Die Tür des Spinds wurde aufgerissen, so dass sie von der geschlossenen Tür des Nachbarschrankes mit einem lauten Knall abprallte.
"Mistteilverdammt...", grummelte Laiza als die Tür gegen ihre Schulter knallte. Aus den Tiefen des Schrankes zog sie einen Gürtel mit mehreren Taschen und Schlaufen, den sie sich sogleich umschnallte. Ein Blasrohr fand in einer der Schlaufen Platz, die sie festzog, damit sich das dünne Rohr nicht heimlich davon machen konnte. Hinter ihrem Rücken im Bereitschaftsraum der Freiwilligen Helfer ohne Gnade wuselten die anwesenden Mitglieder wild durcheinander und statteten sich mit allem nötigen Dingen aus.
In einer Tasche verschwand eine Handvoll Pfeile. Phiolen wurden verstaut.
Die GiGa griff nach einem Helm, mattschwarz - so dass er wenig Licht spiegelte - und schloss den Spind.
"Na macht, schon schneller", kommandierte Venezia und kletterte an Bregs hoch. "Ihr habt wohl zu lange gefaulenzt! Die Anderen sind schon am Einsatzort!"
Die Anderen waren jene Freiwilligen Helfer, die heute Bereitschaft hatten.
Na die mussten ja auch nicht erst zum Wachhaus rennen ..., ärgerte sich Laiza und verschwand aus dem Bereitschaftsraum, dicht gefolgt von Ktrask, Sidney, Zaddam und Bregs mit Veni auf den Schultern.
Wochenlang passiert nichts, aber wenn ich mal einen freien Tag hab kommen irgendwelche Irre auf bekloppte Ideen.
Die F.R.O.G.s stürmten aus dem Wachhaus am Pseudopolisplatz und kletterten eilends auf einen Karren, der sie zum Platz der Gebrochenen Monde brachte.
Der Karren hielt am Ende der Straße der Geringen Götter, direkt am Rand des Platzes. Auf dem Platz der Gebrochenen Monde tummelten sich zahllose Menschen, Zwerge und Trolle.
Wenige Meter vom Karren standen die restlichen Abteilungsmitglieder, zusammen mit einigen S.E.A.L.S.. Man sah ihnen ihre Ungeduld an.
Lauter Protest drang vom Platz.
Er war ein ganz normaler Junge, hatte nie etwas Unrechtes getan - obwohl er in den Schatten aufwuchs und lebte. Eigentlich hatte er nur vorgehabt ein wenig spazieren zu gehen, bevor er die mageren Einkäufe für seine Mutter erledigte. Doch nun, ohne es zu wollen, stand er inmitten der Menschenmasse. Der brodelnden Menschenmasse. Den meisten ging er nur bist zur Brust. Seine Größe war nicht seinem Alter entsprechend, aber was sollte man machen, wenn man kaum etwas zu essen bekam und sich noch tagelang von dem ernähren musste, dass einem Zwischen den Zähnen hängen geblieben war. (Zahnbürste? Was sollte das sein?). Was war hier eigentlich los? So ganz verstand er die Aufregung der Erwachsenen nicht - aber als Kind hatte man sowieso kein Verständnis für Alte. Ein Mann neben ihn, umwickelte gerade einen Stock mit einem dreckigen Stück Stoff.
Er hörte, dass ein Mann auf einem Karren lauthals über Vetinari sprach. Ja genau, dass war der Typ der im Palast wohnte, er hatte von ihm gehört. Sie schienen sauer auf ihn zu sein.
Bregs sprang vom Wagen, ihm folgten die anderen, und eilte zu den restlichen Mitgliedern des Sonderkommandos. Er begrüßte sie kurz und knapp und sofort fragte Veni nach der aktuellen Lage.
"Ein Haufen protestierende Bürger", fing Kanndra an, Veni rollte mit den Augen, Das war ja kaum zu übersehen, "Auf einem Karren in der Mitte des Platzes stehen fünf Männer, im mittleren Alter", fuhr die Späherin fort. "Sie haben Fackeln, Schwerter und heizen die Menge ein."
"Um was geht es?"
"So wie es sich anhört, haben sie etwas gegen Vetinari", meinte Magane, sie hielt ihre Armbrust in der Hand.
