Des Kobolds letztes Abenteuer

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von Korporal Rib (SEALS)
Online seit 16. 12. 2004
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Phasen des Abstiegs II: Die Vernichtung (Strafmission)

Dafür vergebene Note: 11

"Komm wieder in Bett...", flüsterte rau die vertraute Männerstimme in der feinsten Gossensprache Ankh-Morkporks. "Ich möchte noch nicht aufstehen. Wir könnten noch so viele Dinge tun. Nette, angenehme Dinge."
Lar'a MacLaut lächelte und schaute aus dem Fenster an das sie sich lehnte. Draußen fiel ein wenig Regen vom Himmel herab und besprühte im Mondschein die Straßen der Stadt mit winzigkleinen, funkelnden Diamanten aus Wasser. Das Licht war angenehm auf romantische Stimmung gedimmt, nur die Zimmertemperatur war ein wenig zu kalt. Das Bett würde warm genug sein.
Ihr Blick fiel auf die rechte Hand und verharrte am Ehering, den sie trug. Das durch das offene Fenster hereinfallende Mondlicht färbte ihre Haut passender weise blau. Verheiratet sein - es war irgendwie unfassbar, auch nach all der Zeit. Rib, der blaue Kobold, der sich immer wieder in Gefahr brachte, um Sicherheit zu schaffen. Sicherheit für sich und die Kinder, solange sie nur aufpasste, dass es nicht mehr werden würden. Mehr als sie ernähren konnten. Selbst ein Dollar Strafe, wie Rib ihn vor kurzem hatte verkraften müssen, war eigentlich mehr, als sie verkraften konnten.
"Lar'a... lass mich nicht warten."
Lar'a mochte diesen drängenden, das Verlangen unterdrückenden Ton in der Stimme. Es gab ihr einen Wert.
Ein zärtliches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich umwendete und den bewundernden Blick feststellte: "Ich sehe kein Geld auf dem Nachtschränkchen blitzen, Keil. Frau Palm würde das nicht zulassen."
Sie zögerte kurz, wie es ihr beigebracht worden war und fügte dann hinzu: "So gern ich das auch möchte. Du weißt, wie gern ich es habe mit dir zusammen zu sein. Du bist was Besonderes."
Eine weitere Pause: "Dennoch, ich darf keinen Ärger bekommen. Du weißt, die Kinder."
Und ob Keil das wusste, schließlich hatte er sie damals ins Geschäft gezwungen, hatte ihr 90 Prozent des Geldes abgenommen. Bis Rib kam und den vermeintlichen 'aufdringlichen Schuft, der eine Dame belästigt' gezeigt hatte, dass der Anspruch auf sie erloschen war. Heute war Keil einer ihrer Stammkunden, 'um der alten Zeiten Willen', wie er dreimal die Woche betonte.
Lar'a seufzte. Rib war wahrscheinlich die einzige Person im Multiversum, die behaupten würde, Lar'a wäre eine Dame. Und der jedem die Zähne ausschlagen würde, der etwas anderes behauptete. Das würde vorbei sein, wenn er erfahren würde, womit sie ihr Geld verdiente.
Lar'as Füße strichen über den teuren Teppich aus Quirm, sie schob das Seidenlaken beiseite und setze sich auf die Bettkante.
"Na, los", flüsterte sie. "Du kennst das Geschäft ebenso gut wie ich. Wir beide, wir müssen uns nichts vormachen. Bezahlen oder anziehen."
Für einen kurzen Moment dachte sie, er würde bleiben, fünf weitere Dollar bezahlen. Seine Hand wanderte an einer Falte des Lakens entlang in Richtung ihrer Oberschenkel. Keil liebte es, wenn sie nackt war. Seltsamerweise empfand der Gnom dann ein Gefühl von Macht über sie, obwohl es offensichtlich war, dass in diesen Momenten ihre Einflussnahme anstieg.
Doch dann, eine Spur zu abrupt, um lässig zu wirken, stand Keil auf und ging in Richtung des Mahagonistuhls über dem seine Sachen lagen.
"Du solltest dir wirklich überlegen, was du willst. Komm zurück. Arbeite für mich, verlass den Trottel."
Lar'a schüttelte den Kopf, wie jedes Mal wenn Keil so etwas sagte. So viele ihrer Kunden machten solche Versprechen, wenngleich die meisten allerdings von Heirat und 'Ehrbarmachung' sprachen, aber es nicht meinten. Sie kannte Mädchen, die diesen Weg gingen. Nach spätestens zwei Monaten waren sie wieder in den Schatten, allein. Und einen Monat später berichtete Rib von einem neuen Fall, von seinen Wächterkollegen erzählt.
"Verdammt", knurrte Keil. Lar'a zog eine Augenbraue herauf. Keil schien es aber heute wissen zu wollen. "Schau ihn dir doch an. Selbst seine Vorgesetzten haben ihn auf dem Kieker. Und ich nehme nicht an, dass er darüber weiß, wie du dein Geld verdienst, oder?"
Lar'a zuckte zusammen. Dies war mehr als nur ein Satz. Dies war eine unausgesprochene Drohung. Sie merkte, wie ihre Stimme schrill wurde.
"Du wirst ihm nichts sagen!"
Keil zeigte diese Art von Lächeln, die sie hasste. Meistens hatte sie es gesehen, nachdem er sie verprügelt hatte. Er zog es vor so zu tun, als hätte er ihre Frage nicht gehört. Mit dem Mantel in der Hand öffnete er die Tür und drehte sich noch einmal um: "Das, meine Liebe, liegt ganz bei Dir."
Korporal Rib MacLaut, Mitglied der Wache, saß auf dem gegenüberliegenden Dach und weinte. Er wünschte sich, diesem Informanten nie zugehört zu haben. Er HASSTE sein Leben.

--- Stadtarchiv Ankh-Morpork ---


Der Dollar war nicht die einzige Strafe gewesen, die er in letzter Zeit erlebt hatte. Nun sollte er sich zwei Wochen lang quasi an einem Ort der Verdammnis aufhalten. Rib MacLaut war mehr als ärgerlich. Es reichte nicht, dass er, während er fest auf ein Beißholz biss, sich Berichte von Rekruten vorlesen ließ. Es reichte auch nicht, dass er mit diesem Höllenvieh von Diktierdämon zusammen arbeitete, um seine Berichte pünktlich abzugeben.
Nein, der Hauptmann Vampir wollte MEHR. Rib sollte mit Büchern umgehen können wie jeder andere Wächter auch. Lesen lernen, in einer Stadt voller Analphabeten.
Und weniger aggressiv sollte er auch werden. Den Bürgern seine Rechte eingestehen.
Aber was war mit seinen Rechten? Hatte er nicht bisher seinen Dienst erfüllt?
Die Angst vor Büchern war Teil seines Selbst, sein SEIN. Wenn er anfing, höflich zu werden und diese Furcht dazu verlor, wer war er? Ist die Summe unseres Handelns, unserer Hoffnungen und Ängste nicht das, was uns ausmacht? Kann man das Wesentliche verlieren und dennoch dasselbe Wesen sein?
Rib glaubte nicht daran und das war ein Problem. Und da Hoffnungen nie sein Steckenpferd gewesen war, sah er auch nicht, was ihm hiernach bleiben würde, was Rib war. Außer dem Körper selbstverständlich.

