Eine seltsame Bruderschaft wird plötzlich den Wächtern bekannt, als ein Mitglied austreten will und bereits ein Kind verloren hat, weil es gegen die Regeln verstoßen hat. Jetzt muss Hatscha diesen Fall klären und wird plötzlich selbst Objekt einer Verfolgung wegen Regelverstößen.
Dafür vergebene Note: 11
VorwortDiese Geschichte ist leichter zu verstehen, wenn man ihre Hintergründe kennt. Einer dieser Hintergründe ist die Single "Melas – Schwarz", ein anderer wird die noch nicht erschienene Geschichte "Melaina – Die Schwarze" sein. Eine kurze Zusammenfassung beider Missionen ist
hier zu finden. Ich wäre euch dankbar, wenn ihr euch das erst einmal durchlest. Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, die Geschichte um Melaina auszuformulieren, so dass ihr vorerst mit den Angaben, die auf dem Link zu finden sind, zurecht kommen müsst. Jetzt aber zur Geschichte selbst.
Der Tag vor der GeschichteEin kleiner Raum, kaum Einrichtungsgegenstände waren zu sehen. Nur ein kleiner Tisch für zwei, allenfalls drei Personen stand in einer Ecke, eine mitgenommene Matratze lag in einer anderen. Zwei vereinzelte Kerzen brannten auf dem Tisch. Auf dem Stuhl davor saß eine männliche Gestalt fremden Aussehens und schaute aus dem Fenster, das sich in der Wand über dem Tisch befand. Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers war eine Tür, welche gerade geöffnet wurde. Der Mann drehte sich um und empfing die Gestalt, die hereinkam, mit einem Lächeln.
"Schön, dass du wieder zu Hause bist, Hatscha", sagte er zur Begrüßung. Er nahm die Frau in die Arme. Auch Hatscha lächelte.
"Ich freue mich auch", antwortete sie, befreite sich aber gleichzeitig aus seiner Umarmung. Etwas ernster blickte sie ihn an und fuhr dann fort, "aber ich muss dir etwas mitteilen." Sie setzte sich auf den anderen Stuhl, der gerade am Tisch stand und stützte ihr Kinn auf ihre Hände. Sie ließ ihr Gegenüber nicht aus den Augen.
"Was denn?", fragte dieser gespannt. Auch sein Blick wandte sich nicht von ihr ab.
Die Wächterin druckste etwas herum, dann endlich sagte sie es ihm. "Melas, ich bin schwanger..." Sie wurde immer leiser, nahm seine Hand in die ihre.
Der andere war sichtlich überrascht, vielleicht sogar etwas entsetzt? "Hoffentlich wissen sie es noch nicht", murmelte er.
"Wer?"
"Egal, nicht so wichtig... Wie sollten sie auch..." Er nahm sie wieder in den Arm und küsste sie. Doch auch dieses Mal befreite sie sich wieder.
"Tut mir leid, aber ich hab noch was zu erledigen. Eca hat da so einen Fall, dem ich auf den Grund gehen soll." Traurig sah sie ihn an, verabschiedete sich noch und verließ dann das Zimmer. Melas blickte ihr hinterher und starrte dann wieder aus dem Fenster.
Schwanger... Das war gar nicht gut, wenn sie das erfahren würden... Er schüttelte den Kopf. Nicht jetzt. Er musste zu seiner Schwester.
Im
Boucherie Rouge angekommen, suchte Hatscha erstmal ihr Büro auf. Nein, Eca hatte noch keine Nachricht hinterlassen, also würde es noch nicht so dringend sein. Dennoch machte sie sich erstmal auf den Weg zum Büro des Spießes.
"Herein", ertönte eine Stimme aus dem Zimmerinneren, wohl die von Eca, nachdem Hatscha angeklopft hatte. "Ach, du bist es."
"Ja. Ich wollte fragen, um was es jetzt ging, was du vorhin mal angesprochen hattest."
"Moment." Sie kramte kurz in dem Chaos auf ihrem Schreibtisch herum und fand schließlich, was sie suchte. Sie zerrte einen Zettel hervor und blickte dann zu der Hauptgefreiten auf. "Also, folgendes. Ich bräuchte Informationen über eine Bruderschaft, die bisher noch unbekannt war. Ich wäre dir dankbar, wenn du ihre Ziele in Erfahrung bringen könntest – und natürlich auch alles andere, was dir wichtig erscheint."
"In Ordnung", erwiderte Hatscha. "Wo finde ich diese Bruderschaft? Weißt du bisschen was über sie?" Sie zog ihren Notizblock hervor und fischte aus einer ihrer vielen Taschen einen Stift.
"Nun, viel weiß ich nicht. Aufgeflogen ist sie nur, weil ein Mitglied ziemlichen Ärger bekommen hatte, als es ausgetreten ist."
"Warum?"
"Sie ist ausgetreten, weil sie ein uneheliches Kind trug. Mittlerweile nicht mehr. Das hat diese Bruderschaft erreicht. Natürlich können wir das nicht dulden und die Frau hat ihren Fall auch sogleich der Wache gemeldet."
"Was ist daran so schlimm, wenn eine Frau schwanger ist, selbst wenn sie nicht verheiratet ist?"
"Für diese Bruderschaft ist das ein regelrechter
Sündenfall", erklärte Eca.
Hatscha kritzelte fleißig mit. Die Vorgesetzte nannte ihr noch das Oberhaupt und den Sitz der Bruderschaft, dann entließ sie die Hauptgefreite.
Kurz vor der Tür stoppte diese. "Ist es schlimm, wenn ich mich erst morgen um den Fall kümmere? Es ist schon spät heute und ich hab Melas versprochen..."
Eca grinste. "Ist schon ok, so schnell wird sich diese Bruderschaft wohl nicht auflösen."
Hatscha verließ daraufhin endgültig das Büro.
Gut, dass ich kein Mitglied dieser Bruderschaft bin, dachte sie und fasste sich auf den Bauch. Auch ihr Kind war unehelich. Sie hatte Melas nie geheiratet – so lange kannte sie ihn noch gar nicht.
Melas hatte währenddessen schon seine Schwester gefunden.
"Was gibt es denn?", fragte Melaina neugierig, als sie sah, wie fertig ihr Bruder aussah.
"Hatscha... sie ist... sie ist das, was sie nicht sein darf... jetzt noch nicht..."
Melaina schaute ihn verwirrt an. "Willst du sagen, sie ist schwanger?" Melas nickte nur. "Oh je, Kinder, was habt ihr angestellt?" Sie lief ein wenig im Raum auf und ab und dachte nach. "Wissen sie es schon?"
"Ich kann nur hoffen, dass nicht", antwortete Melas und blickte sie unsicher an. "Verdammt, sie dürfen es nicht wissen, niemals!"
Melaina versuchte ihn zu beruhigen. "Woher sollen sie es denn wissen, wenn du es auch erst eben erfahren hast?"
"Wer weiß, vielleicht belauschen sie uns gerade." Er sah sich hektisch um. Doch es war nichts und niemand zu sehen.
"Komm mal her und beruhig dich. Wird schon gut gehen." Melaina lächelte ihm aufmunternd zu und nahm ihn dann erstmal in die Arme.
Dann ließ sie ihn wieder aus und setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl. Sie redeten noch eine Weile und schließlich verließ Melas das Heim seiner Schwester einige Stunden später mit einem wesentlich besseren Gefühl. Endlich konnte er sich ein wenig über die Nachricht freuen. Er ging nach Hause.
Langsam zog die Nacht über Ankh-Morpork herein, das Dämmerlicht in den Straßen wurde dichter und schließlich ganz undurchsichtig.
Finster war auch die Staubgasse, durch die gerade eine einsame Hatscha al Nasa ging. Vor einer Tür eines Wohnblocks blieb sie stehen, schloss auf und ging den Gang entlang zu einem bestimmten Eingang, an dem sie sich wieder zu schaffen machte. Endlich hatte sie ihre Wohnung erreicht. Im kleinen Vorraum hängte sie ihren Mantel an die Garderobe und trat dann in das Wohnzimmer. Melas war noch nicht zu Hause, musste sie betrübt feststellen. Also nahm sie aus ihrer Tasche die Ankh-Morpork-Times, die sie sich unterwegs noch gekauft hatte, und fing an, zu lesen.
Wenig später raschelte es draußen, die Tür klapperte und Melas betrat das Zimmer. Hatscha sah von ihrer Lektüre auf. "Da bist du ja wieder. Wo warst du?"