"Und die Bürger sind auch bewaffnet und das nicht zu knapp", meinte Drogan Eisenschädel. Der Verkehrsexperte tauchte plötzlich neben Bregs auf. "In der ganzen Stadt sind Straßen durch Karren blockiert, beinah jede noch zu befahrende Straße führt zum Palast."
"Na dann, einfach die Leute vom Karren holen und fertig", meinte Ktrask. Laiza sah den Triffinsziel skeptisch an.
"Und was machen wir mit den ganzen Sympathisanten?", sie zog die Augenbrauchen fragend in die Höhe, "Meinst du die sehen uns ruhig zu und gehen dann nach Hause?"
"Sie hat recht", meinte Sidney. "Die sind schon zu aufgeladen."
Die GiGa seufzte, sie hatte im Bett gelegen und geschlafen, sie hatte vor heute ein wenig spazieren zu gehen und nun wurde ihr freier Tag durch irgendwelche möchte-gern-Revolutionäre zu Nichte gemacht.
Laiza überlegte gerade wie lang der letzte richtige Einsatz zurück lag. Recht erinnern konnte sie sich nicht, die alltägliche Langeweile trübte ihre zeitliche Erinnerung, außerdem lagen in der jüngsten Vergangenheit zu viele Einsatzübungen.
***Ihr Atem kondensierte in der kühlen Morgenluft.
Morgen? Laiza schüttelte in Gedanken den Kopf, die Sonne war noch nicht aufgegangen und somit definierte sie es als Nacht, außerdem waren noch keine Tiere zu hören. Ein Morgen zeichnete sich durch Tiere aus, Vogelgezwitscher und so was. Sie erinnerte sich da noch genau an ihre Heimat - es war schließlich kein Jahr her seit dem sie Überwald verlassen hatte - dort haben immer die Vögel gezwitschert wenn ein neuer Tag anbrach. Aber eigentlich gab es in den Wäldern von Überwald immer zu jeder Zeit etwas zu hören. Sogar in der tiefsten Nacht und nicht nur zur Vollmondzeit.
Laizas Füße bewegten sich unaufhörlich - sie hatte Durst, ihr Hals kratzte. Wann war sie das letzte Mal so gerannt? Eins war klar, seit dem sie in der Wache war hatte sie ihren Körper nicht mehr so beansprucht. Regelmäßiges Training war zwar Vorschrift bei F.R.O.G., aber nie hatte irgendwer die Trainingseinheiten
nach der Ausbildung so genau kontrolliert.
In der Dunkelheit geriet Laiza ins Straucheln, so eben schaffte sie es sich abzufangen, sie lief langsam weiter und strich sich die schweißnassen Haare aus dem Gesicht. Wo waren bloß die anderen? War das Teamarbeit? Sollte es nicht eigentlich so sein, dass mein gemeinsam durch den dunklen Wald lief und sich gegenseitig Worte wie 'Halte durch, wir haben es bald geschafft' zu sagen?
Die GiGa hatte generell ein schlechtes Zeitgefühl, doch in der Nacht Mitten im Wald außerhalb von Ankh-Morpork war dieses Zeitgefühl völlig weg. Es kamen ihr vor wie mehrere Stunden, seit dem sie von der Waldlichtung gestartet war. Was machten jetzt wohl Araghast Breguyar und Venezia Knurblich?
Wahrscheinlich Eddie Wollas Romane lesen und Schnapperwürstchen mampfen, dachte Laiza grummelnd und erhöhte wieder ihr Tempo, als die daran dachte, dass ihre Kondition schon mal besser gewesen war.
"Vierzig Minuten und sechsundzwanzig Sekunden", trällerte ein kleiner Dämon, als Laiza aus dem Wald trat. Inzwischen wurde es hell. Sie befand sich wieder auf derselben Lichtung. Der Dämon stand auf einem Baumstumpf und notierte die Zahl. Er grinste und zwar ein ziemlich diabolisches Grinsen.
Oh wie sie solche Dämonen verabscheute ..., sie hatte die wage Ahnung, dass die Dämonen der ganzen Scheibe einen Pakt geschlossen hatten, um ihr das Leben schwer zu machen.
