtisch gewesen. Alles hatte darauf hingedeutet, daß sich Bregs wieder einmal gehörig die Kante gegeben hatte und zur Zeit vermutlich auf der Suche nach einer starken Tasse Kaffee und einer kalten Dusche durch das Wachhaus geisterte. Kolumbini runzelte die Stirn. In letzter Zeit waren solche Sachen bei seinem Freund immer häufiger vorgekommen, genau wie dessen natürliche Verbittertheit immer mehr zum Vorschein trat. Etwas stimmte mit Araghast eindeutig nicht und es war nicht nur der Frust, Leiter einer nichtermittelnden Abteilung zu sein und sich halb zu Tode zu langweilen.
"Da feid ihr ja." begrüßte Rogi Feinstich die Neuankömmlinge. Sie war sichtlich aufgeregt.
"Wo ist er?" rief der junge barbarische Held sofort und sah sich hektisch um. Mehrere Rekruten hatten sich in respektvollem Abstand versammelt und beobachteten interessiert das Geschehen. Früh übt sich was ein richtiger Morporkianer werden will, dachte Kolumbini bissig.
"Alfo wenn ihr mitkommen wollt, ich habe ihn in den Flaffaal gebracht, da er fich dringend aufruhen muffte. Ich hoffe, ef geht ihm fon etwaf beffer..."
Verwirrt blickte die Igorina dem muskelbepackten Riesen nach der, kaum daß sie den Aufenthaltsort erwähnt hatte, schon in Richtung der Tür mit der Aufschrift
Rekrutenschlafsaal davongesprintet war.
Kolumbini und Romulus schüttelten synchron die Köpfe.
"Na dann wollen wir mal." sagte der Werwolf und zückte Notizblock und Bleistift.
Kolumbini tat es ihm nach. "Hoffentlich weiß der Zauberer wirklich, wer es nun eigentlich getan hat." bemerkte er. "Langsam gehen mir diese Skilla und ihre Besessenheitstests wirklich auf den Geist."
"A propos Skilla." warf Romulus ein als sie durch die Eingangshalle in Richtung Schlafsaal marschierten, scharf beobachtet von einem guten halben Dutzend Rekruten. "Hätten wir sie nicht eigentlich mitnehmen sollen?"
"Oh." Kolumbini kratzte sich am Kopf und bemühte sich, möglichst unschuldig dreinzublicken. "Ich muß es irgendwie vergessen haben."
Das erste Mal war Raistan dem Sensenmann beim Tod Großvater Hühnertaus begegnet. Seine Eltern hatten ihn zum Wache halten ans Sterbebett geschickt weil sie selbst und der Rest der Familie mit der Kohlernte beschäftigt waren. Es war später Nachmittag gewesen als Großvater nach langem Kampf endlich gestorben war. Während der achtjährige Raistan noch damit beschäftigt war die ins Leere blickenden Augen des alten Mannes zu schließen und das Schwert das Großvater in seinen letzten Minuten noch einmal sehen wollte wieder in sein Versteck zurückbrachte ertönte vor der Hütte plötzlich das Klappern von Hufen. Kurz darauf trat Tod mit geschulterter Sense durch die Wand.
"Du kommst zu spät." sagte der kleine Junge. "Großvater ist schon gestorben."
"ICH KOMME NIEMALS ZU SPÄT." antwortete Tod und Raistan glaubte, leichte Verwirrung in der dunklen, dröhnenden Stimme zu hören. "WARUM KANNST DU MICH SEHEN? DAS SOLLTEST DU EIGENTLICH NICHT." Er schlug die Kapuze seines nachtschwarzen Umhangs zurück und grinste den kleinen Jungen knöchern an.
"Du hättest mich im letzten Winter beinahe geholt als ich die Lungenentzündung hatte." stellte Raistan fest und sah direkt in die dunklen Augenhöhlen in denen ein bläulicher Funke glühte.
"DAS IST MÖGLICH."
Tod trat an das Bett auf dem die Leiche Großvater Hühnertaus lag und schwang die Sense.
