Schenk Mir Dein Herz

Bisher hat keiner bewertet.

von Gefreite Rea Dubiata (SUSI)
Online seit 12. 09. 2004
PDF-Version

Du bist allein im Seziersaal. Na los, arbeite dich ein!

Dafür vergebene Note: 11

Rea seufzte. Sie stand vor einer Leiche und verglich ihre Stichwunden mit den Abbildungen in einem Buch. Seltsamerweise hatte die Leiche drei verschiedene Einstiche, von denen jeder Einzelne zum Tod geführt hatte.
"Wunde Eins ist ein sauberer Stich ins Herz, Wunde Zwei ein Kehlschnitt und Wunde Drei ging ins Auge. Ins Linke."
Rea lauschte. Eigentlich sollte nun das rascheln einer Feder zu hören sein, die über raues Papier glitt, doch im Seziersaal blieb es still. Totenstill, um der morbiden Atmosphäre gerecht zu werden.
"Hey!" sagte Rea.
Immer noch nichts.
"Du sollst Mitschreiben!", befahl Rea.
Sie klopft an die kleine Tür im Kasten, doch auch dies blieb ohne Erfolg. Rea öffnete den Kasten. Der kleine Dämon lag in einem Bett, das Kissen über den Kopf gezogen. Sie zog ihm die Decke weg und um ein Haar hätte er ihr in den Finger gebissen.
"Hör zu, ich muss eine Leiche sezieren und habe nicht den ganzen Tag Zeit. Mach, was ich dir sage."
Der Dämon knurrte und setzte sich mit beleidigter Miene an seinen Schreibpult.
"Wunde Eins: ein Stich ins Herz. Wunde Zwei: ein Kehlschnitt. Wunde Drei: im linken Auge."
Endlich hörte Rea den Diktierdämon eifrig schreiben und setzte zu einer Hypothese an.
"Aufgrund der verschiedenen Einstichwinkel und der Tatsache, dass keine der Wunden post mortem zugefügt wurde, nehme ich eine gleichzeitige Attacke von mehreren Seiten also auch von mehreren Personen an."
Rea begann, jedes der inneren Organe zu wiegen. Der Tote war zweifellos gesund gewesen, doch er schien keinen gesunden Menschenverstand zu haben. In Ankh-Morpork machte man sich besser keine Feinde. Wer von drei Personen gleichzeitig ermordet worden war, der musste viele Feinde gehabt haben.
Sie öffnete den Magen, denn dessen Inhalt konnte oft Aufschluss über den letzten Aufenthalt des Toten geben. Mit gerümpfter Nase zog sie halbverdautes Fleisch, oder etwas was zumindest so aussah wie Fleisch, aus dem Magen. Dann entdeckte sie etwas anderes. Ein kleines, dünnes, weißes Etwas ragte unter einem aufweichten Stück Brot hervor. Sie zog es heraus und entdeckte dabei ein anderes, ähnliches Objekt. Bald hatte sie mindestens zwanzig Schnipsel aus dem Magen entfernt. Sie betrachtete sie genauer. Es war ein Royal Fläsch. Rea kannte sich mit dem Kartenspiel nicht aus, doch sie wusste, was man für ein gutes Blatt brauchte. "Anscheinend hat der Tote seinen Abend in einer Kneipe verbracht, bei einer gemütlichen Pokerrunde. Das erklärt auch die drei tödlichen Wunden. Seine Mitspieler hatten ihm den Sieg wohl nicht gegönnt.
Rea schloss die den toten Körper und legte ein Leichentuch darüber.
Sie seufzte noch einmal, schickte eine Rohrpost mit ihrem Leichenbefund an RUM und setzte sich dann an den Schreibtisch im Seziersaal. Sie hatte nicht vor, sich in einem der Büros niederzulassen, denn ihre Arbeit hielt sie gern in einem Raum beisammen. Jetzt, da sie mit der Leiche fertig war, hatte sie nicht mehr zu tun. Sie begann, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln, doch dies stellte sich nach einiger Zeit als langweilig heraus. Außerdem hinderten die vielen Papiere sie daran, ein lautes Trommelgeräusch zu verursachen. Leise grummelte sie vor sich hin. Dann öffnete sie ihren Zopf und flocht ihn neu. Dabei ließ sie jedoch eine Strähne aus. "Man muss offen für Veränderungen sein!" sagte sie sich und begann, mit der Strähne vor ihrer Stirn zu spielen. Sie besah sich noch einmal die Liste mit Giften und ihrer Anzeichen, die Jack ihr zum lernen da gelassen hatte. Sie hatte Kreuzchen neben die gemacht, die sie noch nicht kannte. Dann las sie in einer Akte etwas über verschiedene Wunden nach, unterstrich einiges und schaute dann auf die Uhr. "Immer noch vor Mittag", dachte sie. Sie hatte noch sechs Stunden Dienst und zwar allein, an ihrem ersten Tag.

