Bisher hat keiner bewertet.
Was bewegt jemanden in ein Haus zu laufen, nur um den Bruchteil einer Sekunde später wieder durch eine gigantische Explosion nach draußen katapultiert zu werden?
Dafür vergebene Note: 13
"Den da, da." Atera hastete auf einen leeren Karren zu, der im Schein der Mittagssonne stand und nur auf sie zu warten schien. Ikari lief bereits darauf zu und hievte sich mit einem Ruck an dem Karrenrand hinauf.
"Die Keile!" Die Untote schlug die Holzblöcke mit ihrem Schwert so heftig vor den Rädern weg, dass sie wie Bauklötze davon flogen. Langsam und knarzend setzte sich der Karren in Bewegung. Ikari beugte sich weit über den Rand, als er Ateras Hand zu greifen bekam. Ihren Haken hatte sie bereits am Karrenrand festgeklemmt.
"Rauf, rauf!", ächzte sie und lief mit, als der Karren weiter zu rollen begann. "Zieh doch!" Man hörte Nähte reißen, die Hand lockerte sich. Gerade als sie drohte ganz abzufallen, griff Ikari ruckartig tiefer und zog Atera an ihrem Arm nach oben. Gemeinsam fielen sie auf die harte Ladefläche zurück.
Der Karren holperte die abschüssige Straße hinunter. Häuserzeilen wischten vorbei, Stimmen, auch Schreie, und über ihnen der Himmel, ein grauer Fleck.
"Verdammter Mistkerl." Atera spähte aus dem führerlosen Karren.
"Oh, ja." Ikari starrte auf die vorbeihuschenden Pflastersteine. Der Karren flog nun beinahe darüber, so steil begann der Hang zu werden. Viele Städte waren auf Hügeln erbaut, Ankh-Morpork auf einem großen Matschhaufen. "Ne Idee, wie wir um die Kurve da kommen?"
"Wenn ich 'jetzt' sage, wirf dich nach links." Die Untote sah verbissen auf das Ende der Straße, dass in einer langen Kurve mündete. Ihre Haare wehten ihr ins Gesicht, sie fühlte ihre lockeren Glieder schlackern, der Karren machte einen Satz über einen Hubbel und sie knallte hart zurück auf den Holzboden, ein Fuß löste sich. "Jeeeetzt!"
Sie fielen mehr nach links, als dass sie sich warfen, aber dem Karren genügte es, um nach links auszuscheren und haarscharf an der Wand entlang zu schaben, um dann doch wieder an Fahrt zu gewinnen und die neue Straße entlang zu rasen.
"Da hinten, da ist es!" Ikari zeigte mit einem wackelnden Arm zum Straßenende. "Was machst du da?!"
Atera schwang ein Bein über den Rand. "Abspringen." Sie wartete noch ein paar Sekunden in denen sie die Häuserwand langsam näher kommen sah. Dann warf sie sich vom Karren und rollte unkontrolliert über die dreckige Straße, hinter sich hörte sie den dumpfen Aufprall von Ikaris Körper, dann das Zerbersten von Holz, Trümmer flogen durch die Gegend, aber all das war nicht von Belang.
Von Belang war nur in das verdammte Haus zu kommen. Sie rappelte sich auf, humpelte armlos auf den Eingang zu, ihr Kollege holte sie schnell ein, die Türe war offen, der Flur dunkel, die Tür wo war die verdammte Tür, ja da keine Zeit mehr um auf die Uhr-
Dann explodierte das Haus. Die Fenster spieen Feuer, Hitze raste durch Flure und Zimmer, Wände brachen. Und eine Druckwelle schleuderte zwei Wächter nach draußen, wo sie an die gegenüberliegende Mauer prallten und in ihre Einzelteile zerfielen.
Was bewegt jemanden in ein Haus zu laufen, nur um den Bruchteil einer Sekunde später wieder durch eine gigantische Explosion nach draußen katapultiert zu werden?
***Vor wenigen Tagen***
Vor müde schauenden Augen peitschte der Regen durch eine düstere, dunkle Welt. Der graue Schleier zog über die angrenzenden kleinen Häuser. Es waren eher Baracken, baufällig und anscheinend mehr durch Zufall als durch guten Willen zu einer Unterkunft geworden. Aus der aufgebrochenen feuchten vom Regen fast schwarzen Erde wälzten sich die Regenwürmer. Rosé nasse Leiber, hin und her windend, sich in die Luft streckend wie abgetrennte Finger, die ihrem Besitzer aus dem Grabe entflohen.
Große Regentropfen platzten auf die Erde, zersprangen in kleinere Teile und gaben einen gleichmäßigen prasselnden und plätschernden Geräuschhintergrund für die Kulisse der ansonsten stillen Randgebiete von Ankh-Morpork.
Hier gab es kaum gepflasterte Straßen, und wenn - man fand sie ohnehin nicht auf einem Stadtplan. Wozu auch? Niemand wollte hier hin. Man war stets auf der Durchreise.
Da waren nur die Fassaden und Schornsteine der Häuser, die aus der Nacht hinausragten. Eine dunkle, graue Masse, nicht viel besser als der Himmel darüber. Aber es gab noch etwas hier.
Ein kleines, blassgelbes Licht, schwach schimmernd, immer wieder flackernd, denn der Wind drang zwischen die Metallritzen und die Hand, die jene Laterne hielt, war vor Kälte bleich und zittrig. Zwei Männer kauerten unter dem schmalen Unterschlupf eines Hauseinganges, während der Regen um sie herum fiel.
"Und es wird und wird nicht weniger." Der eine schlug seinen Mantelkragen höher. Dann wieder Schweigen. Um sie herum zerfielen die Wolken in Tränen.
"'dammt, das war eine doofe Idee. Lass uns endlich weitergehen. Nasser werden wir auch nicht mehr", sprach plötzlich der andere Mann. Mit einer Kopfbewegung wies er runter zur Straße. Dunkel lag alles hinter dem Regenschleier, nirgendwo brannte Licht.
"Hast du vergessen, dass wir jemanden suchen?", gab der Andere zurück, sein Tonfall hatte etwas Gepresstes. Er war wesentlich größer, kräftiger. Sein bleiches, regennasses Gesicht lief an einem ausgeprägten Kinn zusammen. Ansätze der blondgrauen struppigen Haare verschwanden unter einer roten Kapuze, die nass herabhing. Von der Spitze tropfte es unablässig herunter.
"Hab ich nicht", raunte der andere zurück. Er hielt die Laterne steif umklammert. Das Licht hob schwach je drei Narben auf seinen Wangen hervor, als hätte er mal mit einer besonders großen Katze Bekanntschaft gemacht. Trotz des Regens standen ihm schwarze, dichte Haare wild vom Kopf. Beide trugen eine SEALS-Uniform.
"Der hat sich sicher irgendwo hier versteckt", beharrte der Größere.
"Ja, bei dem Wetter würde ich das auch tun." Der andere seufzte kurz. "Dennis, es gibt Tausende von unlizensierten Dieben hier. Lass uns doch einfach den hier vergessen. Herrje, ich müsste nur die Hand in meine Manteltasche stecken und in den meisten Fällen würde ich die Hand einer dieser Burschen finden, der mir gerade meinen letzten Sold abgreift."
"Klingt so, als würdest du immer noch von deiner eigenen Hand reden, Tib." Der Hauptgefreite schnürte ungerührt sein rotes Regencape enger zusammen.
Tibor Khäinen brummte nur etwas und machte Anstalten aus dem Hauseingang hinaus zu treten, aber Dennis hielt ihn schnell zurück. Er sagte nichts, sondern blickte nur über die Straße hinweg, an dem eisernen Stumpf einer alten Laterne vorbei, die wie ein seltsames schwarzes Gebilde mit der Nacht verschmolz. In dem Lichtkegel der Kerze, der die schlammige Straße beleuchtete, trottete gerade in diesem Augenblick ein großer Hund vorbei. Es war ein sehr dürres, gedrungenes Tier, das nasse Fell hing ihm herab, Regen floss daran hinunter. Nichts war zu hören, kein Hecheln und auch seine Schritte nicht. Dann war er an dem Lichtschein vorbei. Lautlos; als hätten nur Wind und Regen miteinander gespielt, nur ein Trugbild für die Augen erschaffen.
"Vielleicht hast du recht", sagte Dennis nach einer Weile. Er trat unter dem Hauseingang hervor und sofort prasselten die Tropfen mit erstärkter Kraft auf ihn nieder. Hinter ihm kam sein Kollege ebenfalls, die Laterne hin und her schwankend. Sie trabten über die kleine Straße. Schlamm griff nach ihren Stiefeln.
