Ein hilfreicher Balken

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von Wächterin Kathiopeja (GRUND)
Online seit 26. 07. 2004
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Ein Dieb hat sich selbst angezeigt. Ein Verrückter oder steckt mehr dahinter?

Dafür vergebene Note: 10

Ein ganz gewöhnlicher Tag in der Zwillingsstadt Ankh-Morpork.
Narren und Spieler vergnügten sich in ihren Gilden. [1] Assassinen und Diebe gingen ihrer Arbeit nach, und hinterließen fleißig Quittungen.
Einige der Wächter sahen ihre Arbeit wohl darin, das Bier in verschiedenen Tavernen immer wieder zu testen. Andere machten sich aus ihrem Dienst mehr, und bearbeiteten die ihnen zugeteilten Aufgaben. Kathiopeja hätte sich vielleicht in die erste Gruppe geordnet. Doch heute hatte sie zusammen mit ihrem Ausbilder Dienst am Wachetresen, und da sie nicht aus der Wache geworfen werden wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Zeit tot zu schlagen. [2]
Valdimier van Varwald, ihr Ausbilder, saß in einer Ecke und nutzte die ereignislose Zeit, um Berge von Papierkram zu bearbeiten. Kathiopeja hingegen stand in der Nähe eines Tisches, schmollte und warf dem Vampir einige böse Blicke aus ihren eisblauen Augen zu.
Vor einigen Minuten hatte sie Valdimier um eine kurze Pause gebeten, um sich einen Teller Brokkoli zu besorgen, doch er hatte abgelehnt. [3]
Eine Weile lehnte sie in völliger Ruhe an einer Wand [4]. Sie gab sich gerade vollkommen ihren Gedanken hin, als ein aufgeregter Mann zur Tür hereinkam. Kathiopeja wollte sich elegant von der Wand lösen, stolperte allerdings über ihren linken Fuß und fiel. Hastig stand sie wieder auf und hoffte von ganzem Herzen, dass dieser Auftritt nicht allzu peinlich war. So würdevoll wie möglich klopfte sie Staub von ihrer Uniform. Außerdem war ihr eine Strähne ihres langen silbernen Haares ins Gesicht gefallen. Vielleicht sollte ich es doch zusammenbinden dachte sie, während sie ihr Haar wieder hinter's Ohr strich.
Der Mann steuerte mittlerweile genau auf sie zu.
Er war fast so groß wie Kathiopeja. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er hielt etwas glänzendes in seiner Hand. Er war außer Atem, versuchte aber trotzdem zu sprechen.
"...anzeigen... Ich... bestohlen... Troll... ." brachte er heraus.
Kathiopeja versuchte den Satz zu verstehen.
"Sie wurden von einem Troll bestohlen?" fragte sie versuchsweise.
Der Mann schüttelte energisch den Kopf. Er startete einen neuen Versuch.
"...habe.... bestohlen... Troll."
Kathiopeja sah ihn verwirrt an. Sie glaubte den Satz zu verstehen, allerdings begriff sie nicht ganz, was er sagte. Dieser kleine und pummelige Mann wollte einen Troll bestohlen haben. Doch sie schloss das eigentlich aus. Sie bezweifelte ernsthaft, dass jemand, der einen dieser Riesen beraubte, noch lange aufrecht gehen konnte. Mal ganz davon abgesehen, wie seltsam es war, die Tat auch noch bei der Wache zu melden. Die Rekrutin wollte sich vergewissern.