Um fünf Uhr morgens war sie nach einem recht unruhigen Schlaf aufgewacht, was für Rea unmenschlich früh und überhaupt ungewöhnlich war. Bei Kerzenschein hatte sie begonnen, einige Bücher über die Geheimnisse der Toten zu lesen. Einige der sich in ihrer Wohnung heimisch fühlenden Ratten hatten sich lauthals quiekend über die frühe, künstliche Helligkeit beschwert, doch Rea hatte sich nicht daran gestört. Bald würde sie eine richtige Gerichtsmedizinerin sein! Als die ersten Strahlen der Scheibenweltsonne durch ihr kleines Fenster geschienen hatten, hatte sich Reas Herzschlag um mindestens hundert Schläge pro Minute erhöht. Sie hatte die wenigen Dinge ihres Hab und Guts gepackt, die sie nicht am Körper trug und die ihr für die neue Profession gebräuchlich schienen.
Im Gerichtslabor hatte Rea auf ihrem Schreibtisch einen riesigen Stapel Akten vorgefunden. Eine oben aufgelegte Notiz teilte ihr mit, dass der Hauptgefreite Jack Narrator sich anscheinend um seine Pflichten als stellvertretender Abteilungsleiter zu kümmern hatte, was Rea bei der Papiermenge auf dem Schreibtisch nicht verwundert hatte. Doch es befanden sich auch zwei Dinge im Gerichtslabor, über die sich Rea freuen konnte. Nummer Eins war ein elegant verpacktes Geschenk, dass an sie adressiert war. Ungeachtet der schönen Schleifen und der Blumen auf dem Geschenkpapier riss Rea es auf. Es war eine Stickerei und sie stammte von Olga-Maria Inös, Reas Freundin und Mitwächterin.

Der Gerichtsmediziner:
Wenn du ein Held werden möchtest bist du hier falsch,
dann solltest du zu irgendeiner anderen Abteilung gehen.
Wenn aber eine Leiche gefunden wird
und man nicht weiß wie sie starb
dann kümmern wir uns darum.
Wenn man Opfer eines Überfall wurde
fragt man uns, ob die Aussagen stimmen.
Wir prüfen und studieren bis wir die Wahrheit kennen!
Und solltest du versterben,
weil du dir an einer Leiche eine seltene Krankheit hohlst,
dann freu dich, denn näher wirst du dem Heldentod nicht kommen.


Jack hatte ihr jene Zeilen vorgelesen, als sie sich für die Stelle als Gerichtsmedizinerin beworben hatte. Ungeachtet des Textes hatte Olga-Maria die Zeilen mit Blumenranken und Schmetterlingen verziert. In einer etwas kleineren Schrift entdeckte Rea auch den Nachtrag, den sie selbst angefügt hatte, als sie die beinahe poetische Beschreibung des Gerichtsmediziners im Eimer wiederholt hatte:

Und wenn dir ein Vampir entgegenspringt
weißt du, wie wichtig Fesselspielchen
für dein Überleben sein können.


