Johan wird zufällig Zeuge wie am hellichten Tage ein Mann überfahren wird. Anfangs deutet alles auf einen Unfall hin, doch schon bald kommen die ersten Zweifel auf.
Dafür vergebene Note: 11
Ankh-Morpork, Wachhaus Pseudopolis-Platz an einem wunderschönen Morgen im März:
Johan Schaaf, seit kurzer Zeit Gefreiter und neuer Verkehrsexperte bei SEALS, betrat gutgelaunt das Wachhaus. Um ihn herum herrschte reger Betrieb: Überall in der Eingangshalle und den Gängen liefen, saßen oder standen Wächter und Zivilisten herum, unterhielten und stritten sich, tranken Kapputschino, lasen Zeitung, trugen große Stapel wichtiger Papiere mit sich herum, die jeden Moment umkippen und sich auf dem Fußboden ausbreiten konnten, oder warteten einfach nur auf irgendetwas oder irgendjemanden. Riesige Menschenmassen
[1] betraten und verließen ununterbrochen das Gebäude durch die große Eingangstür, wodurch diese fast ständig offen stand. In dem Gewirr aus Beinen hockte ein Wächter auf dem Boden und versuchte, die wichtigen Papiere, die sich nun durch seine Ungeschicklichkeit wirklich auf dem Fußboden ausgebreitet hatten, wieder aufzusammeln, was ihm nicht leicht fiel, weil ständig jemand darüber hinweg trampelte.
Johan stand da, nahm die verschiedenen Eindrücke in sich auf, hörte den Lärm, der den ganzen Raum auszufüllen schien, nahm die verschiedenen Gerüche von Kapputschino, verwesendem Fleisch und Frau Willichnicht's aufdringlichen Parfüm wahr und war einfach nur begeistert von dem, was sich ihm hier bot.
Natürlich war er schon früher hier gewesen - als Rekrut, während seiner Ausbildung - aber nun hatte er erstmals dieses Gefühl, wirklich ein Teil dieses unbeschreiblichen Chaos zu sein, hinter dem in Wirklichkeit wohl doch irgendeine Art von komplexer Ordnung stecken musste, die das alles am Laufen hielt.
Als er sich endlich von dem Anblick losreißen konnte, marschierte er entschlossen und in freudiger Erwartung auf den ersten Tag seiner Ausbildung auf das Büro von Atera, der Abteilungsleiterin der SEALS zu.
*** Ankh-Morpork, "Hargars Rippenstube", einige Monate später:
Es war ein bewölkter Tag im Monat Offler. Johan saß mit seinem Kollegen Tibor Khäinen zusammen in Hargars Rippenstube, wo sie während dem Streifendienst ihre "inoffizielle Mittagspause" einlegten. Außer ihnen waren nur wenige Gäste anwesend.
"Die Bratkartoffeln schmecken heute irgendwie seltsam", meinte Johan schmatzend.
"Stimmt", erwiderte Tibor und wandte sich dem Mann hinter der Theke zu: "Hast du denn immer noch das Fett von vorletztem Jahr in der Pfanne, Hargar?"
"Natürlich!", antwortete dieser und lächelte, wobei er seine krummen, mit mehreren Dreckschichten überzogenen Zähne auf eine Art und Weise entblößte deren Anblick einem normalen Menschen wohl durchaus den Appetit hätte verderben können.
Doch immerhin hatte er es hier nicht nur mit Bürgern Ankh-Morporks zu tun, sondern noch dazu mit Wächtern.
"Hm, keine Ahnung, woran es dann liegen könnte..."
Beide widmeten sich wieder ihrem Essen.
"Wie läuft eigentlich deine Ausbildung so?", fragte Tibor nach einer Weile.
"Na ja, ganz gut. Dürfte wohl nicht mehr allzu lang dauern. Morgen ist nämlich die letzte Prüfung."
"Schon wieder?"
"Nein, diesmal wirklich!" Er seufzte.
"Achso. Wird ja auch so langsam Zeit! Ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass du's überhaupt nicht mehr schaffst."
"Na, weißt du, Verkehrsexperte ist halt auch kein leichter Job. Da gibt's ne Menge zu lernen und das dauert seine Zeit."
"Willst du etwa sagen, dass man als Szenenkenner weniger können muss?", entgegnete Tibor mit gespielter Entrüstung.
"Klar!", grinste Johan. "Als Verkehrsexperte musst du bei Unfällen erste Hilfe leisten, mit wütenden Karrenbesitzern fertig werden, fliehende Verbrecher in wilden Verfolgungsjagden mit Pferden oder Kutschen zur Strecke bringen und so weiter. Da reicht es nicht aus, auf die Straße zu gehen und ein paar böse Buben anzuquatschen."
"Na hör mal..."
Während die beiden so diskutierten, stand einer der anderen Gäste auf, ging zur Theke, zahlte und verließ dann die "Rippenstube". Niemand beachtete ihn. Wieso auch? Er war nur ein völlig normaler Mann, der jetzt seine Mittagspause beendete, um danach weiter in den Straßen der Stadt seiner ehrlichen Arbeit nachzugehen. Es gab überhaupt nichts Bemerkenswertes an ihm. Bis auf die Tatsache, dass er in wenigen Sekunden tot sein würde.
In einer nahen Seitengasse saß eine Gestalt auf einem Eselskarren. Sie hatte die Kapuze ihres schmutzigen, braunen, an mehreren Stellen geflickten Mantels tief ins Gesicht gezogen; allerdings nicht allzu tief, da sie den Eingang der Taverne beobachten wollte.
Gerade kam ein Mann herausgelaufen, der zielsicher auf einen Punkt auf der anderen Seite zuging. Doch mitten auf der Straße zögerte er plötzlich, blieb stehen und schaute sich verwirrt um.
Genau in diesem Augenblick griff die Gestalt in der Gasse zu einer Peitsche, die neben ihr auf der Sitzfläche lag, und schlug mit aller Kraft zu. Vor Schmerzen blökte der an den Karren gespannte Esel laut auf und rannte los.
Der Mann auf der Straße fuhr herum. Der Ausdruck in seinem Gesicht wurde noch viel verwirrter und verzog sich zu blankem Entsetzen, als er den Karren auf sich zurasen sah. Er versuchte noch zur Seite zu springen, aber es war zu spät: Er wurde umgerannt, ein Huf traf ihn schmerzhaft im Bauch und dann rollten die Räder über ihn hinweg und es wurde ihm schwarz vor Augen.
"Was ist denn da draußen los?", fragte Johan, als sie die Geräusche von der Straße hörten.
"Sieht so aus, als hätte grad jemand den armen Herr Kleister über den Haufen gefahren", bemerkte Hargar, der versuchte, durch den Dreck auf seiner Fensterscheibe genaueres zu erkennen.
"Was?" Die Wächter sprangen gleichzeitig auf. Ihre Stühle fielen krachend zu Boden. Als sie zur Tür eilten, rief der Wirt ihnen hinterher: "He, ich krieg noch drei Dollar!"
"Keine Sorge, wir kommen wieder!", schrie Tibor über die Schulter zurück und schon waren sie draußen.
Man sollte es nicht für möglich halten, dass sich innerhalb von so wenigen Sekunden eine Menschenmenge um einen Unfallort herum bilden kann. Doch dies war Ankh-Morpork und die Bewohner dieser Stadt von Natur aus neugierig
[2], so dass die Anzahl der Schaulustigen, als die Gefreiten das Gebäude verließen, schon so sehr gewachsen war, dass die beiden Mühe hatten, sich ihren Weg zu bahnen.
"So tu doch jemand was!"
"Lebt er noch?"