"Sie haben einen Troll bestohlen?" sie klang ziemlich unsicher.
Der Mann vor ihr nickte, immer noch schnaufend. Erst jetzt fiel ihr seine Knollnase auf.
Valdimier setzte die Feder ab und horchte auf. Kathiopeja verwertete noch die Situation. Sie war schlicht sprachlos.
"Aber wie...?" sie brach ab.
"Ich hab' es einfach genommen. Der Troll hat es wohl nicht bemerkt", antwortete der Dieb auf die nicht vollständig gestellte Frage. Jetzt öffnete er auch die rechte Hand und zeigte ihr drei Münzen.
Langsam arbeitete das Gehirn der Rekrutin wieder normal.
"Haben Sie eine Lizenz?"
Diese Frage lag natürlich nahe. Denn was nützte ein geständiger Dieb mit Lizenz?
"Nein." Das Rot aus seinen Gesichtszügen wich einem leichten Rosa, das man auch bei solchen Menschen erwartete.
"Und nun kommen Sie zur Wache, um nicht von der Gilde erwischt zu werden." schlussfolgerte Kathiopeja.
"Nein!" er schrie fast.
Valdimier van Varwald stand auf und näherte sich den beiden.
"Aber warum sind Sie denn dann hier?" zum zweiten mal innerhalb kurzer Zeit war sie unglaublich verwirrt.
Der Dieb schwieg. Mittlerweile hatte sich der Ausbilder direkt neben sie gestellt. Nun meldete auch er sich zu Wort. "Ich hätte da einige Fragen."
Die Rekrutin schrak zusammen. Ihr wurde wieder klar, dass auch er noch im Raum war.
Der Vampir nahm sich nun dem Mann an.
"Wie heißen Sie?"
"Sist Ungut." antwortete er automatisch.
"Wann, wo und wie fand der Diebstahl statt?"
Überrascht von der plötzlichen Initiative starrte Herr Ungut den Ausbilder an.
"Na eben grade. Nahe der Alchemistengilde. Da arbeiteten zwei Trolle auf einer Baustelle. Und als sie dann ein bisschen Geld beiseite legten, wissen dir Götter warum, hab' ich zugegriffen und einen Teil genommen."
Valdimier sah ihn scharf an. "Setzen Sie sich." Er deutete auf einen Stuhl.
"Rekrutin. " wandte er sich an Kathiopeja "Mitkommen."
Immer noch ein wenig verwirrt folgte sie ihm. Sie hatte schon einiges über seltsame Fälle in der Wache gehört. Doch das war zur Zeit etwas zu viel für sie. Sie stellten sich in eine Ecke.
"Rekrutin Kathiopeja, ich erwarte, dass du mit ihm zu den Trollen gehst, und die ganze Sache klärst. Und versuch' herauszufinden, warum er sich angezeigt hat." Normalerweise wäre der Korporal mitgegangen. Doch er wollte den vielen Papierkram erst einmal fertig haben.
"Aber..." Sie verstummte und murmelte ein leises "Ja, Sör."
"Ach und..." sagte er, als sich die angehende Wächterin gerade zum gehen wenden wollte. "...achte gut auf ihn. Irgendwas stimmt da nicht."
Kathiopeja salutierte ohne Enthusiasmus.
Der Vampir setzte sich und dachte über den Fall nach. Kopfschüttelnd konzentrierte er sich wieder auf den Papierstapel. Er schien nicht kleiner zu werden.
Währenddessen ging eine ziemlich saure Rekrutin auf den Dieb zu.
"Mitkommen." knurrte sie ihn an.
Sist Ungut stand langsam auf. Er wusste nicht ganz, was er nun zu erwarten hatte.
"Was machen wir jetzt?" wollte er wissen.
"ICH darf wegen ihnen jetzt arbeiten. Wir gehen zu den Trollen."
[5]