Rea hatte die Stickerei, die in einem Rahmen gefasst war, auf den Schrank neben der Rohrpostausgabe gestellt. Sie würde sie demnächst aufhängen.
Dann hatte sie das erfreuliche Ding Nummer Zwei entdeckt. Es war eine Leiche und sie war noch frisch.

Widerwillig begann Rea mit dem Schreibkram. Sie heftete Dokumente von Sektionen, die schon fast drei Monate her waren und einige anklagende Kaffeeränder aufwiesen, ab und stapelte sie neu. Sie war gerade mit der Hälfte durch, als es klopfte.
"Endlich", dachte Rea, "Vielleicht bekomme ich jetzt doch noch was Richtiges zu tun."
Ohne das Rea etwas sagen musste, ging die Tür auf und Obergefreiter Made betrat den Raum. Rea salutierte. Herr Made hob zur Begrüßung seine Kaffeetasse.
"Morgen" sagte er und setzte sich. "Du hast also auch nichts zu tun?"
Rea schaute auf den Aktenwirrwarr auf ihrem Schreibtisch. "Nein, überhaupt nicht", sagte sie zynisch.
"Hmmm. Du Ärmste. Und dass an deinem ersten Tag" erwiderte Herr Made. "Wo ist Jack?"
"Ich habe keine Ahnung wo er ist. Er hat nur eine Notiz hinterlassen, dass er nicht da ist. Darauf wäre ich auch so gekommen."
Made grinste. Geistesabwesend ließ er seine leere Kaffeetasse um seinen Zeigefinger kreisen. Die Zentrifugalkraft zog an seinem sowieso schon mitgenommenen Gewebe und die beiden Wächter bemerkten zu spät, wie sich Zeigefinger und Kaffeetasse selbständig machten. Der Finger landete in einem Osambaraveilchen, das Rea zur Verbesserung des Raumklimas heute morgen mitgebracht hatte. Die Tasse machte Bekanntschaft mit der Wand, was zu einer sehr kurzen, aber innigen Beziehung führte, die nun in Scherben lag.
Rea zog die Augenbrauen hoch. "Soll ich ihn wieder annähen?"
"Ich bitte darum" sagte der Hauptgefreite und zog seinen Finger aus dem Blumentopf. Er machte es sich auf einem Seziertisch bequem, während Rea Nadel und Faden holte.
"Was sind das für Handschellen?" rief Made, als er ein Paar an seinem Seziertisch entdeckte.
"Du weißt doch, dass Gerichtsmediziner seltsame Vorlieben haben.." erwiderte Rea und verzog keine Miene.
"Nein, nur einen seltsamen Sinn für Humor", stellte Herr Made fest. Skeptisch schaute er zu, wie sein Finger wieder an den rechten Platz genäht wurde.
"Sag mal, wo du gerade dabei bist.." begann Made während er seinen Finger betrachtete, "Ich fühle mich in letzter Zeit so leer."
"Dann würde ich zu einem Püschologen gehen", antwortete Rea und sah Made fragend an.
"Nein!" Made trommelte mit einer Hand auf seinen Bauch, woraufhin dumpfe Töne und ihre Echos den Sektionssaal füllten. "Es fühlt sich so an, als ob da nichts ist!"
Rea runzelte die Stirn. "Nichts?"
"Ja. Da ist nichts." sagte Made. "Könntest du nicht mal nachsehen?"
Rea wusste nicht, was an "Nichts" so schlimm sein konnte, doch wenn Herrn Made soviel daran lag, konnte es nicht verkehrt sein ihn mal aufzuschneiden.
"Ich wollte mich ja eigentlich an den Gerichtsmediziner meines Vertrauens wenden, aber an mir kann man ja nicht mehr viel kaputt gehen."
Das gab Rea den letzten Ruck. Hielt er sie für unfähig, weil sie noch in der Ausbildung war? Sie zückt ihr Skalpell und setzte ein diabolisches Grinsen auf.

