Ein Sanitätszwerg

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von Wächterin Goldie Kleinaxt (GRUND)
Online seit 11. 07. 2004
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Für Rekruten (erste Mission):
Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht "Schnapper - Früherkennung, verbaler Umgang, Vermeidung von Nahrungsaufnahme; Theorie und Praxis".
Das wird sicher lustig!


Dafür vergebene Note: 11

"Jeder Zwerg ist seines eigen Glückes Schmied" - heißt es doch.

Wenn ich an die Zeiten zurückdenke, in denen ich mich im Stollen meiner Eltern versteckt und einfach nur gelesen habe... Mein Vater dachte, ich würde arbeiten, aber die Bergarbeit hat mir niemals richtig Spaß gemacht. Was soll das auch! Rumhacken und Dreckschleppen in dunklen miefigen Stollen. Meine Helden sind nicht unter Tage zu finden! Jacko, Fürchtenix und die schöne Syxia waren in Ankh-Morpork zu Hause. Sie kämpften als "Spezialeinsatzkommando des Patriziers" für Freiheit und Gerechtigkeit und schützten immer die Armen und Schwachen. Zumindest sagen das die Romane, die ich heimlich von den wandernden Händlern kaufte, die sich bis nach Überwald durchschlugen. Ich habe die Abenteuer der drei Helden verschlungen. In Schacht 4 hinter einem alten Bretterverschlag hatte ich die Hefte versteckt. Meine Eltern hatten für meine Schwärmereien kein Verständnis. Einmal habe ich erwähnt, dass ich später auch mal Polizist werden will.
"Schlag Dir die Flausen aus dem Kopf und geh lieber in den Stollen arbeiten! Das wird einen echten Zwerg aus Dir machen" meinten meine Eltern. Und mein Bruder fragte dann noch ironisch, ob ich in Überwald schon mal einem Polizist begegnet wäre!? Natürlich nicht!
Kurz darauf keimte in mir die Erkenntnis, dass ich mein Glück wohl niemals zu Hause in Überwald finden würde. Ich werde - wie meine Helden - mein Glück in Ankh-Morpork suchen und finden!! Um mich vorzubereiten, habe ich bei unserer Grubenwacht auch schon jede Menge Fortbildungskurse belegt. Ich hoffte, ich würde mein Wissen aus "Lebensrettende Maßnahmen unter Tage", "Sicherheit am Arbeitplatz unter Tage" oder "Überleben unter Tage" auch in meinem geplanten Leben als Polizist gebrauchen können.
Die kommenden Jahre vergingen mit schier endlosen Diskussionen zwischen mir und meinen Eltern. Im Großen und Ganzen ging es um zwergische Traditionen [1]. Irgendwann versagte selbst die berühmte kleinaxt'sche Sturheit [2] und schweren Herzens ließen mich meine Eltern dann doch woanders nach meinem Glück suchen. Ich zögerte nicht lange und schloss mich der nächsten Händlerkarawane an, welche aus Überwald weiter zog.
Als es dann endlich soweit war und ich in Ankh-Morpork angekommen war, musste ich leider feststellen, dass es gar kein "Spezialeinsatzkommando des Patriziers" gab. Und von Jacko, Fürchtenix und Syxia haben die Wachen vor dem Palast des Patriziers auch noch nichts gehört. Aber sie sagten mir, das was ich suche, würde ich wohl am ehesten bei der Stadtwache finden! Mir dämmerte, dass wohl doch nicht alles wie in meinen Heften sein würde.
Mmh. Wenn ich recht überlege, müssten die Romane immer noch hinter dem Holzverschlag in Schacht 4 liegen!

...
Mit so etwas hatte ich aber nun wirklich nicht gerechnet. Eine Lebensmittelkontrolle sollte mein erster Einsatz werden! Irgendwie hatte ich mir meinen Einstieg in den Polizeialltag glorreicher vorgestellt. Ich wollte Abenteuer und Heldentaten. Weg aus dieser langweiligen Zwergenumgebung!

"Hey! Kleinaxt!" schallt von Grauhaars Stimme durch Gedanken und Träume Seiten der Wirklichkeit herein.

Bittere Ironie - Von Grauhaar stammt ausgerechnet aus dem Nest, aus dem ich endlich weg bin.

"Hey! Rekrut Kleinaxt!! Wohl in Gedanken schon wieder in Überwald - Was?!"
Von Grauhaars Stimme reißt mich endgültig zurück ins das hier und jetzt.

