Geschichten über Geschichten: Merkwürdige Aktivitäten rund um die Diebesgilde und Goldies erster richtiger Fall!
Dafür vergebene Note: 12
Es war früh am Morgen eines nebeligen Sonntags im Herbst. Die meisten Bewohner der Stadt schliefen noch und bis auf wenige Ausnahmen war in keinem der Häuser ein Licht zu sehen. Durch die trübe Helligkeit dringt das Geräusch von Schritten. Sie laufen langsam über den Kies und Schotter, den der Fluss angeschwemmt hat. Bald treten aus dem Dunst des Nebels zwei Gestalten. Sie sind durch die grauen, feuchten Schwaden nur sehr undeutlich zu erkennen, aber es scheint sich um eine große und eine kleine Person zu handeln. Der Fluss liegt still und scheinbar uferlos vor ihnen.
Es ist ein alter Mann und sein Enkel. Sie fahren oft mit ihrem Kahn auf den Fluss zum Angeln hinaus. Besonders an Tagen wie diesen. Sie sind extra früh aufgestanden, bevor die Sonne richtig aufgeht und der Nebel sich verzieht. Dies war die beste Zeit für die Geschichten des alten Mannes. Und während sie zusammen mit dem Kahn vom Ufer ablegten, fragte der Junge auch schon "Erzählst Du mir heute wieder Geschichten?"
"Sicher! Was willst du denn hören?" Die Stimme des Alten war ruhig und leise, als hätte er Angst durch lautes Reden die Stimmung zu zerstören.
"Bitte erzähle mir von bösen Monstern und guten Helden. Ich will eine gruselige Geschichte. Bitte Großvater!"
Der Alte überlegte kurz. In letzter Zeit waren sie immer sehr früh raus gefahren und jedes Mal hatte er diese Geschichten erzählt. Der Junge wollte sie hören und war regelrecht verrückt danach. Die Geschichten von dieser Stadt, von der er vorher noch nie etwas gehört hatte. Diese Stadt voller Menschen. Voller verrückter Dinge und merkwürdiger Wesen.
Sie ruderten auf den Fluss hinaus und trieben zwischen den beiden weit entfernten Ufern dahin.
Er warf die Angel in das stille Wasser. Gefangen hatte er schon lange nichts mehr, aber um das Fischen ging es ihm gar nicht. Auch der alte Mann genoss diese Zeit des Erzählens und des Träumens. Er hatte es vorher nie so bewusst wahrgenommen, aber seit der Junge diese besonderen Geschichten von dieser besonderen Stadt hören wollte, wurde auch der Alte wie in Träume gerissen. Weggerissen. Zurückgerissen.
"Wo waren wir das letzte mal stehengeblieben?" fragte der Alte, obwohl er es genau wusste.
"Goldie jagte diesen Priester!" die Antwort des Jungen kam wie aus der Pistole geschossen.
"Ah ja, das ist richtig!" der Alte schmunzelt "Den Falschen Priester aus Lancre!" In die letzten Geschichte hatte er das halbe
Pantheon dieser verrückten Welt integriert.
"Nein heute erzähle ich Dir eine andere Geschichte!"
Der kleine Junge schien enttäuscht zu sein.
"Aber handelt sie den auch von dieser Stadt und Goldie?"
"Ja ja! Sicher. Aber sie ist ein wenig anders als die anderen. Aber Du es wirst schon merken."
Er dachte erneut kurz nach und holte noch einmal tief Luft. Der Junge wartete gespannt darauf, wie die Geschichte losging.
"Also es ist Sonntagmorgen in Ankh-Morpork. Die Sonne geht gerade auf ....... "
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Es ist Sonntagmorgen in Ankh-Morpork. Die Sonne geht gerade auf und ihr Licht dringt durch die Gassen und Straßen, über die Plätze und Kreuzungen der Stadt. Und während der Morgen in die letzten dunklen Ecken eindrang um die Nacht zu vertreiben, ist gleich um die Ecke der nächsten Kreuzung ein Zischen und Flüstern zu hören. Und wenn man um eben jene Ecke schaut sieht man einen Zwerg auf dem Bordstein sitzen, der sich mit einem Eichhörnchen unterhält. Und um eben diese Person dreht sich unsere Geschichte.
Was diesen Zwerg so besonders macht? Genauer gesagt eine Zwergin. An sich von der Tatsache abgesehen, dass sie weit und breit die einzige Person ist, die sich am Sonntagmorgen an der Messingbrücke aufhält, ist sie ein ganz normaler Zwerg. Auf ihrer Schulter sitzt ein kleines schwarzes Eichhörnchen und putzt sich. Goldie hat für gewöhnlich immer ein paar Nüsse dabei, um Teufel - so heißt das Eichhörnchen - zu füttern. Ihr Kettenhemd glänzt in den ersten Sonnenstrahlen und an ihrem Gürtel hängt eine Axt. Keine sehr große Axt. Angeben kann sie damit zumindest nicht. Aber dafür hat sie ein Abzeichen der Stadtwache und sie ist sehr stolz darauf. Ach ja - Unsere Zwergin heißt Goldie. Goldie Kleinaxt. Sie sitzt gedankenverloren auf dem Bordstein der Messingbrücke.
Ein paar Möwen kreisen über dem Fluss. Wenn man den Ankh überhaupt Fluss nennen kann. Eine von ihnen landete auf der Brüstung der Brücke und hüpfte auf Goldie zu. Die große weiße Möwe bleibt einen Meter vor Goldie sitzen und schaut die Zwergin erwartungsvoll an. Die Zwergin greift geistesabwesend in ihre Tasche um etwas zum Füttern der Möwe zu ertasten. Nachdem sie eine Weile herumgekramt hat, zieht sie die Hand wieder raus und hält eine kleine Goldmünze in der Hand.
"Die hätte ich ja fast vergessen" sagt Goldie, obwohl niemand weit und breit zu sehen ist. "Nicht alles was glänzt ist Gold!"
Bei diesem Satz musste sie fast lachen. Über sich und die Bedeutung dieses Satzes an sich. Eigentlich sehr makaber, an diesem Ort zu lachen. Ihr Blick wanderte noch einmal auf die blutroten Lachen auf dem Pflaster der Messingbrücke. Sie sah noch einmal auf die Münze, warf sie in die Luft und fing sie auf. Der alte Zwergenkönig auf der Frontseite starrte sie an.