"Bei meiner Schwester", sagte der Achatener und blickte sie entschuldigend an. Sie nickte und ging in die Küche.
"Ich habe noch nichts gekocht. Magst du überhaupt etwas?", fragte sie.
"Nein, lass mal."
Das Geklapper von Geschirr hörte auf. Müde kam Hatscha aus dem Nebenraum wieder zurück. "Ich glaub, ich leg mich jetzt hin..." sagte sie und setzte diesen Beschluss auch sogleich in die Tat um. Melas nickte nur. Wenig später würde er sich zu ihr liegen, da war sie sich sicher. Ziemlich bald war sie eingeschlafen.
Gram und Stolz und Zuversicht, wie bitter doch die Liebe istAm nächsten Morgen erwachte Hatscha in Melas' Armen. Sie lauschte. Irgendwas hatte sie geweckt, aber sie kam nicht drauf, was es war. Draußen hörte man irgendeine Turmuhr schlagen. Doch das hatte sie nicht geweckt.
Gähnend schlug der andere die Augen auf, als sich die Wächterin aufsetzte. "Guten Morgen", begrüßte sie ihn und küsste ihn kurz. Er zog sie wieder zu sich herunter.
"Bleib doch noch bisschen liegen. So spät kann es noch nicht sein", meinte er. Hatscha ließ es geschehen und legte sich wieder zu ihm. Schweigend ließ sie ihre Gedanken schweifen. Sie dachte an ihre Schwangerschaft. So früh schon...
"Ich liebe dich", flüsterte Melas neben ihr und riss sie damit aus den Gedanken.
"Für immer?", fragte sie.
"Für immer."
"Sag das nicht."
Überrascht sah er sie an. "Warum nicht?"
"Weil du es nicht weißt." Nachdenklich sah sie ihn an.
"Doch. Om hat es mir verraten."
Plötzlich vernahmen sie Schritte, die durch das Haus zu stürmen schienen. Panisch sah Hatscha sich um. "Was war das?"
"Das sind sie", murmelte Melas und konnte ein Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken.
"Wer?"
Melas schüttelte den Kopf, dann sprang er auf. "Schnell, mach dich fertig, wir müssen weg von hier!" Sie ließ sich das nicht zweimal sagen und lief Richtung Fenster.
Jemand klopfte an der Tür, dann hörte die Wächterin sie bersten. "MELAS!", schrie sie.
"Lauf!", rief er ihr hinter ihr her.
"Stell dich mit dem Gesicht zur Wand und nimm die Hände über den Kopf!", befahl jemand von der Tür aus. Hatscha beachtete ihn nicht. Sie kletterte geschickt aus dem Fenster und lief. Kurz sah sie sich noch um und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass Melas noch da war.
Nun geht ein Narr auf seine ReiseGemeinsam liefen sie durch die Straßen der großen Stadt, verfolgt von den Fremden. Nicht nur einmal fragte sich Hatscha, wer ihre Verfolger waren, was sie wollten.
Es dauerte nicht lang, da verlor sie Melas aus den Augen. Er muss irgendwo anders abgebogen sein als sie, hoffte die Wächterin. Sie durften ihn nicht erwischt haben!
Panisch irrte Hatscha durch die Gassen. Sie wusste längst nicht mehr, wo sie war, aber ein Blick in die Umgebung überzeugte sie zu ihrer Erleichterung, dass sie nicht blindlings in die Schatten gelaufen war.
In der nächsten Gasse suchte sie sich ein Versteck. So nah waren ihre Verfolger zum Glück noch nicht gekommen. Sie musste sich beherrschen nicht zu laut und zu stark zu atmen, als sie an ihr vorbeiliefen, schwer bewaffnet, wie sie waren.
Langsam, mit zitternden Knien stand sie auf. Sie waren weg. Aber wie lange? Vorsichtig ging sie aus der Gasse, bereit, jeden Moment hinter einen Haufen Unrat zu springen, der in Straße zu Genüge zu finden war.
"Hey da, hey, hey du, bleib stehn!" Hatscha drehte sich um. Eine bekannte Stimme hatte da gesprochen. Melaina trat aus einem Schatten heraus. Sie lächelte. Unglaublich erleichtert, die Freundin zu sehen, umarmte die Wächterin die andere.
"Was machst du hier?"
"Ich habe mir gedacht, ich könnte dir etwas helfen."
"Woher weißt du davon?"
"Weil ich selbst dieser Bruderschaft angehöre. Aber jetzt, beeile dich! Sie sind dir dicht auf den Fersen!"
"Aber warum? Ich verstehe das immer noch nicht so ganz..."
"Du bist ein Narr, geh auf die Reise! Vergiss den Sinn und den Verstand. Und hast du Ohren, hörst du zu: Ich kenn den Weg zurück zu ihm, denn... all das Leid hab ich nur durch dich gespürt, all die Liebe war vergebens, als hätte das Meer sie weggespült. Ich schwöre dir, Zeit meines Lebens werde ich stets dein Schatten sein. Es tut mir so Leid..."
Verwirrt sah Hatscha Melaina an, dann lief sie weiter.
"Kurz noch was", rief die andere ihr hinterher. Hatscha wartete. "Siehst du einen Weg nach unten, springst du besser hinein, denn dieser Weg kann das letzte Tor zum Überleben sein." Dann überließ sie die Wächterin ihrem Schicksal und verschmolz wieder mit dem Schatten.
Während sie lief, zerbrach die Hauptgefreite sich den Kopf darüber, was die Freundin gemeint haben könnte. Dann kam sie darauf. Sie musste einen Weg in das Tunnelsystem unter Ankh-Morpork gemeint haben. Klar. Dort konnte sie die Verfolger bestimmt abhängen. Aber wo fand sie solch einen Zugang?
Den Blick starr auf den Boden vor ihr gerichtet, in der Hoffnung, das Gesuchte zu finden, lief Hatscha weiter. Plötzlich gab der Boden unter ihren Füßen nach. Schreiend fiel sie in ein tiefes Loch. Sie schlug um sich, konnte aber nirgends Halt finden. Hart schlug sie am Boden des Schachtes auf. Es war stockfinster um sie herum, keine Chance, sich orientieren zu können. Wo war sie? Sie könnte doch nicht etwa... nein, diesen Gedanken wollte sie nicht weiterverfolgen, er wäre zu verführerisch gewesen. Und wenn sie doch durch Zufall einen Zugang gefunden hatte? Sie kramte in ihren Taschen herum. Endlich fand sie, was sie gesucht hatte – eine Kerze. Oder besser gesagt die Überreste davon. Wenn sie jetzt noch irgendwo Streichhölzer fand... mit einem "HA!" beendete sie ihre Suche. Schon bald konnte sie ihre Umgebung erkennen. Sie sah Wände. Und ein schwarzes Loch vor und hinter ihr. Das musste ein Weg sein. Ohne groß nachzudenken marschierte sie in eine Richtung los und hoffte, irgendwann wieder Ankh-Morpork von oben sehen zu können.
"Im Tempel – Dies ist Feigheit"Auch Melas war noch auf der Flucht, doch er hatte die anderen schon bald fast abgehängt. Manchmal war es eben doch nütze, mit Schatten verschmelzen, aus dem Nichts auftauchen und plötzlich wieder verschwinden zu können. Mittlerweile war die Bruderschaft schon ziemlich verwirrt und hatte sich verloren. Nur wenige waren noch hinter Melas her. Und auch diese nicht mehr in Sichtabstand. Beinahe schon gemächlich bog er um eine Ecke und machte dort erstmal Pause. Dann bemerkte er etwas am Boden. Er bückte sich und hob es auf. Ein Keks lag in seiner Hand. Also war Melaina hier gewesen, schloss er. Vielleicht war sie sogar noch in der Nähe. Er drehte sich einmal um die Achse und ließ seinen Blick über die Häuser schweifen. Nein, seine Schwester konnte er nicht ausfindig machen – aber auch keine anderen Leute. Er war allein. So langsam begann er sich zu fragen, wo er war. Er ging ein bisschen in der Straße umher, dann war er sich sicher. Er war in den Schatten gelandet. Eigentlich hätte er jetzt erschrocken sein müssen – jederzeit konnte jemand ihn angreifen. Aber doch war er ruhig. Er war ein Assassine – die waren selbst in den Schatten gefürchtet und hatten dort gute Überlebenschancen, im Gegensatz zu ihren Opfern.