"Machst du Witze?"
"He, ich will auch was sehen!"
"Würstchen! Heiße Würstchen!"
"All das Blut!""Lasst uns durch, wir sind von der Wache!", rief Johan, aber der Befehl ging im allgemeinen Lärm der Menge unter.
"Lasst uns durch! Lasst uns durch!", riefen beide so laut sie konnten und endlich öffnete sich eine Gasse durch die sie die Mitte der Straße erreichen konnten.
"Ich glaube, er ist tot", sagte Tibor, nachdem sie das Bild, dass sich ihnen nun bot, eine Weile betrachtet hatten und ihm kein intelligenterer Kommentar einfiel.
"Ja, ich glaube, du hast Recht."
Am Tod des Mannes konnte wirklich kein Zweifel bestehen; er war so tot, wie ein Mensch es allein überhaupt sein kann. Alle lebenswichtigen Körperteile waren zielsicher überrannt oder überfahren worden, überall war ziemlich viel Blut - es war kein schöner Anblick.
"Okay, Leute", wandte sich Johan an die Menge, als er sich von der Szene losgerissen hatte. "Geht jetzt bitte weiter! Hier gibt es nichts zu sehen!"
Dies war natürlich eine zu offensichtliche Lüge. Niemand ließ sich davon beeindrucken und selbst wenn, so konnte durch die sich nach vorne drückenden Neuankömmlinge, die ja schließlich auch mal schauen wollten, was da vorne los war, keiner den Kreis verlassen.
Johan seufzte. "Tibor, du hast nicht zufällig eine Brieftaube dabei?"
"Woher soll ich denn auf einmal eine Brieftaube haben?"
"Na gut, hätte ja sein können. Bitte renn mal schnell zum Wachhaus. Wir brauchen Leute von SUSI, die den Tatort absperren und die Leiche wegschaffen. Ich pass inzwischen auf, dass niemand hier was verändert, und versuch rauszukriegen, ob jemand irgendwas gesehen hat."
"Is' gut", willigte Tibor ein. Und dann: "Macht bitte Platz, ich bin von der Stadtwache! Lasst mich durch! Lasst mich durch!"
Als er wenig später mit einigen Tatort- und Spurensicherern von SUSI, einer erschöpft wirkenden Atera und zwei Rekruten mit einer Bahre zurückkehrte, waren nicht mehr ganz so viele Leute um den Ort des Geschehens versammelt, sei es, weil die meisten gemerkt hatten, dass hier niemand mehr ums Leben kommen würde oder aus Angst unangenehme Fragen von der Wache gestellt zu bekommen. Dennoch dauerte es eine Weile bis die Gruppe sich zu Johan und der Leiche durchgearbeitet hatte.
"Wurde hier seit deiner Ankunft irgendetwas verändert?", fragte ihn ein junger Spurensicherer. Plötzlich hatte der Verkehrsexperte den Geruch von Hundehaar in der Nase und musste niesen.
"Gesundheit!"
"Danke", sagte er und schnäuzte in sein Taschentuch. "Nein, ich habe aufgepasst, dass niemand der Leiche zu nahe kommt."
"Gut, dann werden wir denn Kerl mal unter die Lupe nehmen. Obwohl ich nicht glaube, dass wir noch irgendwas Wichtiges finden. Er wurde ja ganz eindeutig überfahren." Mit diesen Worten wandte er sich dem Toten zu. Die Tatortsicherer hatten den Bereich inzwischen abgesperrt und hielten die Zuschauer davon ab, ihn zu betreten. Einer der Rekruten übergab sich etwas abseits des Geschehens.
Inzwischen hatte sich Atera zu Johan gesellt.
"Und? Hast du was raus gefunden?", wollte wissen.
"Tja, ich weiß nicht: Ziemlich viele Leute scheinen etwas gesehen zu haben. Einer hat behauptet, der Mann sei plötzlich umgekippt. Herzversagen oder so. Kann ich mir aber nicht vorstellen, es sei denn, das Herz hat zu viel Blut gepumpt und ist dann geplatzt." Sie sahen zu dem großen, roten Fleck, der sich unter der Leiche ausgebreitet hatte, hinüber und Atera schüttelte den Kopf.
"Unwahrscheinlich", meinte sie. "Weiter!"
"Dann haben wir noch verschiedene Versionen, in denen sich Tore zur Unterwelt öffneten, aus denen schreckliche Dämonen entstiegen, die ihn zerfetzten und seine Brieftasche klauten. Sie hatten scharfe Krallen und lange, spitze Zähne. Außerdem unheimliche, rot glühende Augen.
Ach, und die Sache mit den Elefanten natürlich..."
"Hat irgendein Zeuge eine
glaubhafte Beschreibung des Tathergangs geliefert?", wurde er unterbrochen.
"Ja, mehrere. Ich wollte sie mir bis zum Schluss aufheben. Als Höhepunkt sozusagen." Er lächelte, redete aber schnell weiter, als er ihren ernsthaften und ungeduldigen Gesichtsausdruck bemerkte: "Also, die meisten haben einen Wagen gesehen, der sehr schnell auf das Opfer zufuhr. Der Typ konnte nicht mehr ausweichen und wurde überrollt. Der Wagenlenker ist einfach weitergefahren, ohne das Tempo zu verringern."
"Aha, Fahrerflucht also. Irgendwelche Informationen über das Opfer?"
"Ja, Hargar hat seinen Namen erwähnt, bevor wir raus gerannt sind. Er sagte so was wie 'sieht so aus, als hätte jemand den armen Herrn Kleister über den Haufen gefahren'."
"Soso, Hargar also. Ich will gar nicht wissen, was ihr beide während der Streife in seiner Rippenstube gemacht habt." Sie zwinkerte ihm zu. "Aber ich werde jetzt erstmal mit Tibor dort reingehen, um ihn zu befragen. Ich glaube, du solltest dich in der Zwischenzeit mal um den Verkehr kümmern. Der wurde ja nun schon lange genug aufgehalten."
Der Gefreite sah sich überrascht um und jetzt erst fielen ihm einige Karren auf, deren Besitzer anscheinend darauf warteten, dass die Straße wieder frei wurde. Doch zum Glück war hier um diese Zeit sowieso nie viel los, da die meisten Leute Mittagspause hatten und diejenigen, die sich etwas besser in der Stadt auskannten, hatten, als sie sahen, dass der Weg gesperrt war, einfach umgedreht und einen kleinen Umweg um den Block gemacht.
Er glaubte nicht, dass er lange brauchen würde, den Stau zu beiden Seiten wieder aufzulösen. Trotzdem ärgerte er sich, dass er ihn nicht früher bemerkt hatte, denn so etwas machte sicher keinen guten Eindruck bei seiner Vorgesetzten, besonders nicht, da er sich ja immerhin in der Ausbildung zum Verkehrsexperten befand.
"Ja, ja, der arme Robert Kleister", murmelte Hargar und betrachtete trübsinnig die Schöpfkelle in seiner Hand. "War 'n guter Kunde. Kam jeden Mittag rein und aß das 'Soviel-Du-Verdrücken-Kannst-Für-Nur-Einen-Dollar-Menü'. Hat aber nie besonders viel gegessen und musste früh wieder weiter. Solche Leute mag ich!
Und zweimal die Woche nahm er dann die Eimer aus dem Hinterhof mit. Hat für den König gearbeitet, ihr wisst schon: der Pisse-Paul. Muss ein Scheiß-Tschob sein; ständig der Gestank von den ganzen Eimern, die hinten auf dem Karren stehen. Und viel verdienen tust'e da wohl auch nicht.
