Bei einer Entführung ist das Schlimmste die Ungewissheit, ob die Geisel schon tot ist. Was aber, wenn man nicht mal sicher ist, ob der Entführer noch lebt?
Dafür vergebene Note: 13
**Montag: Mit den eigenen Augen** Man sagt, Papier ist geduldig. Manchmal kann es aber auch grausam sein. So wie der unschuldig aussehende Brief, der am Morgen des 25. August vor dem Haus des Goldschmieds Levan Drossel gefunden wurde.
Nachdem der Goldschmied sich von dem ersten Schock erholt hatte, meldete sich sein kühler Kopf zurück. Mit leichenweißem Gesicht wandte er sich an den Butler, der den Umschlag zusammen mit der Morgenzeitung gefunden hatte und seit einigen Minuten mit der butlereigenen Zurückhaltung auf die Wünsche seines Arbeitgebers wartete.
"Hast du draußen jemanden gesehen, Albrecht?"
"Nein, Herr."
"Wirklich nicht? Das ist wichtig. Versuch dich zu erinnern."
Etwas verwundert über die Eindringlichkeit, mit der diese Worte gesprochen wurden, überlegte Albert pflichtschuldigst noch einmal. "Da war niemand, Herr."
Drossel starrte die Haarlocke an, die dem Brief beigelegt worden war und die eindeutig von seiner Tochter stammte. Wie oft hatte er ihr über diese Haare gestrichen... Noch einmal musste er seine Haltung wiedergewinnen. Er hatte das Gefühl, die Worte in der unregelmäßigen Handschrift hatten sich in sein Gehirn gebrannt und würden nie wieder daraus verschwinden. "HABE DEINE TOCHTER. KAINE WACHE ODER SIE IST TOHT! BALD WAITERE ANWEIHSUNGEN!"
Er atmete ein paar Mal tief durch, dann rettete er sich in Geschäftsmäßigkeit.
"Gut. Wir müssen trotzdem vorsichtig sein. Vielleicht beobachtet er uns. Du wirst zuerst losgehen, Richtung Pseudopolisplatz. Geh aber nicht dorthin, sondern biege vorher ab und führ ihn ein wenig spazieren, für den Fall, dass er dir folgt. Ich werde mich ankleiden und dann zur Wache gehen."
"Ja, Herr. Darf man fragen, was..."
"Salvia wurde entführt, Albrecht. Wir haben gerade einen Erpresserbrief bekommen. Doch ich weiß schon, wer dahinter steckt."
Erschüttert wie er war, geriet selbst der langgediente Butler ein wenig aus seiner Rolle und beging eine Indiskretion.
"Sie... meinen Herrn Hübsch?" Natürlich war er genauestens über die Vorgänge im Haus informiert und diente schon so lange dort, dass sein Herr ihm die Vertraulichkeit nicht übel nahm.
"Ich habe sie vor ihm gewarnt. Aber das er soweit gehen würde, hätte ich nie gedacht."
Eine Stunde später saß er einer Wächterin in deren Büro gegenüber, zu dem man ihn geschickt hatte. Eigentlich hatte er sich nie Gedanken darum gemacht, aber irgendwie hatte er etwas anderes erwartet... jemand männliches und vor allem größeres. Die rothaarige Gnomin starrte ihn ihrerseits abschätzend an, während sie an eine Tasse gelehnt an einem Wurstzipfel lutschte. Ihr Stellvertreter, dem er den Brief und eine Ikonographie seiner Tochter und ihres Verlobten ausgehändigt hatte, entsprach schon eher seinem Wächterbild. Etwas beunruhigend fand er nur die spitzen Eckzähne, die kurz aufblitzten, wenn der Feldwebel lächelte oder etwas sagte. Außerdem hatte er das merkwürdige Gefühl, es würde sich noch jemand in dem Raum befinden, der sie beobachtete. Doch bis auf eine Ecke über den Dachbalken, die ein wenig im Dunkeln lag, war das ganze Zimmer gut einsehbar und es befand sich dort niemand außer eben ihm selbst und den beiden Wächtern.
"Und ihr Butler hat also den Brief heute morgen vor ihrer Haustür gefunden?" Ein paar winzige Würstchenkrümel sprühten durch die Gegend, als Venezia Knurblich ihm die Frage stellte.
Der Goldschmied nickte. "Er lag bei der Morgenzeitung. Albrecht ist keine Person in der Nähe aufgefallen. Wir können also davon ausgehen, dass er zumindest schon ein paar Minuten dort gelegen haben muss."
"Wovon wir ausgehen, lassen Sie mal unsere Sorge sein, Herr Drossel." Der einäugige Wächter nickte ihm trotz seiner Worte aufmunternd zu. "Und dann haben Sie nachgesehen, ob ihre Tochter sich tatsächlich nicht im Haus befindet?"
"Nein, das war nicht nötig. Sie... ist die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen. Wie immer hatte sie am Vorabend ihre Freundin besucht und wir waren bereits in höchster Sorge, da sie sich nicht gemeldet hatte."
"Aber Salvia ist erwachsen und obendrein verlobt. Es hätte doch sein können, dass sie sich dazu entschlossen hatte, die Nacht bei ihrer Freundin oder", der Püschologe warf einen kurzen Blick auf seine Notizen, "Valerij Hübsch zu verbringen?"
"Nun, das kam schon einmal vor, aber dann hat sie mir zumindest eine kurze Nachricht geschickt."
"Verstehe", schaltet sich der Oberleutnant wieder ein, "und wieso denken Sie, dass der Verlobte ihrer Tochter auch ihr Entführer ist?"
Drossel atmete tief ein und ließ die Luft in einem Seufzer wieder entweichen. "Salvia ist manchmal... sie lässt sich nicht gerne etwas vorschreiben. Ich glaube, dass ich gegen diese Verbindung war, hat sie erst richtig interessant gemacht für sie." Er schüttelte betrübt den Kopf und sah Venezia mit seinen blauen Augen ernst an. "Ich habe meine Frau früh verloren und Salvia fehlte wohl die Mutter. Meine Tochter will ich nicht auch noch verlieren."
Araghast fing den Blick des blonden Mannes auf, der anfing ein bestimmtes Flackern zu zeigen. In beruhigendem Tonfall versicherte der Püschologe dem besorgten Vater, dass alles gut werde und sie seine Tochter wohlbehalten zu ihm zurückbringen würden. Eine Notlüge, denn es war ein Versprechen, das sie nicht immer einhalten konnten.
Levan fasste sich wieder und fuhr fort: "Von Anfang an hat dieser Hübsch einen unehrlichen Eindruck auf mich gemacht. Ich habe dann ein paar Nachforschungen angestellt. Und ich hatte mich nicht getäuscht. Dieser Mann ist ein Krimineller, der allerhand Betrugsdelikte auf dem Kerbholz hat und außerdem schwunghaften Schmuggel betreibt."
Korporal Valdimier van Varwald hing kopfüber an der Dachrinne des Hauses gegenüber dem Anwesen des Goldschmieds Drossel, wobei er nicht nur seiner Gesundheit willen einen besonders schattigen Platz gewählt hatte. Sidney hatte sich ebenfalls gut verborgen. Diese Anweisung hatte Venezia ihnen mit auf den Weg gegeben. "Was auch passiert, das Leben der Geisel hat höchste Priorität. Wir müssen vor allem versuchen, sie zu finden", waren ihre Worte gewesen. Als ob sie das als erfahrene FROGs nicht selber wussten. Die Aufgabe der Leichten Armbrustschützen bestand also darin, alles Ungewöhnliche um das Haus, dass einen gepflegten, aber keineswegs protzigen Eindruck machte, zu beobachten. Falls sie den Verdacht hegten, dass ein neuer Erpresserbrief abgegeben wurde, würden sie den Boten unauffällig verfolgen, in der Hoffnung, dass er sie zu Geisel oder Erpresser führen würde. Araghast und Nyvania würden unterdessen diese Freundin, zu der Salvia unterwegs gewesen war, befragen und Kanndra und Max kümmerten sich um den Hauptverdächtigen.
Winkelzuggasse 9... hier war es. Chief-Korporal Kanndra Mambosamba schaute an der Fassade des heruntergekommenen Mehrfamilienhauses in der Nähe der Schatten herauf und ihr geschultes Späherauge registrierte jede Kleinigkeit.
"Dann wollen wir mal sehen, ob das Vögelchen ausgeflogen ist" , dachte sie.
Ihr momentanes Erscheinungsbild entsprach dem einer ältlichen, streng dreinblickenden Jungfer mit Haarknoten und Halbbrille. Nachdem sie die Treppe in den dritten Stock hochgestiegen war, zupfte sie überflüssigerweise an ihrer Kleidung, die doch nur eine Illusion war und deshalb den perfekten Sitz hatte. Dann klopfte sie.
Der Mann, der ihr die Tür öffnete, war eindeutig Valerij Hübsch. Sie erkannte ihn von der Ikonographie, die Venezia ihr gezeigt hatte, ohne Zweifel wieder. Er schien bester Laune zu sein. Bei dem Anblick einer Frau hellte sich seine Miene noch mehr auf, auch wenn besagte Frau sicher nicht gerade seinem Typ entsprach.
"Guten Tag, werter Herr. Ich sammle für die 'Vereinigung gegen den Sittenverfall junger Mädchen'", ratterte die Wächterin ihren vorbereiteten Text herunter und klapperte mit einer Sammelbüchse.
"Aber sicher", strahlte Valerij sie an, "hier haben Sie zwei Dollar"
Es klapperte in der Büchse. Das war nicht gerade das, was Kanndra erwartet hatte. Einen Dank stotternd, wartete sie, bis er die Tür wieder geschlossen hatte, stieg die Treppe wieder herunter, verließ das Haus und verschwand hinter einem Schuppen auf dem Nachbargrundstück. "Er ist noch zuhause.", flüsterte sie dem Obergefreiten Maximilian R. Schreckt zu, der auf dem Dach des Schuppens kauerte und freie Sicht auf den Eingang des Mehrfamilienhauses hatte. Nachdem sie ihrem Späherkollegen weitere Informationen über das Haus gegeben hatte, versteckte sie sich hinter einem Busch und wartete sie auf ihren Einsatz.