Also ging er die Straße weiter.
Plötzlich wurde er angesprochen. "Hallo Melas."
Vor ihm stand der Oberpriester des Blinden Io, Hughnon Ridcully. "Was... wer bist du?", fragte Melas verwirrt. Der Priester stellte sich vor. "Komm mit mir, ich muss mit dir reden."
"Was willst du? Du solltest wissen, dass ich kein Anhänger von Io bin."
"Das tut nichts zur Sache. Du wirst in den nächsten Monaten ein Kind bekommen, besser gesagt, deine Freundin Hatscha al Nasa." Er führte Melas Richtung Tempel des Blinden Io.
"Woher weißt denn
du davon?"
"Das geht dich nichts an. Jedenfalls wird dieses Kind etwas Besonderes. Wir sind berufen von Io, dieses Kind zu ihm zu bringen. Es kann ein Märtyrer oder mehr für die Scheibenwelt werden!"
Melas schaute verdutzt. Wieso waren plötzlich alle hinter seinem Kind her? Und was sollte diese
Berufungskommission des Oberpriesters? Das ergab doch keinen Sinn. "Aber warum? Warum ausgerechnet mein Kind?"
"Ich habe dich getroffen, damit du diese Entscheidung für dein Kind triffst. Um den Pfad für dich zu zweigen, der sich schmaler vor dir windet, seit die Bruderschaft hinter dir her ist."
"Du willst mir die Wahrheit zeigen, dass in meinem Kind mehr stecken soll als es den Anschein hat?"
"Dass sein Mund das Wort verkündet, ja."
"Und was hat das mit mir zu tun? Welchen Entschluss willst du von mir erzwingen, welche Entscheidung erringen?"
"Ich werde es dir von Anfang an erklären, Melas. Siehe", er zeigte auf ein Abbild des Blinden Io. "Dies ist Macht, die Macht des größten Gottes auf der Scheibenwelt. Und er mag es gar nicht, wenn man ihm nicht gehorcht. Sei gewarnt, lenke seinen Zorn nicht auf dich und dein Kind!"
Melas schwieg dazu nur. Er dachte nach. Was wollte dieser verrückte Ridcully von ihm? Er sah sich in dem prachtvollen Tempel um und ließ dann wieder seinen Blick auf dem Priester verweilen.
"Du bist der, der du bei aller Liebe niemals hättest sein dürfen, du bist der, durch den die Hoffnung stirbt, wenn du so weiter machst!" Mit einem flehenden Blick sprach Hughnon diese Worte zu Melas. Er schien ihn wirklich zu brauchen, wirklich daran zu glauben.
"Das ist Feigheit, Hughnon. Feigheit wird durch Angst genährt, durch Augen, die vor Wahrheit fliehen. Denn wer ihr den Rücken kehrt, säht Tod und Einsamkeit. Und die Wahrheit ist, dass mein Kind nichts Besonderes ist!"
"Verwehrst du uns das Eine, verwehrst du es allen."
"Ich verleugne seine Macht, ich verleugne seine Gabe. Und ich will, dass du den
Albtraum in mir ein für alle Male stillst, lass mich gehen!"
"Wie du willst." Damit entließ ihn der Oberpriester.
Melas rannte regelrecht aus dem Tempel. Er mochte keine Priester.
Draußen auf dem Platz blieb er stehen. Wohin sollte er sich wenden? War Hatscha entkommen? Er musste ihr bei ihrer Flucht helfen! Aber wo konnte sie sein? War sie zur Wache gekommen um Hilfe zu holen? Er konnte es nur hoffen. Sofort lief er zum Pseudopolis-Platz ins Hauptwachhaus.
Scherben bringen GlückEr konnte natürlich nicht wissen, dass gerade in diesem Moment unter ihm eine ziemlich verdreckte Wächterin durch das unterirdische Tunnelsystem ohne System irrte. Mittlerweile war der Wächterin klar, dass sie sich verirrt hatte. Sie konnte nur noch hoffen, irgendwann einen Ausgang zu finden.
Fluchend stolperte sie weiter durch die Dunkelheit. Mittlerweile war sie vollkommen durchnässt, denn es war nicht gerade trocken in diesen Gängen. Außerdem stank es erbärmlich. Trotz ihres Schnupfens bemerkte sie diesen penetranten Geruch. Luft. Sie brauchte frische Luft.
Ihre Kerze war auch längst schon aufgebraucht. Völlig finster war es um sie herum. Dann endlich sah sie so etwas wie einen Lichtschimmer, wenn ihr ihre Augen nichts vorspielten. Sie lief so schnell sie konnte auf das Leuchten zu, und schließlich bemerkte sie ein handgroßes Loch in der Decke etwa zwei Meter über ihr. Dort musste also die Oberfläche sein. Ein Ausgang. Aber wie kam sie dort oben hin? An Klettern war nicht zu denken, die Wände um sie waren so glitschig, als hätte sie soeben jemand mit Seife eingerieben und dann Wasser drüber geschüttet. Also begann sie, den Unrat, der überall in diesen verlassenen Gängen zu finden war, zusammenzutragen und so einen Aufstieg zu errichten.
Als der Haufen endlich hoch genug war, bestieg sie mit zittrigen Knien den wackligen Turm. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die Decke und hatte Glück. Nach einiger Anstrengung gab das Material nach und bröselte nach unten. Endlich hatte sie das Loch so vergrößert, dass sie sich hindurchziehen konnte. Sie war im Freien. Doch wo?
Sie blickte sich um. Etliche Menschen waren hier unterwegs, hielten jedoch einen gehörigen Abstand von ihr. Sie musste widerlich stinken. Ein Blick an ihr herunter bestätigte das, was sie sich vorgestellt hatte. Ihre Kleidung war total ruiniert, doch das störte sie jetzt wenig. Sie wusste immer noch nicht, wo sie war. Dann bemerkte sie ein Gebäude, dass ihr sehr vertraut vorkam und ging auf es zu. Nun, von dieser Seite konnte sie recht wenig damit anfangen, also suchte sie sich eine Straße auf dem Platz, auf dem sie herausgekommen war, und erkannte sie, dass das Haus das
Boucherie Rouge war. Voller Erleichterung marschierte sie erstmal in ihr Büro, um sich umzuziehen und zu Waschen. Schließlich hatte sie dort oben ein Waschbecken und Ersatzkleidung, für Fälle wie diesen. Nur dauerte es etwas, bis sie den 2. Stock erreichte. Immer wieder wurde sie von ihren Kollegen aufgehalten. "Wo warst
du denn?" "Was hast du denn angestellt?" "Warum stinkst du so?" und so weiter.
Dann, etwa eine halbe Stunde später, wagte sie sich wieder aus der Wackel-Wippe und schlug den Weg zu Robins Büro ein. Zumindest wollte sie dorthin, jedoch lief sie Vico über den Weg, den sie mit ihrer plötzlichen Anwesenheit ziemlich erschreckte. In der einen Hand hielt er eben noch ein Glas mit einer seltsamen Flüssigkeit darin – mittlerweile befand sich diese am Boden verteilt zwischen kleinen, spitzen Scherben.
"Oh, tut mir leid, Vico!", entschuldigte sie sich sogleich.
"Kein Problem, ist nicht schlimm. Scherben bringen Glück, weißt du doch. Aber wie
riechst du denn?" Er rümpfte die Nase. "Wann hast du zum letzten Mal gebadet?"
"Soeben, Vico. Ich habe eine kleine Verfolgungsjagd durch das alte Ankh-Morpork hinter mir."
"Oh", machte der andere und spielte mit seinen Haaren herum. Erst jetzt bemerkte Hatscha, dass er in der anderen Hand auch etwas hielt.
"Was ist das?", fragte sie neugierig.
"Och, öhm..." Der Gefreite wurde verlegen. "Das ist eine
Rückenhaarnadel. Ich hab da so ein kleines Problem... bei dem ich Hilfe bräuchte... könntest du vielleicht...?" Er wurde immer leiser, von Wort zu Wort.
Hatscha wich erschrocken einen Schritt zurück und musste niesen. "Äh, nein, tut mir leid. Ich hab noch was zu tun. Aber... naja, vielleicht findest du ja wen, der dir helfen kann?", sagte sie hastig und eilte davon.
Endlich erreichte sie das Büro des Abteilungsleiters. Nach einem Klopfen wurde sie geheißen, einzutreten. Sie leistete dem Befehl Folge und salutierte.