Wohnt auch in so 'nem Armenviertel. Die armen Kinder - Familie hat er nämlich auch noch, die er versorgen muss. Das heißt, jetzt natürlich nicht mehr. Waren aber ganz niedlich, die Kleinen. Am Wochenende, wenn manchmal seine Frau dabei war, hat er se auch mitgebracht. Zwei kleine Töchterchen, die jetzt ihren Vater verloren haben..." Er sah zu den Wächtern auf und wischte sich eine verlorene Träne aus dem Gesicht. "Das ist alles, was ich weiß. Hoffe, ich konnte euch helfen."
Nachdem die SUSI-Leute alles, was untersucht werden musste, untersucht, die Leiche aufgebahrt und auch die besonders hartnäckigen Teile vom Boden abgekratzt hatten, bauten sie auch schon wieder ihre Absperrungen ab und ließen Johan allein am Schauplatz zurück. Da der Verkehr nun wieder laufen konnte und der Gefreite nichts mehr zu tun hatte, schlenderte dieser zum Straßenrand, wo er vorhatte sich lässig an eine Mauer zu lehnen und auf die beiden anderen zu warten. Doch kurz bevor er sein Ziel erreicht hatte, sah er etwas aus den Augenwinkeln, das seine Aufmerksamkeit erregte.
Es war der Spurensicherer mit dem er vorhin kurz gesprochen und bei dem sich aus irgendeinem Grund seine Hundehaarallergie gemeldet hatte, der jetzt gerade die dunkle Gasse auf der anderen Seite der Straße verließ. Sein Verhalten kam Johan äußerst merkwürdig vor: Der junge Mann lief langsam die Straße entlang, blieb alle paar Meter stehen, schloss die Augen, drehte sich schnüffelnd im Kreis, öffnete seine Augen wieder, schaute sich um und ging weiter. Auf diese Weise kam er an ihm und der Unfallstelle vorbei und schließlich bog er um eine Ecke und war verschwunden.
Während dieser Szene war Johan still an seinem Platz stehen geblieben und hatte - er konnte es sich eigentlich nicht erklären, immerhin war es doch ein Kollege von ihm gewesen, der gewiss seine Gründe hatte, sich so seltsam aufzuführen, und nicht irgendein gefährlicher Verbrecher, aber trotzdem fand der Gefreite die Sache irgendwie unheimlich - nicht gewagt, in irgendeiner Form auf sich aufmerksam zu machen, da er fürchtete ... äh ... was auch immer.
Nein, er wusste wirklich nicht, was ihn gerade so erschreckt hatte. Natürlich, es war sehr sonderbar gewesen, doch sicher gab es irgendeine logische Erklärung dafür. Bei Gelegenheit würde er einmal Atera danach fragen und sie würde es ihm erklären.
Doch Johan konnte sich nicht helfen - er war neugierig. Er musste einfach herausfinden, was der Mann vorhatte. Er sah sich noch einmal kurz um - Atera und Tibor unterhielten sich noch mit Hargar und würden ihn wahrscheinlich nicht so schnell wieder brauchen - nahm die Beine in die Hand, rannte die Straße entlang und erreichte die Ecke gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der andere Wächter abermals in einer schmalen Seitenstraße verschwand.
Der Verkehrsexperte rief sich kurz die Karte Ankh-Morporks ins Gedächtnis und erkannte: Ihr Weg führte sie mitten in die Schatten. Er zögerte und überlegte, ob er nicht lieber umkehren sollte; womöglich störte er den Spurensicherer bei wichtigen Ermittlungen. Aber der war schon weiter gerannt und als Johan in die Gasse trat, stand jener ihm zugewandt, aber mit geschlossenen Augen, nur wenige Meter von ihm entfernt und schnüffelte. Dann drehte er sich abrupt wieder um und ging weiter. Er schien seinen Verfolger zum Glück nicht bemerkt zu haben. Dieser atmete erleichtert auf - aber leise, damit er nicht doch noch entdeckt wurde und wartete dann sicherheitshalber bis der junge Mann hinter der nächsten Ecke verschwunden war bevor er vorsichtig weiter ging.
Er stand nun in einer Sackgasse an deren Ende sich ein Karren und ein verwirrter Esel befanden, aber, außer ihm, kein Wächter. Johan runzelte die Stirn. Wie konnte er ihn verloren haben? Es gab keinen anderen Weg in oder aus der Gasse als den über den er gekommen war. Er hätte sein Opfer hinauskommen sehen müssen und außerdem...
"Okay, warum hast du mich verfolgt?", ertönte eine Stimme hinter ihm.
Verdammt!
Seine rechte Hand näherte sich langsam seinem Dienstschwert.
"Finger weg! Dreh dich langsam um, keine Mätzchen", verlangte die Stimme.
Er seufzte und tat wie ihm geheißen. Hinter ihm stand der Mann, den er verfolgt hatte. Natürlich. Wie konnte er bloß glauben, dass er ihn nicht schon lange entdeckt hatte?
"Also, was soll der Mist? Kann man hier nicht mal mehr in Ruhe seine Arbeit machen?", fauchte Lupos Drachenflug ihn an.
Hauptgefreiter Drachenflug war ein Werwolf und als solcher verfügte er, auch in menschlicher Form, über gewisse Eigenschaften, zu denen unter anderem sein besonders guter Geruchsinn gehörte. Schon am Tatort war ihm dieser intensive Gestank nach Fäkalien aufgefallen und er war sicher, dass er der Duftspur bis zu dem gesuchten Fahrzeug folgen könne, weshalb er sich, nachdem er als Spurensicherer nicht mehr benötigt wurde, mit Erlaubnis seines Schäffs auf den Weg gemacht hatte.
Nach genauer Untersuchung des Wagens und Überprüfung der Zulassungsnummer, was sich durch das etwas ungeschickte (manche würden auch sagen: "dämliche") Verhalten eines gewissen Gefreiten beides verzögert hatte, fand man heraus, dass sich jener im Eigentum der Firma des bekannten Geschäftsmannes Paul König befand und für gewöhnlich von einem Angestellten namens Robert Kleister gefahren wurde. Bei der Begutachtung der Akten über die zuletzt eingegangenen Fälle stellten die Ermittler außerdem fest, dass es sich bei Herrn Kleister höchstwahrscheinlich um den Mann handelte, dessen Leiche erst vor kurzem in die SUSI-Labors eingeliefert worden war.
"Er wurde mit seinem eigenen Wagen überfahren?", fragte Atera erstaunt.
"Ja", entgegnete Hauptmann MeckDwarf, der Abteilungsleiter von SUSI. "Das wirft ein völlig neues Licht auf die Sache. Ich glaube nicht, dass wir noch von einem Unfall sprechen können."
"Stimmt, es wäre schon ein ziemlich großer Zufall, wenn ein Dieb erst den Karren geklaut und direkt danach aus Versehen seinen Besitzer überfahren hätte."
"Wobei man es natürlich nicht vollständig ausschließen darf..."
"Nein, natürlich nicht." Sie kratzte sich nachdenklich am Kopf.
"Trotzdem", fuhr der Hauptmann fort "sollte man den Fall möglicherweise an RUM übergeben. Den Hinweisen nach zu urteilen könnte durchaus ein geplantes Verbrechen dahinter stecken."
"Ja, könnte es. Ähm..."
"Gut, dann wäre das ja erledigt. Ab sofort wird RUM sich um den Fall Kleister kümmern!
Auf Wiedersehen, Tery, schönen Tag noch!" Und schon rauschte er aus dem Zimmer, um den zuständigen Wächtern der Mordkommission die frohe Nachricht zu überbringen.