Und während die Möwe immer näher rückt, betrachtet die Zwergin nachdenklich die glänzende Münze. Wie hatte die schreckliche Sache eigentlich angefangen?
***
Die letzten Tage waren nicht sehr aufregend gewesen. Zumindest für Goldie und ihre Abteilung. Sie gehörte zu DOG, der
Dienststelle zur Observierung von Gildenangelegenheiten.
An sich war die Zwergin noch nicht sehr lange bei der Stadtwache. Aber in der kurzen Zeit war es ihr wie eine zweite Heimat vorgekommen. Schließlich hatte Goldie Zeit ihres Lebens davon geträumt ein Polizist zu werden und das Verbrechen zu bekämpfen.
Zumindest hatte sie jetzt erlebt, was es heißt ein Wächter zu sein. Und diese Erfahrung war sehr anstrengend gewesen.
Alles hatte sich um Gold gedreht. Ja die Sucht nach Gold!! Goldie konnte ein Lied davon singen - und wenn sie genauer nachdachte nicht nur eins.
Gold war der Schlüssel zu allem gewesen, was sie die letzten 24 Stunden erlebt hatte. Es war der Schlüssel zu diesem Fall gewesen.
Angefangen hatte alles an einem Sonnabend Morgen im Büro des Abteilungsleiters von DOG. Robin Picardo, ein stets müde und abgespannt wirkender Mann, verkörperte nicht gerade das, was sich Goldie unter einem jungen dynamischen Hüter von Recht und Ordnung vorstellte. Er schaute müde von seinem Schreibtisch auf Goldie, die gerade zackig vor ihm salutierte.
Genauer gesagt hatte Goldie bis jetzt jeden Tag vor seinem Schreibtisch salutiert seit sie bei DOG war. Aber der Feldwebel hatte sich bisher noch nicht an den frühmorgendlichen Anblick motivierter Mitarbeiter gewöhnt. Wie jeden Morgen schaute er auch dieses Mal aus halbschlafenden Augen über die Kante seines Schreibtisches auf die Zwergin hinunter, welche ihm ein "Guten Morgen, Sir!" entgegen schmetterte.
Der Feldwebel schien sich jetzt langsam an seine neue Wächterin zu erinnern. Er rieb sich noch einmal die Augen und rief sich den Grund für den morgendlichen Besuch ins Gedächtnis.
"N' Morgen Goldie! Eines muss man euch Zwergen lassen. Ihr seid hartnäckig!"
Er drehte den Kopf und blickte auf die Uhr in seinem Büro. Es war genau sieben Uhr.
"Und pünktlich!"
"Danke Sir!"
"Und nun lass mich raten warum Du hier stehst." Ein verärgertes Stirnrunzeln zuckte über sein Gesicht. Er hasste es sich vor um neun mit den Problemen dieser Welt auseinander setzen zu müssen.
"Nun Sir, ich wollte nur fragen ob Sie vielleicht ...."
".... heute einen Fall für mich hätten?" zynisch unterbrach sie Picardo und vervollständigte ihre Frage.
Aber so leicht ließ sich Goldie nicht einschüchtern.
"Sir, Ich dachte, ich könnte sie daran erinnern, dass sie gesagt haben ich sollte heute wiederkommen!"
Der Feldwebel stöhnte.
"Ja das sagte ich."
So etwas in der Art sagte er schon seit Wochen. Und keinen Morgen in dieser Zeit hatte er richtig ausschlafen können. Keiner seiner Wächter belästigte ihn und sein Kissen, welches er hinter den Stapeln von Akten auf seinem Schreibtisch versteckte. Keiner außer Goldie. Sogar sein rechter
Backenzahn schmerzte ihn wieder, was der Feldwebel ebenfalls dem mangelnden Tiefschlaf und somit Goldie anrechnete.
Deswegen hatte er beschlossen, endlich dafür zu sorgen, dass die neue DOG-Wächterin etwas zu tun bekam, er endlich seinen wohlverdienten Schlaf genießen konnte. Gestern hatte er einen Bericht eines seiner Huskies bekommen. Der verdeckt ermittelnde Obergefreite Nichts hatte ihm über ein merkwürdiges Phänomen in Kenntnis gesetzt. Anscheinend sind die Preise für Gold ins unermessliche gestiegen. Nicht die Goldmünzen, sondern einfach nur das Material
Gold .Gewisse bis daher noch nicht beobachtete Kreise scheinen alles was glänzt aufzukaufen. So zumindest stand es im Bericht des Obergefreiten. Da sich der Feldwebel weder für Metalle noch die Rohstoffpreise interessierte, wäre dies allein wohl kaum ausreichend gewesen, um Ermittlungen zu veranlassen. Aber heute Morgen -sogar noch vor dem allmorgendlichen Erscheinen von Goldie - hatte er Post bekommen. Und für gewöhnlich mochte er es nicht wenn er von anderer Stelle ? sozusagen von
Oben - zu Ermittlungen gedrängt wurde. Er versuchte sich an den genauen Wortlaut der kurzen Mitteilung zu erinnern.
.... im Sinne der wirtschaftlichen Stabilität und des öffentlichen Interesses ......
.....kommen wir zu dem Schluss, dass diesbezügliche Ermittlungen seitens der hiesigen Stadtwache als durchaus begrüßenswert anzusehen sind ....
i.s.d.P. [1]
Siganzius Krantzfeder Dieser Siganzius Krantzfeder ? erster Sekretär des Patriziers ? hatte sich an Kommandeur Rince gewendet und dieser hatte die Nachricht - zu Picardos Bedauern umgehend - an die Dienstelle zur Observierung von Gildenangelegenheiten und somit zu ihm weitergeleitet.
Und nun hielt er die Mitteilung in der Hand und durchdachte den Geniestreich der ihm kurz vor dem Eintreffen von Goldie durch den Kopf gegangen war.
"Ja, so etwas in der Art sagte ich wohl" wiederholte der Feldwebel seinen letzten Satz und zwang sich, sich gedanklich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren.
Goldie stand vor seinem Schreibtisch und sah ihn - wie jeden Morgen - mit erwartungsvoll großen Augen an.
Der Feldwebel holte tief Luft.
"Nun möglicherweise hätte ich heute wirklich einen
Fall für Dich."
"Tatsächlich Sir?!"
***
Goldie beobachtete weiter die Möwen. Obwohl der Ankh nicht als fließendes Gewässer bezeichnet werden konnte schienen sich viele dieser großen weißen Vögel in seinem Lauf zu sammeln. Sie segelten über dem
Fluss und den Docks und wo immer man in den Himmel schaute sah man ihre Umrisse gegen die Wolken. Derweil gingen Goldie merkwürdige Gedanken durch den Kopf. Was wohl aus den Männern in Rot geworden wäre, wenn der Feldwebel nicht Goldie sondern irgendeinen anderen seiner Gildenexperten auf die Spur des Goldschwundes anzusetzen. Vielleicht weil alles so einfach schien. Vielleicht weil er dem um was es sich drehte keine besondere Beachtung schenkte.
***
Anfangs wusste Goldie nicht wie sie an den -
ihren - Fall rangehen sollte. Sie war sehr überrascht gewesen und hatte dem Feldwebel einfach nur versprochen der Sache auf den Grund zu gehen. Aber wie nur am besten. Sie hatte sich zwar in den Wochen zuvor umfangreiches Wissen über Gildenstrukturen und Ähnliches angelesen, aber wie sollte man jetzt wohl am besten vorgehen.
"Morgen will ich einen Bericht mit auf meinen Schreibtisch!" Das waren die letzten Worte des Feldwebels nur gefolgt von "Und nicht wieder so früh! Wegtreten Gefreite!"
Nachdem sie die Tür von Picardos Büro wieder geschlossen hatte, gingen ihr verschiedene Sachen durch den Kopf. Die meisten drehten sich aber darum, dass dies ihr erster Fall war und sie ihren Abteilungsleiter nicht enttäuschen wollte.
Die Räume der Stadtwache in der Boucherie waren verlassen. Außer ihr und dem Feldwebel schienen alle noch zu schlafen oder unterwegs zu seien. Sie verließ das Wachegebäude an der Sprungstraße um ein wenig frische Luft zu schnappen. Als Goldie nun vor der Tür auf der Straße stand blickte sie unentschlossen nach links und rechts. In welche Richtung sollte sie sich wenden. An sich war das egal, dachte sich die Zwergin. Jede Richtung ist gleich, wenn man nicht weiß was man sucht. Dabei kam Goldie ein Tipp ins Gedächtnis, den Patrick Nichts - einer der Huskies von DOG ? ihr mal gegeben hatte.
"Wenn Du etwas wissen willst, dann musst Du fragen! Oder einen Köder auslegen."
Sie dachte an die Gespräche mit ihren Kollegen. Goldie hatte den Erzählungen der anderen Wächter immer aufmerksam zugehört, sie regelrecht aufgesaugt. Ihre Geschichten hörten sich spannend und aufregend an. 'Sie kämpften für das Gute und die Gerechtigkeit' dachte sich Goldie. Aber sie musste sich auch eingestehen, dass da auch Neid eine Rolle spielte. Schließlich wünschte sich Goldie seit Wochen nichts anderes als einen Fall, um zu beweisen, dass auch sie zum Wächter und Helden geboren war.
Hatscha konnte ihr dabei wohl am ehesten helfen. Wie auch ihr Kollege Patrick war Hatscha al Nasa ein Husky. Gestern noch hatte ihr Dlei hunglige Mäulel von Hatschas derzeitigen Auftrag erzählt. Die Obergefreite schlich sich derzeit als verdeckte Ermittlerin bei der Diebesgilde ein. ?Vielleicht hatte sie dort etwas über das Verschwinden des ganzen Goldes gehört? dachte sich die Zwergin und wurde von einer Welle der Euphorie und des Enthusiasmus umspült.
'Auf zur Diebesgilde!' Goldie konnte es kaum abwarten und stapfte los. 'Hatscha kann mir bestimmt helfen.'
Aber nach wenigen Metern blieb sie abrupt stehen.
"Verflucht! Bin ich dumm wie Troll?!" Fluchte Goldie und machte auf dem Absatz wieder kehrt.
Der Passant, welcher sich soeben seinen Weg durch die Springstraße bahnte, runzelte kurz die Stirn, als er einen offensichtlich zur Wache gehörenden Zwerg mit einem Eichhörnchen auf der Schulter fluchend wieder im Wachhaus verschwinden sah. Kurz bevor er dann verschwand schienen sich der Zwerg und das schwarzen Eichhörnchen auf Zwergisch zu streiten. Aber er schenkte dem ganzen auch keine zu große Beachtung und ging weiter.
***
Inzwischen war es sicher schon 8 oder 9 Uhr und sie merkte langsam, dass sie die ganze Nacht über nichts gegessen hatte.
Diese Sache ärgerte sie jetzt noch, wo schon alles vorbei war. Ja, sie hätte auch selbst darauf kommen können, dass es nicht klug gewesen wäre, mit Rüstung und Dienstmarke zur Diebesgilde zu stapfen und dort den verdeckten Ermittler Hatscha al Nasa sprechen zu wollen. Dankbar fütterte sie Teufel mit einigen Erdnüssen. Auch wenn er die meiste Zeit über sinnlose Kommentare abgab und sich über die Zwergin lustig machte, hatte sie bis jetzt aber auch schon vor einigen Fehlern bewahrt. Wer weiß was die Gilde mit Hatscha gemacht hätte, wenn Goldie ihre Tarnung hätte auffliegen lassen. Und der Feldwebel mit Goldie.
Aber zumindest die Idee, sich an ihre Kollegin zu wenden, hatte sich als erfolgreich herausgestellt. Sie stand von dem Bordstein der Messingbrücke auf, auf welchen sie bisher in gedankenversunken gesessen hatte und schaute noch einmal von der Brüstung auf den Ankh hinab. Unten lag er. Es hätte Goldie auch gewundert, wenn er plötzlich nicht mehr dort gelegen hätte. Den Sturz aus 15 Metern Höhe in - oder besser auf - den
Fluss überlebt man normalerweise nicht. Auch wenn er vorher nicht dieses Zeug geschluckt hätte. Wahrscheinlich war er jetzt mit seinem Gott vereint. Es ist schon komisch auf welche Ideen die Menschen so kommen. Wer immer sie dazu veranlasst hatte dies alles zu tun, würde wohl auch weiterhin im Verborgen bleiben. Sie sah noch einmal auf denjenigen herab, der als vielleicht einziger in dieser Stadt den Namen des großen Unbekannten gekannt hatte. Er lag nun auf der Oberfläche des Ankhs und rührte sich nicht mehr. Sein Kopf war auf einem Stein oder einem Brett auf der Oberfläche aufgeschlagen und die rote Lache in der sein Kopf nun lag begann einzutrocknen.
Ihre Gedanken wanderten wieder zum Fall zurück.
Ja, mit der verdeckten Ermittlerin al Nasa Kontakt auszunehmen war gar nicht so einfach gewesen. Glücklicherweise lief sie im Wachhaus ihrer Dobermannkollegin Dlei hunglige Mäulel über den Weg. Ansonsten hätte sie wahrscheinlich nie erfahren, wann, wo und wie Hatscha Kontakt zu ihrer Abteilung aufnahm.
Erneut musste die kleine Zwergin schmunzeln, wie sie sich an die
Kontaktaufnahme erinnerte.
***
"Rote Rosen! Wunderschöne rote Rosen!" rief Goldie über den
Hier-gibt?s-alles Platz.
Die Situation war ihr mehr als unangenehm. Und gleichzeitig fragte sie sich ob nur Hatscha diese Form der Kontaktaufnahme praktizierte oder ob das bei DOG einheitlich so gemacht wurde. Und wer hatte sich das ausgedacht. Die Anderen aus ihrer Abteilung hatte Goldie noch nie mit so einem Aufzug das Wachhaus verlassen sehen.
Die Gefreite hatte ihre Dienstmarke und sonst alles ablegen müssen, was sie als Angehöriger der Stadtwache identifizieren könnte. Sogar die musste sie in der Wache lassen. Sie fühlte sich nackt ohne ihr Kettenhemd. Stattdessen hatte sie lächerliche bunte weite Kleider an und schwenkte einen großen Strauß voller roter Rosen. Beim Herrichten des
Kostümes hatte Goldies Kollegin Dlei geholfen. Wie Goldie frustriert feststellte, war ihr Einfluss bei der Kostümgestaltung unverkennbar gewesen. Sogar der Bart der Zwergin war mit Rosen geschmückt worden. Nichts an ihr erinnerte mehr an ein Mitglied der Stadtwache.
"So süß! Wahlhaft
honiglich!" Dlei war entzückt, als sie ihr Werk ? eine verkleidete Goldie ? am Ende zufrieden betrachtete. "Mil hat es immer sehl gloßen Spaß gemacht, Blumen zu velkaufen!"
Doch Goldie kann sich hochgradig lächerlich vor. Und verlassen. Sie stand auf der Mitte des Platzes und niemand schien Notiz von ihr zu nehmen.
"Rote Rosen! Wunderschöne rote Rosen!" erneut rief Goldie ihren Spruch und schwenkte dabei unbeholfen den riesigen Rosenstrauß.
Die Zwergin sah sich um. Es war halb drei und dies war die Zeit der Kontaktaufnahme für die verdeckte Ermittlerin.
Sie stand zwischen vielen anderen Händlern die versuchten Goldie mit Rufen wie "Leckere
Brutzler!" oder "Köstlicher klebriger
Zuckerrübensirup!" zu übertönen.
Goldie holte wieder tief Luft.
"Rote Rosen! Wunderschöne rote Rosen! Garantiert keine Stacheln! Greifen sie zu!" hallte Goldie Stimme hallte zum Dritten mal über den Platz.
Sie wartete und sah sich um, als sie plötzlich eine Stimme hörte.
"Sind das klatschianische Rosen?"
Goldie drehte sich abrupt um und bemerkte Hatscha hinter sich. Goldie kramte in ihrem Gedächtnis nach der Antwort auf die Kontaktfrage.
"Ja, diese Sorte heißt
Glühender Sonnenuntergang und wird nur im Süden von Klatsch gezüchtet. Ich kann ihnen die Blumen auch zustellen lassen, junge Frau!"
"Ja das wäre ja wundervoll!" antwortete Hatscha übertrieben freundlich "Ja dann bitte in einer halben Stunde in der Mantelgasse - Ecke Gossenplatz, wenn das möglich wäre!"
Mit diesen Worten zwinkerte sie Goldie kurz zu, drehte sich um und marschierte schnurstracks in die nächste Seitengasse und verschwand.
Um kein weiteres Aufsehen und Misstrauen zu erregen rief Goldie noch ein paar Mal ihre Parole und verschwand dann ebenfalls in der Enge einer dunklen Straße. Sie ging durch die kleinen und schmalen Gassen der Stadt ? ihre Blumen im Schlepptau. Als sie schließlich in der Mantelgasse angekommen war blieb sie vor einem kleinen verfallenen Haus stehen und klopfte an die morsche Tür.
Hatscha öffnete.
"Ah, die klatschianischen Rosen!" Mit diesen Worten beugte sie sich aus der Türöffnung und spähte auf der Gasse nach links und rechts.
"Komm! Die Luft ist rein!" zischte sie leise und verschwand wieder im dunklen Inneren des Gebäudes. Sie wirkte angespannt und erst als Goldie eingetreten war und die Tür geschlossen hatte, schien ihr ein Stein vom Herzen zu fallen.
"Goldie was tust Du hier?! Ich hatte nicht erwartet, dass mir Robin einen Anfänger schickt. Bei der schwierigen Lage!" Goldie zuckte bei dem
Anfänger innerlich zusammen. Inzwischen ließ sie sich die Obergefreite auf die alte Couch in der Ecke sinken. Goldie stand etwas betreten im Raum herum.
"Entschuldige! War nicht böse gemeint, aber derzeit ist hier die Hölle los!
Haaatschiee! Setz dich doch bitte!"
Hatscha nieste, dass die Fensterläden wackelten.
"Haben die von der Boucherie Dir die Taschentücher für mich mitgegeben, um die ich gebeten hatte?
Haaatschiee" Erneut schienen alle Wände zu wackeln.
Goldie zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und begann in ihrer Tasche zu kramen. Als die das Päckchen, welches ihre Kollegin Dlei ihr für Hatscha mitgegeben hatte, fand und auf den Tisch legte, riss Hatscha es sofort auf.
"Oh danke!! Meine Taschentücher!" Eines steckte sie sofort ein und den Rest legte sie beiseite. Sie blickte Goldie jetzt auch schon viel freundlicher an und bemerkte etwas verlegen. "Kann ja im Augenblick nicht zur Springstrasse spazieren, um die Dinger selbst zu holen! Und von meinen
Kollegen hab ich auch schon seit Tagen nichts mehr gehört! Hier herrscht Chaos und ich habe auch noch das Gefühl vergessen worden zu seien. Ich freu mich ja regelrecht wieder jemanden von Euch zu sehen." Dabei lächelte sie Goldie herzlich an "Magst Du einen Tee?"
Auf eine Antwort von Goldie wartete sie gar nicht erst, sondern stand auf und verschwand in der Küche.
Goldie saß nun allein im Zimmer. Es war nun schon später Nachmittag und draußen wurde es langsam dunkel. Irgendwie hatte sie jetzt ein merkwürdiges Gefühl, denn ihr eigener
Fall erschien ihr plötzlich im Verhältnis zu denen der anderen Wächter als harmlos und unwichtig.
Als Hatscha dann mit zwei heißen Teetassen zurückkam und wieder auf dem Sofa Platz nahm stellte sie endlich die eine Frage auf die Goldie gewartet hatte.
"So! Was führt Dich eigentlich zu mir?
Haaatschiee! Hat Dir der Feldwebel endlich einen Fall gegeben oder willst Du etwa auch in die Diebesgilde eingeschleust werden?" Dabei grinste sie.
***
Goldie saß noch immer auf dem Bordstein und war in ihre Gedanken und Erinnerungen vertieft.
Eigentlich war es ja nur ein großer Zufall gewesen, der sie zu Hatscha geleitet hatte. Ein plötzlicher Gedanke sozusagen. Gerade eben dachte sie nach und wunderte sich darüber, dass sie damit praktisch genau ins Schwarze getroffen hatte. Goldie hatte vorher keine Ahnung davon gehabt, dass zwischen der Diebesgilde und dieser einen neuen Gruppe in der Stadt ein wahrer Krieg im Verborgenen abspielte. Ein Krieg von dem die Wache, insbesondere ihre eigene Abteilung DOG bis dahin nichts gewusst hatte. Aber die verdeckte Ermittlerin Hatscha konnte ihr viel erzählen.
Sie hatte sich bereits seit drei Wochen in der Diebesgilde eingeschleust. Für die Abteilung ging es dabei darum, mehr über die Gildenstrukturen und den hierarchischen Aufbau herauszufinden. Aus Sicherheitsgründen hatte sie nur selten Kontakt zu DOG und ihren Kollegen. Und wenn, dann nur über den Weg des
Rosenkavaliers. Trotzdem machte sie sich jeden Tag auf den Weg zum Hier-gibt?s-Alles-Platz, falls die von der Abteilung ihr irgendetwas bringen oder mitteilen wollten. Aber die letzten drei Tage hatte sie ohne Kontakt zugebracht.
Und gestern war das ganze Chaos plötzlich ausgebrochen.
Hatscha hatte es etwa mit folgenden Worten umschrieben.
"Ein neuer Mann ist in der Stadt!" Sie hatte ihre Stimme ein wenig verstellt, so als ob sie einen Mann mit einer rauchigen Stimme nachahmen wollte, aber als Goldie über die Bedeutung dieses Satzes nachdachte, fand sie ihn schnell nicht mehr witzig.
Und dieser Satz von Hatscha drückte auch alles aus, was derzeit in Ankh-Morpork über diese neue Gruppierung bekannt war.
Die Obergefreite erzählte, dass alles eigentlich ganz harmlos angefangen hatte.
Irgendwie passend dachte Goldie, der plötzlich wieder die Möwen auffielen die über ihren Köpfen kreisten. Alles hatte mit einem Schiff angefangen. Es war vor ein paar Tagen im Hafen eingelaufen und die Leute munkelten, es käme vom Achaten Reich oder aus XXXX, aber niemand wusste etwas genaues. Sogar Goldie hatte die Gerüchte vernommen.
Anfangs hatte niemand verstanden, wer diese Leute genau waren und vor allem was sie hier wollten. Ein großer älterer Mann mit spitzen Bart und Zopf war ihr Anführer. Die meisten sahen aus wie heruntergekommene Tagelöhner und die Gesichter von einigen von ihnen waren von Narben geschmückt. Man hielt sie wohl für Söldner oder bestenfalls für schlechtere Abenteurer. Eben dieser Eindruck hatte die Bewohner Ankh-Morporks anfangs dazu bewogen, den Fremden mit Argwohn und Misstrauen zu begegnen. Man ging ihnen aus dem Weg und versuchte ihnen nicht zu nahe zu kommen. Niemand hätte etwas Besonderes oder Wertvolles vermutet. Schließlich verebbten die Gerüchte.
Dann plötzlich nach zwei bis drei Tagen gingen wieder neue Gerüchte über diese Gruppe in der Stadt um.
"Die Fremden sind reich!" In gewissen Kreisen verbreiten sich solche Neuigkeiten wie Lauffeuer. Metaphorisch gesprochen pfiffen es die Spatzen von den Dächern. Ungefähr auch zu diesem Zeitpunkt wurde die Diebesgilde auf die Gruppierung aufmerksam. Und dies aus berechtigten Gründen.
Zum einem schien diese Gruppe alles andere als arm und hilfebedürftig zu seien. Sie war tatsächlich
REICH. Sie hatten kein zwar einziges Goldstück bei sich. Aber durch den Besitz von großen Mengen Diamanten war der Besitz oder besser Nichtbesitz von Gold nur noch Nebensache. Aber sie warfen nicht mit Geld um sich. Sie mieteten Häuser an, kauften Schiffe und heuerten Leute von der Straße an. Sie organisierten sich. Und niemand schöpfte Verdacht. Dennoch sprechen sich gewisse Sachen auf den Straßen herum.
"Sie wollen nur Gold. Und sie zahlen mit Edelsteinen. Und sie zahlen gut!"
Aus ihren Vorbereitungen für DOG wusste Goldie, dass man ab diesem Zeitpunkt von der Bildung einer Vereinigung sprach. Aber sie hatten noch nichts unrechtes getan, wie Hatscha weiter berichtete. Und plötzlich passierte es.
***
"Stell Dir vor .." Sie goss sich dabei etwas Tee nach.
"Stell Dir vor, die haben sogar die Assassinen auf uns angesetzt."
Goldie fand es beunruhigen, dass Hatscha bereits in der
wir-Form von der Diebesgilde sprach. Sie nahm sich vor, ihre Kollegin irgendwann darauf anzusprechen.
"Es kam ganz plötzlich! Paff!" Sie gestikulierte wild mit allen Gliedmaßen die ihr zur Verfügung standen.
"Hahahatschie! Und mit einem mal brach das ganze Chaos aus. Einige der Gildenführer sind tot und jetzt ist alles in Bewegung. Die Rangkämpfe sind im vollen Gange und zudem die Bedrohung durch die
Anderen."
Sie lehnte sich wieder zurück und atmete durch.
"Verflucht! Und genau jetzt muss ich hier recherchieren!"
"Und was wisst ihr nun über diese
Anderen?" Es war inzwischen bereits Abend und Goldie wollte nun endlich etwas Genaues erfahren. Aber Hatscha erzählte unbeeindruckt weiter.
"Alles war bestens durch organisiert. Zeitgleich mit den Assasinen wurden an Dutzende unserer Leute überfallen und was weiß ich.
Haaatschiee! Und sie haben mehrere Händler überfallen. Wir haben ja auch selbst recheriert. Aber die haben nur Gold mitgenommen. Eigentlich merkwürdig, denn Silber und Edelsteine haben sie ausnahmslos liegen gelassen. Diese
Dekadenz!" Sie sah Goldie dabei forschend an "Und die Abteilung hat nichts gemerkt? Hat den die ganze Wache geschlafen?"
Goldie zuckte mit den Schultern.
"Was weiß ich! Mich hat der Feldwebel heute morgen auf Ermittlungen nach der Sache geschickt."
"Merkwürdig! Unsere
Leitungen haben doch sonst immer so gut funktioniert!"
Sie holte etwas unter dem Tisch hervor. Es war ein kleines in schwarzes Tuch eingewickeltes Schreiben. Hatscha entrollte es und reichte es Goldie. Merkwürdigen Schriftzeichen waren mit dünnen Strichen auf das Papier gezeichnet.
"Gestern haben wir einen von denen gestellt. Als der gemerkt hat, dass er keine Chance mehr hatte, hat er noch schnell irgendwas geschluckt und war sofort tot." Sie sagte es so beiläufig als wäre so etwas alltäglich. "Er hatte nur das da bei sich, aber Du wirst es nicht lesen können. Niemand kann es lesen!
Haaatschiee! Wir vermuten einen religiösen Hintergrund."
Goldie gab ihr das Papier wieder.
"Wir VERMUTEN .. Das ist ja auch unser Problem! Wir wissen kaum etwas über die Anderen. Niemand weiß wo sie her kommen, was sie wollen, was sie mit unseren Leuten gemacht haben, warum sie nur Gold wollen usw. Mit den Klunkern die sie angeblich bei sich haben, könnten die doch die ganze Stadt kaufen. Übrigens heute Nacht ist ein Treffen geplant. Wir haben eine Nachricht bekommen, dass sich die
Anderen mit uns Treffen wollen, aber die dort
Oben" dabei zeigte sie auf bedeutungsvoll mit dem Finger auf die Straße " rechnen mit einem weiteren Hinterhalt und haben ihrerseits bereits Vorkehrungen getroffen. Und ich bin auch schon eingeplant worden." Sie deutete dabei auf eine in der Ecke lehnende Armbrust.
Goldie hörte schweigend zu. Was hätte sie auch sagen sollen. Diese Geschichte war gar nicht das, was sie erwartet hatte und sie wusste nun überhaupt nicht, was sie tun sollte. Aber immerhin wusste sie nun etwas mehr, was sie dem Feldwebel berichten konnte.
Hatscha stand auf und tigerte durch den Raum.
"Wenn Du das nächste mal einen von unserer Abteilung siehst, dann teil denen gefälligst mit, dass ich hier raus will. Das alles wird mir zu gefährlich!"
In der Ecke angekommen griff sie nach der Armbrust. Plötzlich geistesabwesend überprüfte sie die Sehne und den Mechanismus. Dann sah sie wieder zu Goldie auf, die sie aufmerksam beobachtete.
"Heute Nacht setzte ich mich von der Gilde ab! Ich hab eigentlich eh alle Informationen die der Feldwebel wollte. Aber zu dem
Treffen muss ich noch, und dann wird sicherlich sowieso mal wieder Chaos herrschen."
Sie blickte Goldie auffordernd an.
"Könntest eigentlich mitkommen! Du willst doch sowieso was über die
Anderen herausfinden. Oder?" Hatscha wartete die Antwort von Goldie gar nicht erst ab "Klar kommst Du mit! Da wir uns im Schatten auf den Dächern verstecken sollen, fällt das sowie keinem auf."
Goldie dachte kurz über den Vorschlag der Obergefreiten nach. Es war sicherlich nicht ganz ungefährlich, aber es hörte sich abenteuerlicher an als alles was sie bisher bei der Wache erlebt hatte. Und vielleicht würde sie noch etwas mehr erfahren, damit sie morgen nicht mit leeren Händen vor dem Feldwebel treten musste. Warum also nicht?!
"Aber nicht in diesem Aufzug!" Wenn schon ein Abenteuer, dann aber nicht im Outfit eines Blumenverkäufers.
"Kein Problem. Ich bin schließlich verdeckter Ermittler!" Dabei lachte Hatscha wieder "Ich hab vielleicht sogar was in Deiner Größe. Aber wir müssen uns beeilen! Die ganze Sache startet in einer Stunde an der Messingbrücke!"
***
Langsam stand sie auf. Ihre Beine taten ihre vom vielen Sitzen und Grübeln langsam weh. Inzwischen war sie von der Brücke zum östlichen Ufer gewandert. Dort stand das Haus, auf dem sie sich gestern Abend versteckt hatten, um das Ganze zu beobachten. Wie Hatscha zuvor gesagt hatte, waren an die 20 bis 30 Diebe mit Armbrüsten und Bögen auf den anliegenden Dächern versteckt und niemand nahm von ihnen Notiz, als sie sich wie alle anderen ein abgelegenes Plätzchen auf einem Dach suchten, von dem aus man die Brücke einsehen konnte.
Obwohl es jetzt sicher gegen neun Uhr war, war es immer noch recht frisch. Natürlich nicht so kalt wie letzte Nacht, dachte Goldie. Sie hatten sicher ein oder zwei Stunden wartend im Dunkeln gelegen und sich nur im Flüsterton unterhalten. Wie Goldie sich an diese schier endlose ungeduldige Warterei zurück erinnerte, lief ihr sogar jetzt noch ein kleiner kalter Schauer den Rücken hinunter. Und sie dachte an das was dann geschehen war. Vielleicht stand sie ja auch immer noch unter Schock. Und wie sie erneut über die Geschehnisse dieser einen Nacht nachdachte, kam sie zu der Erkenntnis, das sie nichts hätte ändern können. Völlig egal, ob sie zu jener Zeit im schlafend im Wachhaus gewesen wäre, oder im Dunkeln auf dem Dach eines an den Ankh grenzenden Hauses versteckt. Es war egal.
Sie war dennoch erschüttert. Gerade darüber wie schnell das Ganze vonstatten gegangen war. Es hatte sicher keine zwei oder drei Minuten gedauert.
***
"Goldie - Nerv mich bitte nicht! Ich weiß auch nicht wann das hier alles losgeht!" Hatscha war von den ständigen ungeduldigen Fragen der Zwergin völlig entnervt. Es machte ihr sowieso keinen Spaß, hier im Kalten zu liegen und zu frieren. Aber sie musste es tun, da die Gilde sonst Verdacht geschöpft hätte, wenn sie hier nicht erschienen wäre. Und Verdacht konnte in dieser angespannten Situation sehr schnell den Tod bedeuten. Aber egal was diese Nacht passieren würde, sie hatte sich fest vorgenommen nicht zu schießen. Sie war ja schließlich Wächterin und kein Assassine. Und dann so schnell wie möglich zurück in ihr ruhigeres Leben bei der Wache zurückkehren.
Goldie hingegen war nahezu euphorisch. Die Zwergin schien sich sogar darüber zu freuen, endlich etwas Aufregendes erleben zu können.
Und so lagen die beiden nun im Dunkeln und Hatscha fluchte leise in sich hinein, als es auch noch zu nieseln anfing.
Es war sicher gegen drei oder vier Uhr als die Obergefreite ihr mit einem Ellenbogenstoß zu verstehen gab, dass es jetzt losging.
Zuerst sah die Zwergin nichts, als sie in die dunkle Nacht hinausspähte. Dann bemerkte sie die Gestalten am anderen Ende der Brücke. Anfangs nur als grobe Schemen, die sich gegen das graue Dunkel der Gassen hervorhoben. Die Gruppe ging auf die Mitte der Brücke. Jetzt konnte Goldie sie ein wenig besser erkennen.
"Sie sind alle gekommen!" Flüsterte Hatscha Goldie zu. "Es sind genau 18 Mann. Genau soviel sollen auf dem Schiff gewesen sein, mit dem sie vor ein paar Wochen hier ankamen."
Sie hatten die Statur von Menschen, waren unterschiedlich groß und allesamt in rote Stoffe gekleidet. Ein großer, etwas gebückt gehender Mann, möglicherweise ihr Anführer, ging voran. Auf der Mitte der Gruppe blieben sie stehen. Eine wichtiges Detail, dass Goldie erkennen konnte, machte ihr besonders Sorgen. Alle trugen Waffen!
Plötzlich fiel ihr auf, wie still es plötzlich war. Kein Kratzen, Flüstern oder Rascheln war mehr zu vernehmen. Die Spannung, welche in der Luft lag, war nun deutlich spürbar. Auch von den Männern in Rot, die auf der Brücke warteten war kein Geräusch zu hören. Sie unterhielten sich nicht, sondern standen einfach nur still da und warteten.
Es erschien Goldie fast als Erleichterung, als endlich wieder Schritte zu vernehmen waren.
Diesmal von der anderen Seite der Brücke. Dies mussten die Leute der Diebesgilde sein, dachte die Zwergin. Und tatsächlich marschierten jetzt eine etwa ebenso starke Gruppe Männer von der anderen Seite auf die Brücke zu. Sie waren in grau oder schwarz gekleidet und ebenso alle offensichtlich bewaffnet.
Die Nerven der beiden Wächter lagen blank. Goldie vernahm nur den Atem ihrer Kollegin und die Schritte auf der Brücke. Sie blickte zur Seite und bemerkte wie die Finger von Hatscha die Armbrust umklammert hielten. Ihre Hände zitterten.
Auf der Brücke blieb nun auch die zweite Gruppe etwa dreißig Meter vor den Rotgekleideten stehen. Der Anführer der Fremden trat hervor und gebot seinen Kumpanen zu warten. Dann ging bis zur Mitte der beiden Gruppen und blieb dort wiederum stehen. Auch aus der Gruppe der Diebe trat nun ein mittelgroßer, leicht untersetzter Mann heraus und trat hervor.
Goldie fiel auf, wie sehr die Szene einer Geschichte ihrer Romanhefte glich. Nur war sie beim Lesen nie so aufgeregt gewesen.
"Das ist Vladimir Listig. Boggis selbst ist untergetaucht und seine Stellvertreter haben die Assassinen erledigt." flüsterte Hatscha.
Die beiden Männer trafen sich in auf der Mitte der Brücke, von beiden Seiten durch ihre Männer beobachtet. Sie flüsterten. Goldie konnte nur die Bewegung der Lippen erkennen und bezweifelte, ob außer den beiden dort unten irgendjemand etwas verstehen konnte. Und sie gestikulierten.
Goldie entspannte sich ein wenig, da alles irgendwie friedlich abzulaufen schien. Plötzlich hörte sie wieder Hatscha neben sich.
"Verfl ..... ha haa
HATSCHIEEEE!!" Das Niesen zerriss förmlich den Vorhang der Stille und Heimlichkeit.
Auch der Führer der Fremder zuckte zusammen. Er schien eine Sekunde in ihre Richtung zu starren. Ein plötzlicher Schub der Angst erfasste die beiden Wächter. Dann griff er plötzlich an seinen Gürtel und Goldie sah Metall aufblitzen. Mehr konnte sie nicht erkennen.
Vladimir Listig stand noch ein bis zwei Sekunden lang ruhig und bewegungslos da, bevor er langsam zur Seite kippte. In dem Moment wo das ehemalige Oberhaupt der Diebesgilde auf dem Pflaster aufschlug, brach um die beiden Wächter die Hölle los. Die Luft schien schlagartig erfüllt von dem hellen Summen von Bogen- und Armbrustsehnen und ein wahrer Regen von Pfeilen und Bolzen ging auf die Fremden nieder.
Einzig der Führer der Fremden stand noch. Ein Pfeil hatte sein Bein durchbohrt. Er drehte sich zu seinen Kumpanen um, die alle von Pfeilen durchbohrt wie niedergemäht am Boden lagen. Er schien wie erstarrt auf die Toten zu starren und drehte sich dann langsam und gefasst der Gruppe der Diebe zu. Aber auch die Diebe auf der Brücke schienen wie gebannt auf das beispiellose Gemetzel und den Alten Mann zu starren. Niemand rührte sich. Es wurden auch keine Pfeile mehr abgefeuert.
Die beiden Wächterinnen, die Zeugen dieses Gemetzels geworden waren, lagen wie erstarrt auf dem Dach des nahen Hauses. Völlig geschockt und vor Schreck gelähmt hielten sie den Atem an.
Inzwischen griff der Alte auf der Brücke ganz langsam an seinen Gürtel. Goldie konnte nicht erkennen was er tat, aber er schien sich etwas in den Mund zu schieben. Die Diebe auf der Brücke verharrten weiterhin in Bewegungslosigkeit. Plötzlich wurde der Körper des Alten wie von Zuckungen erfasst. Er warf den Kopf in den Nacken und schrie etwas in einer fremden Sprache. Sein Schrei hallte über den Fluss und die anliegenden Gassen. Erneut zuckten alle Beteiligten erschrocken zusammen. Die Diebe auf der Brücke schienen dadurch aus ihrer Paralyse zu erwachen und zwei von ihnen stürzten auf den Alten zu. Er versuchte zu gehen und taumelte auf die Brüstung zu. Kurz bevor die beiden Diebe ihn erreicht hätten, fing er an zu lachen und stürzte sich von der Brücke.
Goldie drehte sich weg. Sie wollte das nicht auch noch mit ansehen. So hörte sie nur das dumpfe Aufschlagen des Mannes auf der Oberfläche des Ankh.
Nur Sekunden später spürte sie Hatschas Hand auf ihrer Schulter.
"Los Goldie! Wir müssen hier sofort verschwinden!!!"
***
Goldie schaute noch einmal auf die Münze in ihrer Hand.
Hatscha war sofort zum Wachhaus zurückgekehrt, aber Goldie lief den Rest der Nacht einfach nur ziellos durch die Straßen der Stadt. Sie hatte sich nur kurz ihre Uniform und Waffen geholt. Allein und in Gedanken versunken war sie nach Stunden, als es schon langsam hell wurde, zur Messingbrücke zurückgekehrt. Hier war nun wieder alles ruhig und friedlich. Die Leichen waren allesamt weggebracht worden und nur der Körper des Alten lag noch immer auf der Oberfläche des Ankh. Aber ob mit oder ohne Leichen, der Brücke war das nächtliche Blutbad, was sich hier abgespielt hatte deutlich anzusehen. Rote Lachen im Pflaster zeugten davon und spiegelten den Schein der gerade aufgehenden Sonne. Nichts außer dieser Münze und dem Blut auf der Straße war von dem
Fremden geblieben. Wenn Hatscha recht hatte, waren wirklich alle Personen tot, die vor Wochen in der Stadt angekommen waren. Und ohne die Führung, wäre damit auch die Organisation der Fremden nicht mehr wirklich existent. Und um die Reste werden sich die Diebe kümmern. Und niemand hatte etwas über die Fremden gewusst. Vladimier Listig, der Einzige der mit dem Alten gesprochen hatte, war tot. Und die Fremden waren tot. Mit Ironie bemerkte sie, dass der Fall damit gelöst war. Wenn auch auf eine äußerst tragische Weise.
Die Zwergin beschloss, dass sich über solche Fragen der Feldwebel den Kopf zerbrechen sollte. Vielleicht hatte ihn Hatscha ja auch schon aus dem Bett geholt und ihm alles berichtet.
Goldie warf noch einmal einen letzten Blick auf das schimmernde Metall der Münze in ihrer Hand und warf sie mit einem weiten Bogen in den Ankh. Anschließend wandte sie sich Richtung Springstraße und verschwand in einer der Gassen.
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" ..... und verschwand in einer der Gassen."
Inzwischen war auch bei dem Alten und dem Jungen die Sonne aufgegangen. Der Nebel war verschwunden und die ersten Vögel zwitscherten fröhlich.
Die Geschichte des Alten war zu Ende und schweigend ruderte er wieder Richtung Ufer. Auch der Junge saß still im Boot und blickte nachdenklich auf das Wasser.
Der Alte hatte ihm sonst andere Geschichten erzählt. Auch von dieser komischen Stadt und der Stadtwache. Aber trotzdem anders. Gewöhnlich waren es mutige starke Wächter, die arme Bürger und unschuldige Zivilisten vor Bösewichten schützten und diese zur Strecke brachten. Er blickte in Richtung Ufer, sah gedankenverloren auf das Schilf und die Wiese. Dahinter waren auch schon die kleinen Häuser seines Dorfes zu erkennen.
"Was wird jetzt aus Goldie?" fragte er seinen Großvater.
"Was soll aus ihr werden? Das Leben geht weiter."
"Aber wird sie auch weiterhin bei der Stadtwache Abenteuer erleben?"
"Ja sicher." Der Alte griff sich nachdenklich in den Bart "Sicher. Das Leben geht schließlich weiter bis es endet."
Der Junge war erleichtert. Die Geschichte hatte ihn zwar gefallen, aber gleichzeitig auch enttäuscht. Von den Häusern her hörte er plötzlich das Geschrei der anderen Kinder des Dorfes. Der Alte schien seine Gedanken lesen zu können.
"Na lauf schon!" Der Junge sah noch einmal zu seinem Großvater und rannte dann ausgelassen zu den anderen Kindern.
Der Alte stand nun allein auf der Wiese. Langsam drehte er sich noch einmal zu dem Fluss um. Er kramte etwas aus den Tiefen seiner Taschen. Eine alte goldene Münze. Der Alte drehte sie noch ein letztes Mal in der Hand, holte weit aus und warf sie mit einem hohen Bogen in den Fluss.
Dann ging auch er zu dem Dorf zurück.
Der Alte Mann fühlte sich erleichtert, denn diese Geschichte - die besondere Geschichte -wollte er seinem Enkel schon seit langem einmal erzählen.
[1] im Sinne des Patriziers
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