########### Das erste, was sie wahrnahm, war der Geschmack in ihrem Mund. Ihre Zunge fühlte sich wie ein riesiger pelziger Ball an. Salvia Drossel versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war völlig ausgetrocknet. Merkwürdigerweise hatte sie den Eindruck eine Handvoll Ankhschlamm geschluckt zu haben. Nein, das war... der Geruch hier. Er hatte sich schon auf ihre Geschmacksnerven niedergeschlagen. Dann schlug sie die Augen auf und sah... Dunkelheit. Ihr linker Arm kribbelte, als sie sich bewegte, denn sie hatte darauf gelegen und nun schoss das Blut zurück. Sie setzte sich auf und begann an ihm zu reiben. Ketten klirrten und Salvia stellte fest, dass diese an ihren Handgelenken befestigt waren. Außerdem saß sie auf etwas aus Stoff.
Langsam wich die Benommenheit und sie erinnerte sich. Wie jeden Oktotag war sie zu Fuß zu ihrer Freundin Dana unterwegs gewesen, als ihr plötzlich jemand von hinten ein Tuch vor Nase und Mund gedrückt hatte. Alles weitere lag in ebensolcher Dunkelheit wie dieser Raum.
Irgendwo raschelte und quiekte es. Ratten! Sie erschauerte. Wenn sie den in die Finger bekam, der ihr das angetan hatte, dann würde sie... würde sie... auf jeden Fall würde sie nicht die ängstliche kleine Geisel spielen, das schwor sie sich selbst. Vermutlich rechnete der Kerl genau damit, aber sie hatte schon immer etwas gegen die Regeln gelebt. Zum Beispiel als sie sich mit dem charmanten Rumtreiber verlobt hatte, vor dem ihr Vater sie gewarnt hatte. Aber Valerij würde ihr nichts tun, niemals! Oder?
########### Etwa zwei Stunden später, die beide FROGs damit verbracht hatten, sich möglichst wenig zu bewegen, ohne das ein Körperteil einschlief, war es soweit: "Zielperson verlässt das Haus", raunte Max Kanndra zu. "Er geht los. Ok, du kannst starten. Viel Glück."
"Danke, dir auch", gab sie schnell zurück. Dann trat eine dunkelhäutige, junge Frau hinter einem Busch hervor und nahm die Verfolgung auf, während der Schwarze Mann noch ein paar Minuten warten würde, um sich dann in der Wohnung des Verdächtigen umzusehen.
Selbst von hinten wirkte Valerij Hübsch ziemlich attraktiv, wie Kanndra feststellte. Die dunkelblonden Locken hingen ihm bis auf den Kragen seiner Jacke, sein breites Kreuz hielt er sehr gerade und sein Gang hatte etwas von einem Raubtier. Über der Schulter hing ein großer Beutel, den die Späherin als Seesack erkannte. Während Valerij die Strasse herunterging, erinnerte sich Kanndra an die vier Regeln einer Beschattung. Niemals dem Beschatteten in die Augen sehen, sich nicht vor ihm verstecken, immer hinter ihm bleiben und sich ganz normal benehmen
[1]. Also schritt die Wächterin aus, als hätte sie ein bestimmtes Ziel und wäre rein zufällig auf demselben Weg wie Hübsch. Sie hatte sich unauffällige Privatkleidung angezogen und hoffte, dass es nicht allzu oft nötig sein würde, ihr Erscheinungsbild zu ändern. Dieses wollte sie erst tun, wenn Valerij misstrauisch geworden war. Vorerst schien da jedoch keine Gefahr zu bestehen. Auch ihre "Zielperson" verhielt sich völlig normal und wirkte in keiner Weise nervös. Er schaute sich nicht einmal um. Das Einzige, was auf innere Anspannung hindeutete, war ein Tick, den er anscheinend hatte. Alle paar Minuten fasste er sich in die Jackentasche, als ob er darin etwas suchte und zog die Hände kurze Zeit später wieder heraus, um sie locker an der Seite herunterbaumeln zu lassen.
An einem Obst- und Gemüsestand auf dem Buttermarkt machte er schließlich halt, um mit dem Besitzer um den Preis für ein paar Äpfel zu streiten. Kanndra schaute sich derweil ein Schaufenster in der Nähe an, dessen Auslagen sie nicht mal wahrnahm. Statt dessen horchte sie angestrengt auf die Unterhaltung neben ihr. Die beiden Männer wurden sich schnell handelseinig und gaben sich lachend die Hand. Anscheinend kannten sie sich schon länger. Valerij schob die Hände in die Taschen und steuerte quer über den Markt auf eine Bäckerei zu.
"Offensichtlich macht er nur seinen Einkauf." , dachte Kanndra enttäuscht. Oder wollte er seiner Geisel etwas zu essen bringen? Der Gedanke feuerte die Späherin an, den Mann auf keinen Fall aus den Augen zu lassen. Dieser nahm gerade die Hände wieder aus der Tasche und betrat den Bäckerladen. Die Wächterin folgte ihm langsam über den Platz, wobei sie hin und wieder kurz an Ständen stehen blieb, um scheinbar interessiert die Ware zu mustern. Dabei behielt sie die Tür des Bäckerladens im Blick und als sie fast dort angekommen war, kam Hübsch wieder heraus. Er machte noch immer einen unbekümmerten Eindruck, schaute sich immer noch nicht um und machte sich auf den Weg Richtung Klebengeblieben, die Hände wieder in der Tasche vergraben. Kanndra ließ eine auf sie einredende Verkäuferin einfach stehen und folgte ihm.
Bog er um eine Ecke, beschleunigte sie ihre Schritte, ohne jedoch zu laufen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und den Abstand nicht zu sehr zu verringern. Plötzlich jedoch war er verschwunden, als die Wächterin in eine Strasse einbog. Sie war wohl nicht schnell genug gewesen. Kanndra schätzte die Entfernung zur nächsten Kreuzung ab und entschloss sich, das Risiko einzugehen. Sie setzte sich auf den Rand eines nahen Brunnens und vertiefte sich scheinbar in ein Buch, das sie aus ihrem Rucksack holte. Um sie herum spielten Kinder in der Sonne und Frauen hielten einen kleinen Nachmittagsschwatz.
Eine Viertelstunde später wurde die Entscheidung und die Geduld der Späherin belohnt: Hübsch trat aus einem Schusterladen heraus, warf ärgerlich eine Zigarette weg und setzte seinen Weg fort. Seine Laune schien um einige Grade gesunken zu sein, aber ansonsten verhielt er sich wie zuvor. Er steuerte geradewegs auf die Schatten zu.
Der Chief-Korporal versuchte, sich noch unauffälliger zu verhalten und setzte dafür ein wenig ihrer Illusionskünste ein. In dem Gewirr kleiner Gassen war es noch schwieriger als vorher, ihre "Zielperson" nicht aus den Augen zu verlieren, doch die Lady schien es heute mit der Wächterin gut zu meinen. Bis...
"Hände hoch und her mit deinem Geld!"
Da sie ein Messer unangenehm in den Rücken piekste und sie keine Zeit mit irgendwelchen Diskussionen verschwenden wollte, hob sie die Hände, während Valerij mal wieder um eine Ecke verschwand.
"Das Geld ist an meinem Gürtel", informierte sie den Dieb, der ihr mit einer Lizenz vor der Nase rumfuchtelte.
Als er ungeschickt versuchte, den Geldbeutel dort zu entfernen, seufzte Kanndra, riss ihn mit einem Ruck ab und drückte ihn dem Dieb in die Hand.
"Noch nicht lange dabei, wie? Nun, du entschuldigst mich, ich muss jetzt los..."
"Hey, du bekommst noch die Quittung!"
Doch die Gennuanerin war bereits davon geeilt.
Die Lady war ihr immer noch hold, denn sie sah den Verdächtigen das Perlendock entlang schlendern und ein Stück flussabwärts ein kleines Segelboot betreten.
Auf der Kaimauer oberhalb davon saßen zwei Fischer, die ihre Netze flickten.
"Von da oben hat man das Boot gut im Blick. Vielleicht finde ich auch noch ein paar nützliche Dinge heraus." Kanndra hoffte, dass sie nicht zu viel von dem vergessen hatte, was sie in ihrer Zeit als WASP
[2] gelernt hatte. Aber an zwei Dinge konnte sie sich noch gut erinnern: Seeleute hatten nicht gerade ein besonders gutes Verhältnis zu Wächtern und sie waren in den meisten Fällen auch nicht besonders gesprächig. Trotzdem wollte sie es versuchen. Also trat hinter den aufgetürmten Fässern, hinter die die Späherin geschlüpft war kurze Zeit später ein junger Matrose hervor, der gelassen zu den Fischern herüber ging
[3].
"Moin. Bin Hannes", grüßte "er" die Fischer.
"Klaus."
"Klaus."
"Ihr heißt beide Klaus?"
"Jau."
"Jau."
Ihre Befürchtung schien sich zu bestätigen, aber noch wollte die Wächterin nicht aufgeben, sondern nickte zu dem Boot hinüber.
"Netter Kahn das."
"Jau."
"Jau."
Der falsche Matrose ließ sich auf der Kaimauer nieder und die Beine über den Rand baumeln, während sein Blick langsam über den Fluss glitt.
"Bloß nicht zu auffällig fragen, sonst sagen die gar nichts mehr." "Is' aber noch seetüchtich, der Pott, ne?"
"Jau."
"Jau."
Die Fischer hatten ihren fachmännischen Kommentar abgegeben, ohne einmal von ihren Netzen aufzusehen.
"Hatte auch mal so ein'." Kanndra ließ die Information erst einmal sacken, dann fuhr sie fort: "Fährt er noch oft raus?"
Klaus und Klaus zuckten die Schultern. Nach einer weiteren Minute des Schweigens versuchte "Hannes" es anders: "Scheint ja n' hübscher Kerl zu sein, der Besitzer. Ich mein', die Fraun stehn auf so was."
Wieder Schulterzucken. Offensichtlich kannten sie Hübsch nicht oder interessierten sich nicht für ihn. Vielleicht wollten sie aber auch nicht mit Fremden darüber reden.
Mit letzter Verzweiflung fragte Kanndra in einem jovialen Mann-hat-der-ein-Glück-Ton: "Hat er wohl öfters mal ne Puppe an Bord, he?"
Schulterzucken.
Nach einer halben Stunde Unterhaltung, die auch auf Seiten der FROG immer wortkarger wurde, hatten die Fischer ihr Netz repariert und wankten langsam von dannen. Kanndra zog sich ein wenig weiter in die langsam länger werdenden Schatten zurück und wartete... wieder einmal.