Sie ignorierte den kleinen Dämon und sah sich um. Alle waren schon da, saßen oder standen auf der Lichtung verteilt. Sie war die Letzte.
"Aber nur zehn Sekunden", hörte sie Ktrask, der ihren Gesichtsausdruck richtig gedeutet hatte.
"Naja, akzeptabel."
"Bregs hat uns gelobt", meinte Kanndra, "wir liegen alle dicht beieinander und für die Strecke sind die Zeiten gut."
Laiza zuckte schnaufend mit den Achseln, sie wusste ja noch nicht mal wie lang die Strecke gewesen war. Dankend nahm sie eine Flasche Wasser entgegen.
***Laiza rannte durch eine Seitengasse der Straße der Geringen Götter, um über einen anderen Weg auf dem Platz zu gelangen. Ihr folgte Ktrask, der aber kurze Zeit später in einem Hinterhof verschwand. Er würde die Hauswand erklettern, ein Triffinsziel war auf einem Dach am besten aufgehoben. Die GiGa bog wieder auf den Platz ein, sie war inzwischen deutlich näher an den Zielpersonen, denn sie sah die fünf - von denen Kanndra berichtete - auf einem Karren stehen. Mit lautem Geschrei heizten sie die Menge an. Die Obergefreite kämpfte sich durch die Menge durch. Kurz blickte sie zum Dach jenes Hauses, auf dessen Hinterhof Ktrask verschwunden war. Sie sah ihn nicht, doch ihr
Teamgeist sagte ihr, dass er dort oben lag, immer bereit einzugreifen.
Die Menge war inzwischen in einen Singsang verfallen.
Die Leute gerieten immer mehr in Bewegung. Der Junge wurde niedergeworfen. Da lag er nun auf dem dreckigen Boden, zwischen unzähligen bestiefelten Füßen und konnte eine seiner Hand noch knapp vor solch einem Fuß retten.
"Nieder mit Vetinari! Nieder mit Vetinari!" rief der bärtige Mann, dem der Fuß gehörte. Jedes Mal, wenn er den Namen des Patriziers aussprach, raste die brennende Fackel in die Höhe. Wieso half ihm keiner? Er wollte hier raus!
Das Pferd, das vor dem Karren gespannt war wurde zunehmend unruhiger. Die GiGa musste sich vor den Bürgern ziemlich in Acht nehmen, denn sie wirbelten mit ihren Fackeln und Knüppeln wild herum. Plötzlich hörte sie Worte, die ein Wächter in solch einer Situation nie hören wollte.
"Eine Prügelei!!" Der Ruf kam von weiter weg und wurde durch viele Münder weiter getragen, im folgte ein "Die Wache!!"-Ruf. Und plötzlich fragte sich Laiza, wie sie so unbemerkt in der Menge stehen konnte, in so einer Situation kam immer die Angst hervor, entdeckt zu werden. Aber das war Arbeitsrisiko, außerdem waren sie geschult worden in der Fähigkeit sich unsichtbar zu machen, um so nicht beachtet zu werden. Obwohl sie deutlich eine Uniform trug, noch zu dem einen Helm konnte sie sich, geduckt durch die Menge schlängeln. Doch der Gedanke
gleich sehen sie mich ließ die junge Frau nicht los.
Er stand gerade wieder auf den Beinen, als alle um ihn herum sich nervös drehten. Getuschel kam auf. Der Junge fragte was passiert sei. Er wollte heraus, doch plötzlich war die Neugier größer.
Magane lag auf einem Dach und blickte auf die Szenerie hinunter. Am Rande des Platzes hatte eine Schlägerei begonnen. Wie es dazu kam wusste die Triffinsziel nicht genau, aber im Moment war es eine Prügelei zwischen aufgebrachten Bürgern und Wächtern. Es konnten nur S.E.A.L.S. Wächter sein, denn die F.R.O.G. Mitglieder waren verschwunden.
...Bis auf Felsspalter, ihn sah man deutlich aus der Menge hervor stechen und er bewegte sich im Moment mit seiner Mega-Unhandlichen-Trümmerwaffe auf die Prügelei zu. Magane schmunzelte. Das Problem würde gleich gelöst sein.