Rea beugte sich über den geöffneten Torso von Herr Made und staunte nicht schlecht.
"Und, was ist da?" fragte Made aufgeregt und versuchte in sich selbst hineinzusehen.
"Nichts", sagte Rea und zog die Augenbrauen hoch.
"Wie?"
"Du leidest an akutem Organmangel", antwortete Rea ernst. "Alle größeren Organe sind verschwunden."
Made wurde nervös und klopfte gegen seinen Schädel. Ein nicht ganz so dumpfes Geräusch wie vorhin echote durch den Raum.
"Gut mein Gehirn ist noch da", stellte er fest.
Rea suchte derweil nach Worten. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Ja, angefressene Leichen begegnete man in den Spitzhornbergen nicht selten, wenn man einen Spaziergang im Wald machte, aber nie hatte sie eine Leiche mit so sauber herausgeschnittenen Organen gesehen. Hätte ein Priester aus Mades Organen die Zukunft lesen müssen, dann hätte er den Weltuntergang prophezeit. Aber da war noch etwas. Rea hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Brustkorb des Hauptgefreiten zu öffnen, denn dabei flogen oft Splitter. Doch etwas lugte unter den Rippen hervor, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Vorsichtig griff sie in den Körper des Zombies und fühlte etwas schwabbeliges.
"Irks!" sagte Made als Rea kurz um seine restliche Speiseröhre fasste. Sie zog ein Ohnesorge hervor, das mit einer seltsamen Flüssigkeit gefüllt war. Es war mit einer kleinen Schnur befestigt gewesen. Vorsichtig füllte sie den Inhalt des Ohnesorges in ein Glas und fiel bei dem starken Geruch nach Alkohol fast um.
"Warst du gestern Abend weg?" fragte Rea und hielt sich die Nase zu.
Herr Made dachte ziemlich lange nach. "Ich glaube, ich war in der Bahre" sagte er schließlich.

Trotz des Sonnenscheins draußen war es in der Kneipe schummrig und dunkel.
Der Igor hatte nicht viel zu tun, denn nur wenige Stammgäste saßen um diese Zeit in der Bahre. Er wischte mit einem ehemals weißen Lappen über den Tresen und blickte auf, als die beiden Wächter eintraten.
"Guten Tag För, Guten Tag Ma’am!" begrüßte er Made und Rea. Da Herr Made immer noch seinen Begräbnisanzug trug und Rea sich beim Umgang mit Leichen nicht die Mühe machte, sich ihnen als Wächterin zu erkennen zu geben, zeigten sie dem Igor ihre Marken. Dieser schluckte.
"Entschuldige die Störung," sagte Rea und musterte den Igor. "Aber wir sind auf der Suche nach ein paar Organen."
"Meine Organe!" fügte Made hinzu.
"Wie bitte?" fragte der Igor. Etwas ängstliches lag in seinen Augen und ein Verdacht regte sich in Rea. Gedanklich umkringelte sie den Namen "Igor" mit einem roten Stift.
Herr Made jedoch schien vollkommen abwesend. Er starrte auf ein Regal mit Drinks, deren Namen Rea nicht mal wissen wollte.
"Das ist meine Leber!" sagte Made plötzlich und deutete auf ein kleines Einmachglas auf dem Regal. Rea sah ihn besorgt an.
"Frag nicht. So was weiß man einfach.", beantwortete Made ihre ungestellte Frage.
Der Igor nahm das Glas mit dem makaberen Inhalt mit zitternden Händen vom Regal. "Ich wollte Knieweich darauf herftellen. Fo eine alkoholhaltige Leber habe ich noch nie gefehen!"
"Wo hast du die Leber her?" fragte Rea sachlich.
"Oh, ein Mann hat fie mir verkauft. Mit einem Bauchladen. Er hat feinen Namen nicht genannt!"
"Schnapper?" wunderte sich Rea. Ein einfacher Händler war doch nicht in der Lage, einen Zombie derart auszuhöhlen.
Made hielt glücklich seine Leber in den Händen und erhielt eine Minute später auch seine Milz, die auch einen Platz im Regal gefunden hatte. Dann verabschiedete er sich. "Ich kann nicht so lange abwesend sein! Ich meine, solange ich mein Gehirn noch habe, kann ich ja noch arbeiten."
Also machte sich Rea alleine auf den Weg.