########### Ihre Augen hatten sich bald an die Lichtverhältnisse gewöhnt und sie konnte trotz der Dunkelheit ein wenig mehr von ihrem Gefängnis erkennen. Das, worauf sie halb lag und halb saß, schien eine alte Matratze zu sein. Hätte Salvia nicht solche Angst, würde sie sich wahrscheinlich davor ekeln. So wie vor den Ratten, die sie nur mit Mühe auf Abstand halten konnte. Weil ihr Schreien nichts genutzt hatte, hatte sie bald den Raum näher in Augenschein genommen, so weit ihr das möglich war. Die Ketten an ihren Armen führten zu eisernen Ringen, die an einer dicken Steinwand befestigt waren. Auch der Boden war aus Stein, beides war mit einer schleimigen Schmutzschicht überzogen. Außerdem war es ziemlich kalt und feucht.
Ihr Entführer hatte sich noch nicht blicken lassen. Einerseits war die junge Frau darüber froh, nicht mit diesem Schwein in einem Raum zu sein, andererseits wollte sie ihm in die Augen sehen und einen Eindruck von ihm bekommen. Vielleicht würde er sich irgendwie verraten oder zumindest preisgeben, was er mit ihr vorhatte. Diese Ungewissheit war das Schlimmste. Was war, wenn er nun gar nicht mehr zurückkommen würde und sie ihrem Schicksal überließ?
Hinzu kam ein quälender Durst. Was gebe sie jetzt für ein wenig Wasser...
########### "Na toll" , dachte die Späherin,
"das macht den Fall nicht gerade einfacher."Sie hatte eine ganze Weile das Boot beobachtet, das ruhig und wie verlassen dagelegen und nur ab und zu in den Wellen ein wenig geschaukelt hatte. Doch was wenn Hübsch das Segel setzen und davonfahren würde? Kanndra hatte entschieden, dass sie wissen musste, was dort vor sich ging, auch wenn es riskant war. Die "Käthe", wie das Segelboot hieß, war nur über einen Steg zu erreichen, wenn man nicht durch den Fluss "schwimmen" wollte. Andererseits hatte die Kajüte nur vorne größere Fenster, an den Seiten gab es nur Bullaugen und wenn Valerij nicht gerade durch eines hindurchschaute, konnte sie es schaffen, unbemerkt an Bord zu gelangen. Als Hannes hatte sie außerdem sicher eine glaubwürdigere Entschuldigung als als junge Frau, falls sie erwischt wurde, weshalb die Halbdämonin diese Erscheinung beibehielt.
Sie hielt sich nicht lange mit dem Deck auf, nachdem sie festgestellt hatte, dass sich dort niemand befand und warf vorsichtig einen Blick durch ein Bullauge in die Kajüte.
Wie erwartet befand sich Hübsch dort. Den
Zustand , in dem er sich befand, hatte Kanndra allerdings nicht erwartet. Er lag zwischen einem halb hohen Schrank und der Koje am Boden. Die Wächterin lud ihre Armbrust, schlich zur Tür und begann diese Zentimeter für Zentimeter aufzuschieben. Zum Glück waren die Angeln anscheinend gut geölt. Dann schob sie sich selbst hindurch und suchte Deckung neben einem kleinen Herd, der zusammen mit Tisch und Stuhl den Rest der Einrichtung bildete. Alles war mit starken Schrauben am Boden der Kajüte befestigt, damit es sich nicht bei Seegang selbstständig machte. Bis auf den Herd, wie sie unbewusst registrierte. Er war wohl auch so schwer genug. Eine weitere Person war jedoch nicht zu sehen, auch kein weiterer Ausgang.
Die Voodoo-Priesterin stellte schnell fest, dass Valerij tot war. Er war anscheinend erschlagen worden, denn aus einer Wunde am Hinterkopf war Blut auf den Boden getropft, wo es eine kleine Lache gebildet hatte. Da sie keine Spuren verwischen wollte, verließ die Späherin den Tatort wieder, gab die Hannes-Illusion auf und machte sich auf den Weg zum Pseudopolisplatz, um RUM und SUSI zu informieren und Venezia Bericht zu erstatten.
**Dienstag: Aus eins mach zwei** "Die Krötenaugen.... hmm, ich glaube, die sind abgelaufen." Die gerade erst von dem Ausbilderposten bei GRUND zurückgekehrte Späherin nutzte die augenblickliche Ereignislosigkeit, um ihr Büro wieder einzurichten und etwas auszumisten. Sie musterte gerade ein Glas, in dem schleimig-weißliche Kugeln schwammen, die mit etwas überzogen waren, was grünliche Schlieren zog, als es an ihre Tür klopfte und Araghast hereinkam. Er machte ein bekümmertes Gesicht und ließ sich auf einen der wackligen Stühle fallen.
"Gut, dass du wieder hier bist. War doch ein wenig einsam, als ihr beide euch bei GRUND rumgetrieben habt", der Feldwebel grinste halbherzig.
Kanndra warf ihm einen scharfen Blick zu und setzte sich ebenfalls. "Und welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?"
"Sieht man das etwa?"
"Ich kenne dich ja nicht erst seit gestern. Es ist doch nichts mit Lea, oder?"
Der Püschologe winkte ab. "Nein, nein. Alles bestens. Wir planen schon unseren Umzug. Es geht mehr um die Abteilung. Du hast das vielleicht noch nicht so mitbekommen, aber es haben sich unter den neuen Gefreiten schon Paare gebildet. Und sogar Sid scheint sich verliebt zu haben! Das macht mir Sorgen, weißt du?"
Der Chief-Korporal grinste. "So sehr wie du glaubst, ist man in der Kröselstrasse nicht hinter dem Mond. Die Sticheleien Hauptmann Daemons waren jedenfalls nicht zu überhören."
Araghast strich sich müde über die Haare. "Siehst du? Wir sind schon das Gespött der ganzen Wache. Verdammt, man verliebt sich einfach nicht in einen Kollegen."
Die Voodoo-Priesterin hüstelte leicht. "Nun, so etwas passiert nun mal, ob man will oder nicht."
"Entschuldige, ähmm ich meine..." Bregs war vor Verlegenheit rot geworden im Gesicht. Solche Gespräche lagen ihm einfach nicht. Gut, er war Püschologe, aber wenn es so
persönlich wurde...
"Schon gut. Du hast Recht. Es kann einfach nicht gut gehen."
Erleichtert rettete er sich auf allgemeineres Terrain. "Genau, man ist ja gar nicht mehr Lage, seinen Tschob richtig zu machen. Wenn der Partner in eine gefährliche Situation kommt, vielleicht sogar stirbt... also ich will mir das bei Leonata gar nicht erst vorstellen!"
Plötzlich musste Kanndra an den letzten Winter denken, als sie für einige Stunden angenommen hatte, Araghast wäre tot. Hätte sie diesen wahnwitzigen Besenflug auch unternommen, wenn es nicht so gewesen wäre oder Bregs nichts weiter als ein guter Freund? Sie wusste es nicht. Wahrscheinlich hatte sie unter einer Art Schock gestanden und diese Wut auf den Täter... an die konnte sie sich auch noch lebhaft erinnern
[4].
Erneut klopfte es an die Tür und Ktrask unterbrach das entstandene Schweigen. "Bist du fertig, Ma'am? Wir müssen Maggie und Zaddam bei Drossel ablösen."
Kanndra nickte, schnappte sich ihre Jacke und nickte dem Püschologen zum Abschied zu. Als sie mit dem Gefreiten in den seit den frühen Morgenstunden herabfallenden Regen hinaustrat, fragte dieser: "Ich weiß gar nicht, warum wir das noch tun müssen. Der Entführer ist doch tot. Sollten wir nicht besser die Geisel suchen?"
"Natürlich, aber wir haben bisher keinerlei Anhaltspunkt, wo sie sich befinden könnte. Außerdem ist noch gar nicht erwiesen, dass Hübsch wirklich der Entführer war. Wir haben nichts bei ihm gefunden, was darauf schließen lassen würde. Eigentlich sollten wir hoffen, dass er es nicht war, denn dann haben wir noch eine Chance, den wirklichen Täter zu erwischen und herauszubekommen, wo Salvia ist."
########### Irgendwo plätscherte Wasser. Ihre Kehle brannte noch immer vor Durst, dafür waren ihre Füße nass. Auch die Matratze fühlte sich an den Stellen, wo ihr Körper nicht gelegen hatte, klamm an. Salvia wusste nicht, wie lange sie schon in ihrem Verlies gefangen war, aber sie hatte bestimmt einige Stunden geschlafen. Bei der näheren Inspektion ihrer Ketten hatte sie eine Schraube entdeckt, die nicht ganz so fest in der Wand saß und begonnen, mit aller Kraft an der Kette zu ziehen. Ganz langsam war es ihr gelungen, sie weiter zu lockern und schließlich konnte sie einen Arm von der Wand befreien. Doch dann war sie vor Erschöpfung eingeschlafen.
Ihr Entführer war sicher immer noch nicht da gewesen, denn sonst hätte er sie wieder angekettet. Auch sonst schien alles unverändert, soweit sie ihre Umgebung erkennen konnte. Alles, bis auf das Wasser, das den Boden ihrer einsamen Zelle wahrscheinlich bereits vollständig bedeckte. Wenigstens hatten die Ratten sich in ihre Löcher zurückgezogen.
########### Nach einem weiteren, langweiligen Vormittag war Kanndra froh, als Valdimier und Skilla sie bei dem Wachdienst vor dem Haus des Goldschmieds ablösten. Sie war sicher, die Gefreiten hatten sich die Arbeit der FROGs bestimmt aufregender vorgestellt. Aber oft bestand sie nur aus Routine und eben solchen sterbenslangweiligen Observationen. Zumindest der Nachmittag hatte Aussicht, ein wenig interessanter zu werden, denn die Späherin hatte sich vorgenommen, bei Agnetha vom Ankh vorbei zu schauen. Die Ermittlerin bearbeitete den Mordfall Hübsch und Kanndra war neugierig, welche Fortschritte sie bereits gemacht hatte. Die Gennuanerin konnte es immer noch nicht fassen, dass Valerij praktisch vor ihren Augen ermordet worden war, ohne dass sie auch nur eine Spur vom Täter gesehen hatte. Sie hatte schon den ganzen Vormittag darüber nachgegrübelt, ob ihr etwas entgangen war, aber ihr wollte nichts einfallen. Auch auf dem Rückweg zur Wache war sie entsprechend wortkarg, so dass Ktrask es bald aufgab, ein Gespräch führen zu wollen.