Ihr Blick schweifte herum. Sie stutzte ...
oh nein ... sie hatte das schlechte Gefühl, dass dieses Problem nicht so einfach gelöst war. Ein kleiner Papierflieger drehte eine große Runde über den Platz. Bei genauerem Hinsehen erkannte man eine kleine angebrachte Lenkstange und einen blauen Gnom der dran hing.
Magane korrigierte ihren Ersteindruck. Ein blauer
Kobold und er hielt nun genau auf die Prügelei zu.
Von ihrer Position aus konnte Laiza die Menge nicht überblicken. Was sie sah waren mehrere offene Fenster in den angrenzenden Gebäuden. Schatten ließen darauf spekulieren, dass sich dort Personen befanden.
"Macht sie niiiiieeeedeeer!!!" Der Schrei, schrill und aggressiv kam von einem ergrauten dünnen Mann auf dem Karren. "Und dann auf zum PATRIZIERPALAST!"
Die Menge verfiel wieder in ein Singsang.
Lärm drang aus der Richtung, in der Laiza die Schlägerei vermutete. Der Pferdekarren schien sich in Bewegung zu setzen.
Sie zog einen Pfeil aus der Tasche, während sie sich langsam - die Szenerie immer im Auge - weiter vorwagte. Sie füllte die hohle dünne Pfeilspitze mit einem Betäubungsmittel aus einer der Phiole. Wenn der Pfeil die Zielperson trifft, würde das Mittel austreten und seine Wirkung erzielen. Sie löste das Blasrohr aus der Schlaufe ihres Gürtels und schob den Pfeil hinein. Sie musste näher ran, viel näher und das Mistding von Karren setzte sich wirklich in Bewegung, ihre Künste mit Pfeil und Blasrohr ließen zu wünschen übrig - ausgerechnet als GiGa...
***"Nun folgt eine Übungsrunde mit euren Waffen", erklärte Veni, sie saß auf Bregs Schulter und ignorierte seinen angewiderten Blick, als Würstchenfett auf seine Kleidung tropfte.
"Und was mach ich?" fragte Kanndra, natürlich würde sie ein paar Zielübungen machen, aber für sie war das nur für die eigene Sicherheit und sie brauchte nicht so ein intensives Training wie die anderen. Rogi nickte zustimmend mit dem Kopf.
"Genau, waf follen wir machen?"
Rogi kann mit ihren Nadeln und Skalpellen rum wedeln, dachte Laiza, doch irgendwie war es besser, wenn die Kommunikations- Expertin und Sanitäterin der Freiwilligen Helfer ihre Instrumente lieber in ihren Taschen ließ. Wieso war sie überhaupt hier? Schließlich war sie aktuell bei GRUND.
Die GiGa beschäftigte sich nicht weiter mit der Frage und zog das Blasrohr aus ihrer Tasche, die etwas abseits im Gras lag. Sie blickte umher, auch Magane hatte ihre Waffe heraus gezogen. Sie war schon so schlimm genug, fand Laiza, doch wenn sie eine Waffe in der Hand hielt war sie es noch viel mehr und unberechenbar dazu. Die Triffinsziel strich fast liebevoll über ihre Armbrust und legte den ersten Bolzen ein. Jeder konzentrierte sich auf seine eigene Zielscheibe.
Laiza stand zehn Meter von ihrer Scheibe entfernt. Das war die größte Entfernung, die ein Blasrohrpfeil zurücklegen konnte - außer man besaß ein Blasrohr, dass zwei Meter lang ist, doch so was ließ sich sehr schwer transportieren und war recht auffällig - bislang hatte Laiza immer nur von ihrem Schreibtisch aus geübt, es waren etwa vier Meter. Es war keine Glanzleistung auf diese Distanz etwas zu treffen.
Sie schob den Pfeil ins Rohr, holte tief Luft und setzte es an die Lippen. Sie war froh, dass Bregs und Veni gerade mit Magane und Ktrask beschäftigt waren und so zielte und schoss sie.
Der Pfeil flog zielsicher, einen kleinen Moment erfüllte ein Gefühl der Erleichterung und des Stolzes Laizas Körper, doch dann, etwa auf halben Wege plumpste der Pfeil zu Boden.