***

Auf dem Weg zur Gilde behielt Kathiopeja den Dieb ganz genau im Auge. Sie teilte Valdimiers Meinung, dass irgendetwas mit diesem Kerl nicht stimmte.
Wer ist so blöd, und zeigt sich selbst wegen eines Diebstahls an, wenn die Gilde noch nicht mal eine Ahnung von der Sache hat? Und selbst wenn es eine Kurzschlusshandlung war, sich bei der Wache zu melden. Er hatte vorhin genügend Zeit, sich Gedanken darüber zu machen und abzuhauen.
Nun.... Herr Ungut sah eigentlich recht harmlos aus. Aber das trifft ja auch auf Wolfsjunge zu. Und wenn man nicht aufpasst, zerfleischen sie einen ehe man auch nur um Hilfe rufen kann, warnte sie sich.
"Da vorn", meldete sich der kleine Mann zu Wort. Er deutete auf eine Baustelle auf der, wie er bereits angegeben hatte, zwei Trolle arbeiteten.
Sie näherten sich den beiden. Kathiopeja hielt den Dieb sicherheitshalber am Arm fest, sie wollte nicht, dass er es sich jetzt vielleicht doch anders überlegte und einfach verschwand.
Die Rekrutin räusperte sich, als sie in die Nähe eines Trolls gelangte.
"Entschuldigung?" Nichts passierte.
Sie tippte dem Troll auf den Arm. Eigentlich hatte sie mit keiner Reaktion gerechnet, doch diesmal drehte er sich um.
"Entschuldigung." wiederholte sie. "Ich bin von der Stadtwache. Ich glaube, du wurdest bestohlen."
Der Troll dachte nach.
"Nein. Ich nicht bestohlen wurden." Er klang sicher.
Verdammt! Wie macht man einem Troll klar, dass er beklaut wurde?
"Pass auf." sagte sie. "Wie viele Münzen hattest du vorhin?" sie bemühte sich, ihn nicht anzuschreien. Bei einem Wesen, dass fast dreimal so groß war wie man selbst, war das wohl auch zu empfehlen.
Diesmal dachte der Troll länger nach. Schließlich antwortete er "Viele."
Kathiopeja seufzte. "Und wie viele sind es jetzt?"
Das Steinwesen griff hinter sich und holte mit seiner Hand drei Münzen hervor.
"Es jetzt seien" mit der anderen Hand deutete er auf die Münzen und zählte "eins, zwei, viele. Alle Münzen noch da." sagte er zufrieden.
Die Rekrutin sah sich verzweifelt um. Wie bringt man einem Troll den Unterschied zwischen drei und sechs bei?
Das Wesen drehte sich wieder zu seiner Arbeit um. Die Menschenfrau dachte noch immer nach. Mittlerweile war sie von aller Hoffnung verlassen.
Sie drehte sich zu Ungut um, den sie zwar immer noch festhielt, aber für kurze Zeit vergessen hatte.
Kathiopeja ergriff auch noch seinen anderen Arm und schüttelte ihn, als sie ihn in lautem Tonfall fragte "Warum musst du auch ausgerechnet zur Wache kommen, und dich anzeigen?"
"Na, weil..." begann er. Seine Augen wurden trüb, als ein dumpfes Pochen ertönte. Erst jetzt hörte die angehende Wächterin auf, an ihm zu rütteln. Sie konnte beobachten wie Sist Ungut langsam zusammensackte. Zuerst gaben die Knie nach, und dann fiel er nach vorn. Sein Gesicht sank im Matsch der Straße ein. Schnell kniete sich die Rekrutin neben ihn. Sie drehte Sist Ungut um, und strich ihm den Dreck so gut wie möglich aus dem Gesicht.
"Mir das sehr leit tuen." sagte einer der beiden Trolle. Kathiopeja konnte sie nicht auseinanderhalten. Aber er hielt einen großen Balken in der Hand.
"Was ist passiert?" fragte sie.
"Ich ihn mit dem Holz getroffen haben." Er sah kurz zu Boden, vermutlich war das ein Zeichen für Verlegenheit, und ging dann weiter.
Mist! Auch das noch. Sie fächelte ihm Luft zu.
"Komm schon. Wach auf."
Langsam öffnete er die Augen. Die typischen beiden Fragen erklangen, als er wieder etwas bei sich war.
"Wo bin ich? Was ist passiert?"
"Sie wollten mir gerade sagen, warum sie sich wegen des Diebstahls angezeigt haben." erinnerte sie ihn.
"Ich habe jemanden bestohlen?" fragte er geschockt.
"Ja. Sie...." gerade wollte sie ihm alles erzählen. Doch ihr kam eine bessere Idee. "Ach,..." sagte sie stattdessen "...vergessen Sie es. Ich muss mich geirrt haben. Gehen Sie nur."
Sist Ungut stand auf und sah sich verwirrt um. Kathiopeja nickte ihm zu und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Er torkelte benommen davon.
Das Opfer hat nichts bemerkt. Der Dieb erinnert sich angeblich an nichts. Also gibt es kein Diebstahl. Und ohne Diebstahl gibt es kein Diebesgut. Bei diesem Gedanken ließ sie die drei Ankh-Morpork Dollar, die ihr der Mann auf dem Weg zu den Trollen gegeben hatte, in einer ihrer Taschen verschwinden.
Bleibt nur noch dir Frage, wie ich das Valdimier erkläre. Aber da fällt mir schon was ein. Sie grinste breit, als sie schlendernd wieder zur Wache zurückkehrte.