***
"Oh Mann, ich kann mir nichts besseres vorstellen, als bei dem Sauwetter hier drin zu sein." Ledamahn ließ mit einem Krachen das Tablett auf dem runden Tisch nieder. Bierspritzer verteilten sich auf dem Holz.
"Ist das der Grund weswegen du dich mit deinem Informanten in einer Strip-Bar triffst?" Claudette schob sich ihren Krug näher.
"Nein, er will es laut, er will es voll und vor allem will er mich nicht allein." Der Szenekenner setzte sich mit an den Tisch. "Und ja, außerdem verpasst er niemals Madame Mimu's Körperwelten - Show. Er ist ein wahrer Vergnügungssüchtiger", Ledamahn senkte beschwörend die Stimme, "Also solange er gut drauf ist, sind wir gut drauf, alles klar?"
Sergji grinste und nickte. Um sie herum drängten sich Männer jeder Rasse und jeden Alters an den Tischen, lachend, Bier schlürfend, abwartend. Noch war die Bühne in dem Barraum leer und mit zwei altersfleckigen gelben Vorhängen verdeckt. Madame Mimu selber stand hinter der Theke und zapfte Bier von den großen Fässern ab. Sie war eine vollbusige Matrone, immer eine dicke Zigarre im Mund, der von einem kleinen Schnurrbart geziert wurde. Früher einmal war sie recht erfolgreich in der Stripperinnengilde gewesen und man sagte, ein dummer Zufall hätte sie in deren Gunst fallen lassen und ihr diese Bar eingebracht. Kein schlechter Zug, meinten viele.
"Da hinten ist unser Mann, oder?" Sergji wies mit einem Kopfnicken zu einer kleinen Person, die gerade den klappernden Perlenvorhang am Eingang wegschob und eintrat. Im selben Moment warf eine Lampe einen scharfen Lichtfleck auf die Bühne und die Vorhänge schoben sich langsam auseinander. Die Männer begannen auf die Tische zu klopfen. Rauch schwebte in der Luft, der Geruch von Schweiß, Dreck und... anderem.
"Rubin! Rubin! Rubin!", dröhnten ein paar große Trolle an einem Tisch. Eine Trolldame schob sich zwischen den Vorhängen hervor, mit einer roten Federboa spielend. Große diamantene Zähne blitzten in das Licht.
Das besondere an Madame Mimu's Körperwelten-Show war, dass jede Rasse hier, ob Menschen, Trolle, Gnome, Vampire, ja selbst Zwerge, auf ihre Kosten kamen. Man munkelte, dass selbst Igors Gefallen an der Vorstellung finden würden. Nur eines waren alle Vorführenden: weiblich (naja, bei dem Zwerg war man sich nicht sicher). Einmal im Monat jedoch luden die Stripperinnen eine Gruppe von Schauspielern aus Sto Lat ein, die dann für sie tanzten, aber dieser Tag war nicht heute und Claudette bedauerte dies sehr.
Als dann auch noch ein hässlicher Gnom so selbstverständlich nach ihrem Bierkrug griff, als wäre es seiner, zerquetschte sie ihm seine kleinen Finger, was nicht gerade höflich war, aber unter den gegebenen Umstände genau das, was der schmierige Winzling verdient hatte, dachte Claudette.
Einige sehr ereignisreiche Minuten vergingen...
"Jap, das war unser Mann." Ledamahn klemmte die Daumen hinter seinen Ledergürtel. Zu dritt sahen sie auf die Strip-Bar von Madame Mimu. Von draußen. Von drinnen hörte man immer noch das Gröhlen der Männer und etwas leiser die Musik. Offenbar ging die Show weiter.
"Es war mein Bierkrug." Claudette wischte sich den Regen aus dem Gesicht. "Er hätte verdammt noch mal fragen können, dann hätte er ihn auch bekommen."
Sergji fummelte eine offenbar gebrauchte Zigarette aus einer seiner Manteltaschen. "Huh, das Ganze ist gewalttätiger geworden, als ich gedacht hätte", nuschelte er, als er sich seine Zigarette, mit einer Hand den Regen dabei abschirmend, anzündete.
"Wenigstens haben wir die Informationen." Ledamahn wandte der Bar den Rücken zu und schlenderte die Straße entlang, die anderen folgten ihm. "Und ich einen guten Kontakt weniger."
"Aber seine Info klang ziemlich unglaubwürdig. Wer weiß, ob er sich nicht einfach nur einen Spaß erlaubt und wir nachher die Dummen sind", warf Sergji nach einer Weile ein, sie gingen weiter. Regen spülte die Gossen frei und trieb den ganzen Dreck auf die Pflastersteine. Es war nur weiterer Gestank und Schmutz.
"Wenn wir die Dummen sind, dann sorge ich dafür, dass er danach noch viel dümmer dran ist." Leda verzog grimmig sein Gesicht, was aber niemand sah, da es unablässig regnete. Wasser gurgelte in Rinnsteinen, floss durch Abflussrohre, sickerte über Dachschindeln. "Hat noch jemand eine Zigarette?", fragte er in die entstandene Stille hinein. Sergji zog hastig an seiner, als könne man sie ihm abnehmen.
"Hey, das hier ist meine einzige und ich habe sie für siebzig Cent bei einem windigen Kerl gekauft. Völlig überteuert", schnaubte er zwischen zwei Zigarettenzügen. "Hab das Geld auch nicht gepachtet."
"Wollt dir auch ganz sicher keine abgreifen an der du schon mal genuckelt hast." Regentropfen perlten an Ledamahns Mantel ab, sein schwarzer Haarzopf lag nass und glänzend über seiner Schulter. Über ihnen ballten sich grauschwarze Wolken noch dichter zusammen, in der Ferne hörte man bereits leisen Donner. Die drei Wächter eilten schneller die Gasse entlang, es war nicht mehr weit bis zum Ankh.
"Tabaksteuer." Claudette sprach es wie ein Schimpfwort aus und schüttelte dabei den Kopf. "Was besseres hätte dem Patrizier auch nicht einfallen können. Meine Informanten sind in letzter Zeit recht bedeckt, was das Thema angeht, aber ich weiß, was ich gehört habe. Vermehrter unlizensierter Schmuggel."
"Und die Schmugglergilde rotiert. Erinnert ihr euch an den armen Burschen letzte Woche, um den sich nur noch DOG kümmern konnte?", erwiderte Sergji, "Nur nen Schlucker, der Schnupftabak verkauft hat. Unlizensiert." Er strich sich mit dem Finger über den Hals. "Und - zack! - das wars für ihn. Für DOG war der Fall dann erledigt."
"Ist ja auch nicht denen ihr Bier, sich um unlizensierte Kerle zu kümmern, um die sich bereits die jeweilige Gilde gekümmert hat", gab Ledamahn zurück, als sie um die Ecke bogen und zum Perlendock traten.
"Ist aber unser Bier. Vorsorgearbeit nennt man - scheiße", brach Claudette plötzlich ab, als sie den Hafen erblickte.
"Im wahrsten Sinne." Sergji warf seine erloschene Kippe in den Ankh vor seinen Füßen, der sich in einer dünnen Schicht über den Kai geschoben hatte. "Wenn es weiter so regnet, wird noch die ganze Stadt überschwemmt."
Die SEALS-Wächter sahen über den Perlendock. Große Lagerhäuser ragten wie schwarze Schatten aus dem Ankh heraus, in weiter Entfernung konnte man die Schemen der Schiffe und Boote erkennen, verhüllt von einem dichten Regenschleier, dessen Wind Fässer und Kisten stückchenweise über die überflutete Straße trieb. Hier brannte keine Laterne mehr, nirgends war jemand zu sehen.
Erst als die Obergefreite die Kerze in ihrem Laternenkasten entzündete, fiel etwas Licht auf die Szenerie. Doch graue dumpfe Lagerhäuser blieben Lagerhäuser und der Ankh war weiterhin der Ankh, nur etwas größer und... flüssiger.
"Na gut, gehen wir's an." Claudette stopfte ihre Hosenenden in ihre hohen Stiefel und tastete sich vorsichtig vorwärts. Eine zähe Masse war bemüht ihr die Stiefel wieder auszuziehen, aber sie hatte sie vorsorglich mit Riemen gesichert. "Ich hoffe, ihr folgt mir", sagte sie nach ein paar Schritten.