Auch Johan hatte eine Nachricht zu überbringen, allerdings keine frohe, denn kurz zuvor war ihm aufgetragen worden, Frau Kleister vom Tod ihres Mannes zu berichten - und zwar deshalb, weil er dort weit weg von den eigentlichen Ermittlungen beschäftigt war und hoffentlich niemandem mehr in die Quere kam. So schlurfte er lustlos durch die Schatten und erreichte die Adresse nahe der Betrug-Und-Schwindel-Straße ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Atera gerade ihr Gespräch mit Humph MeckDwarf beendet hatte.
Er klopfte an die Tür des schmutzigen Reihenhauses und, nachdem er einige Sekunden gewartet hatte ohne das etwas geschah, noch einmal wesentlich fester. Endlich hörte er sich nähernde Schritte. Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet und irgendjemand schnauzte ihn an:
"Wir kaufen nichts, wir haben kein Geld!"
Die Person, die das gesagt hatte, wollte die Tür gleich wieder zuschlagen, aber auf diesen Augenblick hatte der Wächter nur gewartet. Er stellte sofort seinen Fuß dazwischen, zückte seine Dienstmarke und sagte den Spruch, den er so liebte:
"Halt, tun Sie nichts Unüberlegtes! Ich bin von der Wache, Widerstand ist zwecklos!"
"Wie bitte?" Die Stimme klang jetzt leicht verwirrt.
"Sie haben schon richtig gehört! Ich bin Wächter und ich muss dringend mit Frau Kleister sprechen."
"Ha, ich wusste schon immer, dass man diesem Weib nicht trauen kann!" Die Tür ging nun ganz auf. In dem dunklen Gang, der sich dahinter befand, stand eine runzelige alte Frau (Hexe, schoss es Johan durch den Kopf) und deutete mit einem gemeinen Grinsen im Gesicht auf eine Treppe. "Dort hoch und dann die linke Tür! Wird ja auch so langsam Zeit, dass die verhaftet wird. Stürzt ihren armen Mann ins Unglück", fügte sie hinzu.
"Oh, ich möchte sie nicht verhaften, ich bin ge..."
"Das sollten Sie aber!", unterbrach sie ihn wütend. "Dauernd bekommt sie Besuch von andren Männern, wenn der Robert bei der Arbeit ist. Jaah, ich hab ihm immer gesagt, die Maria war ne schlechte Wahl, die macht dich noch unglücklich. Aber hört der Junge auf mich? Nein, natürlich nicht! Ich sage ihnen, Herr Wachtmeister: Ohne diese Schlampe wäre er besser dran, wesentlich besser! Und ohne diese Gören, die..."
"Entschuldigen Sie bitte, aber Robert Kleister ist tot", erwiderte Johan. "Ich bin hier, um seiner Frau davon zu berichten. Und jetzt lassen Sie mich bitte nach oben!"
"Wie bitte? Die Wache war doch eben erst hier und hat meine Leute von der Arbeit abgehalten! Was gibt's denn jetzt schon wieder?" Paul König sah zornig von seinem Schreibtisch auf und in das freundlich lächelnde Gesicht von Inspäctor Kolumbini, Ermittler bei RUM.
"Nun, die Lage hat sich inzwischen geändert, Sir. Aufgrund der neusten Hinweise müssen wir davon ausgehen, dass es sich bei Robert Kleisters Tod um keinen Unfall handelte. Wir haben die... äh... Tatwaffe gefunden. Und nun hätte ich noch einige weitere Fragen an Sie."
König runzelte die Stirn. "Was soll das heißen: kein Unfall? Und von was für einer Tatwaffe sprechen Sie?", fragte er erstaunt. "Ich dachte, er wurde überfahren?"
"Ja, genau! Und zwar, wie wir herausgefunden haben, von seinem eigenen Wagen, beziehungsweise dem Wagen Ihrer Firma, mit dem er für gewöhnlich unterwegs war. Wir glauben nicht, dass es sich dabei um einen Zufall handelt, denn es wäre einfach ein zu großer ... nun, Zufall. Der Gedanke an Mord liegt nahe."
"Was Sie nicht sagen! Und Sie haben den Wagen gefunden?"
"Ja, ich glaube, das habe ich eben erwähnt. Ich vermute, Sie wollen ihn wieder haben; natürlich werden Sie ihn bekommen, er gehört Ihnen ja. Allerdings ist er ein wichtiges Indiz, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Also, was ich sagen will, ist: Wir brauchen ihn möglicherweise für unsere Ermittlungen und zwar so lange, bis wir den Fall geklärt haben..."
"Okay, ich habe schon verstanden! Ich werde Ihnen helfen. Was wollen Sie wissen?"
"Guten Tag, mein Name ist Johan Schaaf. Ich bin von der Stadtwache. Sie sind Frau Kleister, nicht wahr?"
Die junge Frau sah erschrocken zu ihm auf und hinter ihrem Rücken versteckte sich ängstlich das kleine Mädchen, das ihm die Tür geöffnet hatte.
"Mami, was will der Mann von uns? Wir haben doch nichts gemacht, oder?", fragte es.
"Nein, sicher nicht. Geh lieber rein und pass auf, dass deine Schwester nicht wieder Unsinn mit dem Essbesteck macht", sagte seine Mutter. Dann, als das Kind erleichtert ins Nebenzimmer geflüchtet war, wandte sie sich an den Wächter: "Also, was wollen Sie? Wir haben nichts verbrochen, ehrlich!"
"Spreche ich mit Frau Maria Kleister?"
"Ja."
"Nun, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass... äh" Er zögerte. Bei der GRUND-Ausbildung wurde man auf so eine Situation nicht vorbereitet und bei der zum Verkehrsexperten schon gar nicht. Wenn sie nun plötzlich in Tränen ausbräche oder vor Schreck über die Nachricht einen Herzanfall bekäme; er wüsste nicht, wie er sich zu verhalten hätte. Er kam sich völlig hilflos vor.
"Was? Was müssen Sie mir mitteilen?", riss sie ihn aus seinen Gedanken.
"Äh..." Der Gefreite holte noch einmal tief Luft und antwortete: "Ihr Mann ist tot, Frau Kleister. Es tut mir leid."
Eine oder zwei Sekunden betrachtete sie ihn fassungslos, dann vergrub sie das Gesicht in ihren Händen, drehte sich zur Wand um und begann herzerweichend zu schluchzen.
Johan musste sich korrigieren: Vor wenigen Augenblicken war er nur unsicher gewesen,
jetzt war er völlig hilflos.
"Es tut mir leid", wiederholte er leise.
Nebenan fing auf einmal eines der Kinder laut an zu heulen. Er fühlte sich schrecklich. Dies alles war seine Schuld. Wie hatte er nur so taktlos sein können...
"Ich... Danke, dass Sie mich benachrichtigt haben. Ich möchte jetzt allein sein!" Sie hatte sich wieder ihm zugewandt und starrte ihn aus roten, mit Tränen gefüllten Augen an. "Bitte gehen Sie!"
"Ja, natürlich."
Während hinter ihm die Tür zugeknallt wurde, verließ er mit gesenktem Kopf das Haus.
"Recht unscheinbar... Kam mit allen gut aus... Keine Feinde..." Kolumbini ging die Liste der Notizen durch, die er sich in den letzten Minuten gemacht hatte.