"Ah, hallo Gefreite. Was gibt es denn?"
"Sag mal... hast du schon Informationen über diese Bruderschaft, die ich auskundschaften soll? Es könnte mir sehr hilfreich sein. Hat Eca vielleicht schon etwas herausgefunden?" Hoffnungsvoll schaute sie ihren Vorgesetzten an.
"Hm, nein, bisher nicht, leider. Aber ich hoffe, du bist an dem Fall?"
"Ja, sicher, ich habe auch eine kleine Spur. Die Sache ist nur die..." Sie erklärte dem ehemaligen Arzt, was am Morgen vorgefallen war. Von der Verfolgungsjagd, von Melas, von der Schwangerschaft.
Als sie geendet hatte, nickte Robin ernst. "Ich werde schauen, was sich machen lässt. Dir wird geholfen und der ganzen Sache wird auf den Grund gegangen."
"Vielen Dank!", erwiderte die Hauptgefreite erleichtert.
"Bitte, gern geschehen. Aber, ich will dich ja nicht verunsichern, doch dies hier haben wir heute von einem Informanten aus der Assassinengilde bekommen." Er reichte ihr einen verschmierten Zettel, der jedoch noch recht frisch aussah.
Auftrag zur Inhumierung von Frau Sündig
In Auftrag gegeben von Bruderschaft der Aufrichtigen
Ausgeführt von
Ausgestellt am 12. Gruni
Erforderte Fähigkeiten: keine BesohnderenHatscha las den Zettel aufmerksam. "Wer ist Frau Sündig?"
"Das ist anscheinend die Frau, der es geht wie dir. Zumindest laut Ecas Bericht. Nun ja, ich hoffe, du wirst mit Hilfe der anderen diesen Todesfall verhindern können."
"Ich werde mein Bestes tun. Dann gehe ich einmal davon aus, dass die Auftraggeber die Bruderschaft sind, mit der ich es sowieso zu tun habe?"
"Genau so ist es."
"Gut. Wer – Hatschie – wird mir zur Seite stehen?"
"Ecatherina soll die Informationen sammeln und verarbeiten. Du kümmerst dich um die Bruderschaft selbst und einer der anderen Huskys soll als Assassine den Auftrag übernehmen. Sollte es zu spät dafür sein, soll er versuchen zu verhindern, dass Frau Sündig zu schaden kommt."
"Klingt gut. Danke nochmals für deine Hilfe. Ich werde mich dann mit Eca in Verbindung setzen und ihr mitteilen, was ich weiß."
"Tu das. Und pass auf dich auf!" Sie konnte die Sorge aus seiner Stimme richtig heraushören. Die Hauptgefreite nickte nur und verließ das Büro.
Ich habe dich am Fluss gefundenMelas war immer noch auf dem Weg zum Wachhaus. Allerdings wollte er sich seine noch vorhandene Kraft ein wenig aufsparen, daher ging er mittlerweile etwas gemächlicher. Er bog in eine Gasse ganz in der Nähe des Pseudopolis-Platzes ein und marschierte weiter. Weit und breit war nichts mehr von der Bruderschaft zu sehen. Er hatte sie also wirklich abhängt.
Bald würde er das Wachhaus erreichen. Doch was sollte er dort machen? Anzeige erstatten? Gegen was? Wie? Er kannte sich herzlich wenig mit dem Beruf seiner Freundin aus, wurde ihm plötzlich bewusst. Grübelnd ging er weiter.
Die Lösung seines Problems wurde ihm durch einen schweren, harten und gut geführten Schlag mit einem Stock abgenommen, der wie aus dem Nichts auf einmal hinter der nächsten Häuserecke hervorkam. Zwei Gestalten kamen hinter der Waffe hervor und überzeugten sich davon, dass Melas auch ja bewusstlos war. Dann hoben sie ihn auf und trugen ihn aus der Gasse heraus Richtung Ankh.
Etwas später erwachte Melas dort wieder, mit einem Zettel auf der Brust. Es war eine Quittung der Diebesgilde, die ihn soeben ausgeraubt hatte. Da ist man einmal in den Gedanken wo anders..., dachte er sich. Er rieb sich mit der Hand über die bereits wachsende Beule auf seinem Kopf, als er plötzlich Stimmen vernahm.
"Das ist er doch! Los, zu ihm!"
"Bist du dir ganz sicher?"
"Ja!"
"Aber... wenn er doch nicht..."
"Er ist es, da bin ich mir sicher, so wie ich Balthasar heiße!"
"Na gut, wenn du meinst..."
Schritte näherten sich. Melas stellte sich wieder bewusstlos, vielleicht war ihnen nicht aufgefallen, dass er sich bewegt hatte.
Eine Hand berührte ihn. "Hey, er scheint noch bewusstlos zu sein. Die beiden Diebe scheinen gute Arbeit geleistet zu haben, auch wenn sie nichts davon wissen", flüsterte der eine, der anscheinend nicht Balthasar hieß.
"Ja. Aber sei möglichst still jetzt, sonst weckst du ihn vielleicht auf. Und jetzt, vorsichtig, wir bringen ihn in unser Quartier."
Jetzt wurde der Assassine abermals hochgehoben und fortgebracht. Wenig später wurde er etwas unsanft abgesetzt. Er verzerrte sein Gesicht. Zu spät fiel ihm auf, dass er ja eigentlich bewusstlos spielte. Na gut, dann eben anders. Benommen hob er den Kopf und sah sich um. Es kam ihm alles sehr bekannt vor. Er war hier schon einmal. Und dann war es ihm klar. Die beiden, die ihn weggeschleppt haben, waren Balthasar, der Vorstand der Bruderschaft, und Michael, sein Begleiter und Vertrauter. Jetzt hatten sie ihn also doch erwischt... Sie fesselten ihn an eine Art Bett oder Bahre.
"Ich habe dich am Fluss gefunden", sagte Balthasar, als er merkte, dass seine Beute erwacht war. "Es scheint so, als hättest du das Alleinsein satt gehabt." Melas schwieg dazu nur. Er wusste genau, worauf der andere anspielte.
"Wer war das damals, vor einiger Zeit? Er hat sehr überzeugt die Meinung vertreten 'Komm tritt herein, komm, tritt doch ein!'" Michael lachte leise vor sich hin.
"Ja, ich bereue meine Fehler von damals", erwiderte der Gefangene.
"Und du weißt, was dieser angebliche Fehler bedeutet? Der einzige Fehler, den du gemacht hast, war der, weswegen du jetzt hier bist. Die Folgen kennst du. Noch heute Nacht wirst du vor dem Altar stehen."
"Nein. Ich habe meine Gründe dafür, genauso, wie Hatscha sie hat. Nein. Noch nicht."
"Willkommen in der Bruderschaft der Aufrichtigen. Du kannst nicht anders."
"Komm, tritt doch ein...", spottete Michael weiter im Hintergrund.
"In ein Haus eingeschlossen, in Regeln hineingezwängt, die kein Mensch braucht. Ich bleibe nicht. Ich steige aus, aus der Bruderschaft, aus diesem Haus! Mich hält hier nichts."
"Lass es sein, lass es doch sein..." Ein zynischer Unterton hatte sich in die Stimme von Balthasars Begleiter gemischt.
"Glücklich sind die Leute, die dir und deiner Bruderschaft entwischen", zischte Melas.
"Tja, kann man nichts machen. Auf jeden Fall, du kennst die Regeln."
"Gefangen, gefangen als Assassine in einem einfachen Haus." Er seufzte.
"Siehe, das Tor zu den Kerkerdimensionen tut sich für unseren Melas auf." Michaels Stimme war fast nur noch ein Kichern.
"Wir werden auch noch Hatscha bekommen, und dann, dann steht ihr vor dem Altar. So wollen es die Regeln, an die auch du dich halten musst." Der Ton, in dem Balthasar dies sagte, ließ Melas ein wenig erschaudern. "Michael, pass auf unseren Gast auf, ich muss noch etwas erledigen." Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Er machte einen großen Fehler, den Assassinen mit dem anderen allein zu lassen, und dessen war sich auch Melas vollkommen bewusst. Michael dagegen überhaupt nicht. Selbstsicher stolzierte er vor Melas auf und ab. Unauffällig tastete dieser seine Taschen ab, ob die Diebe vielleicht die ein oder andere Waffe für unwichtig erachtet hatten, oder gar übersehen. Er hatte Glück. Nach ein wenig Kramen hielt er ein winziges Messer in der Hand, mit dem er vorsichtig die Seile durchdrängte, mit denen er gefesselt war.