Ankh-Morpork an einem schönen Sommertag! Die Straßen sind voller Menschen. Sie fließen förmlich durch die engen Straßen und Gassen. Die Hitze hebt den Geruch von Dreck und Müll noch etwas stärker hervor. Am Hier-gibt's-Alles-Platz stehen besonders viele Menschen und Händler. Und wir drei! Von Grauhaar, Olga-Maria und ich stehen an einer Kreuzung und halten nach einem Herrn Schnapper Ausschau. Von Grauhaar ist mein Ausbildungsleiter. Also viel hat er mich bis jetzt noch nicht ausbilden können, denn das hier ist mein erster Test in der Praxis. Jetzt endlich kann ich beweisen was in mir steckt - ein Verteidiger von Recht und Freiheit, von Gleichheit und Brüderlichkeit! Er hat mir zwar nicht vermitteln können, was die Lebensmittelkontrolle eines Bauchladenträgers mit knallharter Polizeiarbeit zu tun hat und mir vorgeworfen, ich wäre wohl "ein wenig übermotiviert". Mir ist es auch schon in den Sinn gekommen, dass es hierbei vielleicht gar nicht um eine echte Lebensmittelkontrolle geht, sondern um das Trainieren von sozialen Fähigkeiten. Aber egal - ich werde ihm zeigen, dass mehr als nur ein Zwerg in mir steckt! Deswegen habe ich mit Olga auch schon unser geplantes Vorgehen gegen diesen Verbrecher abgesprochen. Leider hat sie nur wenig Begeisterung entwickelt.
Olga-Maria habe ich im Rekrutierungsbüro kennen gelernt. Ein unscheinbares Mädchen. Eigentlich haben wir noch nicht viel privat miteinander gesprochen. Und um ehrlich zu sein, würde ich die Frage "Und warum bist Du nach Ankh-Morpork gegangen?" gerne vermeiden. Mich würde wahrscheinlich eh niemand richtig verstehen.
Von Grauhaar klimpert noch immer mit dem Kleingeld in seiner Tasche herum. Er ist überzeugt, unser Mann würde es schon hören. Was für ein Quatsch - als wenn man diesen Schnapper damit anlocken könnte!
Von den wenigen anderen Rekruten hatte ich bis jetzt die interessantesten Geschichten über Schnapper gehört. Aber mal ehrlich - wenn ich kein Würstchen will, dann nehme ich auch keins. Und auch sonst nichts! Es ist doch alles so einfach. Entweder kann er nachweisen, dass seine Würstchen frisch sind oder wir beschlagnahmen alles, verhaften und verhören ihn ordentlich! Genauso und nicht anders! So zumindest habe ich es gelesen. In "Der Schreckensmetzger" hat Syxia einen heimtückischen Fleischer verhaftet, der mit vergiftetem Fleisch gehandelt hat. Erst als sie ihm angedroht hatte, ihn durch seinen eigenen Fleischwolf zu drehen, hat er seine Taten gestanden.
Von Grauhaar hat nur geschmunzelt als ich ihm meine geplante Vorgehensweise in diesem konkreten Fall dargelegt habe.
"Na dann mach mal, Kleinaxt" hatte er noch auf dem Weg zum Hier-gibt's-Alles-Platz gesagt. Er scheint noch nicht völlig von meinen polizeilichen Fähigkeiten überzeugt zu sein. Wobei ich grade selber am Zweifeln bin. Vielleicht sollte man doch nicht so hart rangehen. Was ist wenn er mich gar nicht ernst nimmt? Was mache ich dann? Oder was wenn er mir entwischt und weiteren Menschen Schaden zufügt? Ich höre es schon: "Goldie Kleinaxt versagte schon während der Ausbildung!" Meine Eltern würden sich erst totlachen und mich dann wieder in den Stollen stecken.