Wieder am Pseudopolisplatz angekommen, musste die Wächterin sich erst einmal umziehen, denn sie war vom Regen völlig durchweicht.
Als sie zehn Minuten später an die Bürotür der Geringen Göttin klopfte, hörte sie ein zaghaftes "Herein" aus dem Raum. Agnetha saß über verschiedene Gegenstände auf ihrem Schreibtisch gebeugt, die sie scheinbar ein wenig ratlos musterte.
"Hallo. Ich glaube wir kennen uns noch nicht. Chief-Korporal Kanndra Mambosamba, Späherin bei FROG. Ich habe die Leiche gefunden."
Die Gefreite nickte geistesabwesend und sah ihrer Besucherin dann in die Augen. "Ich habe noch nicht ganz verstanden, warum euch Sterblichen Gegenstände so wichtig sind. Vor allem, wenn sie so wichtig sind, warum landen immer wieder so viele davon in meinem Heim?"
"Oh, nun ja, das kann ich dir auch nicht beantworten. Kann ich ähh... vielleicht ein Fenster öffnen?"
"Ich möchte nicht dabei sein, wenn sie und Thask Verschoor sich in einem Raum aufhalten" , dachte der Chief-Korporal. Laut fragte sie:
"Was hast du denn da?"
"Diese Sachen hatte der Tote in seiner Kleidung bei sich. Lance-Korporal Kolumbini sagte, er halte es für wichtig, dass der Schrankschlüssel nicht dabei ist."
"Richtig, der Seesack war bereits halb ausgepackt. Und der Schrank war zu. Aber warum ist das wichtig?"
"Er ließ sich auch nicht öffnen ohne Schlüssel. Aber Hübsch musste ihn geöffnet haben oder der Täter hat die Lebensmittel mitgenommen."
Eine Weile dachten beide darüber nach. Dann fragte Kanndra: "Was sagt SUSI denn? Gibt es schon einen Bericht?"
Agnetha schüttelte den Kopf, so dass kleine Ankhbröckchen sich aus ihrem langen, schmutzig-blonden Haar lösten und auf ihre Schulter fielen. "Sie sind etwas überlastet zur Zeit. Hauptgefreiter Narrator hat nur gesagt, dass er wahrscheinlich mit einem spitzen Gegenstand erschlagen wurde. Und die Spurensicherer haben auch nichts Verwertbares gefunden. Noch nicht einmal fremde Fingerabdrücke. Allerdings haben wir bei der Durchsuchung noch einen Lagerraum gefunden."
Die Späherin pfiff durch die Zähne. "Da kann sich der Mörder doch versteckt haben. Allerdings scheine ich wohl nicht mehr richtig in Übung zu sein. Erst wird mir der Observierte umgebracht und dann übersehe ich einen Raum!"
"Unwahrscheinlich, dass er als Versteck diente", ignorierte die Ermittlerin die Selbstzweifel, "wir mussten erst den Herd zur Seite schieben, ehe wir die Einstiegsklappe öffnen konnten. Und einen zweiten Eingang gab es nicht."
"Also war er tatsächlich ein Schmuggler! Warum sollte er sonst solch einen Aufwand treiben, um einen Lagerraum zu verstecken."
"Zwei Fischern ist übrigens gestern Nachmittag ein merkwürdiger Matrose aufgefallen. Er hat sich nach dem Boot erkundigt. Hast du den nicht gesehen, Ma'am?"
"Doch, den kenne ich sogar sehr gut", grinste die Gennuanerin. "Diese Spur könnt ihr leider vergessen. Das war ich."
"Du?"
"Ja, ich bin ganz gut darin, Illusionen zu erzeugen. Mein Vater ist ein Dämon und... nun ja, kurz gesagt, wenn ich will, kann ich die Leute glauben machen, ich wäre jemand anders."
Ihr dämonisches Erbe war Kanndra immer noch peinlich, auch wenn sie in der Wache schon auf die verschiedensten Spezies und auch Ergebnisse von deren Vermischung gestoßen war. Deshalb wechselte sie schnell das Thema. "Vielleicht ist der Mörder doch durch den Ankh gekommen?" Das war zwar eine unwahrscheinliche Lösung, aber etwas besseres fiel ihr im Moment einfach nicht ein.
Aber die Flussgöttin schüttelte erneut den Kopf. "Nein, dort war niemand. Das kann ich eindeutig sagen. Außerdem hätte er dann Spuren am Tatort zurückgelassen."
"Stimmt auch wieder. Bei uns gibt es auch keine neuen Entwicklungen. Ich habe dir eine Kopie von Max' Bericht über die Durchsuchung von Hübschs Wohnung mitgebracht. Bis auf ein paar Ikonographien einer Brünetten, von der wir noch nicht wissen, um wen es sich handelt und einige Rechnungen hat er aber auch nicht viel gefunden. Der Gute schien nicht viel von Schriftkram zu halten. Und hier habe ich noch das Vernehmungsprotokoll von Dana Stich, Salvias Freundin."
"Und wo sind diese Ikonographien?"
"Die hat Max natürlich liegen gelassen, wo sie waren. Er konnte ja nicht wissen, dass Hübsch die Wohnung nie wieder betreten würde."
"Dann werde ich sie mir bei Gelegenheit selbst holen. Den Wohnungsschlüssel haben wir ja gefunden."
Mit dem Versprechen sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten, was ihre Fälle betraf, verabschiedeten sich die beiden Frauen.
Kurz bevor die Späherin erneut ihr Büro betreten konnte, traf sie auf Laiza Harmonie und Magane, die sich wieder mal lautstark stritten, während sie in Richtung Abteilungsleitung hasteten. Die Triffinsziel stieß hervor: "Da bist du ja. Wir sollen sofort zu dem Al... Feldwebel kommen."
Dort war nicht nur bereits die halbe Abteilung versammelt, auch der Goldschmied Drossel befand sich im Raum.
"Da nun alle hier sind", begann der Püschologe seine Erklärung, "zur Information: der Erpresser hat sich erneut gemeldet. Ein Mann hat vor kurzem einen neuen Brief abgegeben, den Skilla uns gebracht hat. Valdimier hat sich an den Mann drangehängt. Wir wissen also hoffentlich bald, wo er sich versteckt hält und vielleicht sogar die Geisel."
"Dann ist es also nicht Hübsch gewesen", zog Sidney den Schluss, der allen durch den Kopf gegangen war.
"Oder er hatte einen Komplizen."
"Im Erpresserbrief war aber nur von einem Täter die Rede", wand Ktrask ein.
Araghast zuckte die Schultern. "Das kann eine Finte gewesen sein. Oder er hat die Auslieferung schon vor seinem Tod veranlasst. Wir können nichts mit Sicherheit annehmen."
Nyvania hatte unterdessen die beiden Briefe, die der Püschologe an einem Holzbrett zusammen mit der Ikonographie festgepinnt hatte genauer betrachtet. "Der ist aber anders als der erste Brief", platzte sie plötzlich heraus und wurde dann rot.
"Ähmm. Ja, du hast recht. Da wollte ich gerade drauf zu sprechen kommen."
Alle wandten die Köpfe zu dem Brett um. Deutlich war zu erkennen, das der erste Brief in einer wackligen Handschrift verfasst war, während der zweite, der die Worte "MorGen um Ein UHR KarreN der LinIe ZwEI nehmen. Bei LICHTsignal 10.000 AM-DOLLAR fallenLASSEn. KEIne Wache!!" zeigte, aus einzelnen aus einer Zeitung ausgeschnittenen Buchstaben und Wörtern bestand.
"Ihm ist eingefallen, dass man seine Handschrift erkennen kann?", mutmaßte Laiza Harmonie.
Die halbe Wasserspeierin nickte. "Aber das ist nicht der einzige Unterschied. Der zweite Schreiber hat weniger Schwierigkeiten mit der Otto... Orrot... Rechtschreibung."
Kanndra runzelte die Stirn. "Also langsam geht mir dieser Fall auf die Nerven. Nichts passt zusammen."
"Bekommen Sie das Geld bis morgen zusammen, Herr Drossel?", fragte Venezia.
Salvias Vater räusperte sich. "Es wird nicht ganz einfach werden. Ich werde einige der teureren Stücke noch heute Juwelieren anbieten, wenn es sein muss auch unter Wert. Und ein wenig habe ich noch auf der Bank."
"Da gibt es wohl noch ein Problem", Magane verschränkte die Arme. "Wie soll man so viel Geld problemlos aus einer Kutsche werfen?"
Während die FROGs weiter diskutierten, trat Valdimier van Varwald ein.
"Tut mir leid, die Spur ist kalt", berichtete er. "Der Mann war von einem Kurierdienst und die Leute dort konnten mir nur sagen, dass die Zustellung von einer Frau, die sich "Elsa Meier" nannte, in Auftrag gegeben wurde. Sie hat bar bezahlt und keine Adresse angegeben."
"Elsa Meier, na klar. Der Name ist mit Sicherheit falsch." Zaddam Boschnigg rekelte sich müde auf seinem Stuhl. Er hatte die Nachtschicht geschoben und fand sowieso, dass Vampire tagsüber vom Dienst befreit sein müssten.
"Wie dem auch sei, uns bleibt wohl nichts Anderes über, als bei der Lösegeldübergabe zuzuschlagen. Diese ist der gefährlichste Zeitpunkt für den Täter bei einer Entführung", dozierte der Feldwebel. Er unterbrach sich, als er einen ältlichen Mann in der Tür stehen sah, der sich dezent räusperte. "Ja, bitte?", richtete der Püschologe das Wort an ihn.
"Ich bin Albrecht, der Butler von Herrn Drossel. Entschuldigen Sie die Störung, aber wir haben einen weiteren Erpresserbrief bekommen."
Der flinke Freddy staunte nicht schlecht, als eine junge Frau sich aus dem Ankh schälte und mit einiger Kraftanstrengung über die Reling seines Bootes hievte.
"Du kanntest Valerij Hübsch, nicht wahr?", sprach sie ihn an.
"Kann schon sein. Wer will das wissen? Und was machst du überhaupt im Fluss? Bist du etwa da durch geschwommen?" Der Schmuggler starrte auf die träge Masse, die aufgrund des andauernden Regens allerdings langsam etwas flüssiger wurde.