"Entschuldigen Sie, haben Sie das Buch 'Die 1000 Tage von Bolom'? Oder ein ähnliches Buch?"
Rib schaute erschreckt auf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er ja auf dem Tresen saß und nun Auskunft über den Inhalt geben musste. Und da standen nicht nur eine Frau, sondern VIELE LEUTE, die etwas wollten. Hilflos bittend schaute er zur Bibliothekarin herüber. Frau Belesen nickte, freundlich-streng unter ihrer Hornbrille hervorschauend. Rib wendete sein Gesicht zur anderen Seite und schaute seine Chefin an. Atera, kurz Tery genannt, sollte ihn beobachten und anleiten. Der Kobold grinste innerlich vor Bewunderung, als er plötzlich an den alten Beißer dachte. Hauptmann Ras hatte ein gutes Gespür dafür, was einen ihm Untergebenen brechen würde. Denn Rib würde nie im Leben seine Abteilungsleiterin enttäuschen wollen. Dafür verdankte er ihr zu viel.
"Na los", ermunterte die Stabspießin ihn auch nun. "Ich weiß, du kannst das."
"Hmm...Hmmm..." Ohne Beißholz würde es sich leichter sprechen lassen. "Ich... ich... Haben wir das Ding?"
Frau Belesen nickte: "Unter den 'Büchern des Benimm'. Gang siebzehn, Reihe fünf, drittes Fach. Würdest du es holen? Geh einfach den Schildchen an den Regalen nach."
Rib schaute kurz wieder zu Tery und überlegte. Er sollte durch die vielen Gänge gehen, zwischen den Büchern.
Durch den B-Raum. [1] In räumlicher Nähe zur Universitätsbibliothek, die mehr als magisch war.
Rib tat das, was jeder vernünftige magiebegabte Bewohner der Scheibenwelt machen wurde (von dazu ausgebildetem Personal abgesehen.). Er simulierte eine Ohnmacht und kniff die Augen zu.
"Hmm, wohl nicht", meinte Belesen trocken. "Dann hol ich es selbst."
"Nein, nein", grinste Tery. "Er simuliert nur."
'Mist', dachte sich Rib und machte sich auf den Weg. Er hatte Tage zuvor den Plan gefasst, einen Bücherwurm Kaliber 0.45 hier auszusetzen und nun bedauerte er es, das nicht umgesetzt zu haben. Innerhalb von Minuten wäre hier keines dieser verdammten Bücher noch ganz gewesen. Aber das lag daran, dass er, um dieses magische Wesen zu bekommen, eine noch viel gefährlichere Ansammlung von Schriften hätte aufsuchen müssen.

Wer nicht glaubt, dass eine Bibliothek etwas Bedrohliches sei, sollte sie mal aus dem Blickwinkel eines Kobolds sehen. Bücher, meist doppelt so groß wie man selbst und randvoll mit Zeichen, die von Schwärzester Magie sein könnten. Bald schon hatte man das Gefühl die Seele würde befleckt, ja aufgelöst in einem Meer aus schwarzer Tinte. Es erdrückte einen.
Rib schlich mal hier und mal dorthin, ziellos, da er die Aufschriften nicht lesen konnte. Aber zurück traute er sich auch nicht. Bestimmt würde jemand Lachen und was ein MacLaut am schlechtesten vertrug, war ausgelacht zu werden. Das kam sogar noch vor Büchern. Die Zeit verstrich und Rib wusste, was es für ein Fehler war, hier herumzuirren.
"Ach, hier bist du." Rib zuckte zusammen. Mußte ausgerechnet seine Chefin ihn hier herumsuchend auffinden.
"Rib", meinte sie und klopfte gegen ein Regal. "Du mußt keine Angst haben. Die Bücher hier sind harmlos. Ich kann lesen und mir vertraust du doch, oder?"
Der Gott Schicksal hatte schon immer einen morbiden Humor. Ausgerechnet jetzt holte er zu einem Würfelwurf aus... und ließ ein Buch von oben herabfallen, genau auf Rib zu. Der entsetzt nach oben starrte und sich vor Schreck nicht rühren konnte.
Atera sprang einen Schritt vor, doch es war zu spät. Einem Donner gleich schlug der Foliant auf dem Holz auf.
"Autsch." Atera konnte den gekeuchten Ausdruck nicht verhindern. Sie hatte genügend unfreiwillig beschwerte Gnome in ihrer Dienstlaufbahn gesehen, um zu wissen, was sie vorfinden würde. Vorsichtig hob sie den Einband ein wenig, dann noch ein Stück. Kein Rib, kein Matsch, nichts!
"Er ist weg!"

Rib fühlte das Leder an ihm entlang gleiten wie Wasser an einem Stein. Wellen grünen Lichtes drangen auf ihn ein.
'So fühlt sich der Tod nach dem Leben also an.[2]', dachte Rib. 'Also kein einfaches Austreten aus dem Körper, kein "Hallo, Herr Tod, wo ist nun mein Körper?" Ich gleite und gleite bis in eine Ewigkeit', dachte sich Rib und irrte sich gewaltig. Denn das nächste, was er spürte war Schmerz, unglaublicher Schmerz.

--- Unbekannter Ort ---


Als Rib aufwachte, war gerade jemand dabei, sein Gehirn unter Zuhilfenahme einer großen Nadel mit Widerhaken durch seine Nase zu ziehen. Der mit Runen beschmierte Zombie, der ziemlich gewissenhaft vorging, stach dazu in die weiche Masse und drehte die Nadel bis sich aus ihr, wie bei einer Spindel, quasi ein Faden bildete. Er schien nicht ungeschickt, aber Rib hätte sich gewünscht, der Kerl würde seine Kunstfertigkeit woanders unter Beweis stellen. Am besten bei sich selbst.
Ein zweiter Zeichenbemalter nähte gerade, fröhlich summend den Bauch zu und fing an ihn mit Teer zu bestreichen und mit einer Art Verband zu umwickeln. Irgendeine zähe Flüssigkeit, anscheinend ein Harz, wurde durch die Nase eingeflößt. Sie tropfte aufs Auge und war bräunlich durchscheinend. Überhaupt schien die Sicht einen rötlichen Ton zu haben und Schatten, obwohl durchaus vorhanden, als undurchdringliche Hindernisse nicht wahrzunehmen. Deutlich konnte Rib eine Bilderschrift an den nach Innen geneigten Wänden erkennen.
Jemand drittes sprach, die gesummte Musik begleitend, mit hohler Stimme in einem Satz, deren Sprache Rib nicht verstand. Die Person laß aus einem Buch. Deutlich Rib hörte ein Umblättern der Seiten.
Rib fand in dieser Situation hier bei drei Sachen bemerkenswert:
Zum ersten: Er war nicht in der Lage sich zu rühren. Oder seinen Körper zu spüren.
Zum zweiten: Er hatte mehr Gehirn in seinem Schädel, als die Allgemeinheit vermutete. [3]
Zum dritten: Auch ohne Gehirn war er in der Lage, die ersten beiden Sätze zu denken.
Den letzten Punkt fand er am erstaunlichsten, doch irgendwie auf absonderliche Art beruhigend. Vielleicht lag es auch nur daran, dass Rib diesmal die Ohnmacht nicht nur vortäuschte, als der erste Zombie einen Lappen nahm und das Auge wieder säuberte.
'So fühlt es sich also an, einen Alptraum zu haben', dachte er noch kurz und wunderte sich, dass er ihm nicht entfliehen konnte. War sein Volk nicht die Reisenden der Traumwelt?