"Würstchen! Köstliche Würstchen!" rief Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin. Er nickte Rea zu und hielt ihr ein Würstchen entgegen. Die Gefreite musterte den Verkäufer und hielt ihm dann ihre Marke vor die Nase.
"Ich bin auf der Suche nach Organen. Einem Kollegen von mir wurden sämtliche innere Organe gestohlen und ich glaube, er hängt ziemlich daran."
Ruin schaute Rea mit großen Augen an. "Also, Ma'am. Öhm. Ich habe eben eine frische Ladung Darm erhalten. Aber soweit ich weiß, stammt der von einem Schwein! Das garantiere ich dir."
"Darf ich den Darm mal sehen?" fragte Rea und beobachtete, wie Schnapper einen Beutel aus den tiefen seines Bauchladens hervorholte.
Sie öffnete ihn und besah sich das längste Organ des menschlichen Körpers. Sie seufzte und krempelte die Ärmel hoch. Rea konnte zwar sehen, dass der Darm menschlich war, aber sie musste es noch beweisen. Erfreut fand sie auch einen Magen im Beutel. Sie hob einen bestimmten Teil des Darms heraus und schaute Schnapper an.
"Wenn du keinen Ärger haben möchtest, dann nehme ich das jetzt mit. Siehst du den kleinen Fortsatz hier am Blinddarm?" Rea deutete auf die entsprechende Stelle und Ruin glotzte. "Das ist der Wurmfortsatz. So etwas haben Schweine nicht. Und du möchtest doch ein Mitglied der Wache nicht als Schwein bezeichnen?"
Ruin nickte peinlich berührt. Um den Verkäufer herum hatten einige Passanten angehalten und beobachteten das Schauspiel.
"Wer hat dir denn den Darm verkauft?" fragte Rea nun im Plauderton.
"Ein Igor. Gestern Nacht. Ich hatte eine Besprechung in der Bahre. Und es war ein Schnäppchen, da musste ich sofort zugreifen."
Gedanklich schrieb sie nun das Wort "Hauptverdächtigter" neben den gedanklichen roten Kringel in dem Igor stand. Die Vorstellung dass Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper einen Zombie professionell ausgehöhlt haben sollte, war von Anfang an absurd gewesen und Rea konnte nicht mehr anders, als einen auf dem Gebiet der Histologie so begabten Wesen wie einem Igor die Schuld in die ungleichgroßen Schuhe zu schieben.
"Es war aber nicht der Igor, der in der Bahre arbeitet, oder?"
Schnapper schaute sie verwundert an. "Doch, klar. Warum?"
"Weil ich jetzt weiß, wo ich suchen muss", sagte Rea. Sie nahm den Beutel mit den Verdauungsorganen und lief zurück zur Bahre. Der Igor hatte sie also angelogen.

Die Bahre war immer noch recht leer, aber es war ja gerade erst Mittag.
Igor schaute sie verwundert an. Doch es war nicht derselbe Igor wie vorhin, dass konnte Rea deutlich an der auffälligen Stirnnarbe erkennen.
"Ich möchte zu Igor", sagte Rea und überlegte, sich doch eine Uniform zuzulegen, als sie nach ihrer Marke suchte. Sie fand sie schließlich und heftete sie an ihren Umhang.
Der Igor nickte. "Daf bin ich."
"Ja. Gut. Wo ist denn dein Kollege?"
"Meinft du Igor?"
"Ja."
"Der.." sagte der Igor und grinste, "der ift zu feiner Freundin!" Der Igor kicherte.
"Aha. Ich müsste dann dorthin. Kannst du mir den Weg beschreiben?"
Igor erklärte es ihr und Rea wandte sich zum gehen.
"Warte, kannft du eine neue Niere gebrauchen?" fragte Igor und zeigte auf ein in Eis gelegtes Organ.
"Ist es von deinem Kollegen? Igor?", fragte Rea und besah sich die Niere.
Der Igor nickte. "Ift nicht mehr ganf friff, aber intakt ift fie."
"Die nehme ich mit", sagte Rea.