"Das typische Opfer also", schloss er und klappte seinen Block zu. "Hören Sie, Herr König, damit können wir nichts anfangen. Das ist praktisch das, was man nach jedem Mord zu hören bekommt und nie trifft es zu, was wohl offensichtlich ist, sonst wäre er ja nun nicht tot. Jeder Mensch hat Feinde, manche größere, manche kleinere. Hatte er irgendwelche Kollegen, die neidisch auf seinen Erfolg waren? Unzufriedene Kunden? Kleister war verheiratet, nicht wahr? Vielleicht war irgendjemand scharf auf seine Frau...?" Während er sprach, hatte er mehrmals gegen sein Glasauge geklopft und König hatte dabei jedes Mal angewidert das Gesicht verzogen.
"Nein, tut mir leid, mehr kann ich Ihnen nicht sagen", erwiderte er jetzt. "Ich interessiere mich nicht für das Privatleben meiner Angestellten. Solange sie ihre Arbeit anständig machen, können sie zu hause oder untereinander tun und lassen, was sie wollen." Er räusperte sich. "Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch zu tun. Sie dürfen sich aber gerne noch ein bisschen umsehen."
"Na gut, vielen Dank für Ihre Hilfe", sagte der Lance-Korporal und stand auf. "Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir etwas Neues herausgefunden haben."
"Eine Unverschämtheit ist das! Wirklich eine Unverschämtheit! Fast zwei Stunden musste ich warten, dass einer kommt, um das Ding von meinem Rad wegzumachen!"
"Aber jetzt bin ich ja da...", murmelte Johan, der gerade dabei war, die Wegfahrklemme, die er vor 20 Minuten selbst an dem Wagen befestigt hatte, wieder zu entfernen.
So einfach ließ sich der verärgerte Karrenbesitzer jedoch nicht beruhigen.
"Eine Unverschämtheit!", wiederholte er wütend. "Und jetzt auch noch Geld verlangen, weil ich falsch geparkt hätte! Ja, was soll ich denn sonst machen, wenn ihr meinen Wagen mit so 'nem Scheißding blockiert, nur weil ich mal fünf Sekunden weg bin? Ich werde mich beschweren! Und von mir seht ihr keinen Cent! Verstanden? Keinen Cent!"
"Okay..." Inzwischen hatte er das Rad befreit und war wieder aufgestanden.
"Wie? Nichts ist okay! Ich sagte, von mir seht ihr keinen Cent! Kapiert?"
"Ja, ich hab's verstanden. Hören Sie: Ich hatte heute einen echt miesen Tag und ich fürchte sogar, er ist noch nicht zu Ende. Ich mach ihnen deshalb folgendes Angebot, weil ich nicht noch mehr Ärger will: Ich vergesse Ihre Strafe für Falschparken und Sie hören dafür auf, die ganze Straße zusammenzubrüllen, ja? Sonst darf ich Sie nämlich wegen Ruhestörung verhaften!" Der Gefreite sah den anderen Mann herausfordernd an.
"Wie... Keinen Strafzettel?", fragte dieser und starrte ungläubig, aber auch etwas enttäuscht zurück.
"Nein."
"Tja..." Er wollte noch etwas sagen, ließ es dann aber bleiben. So eine Chance würde so schnell nicht wiederkommen und er sollte sie nutzen, bevor dieser Idiot es sich anders überlegte... "Na, gut", sagte er und sprang auf seinen Wagen. "Weil Sie es sind, will ich dann auch mal von einer Beschwerde wegen der langen Wartezeit absehen! Schönen Tag noch!"
Eine Welle des Gestanks schlug Kolumbini entgegen, als er die Bürogebäude verließ und auf den Hof hinaustrat. Die Ursache dafür schienen mehrere große Behälter zu sein, die in der Mitte des Platzes standen und von Angestellten aller Art immer weiter mit verschiedenen Substanzen, über deren Beschaffenheit der Ermittler lieber nichts genaueres erfahren wollte, gefüllt wurden. Als einer der Arbeiter, ein stämmiger Zwerg, der eine Schubkarre voller Exkremente vor sich her schob, an ihm vorbeikam, hielt der Lance-Korporal diesen an.
"Entschuldigung, guter Mann, sagt Ihnen der Name Kleister etwas?", fragte er auf gut Glück.
"Ja, der arbeitet hier. Versuchen Sie's mal hinten bei den Ställen!", entgegnete der Zwerg und ging weiter.
"Ah, danke", murmelte Kolumbini noch (sein Gesprächspartner konnte ihn allerdings wahrscheinlich schon nicht mehr hören) und machte sich auf den Weg dorthin, wo er die Stallungen vermutete. Seine Vermutung erwies sich als richtig, denn als er sich dem Gebäude näherte, gesellte sich zu dem ursprünglichen Gestank auch noch der Geruch von Pferden, Eseln und anderem Viehzeugs, außerdem ließen sich nun auch die Laute verschiedener Tiere vernehmen, ein "I-Ah!" hier, ein "Muh!" dort (er fragte sich, wozu man hier Kühe brauchte), und als er weiter auf den Stall zuhielt, kam aus dem großen Eingangstor ein Karren gefahren, der von einem ziemlich hässlichen, alten Esel mit zerzaustem Fell gezogen wurde und auf dem ein kräftig aussehender Bartträger saß. Wäre dessen enorme Größe nicht gewesen, hätte man ihn glatt für einen weiteren Zwerg halten können, dachte Kolumbini sich und überlegte außerdem, ob man nicht besser ihn den Wagen hätte ziehen lassen sollen, da er mit seinen beeindruckenden Muskeln viel eher dazu in der Lage schien, als der arme Esel, der es sicher nicht mehr lange machen würde.
"Entschuldigung!", rief der Wächter dem Mann zu. "Können Sie mir vielleicht helfen? Ich suche jemanden, der mir etwas über den verstorbenen Robert Kleister erzählen kann!"
"Oh, da sind Sie ja gerade an den Richtigen geraten!", rief der andere zurück. "Allerdings habe ich gerade wenig Zeit. Vielleicht könnten wir uns später noch einmal..." Doch dann hielt er plötzlich inne. "Sagten Sie gerade verstorben?"
"Ja, ich dachte, das hätte sich inzwischen herumgesprochen. Ich bin übrigens von der Stadtwache." Er zeigte seine Dienstmarke. "Kommen Sie doch bitte kurz einmal zu mir herunter!"
"Natürlich", murmelte sein Gesprächspartner, während er der Aufforderung nachkam. "Aber sagen Sie, was ist denn genau passiert? Hatte er einen Unfall?"
"Nun, zurzeit deutet alles eher auf Mord hin, Herr... hm... wie war doch gleich Ihr Name?", meinte der halbe Überwaldianer, ohne darauf zu achten, wie bleich sein Gegenüber auf einmal geworden war.
"Johnsohn... Karl Johnsohn. Haben Sie, ich meine, hat man denn schon einen Verdacht, wer das getan haben könnte? Äh ... ich kann das einfach nicht glauben, dass jemand den armen Robert ermorden könnte. Ich meine... er war doch... er hat doch nie..."
"Nun, Herr Johnsohn, ich hätte dann einige Fragen an Sie", fuhr der Lance-Korporal ungerührt fort. "Wollen wir vielleicht irgendwo anders hingehen? Irgendwohin, wo es etwas", er rümpfte die Nase, "weniger streng riecht?"
"Er... Was? Oh, ja, natürlich. Ich bringe gerade noch den Esel rein, dann können wir gehen. Ich bin sicher, wenn Sie von der Wache sind, bekomme ich die Erlaubnis vom Chef...
Ich kenne da ein nettes Cafe, nur ein paar Straßen weiter!"
"Oh, tut mir schrecklich Leid, aber ich bin im Dienst, und außerdem möchte ich nicht zu lange..."
"Bitte, ich muss mich irgendwo setzen, auf diesen Schreck!", wurde er unterbrochen. "Und ich würde Sie natürlich auch auf eine Tasse einladen."