Während er dies tat, betrachtete er seinen Bewacher genauer. Seine Haarpracht auf dem Kopf hatte eher Ähnlichkeit mit einer
Vogelscheuchenperücke, fand er, aber er ließ Michael seinen Geschmack. Die Leute, die dieser Bruderschaft treu ergeben waren, hatten sowieso alle irgendwo einen kleinen Tick. Ansonsten war er eher schmächtig gebaut, hatte einen relativ langen Bart und schmuddelige Klamotten. Nein, kein ernst zu nehmender Gegner, fand Melas. Mit diesem Gedanken sprang er auf, die Seile fielen an seinen Seiten zu Boden. Erschrocken wich Michael einen Schritt zurück.
"Hey, was machst du!" Verwirrung sprach aus seinem Blick Bände. Melas grinste. Balthasars Vertrauter wurde mit der Situation noch weniger fertig als vermutet.
"Nichts. Bleib ganz ruhig. Es hat alles seine Ordnung."
"Aber Balthasar hat gesagt... ich soll doch auf dich aufpassen..."
"Er wird dich nicht mit mir allein lassen, wenn ich mich so einfach befreien kann, oder? Also hat es seine Richtigkeit, dass ich jetzt diese Örtlichkeit verlasse."
"Hm, ja... also..." Melas marschierte weiter Richtung Tür. "Halt! Nein. Ich soll aufpassen, das ist meine Bestimmung, die ich auch ausführen muss!" Michael rannte hinter dem Assassinen her, erreichte ihn jedoch nicht. Eine im rechten Augenblick zugeworfene Tür nahm ihm zu guter Letzt die Besinnung.
Kopfschüttelnd verließ Melas das Gebäude. Ein wenig mehr Verstand hatte er Balthasars Vertrautem doch zugetraut. Und ein wenig mehr Sorgfältigkeit in der Auswahl seiner Vertrauten Balthasar auch.
Jetzt aber endlich zum Wachhaus, dachte er sich und machte sich auf den Weg. Vorsichtiger diesmal, redete er sich ein, immerhin befand er sich gerade allem Anschein nach in den Schatten.
DOG – Zusammenarbeit und Pläne"Hallo Eca", begrüßte Hatscha die Expertin in Sachen Bruderschaften.
"Hallo Hatscha, was gibt's denn diesmal?"
"Nun, wegen der Bruderschaft der Aufrichtigen... ist mittlerweile bekannt, wo sie ihren Hauptsitz haben? Oder hast du inzwischen überhaupt irgendwelche Informationen über sie?"
"Ja, also, die Frau, von der ich dir erzählt habe-"
"-Frau Sündig", ergänzte Hatscha.
"Ja, genau, also, Frau Sündig hat der Wache erzählt, wie wir der Bruderschaft beitreten können, das heißt, wo man sich anmelden kann. Ich gehe einfach einmal davon aus, dass dort auch der Hauptsitz ist."
"Gut möglich, ja. Und wo befindet er sich jetzt?"
Eca gab der Hauptgefreiten die Adresse.
"Vielen Dank, wird mir sehr weiterhelfen. Ich werde einmal schauen, was sich machen lässt."
"Viel Glück. Wenn du noch etwas wissen willst, schick mir eine Taube."
"Ja, werde ich machen. Robin hat dir schon bescheid gesagt, dass du die Informationen sammeln sollst, die die anderen dir bringen?"
"Nein hat er nicht, aber jetzt weiß ich das ja auch."
"Hatschie – ja." Eca lächelte und legte sich ein paar Bögen unbeschriebenes Papier zurecht, um sich Notizen machen zu können.
"So. Und nun erzählst du mir, was du bereits weißt." Und Hatscha begann zu berichten.
Etwa eine Stunde später schloss der Dobermann das Protokoll und entließ den Husky in die Straßen Ankh-Morporks.
"Mist, wenn ich jetzt noch wüsste, wo die Adlergasse ist. Bestimmt irgendwo in den Schatten. Verdammt... können sich diese Bruderschaften denn keinen anderen Stadtteil für ihren Sitz aussuchen?" Hatscha fluchte leise vor sich hin, während sie besagte Straße suchte. Es war schon spät in der Zwillingsstadt geworden. Das bedeutete auch, dass die Schatten noch dunkler waren. Und gefährlicher. Sie zog die Nase hoch. Dann kramte sie nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase. Daraufhin blickte sie an sich herab. Wenigstens damit war sie zufrieden. Erkennen würde sie so niemand, selbst Melas könnte seine Probleme haben. Aber sie durfte ja auch nicht erkannt werden, schließlich kannten die Bruderschaftsmitglieder ihr Aussehen.
Sie trug über den Schultern ein langes
Wolfsfell, ihr Haar war hinten zu einem Knoten zusammen gesteckt. Außerdem trug sie ein Kopftuch darüber. Ihre Hose war bunt, aus einem leichten, weiten Stoff. Auch ihre Schuhe machten einen edlen Eindruck.
Sie war froh, dass Steingesicht noch ein paar Klamotten aus dem Adel da hatte. Sie selbst hätte sich das nicht leisten können. Viel zu teuer. So viel verdiente sie als Wächter nicht.
Da, endlich hatte sie die Adlergasse gefunden. Jetzt noch die richtige Hausnummer... Vor ihr rannte ein schwarzer Schatten über die Straße. Aber es war bereits so dunkel, dass alles aussah, wie ein Schatten. Dennoch, die Art, wie er sich bewegte... Sie schüttelte den Kopf. Nein, bestimmt nicht.
Dann trat sie auf die gesuchte Tür zu und klopfte an. Eine etwas seltsame Person mit eigenartiger Frisur öffnete. "Was willst du?"
"Darf ich Euch verbessern, werter Herr, dass Ihr es mit Madame Elaine aus dem städtischen Adel zu tun habt?"
"Oh, entschuldigt, Madame. Das wusste ich nicht. Darf ich Euch dennoch fragen, was Euch bewegt, Euch in dieser Gegend herumzutreiben und dann ausgerechnet an diese Tür zu klopfen?" Der Türsteher schien nicht gerade geübt in der höfischen Redekunst, bemerkte Hatscha.
"Nun, man sagte mir, dass ich hier eine ganz besondere Bruderschaft finde, mit ganz besonderen Prinzipien."
"Wenn Ihr die Bruderschaft der Aufrichtigen meint, dann seid Ihr hier richtig."
"Ja, genau die meinte ich! Bin ich froh, dass ich hier hin gefunden habe." Theatralisch legte sie sich eine Hand auf ihr Herz.
"Darf ich mich vorstellen? Michael mein Name. Ich werde Euch sogleich hineingeleiten, zu meinem Herrn Balthasar."
"Vielen Dank. Haaatschiee! Oh, Verzeihung. Ich leide derzeit leider an einem schrecklichen Schnupfen. Und das mitten im Sommer. Ist doch unzumutbar, so etwas." Mit spitzen Fingern durchsuchte sie ihre kleine Handtasche und zog ein kleines Tuch aus Stoff hervor. Sie hatte gehört, dass der Adel Taschentücher aus Stoff verwende, weil es vornehmer wäre. Daran hielt sie sich jetzt auch.
"Gesundheit", ergänzte Michael mit einiger Verspätung. Er konnte nicht anders und bewunderte die verdeckte Ermittlerin. Dann wies er auf eine kleine Sitzgruppe und hieß Hatscha, Platz zu nehmen. "Wenn Ihr einen Moment warten könntet, ich hole derweil Balthasar."
"Aber natürlich." Sie setzte sich und schaute dem anderen hinterher, wie er in einem Nebenraum verschwand. Dann stand sie leise auf und lauschte an der Tür dem Gespräch dahinter.
"Nein, Herr, ich konnte wirklich nichts dafür, dass er entkam. Es war bestimmt nicht meine Schuld!"
"Und wessen denn dann? Ich habe dich damit beauftragt, ihn zu bewachen und unter keinen Umständen gehen zu lassen."
"Wenn ich dich korrigieren darf, so hast du das nicht gesagt."
"Ist doch egal, wie ich es gesagt habe. Er ist weg. Dieser Melas war ein wichtiger Gefangener! Sein Vergehen gehört bestraft, so bestimmen es die Regeln."
"Ich werde ihn wieder erwischen, Herr, darauf kannst du dich verlassen."