Rea lief die Straßen von Ankh-Morpork entlang und dachte nach. Ein Igor, dass wusste sie, wollte einem Menschen nichts böses. Auch einem Zombie nicht. Sie versuchten nur ständig, sich zu verbessern. Herr Made war wahrscheinlich eingeschlafen, irgendwo an einem Tisch in der Bahre und der Igor hatte ihn für tot gehalten. Doch später musste er bemerkt haben, an wem er herumgeschnippelt hatte. Vielleicht hatte Made begonnen zu schnarchen, obwohl Rea sich nicht sicher war, ob Zombies das konnten. Zumindest musste der Igor seinen Irrtum bemerkt haben, jedoch hatte er seine Tat nicht mehr rückgängig machen können. Das erklärte das Ohnesorge, welches Mades Getränke aufgefangen hatte.
Gedankenverloren sah sie ein paar Kindern beim Ballspielen zu. Sie war schon um die nächste Ecke gebogen, als ihr auffiel, dass die Kinder keineswegs mit einem Ball gespielt hatten. Es war noch nicht einmal rund. Sie ging zurück und lief genau in die Flugbahn einer Lunge. Mit einem lauten Klatschen traf sie das Organ im Gesicht. Rea hörte ein schadenfrohes Kinderlachen, das schnell verklang. Anscheinend hatten die Kleinen ihre Dienstmarke entdeckt.
Rea besah sich die Lunge. Sie war definitiv menschlich und Rea packte sie in die Eisbox mit der Niere. Gedanklich hackte sie die Liste der fehlenden Organe ab. Jetzt fehlte nur noch das Herz.

Als Rea ankam, hatte sich bereits eine große Traube von Zuschauern gebildet, was bei dem einsetzenden Regen erstaunlich war. Die Gefreite versuchte, durch die Menschenmassen hindurch in die erste Reihe zu gelangen. Eifrig rammte sie pfundigen Damen und älteren Männern ihre Ellenbogen in die Seiten, doch auch wenn sie sich den Bauch einzog und versuchte, sich durch kleine Lücken zu quetschen gelang es ihr nicht, zu sehen, was sich vor dem Haus abspielte. Sie konnte nur hören, was vor sich ging.
"Rogi!", schrie die Stimme eines Igors. "Roooogiiiiiii! Ich lege dir mein Herf fu Füfen!"
Ein lautes "Ihhhhh!" und "Uaach!" ging durch die Reihen.
"Bitte, Rogi!", hörte Rea den Igor mit tränenerstickter Stimme rufen. Rea versuchte immer noch verzweifelt, sich nach Vorne zu arbeiten, als sich die Menschenmenge plötzlich auflöste. Der Igor war verschwunden. Vor einem Hauseingang lag ein Herz, zusammen mit einem Strauß Rosen und einer Karte, die mit "Für Rogi" beschriftet war. Rea überlegte, was sie nun tun sollte, als sich die Tür öffnete.
"Fo eine Frechheit!", grummelte Lance-Korporal Rogi Feinstich. "Und daf an meinem freien Tag."
Rea nahm Haltung an. "Ma’am, kennst du den Igor, der dir dieses Herz geschenkt hat?"
"Ja. Wiefo?" fragte Rogi erstaunt.
"Weil es das Herz von Herrn Made ist und er ziemlich erpicht darauf ist, es wiederzubekommen."
Kurz wiederholte Rea die Vorkommnisse des heutigen Tages. Rogi zog die buschige Augenbraue hoch und dachte kurz nach. "Nimm daf Herz mit. Ich kümmere mich um den Reft."