"Nun, von mir aus. Wie Sie wollen!"
Kurz darauf verließen die beiden das Grundstück.
"Kennst du den schon: Kommt ein Kamel in die Kneipe. Fragt der Wirt..."
"Ach, sei still!", fuhr Lupos den Gnom auf seiner Schulter an. "Ich muss mich konzentrieren! Außerdem sind deine Witze nicht lustig."
"Hey, wir sind heute aber gut drauf! Haben wir Liebeskummer? Oder Ärger mit dem Chef?", wollte Gnomen wissen.
"Du darfst gleich laufen!"
"Mensch, jetzt werd doch nicht gleich ranzig! Ich bin ja schon ruhig..." Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust.
"Danke... Weißt du, was mich aufregt? Dass ich jetzt noch hier in der Gegend rumlaufen muss, regt mich auf! Ich könnte eigentlich schon Feierabend haben und in der Bahre sitzen und mich ordentlich besaufen oder so. Und weißt du wer schuld ist, dass ich jetzt stattdessen noch durch die halbe Stadt latschen muss? Dieser Depp von einem Gefreiten, der mich von der Arbeit abgehalten hat! Ich hoffe, der Kerl muss heute dafür Nachtschicht machen. Geschäh ihm recht!"
"Tja, das ist wirklich dumm...", meinte der grünhaarige Philosoph und schaute zum Himmel empor. "Und jetzt fängts auch noch an zu regnen!"
"He, wolltest du nicht ruhig sein?"
"Okay."
Der Hauptgefreite lief noch ein Stück weit, dann blieb er stehen.
"Hm, jetzt wird's schwierig", meinte er. "Hier muss heute ziemlich viel los gewesen sein. Ich glaube, ab hier muss ich die Fährte auf die andere Art weiter verfolgen."
Er setzte seinen Partner ab und verschwand in einer Seitengasse. Wenige Sekunden später konnte Gnomen hören wie Teile einer Wächteruniform klappernd zu Boden fielen.
Johan stand an der Kickelburststraße, beobachtete den an ihm vorbeiziehenden Verkehr, wobei er zwischendurch stichprobenartig Lizenzen überprüfte, und dachte, während der Regen nun schon eine Stunde mit einem Geräusch, das ihm Kopfschmerzen verursachte, ununterbrochen auf seinen Helm prasselte, an seine morgige Reitprüfung, den, wie er fand, schwersten Teil seiner Ausbildung zum Verkehrsexperten und außerdem der einzige, den er nun schon mehrmals wiederholt hatte. Während Dinge wie Unfallaufnahme, Verkehrskontrolle oder Erste Hilfe kein Problem für ihn darstellten und er auch Ankh-Morpork inzwischen kannte, wie er seine eigene Westentasche gekannt hätte, hätte er Westen getragen, hatte er bei Pferden einfach den Eindruck, dass er nicht mit ihnen zurecht kam, oder vielmehr, wie er es auszudrücken pflegte, dass die Tiere ihn hassten. Nie taten sie das, was er wollte, oft bewegten sie sich gar nicht erst von der Stelle, nachdem er aufgestiegen war und mehr als einmal war eines der Reittiere, wenn er es denn einmal zum Rennen gebracht hatte, schon so plötzlich stehen geblieben, dass er dabei in hohem Bogen einige Meter weit geflogen und mit etwas Pech überaus hart gelandet war.
Doch dieses Mal würde alles klappen, da war er sich sicher! Immerhin hatte er die letzten Tage jede freie Minute zum Trainieren genutzt und seiner Ansicht nach hatte er die Tiere inzwischen recht gut im Griff.
Das hoffte er jedenfalls, denn, und das durfte er nicht vergessen, musste er sich immer wieder eintrichtern, die Prüfung morgen war seine letzte Chance! Deshalb hatte er ja in letzter Zeit so viel geübt und seine Gesundheit auf den Rücken der Pferde aufs Spiel gesetzt: Wenn er nicht bestände, wäre er endgültig durchgefallen, wie ihm Atera erklärt hatte, und zwar weil es einfach nicht sein konnte, dass seine Ausbildungszeit sich nun schon auf ein Jahr zu bewegte, während andere in seinem Job diese innerhalb weniger Wochen abschlossen.
Johan machte sich große Sorgen deswegen. Er wusste zwar nicht, was genau die Konsequenz dieses Durchfallens sein würde (hätte er gefragt, hätte das ja den Eindruck erwecken können, dass er glaubte, die Prüfung sowieso nicht zu bestehen), doch er konnte sich denken, dass es eigentlich nur daraus hinauslaufen konnte, dass er seine Arbeit bei der Wache verlor. Und das wollte er wirklich nicht! Er war zufrieden mit seinem Job, weil er gern an der frischen Luft arbeitete, es mochte, anderen Leuten Strafen aufzubrummen, der Sold ganz gut war und die Kollegen auch recht freundlich (auch wenn er mit den meisten nicht allzu oft redete; es war ihm immer etwas peinlich, wenn das Gespräch auf seine Ausbildung fiel). Außerdem fand er die Uniformen schick.
"Guten Abend! Darf ich bitte einmal Ihre Lizenz sehen?" Mit diesen Worten war der Gefreite ein paar Schritte auf die Straße hinaus und auf den Karrenlenker zugelaufen, dem er vorher mit einem Winken signalisiert hatte, anzuhalten.
"Meine was? ... Oh, natürlich", antwortete jener und während er in seiner Tasche herumwühlte, versuchte Johan unauffällig einen Blick ins Innere des Wagens zu werfen.
Jemand hatte ihm einmal erklärt, worauf es bei der Sache mit den Lizenzen ankam: Man konnte unmöglich alle Karren kontrollieren und ebenso wenig konnte man den Leuten ansehen, ob sie ohne Lizenz unterwegs waren oder sogar Schmuggelware geladen hatten, obwohl sie nicht der zuständigen Gilde angehörten. Weshalb man sich auf sein Gefühl verlassen musste, auf seine Institution oder so. Wenn an irgendeiner Person etwas faul war, hatte man ihm gesagt, dann spürte ein erfahrener Verkehrsexperte das, er fühlte so ein "Kribbeln".
Und genau dieses Kribbeln spürte der Wächter in diesem Augenblick auch. Seitdem er den Eselskarren zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er keinen Moment daran gezweifelt
[3], dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte. Und als er näher gekommen war, war ihm auch der bärtige Mann, der ihn fuhr, sofort verdächtig vorgekommen.
"Was transportieren Sie da eigentlich?", fragte er beiläufig und sein Blick glitt über diverse Eimer, Schaufeln, eine Decke, unter der sich die Konturen eines menschlichen Körpers abzeichneten und eine Dienstmarke der Stadtwache von Ankh-Morpork.
"Ähm... Kacke, Herr Wach...", fing der Angesprochene an. Doch weiter kam er nicht, denn er schreckte überrascht zurück, als Johan urplötzlich vorschnellte und die Dienstmarke vom Karrenboden fischte, welche er ihm gleich darauf herausfordernd unter die Nase hielt.
"Woher haben Sie die?!"
Karl Johnsohn überlegte nur kurz und schlug dann dem Gefreiten, weil ihm keine einleuchtende Antwort auf dessen Frage einfiel, heftig ins Gesicht. Schließlich musste ja nicht jeder wissen, dass er den anderen Schnüffler nun erst einmal mit nach Hause nehmen und heute Nacht (beschwert mit einigen
großen Steinen) im Ankh hatte versenken wollen, nachdem er ihn in einer abgelegenen Seitenstraße bewusstlos geschlagen, seinen Karren geholt und den Körper darauf verstaut hatte.