Rib wachte wieder auf, diesmal allein. Dunkelheit umgab ihn, dennoch sah er seine Umgebung genau. Sein Körper lag in einem Kasten, der des Kobolds Form nachahmte. Nur hätten drei von ihm hier hineingepasst. Er war eingewickelt worden, in Binden. Auf den Binden waren Runen. Man hatte ihn beschrieben. Und er war nicht tot. Nicht ganz, aber etwas in ihm fühle sich zerbrochen an. Als ob die Seele sich weigern würde bestimmte Erkenntnisse zu erlangen.
Der Wächter hielt sich die Hand vor Augen und ballte die Faust. Er fühlte die Berührung, doch so sehr er sich auch anstrengte, keinen Schmerz. Seltsamerweise fühlte er sich nicht erschüttert. Gefühle schienen eher eine Frage des Intellekts denn des Herzens geworden zu sein. Als ob er von solchen Gefühlen befreit, ausgehöhlt worden war... ausgehöhlt... Die Erinnerung kam zurück und Rib schrie. Obwohl er den Stoff vor seinem Mund spürte, wirkte der Ton unnatürlich klar.
'Was ist das? Wo bin ich hier? Was haben die mit mir gemacht?' Die Gedanken rasten voller Entsetzen durch sein Hirn.
Rib richtete sich auf und betrachtete sich. Auch sein Oberkörper war verbunden. Anscheinend hatte er einen entsetzlichen Unfall gehabt, als das Buch auf ihn gefallen war, und danach einen noch entsetzlicheren Alptraum. Man hatte ihn in einen Kasten hineingesteckt... Und wo war Rogi, die Sanitäterin? Wenn sie das Zeug auf die Binden geschrieben hatte, dann würde sie aber was erleben!
Rib stutzte kurz: Früher hätte ein solcher Gedanke mehr Spaß gemacht.
Er fing an seine Umgebung genauer zu betrachten. Basalt, mit Gold verziert. Rib war sich nun sicher, nicht auf der Krankenstation zu sein. Ihn umgab ein Vermögen und dem hätte Ras bestimmt nicht zugestimmt. Rib wusste ja, was der von solchen magischen Praktiken hielt und ausnahmsweise stimmte der Kobold mal seinem Vorgesetzten da zu: Schrift aus Gold... da konnte ja alles passieren.
Rib holte aus und schlug zu. Das hier war Basalt und von der Gnomenhand abgesehen, die glücklicherweise vorsorglich schon bandagiert worden war, hätte eigentlich nichts kaputt gehen dürfen. Aber auf Logik gab der MacLaut nicht viel und behielt oftmals Recht. Der Basalt zerpulverte geradezu in viele kleine Stücke.
"Hmm, anscheinend billiges Material. Ging wohl alles fürs Blattgold drauf", murmelte Rib und kniete sich nieder, um das zu tun, was jeder anständige Bewohner seiner Stadt in seiner Situation tun würde: Er sammelte das Metall auf, bevor es jemand anderes machte.

--- Stadtarchiv Ankh-Morpork ---


"Verdammt noch mal, wo ist er hin!", schrie Atera entsetzt. Sie konnte nur hoffen, dass der Kobold es rechtzeitig geschafft hatte, sich in die Traumwelt zu begeben; was er ja schon des Öfteren getan hatte. Aber langsam müsste er mal wieder zurückkehren.
Atera hob das schwere Buch auf. 'Aus fernen fremden Welten' stand auf dem Band. Die Abteilungsleiterin blickte sich um.
"Rib? RIB!", rief sie. "Komm jetzt raus! Das ist nicht mehr witzig."
Wenn er meinte, sich so vor der Arbeit zu drücken, hatte er sich geschnitten. Dann würde es ein Donnerwetter geben. Atera schwankte zwischen dem Gefühl, hereingelegt worden zu sein und echter Besorgnis. Der Kobold hatte zwar, wie viele seiner Art, eine Neigung zu deftigen Späßen, aber sie bisher damit verschont.
Sie rief noch mal seinen Namen, als plötzlich Frau Belesen hinter ihr stand.
"Was schreien Sie hier so? Dies ist ein Ort der Besinnung und der Ruhe. PSSST!"
"Mein Kollege ist weg!"
"Und? Haben Sie wirklich erwartet, ein Kobold bleibt ihnen zuliebe hier?"
"Er verschwand, als dieses Buch auf ihn fiel!"
"Oh... Ihh... Wenn es verdreckt wurde, müssen Sie es bezahlen. Und seien Sie gefälligst leise!"
"Aber... er... er klebt nicht unter dem Buch."
"Na, dann ist wohl alles in Ordnung, oder? Kein Grund, hier zu schreien." Frau Belesen runzelte die Stirn. "Sie haben es ja doch verdreckt!"
Atera blickte herab auf die nun umgedrehte Seite des Einbandes. Ribs Umrisse waren deutlich zu sehen, eingebrannt.