Agnetha ignorierte die letzten beiden Fragen, zog ihre Dienstmarke und hielt sie dem Seemann hin.
"Was soll das sein?"
"Oh, Entschuldigung", die Gefreite säuberte die Marke vom gröbsten Dreck und zeigte sie noch einmal vor. "Ankh-Morpork-Stadtwache. Ich untersuche den Mord an Valerij Hübsch."
"Was? Der alte Schwerenöter ist tot? Tja, also, Frau Wächterin, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen."
"Meine Quellen sagen aber, du hättest viele Geschäfte mit ihm abgewickelt. Schmuggelgeschäfte."
Freddy setzte eine Miene auf, die er für unschuldig hielt. "Schmuggel? Ich? Aber nie im Leben."
"Ich könnte auch dein Boot durchsuchen lassen. Aber das interessiert mich jetzt weniger. Hatte Hübsch in letzter Zeit Ärger mit jemandem?"
"Naja, nicht wirklich. Hat mich nur gewundert, dass Dana keinen Ärger gemacht hat. Hat sich von der reichen Tussi einfach so Valerij ausspannen lassen. Das sieht ihr eigentlich nicht ähnlich."
Die Ermittlerin hob fragend die Augenbrauen. "Du meinst Dana Stich?" Dana hatte gegenüber Feldwebel Breguyar ausgesagt, dass Salvia und Valerij sich über sie kennen gelernt hatten. So stand es im Vernehmungsprotokoll. Interessant...
Nach ein paar weiteren Fragen kehrte sie ins Wachhaus zurück, wo schon der abschließende Bericht von Jack Narrator auf sie wartete.
Dieser Brief hatte mehr Ähnlichkeit mit dem ersten. Auch er war in unsicherer Handschrift in Großbuchstaben geschrieben. Ihm lag ein ungewöhnlich geformter Ring aus Silber bei, den Levan Drossel als den seiner Tochter identifizierte. Er hatte ihn ihr selbst angefertigt und er war ein Unikat. Diesmal wurde ein Säckchen mit lupenreinen Diamanten gefordert. Der Goldschmied sollte es ebenfalls morgen um eins auf dem Hier-gibt’s-alles-Platz am Obststand von Nadja Apfelgrün unter den Orangen deponieren.
"Scheint so, als wäre der erste Schreiber ein Trittbrettfahrer. Aber woher hat er von der Entführung gewusst?" Magane kratzte sich ratlos am Kopf.
Araghast seufzte. "Das ist jetzt erst mal zweitrangig. Wir haben viel Arbeit vor uns, wenn wir zwei Lösegeldübergaben überwachen wollen."
Die Vorbereitungen der Freiwilligen Retter ohne Gnade für den nächsten Tag, der wahrscheinlich der wichtigste für diesen Fall werden würde, dauerten noch lange. Und die ganze Zeit über fiel der Regen auf die Strassen der Zwillingsstadt...
########### Bis auf die eine lose Schraube schien der Mistkerl alles gut vorbereitet zu haben. Die Ketten waren neu und ansonsten gut befestigt.
Als das Wasser zu steigen begann, hatte Salvia erneut um Hilfe geschrieen, bis sie heiser war. Auch diesmal ohne Erfolg. Inzwischen war sie davon überzeugt, dass der Entführer nicht wiederkommen würde. Wahrscheinlich hatte er längst bekommen, was er wollte und war über alle Berge. Ihr Vater würde jeden Preis zahlen, egal was der Unbekannte auch verlangt hatte, das wusste sie.
Das eiskalte Wasser stand ihr im Stehen schon bis zur Hüfte und wollte nicht aufhören zu steigen. Unaufhörlich plätscherte es von oben herab. Wahrscheinlich würde sie entweder erfrieren oder ertrinken, wenn nicht bald Hilfe kam.
"Wenigstens werde ich nicht verdursten" , dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor. Wenn sie nur nicht immer so müde wäre...
########### **Mittwoch: Bis zum Hals** Er hatte sich in seine Werkstatt zurückgezogen, um sich durch Arbeit abzulenken. Trotzdem schweiften seine Gedanken immer wieder zu seiner Tochter und dem, was heute Mittag auf ihn wartete, während seine Hände sich mechanisch beschäftigten. Sein Blick streifte die beiden Lösegeldpäckchen, die neben ihm auf der Werkbank lagen. Das eine war nur ein kleines Säckchen aus schwarzem Samt, enthielt aber Diamanten im Wert seines ganzen Hauses. Das andere bestand aus einer Holzkiste, gefüllt mit ungefähr zweitausend Dollar in großen Goldmünzen und einigen nicht so wertvollen Schmuckstücken. Die Kiste steckte in einem robusten Lederbeutel und war mit Stroh gepolstert, damit sie beim Aufprall keinen Schaden nahm. Levan hoffte, dass die Wächter mit ihrer Vermutung recht hatten und der "Karren-Erpresser", wie sie ihn getauft hatten, wirklich nur irgendwie von der Entführung erfahren hatte und nun seinen Nutzen daraus ziehen wollte. Andernfalls brachten sie Salvia sicher in Gefahr, wenn er merkte, dass seine Forderungen nicht erfüllt wurden. Aber ihr Ring hatte dem anderen Brief beigelegen, dem des "Obst-Erpressers". Der Goldschmied merkte, dass sich seine Gedanken im Kreis bewegten, aber er war nicht in der Lage, daraus auszubrechen.
"Meister, da will Sie jemand sprechen."
Norbert, sein Gehilfe, wurde von einer jungen Frau begleitet, die aussah, als hätte sie ein Bad im Fluss genommen.
"Was ist denn mit Ihnen passiert? Kann ich Ihnen helfen?"
"Das hoffe ich", antwortete sie. "Mein Name ist Agnetha vom Ankh. Ich untersuche den Mord an Valerij Hübsch."
Bei dem Namen verdunkelte sich die Miene Drossels. "Er wird von einem seiner Schmugglerkumpanen umgebracht worden sein. So dunkle Geschäfte zahlt man irgendwann mit seinem Leben. Und ich bete zu allen Göttern, er war nicht der Einzige, der weiß, wo sich meine Tochter zur Zeit befindet."
Die Flussgöttin unterdrückte ein hoheitsvolles Lächeln. Musste ja nicht jeder wissen, was sie war. "Kannten Sie das Boot von Herrn Hübsch? Die 'Käthe'?"
"Nun, kennen ist zuviel gesagt. Ich wusste, dass er eins besitzt, ja."
Die Ermittlerin nickte. "Sie wussten von den illegalen Aktivitäten des Toten. Woher? Und weshalb haben Sie ihn nicht angezeigt?"
"Ich habe einige Erkundigungen angestellt, als Salvia ihn als Verlobten präsentierte. Nun, meine Quellen waren nicht ganz vertrauenswürdig und meine Tochter liebte ihn."
"Als sie entführt wurde, hatten Sie sofort ihren Verlobten im Verdacht, nicht wahr? Waren Sie nicht wütend auf ihn?" Agnetha kratzte sich am Kopf. Kleine Flecken begannen sich um ihre Füße herum zu bilden.
Der schlanke Goldschmied musterte die Wächterin ernst. "Schon. Ein wenig, ja. Aber in erster Linie hatte ich... habe ich Angst. Angst, dass ich etwas verliere, das mir mehr bedeutet als alles andere in der Welt. Ich war nicht auf diesem Boot. Fragen Sie ihre Kollegen da draußen, sie haben mein Haus die ganze Zeit beobachtet. Und nun müssen Sie mich entschuldigen, ich muss einem Erpresser sein Lösegeld bringen."
"Natürlich. Nur eine Frage noch..."
Die Personen auf der Ladefläche des Karrens der Gilde für Günstigen Öffentlichen Verkehr saßen zusammengekauert und versuchten sich so gut wie möglich vor dem Regen zu schützen, der nun schon seit zwei Tagen und Nächten stetig auf die Stadt herabfiel. Zum Glück war das Gefährt noch nicht so überfüllt, wie es oft vorkam, denn sie waren gerade erst von der ersten Station losgefahren und so hatte jeder Platz sich auf ein Fleckchen Ladefläche zu hocken. Unter den Passagieren befanden sich auch Mindorah Giandorrh und Kanndra, die allerdings die Erscheinung des Goldschmieds vorspiegelte. Sie wollten den Täter nicht misstrauisch machen, auch wenn es sich vermutlich nur um einen Trittbrettfahrer handelte. Die Späherin umklammerte die Kiste mit dem Lösegeld auf ihrem Schoss und betrachtete die Umgebung genau, um das Signal nicht zu verpassen. Über ihnen flog Zaddam Boschnigg, vor kurzem von einem längeren Aufenthalt aus Überwald zurückgekehrt. Das Warten hatte begonnen.
Der Hier-gibt’s-alles-Platz war trotz des Wetters voller Leute. Händler priesen lautstark ihre Waren an und potentielle Käufer schlenderten von Stand zu Stand oder verhandelten mit Bauchladenträgern über die Preise. In einer Ecke wurde ein dicklicher Mann gerade von zwei Mitgliedern der Diebesgilde ausgeraubt, eine ältere Dame schüttelte drohend den Schirm gegen ein paar Kinder, die wild über den Platz tobten und über alles erhob sich der Ruf, der fast allen Stadtbewohnern kalte Schauer über den Rücken jagte: "Wüüürstchen... fast friiiische Wüürstchen! So billig, damit treibe ich mich selbst in den Ruin!" Alles in allem also ein normaler Tag in Ankh-Morpork. Doch heute hatten sich Valdimier van Varwald, Max R. Schreckt und Sidney unter die Menge gemischt. Skilla versuchte, als Aushilfe am Stand direkt neben dem von Apfelgrün nicht allzu viel falsch zu machen und gleichzeitig den Obststand im Auge zu behalten, für alle Fälle hatte Magane auf dem Dach eines Gebäudes die Armbrust einsatzbereit und Nyvania beobachtete alles von einem anderen Dach.
Die Schläge der verschiedenen Glocken waren gerade erst verklungen und der echte Levan Drossel näherte sich dem Stand von Nadja Apfelgrün, die alle Hände voll zu tun hatte, um ihre Kundschaft zufrieden zu stellen. Nervös blickte er sich um, hob dann zwei Orangen hoch und schob mit der anderen Hand ein kleines, schwarzes Samtsäckchen tief unter die Früchte. Danach platzierte er die beiden Orangen wieder an die selbe Stelle, blickte sich noch einmal um und schlenderte in die entgegengesetzte Richtung davon. Das Warten hatte begonnen.
Sie passierten bereits den Apothekergarten und es hatte sich immer noch nichts ereignet. Kanndra begann sich zu fragen, ob sie etwa das Signal übersehen hatte, doch auch Mindorah starrte noch immer in den Regen, während sie abwesend ihre Lieblingstaube streichelte, die zum Dank leise gurrte. Der Karren war inzwischen voller geworden und die Meisten mussten nun stehen. Neben der Halbdämonin schneuzte sich ein junger Mann geräuschvoll die Nase und zwei Zombiefrauen unterhielten sich über die Zipperlein, die sie vor ihrem Ableben geplagt hatten. Eine alte Frau nahm mit ihrem riesigen Einkaufskorb zwei Plätze ein und warf denjenigen, die einen Sitzplatz behaupteten, giftige Blicke zu.
Max trug, wie seine Kollegen, Zivilkleidung. In seinem Fall bedeutete das einen Mantel mit hohem Kragen und tiefen Taschen, in denen er seine Krallen verbergen konnte und einen Hut. Leider gab es, da die Sonne nicht durch die Wolken drang, keine Schatten auf dem Platz, die er zum Verbergen hätte nutzen können. Also lungerte er in einem halbdunklen Hauseingang herum, in der Hoffnung nicht zu sehr aufzufallen. Der Eingang bot ihm jedoch noch einen weiteren Vorteil: Von hier aus konnte er sowohl den Marktstand als auch seine Kollegen sehen. Zwar trennte ihn der halbe Platz von Beidem, aber er hatte ja auch noch einen weiteren Sinn, über den die Anderen nicht verfügten. Und nun meldete sich dieser zu Wort und das sehr heftig. Der Späher ahnte auch schon, von wem die Angst ausging, die er spürte. Es war bestimmt dieser Junge, der an dem Obststand stand...
...den sie beobachteten.
"Was hast du denn da, Kleiner?"
Große Augen blickten den Schwarzen Mann erschrocken an, der so unerwartet hinter dem Jungen aufgetaucht war, während flinke Finger etwas hinter dem Rücken versteckten.
"Nnn..nichts. Dddas geht Sie gar nichts an!"
"Kann ich mal sehen?" Der Obergefreite versuchte, möglichst freundlich und beruhigend zu klingen. In Wirklichkeit hatte seine Stimme die Wirkung von Stahl auf einer Schiefertafel auf das Kind. Seine ausgestreckte Klaue machte es auch nicht besser. Der eben noch gezeigte Trotz schmolz dahin.
"Aaaber tttun Sie mir nichts, ja?"
Langsam streckte der vermeintliche Junge, der sich bei näherem Hinsehen jedoch als Mädchen entpuppte, eine zitternde Hand aus, die eine Banane hielt.
"Du hast sie gestohlen, nicht wahr?"
"Hhhabe kein Geld und Huhu... Hunger!" Der kleine Körper begann, unter lautlosen Tränen zu erschauern.
"Schon gut, nimm sie mit." Max zwinkerte dem Mädchen zu, was sie noch einmal erschauern ließ. Dann rannte sie so schnell davon, wie ihre Beine sie trugen.
Der Schwarze Mann seufzte, bezahlte die Banane bei Nadja Apfelgrün und begab sich zurück auf seinen Posten.
Als sich zu ihrer Rechten eine große, grüne Fläche auszubreiten begann, stach Kanndra plötzlich ein Lichtreflex ins Auge. Er wiederholte sich noch zweimal in kurzen Abständen. Das musste das Signal sein! Der Chief-Korporal schleuderte das Päckchen in Richtung Hide-Park und nickte Mindorah zu, die leise flüsterte: "Es geht los!"
"Dann wirf mich endlich, worauf wartest du?", kam es gedämpft zurück.
In diesem Moment rief einer der Karrenpassagiere mit durchdringender Stimme: "Faahkartenkontrrolle. Ihre Faaahscheine bitte!" und baute sich direkt vor Kanndra-Levan auf. Während sie innerlich fluchend nach dem Stück Papier kramte, das der Fahrer ihr ausgestellt hatte, holte die andere FROG-Wächterin aus und warf Venezia ebenfalls in Richtung Park. Dann ergriff sie den Rand des Karrens, um abzuspringen. Der Kontrolleur hatte das aus den Augenwinkeln gesehen, boxte rücksichtslos einige Passagiere zur Seite und erwischte die Kommunikationsexpertin an der Jacke. "Hier geblieben! Ihr glaubt wohl, dass ihr damit durch kommt, aber..."
Die Ablenkung hatte nun die Späherin ihrerseits genutzt und sich vom Karren fallen lassen. Das würde ihr zwar einige blaue Flecke einbringen, aber was tat man nicht alles für seinen Beruf. Hinter ihr hörte sie noch die empörte Stimme des Gildenangestellten leiser werden: "Noch so einer! Teure Kleidung, aber schwarzfahren!"
"Du hast mir genau zwei Cent zu wenig zurückgegeben!"
Der steht schon seit zwei Minuten vor den Orangen "Hallo? Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede, junge Frau!"
Der Mann am Stand nebenan drehte sich ein wenig zur Seite und Skilla konnte nun erkennen, dass er bereits einige Früchte auf die Seite gestapelt hatte und ein so ein Loch dazwischen entstanden war. Die Frau vor ihr lief langsam rot an, so dass die Leichte Armbrustschützin mit einer Hand nach der Kasse tastete, während sie es nicht wagte, den Blick vom Nachbarstand abzuwenden.
Ich glaube, er hat es... ja! "Wie lange soll ich denn jetzt noch auf mein Wechselgeld warten? Zwei Cent!", trötete die Frau, von der es Skilla nicht gewundert hätte, wenn sie mit Frau Willichnicht verwandt gewesen wäre. Der blonde, grobschlächtig wirkende Mann drehte sich um, schaute der Wächterin direkt in die Augen und verschwand dann geschickt in der Menge.
Verdammt! Er hat es gemerkt... "Tut mir leid, ich habe zuhause etwas vergessen. Das muss ich schnell holen", sagte sie laut und vernehmlich zu dem Standbesitzer, das vereinbarte Zeichen für ihre Kollegen, dass sie den Täter gesehen hatte und die Verfolgung aufnahm. Zum Glück hatte Valdimier wohl ebenfalls gesehen, was los war und bereits reagiert.
"Moment, junge Frau. Ich bekomme immer noch zwei Cent! Bleib gefälligst stehen!"
Die Voodoo-Priesterin im Dienst der Wache erreichte die Stelle, wo das Geld gelandet sein musste und zwang sich dazu, ruhig daran vorbei zu gehen. Unauffällig musterte sie das Gras und entdeckte die Abdrücke, die es hinterlassen hatte. Dann sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung zwischen den nahen Bäumen und eine Stimme aus einem Busch flüsterte ihr laut zu: "Nimm mich auf die Schulter. Der Typ ist da rüber gelaufen."
Kanndra streckte den Arm aus und ließ ihre Schäffin auf ihrer Schulter Platz nehmen, schlenderte in den Schutz des kleinen Wäldchens hinein und beschleunigte ihre Schritte dann. In fünfzig Meter Entfernung nahm sie eine dunkle Gestalt wahr, der sie folgte. Ihr Atem klang ihr in den Ohren, Blätter raschelten und kleine Zweige knickten unter ihren Schritten. Plötzlich war die Gestalt verschwunden. "Siehst du ihn noch?", keuchte die Späherin.
"Nein, nichts. Verdammt!"
Kanndra trabte bis zu der Stelle, an der sie die Person zuletzt gesehen hatte, und schaute sich um. "Da lang", entschied sie dann. Genauere Untersuchung des Waldbodens hatte Fußspuren und geknickte Zweige in nur einer Richtung ergeben. Der Täter war abgebogen. Nach ein paar weiteren Schritten war der Wald zuende. Die beiden Wächterinnen standen am Rand des Parks, vor ihnen erhob sich der alte Galgen, dahinter der lag der Ankh und die Ankh-Brücke, die geradewegs in die Schatten hinein führte.
"Wo bleiben eigentlich die anderen beiden?", knurrte Venezia.
Sie trafen sie an der Stelle der Lösegeldübergabe.
"Tut mir leid, dieser dämliche Fahrkartenkontrolleur hat mich so lange aufgehalten. Ich konnte erst an der nächsten Haltestelle aussteigen." Mindorah fragte sich, wie man wegen ein paar lausiger Cent so einen Aufstand machen konnte.
Der Vampir zuckte die Schultern. "Und ich habe euch verloren, als ihr in den Wald gerannt seid. Die Bäume haben mir die Sicht genommen."
Nyvania sah Bewegung in ihre Kollegen kommen. Einen Moment lang beobachtete sie das Geschehen, um zu sehen, welche Person sie verfolgten. Als sie den Platz verließen, konnte ihn auch die Wasserspeierin ausmachen. Er kam direkt unter ihrem Posten vorbei und während Magane bereits ihre Armbrust wieder verstaute, wechselte die Püschologin auf das nächste Dach hinüber. Aus einer kleinen Gasse heraus sah sie eine Fledermaus aufsteigen und Sidney war dem blonden Mann direkt auf den Fersen, während Skilla und Max sich zurückhielten. Der Erpresser schien nervös zu sein, er blickte sich immer mal wieder um und plötzlich fing er an zu rennen. Fluchend beschleunigten auch die Wächter unten auf der Straße ihren Schritt. So sollte es eigentlich nicht laufen! Nyvania setzte zu einem Sprung an, überwand mühelos den kleinen Spalt zwischen den Dächern und balancierte geschickt weiter. Nun war es eindeutig, dass der Täter gemerkt hatte, dass er verfolgt wurde. Er begann Haken zu schlagen und versuchte die Wächter abzuhängen. Diese hatten jede Unauffälligkeit aufgegeben und rannten ihm hinterher. Valdimier überholte den Blonden, landete und verwandelte sich blitzschnell in seine menschliche Gestalt. Ebenso schnell hatte er die Armbrust zur Hand. "Stehen bleiben! Ich verhafte sie im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork!", schallte es durch die Strasse. Der Mann blickte sich wild nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch Sidney hatte ihn bereits erreicht und zusammen hatten die Leichten Armbrustschützen keine Schwierigkeiten mehr, ihn festzunehmen.