"AUF WIEDERSEHEN, KLEINER." waren seine letzten Worte gewesen bevor er wieder durch die Wand fortgegangen war.
Das zweite Treffen von Raistan und Tod hatte stattgefunden als Fraktus Berggießhübel, Raistans erster Lehrmeister und Vorbesitzer seines Zauberstabes, den Folgen eines Trolltritts erlag. Bei dieser Gelegenheit hatte der damals fünfzehnjährige Zauberlehrling gelernt, daß es ein Privileg der Magier war, den Sensenmann und andere für Normalsterbliche unsichtbare Entitäten sehen zu können.
Darum war Raistan ziemlich enttäuscht, die Begegnung mit Tod anscheinend verpaßt zu haben. Er wußte nicht was genau ihm die Igorina für ein Mittel verabreicht hatte, doch offensichtlich war es das Falsche gewesen. Anders konnte er es sich nicht erklären, daß Kamerun schluchzend neben seinem Bett kniete und ihm immer wieder freudig den Arm drückte.
"War es schlimm, das Verbrennen?" fragte der junge Zauberer leise.
"Verbrennen?" Kamerun runzelte die Stirn. "Ich war nicht zu Hause! Darum bin ich nicht tot! Ich dachte, der Mörder hätte dich umgebracht, Kleiner!"
"Dann sind wir beide am Leben?"
"Ja!" Der junge barbarische Held schob seine Pranke unter den Rücken seines Bruders und half ihm, sich aufzusetzen. "Wie geht es dir?" fragte er besorgt.
"Schlecht, aber das spielt jetzt keine Rolle." antwortete Raistan und hustete. "Kaboltzmann war es." krächzte er. "Das Ding aus dem Imbiss... Es hat ihn übernommen."
"Ssschhh, ganz ruhig, Kleiner. Alles wird gut. Zwei Wächter sind hier, die werden alles richten."
Der junge Zauberer nickte schwach und hätte Kamerun ihn nicht gehalten wäre er zurück auf das Bett gesunken.
"Sag mal." fragte sein Bruder plötzlich mit einem seltsamen, lauernden Tonfall in der Stimme. "Würdest du... Würdest du mich jemals verraten?"
"Wieso das?" gab Raistan verwirrt zurück. "Wie kommst du auf einmal darauf? Inwiefern sollte ich...?"
"Äh..." Kamerun druckste herum. "Ich hatte einen Traum. Ich war du... und eine Insel stieg aus dem Meer... Und die Stimmen... Das Grauen, Kleiner, das Grauen!"
Raistan spürte wie die Hand die ihn hielt zu zittern anfing. Das gleiche Phänomen wie bei Ewein schien sich bei seinem Bruder anzubahnen. Mühsam hob der junge Zauberer den Arm und schlug seinem Bruder ins Gesicht. Es war eher ein kraftloses Reiben als ein Schlag doch die Aktion verfehlte ihre Wirkung nicht. Kamerun starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
"Hör auf damit, Großer!" zischte Raistan. "Das ist alles nur Einbildung!" Wieder mußte er husten und seine Brust fühlte sich an als ob jemand hunderte von Nadeln gleichzeitig hineinbohren würde. Erschöpft lehnte er sich an die muskulöse Schulter seines Bruders.
"Bald ist dieses Mal wirklich alles vorbei." wisperte er und beobachtete aus den Augenwinkeln wie die Tür des Schlafsaales aufschwang und zwei Wächter eintraten.
Wenig später lag der junge Zauberer in seinen inzwischen fast getrockneten Umhang gewickelt auf der Rückbank des mit einer Segeltuchplane überspannten Wache-Eselskarrens und beantwortete die Fragen die ihm der kleine, immer wieder auf dem linken Auge herumklopfende Wächter stellte.
"Also wenn ich es richtig verstehe," faßte der Ermittler der sich als Inspäctor Kolumbini vorgestellt hatte zusammen, "Wurde Emanuel Kaboltzmann in den Höhlen unter Herrn Hongs Imbiss vom Schatten eines Monsters aus den Kerkerdimensionen besessen das nun seinen Körper übernommen hat, die Gehirne von Näherinnen frißt und Bürger in ihren Häusern flambiert. Zu erkennen ist er an goldenen Augen und Pupillen die die Form von Sanduhren haben. Habe ich bisher alles richtig verstanden?"