"Ich glaub du mufft etwaf an deiner Atemtechnik arbeiten", meinte Rogi, die plötzlich hinter ihr auftauchte.
"Erschreck mich doch nicht so...", Laiza seufzte, "das war grad wirklich erbärmlich."
"Könnte man fo fagen", stimmte die Igorina zu. "Aber ein Blafrohr ift auch keine leichte Fache."
Laiza fragte sich, ob sie das wenigstens etwas munter stimmen sollte.
"Du mufft an deiner Atemtechnik pfeilen... mit viel Übung bekommft du daf hin."
Laiza nickte und schob den nächsten Pfeil ins Rohr.
.... und den nächsten .... und den nächsten ....
Betrübt ließ sich die Obergefreite in das noch taufeuchte Gras fallen.
"Ich werd niemals mehr als fünf Meter schaffen ...."
"Fünf Meter sind auch gut", versuchte Kanndra sie aufzumuntern.
Sie traf ein skeptischer Blick.
"Zehn Meter könnt ich mit dem Ding schaffen, also werden Veni und Bregs wohl voraussetzen, dass ich es schaffe."
"Sie werden dich sicher nicht nach S.U.S.I. zum Putzen abkommandieren."
"Obwohl Fufi fich fehr freuen würde."
Laiza schmunzelte.
"Bleib einfach hartnäckig und üben, immer üben."
Laiza dachte kurz daran, wie sie mit dem Blasrohr durchs Laboratorium rannte und auf Dämonen schoss ...
***Plötzlich sah sie Sidney, seine Leichte Armbrust schussbereit, nicht weit weg von ihm tauchte Valdimier auf, beide blickten wie kurz zuvor die GiGa hoch zu den offenen Fenstern.
Showtime... Laiza schlängelte sich weiter durch die erhitzte Menge, doch was auch immer sie tat, sie konnte den Abstand zum Karren nicht verkleinern. Die Obergefreite atmete einmal tief ein und aus. Es blieb ihr wohl nichts anderes über, als sich mit diesem Abstand zum Karren zufrieden zu geben. Sie schätzte den Abstand auf etwa sechs Meter, dann holte sie tief Luft und setzte das Blasrohr an die Lippen. Sie visierte das Ziel an, ein dünner Mann mit einer roten zotteligen Frisur, für den die Dosis Betäubungsmittel im Pfeil ausreichen müsste.
Der Pfeil schoss aus dem Rohr und raste auf sein Ziel zu.
***Das Kügelchen bestand aus feuchtem Zeitungspapier, es war nicht sehr groß, aber daraus machte es sich nichts. Im Moment flog es durch den düsteren Raum, der kaum zu erkennen gab, was er vor wenigen Stunden noch gewesen war. Überall lagen zerbrochene Glasgeräte herum, der Boden klebte und in einigen Steinplatten waren kleine Löcher geätzt. Das Kügelchen interessierte das alles nicht, immer schneller werdend raste es durch den Raum, auf sein kleines böses Ziel zu. Der erfolgreiche Treffer wurde durch ein markerschütterndes Gejaule bestätigt.
Der Dämon taumelte nach hinten, wobei er sich verzweifelt das tränende Auge rieb.
Die jungen Dämonen - die erst seit wenigen Tagen im Keller hausten - waren unter Beeinflussung einiger austretender Gase durchgedreht -- Das
Ding (der nervigste Dämon, der in diesem Keller existierte) hatte mal wieder Unheil angerichtet. Das Ergebnis war ein großes Chaos aus vielen Scherben, das sich im ganzen Labor ausbreitete. Dank den Drachen stand noch der Versuch, an dem Laiza aktuell arbeitete. Einige Dämonen litten unter Brandblasen.
Bosheit funkelte aus Laiza's blauen Augen heraus, bevor sie aufsprang und der kleinen grünen Kreatur hinter her hechtete. Mit rotem Auge flitzte der kleine Dämon durch das Labor, dicht gefolgt von Laiza. Weitere Dinge zerbrachen bei der Jagd, doch das spielte im Moment keine weitere Rolle.
Es war Pilli - die Lieblingsdämonin des Vermieters, Fredereck Schwertfleck - die von einem Regal herunter sprang und genau auf dem Dämon landete. Laiza zog die Kreatur am Ohr hoch. Diesmal war sie es, die hämisch grinste. Sie legte das Glasröhrchen, das sie als Waffe benutzt hatte, auf eine Ablage.