"Ich wünschte nur, der dämliche Gnom hätte nichts gewusst", brummte Sergji, "Das ist die beschissenste Arbeit überhaupt." Dann stapfte der Vektor, sich die Nase zuhaltend, grimmig vorwärts.
Ledamahn wrang seinen Zopf aus und deutete dann zu einem großen Schemen am Kai. "Das da hinten muss die Blaubiber sein."
***
Draußen trommelte der Regen an das Holz, die Stadt versank im Dunklen. Es war still, ein paar Tauben gurrten, viele schliefen, den runden kleinen Kopf ins Gefieder gekuschelt. Eine abgeschirmte Öllampe brannte in der Ecke, verbreitete leichte Wärme. Eine Zeitung raschelte.
Das Licht schien auf eine junge Frau, die in jener Zeitung blätterte und sehr konzentriert schien. Doch ab und zu warf sie einen Blick zu den Taubenkäfigen in einer Ecke des Schlages und manchmal auch zu den Tauben, die auf den Holzstangen saßen.
Staub tanzte in der Luft. Es schien ein ruhiger Feierabend zu werden.
Streik und Aufstand am Hafen! Entrüstete Kaufleute werfen aus Protest ihren Tabak über Bord. Großer Rückschlag für den Tabakhandel.
Die Ausgabe der neusten Times versprach Unterhaltung für mindestens eine halbe Stunde.
Was sie dann auch ungefähr für eine halbe Minute tat. Dann wurde plötzlich die Doppeltüre zum Taubenschlag aufgerissen und Laiza Harmonie trat recht schnell ein, blickte hektisch um sich und hob dann eine Augenbraue erstaunt, als sie Will auf einem Stuhl sitzend entdeckte.
"Oh, ich äh dachte", begann Laiza und gestikulierte dann mit den Händen zu den Tauben, "ich muss dringend eine Nachricht-" Wieder brach sie ab. "Was machst du hier?" Die FROG-Wächterin musterte kurz die Uniform der anderen und ihre drei Rangstreifen.
"Möchtest du, dass deine Nachricht ankommt?", fragte die Hauptgefreite nur und faltete ihre Zeitung zusammen.
"Äh, ja." Laiza fuhr sich etwas verwirrt durch die schwarzen lockigen Haare.
"Dann solltest du keine Taube nehmen. Bei diesem Wetter wird sie nicht dort ankommen, wo du sie hinschicken möchtest." Die andere Wächterin zog sich ihre Uniformjacke an, die sie abgelegt hatte.
"Du weißt doch gar nicht, wohin ich sie schicken will."
Will Passdochauf nickte nur und Laiza verstand. "Meine Kollegen sind auf einem wichtigen Einsatz und sie müssen diese neue Information bekommen, es ist wirklich wichtig. Was soll ich jetzt machen? Hinrennen?" Sie schüttelte den Kopf, als käme diese Option wirklich zuletzt in Frage.
"Wo ist es denn?", fragte Will und begann sich die Stiefel ordentlich zu schnüren.
"Augentroststrasse 28, keine Ahnung wo die ist, jedenfalls wir haben einen ausgestiegenen Alchemist, so einen Giftmischer, umstellt. Er hat eine Menge Handlanger, jedenfalls hat sich jetzt herausgestellt, dass das Gift-", begann Laiza zu erzählen, während Will bereits nach Nennung der Adresse aufgehört hatte zuzuhören und im Kopf überschlug wie viel Zeit sie für die Strecke zu Pferd brauchen würde. Bei dem schlechten Wetter... sicher noch fünf Minuten mehr.
"Wo ist die Nachricht?", unterbrach die Kommunikationsexpertin. Laiza kramte sie aus ihrer Tasche und Will nahm sie ihr sofort aus der Hand. "Ich bin in einer halben Stunde wieder zurück", rief sie über die Schulter, als sie bereits hinausrannte.
"Aber-" Die FROG-Wächterin fasste sich schnell wieder und eilte hinterher. "Der Einsatz läuft bereits, man muss sich anschleichen!" Sie polterte die Stufen hinunter. Will riss schon die Türe zum Hinterhof aus und rannte durch den Regen zum Stall. "Ich werde hinreiten."
"Weißt du, wo es ist?" Will hievte ächzend den Sattel auf das Pferd, das sie nach draußen führte. Regen floss das schwarze matte Fell hinab. Tropfen prasselten leise auf Laizas Brustharnisch.
"Nein, aber ich kann mich anschleichen", erwiderte die Gefreite und schnallte die Sattelriemen fest. Dann wollte sie aufsetzen, aber Wills Fuß hatte sich bereits in den Steigbügel gestemmt und sie schwang sich zuerst nach oben.
"Bis ich dir den Weg erklärt habe, ist der Einsatz vorbei." Will lenkte das Pferd langsam aus dem Hinterhof, doch kurz bevor sie losreiten konnte, hatte sich Laiza ungeschickt aber mit großer Willenskraft hinter Will auf das Pferd gesetzt.
"Om, schütze uns", sagte Will leise, als sie in das Unwetter ritten.
"Bah, das bisschen Regen." Laiza klammerte sich an die Hauptgefreite vor ihr.
Wiehernd setzte sich das robuste Tier in Bewegung, die Hufen klapperten rhythmisch auf dem Kopfsteinpflaster, als die beiden Wächterinnen rasch über den Pseudopolisplatz galoppierten. Regen wehte in ihr Gesicht, machte eine genaue Sicht unmöglich. Noch dazu brannte nur knapp jede dritte Straßenlaterne, doch Will kannte den Weg auch so.
In ihrem Kopf breitete sich ein imaginärer Stadtplan aus. Jeder SEALS-Wächter besaß so einen, mal mehr, mal weniger gut ausgearbeitet. Hier und da waren Markierungen, Anmerkungen und besondere Stellen gekennzeichnet. Es gab bunte Linien, die sich durch die Straßen gruben und bestimmte SEALS-Routen darstellten.
An diesem Tag fügte Will etwas neues hinzu. Überschwemmungsgebiet.
***
Der Schrei kam plötzlich und war nicht fern, sondern erschreckend nah, eine Straße vielleicht. Es klang nach einem Mann. Dann noch mehr. Rufe. Pöbeleien.
Die zwei SEALS-Wächter rannten in die Richtung, aus der die lauten Rufe kamen. Schlammspritzer bedeckten rasch ihre schwarzen Stiefel und die Hosenbeine. Die Lampe in Tibors Hand schwankte, flackerte und ging bald darauf aus. Plötzlich standen sie im Dunkeln.
Vorsichtig tasteten sie sich vorwärts, die Kreuzung war bald in Sicht und als sie in die nächste Gasse einbogen, die von mehreren Baracken gesäumt war, sahen sie auch die Männer. Vier unbewaffnete auf der einen Seite, drei mit Schwertern und einer großen Armbrust auf der anderen. Abseits lag ein schmuddeliger Mann und hielt sich schreiend sein Bein.
"Mach die Lampe wieder an", zischte Dennis leise. Die zwei Wächter hatten sich hinter einem Schmutzberg versteckt. Während der Verkehrsexperte den Regen abschirmte, hantierte Tibor mit dem Zündelzeug und der beinahe heruntergebrannten Kerze. Unablässig prasselten die Regentropfen auf ihre hastig aufgesetzten Helme, hämmerten, trommelten. Es war ein Geräusch, dass an die Substanz ging.
Endlich brannte das Licht wieder und sie traten hervor. Dennis mit gezogenem eindrucksvoll großem Schwert, Tibor mit einer Hand an seinen Wurfmessern am Gürtel.
"Stadtwache Ankh-Morpork!", dröhnten gemeinsam ihre Stimmen über die Kreuzung. Die Laterne beleuchtete Männer, die in abgerissenen Kleidern steckten, dreckverschmiert, nass von den Gliedern hängend. Ihre Gesichter waren verhärmt, sahen vermutlich älter aus als sie es eigentlich waren.
"Hier ist kein Ankh-Morpork", sagte einer der Männer mit Waffe und spuckte auf den Schlamm unter ihm.
"Doch", widersprach Tibor, "ich kann von hier das Mittwärtige Tor sehen." Er hielt die Laterne hoch, aber man sah nichts außer Regen und die undefinierbaren Fassaden von kleinen gedrungenen Gebäuden. Ein langes Donnerrollen ertönte aus den Morpork-Bergen in der Ferne.
"Ich kann noch nicht mal von hier deine Visage sehen, also schert euch weg." Eine Armbrust richtete sich auf die Wächter.