Raistan nickte.
"Das
Ding ist sehr gefährlich." flüsterte er. "Es schickt Alpträume zu all denen die mit ihm in Berührung gekommen sind und treibt sie langsam in den Wahnsinn."
"Das ist nicht gerade nett von ihm." bemerkte der Wächter. "Aber keine Sorge, unsere allseits beliebte Haudrauf-Truppe wird sich Kaboltzmann alias Ungeheuer bald vorknöpfen. Laut einem ihrer Sprüche kriegen sie angeblich jeden früher oder später."
"Und da ist noch etwas." Mühsam stemmte sich der junge Zauberer auf die Ellenbogen hoch. "Kurz bevor Kaboltzmann endgültig von dem Ding das nicht sein darf übernommen wurde rief er noch etwas von einem Hexer von Ankh und das nur der ihn noch retten könnte. Ich habe gehört, es ist nur eine Romanserie, aber etwas muß dran sein."
Das Gesicht Inspäctor Kolumbinis verhärtete sich und Raistan begann sich zu fragen, ob er etwas Falsches gesagt hatte.
"Romulus!" rief der Wächter plötzlich nach vorn zu seinem den Karren lenkenden Kollegen. "Wir müssen die beiden sofort zu Bregs bringen! Ich hab doch gleich gesagt, daß er der Mann für diesen Fall ist!"
"Wer ist dieser Bregs?" schaltete sich Kamerun mißtrauisch ein.
Der kleine Wächter räusperte sich.
"Feldwebel Araghast Breguyar ist im Moment der wohl einzige Mann der in der Lage ist, diesen Fall endgültig aufzuklären. Er weiß so ziemlich alles über den Hexer von Ankh was man nur wissen kann."
Niemand anwesendAus ihrer langjährigen Erfahrung als Vampirjägerin wußte Edwina Walerius, daß es immer auf den richtigen Auftritt ankam. Deshalb nahm sie sich die Zeit, im Schutz des Türrahmens ihren Regenschirm auszuschütteln und zusammenzurollen bevor sie das Tor zur Eingangshalle des Wachhauses am Pseudopolisplatz aufstieß und mit wehendem Umhang auf den Tresen zuschritt, den Kopf hoch erhoben und die linke Hand in ihre korsettierte Taille gestemmt.
Ein stoppelbärtiger und braunhaariger Wächter, den zierdelosen Klappen auf seinen Schultern nach ein Rekrut, blickte sie mit großen Augen an.
"Ich suche einen gewissen Feldwebel Arraghast Brreguyarr." sagte Edwina in geschäftsmäßigem Tonfall und verzog ihre rotgeschminkten Lippen zu einem kurzen Lächeln.
"Äh." brachte der Rekrut hervor. "Und weshalb wollen Sie zu ihm?" fragte er diplomatisch.
Die Überwaldianerin schob sich mit einer eleganten Handbewegung ihren Hut in den Nacken. Aha, dachte sie. Er geht wirklich genau nach dem Protokoll vor.
"Es ist zu gefährrlich, offen darrüberr zu rreden." antwortete sie und beugte sich vor als würde sie nur widerwillig etwas enthüllen das eigentlich ein großes Geheimnis darstellen sollte. "Du errinerrst dich an die errmorrdete Näherrin derren Gehirrn verrspeist wurrde?"
Zufrieden beobachtete Edwina, wie der Rekrut nickte.
"Der Ausbildungsleiter hat uns davon erzählt." sagte er.
Lächelnd nickte die ehemalige Vampirjägerin.
"Und nun, wenn du bitte so nett wärrest, Rrekrrut..."
"Falko Spindel." half der junge Mann sofort aus.
"Falko Spindel, mirr zu sagen, wo ich das Bürro von Feldwebel Brreguyarr finden kann?"
Der Rekrut überlegte einen Moment und griff dann unter den Tresen. Edwina vermutete, daß er heimlich einen Plan des Wachhauses anschaute.
"Erster Stock nach der Treppe links, schauen Sie einfach nach Abteilungsleiter FROG." antwortete er beinahe automatisch.
"Vielen Dank." antwortete die Überwaldianerin förmlich und nickte dem jungen Mann freundlich zu.
Das ging ja leichter als ich dachte, ging ihr durch den Kopf als sie die Treppe hinaufschritt und ihr war klar, daß sie Glück gehabt hatte, den Tresen mit einem Rekruten besetzt vorzufinden. Frischlinge wußten nichts von den achtzehn Verhaftungen und den verschiedenen Vorwürfen die ihr bereits gemacht worden waren. Jeder andere Wächter, vor allem wenn er dieser Abteilung mit den Seehunden auf dem Abzeichen angehörte, hätte höchstwahrscheinlich erst einmal einen Haufen unangenehmer Fragen gestellt.
Das gesuchte Büro war nicht schwer zu finden. Nach kurzer weiterer Nachfrage hatte eine leicht grau im Gesicht aussehende junge Frau in grüner Uniform Edwina den Weg gewiesen. Sie hatte sichtlich nervös gewirkt als die ehemalige Vampirjägerin sich nach Feldwebel Breguyar erkundigt hatte und etwas von
passen Sie auf, er ist zur Zeit püschisch sehr instabil gemurmelt.
"Brreguyarr von Duschen-Duschen." sagte sie leise als sie das Schild neben der Bürotür las. Außer der Geschichte des Stockdegens des Turisas Linistar gab es noch etwas das sie ihm verheimlicht hatte.
Denk immer daran, Edwina, egal wie freundlich ein Vampir dir erscheinen mag, tief im Inneren seines Herzens lauert immer das Böse in Person ertönten die Worte ihres Vaters in ihrer Erinnerung.
Die Bestie schläft nie. Sie ist höchstens zeitweilig zurückgedrängt worden.Edwina Walerius atmete tief durch und klopfte an. Sie hatte aus reiner Wißbegierde heraus bereits angefangen, ihre Geheimnisse mit dieser seltsamen Kreatur, halb Mensch und halb Vampir, zu teilen, auch wenn sie gespürt hatte wie sein Erbe an ihm fraß gleich einer Ratte an einem Kadaver. Eine Jägerin scheute das Risiko nicht. Dies war ihr die Vermehrung des Wissens über den Hexer von Ankh und Turisas Linistar wert.
Niemand antwortete auf ihr Klopfen.
"Arraghast Brreguyarr?" rief sie fragend. "Edwina Dorrothea Walerrius von Schlaz ist hierr. Es gibt da noch etwas worrüberr ich drringend mit Ihnen sprrechen muß."
Wieder rührte sich nichts jenseits der Tür.
Nun ja, was solls, überlegte Edwina und drückte die Türklinke herunter.
Widerstandslos schwang die Bürotür auf und die Überwaldianerin blickte in ein leeres Zimmer.
Neugierig musterte die ehemalige Vampirjägerin den Raum. Auf den ersten Blick wirkte das Zimmer wie eines der typischen Wächterbüros von denen sie während ihrer häufigen Zusammenstöße mit der Wache bereits genug gesehen hatte. Alles, von dem wuchtigen Schreibtisch über den hinweg die Verdächtigen angeschnauzt wurden bis sie endlich gestanden, bis zu dem von Büchern und Akten fast überquellenden Regal, entsprach ihren früheren Erfahrungen. Erst auf den zweiten Blick bemerkte sie den Sarg der hinter dem Schreibtisch an der Wand stand.
Edwina warf einen schnellen Blick auf den Flur. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß niemand zu sehen war, betrat sie eilig das Büro und schloß die Tür hinter sich.
Mit einem monotonen Trommeln prasselte der Regen gegen das Fenster und die ehemalige Vampirjägerin sehnte sich plötzlich nach ihren Pianoforte.