In einer gut verstöpselten Phiole befand sich eine dunkelbraune Flüssigkeit, in einem großen Kolben flimmerte es seltsam. Auf dem ersten Blick schien er leer zu sein, doch er enthielt genau die Gase, die während der Reaktionen entstanden waren. Mit Hilfe eines kompliziert aussehenden Geräteaufbaus war es Laiza gelungen diese Gase aufzufangen.
Jetzt war nur noch eins nötig: Herauszufinden, ob das Endprodukt oder die Gase die Eigenschaft eines Betäubungsmittels hatten oder nicht. Schließlich vertraute ein Gift- und Gasexperte nur den Mitteln, die er selber herstellte.
***Der Pfeil traf den Man im Oberschenkel. Ziemlich überrascht blickte der Getroffene an sich herab, er wollte gerade den Pfeil herausziehen, als er das Bewusstsein verlor und fiel.
"Kämpft gegen die Ungerechtigkeit an! Nieder mit Ve..."
Der Bewusstlose riss den Schreihals auf dem Karren mit hinunter und begrub ihn unter seiner Last. Flüche - allerfeinstes Klatschianisch - drang vom Karren.
Die übrigen drei Potestanten hatten kaum Zeit zu reagieren, wenige Sekunden nachdem Laizas Zielperson fiel, stürmten die leichten Armbrustschützen Sidney und Valdimier auf den Karren und überwältigten die drei.
Das Pferd geriet in Panik und versuchte durch die Menge zu flüchten. Doch es gelang ihm nicht. Ein verdutzter Bürger mit brennender Fackel brachte das Pferd zur Ruhe.
Die Obergefreite war sich plötzlich nicht mehr wirklich sicher, ob sie noch unbeachtet war. Sie duckte sich. Die aufgewühlte Menge schrie wild durcheinander und konnte sich kaum zwischen Prügelei und Karren entscheiden.
Die Freiwilligen Helfer blickten zu den Fenstern. Schemen nickten ihnen zu, bevor seltsame runde Dinger aus den offenen Fenstern flogen.
Die Obergefreite hielt sich ein Stück dicken Stoff vor dem Mund.
***Laiza hätte nicht gedacht, dass die Art der Massenberuhigung so gut funktionieren würde. Die Gase, die austraten, als die Stoffbomben auf dem Boden platzten, glätteten die Wogen der Entrüstung. Die Verursacher des Protestes wurden abgeführt und in die Zellen geworfen. Weitere Bürger fanden sich ebenfalls dort wieder.
Obwohl es Verletzte gab - die meisten hatten ihre Blessuren von der Prügelei - war der Einsatz gut verlaufen und Venezia lobte sogar die Freiwilligen Helfer.
Der Platz leerte sich und der kleine Junge stand unschlüssig da. Was sollte er nun seiner Mama erzählen? Sie würde ihn sicher anmeckern, weil seine Hose am Knie aufgerissen war. Sie würde sich sicher nicht dafür interessieren, dass die Leute sauer auf Vetinari waren ... zum Glück hatte er das Geld nicht verloren.
***Der feuchtfröhliche Abend im Eimer endete für Laiza mit einem Absturz von Tibor Khäinen. Sie saß immer noch vor ihrem ersten Glas Bier, Tibor hatte genug für sie mitgetrunken unter anderem um den Schmerz seiner gebrochenen Nase nicht mit zu bekommen.
"Ich geh jetft inf Bett, gute Nacht!" Rogi bezahlte kurz noch und verschwand dann aus der Taverne. Die meisten waren schon gegangen. Steven Träumer beugte sich zu Laiza herüber.
"Ich glaub er gehört ins Bett", der Rechtsexperte deutete auf Tibor. Laiza nickte.
"Ja, Felsi, kannst du mir helfen?"
Der Troll trug Tibor auf Laizas Bitte hin bis zur Haustüre, er war unheimlich betunken und rutschte an der Tür hinunter auf den Boden, als er abgelegt wurde.
"Ich gehen schlafen, muss fit sein für Übung Morgen", Felsspalter winkte mit seiner Großen Pranke und verschwand in der Finsternis.
"Tibor?", Laiza beugte sich zu ihm herunter. "kannst du aufstehen?"
"Bischwich..mhhblä..."
Sie packte ihn am Arm und versuchte ihn verzweifelt hochzuziehen.
"Unterstütz mich doch ein wenig!"
Ein lauter Schnarcher hallte als Antwort durch die dunkle Straße. Laiza kramte in der schwarzen Ledertasche, die sie bei sich trug. Sie fand viele unnütze Dinge - unter anderem ihre Spinne - doch das was sie suchte - eine ziemlich intensiv riechende Flüssigkeit - war nicht zu finden.
Die Ohrfeige war in der Stille ein lauter Knall. Tibor schrie, mehr entsetzt darüber wo er war und wieso er dort war wo er war, als über den Schmerz, der seine Wange rot leuchten ließ.
"Waaas hast duu getan...!"
"Entschuldige, aber das war nötig... du solltest ins Bett gehen."
"Ohii", die Scheibe drehte sich um ihn, als er versuchte aufzustehen. Sie stützte ihn, während er in seiner Tasche nachdem Schlüssel suchte. "Mir ischt waahhnsinnig schlecht..."
"Schaffst du es alleine nach oben?" fragte Laiza besorgt.
"Deeenke schooon." Sie zog ihn, mit ein wenig Hilfe seinerseits, hoch, nachdem er wieder auf den Boden gesunken war. Er fand den Schlüssel und nach einiger Fummelei auch das Türschloss.
"Guuten Nacht Laischa." Er lächelte und drückte ihr ungeschickt einen Kuss auf die Wange, danach fiel er in den Hausflur.
***Die Sehne des Bogens spannte sich aufs Äußerste. Die grob geschmiedete Eisenspitze des Pfeils verfolgte hastig das Ziel. Die zwei Finger, die die Sehne spannten lösten sich und der Pfeil surrte los.
Die Ratte quiekte verzweifelt und versuchte zu entkommen, bevor sich die Spitze in ihren Körper bohrte.
"Wie abartig", kommentierte Tibor und suchte aus seiner Tasche ein Messer. Er saß gemütlich - aber mit Kopf- und Nasenschmerzen - auf einem Stück Mauer und fing an sich einen Apfel zu schälen, nachdem er das Messer gefunden hatte. Auf seiner Stirn prangte eine wunderschöne Beule.
Er litt ein weiteres Mal - seid dem er in der Wache war - unter der schrecklichen Last eines Filmrisses. Er konnte sich noch schmerzlich an die Ohrfeige erinnern, die immer noch in seinen Ohren zu schallen schien. Laiza hatte einen verdammt harten Schlag drauf. Er war aufgestanden, das wusste er auch noch, sie hatte ihm hoch geholfen und er hatte es tatsächlich geschafft die Tür aufzuschließen.
Doch danach ... er schaute zu ihr hinüber.
Im selben Moment senkte sie den Bogen und drehte sich zu dem jungen Mann um.
"Das hat mit abartig überhaupt nichts zu tun."
"Immerhin bringst du unschuldige Ratten um", heute Morgen war er in seinem Bett aufgewacht - lediglich mit seiner Unterhose bekleidet. "dabei haben sie dir gar nichts getan." Er kam nicht von dem Gedanken los - die Frage nach der vergangenen Nacht biss ihn ununterbrochen.
Laiza wandte sich wieder von ihm ab und griff nach hinten in den Köcher, den sie auf dem Rücken trug und zog einen neuen Pfeil. Sie spannte die Sehne ein weiteres Mal und sah sich nach dem nächsten Opfer um.
Eine feinsäuberliche Apfelschalenspirale viel zu Boden. Tibor wischte sein Messer an der Hose ab und steckte es wieder weg. Er bezweifelte, dass irgendetwas passiert war, Laiza schien nicht der Typ für so etwas zu sein. Er biss in seinen Apfel. Sie schien so unschuldig.
Tibor hustete aufgrund eines Apfelstückes, das aus plötzlich auftretender Panik die Kurve in die Speiseröhre nicht auf Anhieb fand, als Laiza sich noch einmal zu ihm umdrehte und diabolisch lächelte.
"Ich versteh nicht wieso du das machst, Laiza", sagte er. Was war sie überhaupt für ein Typ? Sie konnte nicht unschuldig sein, schließlich spielte sie mit Gift - und mit spitzen Pfeilen.
"Ich übe das Bogenschießen, sieht man das nicht?"
"Oh doch, vor allem an den toten Ratten, die hier herum liegen", sagte er sarkastisch.
"Ich mache das nicht aus Spaß." Okay, sie hasste Ratten und sie fand sie ekelhaft, aber das wäre kein Grund für das Abschießen gewesen. "Ich muss üben."
Sie schoss schon seit dem frühen Morgen jede Ratte tot, die ihr über den Weg lief. Sie konnte nicht unschuldig sein. Absolut nicht. Sie hatte ihn früh aus dem Bett geschmissen - wortwörtlich - und er wusste nicht wie sie hereingekommen war - ohne das die Vermieterin Frau Greifer etwas davon mitbekam.
"Laiza, du bist ein GiGa, was zum Offler willst du mit einem Bogen?"
"Ich frische alte Fähigkeiten auf", antwortete sie. "außerdem ... ist ein Bogen eine zuverlässige Waffe."
"Fähigkeiten auffrischen? Draußen, vor den Mauern Ankh-Morpork? Auf einem Friedhof?"
Tibor betrachtete sein Gegenüber. Laiza sah hübsch aus, so fand er, wie sie dort zwischen den Gräberreihen - die er nicht sonderlich romantisch fand - stand. Tibors Blick wanderte an Laiza hinauf.
Er seufzte innerlich.
Sie ließ erneut einen Pfeil davonflitzen und kam langsam auf ihn zu, als der Pfeil sein Ziel verfehlte.
"Die Ratten sind hier ein Plage. Ich verdien mir etwas Geld dazu."
"Du bekommst Geld für diese gewalttätige Beschäftigung?"
"Ja, zehn AM Cent pro Ratte", antwortete sie und packte den Bogen weg.
Es schien ihm, als würde es ein Abenteuer werden den Charakter dieser jungen Frau zu erkunden.
"Aber wozu willst du einen Bogen benutzen?"
"Für die Einsätze."
"Du hast doch ein Blasrohr und du sollst die Leute nicht umbringen."
"Je nachdem wo man hinschießt ist ein Bogen nicht tödlich..."
"Ja, das gilt auch für ne Armbrust, soviel weiß ich sogar."
"Aber ein Bogen hat nicht so eine Durchschlagskraft wie eine Armbrust. Außerdem kann man die Pfeile entsprechend dünn machen bei einem Bogen, die Sehne der Armbrust würde dünne Bolzen sofort zerstören."
"Ah... okay ... davon hab ich nicht viel Ahnung."
"Du brauchst keine Angst haben, ich werd das sicherlich nicht zum Freizeitbeschäftigung machen."
"Das Rattenschießen?"
"Ja, genau."
Laiza öffnete eine Kiste, die auf dem Boden vor Tibor stand und eine kleine Rauchwolke schwebte heraus, gefolgt von einer blauen Schnauze mit großen Nasenlöchern.
"Hallo Pontiflix", sagte Laiza freundlich zu der Schnauze. "Na, wie geht es dir?"
Laiza entnahm einem kleinen Jutesack ein Stück Kohle und hielt es dem kleinen Drachen hin. Genüsslich kauend kletterte Pontiflix aus seinem Käfig und sah sich um.
Tibor beobachte das Geschehen neugierig. Der kleine Drache entfaltete seine Schwingen und schlug sie auf und ab in der Luft.
"Hol die Ratten", wies Laiza ihn an.
Bislang hatte Tibor den Drachen als feurig rülpsende Laboreinrichtung betrachtet. Doch nun zu sehen, wie Pontiflix davon hüpfte und wenige Sekunden später mit der ersten toten Ratte im Maul zu rückkehrte erstaunte Tibor sehr.
Ein Sack füllte sich mit toten Ratten, den Laiza zum Diensthabenden Totengräber des kleinen Friedhofes brachte.
Mit leeren Sack und genau ein Dollar und siebzig Cent kehrten die Zwei wieder nach Ankh-Morpork zurück.
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