Der Verkehrsexperte taumelte einige Schritte zurück und setzte sich anschließend (unfreiwillig) mitten in eine große Pfütze. Diesen Moment nutzte Karl, um einen jungen Mann, der gerade in die andere Richtung vorbei geritten kam, mit einem gezielten Stoß vom Pferd zu holen und sich seinerseits hinauf zu schwingen.
Während er davon ritt, rappelte Johan sich fluchend wieder auf. Das lief ja heute mal wieder toll, dachte er sich: Jetzt begegnete er einmal einem anscheinend wirklich gefährlichem Verbrecher - und dann ließ er ihn einfach entwischen.
Oder auch nicht... Vielleicht hatte er ja noch eine Chance!
Die junge Frau schaute sich ängstlich um und presste ihre kleine Tochter fest an sich. Die größere hatte sie an der Hand genommen und sie liefen die, ohnehin schon düstere, Straße weiter hinab, während die Sonne ganz langsam
[4] hinter den Dächern der Stadt verschwand. Eine gefährliche Zeit in Ankh-Morpork, besonders in den Schatten, und besonders für eine Frau, die ganz allein mit ihren Kindern unterwegs war.
Sie hätte bis morgen warten sollen, das war ihr klar. Aber ihr war ebenfalls klar, dass sie vielleicht sogar schon zu lange gewartet haben könnte. Womöglich wurde sie ja schon gesucht. Und sie hatte gehört, dass diese Kerle ziemlich gut darin waren, denjenigen auch zu finden, den sie suchten.
Sie hörte ein Geräusch hinter sich und fuhr herum. Da war nichts.
Erleichtert atmete sie auf. Sie musste sich jetzt keine Sorgen mehr machen, es war ja nicht mehr weit. Nur noch ein paar Straßen, dann war sie da.
Gerade wollte sie weitergehen, als...
"Guten Abend, Fräulein! Was macht eine hübsche Dame wie du bloß an einem Ort wie diesem?"
...eine Gestalt aus dem Schatten eines Hauses trat. Es handelte sich um einen hoch gewachsenen Mann mit schwarzem Haar und einem hässlichen Schnauzer, der, mit einem großen Messer herumspielend, langsam auf sie zuschlenderte.
"Bi... bitte tu uns nichts!", flehte sie.
"Oh, das hatte ich doch auch gar nicht vor."
Blitzschnell machte er einen Satz nach vorn, hatte jetzt das Mädchen gepackt und hielt ihm das Messer an die Kehle.
"...vorausgesetzt, du machst jetzt keinen Mucks und gibst mir all dein Geld!", zischte er.
Dann landete er hart auf der Straße.
Ein großes Tier hatte ihn angesprungen, ein Hund oder so etwas in der Art, vermutlich. Auf jeden Fall schien es wütend zu sein (oder hungrig), denn es knurrte böse, während es mit seinem ganzen Gewicht auf der Brust des Täters saß und ihm fast die Luft abdrückte. Die Frau schrie. Er schloss die Augen und wartete auf seinen Tod, doch nichts geschah, bis er auf einmal eine leise Stimmte neben seinem Ohr vernahm:
"Im Namen der Stadtwache: Du bist verhaftet!"
"Entschuldigung, ich brauche Ihr Pferd!"
Verdattert sah der Reiter zu dem Gefreiten hinunter.
[5]"W...W...Was?"
"Bitte, es ist sehr eilig und... Ach, verdammt!" Entschlossen streckte Johan ihm die Dienstmarke entgegen, welche er noch immer in der Hand hielt. "Runter da, das ist ein Befehl!", sagte er.
Der Mann gehorchte.
Wow, dachte der Wächter und blickte kurz auf das Stück Metall in seiner Hand. Das klappte ja wirklich besser, als mit seiner eigenen. Vielleicht sollte er Atera demnächst bitten, immer eine Lance-Korporal-Marke mit sich tragen zu dürfen. Oder noch besser: die des Kommandeurs. Wenn er daran dachte, wie schnell ihm die Leute dann erst gehorchen mussten...
Doch er durfte jetzt keine Zeit verlieren! Er stieg auf den Rücken des Tieres und ritt los. Weiter vorn konnte er noch sehen, wie der Flüchtige gerade das Gänsetor durchquerte. Noch konnte er ihn einholen.
Johan trieb das Pferd weiter an und es sauste die Straße hinunter, zwischen den Karren auf beiden Seiten hindurch. Durch das Tor, und dann? Da vorne war er, er bog nach rechts ab. Der Gefreite folgte ihm.
Der andere erreichte die Kreuzung, musste einer von links kommenden Kutsche ausweichen, wobei er fast einen Sturz riskierte, kam aber dann doch unbeschadet bis zur anderen Seite. Der Abstand wurde geringer.
Sie ließen den Tempel des Blinden Io hinter sich und ritten die Straße der Geringen Götter entlang - direkt auf den Platz der Gebrochenen Monde zu, wie Johan bemerkte. Das war gut, denn dort würde ein Weiterkommen durch die Menge schwierig werden und er konnte den Verbrecher schnell einholen.
Doch der ritt plötzlich in eine Seitengasse, was für seinen Verfolger so überraschend kam, dass dieser zuerst einfach weiter ritt. Aber nur ein Stück, dann wendete Johan und nahm die Verfolgung wieder auf. War die Marktstraße nicht gesperrt?
Doch, war sie und er musste sein Pferd über die Absperrung springen lassen, was nur haarscharf gelang. Und weiter ging's, durch Wolken aus aufgewirbeltem Baustellensand, der sein ohnehin schon eingeschränktes Blickfeld auf wenige Meter reduzierte. In der verlassenen Straße brannten keine Lampen, doch er konnte, nachdem er auch die zweite Absperrung erfolgreich übersprungen hatte und sich unter ihm wieder normales Pflaster befand, einen dunklen Schemen vor sich erkennen, der weiter in Richtung Stadtrand davon schoss.
Da vorne kamen die Endlose Straße und dahinter die Mauern. Der Kerl bog nach links ab, wo der Ankh war - und die Fähre. Die gerade abgelegt hatte. Ein Glück! Hätte er es noch rechtzeitig geschafft auf das Boot zu kommen, dann hätte der Gefreite ihn endgültig verloren.
Doch was machte der da? Wie irre hielt er weiter auf das Ufer zu. Hatte er etwa vor zu springen? Nein, das war unmöglich, die Fähre war schon viel zu weit entfernt! Das konnte er doch gar nicht schaffen, oder?
Das Pferd blieb stehen, kurz bevor es den Ankh erreichte. Johan jubelte innerlich auf.
Jetzt gab es kein Entkommen mehr für den Schuft! Er konnte nicht mehr weiter! Er saß in der Falle! Er stieg ab und drehte sich zu dem Gefreiten um...
Das Jubeln verstummte schlagartig. Johan bremste sein Reittier ab. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er noch keinen Gedanken daran verschwendet hatte, was passieren sollte, sobald er den anderen erreicht hatte. Den gefährlichen Verbrecher, der, wie er vermutete, schon einen Wächter auf dem Gewissen hatte und der, wie er vorhin am eigenen Leibe hatte erfahren müssen, wirklich kräftig zuschlagen konnte. Und nun waren sie hier ganz allein auf der dunklen Straße, die nur von einer einsamen Fackel am Anlegesteg beleuchtet wurde und direkt neben dem Ankh lag, einer Entsorgungsstation für Gefahrengut sozusagen, für Leute also, die anderen Leuten gefährlich wurden.
Er schluckte, nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprang vom Pferd. Am Boden zückte er sein Schwert und ging, die Waffe schützend vor seinen Körper haltend, langsam auf den Mann zu.