"Es ist ein langerr Weg von Schlaz nach hierr." sang sie leise vor sich hin und ging um den Schreibtisch herum. Ein schweres, ledergebundenes Buch lag aufgeschlagen vor dem Schreibtischsessel.
Neugierig beugte sich Edwina über die Seiten und begann zu lesen.
In einem Punkt war Feldwebel Wiese gegenüber Professor Netz ganz klar im Vorteil, denn viele seiner Gefangenen hatten ihm erklärt was ältere Kultmitglieder über die Bedeutung der mysteriösen Worte erzählt hätten.
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn Was, übersetzt in das Morporkianische bedeutete:
Träumend wartet der tote Cthulhupalhulhu in seinem Haus auf Leshp Die ehemalige Vampirjägerin traute ihren Augen kaum. Hatte sie wirklich gerade eben den Namen Cthulhupalhulhu gelesen? Für einen Augenblick schloß sie die Augen und las den Beginn der Seite noch einmal, doch die Worte blieben die Gleichen.
Neugierig hob Edwina das Buch an und linste auf den Titel.
"Ich glaub's kaum." murmelte sie und ließ sich in den Schreibtischsessel fallen. Hastig schlug sie die letzte Seite des Buches auf und überflog sie. Es gab keinen Zweifel. Hier, im Büro eines Mitglieds der von ihr oft verfluchten Stadtwache hatte sie den vermissten ersten Teil von Philipp Howards Kraftliebs
Die Seelenschmiede gefunden. Dieser Araghast Breguyar wurde wirklich immer interessanter.
Edwina erinnerte sich an das erste Mal, als sie in einer Kneipe zufällig ein Gespräch mehrerer Wächter über ihn belauscht hatte und der Name Breguyar sie hatte hellhörig werden lassen. Irgendwann war die Unterhaltung zum Thema Verschwörungen und das Interesse des betreffenden Wächters für das Thema und diverse Eddie Wollas-Romane abgedriftet. Ein Vampir hatte sich ausgiebig über den wie er es nannte Cthulhplusonstwas-Mythos geäußert, was er von solchen Hirngespinsten hielt und daß gewisse achatene Ku-Fung-Fett-Romane viel besser wären. Seit jenem Abend vor einem knappen Jahr war Edwinas Interesse für Araghast Breguyar aus zweierlei Gründen geweckt gewesen.
Zufrieden mit sich selbst und der Welt im Allgemeinen lehnte sich die ehemalige Vampirjägerin im Schreibtischsessel des Abteilungsleiters der FROG zurück und schlug das Inhaltsverzeichnis des Kraftlieb-Buches auf. Dieser Band und der Stockdegen in einem einzigen Tag. Sie mußte sich wirklich in dem von diversen klatschianischen Dichtern mit blumigen Worten beschriebenen Paradies befinden.
Das BuchMit metaphorischen quietschenden Bremsen hielt der Eselskarren vor dem Wachhaus.
"So, da wären wir." verkündete der bärtige Wächter auf dem Kutschbock.
Inspäctor Kolumbini nickte. "Erster Stock, Büro des Abteilungsleiters FROG." sagte er. "Da treffen wir uns zur allgemeinen Lagebesprechung. Geht ihr beiden schon mal vor während wir den Karren parken, wir kommen dann gleich nach."
Raistan sah wie sein Bruder nickte, und bevor er protestieren konnte hatte Kamerun ihn schon vom Karren gehoben als würde er nicht mehr wiegen als eine Feder.
Der junge barbarische Held trug seinen Bruder, welcher den Zauberstab festhielt als wäre er sein ganz persönlicher Rettungsanker, durch die Tür in die Eingangshalle des Wachhauses. Der hinter dem Tresen sitzende Wächter starrte sie verwirrt an.
"Die Treppe hoch." wiederholte Raistan leise die Worte des kleinen Ermittlers.
Kamerun nickte.