"Würstchen! Heiße leckere Würstchen!" schallt es aus der Ferne.
"Na ihr beiden, gleich wird es ernst für Euch!" grinst von Grauhaar.
So langsam bekomme ich weiche Knie. Eigentlich mag ich es nicht, Fremde anzusprechen. Ich habe das Gefühl noch kleiner zu werden als, ich eh schon bin.
"Da kommt er!"
Von Grauhaar hört auf mit dem Kleingeld zu klimpern und zeigt auf einen dünnen Mann mit einem Bauchladen. Er ist in graues Gewand gekleidet und wirkt auf den ersten Blick irgendwie rattenhaft.
"Du zuerst!" sage ich zu Olga-Maria.
"Nein! Du hast die großen Töne gehabt!" Zischt sie zurück.
"Und nicht vergessen. Nichts essen, nichts schlucken!" lautet von Grauhaars letzter Kommentar.
In diesem Moment bekommen wir beide einen Schubs von ihm und stolpern auf Schnapper zu. Ich spüre förmlich, wie ich rot anlaufe. Was soll ich jetzt bloß machen!
"Heiße Würstchen! Lecker heiße Würstchen!! He - ihr zwei! Ihr seht so aus als habt ihr Hunger auf meine leckeren Spezialitäten" meint der rattenartige Mann.
"Äh mmh äh - nein. Eigentlich nicht!" Höre ich Olga-Maria neben mir "Äh - Sind Sie Herr Schnapper?"
"Schnapper? Ja der bin ich! Oder besser Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper!"
"Was denn nun? Also Sie sind der Herr Schnapper, der Würstchen verkauft?" Damit versuche ich die Initiative wieder an mich zu reißen.
"Ja! Ihr seid der Beweis! Sogar Leute die mich nicht kennen, haben zumindest von meinen Würstchen gehört! Übrigens nur mit den besten Zutaten. Und immer wieder sagen mir meine Kunden: Schnapper deine Würstchen schmecken fantastisch!"
"Wirklich?" Fragt Olga-Maria.
"Ja das sagen Sie!" Schnapper kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus.
"Nein ich meine - nur frische Zutaten?!"
"Natürlich nur die besten Zutaten!" Schnappers Gesichtsausdruck zeigt deutliche Bestürzung.
"Ihr wollt doch nicht sagen, dass meine Würstchen nicht frisch sind?! Schaut her - die zappeln ja sogar noch! War nur ein Scherz!! Wollt Ihr kosten?"
"Nein!" Wie aus einem Munde kommt unsere Antwort. Nicht umsonst hat uns von Grauhaar eingeimpft nichts zu essen.
"Wir sind von der Stadtwache und führen Kontrollen ob der hygienischen Bedingungen deines Lebensmittelverkaufes durch!" Mit diesem Spruch habe ich mein Selbstbewusstsein wieder gefunden. "Beweise, dass deine Würstchen frisch sind oder wir verhaften Dich!"
"Wieso sollten meine Würstchen nicht frisch sein? Ich verwende nur die besten Zutaten! Nur bestes Schweine- und Rinderfleisch. Das Frischeste von Frischesten ist mir für meine Würstchen gerade gut genug und ihr glaubt mir nicht, ohne auch nur ein einziges gekostet zu haben." Seine Stimme wird immer lauter und die ersten Leute drehen sich schon zu uns um. "Meine Würstchen sind mein Leben!! Und Ihr kommt und trampelt einfach so darauf rum!!" Schnapper schreit fast.
Inzwischen haben sich alle Umstehenden zu uns umgedreht und beobachten interessiert den Fortlauf der Szene.
Schnapper wendet sich theatralisch an die Menge.
"Und stellt Euch vor: Sie wollen noch nicht einmal kosten!"
Als Antwort ist aus der Menge ein Murren zu hören, aber auf den meisten Gesichtern ist ein Grinsen zu erkennen.
"Kosten!! Kosten!!" Ist aus der Menge zu hören. Ich habe das Gefühl, dass mir die Situation zu entgleiten scheint. Ich sehe mich nach von Grauhaar um, kann ihn aber nirgendwo entdecken.
"Ja! Kosten müsst Ihr wenigstens! Kosten!" Ruft da einer, der gerade noch gegrinst hat.
"Für Zwerge habe ich übrigens auch Leckereien aus Rattenfleisch!" flüstert mir Schnapper versöhnlich zu. "Das erste Mal ist es sogar gratis!"
"Einer wird wohl kosten müssen! So schlimm wird es wohl nicht werden!" Zischt mir Olga-Maria ins Ohr.
"Ich weiß nicht so recht!" Ich bin mir wirklich unsicher.
"Nur so kannst Du beweisen, dass du zum Wächter geboren bist" Stachelt Olga weiter. "Ein Wächter muss Risiken eingehen!"
"Na ja, ich werde es wohl mal probieren." Ich bin mir zwar unsicher, aber von Grauhaar war ja nirgendwo etwas zu sehen.
"Nun gut - Herr Schnapper. Ich werde Ihre Würstchen probieren!" Wende ich mich an Schnapper und sage es so laut, dass es auch in der Menge zu hören ist. Schnapper reicht mir ein Rattenfleischbällchen. Beim näherem Betrachten kommen mir doch ernsthafte Zweifel an der Qualität von Schnappers Waren. Rattenfleisch hat eine andere Farbe und vor Allem - es riecht anders! Ich halte das Reisbällchen in der Hand vor meinem Bart, zögere aber.
"Kosten! Kosten!" dröhnt es aus der Menge der Zuschauer.
Ich gebe mir einen Ruck. Schließlich muss ich die Situation hier wieder unter Kontrolle bringen. Runter mit dem Zeug!
In diesem Augenblick höre ich links neben mir "Kleinaxt!! Ich sagte: NICHTS ESSEN!". Wie aus dem Nichts ist von Grauhaar neben mir aufgetaucht und schlägt mir im letzten Augenblick das Fleischbällchen aus der Hand.
Wie in Zeitlupe verfolgen wir den Flug des Fleischklumpens. Es hält genau auf Olgas Kopf zu, der vor Schreck über von Grauhaars plötzliches Erscheinen sperrangelweit offen steht. Und - Oh Nein! - genau in den Mund hinein! Olga-Maria taumelt zwei Schritt zurück, steht da und rührt sich nicht. Dann läuft sie rot und dann blau an! Wie in Trance stehen wir da und beobachten, wie sie röchelt, keinen Ton herausbringt und immer wieder auf ihre Kehle zeigt.
In dem Augenblick wird mir alles klar. Das Fleischbällchen ist ihr im Hals stecken geblieben und sie bekommt keine Luft mehr! Jetzt kommt es auf mich an!! Ich erinnere mich plötzlich an all die Erste-Hilfe-Kurse daheim im Bergwerk und handele ohne weiter nachzudenken. Ich sprinte zu ihr rüber und trete von hinten in ihre Kniekehle, so dass Olga auf meine Größe zusammenrutscht. Nun umfasse ich ihren Brustkorb und presse ihn mit einem Ruck zusammen. Nichts passiert und Olga röchelt noch deutlicher. Noch einmal! Luft holen und pressen! Diesmal macht es flutsch und das Fleischbällchen fliegt in einem weiteren hohen Bogen über den Platz, wo es diemal im Dreck landet. Ich lasse Olga-Maria los. Sie keucht und spuckt. Von Grauhaar ist schon bei ihr und hilft ihr auf.
Ich selber muss nach der Aufregung auch erst mal durchatmen. Nach ein paar Sekunden sehe ich mich um. Die Menschenmenge widmet sich wieder ihren Geschäften und Schnapper hat sich auch verdrückt. Es ist so, als wäre nichts passiert. Außer einer spuckenden, fluchenden Wächterin deutet nichts darauf hin, dass hier gerade etwas Außergewöhnliches passiert ist. Und dann denke ich über das nach was gerade passiert ist.
Ich habe alles vermasselt! Wegen mir wäre Olga-Maria fast erstickt! Und Schnapper ist uns auch entwischt! Das war's! Ich werde jetzt bestimmt rausgeschmissen!
"Wir gehen jetzt besser!" Meint von Grauhaar böse und mir schwant Böses.
Ich fühle mich schlecht. Ich habe gegen Anweisungen gehandelt und dadurch das Leben von Wächtern gefährdet! Das letzte Ehrenhafte was ich jetzt noch tun kann ist, von selbst zu kündigen.