"Keine Bewegung!", schrie er und konnte dabei die Panik, die in seiner Stimme mitschwang, nicht verbergen. "Ich verhafte Sie wegen..."
"Tun Sie mir nichts! Ich gestehe alles! Ich habe Robert ermordet! Bitte nehmen Sie mich fest!"
"...Pferdediebstahl und Gewalt gegen zwei Wächter", hatte er eigentlich enden wollen, aber nun fehlten im die Worte, so groß war einerseits die Überraschung über die plötzliche Ehrfurcht vor dem Gesetzt, die den anderen scheinbar befallen hatte, und andererseits...
Konnte es wirklich sein, dass er den Mörder von Robert Kleister geschnappt hatte, nach dem die Kollegen von RUM und SUSI noch fleißig suchten?
Aber warum nicht? Es bestand kein Grund zur Annahme, dass der Mann log. Vielleicht, wenn er behauptet hätte,
nicht der Mörder zu sein, aber so?
Na gut, das wäre geklärt, er hatte den Täter also geschnappt! Nun musste er ihn nur noch zur Wache bringen und das Lob einheimsen. Mit sicherem Schritt ging er vor und verkündete stolz: "Ich verhafte Sie wegen Pferdediebstahl, Gewalt gegen zwei Wächter und dem Mord an Robert Kleister. Bitte begleiten Sie mich zur Wache! Widerstand ist zwecklos!"
Sein Gegenüber hob zögernd die Hände.
Was für ein
geiles Gefühl...
Der Rückweg zum Pseudopolis-Platz verlief ereignislos, da Johnsohn keine Anstalten zu einem weiteren Fluchtversuch machte. Im Gegenteil verhielt er sich seltsamerweise die ganze Zeit extrem friedlich und erzählte dem Wächter bis sie endlich ankamen mindestens dreimal ausführlich wie er seinen Kollegen umgebracht haben wollte.
Johan brachte noch kurz die Pferde im Stall des Wachhauses unter, dann ging er mit seinem Gefangenen hinein.
"Hallo", begrüßte er die Tresendienst habende Wächterin. "Ich hab den Mörder von Robert Kleister geschnappt. An wen muss ich mich da wenden?"
"Wie... den Mörder?" Sie sah ihn irritiert an.
"Na, den Mörder eben! Den, der ihn umgebracht hat." Er deutete auf den großen Bärtigen neben ihm.
"Äh... Wartet mal bitte hier, ich hole jemanden!" Sie stand auf und verschwand in einem nahen Büro. Man hörte verschiedene Stimmen, die wild durcheinander redeten, kurz darauf Schritte und Irina Lanfear, die Abteilungsleiterin von RUM, betrat die Eingangshalle.
"Gefreiter Schaaf? Du willst einen gefährlichen Verbrecher gefangen haben, wie ich hörte. Darf ich fragen, was er deiner Meinung nach getan haben soll?"
"Dieser Mann hier, Mäm, Karl Johnsohn, hat gestanden, der Mörder von Robert Kleister zu sein! Ich habe ihn daraufhin festgenommen!" Er salutierte zackig.
Rina musterte den Mann abschätzend, der seit Johan das Wachhaus mit ihm betreten hatte, kein Wort mehr gesagt hatte, und sagte dann: "Wer auch immer das ist, Gefreiter, es handelt sich mit ziemlicher Sicherheit nicht um Kleisters Mörder."
"Äh... Und warum nicht?" Nun war der Wächter ernsthaft verwirrt.
"Weil die Täterin schon gefasst wurde. Seine Frau hat vor fünf Minuten ihr Geständnis unterschrieben."
"Und wieso?", fragte Tibor seinen Kollegen, als sie am Abend des darauf folgenden Tages mit ein paar anderen zusammen im Eimer saßen, um Johans bestandene Reitprüfung und somit auch das Ende seiner Ausbildung zu feiern.
"Also, bis hierhin hab ich die Sache ja noch verstanden: Die beiden hatten ein Verhältnis miteinander und wollten zusammen nach Quirm abhauen. Und sie hat dann, damit sie dort nicht mit völlig leeren Händen dagestanden wären, bei diesem Kerl vom Achatenen Reich..."
"...Ein Eimer Reiswein...", wurde er von dem Verkehrsexperten unterbrochen.
"...genau, bei diesem Ein Eimer Reiswein eine Lebensversicherung für ihren Gatten abgeschlossen, nur um ihn dann ein paar Tage drauf umzubringen und das Geld zu kassieren.
Ich versteh diese Achatenen sowieso nicht, warum die zum größten Teil immer noch nicht kapiert haben, dass dieses Geschäft hier in Ankh-Morpork keine Zukunft hat!
Naja, egal: Auf jeden Fall wurde sie dann natürlich doch geschnappt und Reiswein vom Patrizier persönlich freundlichst gebeten, seine Versicherungsagentur aufzugeben oder damit in eine andere Stadt zu gehen. Klar.
Aber wieso hat Johnsohn denn jetzt die Tat gestanden, wenn er überhaupt nicht der Täter war?"
"Na, er wollte natürlich seine Freundin entlasten. Sie hatte ihn in ihren Plan zwar nicht eingeweiht, unter anderem auch, da er eigentlich recht gut mit ihrem Mann befreundet war und versucht hätte, ihr die Sache auszureden, aber als er hörte, dass Robert Kleister ermordet wurde, war ihm sofort klar, dass sie dahinter stecken musste. Und er dachte, wenn die Wache ihn festnimmt, dann wird der Fall zu den Akten gelegt und sie ist sicher. Dass sie zu dem Zeitpunkt schon längst gefasst war, wusste er nicht."
"Okay, das ist logisch. Aber: Warum hat er dann zuerst Kolumbini niedergeschlagen und später auch noch versucht, vor dir zu fliehen? Ich meine, wenn er geschnappt werden wollte, dann ergibt das doch gar keinen Sinn!"
"Stimmt. Es war glaube ich so: Ursprünglich hatte er gar nicht vor sich verhaften zu lassen, sondern wollte nur aus der Stadt verschwinden, nachdem er uns dazu gebracht hat, zu denken, er sei der Mörder, damit wir die Ermittlungen einstellen. Das hab ich dann aber verhindert und so musste er seinen Plan ändern..."
"Gut", sagte Tibor. "Du hast mich überzeugt." Er streckte den Arm, um den Wirt herzuwinken. "Herr Käse, bitte noch ein Bier! Und, ähm... eine Kanne Knieweich für den Verkehrsexperten!"
Er sah wieder zu Johan herüber. "Aber jetzt wird erstmal gefeiert! Prost!"
"Prost!", antwortete der Verkehrsexperte lächelnd.
[1] Und auch Zwergen-Massen, Untoten-Massen, Troll-Massen, usw. Natürlich alles auf einmal zu einer großen
Wesen-Masse verschmolzen...
[2] Auf jeden Fall, solange es um Mord und Totschlag oder schwere Körperverletzung geht und sie der Meinung sind, dass keine Gefahr besteht, in die Sache hineingezogen zu werden.
[3] und war auch nicht auf die Idee gekommen, das Gefühl könnte von seinen schon vor längerer Zeit eingeschlafenen Füßen stammen
[4] Wir kennen das ja...
[5] Die Tatsache, dass zwei Pferde in so kurzer Zeit den Ort des Geschehens passierten, genau dann, wenn sie gebraucht wurden, hatte in diesem Fall wirklich absolut gar überhaupt
nichts mit narrativer Kausalität zu tun, sondern einfach mit dem starken Feierabendverkehr in Ankh-Morpork.
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