########### Irgendwie musste sie sich wach halten, obwohl es ihr schon schwer fiel, auch nur über ihre trockenen Lippen zu lecken. Ihre Beine spürte sie schon lange nicht mehr, die Kälte war bis auf ihre Knochen durchgedrungen und hatte sie gefühllos gemacht. Trotzdem... sie durfte nicht... nicht nachgeben. Sie durfte sich nicht der gnädigen Schwärze überlassen, die sie heimzusuchen drohte. Sie musste... musste kämpfen... kämpfen, ja.
########### Ein keckerndes Lachen hallte durch das Labor im Keller von Professor Schwertfleck. Roger, der orange Dämon hatte sich mal wieder befreien können.
"Gib das sofort wieder her," schimpfte Laiza. Gerade hatte sie mit besonderer Vorsicht das kleine Häufchen Dreck auf einer Glasplatte arrangiert und dann begonnen, nach dem Vergrößerungsglas zu kramen, als er sich ihr Studienobjekt geschnappt hatte und nun damit durch den Raum tobte.
"Das ist ein wichtiges Beweismittel! Wenn ich dich erwische...", drohte die GiGa, was den Dämonen natürlich nicht besonders beeindruckte.
Statt dessen streckte er ihr die Zunge raus und schob sich anschließend das ganze Zeug in den Mund. Was folgte, war interessant zu beobachten. Der kleine Dieb wechselte rasant die Gesichtsfarbe, von orange auf grün, auf blau
[5], schließlich auf lila. In hohem Bogen spuckte Roger es wieder aus. "Was war das denn für ein Zeug? Schmeckt ja ekelhaft."
"Das versuche ich ja gerade herauszufinden, du Quälgeist. Geschieht dir ganz recht", belehrte die Obergefreite den hustenden Dämon, während sie den jetzt feuchten Klumpen von der Wand kratzte. Der Geruch der Probe hatte ihr schon einen ersten Hinweis gegeben, den sie nun überprüfen wollte. Zu diesem Zweck teilte sie einen kleinen Teil ab und löste sie in Wasser. Dann warf sie einen Cent hinein. Mit dem Vergrößerungsglas schaute die Gift- und Gasexpertin anschließend den Rest des Drecks genauer an. Dabei fielen ihr Spuren von leuchtendem Material auf. Wenn es pflanzlichen Ursprungs war, konnte das eigentlich nur eins bedeuten... Behutsam versuchte sie es zu isolieren. Dieses verlangte höchste Konzentration und die Obergefreite vertiefte sich völlig darin.
"Du und deine achtbeinige Freundin könnten echt im Zirkus auftreten. Schwer zu sagen, wer die behaarteren Beine hat." Roger stand auf ihrem rechten Fuß und grinste sie unverschämt an. Laiza wurde sich plötzlich bewusst, dass sie einen Rock trug und errötete leicht.
"Jetzt reicht es mir aber, du Ausgeburt der Hölle!" Sie holte aus und schleuderte den Dämon mit dem Fuß in eine Zimmerecke. Praktischerweise befand sich dort eins der stabilen Netze von Madame Cornelia. Endlich konnte sie in Ruhe weiterarbeiten. Sie fischte die Überreste des Cents aus dem Glas und war sich jetzt sicher, dass der Dreck zumindest teilweise aus Ankhschlamm bestand. Dann widmete sie sich wieder dem leuchtenden Teil.
"Ihr wolltet wohl, dass ich euch zu der hübschen Salvia führe, wie? Da hättet ihr lange drauf warten können. Die kriegt keiner mehr zu Gesicht." Nur widerwillig hatte Moritz Breitlich seinen Namen und seine Adresse angegeben und auch sonst verhielt er sich nicht besonders kooperativ.
"Was soll das heißen? Hast du sie bereits umgebracht?" Araghast Breguyar schnitt eine finstere Miene.
"Ich sag jetzt gar nichts mehr. Versucht doch, sie zu finden, Wächter."
"Das werden wir auch, du Wicht. Darauf kannst du dich verlassen!" Sidney packte den blonden Mann am Kragen und wuchtete ihn gegen die Wand. "Und wenn ich persönlich dafür sorgen muss, das du redest."
"Sid", fuhr mahnend die Stimme des Feldwebels dazwischen. "Noch nicht", beendete er grinsend den Satz.
Nach einem kurzen Klopfen an die Tür betrat Kanndra den Verhörraum und raunte Bregs zu: "Kann ich dich kurz sprechen?"
"Was gibt’s denn? Habt ihr was rausgefunden?", fragte dieser, als sie den Raum verlassen hatten.
"Allerdings. Laiza hat die getrocknete Substanz an seinen Schuhen identifizieren können. Sie ist sich ziemlich sicher, dass sie aus der Kanalisation stammt. Und Max und ich haben in seiner Wohnung Boxpokale gefunden. Er ist Mitglied im Haudrauf-Boxverein. Der hat sein Clubhaus in der Zimperlichgasse. Und das hier", die Späherin hielt einen Zettel hoch, auf dem eine krakelige Zeichnung von sich kreuzenden Gängen unter einem Haus zu sehen war. Das Haus war mit einem B beschriftet und an einer Stelle in dem Gängelabyrinth prangte ein großes X.
"Gut. Sidney und ich werden versuchen, ihn weiter weich zu kochen", der Püschologe zeigte mit dem Daumen über die Schulter und verzog dabei das Gesicht. "Nimm du Zaddam und Ktrask mit und schaut euch da mal um."
"Moritz? Jo, der boxt bei uns, wieso?" Der zwergische Boxtrainer mit dem strähnigen Haar und der äußerst unreinen Haut musterte die drei FROG-Wächter mit zusammengekniffenen Augen.
"Hat er vor Kurzem eine Frau mitgebracht?", fragte Zaddam betont lässig.
"Ne, Schnecken kommen mir hier nich rein. Lenkt die Kerle nur ab, ihr versteht", antwortete der Zwerg mit einem Augenzwinkern in Richtung Kanndra, die das ignorierte.
"Wann haben Sie ihn denn zum letzten Mal gesehen?"
"Vor ner Woche ungefähr... Komisch, sons kommt er jeden Tach. Hat ja auch sons nich viel zu tun, der arme Junge, seit sein Vadder..."
"Gibt es hier in der Nähe einen Zugang zur Kanalisation?", unterbrach die Späherin den Monolog des Trainers.
"Hmm, Keine Ahnung. Wat wollt ihr denn da?"
"Wir können uns doch mal hier umsehen?"
"Klar, wenn ihr nix kaputtmacht. Aber viel gibt’s da eh nich zum Kaputtmachen", der Zwerg stieß ein meckerndes Lachen aus.
"Ja, ich kenne ihn", Levan Drossel nickte bekümmert, als er aus dem Verhörraum hinaustrat. "Er ist der Sohn eines ehemaligen Angestellten von mir."
Araghast hielt dem Goldschmied die Tür zu seinem Büro auf deutete auf den Stuhl, der für Besucher vorgesehen war. Der blonde Mann setzte sich.
"Ehemaliger Angestellter?", hakte der Feldwebel nach, als er sich ebenfalls niederließ.
"Ja, ich musste ihn leider entlassen. Er hat gestohlen. Nicht viel, so dass es mir zuerst gar nicht auffiel. Leider tat er es immer wieder und als ich es herausfand, konnte ich Dietrich natürlich nicht weiter beschäftigen. Aber das ist schon ein Jahr her."
Schließlich fanden sie den Zugang zur Kanalisation im Keller unter dem Keller. Ein Loch war in die Mauer hinter ein paar ausrangierten Sandsäcken geschlagen worden, dahinter stand eine wackelige Leiter in den zweiten Keller hinunter. Dort erkannten sie im Licht der mitgebrachten Fackel nur Spinnweben, Ratten und ein weiteres Loch.
"Ich glaube, das ist es", raunte die Späherin ihren Kollegen zu.
"Das werden wir dann sehen", gab der Hauptfeldwebel zurück. Mühelos hob er die Leiter an und schob sie durch die Öffnung. Dann kletterten sie nacheinander hinunter. Unten landeten sie in Wasser, das ihnen bis zu den Waden, bzw. Kanndra bis zu den Knien stand. Aber wenigstens war der Gang breit und hoch genug, so dass sie bequem nebeneinander gehen konnten. Ktrask zog die Nase kraus und sah sich angeekelt um, während die anderen beiden versuchten, den Weg von der Zeichnung aus Breitlichs Wohnung abzulesen. Das Wasser schien mit jedem Schritt zu steigen. Laut hallte das Platschen ihrer Füße von den Wänden wieder, als sie sich langsam weitertasteten.
"Jetzt noch einmal rechts und dann müssten wir fast... Bei Offler!" Kanndra war eine unvermutete Stufe hinuntergestolpert und stand nun schon in brusthohem Wasser, gespeist von dem Gang, den sie benutzt hatten und einem weiteren Zufluss links von ihnen. Zum Glück war die Fackel dabei nicht ausgegangen und so nahmen sie in dem flackernden Licht einen sich bewegenden Schatten wahr. Ein leises Stöhnen, von den Wänden verstärkt, ließ sie ihre Anstrengung verdoppeln. Ktrask stürzte sich sofort in die Fluten und begann, auf die Gestalt zu zukraulen. Nach kurzer Strecke wurde er allerdings von dem Vampir überholt. Der Chief-Korporal ließ den Herren den Vortritt, zumal sie merkte, das der Pegel immer höher stieg. Die blonde Frau, die sie jetzt erkennen konnte, konnte mit Mühe ihren Kopf über Wasser halten. "...angekettet", flüsterte sie Zaddam heiser zu, der sie als erster erreicht hatte. Dieser fackelte nicht lange und tauchte neben der Geisel unter. Der Gefreite folgte seinem Beispiel und einige Sekunden vergingen, ehe er prustend zurück an die Oberfläche kam. Er holte kurz Luft und tauchte erneut unter.
"Halten Sie durch. Wir holen Sie hier heraus", bemühte sich Kanndra unterdessen Salvia zu beruhigen und auch, sie wach zu halten, denn die Erschöpfung war ihr deutlich anzusehen. Es platschte einmal, als die beiden FROGs die Kette mit einem Ruck aus der Wand zogen. Die Tochter des Goldschmieds sackte in sich zusammen und wurde von ihren Rettern schwimmend in Sicherheit gebracht.