"He, wo wollt ihr hin?" rief ihnen der Tresenwächter hinterher, doch beide Brüder ignorierten ihn. Sie tauschten einen wortlosen Blick. Laß den Kerl doch reden sagten sie stumm in gegenseitigem Einverständnis und Kamerun stieg die Treppe hinauf.
"Erster Stock." verkündete der junge barbarische Held, als sie oben angekommen waren. "Und wo lang jetzt?"
"Laß mich runter." wisperte Raistan.
Sein Zwillingsbruder setzte ihn vorsichtig auf den Füßen ab.
"Schaffst du das auch?" fragte er besorgt und fing den jungen Zauberer gerade noch auf, als dieser von einem seiner Hustenanfälle heimgesucht wurde.
Raistan rang nach Luft und versuchte die brennenden Schmerzen in seiner Brust zu ignorieren.
"Ich werde nicht auf allen Vieren zu diesem Breguyar kriechen." fauchte er als er wieder zu Atem gekommen war und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund um das Blut von seinen Lippen zu entfernen. Sich schwer auf seinen Stab stützend sah er sich um.
In diesem Moment öffnete sich eine Tür und eine in Grün gekleidete Wächterin trat auf den Flur.
"Kann ich euch beiden irgendwie weiterhelfen?" fragte sie mit leichtem Mißtrauen in der Stimme und musterte die Brüder gründlich.
Raistan biss die Zähne zusammen und richtete sich zu seiner vollen Größe von einem Meter und neunundsechzig Komma fünf Zentimetern auf.
"Wir suchen das Büro von einem Araghast Breguyar." sagte er heiser.
Der Gesichtsausdruck der eine seltsam graue Gesichtsfarbe besitzenden Wächterin wurde eine Spur bleicher.
"Ihr seid nicht die ersten heute die nach ihm fragen." erklärte sie zaghaft.
"Na und?" gab Raistan mit letzter Kraft zurück und stützte sich auf Kameruns Arm. "Ein Wächter hat uns gesagt wir sollen im Büro von ihm auf ihn warten."
"Zweite Tür rechts." antwortete die Wächterin beinahe automatisch. "Aber seid vorsichtig... Er ist zur Zeit, nun ja, etwas püschisch neben sich selbst."
"Das wird uns auch nicht umbringen."
Kamerun konnte gerade noch rechtzeitig zugreifen um seinen Bruder vor einem Sturz zu bewahren. Raistan kämpfte mit seinem Willen gegen seinen Körper. Jetzt aufzugeben kam für ihn ganz und gar nicht in Frage. Er mußte diesen Breguyar unbedingt sprechen wenn dieser alles über den Hexer von Ankh wußte. Kaboltzmanns Leben und das einiger anderer Personen hing davon ab. Mühsam richtete er sich auf, mit der einen Hand auf den Arm seines Bruders und mit dem anderen auf seinen Stab gelehnt.
"Zweite Tür rechts." hauchte er.
"Kleiner, du brichst gleich zusammen!" wandte Kamerun ein. "Laß uns auf die anderen warten."
Doch Raistan riss sich zusammen und schleppte sich den Flur entlang. Jeder Schritt kostete ihn Überwindung doch entschlossen kämpfte er sich vorwärts. Schließlich, als er kurz davor war, die Schlacht seines Willens gegen seine Kraft zu verlieren erreichte er die Tür.
"Kamerun, komm her." hauchte der junge Zauberer und lehnte sich gegen die Wand neben der Bürotür. "Wir haben es geschafft."
Sein Bruder war bei ihm und nahm ihn ehe er es sich versah in den Arm.
"Der Traum..." sagte er leise. "Der Traum den das
Ding mir geschickt hat... Ich war du und bekam mit was du immer und immer wieder durchmachst. Es war das Pandämonium für mich. Die Schwäche. Die Schmerzen. Diese Hilflosigkeit, das Gefühl, allem was geschieht einfach so ausgeliefert zu sein."
"Es gibt immer einen letzten Kampf." wisperte Raistan hustend. "Und jetzt mach endlich diese Bürotür da auf und hilf mir rein!"
Mechanisch drückte Kamerun die Türklinke herunter und stieß die Tür auf während er mit seinem anderen Arm seinen Bruder festhielt.
Raistan sah in das Zimmer. Hinter dem wuchtigen Schreibtisch saß eine Frau und blätterte interessiert in einem dicken Buch.
Als sie das Geräusch der gegen die Wand schlagenden Tür hörte sah sie auf und musterte die beiden Neuankömmlinge gründlich.
"Hat einerr von euch zufällig den Feldwebel Brreguyarr gesehen?" fragte sie.
Der junge Zauberer blinzelte verwirrt. Ein oktarines Funkeln umgab das Buch das auf der Schreibtischplatte lag. Gleichzeitig wirkte die Geometrie des Raumes seltsam verzerrt. Raistan kam es vor als würde jeder Winkel der Wände mehr als neunzig Grad betragen.
"Soso, Sie sind Zauberrerr, nicht wahrr?" plauderte die Frau als wäre alles in Ordnung und tippte mit dem Zeigefinger grüßend an die Krempe ihres schwarzen Herrenhutes. "Hat man Sie etwa zu dem Fischmbiss-Fall hinzugezogen?"
"Passen Sie mit dem Buch auf!" keuchte Raistan und stolperte vorwärts. Wie durch einen Nebelschleier nahm er wahr, daß Kamerun hinter ihm herlief. "Es ist magisch... Es ist..."
"Was ist damit?" fragte die Fremde ungerührt.
Plötzlich geriet dem jungen Zauberer etwas zwischen die Füße und er fiel. Wie in Zeitlupe nahm er wahr, daß die Frau aus dem Sessel aufsprang und nach ihm griff. Gleichzeitig spürte er wie Kamerun ihn am Arm packte und versuchte, ihn zu halten. Doch er hatte keine Kraft mehr, sich wieder zu fangen. Der Zauberstab entglitt seiner Hand und fiel zu Boden. Die Schreibtischplatte und das Buch kamen immer näher. Raistan riß seinen freien Arm nach vorn um den Sturz abzufangen und schlug mit der Hand auf dem Buch auf.
Ein explosionsartiger Schlag fuhr durch seinen zerbrechlichen, entkräfteten Körper und ihm wurde schwarz vor Augen.
FORTSETZUNG FOLGT...Dank geht an Rogi und Val für die nächtlichen gemeinsamen Rechnersitzungen und an Robs für die hilfreiche Kritik.
[1] Und bevor jemand fragt: Ja, es hat etwas mit Quanten zu tun...
[2] An dieser Stelle muß angemerkt werden, daß es sich bei der laterna magica trotz ihres Namens um ein absolut nichtmagisches Objekt handelt. Sie besteht lediglich aus einer Lichtquelle und einem Papierschirm und funktioniert ähnlich wie ein irdischer Diaprojektor.
[3] soweit man in Ankh-Morpork von 'erfrischend' reden konnte- Dies erforderte eine völlig neue Definition des Wortes, vermutlich in der Richtung 'nicht ganz so stinkend wie der Rest'
[4] Die narrative Kausalität verlangt, daß diese Frage überall im Multiversum gestellt wird, wenn jemand nach einer längeren Ohnmacht wieder zu sich kommt. Die Suche nach dem Grund dafür wäre vermutlich auch ein Fall für Emanuel Kaboltzmann.
[5] An dieser Stelle bittet die Schreiberin die Autoren sämtlicher Kitsch-Horror-Geschichten um Entschuldigung, diesen Satz ebenfalls verwendet zu haben. Sie ist sich vollkommen bewußt, daß er zusammen mit 'Ich bin dein Vater', 'Ich bin schwanger' und 'Hiermit entziehe ich Ihnen den Fall' zu den meistverwendeten Sätzen in einschlägigen Literaturerzeugnissen gehört. Aber andererseits, was spielt das für eine Rolle? Diese Geschichte ist eine Hommage an eine Heftromanserie. Und da darf man sowas.
[6] In Memoriam Dashiell Hammett
[7] Mit anderen Worten: Es handelte sich um das Schweizer Messer unter den Zauberstäben
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