"Genauso, wie du ihn bewachst? Nein, Michael, verlassen kann ich mich nicht auf dich."
"Ja, Herr. Aber draußen wartet eine Dame, die uns beitreten will."
"Woher weiß sie, wo sie uns findet? Die Bruderschaft ist geheim!"
"Jemand hat es ihr erzählt."
"Junge, bist du so blauäugig? Niemand weiß von der Bruderschaft. Ja, die Times hat berichtet. Das heißt, auch die Wache hat von uns etwas mitgekriegt. Aber diese Stümper kriegen ja eh nichts auf die Reihe. Trotzdem, du solltest vorsichtiger sein. Ich habe dir doch bereits gesagt, dass wir vorerst niemanden mehr aufnehmen! Ich werde mich jetzt um unseren Gast kümmern."Hatscha konnte Schritte hinter der Tür hören. Schnell machte sie kehrt und verließ den Raum wie das Haus, in dem sie sich gerade befand.
Gerade noch geschafft, dachte sie. Balthasar hatte es zustande gebracht, Melas gefangen zu nehmen? Aber er war entkommen, das war wichtiger. Trotzdem, Respekt, den Achatener konnte nicht jeder festhalten. Aber wieso Aufnahmestopp? Haben sie Angst, wirklich erwischt zu werden? Aber bei der Meinung, die er von der Wache hatte, sollte das doch kein Problem sein. Nun, er unterschätzt die Wächter, das war klar. Und das konnte sie ausnutzen.
Schnell machte sie sich auf den Weg zurück ins
Boucherie Rouge, um Eca und Robin bescheid zu geben. Hoffentlich hatte ihr Kollege die Sache mit der Assassinengilde geschafft, sonst könnte es problematisch werden. Aber normalerweise schon.
"Der Auftrag war schon vergeben. Ich hatte Pech", berichtete Patrick Nichts, der anscheinend in der Gilde war.
"Mist. Hast du erfahren können, an wen die Inhumierung ging?", fragte Hatscha.
"Ja. An einen gewissen Melas... Sagt mir gar nichts, der Bursche."
Die Hauptgefreite atmete hörbar auf, als ihr Kollege das sagte. "Macht nichts. Mir sagt er genug. Und auf ihn ist Verlass."
"Na dann", sagte Patrick verlegen.
"Gut, ich glaube, deine Dienste sind erst einmal nicht mehr erforderlich, Patrick", mischte sich schließlich Robin ein.
"Ja, Sir", erwiderte der Husky erleichtert und verließ das Büro.
"Woher weiß Melas von der Inhumierung?", fragte Eca schließlich.
"Frag mich etwas Leichteres. Immerhin war er eben noch Gefangener von Balthasar und Michael. Wie er von dem Auftrag erfahren hat – keine Ahnung. Vielleicht hat sich Melaina einmal wieder eingemischt. Oder aber er hatte es sich gedacht, dass das der nächste Schritt der Bruderschaft sein würde", vermutete Hatscha.
"Und was machen wir nun?"
"Ich würde sagen, wir stellen Balthasar, fordern ihn auf, den Auftrag zurückzunehmen, und zerschlagen damit die Bruderschaft", schlug die Hauptgefreite vor.
"Und wie erfährt Melas davon, dass sein Auftrag nichtig geworden ist?" fragte Robin nach.
"Wie ich ihn kenne, taucht er plötzlich auf und mischt sich ein. Er wird es schon rechtzeitig erfahren. Außerdem hätte er nicht den Auftrag übernommen, wenn er nicht wüsste, dass er die Frau schützen muss. Er führt sonst nur... andere Aufträge aus." Manchmal hatte es doch etwas Gutes, einen Assassinen zum Freund zu haben, dachte sie sich.
"Guter Vorschlag. Dann lasst uns das machen. Wir werden jedoch jemanden brauchen, der mit Waffen umgehen kann. Mückensturm würde sich anbieten. Sagt ihm jemand bescheid? Ansonsten ist natürlich Hatscha dabei, Eca als Expertin auch. Und ich komme ebenfalls mit", bestimmte Robin die Mannschaft.
"Ja, Sir", sagten Hatscha und Eca gleichzeitig.
"Dann lasst uns aufbrechen."
Assassinengilde - Der AuftragsskandalDas Gildengebäude, endlich hatte er es erreicht. Sofort betrat er es und sah sich um. Vor ihm war ein großer Tumult. Was war nur los, dass sich so viele Assassinen um eine Sache drängten? Das musste er sich doch glatt ansehen.
Also ging Melas zu dem Haufen und bemerkte, dass sie sich alle um das Brett mit den Aufträgen drängelten. Ganz oben war ein Auftrag angebracht, der einen sehr niedrigen Schwierigkeitsgrad hatte und doch sehr viel Geld einzubringen versprach. Er sah sich den Namen an, auf den er angesetzt war. Still nickte er. Genau das, was er befürchtet hatte. Balthasar hatte keine Kosten gescheut und versuchte nun mit Gewalt und den Assassinen seinen Willen über Frau Sündig durchzusetzen. Hoffentlich drohte das nicht auch ihm und Hatscha, dachte sich Melas. Dann aber kam ihm ein anderer Gedanke. Wie konnte er an den Auftrag rankommen? Es war sein großes Ziel, Balthasar eins auszuwischen. Und er selbst würde die gute Frau nicht umbringen, da war er sich sicher.
Aus den Augenwinkeln sah er einen anderen Assassinen, der irgendwie... anders aussah. Dann erinnerte er sich. Er hatte den jungen Mann bereits im
Boucherie Rouge gesehen, er war ein Kollege von Hatscha und anscheinend auch ein verdeckter Ermittler. Er lächelte. Die Wache wusste also bescheid. Zumindest Patrick Nichts, erinnerte er sich an seinen Namen. Der Husky selbst kannte ihn allerdings nicht, da war er sich sicher. Also konnte er sich getrost den Auftrag schnappen, ohne Verdacht zu erregen. Die anderen Wächter würden schon verstehen, dass er den Auftrag nicht ausführen würde. 'Also ans Werk', murmelte er.
"Hey, was ist denn das für ein Aufruhr hier?", fragte er plötzlich die Menge. Die anderen drehten sich zu ihm um. "Habt ihr denn keine Aufträge auszuführen? Oder ist plötzlich dieser eine Auftrag hier wichtiger als alle anderen? Und selbst dann müssen ihn nicht an die hundert Assassinen versuchen auszuführen, es reicht, wenn es einer tut. Also, ran an eure eigene Arbeit!" Es war gewagt, den anderen Meuchlern Befehle zu erteilen, denn Melas selbst war nicht sehr anerkannt unter ihnen. Aber es schien zu funktionieren. Der Wächter-Assassine und noch ein paar andere blieben zurück. Gut, dachte er sich.
"Du willst doch nur den Auftrag für dich, damit du den Betrag einschiebst", warf ihm einer der Zurückgebliebenen vor.
"Nein, Stefan Stichfest. Aber es scheint mir, als wolltest du das. Ich selbst habe mit dieser Dame noch eine Rechnung offen, darum wäre ich dem Auftrag sehr angetan." Darauf sagte der andere nichts mehr.
"Das stimmt doch gar nicht. Du kennst Frau Sündig doch gar nicht!", warf ein weiterer ein.
"Und wie. Ich bin ein enger Freund von Balthasar, dem Oberhaupt der Bruderschaft der Aufrichtigen. Lass mir den Auftrag."
Die Diskussion ging noch ein wenig hin und her. Langsam aber sicher entfernten sich auch die anderen Assassinen, bis auf zwei. Patrick war einer davon. 'Na gut, Martin Messer, dann eben anders', überlegte Melas. "Der Auftrag ist meiner. Er war von Anfang an für mich. Also lass ihn mir." Mit diesen Worten machte er einen großen Schritt auf das Brett zu und riss den Auftrag herunter. Kurz darauf war er in einem Schatten verschwunden.
"Das wird ein Nachspiel geben!", rief Martin ihm hinterher.
'Was galt es als nächstes zu tun?', überlegte Melas, als er das Gildengelände verlassen hatte. Die Drohung von Martin beeindruckte ihn wenig. Vielleicht sollte er endlich die Wache aufsuchen, um ihnen wirklich Bescheid zu geben. Obwohl, das wussten sie ja schon. Aber Kontakt sollte er doch mit ihnen aufnehmen, immerhin galt es, Balthasar zu stellen. Nur wie? Ja, dazu brauchte er die Hilfe der Wächter, so ungern er es auch zugab.