"Am besten wir bringen sie gleich in die Krösselstraße zu Rogi", war das Letzte, was Salvia hörte, bevor sie endlich in Ohnmacht fallen konnte.
** Donnerstag: Kalte Rache, heiße Wut** "Vergiftet? Dann ist er gar nicht erschlagen worden? Aber woher hatte er dann die Wunde?"
Kanndra hatte die Nachricht, die die Ermittlerin ihr gestern hinterlassen hatte, erst heute morgen gefunden und war daraufhin gleich zu RUM geeilt, um sich genauer zu erkundigen.
Agnetha vom Ankh grinste die Späherin gutgelaunt an. "Ich war mit Charlie Holm noch mal am... Fundort, muss ich jetzt wohl sagen. Und taddaaa...", die Geringe Göttin hielt einen kleinen, silbernen Schlüssel in die Höhe. "Er war in einen Spalt zwischen den Bodendielen gerutscht. Auf einer Ecke der Schranktür haben wir Blutspritzer entdeckt. Es stammt vom Opfer."
Die FROG nickte langsam. "Er hat also den Schrank geöffnet und war dabei, die Lebensmittel hineinzupacken, als ihm wahrscheinlich schlecht wurde."
"Ja, Hautdichum, so heißt das verwendete Gift, löst Übelkeit in Verbindung mit Lähmungserscheinungen aus. Vermutlich wollte er in sein Bett, als er einfach hinten rüber gekippt ist..."
"...und sich den Schädel an der Schranktür eingeschlagen hat?"
"Die Wunde war nicht tödlich. Es war das Gift, was ihn umgebracht hat. Aber so ungefähr stelle ich es mir auch vor."
"Und durch die Schiffsbewegungen ist die Schranktür anschließend zugefallen und der Schlüssel aus dem Schloss zwischen die Dielen verschwunden." Kanndra grinste. Sie war erleichtert, dass sie doch keinen Mörder "übersehen" hatte. Die letzten beiden Tage hatte sie schon ernstlich an sich zu zweifeln begonnen. "Dann brauchst du ja nur noch herauszufinden, wer ihm das Gift verabreicht hat."
"Der Gerichtsmediziner schreibt, es wirkt innerhalb von zwei Stunden, also..."
"... muss es während meiner Observation passiert sein. Wenn es kein Selbstmord war."
"Das ist unwahrscheinlich. In seiner Wohnung gab es kein Gift, auch nicht auf dem Schiff. Und warum sollte er dann noch Lebensmittel einkaufen?"
"Du hast recht." Die Halbdämonin seufzte. Also war es quasi doch vor ihren Augen passiert. Sie überlegte. "Ich habe nicht gesehen, dass er irgendwo etwas gegessen oder getrunken hat. Nur bei dem Schuster war er länger."
"Genau. Und nun rate mal, wessen Großvater er ist." Ein Grinsen stahl sich in das Gesicht der Ermittlerin und Kanndra erkannte, dass sie den Fall schon gelöst hatte.
Sie grinste zurück. "Sag du es mir."
"Dana Stich." Agnetha betonte den Namen besonders und ließ dann eine effektvolle Pause eintreten, bevor sie fortfuhr: "Sie ist bei ihm aufgewachsen. Inzwischen hat sie zwar eine eigene Wohnung, aber sie besucht ihn noch regelmäßig. Außerdem traf sie sich dort immer mit Valerij Hübsch. Der alte Herr hatte natürlich keine Ahnung von den kriminellen Aktivitäten seiner Enkelin."
"Kriminelle Aktivitäten?" Die Späherin war beeindruckt von der Fülle der Information, die die Gefreite in der Kürze der Zeit sammeln konnte. Sie würde einmal eine sehr fähige Ermittlerin abgeben, das stand fest.
"Schmuggel und Betrugsdelikte. Valerij und sie waren so etwas wie Partner darin."
"Hast du sie schon festgenommen?"
Agnetha schüttelte den Kopf. "Sie hatte die Gelegenheit, aber das Motiv ist noch nicht ganz klar und ob sie die Mittel hatte, kann ich auch noch nicht beweisen. Allerdings habe ich da schon einen Plan. Er besteht aus zwei Teilen." Wieder grinste sie, diesmal eher schelmisch.
Schnell ließ der Halbvampir die verräterische rote Flüssigkeit in einer Schublade verschwinden, als es an die Tür klopfte.
"Ach du bist es", sagte er erleichtert, als Valdimier das Büro betrat. "Auch einen Schluck?"
Der Leichte Armbrustschütze entblößte sein Gebiss mit einem Lächeln. "Da sage ich doch nicht nein. Aus Olivanders Igordrom?"
Dem Nicken folgte ein genüssliches Schweigen, dann fragte der Leichte Armbrustschütze: "Warum hat dieser Moritz eigentlich so lange gewartet, bis er zugeschlagen hat?"
"Sein Vater hat sich vor drei Monaten umgebracht. Er hat keine Arbeit mehr gefunden und hatte jede Menge Schulden. Breitlich hat Drossel dafür die Schuld gegeben. Er hatte nie die Absicht, Salvia da unten wieder raus zu holen. Die Diamanten waren sozusagen nur das Sahnehäubchen."
"Na gut, aber das sind immer noch drei Monate. Warum nicht gleich?"
Der Püschologe beobachtete einen Blutstropfen, der am Glas langsam in Richtung "Das Gasthaus am Ankh" und den darunter liegenden, halb fertigen Bericht über das Verhör des Erpressers herunter lief. Im letzten Moment fing er ihn mit dem Finger auf. "Er hat alles akribisch durchgeplant. Sogar das Haus hat er beobachtet und die Gewohnheiten studiert. Weißt du, was er gesagt hat? 'Rache genießt man am besten kalt.' "
Die beiden FROGs tauschten einen Blick, der so viel sagte wie "Diese Typen sind am schlimmsten". Dann grinste der Vampir plötzlich. "Ich bin froh, dass ich nicht schon wieder in die Kanalisation musste. Die arme Kanny. Sie muss sich da ja schon fast heimisch fühlen", scherzte er.
"Der Kerl hatte aber auch ein unverschämtes Glück. Hat sich ausgerechnet, dass er so nah am Fluss irgendwann auf die Kanalisation stoßen würde, hat ein Loch in die Mauer geschlagen und... Treffer!" Araghast schüttelte den Kopf. Da war die Lady wohl mal wieder besonders großzügig gewesen.
"Ich habe doch bereits alles gesagt. Was wollen Sie denn jetzt noch?"
Agnetha vom Ankh schob Dana Stich bestimmt, aber freundlich in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Das diese dabei einen kleinen Spalt offen blieb, merkte die Schmugglerin nicht.
"Es sind noch ein paar Fragen aufgetaucht. Woher kannten Sie zum Beispiel Salvia Drossel?"
"Wir haben früher in derselben Strasse gewohnt. Haben Sie sie denn immer noch nicht gefunden?"
Die Stimmen drangen gedämpft aus dem Zimmer, an dem Kanndra vorbeischlich. Wo würde sie Blumensamen verstecken, fragte sie sich. Unter
anderen Blumensamen, gab sie sich selbst die Antwort. Die Sache mit dem Wald und den Bäumen. Und wo bewahrte man so etwas in einer Zwei-Zimmer-Wohnung auf? Sie beschloss, es mit der Küche zu versuchen. Töpfe, Gläser, Teller... nein, nicht im Schrank... unter der Spüle! Ein Sack mit Kartoffeln... Da, eine Kiste! Oh...
Die Späherin konnte keine Blumensamen irgendeiner Art finden. Gerade wollte sie sich das Bad vornehmen, da fiel es ihr ein. Plötzlich war sie sich ganz sicher, wo die Samen waren. Leider würde ihnen das nicht viel nützen. Dafür steckte sie einen Mörser ein, den sie auf einem Regal fand. Vielleicht würde der den Zweck erfüllen.
Nun zum zweiten Teil. Die Halbdämonin holte einmal tief Luft und betrat das Zimmer, in dem die Ermittlerin Dana befragte. Hinter deren Rücken schüttelte sie den Kopf, dann räusperte sie sich einmal laut. Stich drehte sich um und erbleichte. "Valerij, wie... Das ist unmöglich!", rief sie aus.
"Was ist unmöglich, Frau Stich?", hakte die Geringe Göttin nach, während Kanndra die Arme unterschlug und ein Grinsen aufgesetzte.
"Sie haben mir doch gesagt, er sei tot!" Die Augen der brünetten Frau huschten vom Einen zum Anderen. "Schon gut, das war ein Trick, ja? Es hat nicht richtig gewirkt, oder? Verdammt!"
"Ein Trick, sehr richtig." Die Gefreite lächelte Dana an. "Sie geben also zu, Valerij Hübsch vergiftet zu haben?"
"Was blieb mir denn anderes übrig!" Die Schmugglerin blitzte Kanndra hasserfüllt an. "Er hat mich hintergangen. Erst überredet er mich, das Spiel mitzuspielen, anzusehen, wie er mit Salvia... und dann entführt er sie! Ohne mich! Und streitet es dann auch noch ab! Er wollte das ganze Geld für sich allein behalten. Aber ich habe ja schon lange gewusst, dass er mich betrügt. Immer wieder hatte er ein anderes Flittchen!"
"Wo sind die Bitterschön-Samen, aus denen Sie das Gift hergestellt haben?", fragte Agnetha ungerührt.
"Eingesät, was denken Sie denn?" Dana wischte sich mit einem Taschentuch ein paar Tränen aus den braunen Augen und schaute dann entgeistert die dunkelhäutige Frau an, die statt ihres ehemaligen Verlobten dort stand. Diese streckte ihr eine Holzkiste entgegen. "Und als Sie ihren Partner aus dem Weg geräumt hatten, haben Sie beschlossen, das Geld anstelle von ihm zu kassieren, richtig? Sie haben Glück, dass Valerij nicht der wirkliche Entführer war, sonst käme auch noch versuchter Mord hinzu. An der Frau, die Sie ihre Freundin nannten."
ENDE
[1] nach: Dashiell Hammett: Hinterlist im Zickzack
[2] s. Multimission "Flusswespen"
[3] Kanndra musste sich stark konzentrieren, um den typischen Seemannsgang einigermaßen hinzubekommen
[4] s. SM "Die 101. Verschwörung" von Araghast Breguyar
[5] wobei er Laiza kurzzeitig an Rib erinnerte
Zählt als Patch-Mission.
Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster
und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.