"Wo warst du?" empfing Rea die aufgebrachte Stimme von Jack, noch bevor sie überhaupt in das Gerichtslabor gekommen war. Der Hauptgefreite war offenbar gerade erst angekommen, denn seine schlammigen Fußspuren führten nur von der Tür zum Schreibtisch, an dem er gerade stand.
"Sir", sagte Rea und salutierte, so gut dass mit zwei Eisboxen und einer Tüte unter dem Arm ging, "es war ein Notfall".
Jack blickte sie skeptisch an und erwiderte den Gruß. Noch bevor Rea zu weiteren Angaben fähig war, begann er noch einmal.
"Was bitte ist das da??"
"Blumen."
"Wie bitte?"
"Blumen. In einem Topf. Sie verschönern den Raum", sagte Rea. "Sir", fügte sie hinzu.
Jack fiel nun Reas Gepäck auf. "Hast du noch mehr.. Blu-men.. gekauft?" Er sprach das Wort "Blumen" so aus, wie viele Kinder "Spinat" oder "Broccoli".
"Das sind die Organe von Obergefreiter Made."
"Achso. Und ich dachte, bei dem Notfall handelte es sich um die Scherben seiner Kaffeetasse, die hier noch rumliegen. Was ist passiert?"
Rea setzte den Ballast ab und ließ sich auf einem Stuhl nieder. "Sagen wir es so.. Made hat mit einem Besuch in der Bahre das geschafft, was ich schon jahrelang versuche. Er hat gute 20 Pfund abgenommen."
Rea hörte Schritte und drehte sich zur Tür. Obergefreiter Made trat ein. Er hielt eine neue Kaffeetasse in der Hand, sie war fliederfarben und wies Blümchen auf. Er schien nicht gerade stolz darauf zu sein, doch sie erfüllte ihren Zweck. Made lehnte sich gegen den Türrahmen während Rea Haltung annahm.
"Ähm, die Leiche da draußen auf dem Flur.. die gehört nicht zufällig zu euch, oder?"
"Hast du sie nicht angekettet?", fragte Jack Rea entsetzt, ohne den Blick von Made abzuwenden.
"Doch, aber anscheinend hat sie die Bahre gleich mitgenommen." Sie starrte auf einen leeren Fleck, der heute noch mit einem Seziertisch besetzt gewesen war. Seltsamerweise fiel ihr das jetzt erst auf.
Gleichzeitig stürzten sich Rea und Jack zur Tür hinaus, wobei es zu einem leichten Stau kam, bei dem Made seine zweite Tasse zertrümmerte. Es schien ihn nicht großartig zu stören.
Auf dem einem nahegelegenen Gang stand ein nackter Mann, der verzweifelt versuchte, die Bahre an die seine Hand gefesselt war, um eine Ecke zu manövrieren und mit seiner freien Hand und dem Leichentuch seine Blöße vor der anwesenden Wächterin zu verbergen. Diese drehte sich taktvoll um, auch wenn sie keinen höheren Sinn darin sah. Ihrer Ansicht nach gab es nicht, für dass er sich hätte schämen müssen.
"Ich bin nicht tot! Da schläft man einmal in der Gasse ein und ihr Wächter meint gleich ihr hättet einen neuen Fall!", die Leiche hatte einen panischen Tonfall und immer noch klirrte das Metall der Bahre als es Kontakt mit den Wänden des Wachhauses aufnahm.
Made und Jack lachten. Es war schwer, bei einer solchen Behauptung ernsthaft zu bleiben, wenn der Sprecher drei tödliche Stichwunden und eine riesige Sektionsnaht aufwies.
"Klar bist du tot. Ich habe jedes deiner Organe gewogen! Einzeln!", rief Rea gegen die Wand.
Es dauerte eine Weile, bis sich der frischgebackene Zombie beruhigt hatte. Made bot an, ihn zu RUM zubringen und Jack nickte. Er hatte bereits eine Rohrpost an RUM geschickt, wobei ihm die Stickerei der Gefreiten Inös auffiel.
"Sehr... hübsch", sagte er und fragte sich, wo das noch hinführen sollte.
Rea missdeutete seine nicht ganz so unmutige Reaktion als Fortschritt und beschloss, es das nächste Mal mit ein paar Duftkerzen zu versuchen. Angeblich trugen diese zu einer positiveren Arbeitsstimmung bei.
Zählt als Patch-Mission.



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung