Im Vorfeld eines internationalen Musikfestivals in Ankh-Morporks neuer Festhalle werden Künstler umgebracht. RUM ermittelt in einer Welt der Stars, Diven und Verrückten.
Dafür vergebene Note: 12
"Und hier ist er, der weltbekannte Ermittler Romulus von Grauhaar von der Stadtwache von Ankh-Morpork!"
Tosender Beifall erklang und der soeben von einem unsichtbaren Sprecher bezeichnete junge Mann trat auf die von Publikum umströmte Bühne.
"Vielen Dank!" wandte er sich an die begeisterte Menge. "Ich weiß sehr zu schätzen, dass ich heute hier stehen darf und den Preis als Wächter des Jahres des entflohenen Versuchskaninchens entgegennehmen darf."
Wieder brandete Applaus auf.
Doch da näherten sich zwei silberne Wurfmesser, aus der Menge geworfen, dem Werwolf. Romulus wollte ausweichen, aber irgendetwas hinderte ihn wie durch Magie daran, den Waffen zu entfliehen und alles was er tun konnte, war gebannt auf die sich wie in Zeitlupe nähernden Spitzen zu starren. Jetzt waren sie fast da. In seinem Schrecken sah Romulus an den Waffen vorbei in der Menschenmenge, die anscheinend gar keine Notiz von diesem so offensichtlichen Attentat nahm, das hämisch grinsende, haarige Gesicht seines verhassten älteren Bruders Remus von Grauhaar, der sich auch für die Narbe auf Romulus' Wange verantwortlich zeigte. Die Messer waren jetzt so nah gekommen, dass Romulus den von ihnen verursachten Luftzug spüren konnte. Er kniff die Augen zu, darauf gefasst, jeden Moment von zwei scharfen und – was das schlimmste war – silbernen Messerspitzen durchdrungen zu werden. Er schrie. Das war also das Ende...Schweißgebadet wachte Romulus auf. Schon wieder einer dieser Alpträume. Immer kam sein älterer Bruder darin vor. Und jedes Mal wurden sie abstruser.
Wächter des Jahres, so ein blödes Zeug, dachte er sich.
Wenn es so eine Auszeichnung gäbe, wäre ich der letzte, der ihr irgendeinen Wert beimessen würde. Vielleicht lag es ja am Wachhaus. Romulus beschloss, sich endlich einmal eine "richtige" Wohnung zu suchen.
Nach der üblichen morgendlichen Körperhygiene und einem starken Kaffee in der Kantine, besorgte sich der Ermittler schnell noch die aktuelle Ausgabe der Ankh-Morpork-Times, um dort nach Wohnungsofferten zu suchen, und begab sich anschließend in sein Büro. Da es im Moment bezüglich unlizensierter Raub- und Mordfälle ungewöhnlich ruhig war, hatte er eigentlich nicht viel zu tun. Deshalb setzte er sich auf seinen Schreibtischstuhl, legte gemütlich die Füße auf die Tischplatte
[1] und widmete sich seiner frisch gekauften Lektüre. Auf der Titelseite fiel ihm ein auffällig gedruckter Artikel ins Auge:
Ankh-Morpork sucht den Super-Stern. Großes internationales Musikfestival zur Einweihung der neuen Festhalle
Nach jahrelanger Bauzeit ist es endlich soweit. Die große Festhalle "Morpork Quadrat Garten" wird in wenigen Tagen eröffnet. Der Veranstalter, die Firma Rita Polen & Co., kündigt ein großes Festival als Eröffnungsveranstaltung an. Ein internationales Aufgebot an berühmten Musikern wird sich untereinander messen und am Ende den Gewinner des mit 500.000 Ankh-Morpork-Dollar dotierten Granny-Preises unter sich ausmachen. Die Times konnte in einem Exklusivinterview mit Rita Polen bereits einige Namen erfahren. Unter anderem treten auf: Melvin Presskopf aus Ankh-Morpork, Heras Razzipuzzi aus Brindisi und nicht zuletzt der zwergische Ausnahmekünstler Ditschäj Bäbä aus Lancre. Das komplette Teilnehmerfeld erfahren sie morgen exklusiv in der Times.Klingt interessant, dachte sich Romulus.
Vielleicht besorge ich mir ja eine Karte. Oder besser zwei, Meffi wird sich sicher freuen. In diesem Moment klopfte es an seine Bürotür. Bevor er "Herein!" rufen konnte, öffnete sie sich schon und in das Büro trat Irina Lanfaer, ihres Zeichens Abteilungsleiterin bei RUM. Missbilligend blickte sie die auf der Schreibtischoberfläche platzierten Füße des Werwolfes an, der rot anlief, und seine Gliedmassen wieder an den angestammten Platz unter dem Tisch bewegte.
"Hallo Mäm, was gibt's denn neues?" versuchte er, sich aus der peinlichen Situation zu winden.
"Hallo Romulus," erwiderte Rina leicht angesäuert. "Wie ich sehe, hast du gerade die Times gelesen. Das trifft sich gut, denn ich habe soeben eine Rohrpost bekommen, dass wir uns sofort auf den Weg zu Rita Polen & Co. machen müssen, weil dort anscheinend ein Mord begangen wurde. Die Anweisung kommt von ganz oben. Lord Vetinari persönlich hat sie unterzeichnet. Lies selbst!"
Romulus überflog den Zettel, den ihm Rina unter die Nase hielt.
"Blablabla... gestorbener Musiker ... blablabla ... Veranstalter Rita Polen & Co. vermutet einen Mordfall ... In Anbetracht der Tatsache, dass aufgrund des geplanten Musik-Festivals im Morpork Quadrat Garten alle Welt auf uns und dieses Fest schaut, ist es von äußerster Priorität, dass sich die Abteilung RUM schnellstmöglich und mit der nötigen Diskretion und Sorgfalt dieser Sache annimmt. Gezeichnet Lord Havelock Vetinari, Patritzier."
"Wie du siehst, handelt es sich um einen Notfall. Ich trommle deswegen gerade alle verfügbaren RUM-Mitglieder zusammen, um direkt vor Ort ermitteln zu können. Mefarina, Thymian und Kolumbini warten bereits in der Eingangshalle auf dich, ihr geht am besten schon mal vor, während ich den Rest zusammensuche."
Mit diesen Worten verschwand die Abteilungsleiterin auch schon wieder aus der Tür und Romulus streckte sich müde auf seinem Stuhl. Es schien ja leider doch ein ereignisreicher Tag zu werden, also musste die Wohnungssuche wohl oder übel noch etwas warten. Er warf sich seinen dunkelgrauen Mantel über die Uniform, steckte seinen Notizblock ein, griff nach seinem Schwert, wer weiß, was im Musikbisiness so alles passieren konnte und verließ sein Büro. Kaum auf dem Gang angelangt, machte er noch einmal kehrt, um die Zeitung mitzunehmen.
[2] In der Eingangshalle warteten wie angekündigt die drei Abteilungskollegen auf den Werwolf. Er begrüßte sie und drückte Mefarina einen Kuss auf die Wange, bevor die fünf das Wachhaus verließen.
Das Bürogebäude der recht neuen Musik-Produzenten-Firma Polen & Co. befand sich etwas außerhalb der Innenstadt Ankh-Morporks, direkt neben der neuen Festhalle, die einige Fußminuten vom Mittwärtigen Tor entfernt am Rande der Sto-Ebene stand. Nach den Ereignissen rund um die Musik mit Steinen drin
[3] wurden Musik-Produzenten in den meisten zivilisierten Teilen der Scheibenwelt recht misstrauisch beäugt
[4]. Allerdings zahlten Polen & Co. einen astronomischen Mitgliedsbeitrag in der Musikergilde, so dass in diesem Fall die misstrauischen Augen zugedrückt wurden und sich die meisten Leute nicht darum scherten, solange die Firma außerhalb der Stadtmauern ihr Unwesen trieb. Und die Ergebnisse dieser Firma waren gar nicht so schlecht. Sie hatten es immerhin geschafft, einige Musiker aus Ankh-Morpork bis nach Gennua bekannt zu machen. Im Gegenzug hatten sie natürlich auch einige ausländischen Musiker unter Vertrag genommen und in der "Großen Wahoonie" bekannt gemacht, in dem sie ihnen Auftritte in den angesagtesten Kneipen und Tavernen der Stadt vermittelten. Zu diesen ausländischen Künstlern zählte unter anderem der kürzlich unter mysteriösen Umständen in seiner Heimat ums Leben gekommene Kleingeld-Johannes aus dem Wiewunderland, der mit seinem Folklore-Hit "Ich bin in einen brennenden Feuerring gefallen" Scheibenwelt-Ruhm erlangte. Man braucht nicht lange darüber nachzudenken, wie Rita Polen zu ihrem großen Vermögen gekommen war, mit dessen Hilfe es ihr möglich wurde, bis in die Gildenführung der Musikergilde vorzudringen, wodurch sie eine gewisse Monopolstellung in Sachen Musik-Produzententum erlangt hatte.
Die vier RUM-Mitglieder hatten die Stadt durchquert und betraten das Gebäude von Polen & Co. Überall hingen goldene Notenblätter
[5] und andere Musik-Trophäen herum und es wirkte alles ziemlich nobel. Ein Pförtner sprach die Wächter an:
"Seid ihr die Stadtwache-Ermittler?"
"Nein, wir sind die Heizungsprüfer. Natürlich sind wir von der Wache!" antwortete Kolumbini gereizt ob der dämlichen Frage. Schließlich konnte der Pförtner deutlich an den Uniformen und Dienstmarken erkennen, dass es sich um Wächter handeln musste.
"Wurde Zeit dass ihr kommt. Ich weiß zwar nicht, warum noch mehr Wächter gebraucht werden, schließlich ist schon diese komische Spurensicherungsbehörde dabei, hier unnötig herumzuschnüffeln, aber die Schäffin wartet trotzdem schon auf euch. An eurer Stelle würde ich zusehen, dass ihr hier kein allzu großes Aufsehen erregt."
"Laß das mal unsere Sorge sein."
Mit diesen Worten wandte sich der Hauptgefreite ab und folgte einem Schild auf dem "Betriebsvorstand 3. Obergeschoss" stand. Die anderen drei Wächter schlossen sich ihm wortlos an.
In der Zwischenzeit hatte sich auch der Rest der Abteilung, der zur aktuellen Besetzung gehörte, zusammengefunden und sich im Büro der Abteilungsleiterin eingefunden. Rina klärte noch einige Kleinigkeiten ab.
"Wir werden uns gleich zum Schauplatz des Verbrechens begeben. Ich hoffe mal, dass wir dann von den anderen vieren alle nötigen Informationen erfahren, was den Mordfall angeht. Dann können wir Ermittler uns gleich an die Befragung der einzelnen Teilnehmer des Gesangswettbewerbs machen."
"Warum bist du nicht selbst hingegangen?" meldete sich Dragor Nemod.
"Ich wollte schon mal einen kleinen Vortrupp losschicken, der uns alle wichtigen Informationen herausfiltert, so dass wir nicht mit der ganzen Abteilung der Musikproduzentin auf die Pelle rücken müssen. Zurück zu unserem Vorgehen: Wir werden verdeckte Ermittler einsetzen müssen, um auch Dinge ans Tageslicht zu bringen, die uns die werten Musiker nicht verraten würden. Carisa und Dragor werden in diesem Fall als Mitarbeiterin der Produzenten-Firma eingeschleust, Tricia und Vinni werden als Musiker die anderen Künstler in Augenschein nehmen... Ja, was gibt es denn, Korporal Vintongo?"
"Müssen wir auch an diesem Wettbewerb teilnehmen?"
"Ich hoffe mal, dass unser Fall bis dahin abgeschlossen ist. Pyronekdan, haben wir irgendwelche Informanten, die sich in der Musikbrongsche auskennen?"
"Nein, Mäm, bisher nicht."
"Gut, dann wird es deine Aufgabe sein, Thymian dabei zu unterstützen, einen vertrauenswürdigen Informanten zu finden und anschließend den Kontakt zu ihm zu unterhalten. Noch Fragen?"
Allgemeines Schweigen.
"Gut, dann machen sich jetzt die verdeckten Ermittler daran, ihren Einsatz vorzubereiten. Der Rest kommt mit mir zum Morpork Quadrat Garten. Dort habe ich noch eine kleine Überraschung für euch!"
An besagtem Ort befanden sich mittlerweile Mefarina, Thymian, Romulus und Kolumbini vor dem Büro der Musikproduzentin Rita Polen und klopften dort an die kunstvoll verzierte Tür.
"Herein!" erklang eine Stimme, die energisch aber auch recht penetrant wirkte.
Die vier RUM-Mitglieder betraten das Büro der Firmenschäffin und sahen erstmal nur einen großen Schreibtisch, hinter dem eine blonde Frau saß, der ein Dauergrinsen ins Gesicht gemeißelt zu sein schien.
"Ah, ich find das so supa von euch, dass ihr so meeegaschnell hier hergekommen seid," begrüßte sie die verdutzten Wächter. "Aba setzt euch erst mal hin."
Sie deutete auf einige wahllos im Raum verteilten Ledersessel. Nacheinander nahmen die Wächter Platz. Kolumbini, der ranghöchste Wächter der vier, ergriff das Wort:
"Einen schönen guten Tag, Frau Polen. Kolumbini mein Name, ich bin Ermittler der Stadtwache. Wir wurden in einem Mordfall hierher gerufen. Würde es dir etwas ausmachen, uns die näheren Umstände dieses Falles zu schildern?"
"Ach, ihr seid so was von meeegauntalentiert," kam es vom Schreibtisch zurück. "Ich dachte, das findet ihr alleine raus, das ist doch eigentlich euer Job, oder?"
Romulus flüsterte Mefarina ins Ohr: "Ich glaub ich weiß jetzt, warum Rina uns erstmal als Vorhut geschickt hat, ich hätte mich auch vor einer direkten Konfrontation mit dieser Person gedrückt..."
Inspäctor hatte sich gerade noch so unter Kontrolle, aber wer ihn kannte, merkte, wie es hinter seiner ruhigen Fassade brodelte.
"Ja, aber dazu müssen wir die einzelnen Personen, die in der unmittelbaren Nähe des Tatortes waren, zu allen betreffenden Dingen befragen," antwortete der Hauptgefreite der Produzentin mit gespielter Geduld.
"Also, das ist so meeegaeinfach, am besten ihr kommt mit hinüber in den Emm Kjuh Dschih und schaut euch das ganze selba an. Da sind auch schon eure Kumpels von der Spurensammlung."
Sie hielt kurz inne, anscheinend um nachzudenken. Romulus fragte sich insgeheim, wie eine derartige Person einen solchen Erfolg haben konnte.
"Hmmm...," fuhr Rita fort, "eigentlich bräuchtet ihr ja noch einen Wiieh-Aii-Piieh-Ausweis, um den Emmm Kjuh Dschih bäckstejtsch zu betreten, aber ich glaube es reicht, wenn ich euch eine Wiieh-Aii-Piieh-Ansteck-Naddel gebe."
Die Wächter versuchten tapfer, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie von den ganzen Abkürzungen und Fachausdrücken etwa so viel verstanden, wie ein klatschianischer Mistkäfer vom Anbau reanuellen Weines, und folgten der enthusiastischen Musikproduzentin. Unterwegs schloss sich ihnen ein Mann mit fettigem dunklen Haar an, der einen seltsamen Anhänger mit der Aufschrift "Rita" trug.
"Ach, ich hab euch noch garnich meinen Mann vorgestellt. Das ist Tommy Verkehrt."
"Angenehm," erklang es desinteressiert und genervt aus vier Wächter-Mündern. Auf dem Weg zum Ausgang fiel das Produzenten-Pärchen erstmal in einen handfesten Streit über den Ruf, den das Unternehmen durch den Mordfall verlieren könnte
[6]. Die Wächter taten einfach mal so, als würden sie davon nichts mitbekommen und folgten den beiden hinaus.
Die von Rina angeführte RUM-Abordnung hatte in der Zwischenzeit das Gelände des Morpork Quadrat Gartens erreicht und die Abteilungsleiterin wollte soeben weitere Instruktionen erteilen, als sich der Haupteingang des Bürogebäudes öffnete und eine sechs Personen starke Gruppe heraustrat: Eine enthusiastisch schimpfende Musikproduzentin, ein etwas hilflos aber wütend wirkender Ehemann und vier deutlich genervte Wächter. Leutnant Lanfaer überlegte nicht lange und rief den Vortrupp zu sich, um eine allgemeine Lagebesprechung abzuhalten. Das Produzentenpärchen wurde etwas abseits stehen gelassen, sie sollten ja nicht alles mitbekommen.
"So. Gut dass wir jetzt alle zusammen hier sind. Ich hab' ja schon angekündigt, dass ich eine Überraschung für euch habe. Und zwar hat Lord Vetinari direkt hier gegenüber ein leerstehendes Gebäude für die Wache zur Verfügung stellen können, in das wir während der Ermittlungsarbeiten ziehen sollen, um möglichst schnell und flexibel arbeiten zu können."
Die Wächter waren alles andere als begeistert, ihr ganze benötigte Ausrüstung für die kommenden Tage hier heraus bringen zu müssen, ließen sich aber nichts anmerken.
"Was habt ihr denn bei der Produzentin herausgefunden?" wandte sich Rina nun an Kolumbini.
"Nichts aufschlußreiches. Ich halte, mit Verlaub, nicht besonders viel von dieser Frau und ihrem Ehemann, und frage mich wie sie es mit ihrer alles andere als angenehmen Art so weit gebracht hat. Immerhin haben wir es geschafft, dass sie uns Wiieh-Aii-Piieh-Ansteck-Nadeln gegeben hat, mit denen man den Quadrat-Garten ungehindert betreten kann. Sie hat mir genügend Nadeln für die ganze Abteilung gegeben."
"Immerhin etwas. So, ich würde vorschlagen die Ermittler kommen jetzt mit und sehen sich mit mir den Tatort an. Dann können wir uns gleich die nötigen Infos von SUSI holen. Der Rest bezieht schon mal das Gebäude. Außerdem sollte jemand eine Taube ins Wachhaus schicken, dass sich DOG mal bei der Musikergilde umhört, um Informationen über die Vergangenheit der Frau Polen zu bekommen."
Als die RUM-Mitglieder am Tatort ankamen, einer der modern eingerichteten Künstlergarderoben, wurden sie direkt von ihren Kollegen von SUSI empfangen. Charlie Holm und Sillybos waren damit beschäftigt, den Boden sorgfältig nach jeglicher Art von Spuren abzusuchen, während Eisenpelz vor der Tür stand, darauf bedacht, niemanden unbefugten in den Raum zu lassen.
"Ihr eure Dienstmarken dabei?" fragte der Troll.
"Natürlich!" erwiderte Rina und zeigte dem Tatortsicherer stellvertretend für alle ihre Marke.
"Gut. Ihr passieren dürft."
Die Ermittler schoben sich einer nach dem anderen an dem breiten Troll vorbei und grüßten die Kollegen der Spurensicherung.
Der Raum war für eine Garderobe verhältnismäßig groß. Ein kunstvoll verziertes Waschbecken nebst Spiegel zierte die Wand auf der rechten Seite. Auf dem Marmorfußboden lag in einer bereits angetrockneten Blutlache der Leichnam eines Zwerges mit einem für zwergische Verhältnisse eher kurzem Bart und schütterem braunen Haar. Die Kleidung des Toten bestand aus einem futuristisch glänzenden pyjamaähnlichen Anzug an dem ein Namensschild die Identität des Opfers bekanntgab: "Ditschäj Bäbä" stand dort in deutlich lesbaren Lettern. In seiner Stirn klaffte eine große Platzwunde. Über den Zwerg war der Gerichtsmediziner Jack Narrator gebeugt und untersuchte die Wunde.
"Hallo Jack," grüßte Rina. "Schon irgendwelche Hinweise über die Todesursache?"
"Ja. Alles deutet darauf hin, dass er mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen wurde," antwortete Narrator.
"Und zwar mit diesem hier," fiel ihm Charlie ins Wort und hielt einen durchsichtigen Beutel hoch, in dem deutlich ein an der einen Seite rot gefärbter Wackerstein zu sehen war. "Natürlich ohne Fingerabdrücke, die Tat war also wahrscheinlich geplant."
"Gute Arbeit," lobte Rina die Spurensicherer. "Romulus, du gehst zu Frau Polen und besorgst uns eine Liste mit allen anwesenden Künstlern. Ich vermute nämlich, dass dieser Mord aus Konkurrenzgründen durchgeführt wurde. Kolumbini, du versuchst näheres über diesen Ditschäj Bäbä herauszufinden. Seine Vergangenheit, seine Freunde und Feinde, seine Karriere und so weiter. Mefarina und Myra, ihr vernehmt die Angestellten, die sich zur Tatzeit hier aufgehalten haben. Ich werde in der Zwischenzeit in unserem Haus gegenüber dem Rest der Abteilung Instruktionen erteilen und dort ein Büro beziehen. Da wir momentan keinen Verbindungswächter haben, werde ich das Vorgehen koordinieren. Noch Fragen?"
Sillybos meldete sich: "Sollen wir unseren Bericht dann direkt bei dir abgeben, sobald wir hier fertig sind?"
"Gute Idee. Also dann: Abmarsch."
Rina saß im spontan "Hartfels-Café" getauften Gebäude
[7] hinter einem aus mehreren Kisten und einer welligen Holzplatte improvisierten Schreibtisch und musterte das Ergebnis der Tarnung ihrer verdeckten Ermittler. Carisa und Dragor hatten es verhältnismäßig leicht gehabt, schließlich sollten sie sich als Arbeiter in die Firma einschleusen, wodurch Carisa eigentlich keinerlei äußerliche Veränderung benötigte und Dragor sich lediglich in einen Arbeitsanzug kleiden musste. Interessanter wurde es bei den beiden anderen, die als Musiker ihre "Kollegen" in private Gespräche verwickeln sollten: Tricia hatte sich ihre hellbraunen Haare schwarz gefärbt und steckte in einem dunkelblauen, glänzenden Kleid. Vinni jedoch war kaum wiederzuerkennen. Er trug eine Sonnenbrille, einen weissen, glitzernden Anzug sowie spitz zulaufende Stiefel. Aber das Schlimmste an der ganzen Verkleidung war eine furchtbare blonde, lockige Langhaarperücke, unter der er aussah wie ein schlecht geschorener Pudel.
Wenigstens wird ihn so niemand erkennen, dachte sich Rina und konnte sich beim Anblick des Korporals ein Schmunzeln nicht verkneifen. Dann erhob sie sich von ihrem Sitzplatz und sagte im Befehlston mit unterdrücktem Lachen:
"So, ihr vier verschwindet jetzt und schleust euch bei Polen & Co. ein!"
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Thymian Pech und Pyronekdan betraten das Zimmer, das wir in Ermangelung eines passenden Begriffes mal "Büro" nennen wollen. Die beiden Obergefreiten salutierten und Pyro ergriff das Wort:
"Wir haben einen geeigneten Informanten gefunden, müssen uns nur noch darum kümmern, dass er auch wirklich unser Informant wird."
"Wieso das?"
"Es handelt sich um einen Musiker, genauer gesagt den Schlagzeuger, der in der Hintergrundband für die Solokünstler beim Wettbewerb spielen wird. Sein Name ist Vihl Gedöns. Wir haben vorhin Gelegenheit gehabt, uns mit ihm in der Kaffeeterria des Quadrat Gartens zu unterhalten und er scheint uns geeignet."
"Und warum ist er dann noch nicht von euch zum offiziellen Informanten im Musikbisiness gemacht worden?" hakte Rina nach.
"Naja, wir wollten erstmal Bericht ersta..."
"Ihr geht
sofort zu diesem Schlagzeuger und wenn er mittlerweile weg ist, dann gnade euch Io!"
Die beiden beeilten sich, aus dem Büro zu laufen.
Kaum waren sie geflüchtet, als es an die Tür klopfte.
"Herein!" rief die gestresste Abteilungsleiterin.
Ein mit den Nerven ziemlich am Ende angekommener Hauptgefreiter von Grauhaar betrat den Raum. In der Hand hielt er einen Zettel mit einer größeren Liste an Namen.
"Wer hat dich denn so zugerichtet?" wollte Leutnant Lanfaer wissen.
"Ach, ist nicht der Rede wert. Dieses Produzentenpärchen gibt einem den Rest. Am besten wir schicken ihnen beim nächsten Mal einen Püschologen."
"Ob wir das der armen Arunagena schon zutrauen können? Sie ist doch noch in Ausbildung. Naja, dann lernt sie gleich mal den harten Alltag einer Püschologin kennen."
Rina betrachtete die Liste. Sie nahm einen Stift aus ihrer Tasche und schrieb einige Dinge dazu, dann reichte sie den Zettel wieder zurück an Romulus. Ein kurzer Blick genügte, um die Ergänzungen auf dem Zettel zu verstehen. Die RUM-Cheffin hatte jedem Interpreten auf der Liste einen Ermittler zugeordnet. Natürlich musste sich jeder Ermittler um mehrere Musiker kümmern, aber das verstand sich bei der verhältnismäßig großen Anzahl an Künstlern von selbst.
"Wie du siehst, hat jeder Ermittler einige Musiker zugeteilt bekommen, die von ihm verhört werden sollen," teilte Rina überflüssigerweise mit. "Also, gönn dir am besten erstmal noch einen Kaffee und fang dann mit deinen Verhören an. Wir wollen schließlich vor dem Festival den Fall gelöst haben."
Die Garderobe war stickig und roch derartig nasenbetäubend nach einer großen Menge unterschiedlichen Parfüms, als ob dort ein Tankwagen voller Deodorant ausgelaufen wäre. Romulus kämpfte sich durch einen Dschungel aus Kleidungsstücken aller Formen und Farben, bis er sein ermittlerisches Ziel sah: Eine Gruppe von fünf ziemlich jungen Frauen, deren Gesichter über und über mit Schminke beladen waren und von der Anwesenheit des Ermittlers keine Notiz zu nehmen schienen, weil sie zu beschäftigt mit einem verbalen Gefecht waren. Romulus räusperte sich vernehmlich und stellte sich nach Atem ringend vor.
"Guten Tag, die Damen, ich bin von der Stadtwache und möchte euch ein paar Fragen stellen."
Die Mädchen unterbrachen ihre Streitigkeiten und wandten sich interessiert dem männlichen Besucher zu. Die Frau mit der braungebrannten Haut und dem Wuschelkopf ergriff das Wort.
"Na dann schieß mal los, Süßer!"
"Als erstes mal muss ich euch nach euren Namen fragen, denn auf meinem Zettel steht nur der Name eurer Band..."
"Görlband!" fiel ihm das Mädchen mit den langen blonden Haaren ins Wort.
"Von mir aus auch Görlband," erwiderte der Werwolf. "Also, als Gruppe nennt ihr euch Gewürzmädchen. Warum das?"
"Weil wir schärfer als das schärfste Gewürz sind!" entfuhr es den fünfen wie aus einem Mund.
"Gut, dann nennt mir jetzt der Reihe nach eure Namen."
"Jerry Ballaballa!" "Helena Braun, aber man nennt mich Hel Beh!" "Victoria Hinterschinken!" "Mimmi Banten!" "Helena Grashalm, aber man nennt mich Hel Geh!"
Romulus machte sich einige Notizen in seinen Block.