"Was ist denn hier los?", fragte Dennis die Unbewaffneten. Er hielt sein Schwert scheinbar lockerte, aber seine Stiefel rührten unbemerkt im Schlamm, seine Hände veränderten immer wieder den Griff. Er war nervös. Nicht um sich, nein, er konnte sein Leben verteidigen. Aber er war sich nie sicher, ob er auch das Leben anderer würde verteidigen können.
"Wir kommen von den Kohlfeldern." Einer der Männer deutete schwach in die Dunkelheit hinter sich. "Wollten nur in die Stadt. Da hat plötzlich der da-", er deutete auf einen der drei Gauner, "auf Burt geschossen. Einfach so!"
"Sie haben keinen offiziellen Wegezoll errichtet", verteidigte sich dieser.
"Es gibt keinen Wegezoll!", schnauzte Dennis sofort und machte einen Schritt nach vorne. Die drei Männer taten sofort einen zurück. Keiner von ihnen war wirklich groß gewachsen und Dennis... Dennis war jemand, den man nicht so leicht übersah. Er streckte seinen freien Arm aus und deutete auf den jämmerlich schreienden Mann am Boden. "Wer hat auf diesen armen, armen Kerl geschossen?!"
Derjenige, der etwas schneller im Denken war, ließ klappernd seine Armbrust hinter sich fallen. "Äh, man hat mir das Teil nur in die Hand gedrückt, quasi zufällig, wüsste gar nicht wie ich damit umgehen sollte."
"Ne, ne. Treff auf hundert Meter kein Scheunentor", pflichtete der andere bei und hantierte unbeholfen mit der Waffe in seinen Händen herum, als hätte sie er sie erst kürzlich erhalten.
Tibor näherte sich langsam dem Mann auf dem Boden, der sich das Bein hielt. Der Lichtkegel der Laterne schwankte über ihm und erhellte ein wenig blutverschmierten Schlamm und den Mann darin. Aber es war nicht viel Blut und als Tibor sich bückte, um die Verletzung anzusehen, entdeckte er zwar eine große, jedoch nicht gefährliche Streifwunde. Er gab Dennis verdeckt ein 'Alles okay'-Zeichen.
"Wie groß würdet ihr sagen, ist eure Entfernung zu der des Verwundeten?", fuhr Dennis fort und sah die drei Männer finster an. Diese rückten dicht zusammen, der dritte legte in einer milde stimmenden Geste sein Schwert zu Boden.
"Äh.... fünf Schritt?" Wasser quälte sich durch die von Schmutz verkrusteten Gesichter der verwirrten Gauner.
"Und würdet ihr sagen, dass ihr auf fünf Schritt jemanden treffen könnt?" Ein herabzuckender Blitz spiegelte sich für kurze Zeit in Dennis blank polierten Brustharnisch. Donner krachte. Stille. "Ich bin der Meinung, es ist unmöglich jemanden mit solch einer Armbrust auf fünf Schritt Entfernung nicht zu treffen." Dennis bückte sich seelenruhig und hob die fallen gelassene Armbrust wieder auf. Seine großen Hände spannten die Waffe in einem Ruck. Wind trieb den Regen zwischen ihnen her, bauschte Dennis schlaff herunterhängendes Cape für einen Moment auf.
"Stellt euch dort an die Wand, dann kann ich euch zeigen, dass ein Wächter immer im Recht ist." Mit einem Klacken rutschte der große Bolzen in seine Fassung. Dennis Schmied grinste.
Kaum war das Geräusch verklungen, drehten sich die drei Männer um und rannten so schnell sie konnten davon. Es war nicht gerade schnell, aber der Regenschleier hatte sie bald verschluckt. Und ihre Spuren im Schlamm füllten sich langsam mit neuem Matsch.
"Rennen wir ihnen nach?", fragte Tibor halbherzig. Sein Kollege winkte bereits mitten im Satz ab.
"Lohnt sich nicht." Er wandte sich zu den fünf Männern. "Und nun zu euch.... Was wollt ihr hier in der Stadt?"
Einer, der größte und kräftigste von allen, trat nach vorne. In seinen Händen drehte er trotzdem nervös eine flache Kappe hin und her.
"Is so, Sir, wir arbeiten auf den Kohlfeldern. Gute Arbeit und so. Aber jetzt, wo das alles so schlimm ist, mit de Tabak und so, da will der Gutsherr Tabak anbauen", begann er zu erklären.
"Tabak", brummten die anderen Arbeiter im Hintergrund.
"Das geht nich, Herr, sach ich. Hier is kein Wetter dafür. Sieht man ja." Er streckte die Hand aus auf die sofort Regentropfen niederfielen. "Aber er will unbedingt Tabak anbauen und damit seinen Reibbach machen."
"Wenn dann aber die Ernte eingeht, sind wirs Schuld und die entlassen uns", stimmte ein anderer zu.
"Bei Kohl, da weiß man was man hat."
Gemurmel. Tibor unterdrückte ein Seufzen und blickte zu dem verletzten Mann, dem er gerade hoch geholfen hatte. Seine Kleidung war dreckverschmiert, blutig. Und immer noch regnete, regnete, regnete es. Der Szenekenner wünschte sich sehnlichst ein warmes Bett und wenn nicht das, dann wenigstens ein gemütliches Plätzchen im Trocknen.
"Ja und dann ham wir aufgehört zu arbeiten", hörte Tibor die nächsten Wortfetzen. Neben ihm stand Dennis und nickte ununterbrochen.
"Streiken nennt man das."
"Aber, wir ham gemerkt, auf den Kohlfeldern da interessiert das keinen", führte der Bauer fort, "da ham wir gedacht, geh'n wir nach Ankh-Morpork und stell'n unser Streikposten hier auf. Da sieht's wenigstens wer."
"Ihr macht was?", fragte Tibor erstaunt zurück.
"Wir finden, ein Kohlfeld eignet sich für keinen Streik", erklärte einer der Männer, "es eignet sich eigentlich nur für Kohl."
"Und nur für Kohl."
***
Ein Blitz zuckte herab, zog sich verästelt und grell leuchtend über den schwarzen Himmel, nur den Bruchteil einer Sekunde lang. Für diesen Bruchteil warf er sein helles Licht auf den Perlendock, beschien Unrat, Schmutz, Wasser, den Ankh und drei Wächter, die durch eben jenes wateten.
Vor ihnen hob sich ein großes Frachtschiff mit einem breiten Bug ab, das, kaum war der Blitz wieder erloschen, erneut in der Nacht verschwand.
"Hier ist die Planke." Claudette wies auf ein verfaultes Treibholz in der schlammigen Brühe. "Aber völlig unbrauchbar."
"Brauchen wir auch nicht." Leda öffnete seinen Rucksack. "Ich hab einen Wurfhaken mit fünf Meter Seil dabei."
"Warum zum Geier schleppst du einen Wurfhaken mit dir rum?" Sergji saß auf einer Kiste, die noch aus dem Ankh herausragte und hielt seine Stiefel knapp darüber. Regentropfen platschten groß und rund auf die aufgebrochene, stinkende Kruste des Flusses.
"Für Situationen wie diese." Der Szenekenner grinste in der Dunkelheit, dann stapfte er vor zum Schiff und schleuderte den Haken hoch über die Reling. Es brauchte zwei Versuche bis sich der Haken irgendwo verfing und hielt, aber dann konnten die Wächter sich daran hochziehen.
Was mehr als zwei Versuche brauchte, denn das Holz war nass und rutschig, ihre Stiefel ebenfalls, das Seil schabte in den Handflächen und da war immer noch die Angst, der Haken würde sich lösen und man würde zurückfallen in den Ankh. Niemand wollte in den Ankh fallen.
"Ihr wisst, dass wir keine Genehmigung für das haben, ja?", fragte Claudette in die Runde, als sie über die Reling kletterte.
"Wir haben die Info erst vor gut einer Stunde bekommen. Jap, ich denke, das ist uns allen bewusst." Ledamahn sah über das dunkle Deck. Die Segel waren eingeholt und festgezurrt, dicke Tropfen fielen von oben herab. Er erinnerte sich an gestern, als die Blaubiber durch die einzigartige Tat ihres Kapitäns groß in die Schlagzeilen gekommen war, manche sprachen sogar von großer Geschichte. Eine große Heldentat. Ein großer Verlust an Tabak. Ein großer Schlag gegen die Zwänge und Unterdrückung der Steuer. Das Wort 'groß' wurde in diesem Zusammenhang gerne und oft verwendet.
Für Ledamahn war es eine große abgekartete Sache.
***Gestern***
Es nieselte. Ununterbrochen. Eingekeilt zwischen anderen Wächtern stand Weufolt Garnichtgut und hielt sein Turmschild vor sich. Aufgebrachte Bürger brandeten dagegen, rüttelten an ihm. Neben ihm sah er Johan Schaaf, ein neuer, der Helm war ihm weit nach vorne gerutscht, in seinem Gesicht war große Nervosität geschrieben. Weufolt gab ihm einen kameradschaftlichen Stupser, aber Johan zuckte nur zusammen.
Vor ihnen hatte sich ein aufgebrachter Mopp eingefunden, hinter ihnen lag der Kai des Perlendocks, mehrere Schiffe ankerten dort. Viele Handelsschiffe, die Tabak geladen hatten und gerade im Begriff waren anzulegen.
"Weg mit der Tabaksteuer! Weg mit dem teuren Tabak!" Die Botschaft der Leute war einfach und um ihr Nachdruck zu Verleihen, hielten sie große brennende Fackeln, Messer, ein paar Mistgabeln hier und da.
"Zurück!", hörte Weufolt etwas weiter vorne Atera brüllen. Er hielt Ausschau und sah sie dann auf einer Kiste stehen und vor Wut herumhüpfend. Dann aber drängten ihnen mehrere Bürger zurück, der Kairand kam immer näher, er verlor viele seiner Kollegen aus den Augen. "Sie dürfen nicht an die Schiffe kommen, weg von den Schiffen!", rief er durch das Chaos. Jemand trat ihm schmerzhaft gegen das Schienbein.
Plötzlich hörte er über sich eine laute Stimme. Es war der Käpt'n der Blaubiber, eines der größten Frachtschiffe, die den Ankh je befahren hatten.
"Ihr wollt keinen Tabak?", rief er. Weufolt reckte den Kopf, um etwas sehen zu können, erkannte aber nicht viel mehr als einen bulligen Mann, der die Hände in die Hüften gestemmt hatte und balancierend auf der Reling seines Schiffes stand.
"Kein Tabak!", schrie die Menge zurück. Johan und Weufolt wurden gegen einen der Poller gedrängt, um die große Taue befestigt waren. Sie mussten wieder Ordnung in die Sache bringen. Verzweifelt warfen sich die beiden Verkehrsexperten gegen die Menge. Wo blieben die verdammten Trolle, wenn man sie mal brauchte?
"Also werdet ihr keinen Tabak von mir kaufen?", brüllte der Kapitän weiter.
"Zieh Leine!!" Ein paar Männer und Frauen waren faule Tomaten und Eier. Die Wächter rissen rechtzeitig ihr Schild hoch. Hinter ihnen zerplatzten die stinkenden Lebensmittel am Schiffsrumpf.
"Ich verstehe euch!" Der Mann auf der Reling breitete die Arme gebieterisch aus. "Deswegen werde ich keinen Tabak mehr verkaufen bis er nicht wieder beim alten Preis ist!"
Stille senkte sich über die Menge. Gemurmel kam auf, ein paar ließen verwirrt die erhobene Hand mit der Tomate sinken. "Seht her!", nahm der Käpt'n wieder das Wort an sich und hielt plötzlich in seiner ausgebreiteten Handfläche ein Häufchen Tabak. Dann pustete er kurz und blies den Tabak davon, der in einzelne Fetzen auf den Kai und auf die Leute niederregnete.
"Wenn ihn keiner will, dann soll ihn auch keiner haben!" Der Mann sprang von der Reling, nun hatte jeder unten am Perlendock inne gehalten, um ihn zu beobachten. Mit zwei Schritten war er am Heck und hob eine der aufgestapelten Kisten an, die dort in rauen Mengen herumstanden. Er riss sie mit einem kleinen Beil raus und kippte den Inhalt mit großer Dramatik über den Schiffsrand. Eine braune Wolke aus Tabak segelte durch den Nieselregen und landete schließlich auf dem Ankh, wo der Schlamm sie sofort unkenntlich machte.
Kurz herrschte Stille auf dem gesamten Perlendock, dann aber jubelte irgendwo einer und alle stimmten ein. Hüte wurden hochgeworfen, die Mistgabeln verschwanden.
"Was bei Io ist jetzt los?" Johan sah Weufolt fragend an. "Ist er verrü-"
"Und hier kommt der Rest!", hörten sie in dem Moment von oben. Kisten segelten über die Reling und auf den Ankh, wo sie nach und nach von Schlamm und Matsch begraben wurden. Die Mannschaft der Blaubiber holte noch Tabakbehälter aus dem Lagerraum, Kiste für Kiste wurden sie bejubelt über Bord geworfen.
Und schon bald sah Weufolt in der Nähe das Aufflackern von Salamanderblitzen und die schnatternden Stimmen der aufgeregten Presse.
"Irgendjemand muss mir erklären, warum die Leute sich freuen, wenn der Tabak vernichtet wird und nicht umgekehrt." Der Verkehrsexperte schulterte sein Turmschild und trottete müde durch die dicht gedrängte Masse. An seinen Stiefeln klebten unglücklichen Reste von Ei und Tomate. Ein bisschen Tabak war wohl auch dabei.
***Heute***
Finger in abgewetzten Lederhandschuhen griffen in die Löcher einer Holzabdeckung und schoben sie ächzend beiseite. Regen fiel leise platschend nach unten. Schwacher Tabakduft strömte den drei Wächtern entgegen, unten schien es warm und dunkel zu sein.
Ledamahn warf noch ein prüfenden Blick über das still daliegende Schiff und kletterte dann vorsichtig die Leiter nach unten. Claudette reichte ihm die Laterne runter, dann folgten die beiden anderen Wächter langsam. Das gelbliche Licht beschien einen staubigen Lagerboden. Doch dieser war nicht leer, wie man hätte vermuten müssen, wenn man noch am anderen Tage mit eigenem Auge beobachtet hatte, wie eben jene Kisten mit solcher Euphorie in den Fluss geschleudert worden waren.
"Aber was genau haben wir gesehen?", murmelte Ledamahn. "Eine Handvoll Tabak, eine Kiste voller Tabak, aber danach? Nur Kisten, geschlossene Kisten." Er trat auf die Fässer zu, die im Schatten standen.
"Mann, ich hoffe, du hast recht", seufzte Sergji und zog einen seiner Stiefel aus, um den Schlamm aus ihm zu kippen.
"Reicht mir mal die Brechstange", forderte Leda nur und streckte die Hand aus. Claudette runzelte die Stirn.
"Du bist hier derjenige, der einen ganzen Eisenwarenhandel mit dir rumschleppt." Sie sah sich um. "Ehrlich, wir sollten verschwinden. Wenn du recht hast, dann ist es nur eine Frage der Zeit bis die Kerle hier auftauchen."
"In meinem Rucksack", sprach der Szenekenner weiter und schnupperte an dem Holzfass.
"Du hast ein Brecheisen in deinem Rucksack?" Die Informantenkontakterin schüttelte nur verwundert den Kopf, als sie tatsächlich ein kleines Eisen aus dem Lederbeutel zutage förderte und ihrem Kollegen reichte. Neugierig begann sie weiter in dem Beutel zu wühlen, während Ledamahn vorsichtig eines der Fässer aufhebelte. "Wow, so viel.. Zeug aus... Eisen. Wie ist es nur möglich, dass du dich mit diesem Rucksack aufrecht halten kannst?"
"Meint ihr Atera stellt uns eine nachträgliche Genehmigung aus?" Sergji trocknete sich seine Haare an seinem Mantel.
"Bingo!", rief in dem Moment Leda aus, als der Holzdecke klappernd absprang und er in ein Fass randvoll mit Tabak starrte. Es war jedoch auch der Moment, als sie oben auf dem Deck dumpfe Schritte hörten.
"Das Licht", zischte Claudette. Sergji löschte es rasch. Hektisch blickten sich die Wächter in dem nun dunklen Raum um, es waren nur noch Schatten und Schemen erkennbar, aber Leda meinte vorhin eine Plane in einer Ecke gesehen zu haben und zog die anderen mit dort hin. Raschelnd krochen sie unter die nasse etwas müffelnde Decke und hockten sich eng nebeneinander. Atmen.
Von oben waren immer noch die Schritte zu hören, etwas lauter als der Regen und Donner draußen, die nur gedämpft durch das Holz drangen. Irgendjemand ging umher, es klang nach mehreren. Waren da Stimmen zu hören? Vielleicht doch nur der Wind. Sie hörten den Mast ächzen. Ledamahn umklammerte die Brechstange, bereits bei einer Entdeckung sofort aus der Plane zu springen und anzugreifen. Sergji wärmte seine Hände an dem noch warmen Glas der Laterne, wie viele mochten wohl da oben sein? Ja, da waren doch eindeutig Stimmen, rau, jemand unterhielt sich, fühlte sich sicher. Die Schiffsmannschaft?
"Die Luke ist auf", hörten sie plötzlich. Claudette rutschte noch näher an die runde Holzwand, Nägel und anderes Gerümpel stach ihr in den Rücken, aber sie machte keinen Laut. Ob einer von ihren Kollegen etwas sah? Sie starrte gegen die dunkle Fläche der Plane, versuchte einfach nur irgendetwas zu erkennen, aber es blieb dunkel.
Dann das Knarzen der Leiter, Stufe für Stufe. Jetzt waren die Stimmen ganz nah. Mindestens drei Männer.
"Scheiße, hier war doch wer." Holz knarrte. Jemand stapfte im Lagerraum herum.
"Mach ma Licht." Sie hörten das Ratschen eines Zündelholzes, dann wurde es in ihrem Versteck plötzlich heller. Schemenhaft sahen sie Schatten, die über die Plane krochen. Waren sie sicher?
"He, hier liegt nen alter Stiefel rum!"
Claudette unterdrückte den Drang Sergji wild zu schütteln. Vor allem auch, weil Ledamahn dazwischen saß. Dieser lauerte auf ein Stichwort, einen Satz, der klar machte, dass sie entdeckt worden waren. Aber wenn er vorher heraussprang... dann wäre das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Überraschung war manchmal alles.
"Sie haben die Fässer aufgemacht!"
"Vielleicht sind sie noch hier", mutmaßte einer der Männer. Da war das Stichwort. Gleich würden sie anfangen den Raum zu durchsuchen.
"Ne, lassma, die sin schon über alle Berge." Leda entspannte sich wieder.
"Aber warum ist dann der Tabak noch hier?" Er griff fester um die Eisenstange. Gleich war es soweit. Dann begannen die Männer zu diskutieren, es klang nun nach mindestens fünf, sechs. Es war ein Hin und Her. Über den Stiefel, das aufgebrochene Fass, waren sie entdeckt, was würde der Chef dazu sagen, was nun?
Schließlich stapften sie unter großem Gemurmel nach oben. Die Schritte auf dem Deck waren noch kurzzeitig zu hören, dumpf, dann immer leiser und irgendwann... nichts mehr.
Die drei Wächter hockten unter der Plane. Sekunden verstrichen bis Sergji langsam die Decke zurückschlug und in die Finsternis spähte. Schweigend krochen sie aus ihrem Versteck hervor.
"Und jetzt?", flüsterte der Vektor. Er trat zu dem offenen Fass.
"Die lassen uns abhauen", flüsterte Claudette zurück. Sie sah zu der immer noch geöffneten Luke, wo Regen hineintropfte und eine kleine Lache bildete.
"Sie wissen doch gar nicht, dass wir hier sind." In der Dunkelheit griff Sergji rasch in das Fass und stopfte sich die Manteltaschen mit Tabak voll. Leda schlug ihn leicht gegen den Hinterkopf.
"Dein Stiefel, du Trottel. Jeder erkennt einen Wachestiefel auf hundert Metern." Er begann die Leiter hochzuklettern. Sergji fluchte irgendetwas und schlüpfte in seinen nassen Stiefel.
Schweigend und ohne von jemandem behelligt zu werden, kamen sie vom Schiff.
***
Das Pferd preschte durch enge Gassen, Hufgeklapper auf den nassen Straßen, Donnergeröll, das Schnaufen des Tieres, Laizas Brustharnisch, der gegen Wills Rücken drückte.
Die Kommunikationsexpertin wünschte sich in den warmen Taubenschlag zurück. Sie mussten mehrere Umwege machen, um zur Augentroststrasse zu kommen, aber nach fünfzehn Minuten waren sie da. Laiza sprang eine Straße vorher vom Pferd ab, um sich anzuschleichen.
"Danke... äh Will, ja?" Laiza wischte sich noch einmal die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht, dann drehte sie sich um und rannte gebückt die Gasse entlang, dabei jede Deckung ausnutzend, ganz so wie sie es gelernt hatte. Will blieb noch eine Weile auf dem Pferd sitzen und sah dem merkwürdigen Treiben zu.
"Ich hab die Nachricht noch", sagte sie langsam. Dann seufzte sie, stieg vom Pferd ab und führte es zum Wegesrand. "Gut gemacht", lobte sie das Tier, ihre Hand tätschelte das nasse Fell. Die Kommunikationsexpertin schlang ihren öligen Regenmantel um sich und folgte Laiza, die gerade um die nächste Ecke verschwunden war.
Wasser gurgelte in den Rinnsteinen, man sah kaum weiter bis zum nächsten Haus und so war es auch nicht verwunderlich, als Will weder Laiza noch sonst jemanden sah, als sie in die Augentroststrasse bog. Wo soll denn hier ein FROG-Einsatz sein, wunderte sie sich, viel zu still dafür. Etwas vorsichtiger ging Will die Straße weiter und versuchte eine der Hausnummern zu erkennen. Da war die 2... auf der gleichen Seite musste am anderen Ende die 28 sein. Immer noch keine Spur von der anderen Wächterin, sie musste sich sehr gut versteckt haben. Oder verlaufen? Will schüttelte den Kopf. Nein, auf dem kleinen Weg war das schlicht unmöglich.
Ihre Uniform fühlte sich trotz Mantel bald klamm und nass an. Einsam hallten ihre Schritte in der Straße. Beinahe wäre sie an Nummer 26 vorbei gegangen, aber Will blieb rechtzeitig stehen. Was jetzt? Sie konnte nicht einfach an der Haustüre klopfen, das würde womöglich den ganzen Einsatz zerstören. Wenn denn hier überhaupt einer wäre. Rufen konnte sie auch nicht und ein Licht anzuzünden wäre sicher genauso verkehrt. Die Kommunikationsexpertin suchte die Dächer der anderen Häuser ab, aber im Regen war es geradezu unmöglich dort jemanden zu erkennen... es sei denn, dieser jemand würde auf und ab springen und wild mit den Armen rudern.
Was machte der da? Will kniff die Augen zusammen, um mehr zu erkennen. Tatsächlich, da hüpfte jemand auf dem Dach auf und ab und ruderte wild mit den Armen. Zögernd ging sie auf das gegenüberliegende Haus und sah nach oben. Regen benetzte ihr Gesicht, als sie wartete, ob die Gestalt sich zu erkennen geben würde.
"Kletter am Regenrohr rauf", zischte eine männliche Stimme, "und mach keinen Lärm."
Will nickte und starrte zu dem Regenrohr. Glatt, nass, rutschig war die Beschreibung, die auf das Ding zu traf. Die Kommunikationsexpertin zögerte kurz, dann griff sie nach dem Rohr und zog sich langsam hoch. Die Stiefel gegen die Mauer stemmend, immer wieder neu ansetzend und nach jeder Unebenheit im Rohr oder in der Mauer greifend. Unter ihr floss das Wasser schon lange über die volle Tonne und schwappte auf den Boden.
Eine bleiche Hand griff nach Will und zog sie über die Regenrinne. Ein Blitz zuckte über den Nachthimmel, ein Augenblinzeln lang sah die SEALS-Wächterin einen jungen großgewachsenen Mann in FROG-Uniform sie anstarren.
"Du ruinierst noch die ganze Arbeit", sagte er nur knapp und ging vorsichtig über das Dach zu einem behelfsmäßigen Unterstand. Es war nur ein Mantel, schwach mit einer in den Dachziegeln verkeilten Picke etwas erhoben. Wind zerrte daran.
Der FROG-Wächter legte sich flach auf das regennasse Dach und kroch unter den Mantel. Seine Hand ging sofort zu einer kompliziert aussehenden Armbrust, die halb in der Regenrinne gelegen hatte. Leise fluchend entfernte der Mann ein paar verfangene Blätter und Unrat.
Vorsichtig setzte sich Will Passdochauf neben ihn.
"Tschuldigung", sagte sie, als der Donner rollte. Dann griff sie in ihre Innentasche und zog die Nachricht heraus. "Das hier soll ich einem von euch geben."
"Von Laiza, hm?" Der Wächter warf keinen Blick drauf, seine Augen waren auf das Haus Nummer 28 gerichtet. Zumindest vermutete Will das, aber in der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Fröstelnd schlang sie ihren Mantel enger und rutschte auf den unbequemen Dachschindeln hin und her. "Willst du es nicht lesen?", fragte sie.
"Nicht nötig. Laiza ist doch da, hab sie eben gesehen, sie hat uns alles gesagt."
"Oh." Will seufzte. "Ich lass dir eine Ombroschüre hier, dann gehe ich auch wieder."
"Nein, nein", der Wächter schüttelte den Kopf, "du kannst jetzt nicht gehen. Der Einsatz." Er deutete auf die Straße unter ihm. Will spähte durch den Regenschleier und sah undeutlich drei Menschen auf eines der Häuser zurennen.
"Jetzt geht's los." Der junge FROG-Wächter rutschte aufgeregt nach vorne, die Armbrust im Anschlag.
"Worum geht es eigentlich?", wagte Will zu fragen, als sie beobachtete wie die drei Gestalten in das Haus stürmten. Sie kauerte sich neben den Gefreiten.
"Ein Giftpanscher, übler Kerl und wirklich gefährlich. Ich hab den neuen Auftrag ihn über den Haufen zu schießen, sobald er seinen schmierigen Fuß außerhalb des Hauses setzt. Ich heiße übrigens Ktrask", sagte er in einem Atemzug.
"Du erschießt ihn auch, wenn er mit erhobenen Händen aus dem Haus tritt?", fragte Will zweifelnd. Sie lauschte, ob sie Schreie, Stimmen oder sonst etwas hörte, aber da war nur das unablässige Tropfen des Regens.
"Nur, wenn es so aussieht, als hätte er eindeutige Absichten eine Waffe zu ziehen oder wegzulaufen", erwiderte Ktrask und justierte irgendetwas an seiner Armbrust. Will sah einen kleinen offenen Holzkasten auf der Waffe, aus dem ein kleiner bunter Regenschirm ragte. Sie sagte nichts, obwohl sie sich fragte, wie der Wächter bei dem Wetter eindeutige Absichten erkennen wollte.
"Weißt du, der Kerl hat so ein riesen Dämoneninstrument gebaut, so ein Mordsteil mit Dämonen und Röhren und ner Meeenge Gift und so. Wenn er es schafft das Teil auf den Kunstturm zu bringen, kann er die ganze Stadt mit einem Schnips töten", redete der FROG-Wächter weiter, wie um die ganze Sache zu erklären. "Mit einem Schnips."
Will sah zu dem entschlossenen Gesicht von Ktrask. "Da rettet ihr ja ganz Ankh-Morpork", lobte sie.
"Ja, das ist quasi unser Job." Er nickte stolz.
"Unserer auch." Will strich über ihr nasses SEALS-Abzeichen. Aber irgendwie auf eine andere Art und Weise, dachte sie. Mehr nach dem Willen Oms, dachte sie weiter. Sie wollte das gerade Ktrask erklären, aber dieser rutschte plötzlich aufgeregt nach vorne.
"Da! Da ist der Kerl!", rief er. Will sah gespannt zur Straße. Durch den Regen entdeckte sie einen gedrungenen Mann in einem dunklen Kittel, der aus dem Haus rannte. Trug er eine Waffe? Sie sah nichts, kein anderer Wächter war in Sicht. "Er flieht! Ich hab ihn im Visier!" Ktrask Finger zitterte am Abzug.
"Es sieht nicht so aus, als ob er ein Riesen-Dämoneninstrument bei sich trägt", merkte Will leise an, aber da flog auch schon der Bolzen und bahnte sich seinen Weg durch die Miraden Tropfen.
***
Atera rührte in dem großen Topf Kakao und zog die leichte Haut mit einem Löffel ab.
"So, hier ist er." Sie schenkte allen mit einer Schöpfkelle großzügig ein, Kakao verteilte sich auch großzügig auf dem Kantinentisch. Es war ihre Art des Lobes und die drei Wächter wussten es auf ihre Art zu schätzen in dem sie schweigend tranken.
Sergji grinste nach dem ersten Schluck, als ihm die Hitze ins Gesicht stieg. "Mit Grog", sagte er anerkennend. Im Schein der rußenden Kerzen grinste Atera zurück.
"Also sie haben euch reingelegt, ja?", fragte sie und legte ihre Füße auf den kleinen Hocker vor ihr. Neben ihr mischte Ikari die Zwiebelkarten neu.
"Hätten wir eine Genehmigung gehabt, irgendetwas handfestes, wären wir ja auch sofort aufgesprungen und hätten die Bande festgenommen", entgegnete Ledamahn, während er seinen Mantel zum Trocknen aufhing. "Aber die Zeit war zu kurz, um nach Erhalt des Hinweises noch mal hierhin zu kommen."
"Aber wir haben zumindest einen Beweis." Claudette griff in die Taschen von Sergji und streute etwas von dem Tabak auf den Tisch. Ikari griff sofort danach und schnüffelte daran. Er war Experte, was Tabak betraf.
"Hm, eindeutig." Er lehnte sich wieder zurück. "Aber das könnte Tabak von überall her sein."
"Ich hasse diesen Genehmigungskram", seufzte Atera, "früher gabs das nicht. Früher stürmte man einfach in den Laden, durchwühlte das ganze Zeug, griff sich die Beweise, ne kleine Belohnung hie und da und die Gauner. Früher-"
"Ja, aber was machen wir jetzt heute?", unterbrach Claudette rasch die Früher-Latanei ihrer Schäffin. "Ich bin mir sicher, sie hätten uns getötet, hätten sie nicht Sergjis Stiefel gesehen und erkannt, was er für eine Bedeutung hat. Die Leute waren in der Überzahl. Wäre Sergjis Stiefel nicht gewesen, wer weiß, ob wir jetzt nicht den Ankh von unten betrachten würden."
"Genau das war die Absicht meines zurückgelassenen Stiefels", erwiderte der Vektor überzeugt, grinste aber in sich hinein.
"Sie haben uns gehen lassen, weil sie keinen Ärger mit der Wache wollten. Und bis wir ihnen was nachweisen können, sind sie schon längst wieder im Rundmeer", erwiderte Ledamahn, dann trat er wütend vor einen Stuhl. "Verdammt, wahrscheinlich laden sie das Zeug gerade ab, damit wir nachher wie die Dummen dastehen, wenn wir schließlich doch ne Untersuchungsgenehmigung haben."
"Es gibt noch ein weiteres Problem", gab Ikari zu Bedenken, "die Schmugglergilde. Wir wissen, dass der Kapitän der Biberblau nicht in der Gilde ist. Wenn wir ihn also nicht hochnehmen, dann tut es früher oder später die Gilde und das wird ganz und gar nicht nett."
Die Wächter nickten und schlürften stumm an ihrem Grogkakao. Leise und stetig prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben. Der Geruch von Kakao und nassen Kleidern schwebte im Raum, ein wenig Verwesung, was bei der Anwesenheit von drei Zombies nicht verwunderlich war.
"Es sind immer noch die Biberblau Helden von Ankh-Morpork, auch wenn es eine Gruppe von unlizenzierten Schmugglern ist. Wenn wir es schaffen sie zu überführen, macht das die Stadtwache bei den Bürgern nicht unbedingt beliebter", sagte schließlich Claudette leise in den Raum. "Vielleicht sollten wir einfach alles so lassen wie-"
"Nein, das seh ich nicht ein", unterbrach sie Ledamahn scharf, "ich seh nicht ein, dass sich so ein paar dahergelaufene Matrosen als Helden, als Befreier aufspielen und dabei auch noch hinten rum so viel Geld machen wie wir nicht in unseren ganzen Dienstjahren." Erregt hieb der Szenekenner auf den Tisch. "Wir sind die Helden von Ankh-Morpork."
"Ich hätte eine Idee, wie wir die überführen könnten", begann Ikari und drehte sich aus dem ergatterten Tabak eine Zigarette, "aber danach sind wir noch viel weniger die Leute, die sich Helden nennen können. Dafür haben wir, wenn alles gut geht, keine Mannschaft, deren Leichen wir ein paar Tage später im Ankh treiben sehen, weil die Schmugglergilde schneller war. Außerdem ist es womöglich nicht legal."
"Lass hören."
***Am nächsten Tag***
Atera warf noch einen letzten Blick auf das Stundenbuch in den sie den genauen Ablauf geschrieben hatte. Noch fünf Minuten bis Kapitän Euwl Hammerschlag in ihrem Büro zu einer offiziellen Vernehmung betreffend der Ereignisse von vorgestern erscheinen würde. Eventuell würde sie es schaffen ihn eine Stunde, höchstens anderthalb hier im Wachhaus festzuhalten bis ihr die Fragen ausgehen würden. Zeit genug für die Gruppe um Ikari den Hauptteil ihres Planes zu bewerkstelligen.