Während wir drei wieder zur Kröselstraße trotten, halte ich es innerlich nicht mehr aus und wende ich mich an von Grauhaar.
"Sir, ich gehe freiwillig!"
Von Grauhaar sieht mich an und schüttelt dann den Kopf.
"Was !? Ich denke das wird nicht notwendig sein. Ich habe mir Euren ersten Außendienst zwar auch anders vorgestellt, aber immerhin hast Du Olga das Leben gerettet. Und wir brauchen schließlich immer Leute die sich mit Erster Hilfe auskennen. Quasi, ein Sanitätszwerg! Kopf hoch, Goldie! Morgen geht's weiter."
"Aber Sir! Schnapper habe ich doch auch nicht verhaften können!"
"Schnapper?! Schnapper verhaften? Darum ging es nicht, Goldie! Und Hauptmann Dämon wäre sowieso ausgerastet, wenn Du mit Schnapper im Schlepptau in der Kröselstraße einziehst!" erwidert von Grauhaar.
Mir fehlt ein Stein vom Herzen. Ich könnte ihn umarmen! Die Welt ist schön!
"Sir! Danke Sir!" Ist das Einzige, was ich in meiner Freude rausbringe.
Jacko, Fürchtenix und Syxia hätten es nicht besser machen können!
Ich bin ein Held! Zumindest werde ich noch einer und bin auf dem besten Weg dahin!!
[1] zwergische Traditionen wie das Arbeiten und spätere Übernehmen der Familienmine - dazu gehört im allgemeinen zwergischen Verständnis NICHT das Schwärmen von einer Polizeikarriere in einer Großstadt und das Streben nach menschlichen rechtschaffenen Idealen

[2]  bzw. die Sturheit meiner Eltern, denn meine eigene Sturheit war noch berühmter




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