Martin Messer beobachtete die Straße, von der er annahm, dass gleich der Achatener sie betreten wurde. Und so war es auch. "Dort hinter dem Tempel seh ich schon, schattenhaft wie ein Gewittersturm, den Assassinen, der durch die Straßen schleicht, bis er das
Boucherie erreicht. Was will er bei den Näherinnen?", murmelte er vor sich hin und beobachtete den Kollegen. 'Frau Sündig war bestimmt keine', grübelte er weiter. Dann sah er, wie Melas das Gebäude betrat – durch ein Fenster im zweiten Stock. Verwirrt schüttelte der Verfolger den Kopf. Er beschloss zu warten, was weiter geschah.
Das nächste, was Martin sah, waren ein paar Gestalten zum Teil in Uniform, die das Haus verließen. 'Waren das nicht Wächter?', wunderte er sich. 'Unter all den Gestalten ragt kein einziges Gesicht hervor, das nach dem Assassinen aussieht. Seltsam. Hat der Fremde die Wache geholt? Aber warum? Was hat er mit denen zu schaffen? Die sind doch eine Schande für die gesamte Stadt!'
Dann entdeckte er den Schatten an der Wand. Das musste er sein. Schnell eilte der Assassine hinter dem anderen her.
Die Verschwiegenheit der FreundeHatscha suchte Melaina. Das Problem an der Sache war, dass sie nicht leicht zu finden war. Meistens tauchte sie nur dann auf, wenn sie auch gesehen werden wollte.
"Bitte, lass dich finden, Melaina, ich brauche doch deinen Rat. Nur du kannst mir helfen", flehte die Hauptgefreite.
"Wo liegt das Problem?", erklang eine Stimme neben ihr. Erschrocken drehte sie sich um. Melaina war da. Ihr fiel ein Stein vom Herzen.
"Gut, dass du da bist! Ich brauche deine Hilfe. Die Geschichte kennst du ja schon. Wir wollen nur noch Balthasar und Michael stellen."
"Da kann euch niemand helfen, euch wird viel mehr niemand helfen wollen. Tut mir leid."
"Auch nicht du, Melaina?"
"Nein."
"Dann müssen wir es alleine schaffen. Es wird verdammt ha – hatschie - hart."
"Ihr könnt es schaffen."
"Wir müssen es. Sonst ist alles umsonst. Sonst bin ich verloren – oder zumindest mein Kind", jammerte Hatscha.
"Ja." Und damit verschwand die Freundin.
Das war die Wächterin gar nicht von ihr gewohnt. So verschwiegen. So abweisend. Als hätte jemand sie verletzt. Aber sie war ja auch in der Bruderschaft. Fragt sich nur, ob aus Überzeugung. Sie hoffte, dass nicht. Es muss sonst hart sein, seine Freunde zu verraten.
Ein wenig enttäuscht war Hatscha trotzdem. Aber da konnte man nichts machen. Sie ließ Melaina ihren Eigenwillen. Traurig machte sie sich auf den Weg zurück zu den anderen Wächtern. Hoffentlich hatte sie die Freundin nicht für immer verloren.
Letztendlich bleibt nur noch die LösungMelas suchte Frau Sündig. Natürlich kannte er sie, aber er wusste dennoch nicht, wo er sie finden könnte. Er hoffte, sie zu Hause anzutreffen und irgendwie zum Gebäude der Bruderschaft locken zu können.
Da, da vorne, war das nicht die Gesuchte? Ja, von fern sah sie ganz so aus. Der Assassine sah sich um, ob er auch ja nicht beobachtet wurde, aber er konnte niemanden entdecken, der ihn im Auge behielt. Die Warnung von Messer hatte er nicht vergessen.
Dann ging er auf die Frau zu. "Hallo, wir kennen uns doch, habe ich recht?", fragte er.
"Hm, ich wüsste nicht, woher", wich sie ihm ängstlich aus. Sie erkannte ihn natürlich, hatte sie doch etliche Abende mit ihm im selben Raum gesessen.
"Darf ich mich vorstellen, Melas, Noch-Mitglied der Bruderschaft. Aber keine Angst, ich werde dich nicht Balthasar ausliefern. Du musst nur tun, was ich dir sage."
"Woher soll ich wissen, dass ich dir vertrauen kann?"
"Das kannst du nicht, wie auch. Du hast Todesängste, da vertraut man keinem. Trotzdem möchte ich, dass du dich möglichst bald beim Treffpunkt der Bruderschaft einfindest."
"Du spinnst! Du willst mich doch Balthasar ausliefern!" Frau Sündig wurde hysterisch.
"Nein. Die Wache hat vor, ihn und Michael heute zu stellen und damit der Bruderschaft ein Ende zu setzen. Und dazu braucht sie deine Hilfe. Also, willst du helfen?"
"Woher hast du diese Informationen von der Wache?"
"Ich habe gute Ohren und Augen. Man bekommt halt doch so einiges mit, wenn man sich ein wenig in den Schatten der Wachehäuser versteckt." Melas grinste.
"Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen soll... aber solltest du recht behalten und sie stellen Balthasar... ja, ich werde da sein."
"Danke. Du hast der Stadt gerade einen großen Dienst erwiesen." Damit verschwand der Assassine wieder. Im nächsten Schatten sah er sich kurz um. Nein, Martin Messer war nicht zu sehen. Gut.
Die DOG waren schon auf dem Weg zur Unterkunft der Bruderschaft. Dort angekommen, gab Robin noch die letzten Anweisungen. Mückensturm sollte den Eingang bewachen, sowie etliche andere Ausgänge.
Eca als ehemaliger GiGa sollte ein paar Tränke und Pulverchen bereithalten, falls sie von Nöten wären.
Hatscha, die sowieso schon in den Fall selbst verwickelt war, sollte sich Balthasar oder Michael ausliefern, um sie dann nach draußen zu locken.
"Und was machst du?", fragte Eca.
"Ich übernehme die Verantwortung", bestimmte der Abteilungsleiter.
"Na super."
"Los, an die Arbeit. Ach, und das da vorne, ist das nicht unsere Frau Sündig? Scheint so, als hätte Melas ganze Arbeit geleistet", fügte Robin hinzu und ging auf die Frau zu. Kurz darauf hatte Eca erst einmal die Aufgabe, auf sie aufzupassen.
Mit zwei geladenen Armbrüsten bewaffnet bezog Mücke hinter einem Fass als Deckung Stellung. Dort wartete er, bis sich irgendwann mal etwas tat.
Eca hatte außer mit Frau Sündig auch nichts zu tun. Die einzige, die jetzt handelte, war die Hauptgefreite Hatscha al Nasa.
Diese betrat jetzt das Gebäude in Zivilkluft.
"Ist hier jemand?", fragte sie in die Dunkelheit hinein. Niemand antwortete. "Mist", murmelte sie.
Kurz darauf hörte sie einen Mechanismus klacken und sie fand sich unter einem großen Fischernetz wieder. "Jetzt haben wir dich ja endlich doch geschnappt!", triumphierte Balthasar.
"Bravo, ich wollte mich eh ausliefern", gab Hatscha resigniert zu.
"Jetzt fehlt nur noch dieser verdammte Melas. Dir dürfen wir ja nicht einmal etwas tun, du bist kein Mitglied."
"Tja. Hatschie!" Hatscha machte es sich unter dem Netz erst einmal so bequem wie möglich und setzte sich auf den Boden. Das konnte länger dauern.
"Du hast mich gerufen?", fragte eine Stimme vom Dach herab. Die Wächterin sah hinauf. Melas saß auf einem Balken und ließ die Beine baumeln.
"Oh, du verdammter...", fluchte Balthasar.
"Ja, ich. Übrigens, interessiert dich Frau Sündig gar nicht mehr?"
"Die wird gerade von einem Assassinen erledigt", erwiderte Balthasar, in der Selbstsicherheit, Recht zu haben.
"Na, wenn du dir da so sicher bist..." Damit schwang sich der Meuchler an einem Seil, das am Balken befestigt war, herunter
[1]. Er hoffte, sich nicht verschätzt zu haben und Balthasar von den Beinen zu reißen. Seine Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Er flog direkt gegen die Wand, konnte aber gerade noch rechtzeitig den Sturz abfangen und rollte sich ab. Fluchend erhob er sich wieder.
Allerdings zu spät. Balthasar hatte schon eine Miniarmbrust gezückt und zielte auf den Assassinen.
Kurz darauf befand sich auch Melas unter dem Netz. "Super gemacht", tadelte Hatscha.
"Tut mir leid", erwiderte er bedrückt.
"Jetzt kann ich nur noch auf meine Kollegen hoffen."
"Wo bleibt die Hauptgefreite? Sie müsste die beiden doch schon längst herausgelockt haben!", wunderte sich Robin.
"Vielleicht ist irgendwas nicht nach Plan gelaufen", vermutete Eca.
"Na gut. Du hast doch bestimmt dieses Rauchzeug, wo man in einer Rauchwolke auftauchen kann, vollkommen unbemerkt."
"Ja."
"Gut. Wir stürmen jetzt das Haus. Und sobald wir irgendeinen anderen entdecken, lässt du so eine Wolke entstehen."
"In Ordnung."
"Frau Sündig, wir wären ihnen sehr dankbar, wenn sie mitkommen würden."
"Na gut, wenn es denn sein muss", antwortete sie ängstlich.
"Mückensturm, alles verstanden?"
"Ja, sicher. Auf geht's!"
Hatscha und Melas wurden inzwischen in einen Raum im Keller des Gebäudes eingesperrt.
"Gibt es hier noch einen anderen Weg raus?", fragte die Hauptgefreite.
"Ich sehe keinen. Obwohl, das da hinten. Sieht fast nach einer Hintertür aus." Er ging zu der genannten Stelle hin und prüfte, ob die Tür verschlossen war.
"Du, so viel Glück wie heute hatten wir schon lange nicht mehr. Sie ist offen."
"Fragt sich nur, wohin sie führt. Ich denke, die beiden wollen uns auch damit eine Falle stellen. Wahrscheinlich kommen wir auch dort nicht raus."
"Ich weiß es nicht. Es sieht nach einem dunklen Gang aus", stellte Melas fest.
"Egal, wir versuchen es." Und damit marschierte die Wächterin auf das dunkle Loch los. Kaum hatte sie den Durchgang hinter sich gelassen, sah sie absolut nichts mehr. "Hatschie!" Während sie nach einem Taschentuch kramte, fanden ihre Finger festen Widerstand. Natürlich, ein paar Kerzenreste hatte sie immer dabei. "Hast du ein Streichholz? Ich hätte die dazu passenden Kerzen."
"Du hast Ideen. Moment, ich schau mal."
"Ach nein, lass, ich hab selbst welche." Anstatt auf Taschentücher ist sie diesmal auf eine Zündholzschachtel gestoßen. Ein kurzes
Ratsch und sie konnten den unterirdischen Gang erkennen, zumindest aber seine Wände.
"Och nein, nicht schon wieder", stöhnte Hatscha.
"Wieso?"
"Das hier ist das alte Ankh-Morpork. Es gibt überall irgendwo Zugänge dazu, und sei es nur eine instabile Stelle auf der Straße."
"Das heißt, dieser Gang kann überall in der Stadt hinführen?"
"Genau. Außerdem ist es eine ehemalige Straße."
"Ach herrje. Ich habe mich jetzt schon verirrt", seufzte Melas.
Hatscha grinste. "Keine Angst. Wir finden hier..." Ein leises Surren lies sie verstummen. "Was ist das?" Sie deutete auf ein Insekt, das direkt auf die Kerzenflamme zuflog.
"Ein lebensmüder
Nachtweber", erklärte Melas.
"Bitte?"
"Das ist eine Mottenart. Und Motten fliegen stets ins Licht."
"Aber warum?"
"Was weiß ich. Aber sobald irgendwo auch nur der kleinste Lichthauch auftaucht, fliegt ein Nachtweber dorthin. Anders als andere Mottenarten orientiert sich der Nachtweber nämlich an allen Lichtquellen und nicht nur an einer. Das heißt, wir müssen ihm nur nachlaufen und wir kommen wieder ins Freie", beendete er seinen Vortrag.
"Aha."
"Im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork befehle ich euch, euch zu zeigen!", rief Robin in den dunklen Raum hinein.
Getuschel erklang am anderen Ende. Plötzlich wurde es hell. Erstaunt sah sich der Abteilungsleiter um.
"Aha, da sind sie", sagte eine der Tuschelstimmen lauter.
"Ups, ich habe versehentlich eine Rauchbombe erwischt, die leuchtet", flüsterte Eca.
Mückensturm sprang aus der Wolke hervor. "Ihr habt trotzdem keine Chance. Wir sind bewaffnet!" Er zielte auf beide.
"Außerdem haben wir Frau Sündig. Wir haben sie vor den Assassinen bewahrt", warf der Spieß ein.
"Komische Frisur hat der Linke, meinst du nicht auch?", flüsterte Robin zu ihr.
"Man könnte meinen, er habe Vico als Friseur", erwiderte diese.
"Also gut, was wollt ihr?", gab Balthasar auf. "Wir haben euch ja doch nichts entgegen zu setzen. Die Götter werden euch für eure Aufrichtigkeits-Losigkeit bestrafen!"
Das ging ja leichter, als ich dachte, dachte Robin. "Ihr seid festgenommen. Ihr habt das Recht zu schweigen und so weiter, jedenfalls wird diese Bruderschaft aufgelöst, wegen püschologischer Gewalttätigkeit gegenüber Frau Sündig. Sie wird nie wieder ruhig schlafen können. Außerdem habt ihr eine Wächterin gefangen genommen und sie bedroht."
Mückensturm dirigierte die beiden mittels seiner Armbrüste Richtung Ausgang und Wachhaus.
"Da, der Nachtweber fliegt zielstrebiger!", rief Melas.
"Warum fliegen Motten stets ins Licht? Ich werde es nie verstehen", grübelte Hatscha.
"Na, ganz einfach, sie hoffen, es zu erreichen. Warum läufst du ins Licht?"
"Weil ich hier raus will." Und damit rannte sie vorwärts.
"Dort ist der Ausgang! Wir haben es geschafft."
Kurz darauf waren sie draußen. Sie blickten sich um. "Wo sind wir?", wagte die Wächterin schließlich zu fragen.
"Schau dich genauer um, dann weißt du's."
"Oh, der Pseudopolis-Platz. Hoffentlich haben die anderen es geschafft, Balthasar und Michael zu stellen."
"Bestimmt. Schau, ist das nicht Mückensturm? Und die beiden vor ihm..."
Hatscha nickte. "Wir haben es geschafft."
"Und was ist jetzt mit Frau Sündig?", fragte der Assassine.
"Ich denke, dadurch, dass die Bruderschaft aufgelöst wird, löst sich auch der Auftrag auf, weil es den Auftraggeber nicht mehr gibt", vermutete die verdeckte Ermittlerin.
"Dann habe ich ja doch nichts zu befürchten", freute er sich.
"Ja. Ich werde jetzt zum Verhör erscheinen. Könnte recht interessant werden", sagte sie.
"Tu das. Ich gehe noch etwas erledigen." Und weg war er.
Einige Stunden später trafen sich die beiden in Hatschas Wohnung wieder.
"Und, was ist beim Verhör herausgekommen?", fragte Melas.
"Das, was ich erwartet hatte. Die Bruderschaft gibt es nicht mehr, wir sind also nicht mehr gefährdet. Was mit Balthasar und Michael geschieht, ist noch nicht sicher, aber glimpflich werden sie nicht davon kommen. Der Inhumierungsauftrag wurde auch zurückgenommen. Sämtliche Mitglieder der Bruderschaft werden benachrichtigt, dass sie keine Mitglieder mehr sind."
"Ach so. Hört sich nicht schlecht an."
"Ja. Und was hast du jetzt noch erledigt?"
"Ich war bei Melaina und habe mit ihr etwas besprochen", erklärte der Assassine.
"Weißt du, wieso sie so abweisend auf mich reagiert hat?", fragte Hatscha besorgt.
"Sie weiß einfach, wann ihre Hilfe gebraucht wird. Und nur dann hilft sie auch."
"Na dann ist ja gut. Dachte, ich hätte irgendetwas falsch gemacht."
"Nein."
"Dann muss ich jetzt nur noch eines erledigen", meinte die Wächterin.
"Das da wäre?"
"Ich muss Robin bescheid sagen, dass ich in ein paar Monaten Urlaub brauche."
---ENDE---
[1] Was ihn zum ersten Tarzanimitator der Scheibenwelt machte
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