--- Unbekannter Ort ---


Rib hatte seinen Mantel über sein Kostüm aus Binden gezogen. Diesen Mull abzuwickeln war ein größeres Problem, als es eigentlich sein durfte. Fast augenblicklich, sobald er danach suchte, fand er ein loses Ende, aber so viel er auch wickelte und wickelte, es wurde nicht weniger. Immer, wenn er glaubte, das müsste so langsam an Metern reichen, endete die Bahn, aber es schien quasi unendlich von diesen Stoffebenen zu geben. Der Hügel neben ihm war schon so groß, dass man eine Trollfamilie darunter hätte begraben können. Das machte keinen SINN! Bei dem Umfang seines Arms hätte er schon nach spätestens einem halben Meter fertig sein müssen.
Also hatte der Wächter sich dazu entschlossen, einfach damit aufzuhören und stattdessen die Ärmel seines Ledermantels abzureißen, damit sie passte. Er brauchte die Taschen, für das Gold.
Die Wände des Raumes waren, wie er schon bemerkt hatte nach Innen geneigt, aber oben, an der Spitze, da schien ein Loch zu sein.
"Ich wünschte, ich wüsste, wie ich da raufkomme", murmelte Rib und betrachtete wie sich das Ende einer Mullbinde abwickelte. "Hallo? HALLO!"
Irgendjemand schien ihn wohl gehört zu haben, denn ein Seil wurde herab gelassen und ein Gesicht tauchte auf.
"Hey, du! Außenweltler! Kletter hoch."
"Außenweltler...", brummelte Rib. Es war lang her, dass ein Bürger der Stadt es gewagt hatte, ihn als eine Art Provinzler zu beschimpfen. Er kletterte trotzdem hoch und beschloss dabei, es diesmal durchgehen zu lassen. Was ihn oben erwartete, war nicht nur das lächelnde Gesicht, das er schon vorhin gesehen hatte, sondern auch ein daran hängender Körper, wenn auch ein ziemlich verwitterter.
"Das hat aber lang gedauert", grinste der Unbekannte. "Warum hast du dir nicht einfach einen Weg nach außen gedrückt?"
"Gedrückt?"
"Na klar. Menschliche Mumien sind um ein vielfaches stärker als zu Lebzeiten. Du als ehemaliger Kobold müsstest ja geradezu TONNEN bewegen können... Du hast es nicht gewusst, oder?" Dieses Grinsen ging langsam auf Ribs Geist. So ein Besserwisserlächeln schrie geradezu nach einem Backstein und zwar nicht aus Jähzorn, sondern aus Prinzip. Der Typ genoß das geradezu.
In dem künstlich geräumten Schädel zischten die Gedanken nur so her, während der Unbekannte in seiner Tasche nach irgendetwas suchte. Es hatte etwas damit zu tun, dass er den Kerl für sein Lächeln nicht hassen konnte.
"So siehst du nun aus." Plötzlich hatte Rib einen Spiegel vor dem Gesicht. Und erschaute in eine bandagierte Fratze, aus der zwei rubinähnliche Edelsteine ihn anstarrten.
'Selbst die Augen haben sie mir genommen!', dachte er. 'Und ich konnte mich nicht wehren.'
Es war kein Traum gewesen. Diese Leute hatten ihm etwas angetan, so bar jeder Achtung vor allem, was gut war, wie man es sich nur vorstellen konnte. Am liebsten hätte er sich bei der Vorstellung übergeben, aber mit Mullbinden vor seinem Mund war das wahrscheinlich keine gute Idee.
Rib schaute umher. Um ihn herum war Stadt, ebenso verwittert wie die Personen, die er bisher gesehen hatte. Es schien, als wäre diese Stadt ein genaues Ebenbild Ankh-Morporks, nur... untot. Aber die gleichen Plätze, die gleichen Gebäude... Und wenn dem so war, dann sollte dort, wo diese unpassende Pyramide stand, eigentlich der Patrizierpalast sein. Bedeutete das, er war der Herrscher?
"Ich wusste nichts davon", murmelte er, seltsam unberührt von Gefühlen. "Wo bin ich?"
"Hmm, das wo ist schwer zu beantworten, reicht es Dir, wenn ich sage 'Woanders'?"
Rib schüttelte den Kopf. Mit einer nie gewohnten Klarheit hetzten Erkenntnisse durch seinen Kopf. Alles erschien deutlicher. Auf einmal war ihm deutlich bewußt, warum er nicht wütend wurde, warum er einfach akzeptieren mußte, wer er war und was er war. Er erinnerte sich an seine Zeit als Versuchsobjekt der Alchimistengilde, an seine häufigen Treffen mit dem Tod. Geister verhielten sich so. Sie akzeptierten fast sofort den Zustand, in dem sie sich befanden. Es lohnte sich nicht, sich aufzuregen, wenn einem die dafür verantwortlichen Drüsen fehlten. Und in Ribs Fall hatte er nicht einmal eine Ahnung, wo sie sich befanden. [4]
'Ist das so wichtig?', dachte sich Rib. 'Da drinnen ist jetzt eh kein Platz mehr. Was soll ich noch mit dem Zeug?'
Rib erschrak selbst über diesen kaltherzigen Gedanken. Was war aus ihm geworden? War er nun ein Monster bar jeder Menschlichkeit? Wo blieb der wütende Schrei, das entsetzte Keuchen und die Lust, einfach etwas aus Zorn zu zerstören?
Rib versuchte es anders. Er dachte an Veni, deren Onkel durch ihr Stillschweigen weiterhin das Unrecht zu den Gnomen trug. Er dachte an Harry, der Rib öffentlich als Lügner gebrandmarkt hatte. Er dachte an Ras, dessen Urteil den Kobold in einen Raum mit gefährlichen Schriften geschickt hatte. Er dachte an Zombies mit Nadeln.
Nichts. Keine Wut, kein Hass, keine Leidenschaft. Nur simple Regeln, was man tun sollte und was nicht. Schale Echos dessen, was einst das Leben farbig gemacht hat.
'Zum Bemitleiden hast du später Zeit. Hör auf und konzentrier dich', befahl die monotone, ausgeglichen logische Stimme, die nun seine Gedanken darstellte. 'Du kannst dich später um moralische Probleme kümmern.'
"Gut, ich erzähl dir die Geschichte. Vielleicht hilft das. Einstmals war das hier eine blühende Welt, voller Leben. Bis das Tor aufmachte. Wenn ich Tor sage, dann meine ich etwas magisches."
Rib nickte. Als ehemaliger Kobold kannte er die Theorie von Rissen zwischen den Welten. Wahrscheinlich war dies wieder eine Was-Wäre-Wenn-Welt.
"Durch dieses Tor kamen Geister und Gespenster. Nicht viele, nur ein paar. Vielleicht eines pro Woche. Die meisten von ihnen waren zwar etwas unmoralisch, aber in einer so großen Welt kaum von Belang. Bis ER kam."
Rib blickte auf. Er mochte solche Geschichten. Es erinnerte ihn an seine Kindheit und die Zeit kurz vorm Schlafengehen.
"Es war ein Dämonenlord, geboren aus den Alpträumen der Menschen und geformt aus den Wesen der Kerkerdimensionen. Aus dem Rücken konnte er die Tentakel einer Krake wachsen lassen, bereit zu zerschmettern und zu zerstören. Aber das wussten die Menschen damals nicht. Für uns war er nur ein herumziehender Magier mit einer guten Idee." Der Unbekannte stockte und wartete anscheinend auf ein Stichwort.
"Was für eine Idee?" Für eine gute Geschichte tat Rib ihm den Gefallen.
"Wie wäre es, nicht Golems für niedere Arbeiten zu nutzen, sondern diese Untoten Geister? Gesagt, getan. Schon bald zeigte sich, dass diese Geister einfach nicht zahlreich genug waren. Nekromanten und Voodoopriester erlebten einen nie da gewesenen wirtschaftlichen Aufschwung, indem sie nach des Dämonenlords Methoden vielfältige Helfer beschworen. 'Eine eiskalte Hand ist eine helfende Hand' war damals ein beliebter Werbespruch. Doch es dauerte nicht lang, da machten die Magier einen Fehler."
Rib rückte näher.
"Sie beschworen einen der ihresgleichen und er hasste sein Dasein. Um frei zu werden, beschwor er selbst einen Geist und trug ihm auf ihn zu befreien. Dieser beschwor wieder einen und jener wieder, nachdem gelehrt worden war, wie man das macht. Es dauerte nicht lang und die Lebenden waren hoffnungslos in der Unterzahl.
Dies war die Stunde des Lords und er rief sie auf ihre Herrschaft anzutreten. Wen sie erschlugen, der schloss sich ihnen als Beschworener an. Bis wir allein waren und er sich zu unserem Herrscher thronte." [5]

--- Stadtarchiv Ankh-Morpork ---


Atera schaute Frau Belesen wütend an, nachdem beide festgestellt hatten, dass Rib in dem Einband verewigt worden war. "Passiert so etwas hier öfter? Wenn wir solche Effekte haben wollten, wären wir in die Universität gegangen."
"Nun...ja, ich meine nein, noch nie. Ich meine, schon öfter haben Kunden mir erzählt, dass sie das Gefühl hatten in einer guten Geschichte zu versinken. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie das körperlich meinten. Und überhaupt... das ist ein Sachbuch."
Die Wächterin schaute sie verwirrt an.
"Na, so spannend kann das doch gar nicht sein."
'Auf dem Band steht "Aus fernen Welten". [6] Rib kann sonstwo sein', dachte sich Tery und überlegte.
"Was nun?", fragte sie laut, aber mehr zu sich selbst.
"Woher soll ich das wissen?"
"Wir brauchen Hilfe. Wir brauchen jemanden, der es weiß."
"Der Bibliothekar!", riefen beide und dachten an einen Affen in der Unsichtbaren Universität, jemanden, der früher mal ein Mensch gewesen war. Wenn einer von magischen Unfällen in Zusammenhang mit Büchern Ahnung hatte, dann er.

--- Unbekannter Ort ---


"Du bist auch tot?" Rib verabschiedete sich von dem Gedanken, zum Herrscher dieser Welt erkoren worden zu sein. Hätte ja auch bedeutet, dass er mal Glück haben würde.
"Untot ja. Man nennt mich 7A'fuß, Kuchenhelfer vierter Klasse. Zu Lebzeiten war ich Arzt, aber wenn man tot ist, verliert man das Vertrauen der Patienten. Ich stamme noch aus der Zeit vor dem Lord, weiß also, wovon ich spreche. Aber als es losging, tötete ich nicht. Ich habe mich nur verkrochen und um das gezittert, was ich mein Dasein nenne. Das war auch mein Glück. Mich sah niemand und ich sah alles. Du siehst, ich verheimliche dir nichts."
"Die Frage ist nur... Warum nicht? Wieso erzählst du mir das? Bist du so eine Art Fremdenführer für Neue?"
"Nein, eigentlich bin ich hier um dich zu töten. Nur weiß ich leider nicht wie das geht."
"Warum?" Rib rückte weg.
"Weil der Lord dich opfern will. Nur so bricht er das Siegel, nur so kommt er zurück in seine Heimatwelt voller Lebender, die er verderben kann. Damit hätte er zwei Welten unter Kontrolle."
"Warum ich?" Die allseits von Opfern gestellte Frage. Rib kam sich dabei selbst etwas blöd vor.
"Dazu, einer uralten Prophezeiung nach, braucht der Lord ein magisches Wesen, auf eigenen Befehl und besondere Weise unsterblich gemacht, das er opfert. Nun, unsterblich hat er dich ja irgendwie gemacht."
"So, und wo kommst du ins Spiel? Schwingst du das Messer?"
7A'fuß schüttelte den Kopf. "Da ich dich nicht töten kann, hab ich dich befreit, um die Opferung zu verhindern. Nie wieder so ein Blutfest."
"Wau, das Schicksal der Welt. Ich wusste gar nicht, dass so etwas in mir steckt." Rib verzog das Gesicht. Nachdem, was ihm angetan worden war, wollte er gar nicht wissen, was alles so in ihm steckte. "Gut, du sagst mir also, ich muss nun auf ewig flüchten oder wie?"
Ein weiteres Kopfschütteln. "Es muss einen Eingang geben, durch den du gekommen bist. Da schmeißen wir dich wieder durch. An welchen Ort erinnerst du dich zuletzt?"
"Das Stadtarchiv da unten." Rib deutete in die entsprechende Richtung. Er hoffte, schmeissen war nicht wörtlich gemeint.
"Gut, da unten muss also ein Portal sein, auf dich abgestimmt. Gehen wir los."

--- Stadtarchiv Ankh-Morpork ---


'Wo bleibt er nur?' Atera schritt nervös hin und her. Sie machte sich Vorwürfe. Vielleicht war es falsch gewesen, ihm gleich so viel zuzumuten?
Rib war nicht nur ihr Stellvertreter geworden, sondern auch ihr Sorgenkind. Diese Korruptionsvorwürfe, die er aufrechterhielt, waren fast krankhaft. Ständig kamen neue Vorwürfe von ihm an ihre Ohren, doch sie hielt an ihm fest.
Warum sie das machte, wußte sie allerdings auch nicht. Vielleicht rief seine Körperhöhe und seine kindlich-naive Neigung, nur in Schwarz und Weiß zu denken, eine Art 'Mutterinstinkt' hervor, vielleicht war das aber auch einfach nur ihre Art. Sie mochte es Leute zu fördern, selbst wenn ihr Potential eher anzeigte, dass diese Leute auf dem absterbenden Ast des Lebens wandelten. In dieser Hinsicht glaubte sie an das Gute im Menschen. In dieser Hinsicht.
Im Gang zeichnete sich die Silhouette eines Kartoffelsacks auf zwei Beinen ab. Der Bibliothekar, endlich. Und hinter ihm ein weiterer Wächter, Pyronekdan.
"Puh, ich dachte, die Nachricht über die Signaltürme hätte Dich nicht erreicht. SEALS braucht dringend wieder einen Wächter fürs Nachrichtenwesen." Atera winkte die beiden zu sich. "Wir haben hier einen magischen Unfall und ich brauche eure Hilfe. Kommt näher, dann erkläre ich euch was passiert ist. Bestimmt könnt ihr ja etwas ausrichten."

Zehn Minuten später hätte sich das Archiv auch für die Stelle eines Restmüll-Lagers für thaumaturgische Abfälle bewerben können. An magischer Hintergrundstrahlung mangelte es im Moment nicht. Von draußen hörte man leise die fluchenden Besitzer magisch ungedämpfter Runenschwerter, die sich nicht so benahmen, wie sie sollten.
"Ughhh", meinte der Affe und zog seine Schultern entschuldigend hoch.
"Ja, ich weiß auch nichts. Die Sprüche wirken einfach nicht. Das war jetzt Versuch Sieben A. Mehr kann ich nicht riskieren. Es ist, als ob ein magischer Schutz die Öffnung auf der anderen Seite verschließt", meinte Pyronekdan. Er war mehr aus wissenschaftlichem Interesse mitgekommen, da er nicht gewußt hatte, dass es um einen Wächter ging.
Sie standen jetzt ratlos im Kreis, die beiden, Atera und Frau Belesen.
"UhUhk", meinte der Affe weiter und deutete damit an, dass solche Bücher hier im Archiv nichts verloren hatten.
Die Bibliothekarin lächelte entschuldigend. Was hätte sie auch sonst tun sollen?
"Ug." Was soviel hieß wie 'Darüber unterhalten wir uns noch'.
"Aber es ist ein Zugang irgendwohin? Rib ist nicht tot?", hakte Atera nach.
"Das nehme ich an."
Frau Belesen fand nun, es wäre Zeit auch etwas dem Gespräch beizusteuern: "Und wie wäre es, wenn wir das Buch aufmachen und schütteln?"
Pyro schaute die Frau entnervt an. Laien - Das Wort kam aus einer alten Sprache und meinte Idiot.
"Ach, was soll's. Versuch ist es wert", meinte er dann. Er wusste ja auch nicht mehr weiter.

--- Unbekannter Ort ---


Das Vieh sah im Inneren des Gebäudes aus wie eine riesige Schnecke mit Hörnern. Unglücklicherweise - aus Rib Sicht - brannte das Ding. Oder besser gesagt, es bestand nur aus Feuer. Und hinterließ ebenso brennende Pfützen.
Selbstverständlich, bei seinem Glück, hatte das Feuerwesen Rib gleich beim Hereinkommen gesehen.
'Oh', dachte sich Rib, 'nichts gegen den Plan, von Regal zu Regal zu schleichen. Dafür müssten die Regale aus Holz nur noch stehen.'
Rib lehnte derzeit an einer seitlichen Wand und dachte nach. Glücklicherweise war das Vieh extrem langsam.
'Aber warum?', dachte er. 'Es besteht kein Zweifel, dass dies Ding mich aufhalten soll. Jemand wusste, dass ich komme. Warum sonst, wenn es hier keine Kobolde gibt, sperrt jemand ein Feuerwesen in einen Raum mit Büchern? Für Futter hält das nicht lang genug vor. Außerdem waren die Türen zu und das war die Schnecke bestimmt nicht selbst gewesen. Komisch, wenn ich jemanden umbringen wollte, würde ich was schnellere...'
"Rib! Da drüben!" 7A'fuß zeigte an die Stelle, wo das Buch gelegen hatte. Ungefähr auf einem Meter Höhe war eine Art leuchtender Riss zu sehen, der auf und ab bewegt wurde, als ob die Öffnung geschüttelt wurde. Eine Art Plombe oktariner Natur umgab sie.
Und das Monster war ziemlich dicht bei Rib's Helfer.
Rib rannte los und sprang. Als er die Öffnung berührte, war es ihm, als ob er in der Luft schweben würde. Das Siegel hielt ihn fest und die Zeichen auf den Bändern seines Handrückens fingen blau an zu leuchten. Siegel und Schrift reagierten miteinander. Wind kam auf, starker Wind, oktariner Wind.
Irgendwas stimmte nicht. Es fühlte sich nicht gut an, als ob zwei Zahnräder, die nicht beisammen sein sollten, vereint würden. Rib starrte auf seinen Binden. Der Buchstabe auf dem Rücken seiner Hand war ein "Kablha"... der nächste daneben ein "Seth"... dann kam ein "Thalem". Zusammen ergaben sie das Wort "Kas'th" was einen Durchgang bezeichnete, mit dem Befehl für ein Öffnen dabei. Weitere Worte flossen in Ribs Gedanken, Schrift entleerte sich wie brennendes Pech, das in einen Schlund gegossen wurde.
'Ich will das nicht!' Rib schrie in Gedanken, von Schrift pervertiert, geschändet und mißbraucht. "Warum hilft mir niemand?"
Rib wußte, nur ein angenehmer Gedanke, ein reiner Impuls, würde ihn erretten können.
"Lar'a", flüsterte er. "Hilf mir."
Wenn er nicht glauben konnte, dass Liebe real war, dass sie bestimmend sein würde für sein Leben, wäre alles an das er geglaubt hatte, bedeutungslos geworden.
Und dann dachte er an Keil und wie die Wellen eines Erdbebens schlug Wissen auf ihn nieder, durchsetzte ihn und füllte ihn aus. Rib schrie, bettelte und flehte. Bis dieses Flehen ein Echo erhielt.
"Rib, HILFE!" 7A'fuß war gefallen und die Schnecke rollte schon über seine Beine. Rib streckte die Hände aus und wünschte sich nichts sehnlicher als ihm helfen zu können. Andere Zeichen leuchteten auf und flüsterten dem Siegel zu, Eintritt zu gewähren. Ribs Wunsch, seinem Freund zu helfen, schützte ihn. Nun begriff er die Macht seiner Binden.
Ein Band an seinem Handgelenk erwachte zu Leben und zischte auf den Untoten zu. Rib fühlte, wie er mit seinem Willen allein den Mull steuern konnte, um 7A'fuß zu packen und heranzuziehen. So gut wie reißfest [7] bestand auch nicht die Gefahr, ihn loszulassen.
Dass sein Freund brannte, war Rib egal. Er konnte doch niemanden, der ihm geholfen hatte, sterben lassen. Seltsamerweise waren die Flammen auch gar nicht heiß. Inzwischen toste der magische Sturm über ihn hinweg. Asche erhob sich zu einzelnen, meterhohen Windhosen.
Rib sah wieder die grünen Wellen, die nun etwas schwärzlicher durch seine neuen Augen erschienen. Zu zweit fielen sie, ohne den Schmerz zu spüren. Und dabei stellte sich Rib nur eine Frage: 'Woher kannte der 7A'fuß meinen Namen?'

--- Stadtarchiv Ankh-Morpork ---


Pyronekdan staunte nicht schlecht, als das Buch blau aufleuchtete und ein gnomengroßer Untoter herausfiel. Das Licht wurde schwächer, während das Wesen sich auf eine menschliche Größe ausdehnte.
"Schnell", rief es. "Verbrennt es. Sonst ist eure Welt verdammt. Der Schlüssel kommt." Dann löste er sich in ein Nichts auf, in Staub, der als Wolke aus dem Raum getragen wurde.
Atera stand verwirrt da, im Gegensatz zu den Zauberern. Im Laufe der Ausbildung lernte man mystischen Geschöpfen zu glauben, die vom Ende der Welt redeten. Eine der wenigen Fastsicherheiten im Beruf. Pyro hob also seinen Zauberstab und besann sich auf eine Formel.
Plötzlich schoss ein weißer Faden aus den Seiten hervor und umwickelte die Spitze des Zauberstabes in Sekundenbruchteilen, bis eine Art Knauf daraus entstanden war. Eine Mumie fiel heraus, von ebenso erstaunlicher Größe. Anscheinend vergaß sie zu wachsen.
"Halt, BITTE! Ich bin Rib."
"RIB???", dröhnte es aus den menschlichen Kehlen. Der Affe keuchte nur auf.
"Keine Zeit. Was hat der Kerl vor mir gesagt?"
"Das wir das Buch zerstören sollen. Von einem Schlüssel und so", murmelte Atera, während in atemberaubender Geschwindigkeit sich diese Schnur von dem Zauberer wieder löste und um Ribs Handgelenk wickelte, das trotzdem nicht dicker zu werden schien. Was hatte der kleine Kobold jetzt schon wieder angestellt, dass er mit einem solchen Verband und roter Sonnenbrille ankam?
"Dann macht das." Die Binde, immer noch mit dem Handgelenk der Mumie verbunden, wickelte sich zurück um seinen Arm. Pyros Feuerzauber kam so schnell, dass die Mumie kaum aus der Reichweite kam.
Sie schaute sich um. "Wo ist er? Der Kerl, der vor mir kam."
"Weg. Wer war er? Und was ist mit dir geschehen?"
"Lange Geschichte, aber ich glaube, er war ein Freund. 7A'fuß hieß er... Was gibt's da zu kichern?" Rib schaute die Frau Belesen verwirrt an.
"7A'fuß ist gut. Das bedeutet übersetzt 'Oktopus'. Und niemand nennt sich wie eine Krake."
Rib dachte nach, eine Krake... da war doch was. Dann fielen ihm die Sätze aus der Geschichte der anderen Welt wieder ein: "Es war ein Dämonenlord, geboren aus den Alpträumen der Menschen und geformt aus den Wesen der Kerkerdimensionen. Aus dem Rücken konnte er die Tentakel einer Krake wachsen lassen."
"Der Mistkerl", murmelte Rib. "Sagte ich Freund? Er hat mich umgebracht, um jemanden zu haben, der ihm einen Durchgang schafft."
Es war ihm vielleicht nicht möglich zu hassen, aber dennoch war 7A'Fuß jemand, der unbedingt gestoppt werden mußte. Unerwartet schmunzelte Rib unter seinen Binden. Sollte es dennoch Dinge geben, die einer Anstrengung wert waren?
"UKH?" Was so viel bedeutete, wie 'UMGEBRACHT'?
"Ich sagte doch, ist 'ne lange Geschichte. Und ich befürchte, der Tanz beginnt erst. Hör mal, A...angesehener Bibliothekar, kannst du mir ein paar Fragen beantworten?"
"Ugh." Und das meinte: 'Vielleicht. Woher soll ich das wissen?'
"Ich nehme an, die Schrift auf den Binden hält mich am Leben. Oder wie man das nennen mag."
"Ugh."
"Und ich nehme an, die Schrift in dem Buch hat mir das erst angetan."
"Ugh."
"Also ist es nur folgerichtig, wenn andere Schriften mir vielleicht die Möglichkeit eröffnen, zu werden, wer ich war?" Rib atmete tief ein. Dies war vielleicht der wichtigste Entschluss seines Lebens. Er wünschte nur, er könnte ihn mit mehr Inbrunst fällen. Aber darum ging es ja. "Dann bleibt mir nur eins zu tun."
Rib rannte mit voller Wucht gegen ein Bücherregal. Nicht nur ein Buch fiel herunter.
Unter dem entstandenen Stapel war noch ein bandagierter Arm zu sehen, schwach winkend.
"AU! Das war's nicht." Und damit deutete die Hand in Richtung der endlosen Regale.

--- Wachhaus Pseudopolisplatz ---


"Korporal Rib M'Laut meldet sich zum Dienst." Die Mumie salutierte und schaute zu ihrer untoten Abteilungsleiterin hoch. "Die zwei Wochen sind um."
"Du willst immer noch nicht erzählen, was passiert ist?" Atera blickte Rib ernst an.
"Ich..." Die Mumie verdrängte den Gedanken, dass es sie zerreißen würde all das wieder zu erleben. Rib besaß schließlich keine Gefühle. Nein, es ging um Tery. Es war einfach logisch, dass es um sie ging. Ja. Es würde die Untote verletzten zu erfahren, wie die Vollstreckung des Urteils ihm das angetan hatte. Weil sie es verstehen würde. Rib schüttelte den Kopf.
"Rib, ich muss dich suspendieren, wenn du nicht diensttauglich bist."
"Das bin ich. Ich will nur nicht darüber reden. Laß mir Zeit."
"Nun gut, vorerst. Der Kommandant hat deinen Antrag, Lar'a und ihre Kinder aus dem Witwen- und Waisenfont zu unterstützen, abgelehnt. Er sagt, das Geld ist für diejenigen da, deren Wächter nicht mehr zur Arbeit kommt. Hast du sie seit dem Unfall wiedergesehen?"
Ein erneutes Kopfschütteln. "Es wäre nicht schicklich. Ich bin tot und sie sollten Zeit zu trauern haben."
"Rib, irgendwann wirst du dich ihnen stellen müssen."
Die Mumie nickte. Aber es war so... unangenehm in sich diese Kälte zu spüren. MacLauts, alle MacLauts schienen auf eine Verpflichtung reduziert, die man nicht aufgeben wollte. Deswegen hatte er seinen Nachnamen angepasst.
Er wußte selbst, man konnte nicht sagen, dass er wieder in Ordnung war, doch das würde er wohl nie mehr sein. Schon gar nicht innerlich. Darum war es angemessen, den Dienst wieder anzufangen.
"Gut, du wolltest einen Fall, ich hab hier einen. Ein Kleindealer und Zuhälter mit Namen Keil. Man hat ihn in einem Mauseloch gefunden, SuSi sagt abgelegt. Drogentoter, nur eine Spur zuviel von dem Zeug. Ich dachte, weil du wie er auch in den Schatten lebst..."
Die Mumie nickte. "Du weißt, wie die Chancen stehen... Besonders jetzt, wo ich nicht auf meine Ex-Schwager mehr zurückgreifen kann."
"Ich weiß. Versuchs trotzdem und hör dich um. In dem Viertel und bei Gnomen bist du halt am besten geeignet."
Rib nickte und ging los. Die Chancen standen wirklich schlecht diesen Fall zu lösen. Mullbinden als Fesseln hinterließen keine Spuren.
Heute Nacht wurde M'Laut sich auf ein Dach begeben und beobachten. Wehe Frau Palm, wenn sie ihre Mädchen nicht gut behandelte. Es war eine Verpflichtung, der Rib nun aus der Ferne nachkam.
Und Verpflichtungen verdienten es, ernst genommen zu werden.




[1] Wie Eingeweihte wussten, krümmte das Wissen jeder Bibliothek den Raum und schaffte Verbindungen zu allen anderen. Zukünftige, gegenwärtige, vergangene und einer Menge mehr, die Sie gar nicht kennen wollen.

[2] Kobolde glauben an ein Leben nach dem Tod, und sie sind mittendrin.

[3] Die Allgemeinheit hätte auf ein verwittertes Schild mit der Aufschrift "Leerer Raum zu vermieten" getippt.

[4] Zur Beruhigung untoter Mitspieler: Rib irrt sich hier. Er leidet unter dem Posttraumatisches Streßsyndrom: Opfer extremer Erlebnisse verlieren oft den Bezug zu ihrem Selbst: Sie haben zwar noch Gefühle, nehmen sie aber nicht wahr. "Neurosen erhalten sich selbst" und so wird Rib diese These auch so schnell nicht in Frage stellen. Selbst wenn er sich belügen muß.

[5] Diese Welt wird in der Laiza/Rib-Coop und weiteren Geschichten eine Rolle spielen.

[6] Ich weiß, das interessiert keinen: In Wirklichkeit dreht sich dieses Sachbuch um Sternenkunde und war als Kind mein Lieblingsbuch.

[7] Nur wenn Rib wollte, dass die Binde zu Ende war, würde sie es sein.




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Feedback:

Von Drogan Eisenschädel

23.12.2004 21:25

die erste kitik/lob im neuen forum :D

also ich hab besser bewertet. fand deine geschichte sehr unterhaltent und gut geschrieben. besser als die vorherigen die ich eher langweilig fand (weist du ja)
finde es zwar schade das rib jetzt untot ist aber damit hast du dir jetzt einen char erschaffen der einzigartig bei der wache ist ;)

Von Harry

23.12.2004 21:46

Na ja, einzigartig war er auch schon vorher :-P
Irgendwie kannst Du es nicht lassen, Dich ständig neu zu erfinden, oder? Wobei ich mich frage, ob die Geschichte mit dem Dämon aus einem anderen Universum und so nicht etwas übertrieben ist... und wieviel vom alten Rib jetzt noch im neuen zu finden sein wird.
Also, mein Fazit: Eher skeptisch...

Von Robin Picardo

23.12.2004 21:52

Tschuldigung..mich erinnert der neue Rib eher an Spiderman in Ankh-Morpork.
Mein Fazit: Ichhatte geglaubt du "ziehst" dich nicht so "einfach" aus der Affäre mit deiner Bestrafung...
naja was solls
ein SideKick-Char mehr
LG Robs

Von Drogan Eisenschädel

23.12.2004 22:23

hmmm, das stimmt, jetzt wo du es sagst fällt mir auch wieder ein was ich als erstes dachte... uuuuh spiderrib :D

Von Sallien Elonie Amenda von Seherr Dertief

23.12.2004 22:38

spiderman ist schon mal ganz gut :D

ich fand die story... weiß nich... mir gefällt dein schreibstil total, aber mir kam dieser 7A-sonstwas irgentwie daneben vor. genauso wie mir rib als mumie irgentwie daneben erscheint... :?
bin auf jedenfall mal gespannt was du noch draus machst

naja... soviel von mir
Sally

Von Magane

23.12.2004 22:39

Die Assotiation drängt sich auf...

zunächst einmal: Ich hab die Idee erzählt bekommen, von Laiza... und ich hab vorab die Mumifizierung gelesen... Da war ich überhaupt nicht begeistert.

Ich mag absolut keine Wechsel von Schwarz auf Weiß. Das ging mir viel zu schnell [Ich bin mir bewusst, dass es bei mir auch nach nem sauschnellen Wechsel aussieht, aber das steht alles in einer verlorenen Single.], wo sind die ganzen Grausufen, der Kampf?

Andererseits sehe ich natürlich dein Problem mit der Unspielbarkeit eines Feegles unter Wachebedingungen. Die Welt hat sich auf unfähre Weise und für deinen (und in geringerem Maße auch für meinen) Char viel zu schnell verändert. Und ich hätte sicherlich auch Schwierigkeiten gehabt einen so extremen Char anzupassen...

Im Prinzip ist es dir aber gelungen, vielleicht solltest du dir beim nächsten Mal etwas Zeit für Ausführlichkeit nehmen.

Ähm... ich hab mit 12 bewertet.

Ich bin sehr gespannt ob unsere beiden veränderten Chars besser mit den Gesetzen und mit einander (und so) klar kommen.

Von Pyronekdan

24.12.2004 10:26

Die Geschichte fand ich, vor allem für eine Strafmission, sehr gut.
(Zum Glück hat niemand bemerkt, daß mir der Bibliothekar bei dem Zauberspruch souffliert hat.) :D

Irgendwie scheint mir Dein neuer Charakter aber zu stark zu sein.
Es wird schwer werden, damit spannende Geschichten zu schreiben, weil ihm ja kaum gefahren drohen.
Vielleicht solltest Du deshalb noch ein paar schwächen einbauen.

Von Rib

24.12.2004 14:56

Ich fand nicht, das ich es mir mit der Strafe [i:34cf1c1d52]einfach[/i:34cf1c1d52] gemacht habe, indem ich den Kobold aufgab. Eher das Gegenteil.
Ich hätte auch ihn handeln lassen können, wie er gehandelt hätte: Kündigen. (Für Rib war die Wache immer nur ein Beruf, den er nur wegen des Geldes aufgegriffen hat.)
Davon abgesehen, die meisten wissen, das ich TP-treu spiele. Ich mag keine meisterlosen Igors, die nicht lispeln, und ich mag keine Kobolde die lesen. Und über kurz oder mittellang hätte er lesen lernen müssen. Meine erste Idee, mich absichtlich degradieren zu lassen, hätte da auch nichts genutzt.
@Pyro: In der "Welt der Untoten" hat Rib auch kaum Nachteile. Die kommen noch. In der letzten Live gab es schon eine unauffällige Andeutung.
Siperman: War Absicht, und ich werde damit auch in ein zwei Missionen spielen. Wie Rib auch schon Darkwing Duck war. 7A'Fuß, der mal Arzt war, ist übersetzt niemand anderes als Doktor Oktopus. Aber erstmal dauert es noch etwas dahin und dazwischen gibt es noch viele weitere Figuren, die veralbert werden, wie z.B. Tarzan.

Von Romulus von Grauhaar

24.12.2004 15:04

Ein kleines Bisschen widersprichst du dir da selbst, denn bei TP gibt es Nac Mac Feegle, die lesen (und andere die - mit großer Überwindung - lesen lernen) , wie wir alle seit A Hat Full Of Sky wissen.

Von Rib

25.12.2004 18:31

Tja, warum hast du mir das nicht erzählt, als wir uns über den zukünftigen Tod des Kobolds unterhalten haben? :-)
Alles was seit "Free Wee Man" heraushekommen ist, besitze ich nicht.
Macht nix, dieser Rib gibt auch Geschichten her.

Von Romulus von Grauhaar

25.12.2004 18:44

Naja, immerhin kommt dein Kobold von einem Stamm, der eben das Lesen und Schreiben nicht beherrscht. Und wenn er plötzlich seine Skepsis ablegen könnte, würde das ja auch nicht passen, oder?

Von Rib

03.01.2005 23:40

Gut, das war Kritik zur Figur.
Aber was, mal abgesehen davon, daß Daemon die "Spielwelt" nicht gefiel, war an der Mission gut oder schlecht?

Von Daemon Llanddcairfyn

03.01.2005 23:45

Was war mit dem Daemon?

Von Rib

04.01.2005 17:59

Nichts weiter als meine typische geistige Verwirrung.
Es war nicht Daemon über die Untotenwelt, sondern Harry über den Dämon.

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