"Ah, Herr Hammerschlag", begann Atera, als der große Mann in Seemannskluft in ihr Büro trat und sie unfreundlich ansah.
"Hab wenig Zeit, also mach's kurz", schnauzte er und die untote Frau seufzte innerlich. Das würde schwierig werden.
Der Regen war weniger geworden, eine graugelbe Sonne strahlte schwach durch die Wolken. Trotzdem nieselte es noch. Hauchfeine Tropfen, die in Kleider, Haare und Schuhe drangen. Im Morgengrau der Stadt bahnte sich ein kleiner Bootskiel den Weg durch den zähflüssigen Ankh. Auf den ersten Blick war niemand zu sehen, der Kahn war mit einer Plane bedeckt, aber sah man genauer hin, erkannte man Paddel, die leise in den Ankh stachen und das Boot langsam vorwärts bewegten.
Dann verschwand die Sonne hinter grauen Wolken und als sie wieder hervorkam, war das Boot bereits hinter einem der großen Schiffe im Hafen aus dem Blick verloren gegangen. Auf dem Schiffsdeck war um diese Uhrzeit niemand zu entdecken, vielleicht lag es aber auch nicht an der Uhrzeit, sondern an dem Freibier, das eine nicht ferne Kneipe den Helden der Biberblau zu ehren ausschenkte. So war niemand zugegen, der die Strickleiter hätte bemerken können, die nun über die Reling geworfen wurde.
Und auch das folgende Geschehen wurde nur von den unendlichen leisen Geräuschen des Nieselregens begleitet.
"Tja..." Atera schob ein paar Federkiele hin und her. "Ich glaube... das wars soweit." Sie sah verzweifelt zu ihrem Stundenbuch, überschlug in Gedanken die Zeit, die sie noch füllen musste und wie weit wohl die anderen sein mochten.
"Kann ich dann jetzt endlich gehen?" Käpt'n Hammerschlag quälte sich mit einem Ächzen aus dem viel zu engen Lehnstuhl.
"Noch eine Sache... ein Problem mehr." Seufzend ließ sich der Kapitän wieder in den Stuhl sinken. Atera lächelte zufrieden und entschloss sich dann an den guten Menschenverstand des Mannes zu appellieren. "Es gibt zwei Zustände in dieser Stadt. Lizenziert und unlizenziert. Wir mussten leider mit Bedauern feststellen, dass du auf der falschen Seite deine Geschäfte tätigst, Ewl."
Der große Mann ballte seine Faust, groß wie ein Kinderkopf.
"Was gehen dich meine Geschäfte an, Wächterin? Niemand kann mir was!" Er brummte. "Ich entscheide, was ich mache."
"Das habe ich befürchtet." Atera erhob sich seufzend und kam um den Schreibtisch. "Das ist eine Warnung, junger Mann. Wenn wir dich nicht schnappen, dann... du weißt, wer es dann tut. Ja, ich weiß, du bist ein Kapitän und denkst, solange ich nur nicht so oft einen Fuß in diese Stadt setze, wird mir nichts passieren. Aber du irrst dich."
Ewl Hammerschlag stand ruckartig auf, um etwas zu erwidern, aber Atera war schneller. "Sie werden dich irgendwann erwischen. Die haben den längeren Atem, Ewl. Und mehr Geld." Sie zog sich ihren Regenmantel an und entrollte dann ein Stück Papier vor dem Kapitän. "Das hier ist ein Durchsuchungsbefehl wegen begründeten Verdacht auf unlizenzierten Schmuggel."
"Das könnt ihr nicht machen", schnaubte der Biberblaukapitän.
"Und ich hoffe für dich, dass wir auch etwas finden", fuhr Atera fort.
***
"Aha, was haben wir denn da?" Ledamahn schlug in einer dramatischen Geste den Fassdeckel beiseite. "Feinster Tabak!" Er wandte sich triumphierend zu den anderen.
"Und ich dachte, den hättest du über Bord gekippt", sagte Atera und nickte Sergji und Weufolt zu, den Kapitän zu fesseln. "Da hast du uns aber schön reingelegt. Haha."
"Ich weiß nicht wie der Tabak hier her kommt", verteidigte sich Käpt'n Hammerschlag. "Das sind auch gar nicht meine Fässer", brüllte er weiter, wehrte sich aber nicht, als er abgeführt wurde. "Das ist nicht mein Tabak!", hörte Atera ihn noch lange über das Schiff schreien.
Alleine blieb sie mit Ikari in dem Lagerraum stehen und sah zu den Fässern.
"Es ist nur das dort mit Tabak gefüllt oder?", fragte sie.
"Mein Vorrat für harte Zeiten", erwiderte Ikari und trat zur Leiter. Atera machte sich eine Notiz in ihrem Stundenbuch. "Das war wohl nicht sehr nett von uns oder?", fragte er.
"Er hat uns reingelegt, wir ihn. Er wird es verstehen." Sie schwieg eine Weile. Und uns niemals danken, dass wir ihm das Leben retteten.
Ikari kletterte die Leite hoch, kurz bevor er oben war, sah er noch einmal runter. "Und Intörnal Affärs?"
"Seit wann ist es ein Verbrechen, neue Ladung auf ein Schiff zu bringen?" Atera grinste schwach, aber die Zufriedenheit hielt nicht lange an.
***Ein paar Tage später***
Der Regen hatte aufgehört, Sonne schien, ihre Strahlen tanzten über den breiten Ankh, der seine Arme nach Ankh-Morpork gestreckt hatte. Leute kehrten den Schlamm aus ihren Häusern und hielten sich die Nase zu.
Alles war normal, sah man von einem riesigen Streik der Kohlbauern ab, die ihr Lager direkt vor dem Patrizierpalast aufgeschlagen hatten. Dennis war bereits den ganzen Tag vor Ort, da er, wie er sich ausdrückte, gewissermaßen den Stein ins Rollen gebracht hatte.
Atera verstand es immer noch nicht so recht, als sie darüber nachdachte und den Dienstplan betrachtete. Sie hatte immer noch wenig SEALS-Wächter und so war der Plan recht spärlich ausgefüllt, trotzdem war die SEALS-Schäffin zufrieden. Sie wusste, was ihre Kollegen dort draußen leisteten.
Ah ja und wieder ging eine ereignisreiche letzte Woche zuende...
"Atera!" Ikari zerstörte die Ruhe, als er in das Büro platzte und Atera prompt ohne weitere Erklärungen vom Stuhl zog.
"Was? Was ist los?", fragte sie verwirrt, als sie hinter Ikari nach draußen humpelte.
"Ein Rekrut. Er hat Hammerschlag freigelassen, irgendwer hat Kaution bezahlt." Ikari schüttelte im Laufen ungläubig den Kopf. "Für ein Familienfest um zwölf Uhr. Habs gerade erst erfahren."
"Das ist in zehn Minuten! Wo, verdammt, sag schon!" Die beiden Wächter rannten aus dem Wachhaus und Ikari nannte ihr im Laufen die Adresse. "Schaffen wir nie."
"Mit einem Karren vielleicht."
Gleichzeitig sahen sie zu einem abgestellten Fuhrwerk an der Straßenecke.
***
Trümmer regneten auf die Straße nieder. Holzsplitter, Mauerstücke, alles war dabei. Dichter schwarzer Rauch hing über der Explosionsstelle. Für eine Weile passierte nichts.
Dann hörte man Husten und Keuchen, Schritte, Geklapper von Rüstungen. Mehrere Gestalten schälten sich aus dem Rauch. Jemand schlug eine Handglocke, das Zeichen für Feuer.
"Stadtwache, ist jemand verletzt?", gellte der bekannte Ruf durch die Straße. Atera winkte matt herüber.
"Was noch mal hat mich dazu bewegt in das Haus zu laufen, nur um einen Bruchteil später wieder durch eine gigantische Explosion nach draußen katapultiert zu werden?", fragte sie, als alles vorbei war. Will nähte ihre Hand an und blickte zu ihrer Schäffin. Sie dachte an den FROG-Einsatz. Die Welt retten. Das Ziel war das gleiche, wenn auch die Methoden verschieden waren. Schließlich waren sie eine Wache.
"Aber das weißt du doch, Mä'äm. Wir sind dafür da, dass wir den Bürgern helfen und sie beschützen", sagte Will und hielt dann inne, "auch wenn sie manchmal dumme Dinge anstellen. Das ist unser Kodex."
Zählt als Patch-Mission.
Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster
und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.