***

Mittlerweile hatten andere den Dienst am Tresen übernommen. Kathiopeja klopfte an Valdimiers Tür, in der Hoffnung, dass er noch in seinem Büro war.
"Herein." Erklang es von innen.
Die Rekrutin trat ein, schloss die Tür hinter sich und salutierte gut gelaunt.
Ihr Ausbilder sah sie zweifelnd an. Er hatte das Gefühl, dass da irgendwas nicht mit rechten Dingen zu ging. Ihr Vorgesetzter war bereits an ihre schnellen Stimmungswechsel gewöhnt, allerdings schwenkte ihre Laune normalerweise von gut nach schlecht um, und nicht umgekehrt.
"Wo ist der Dieb? Hast du herausgefunden, warum er sich angezeigt hat?" er verschränkte die Arme und sah sie erwartungsvoll an.
"Es war wohl alles nur ein Missverständnis."
Der Vampir hob eine Augenbraue. Er glaubte ihr nicht.
"Anscheinend gab es diesen Diebstahl gar nicht. Herr Ungut war nur etwas... verwirrt." Sie winkte mit der rechten Hand vor ihrem Gesicht. "Seine Schwester hat alles aufgeklärt." log sie ihren Vorgesetzten an.
Der Korporal wusste nicht ganz, was er davon halten sollte. Er hatte keine Beweise, dass etwas an ihrer Geschichte nicht stimmte. Trotzdem beschloss er, diesen Vorfall noch nicht zu vergessen. Zumindest was die ziemlich schwache Erklärung betraf, war etwas nicht in Ordnung. Irgendwann würde er sich sie vornehmen.
"Rekrutin, du hast Dienstschluss, wenn ich mich recht entsinne." Seine Stimme klang kalt.
"Ja, Sör." Sie tat, als hätte sie die Kühle in seinem Tonfall nicht bemerkt. Kathiopeja salutierte und verließ den Raum.
Nun musste sie nur noch hoffen, dass Valdimier nie hinter die wahre Geschichte kam. Irgendwie glaubte sie nicht, den Fall lange vor ihm geheim halten zu können. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie sich vorstellte, was der Vampir mit ihr anstellen würde, wenn er es jemals herausbekam. Doch diesen Gedanken verbannte sie sofort.
Froh über ihren Bonus, und die Tatsache, dass Korporal van Varwald den Vorfall vorerst so hinnahm, ging sie in den Eimer.
Sie mochte Brokkoli. Und sie mochte icksianisches Bier. Also beschloss sie, sich von dem Geld ein bisschen was zu gönnen.

[1] Sie vergnügten sich nicht wirklich. Aber es klingt einfach besser zu sagen, sie würden es tun.

[2] Sie wollte den Tschob war er so behalten. Immerhin ziemlich der einzige vernünftige, den eine Frau in Ankh-Morpork ausüben konnte. [6]

[3] Sie hatte eine Schwäche für Brokkoli. Es wurde sogar behauptet, sie sei süchtig.

[4] natürlich kratzte Valdimiers Feder über's Papier. Und auch von draußen kam Lärm rein. Sie hörte einmal sogar jemanden um Hilfe schreien (Schnapper war heute in der Gegend. Auf ihn, oder besser gesagt einen seiner "Kunden", führte sie das Geräusch zurück). Doch für den üblichen Lärm der Stadt war es ziemlich ruhig.

[5] Eigentlich mochte sie ihre Arbeit. Allerdings war sie sehr schlecht gelaunt. Und das führte bei ihr häufig zu Bemerkungen, die an und für sich entgegen ihrer Ansichten waren.

[6] wobei die Definition von "vernünftig" jedem selbst überlassen bleibt




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