"Na dann wollen wir mal sehen. Habt ihr den Toten näher gekannt? Schonmal mit ihm zusammen aufgetreten oder so?"
Deutlich zaghafter als bisher meldete sich Hel Beh zu Wort:
"Ich war bis vor ein paar Wochen mit ihm zusammen."
In der Zwischenzeit war Inspäctor Kolumbini mit seinem Teil der Liste beschäftigt und auf der Suche nach einem gewissen Fleischklops.
Seltsamer Name für einen Musiker, dachte der Lance-Korporal und klopfte sich an sein Glasauge. Der Grund, warum es ihn zuerst zu diesem Künstler zog, war ganz einfach: In seinen Recherchen über die Vergangenheit des ermordeten Zwergen-Musikers
[7a] war eine sehr interessante Sache zutage gefördert worden, die diesen Fleischklops für Kolumbini zum Hauptverdächtigen machten: Bis vor wenigen Wochen hatte Ditschäj Bäbä noch eine Affäre mit Helena Braun von der Gruppe "Die Gewürzmädchen" gehabt. Und das Interessante an der ganzen Sache war, dass eben dieses Gewürzmädchen vor der Beziehung zu Bäbä mit Fleischklops liiert war. Ein Mord aus Eifersucht also?
Der Überwald-Brindisianer betrat die Kaffeeterria
[9]. An einem Ecktisch sah er Thymian und Pyronekdan, die auf einen kleinen Mann mit Halbglatze, bei dem es sich nur um den potentiellen neuen Informanten handeln konnte, einredeten. Inspäctor beschloss, die drei erst einmal nicht weiter zu beachten und wandte sich den übrigen Tischen zu. Am anderen Ende des Raumes befand sich das Objekt seiner ermittlerischen Begierde: Ein großer, gewichtiger Mann mit langen fettigen Haaren saß dort und trank einen Kaffee. Kolumbini steuerte geradlinig auf den Tisch zu.
"Kolumbini mein Name," ergriff er das Wort, was den menschlichen Berg am Tisch aufschrecken lies. "Bist du Fleischklops, der Sänger?"
"Ja der bin ich," kam die mürrische Antwort zurück. "Was willst du von mir?"
"Ich bin von der Stadtwache und ermittle im Mordfall an deinem Kollegen Ditschäj Bäbä. Wie ich hörte wart ihr näher miteinander bekannt."
"Das kann man wohl sagen!", brauste sein Gegenüber auf. "Diese Fledermaus der Hölle hat mir die Freundin ausgespannt!"
"Hmmm... damit lieferst du mir ja ein geradezu perfektes Motiv für die Tat."
"Also wirklich, du willst mir doch nicht unterstellen..." Er unterbrach sich. "Weißt du, ich würde alles für die Liebe tun, aber das nicht!"
Die Lautstärke von Fleischklops' Äußerungen veranlasste einige Leute dazu, sich zu ihnen umzudrehen. Deutlich leiser fügte der Sänger hinzu:
"Außerdem habe ich ein Alibi. Ich bin nämlich gestern den ganzen Tag mit Hel zusammen gewesen, wollte mit ihr noch mal über uns reden und so, weil sie ja mit diesem
Vergnügungssüchtigen Schluss gemacht hatte und hab mit ihr deshalb einen längeren Spaziergang durch die Stadt unternommen, der dann in eine kleine Kneipentour ausgeartet ist."
"Gut, das werden wir überprüfen. Weißt du sonst irgendjemanden, dem es einen Vorteil gebracht hat, dass Bäbä nicht mehr lebt?"
"So ziemlich jeder andere Musiker könnte es sein. Immerhin geht es um den hochdotierten Granny-Preis und da sind wir alle Konkurrenten."
Rina seufzte. Die Befragung der Angestellten hatte nichts Aufschlussreiches ergeben, es gab weder Zeugen des Mordes noch andere Hinweise, was den Tathergang betreffen könnte. Der Tote war am Morgen nach der Tat vom Ehemann der Produzentin entdeckt worden, der dann mit seiner Frau sofort beim Patrizier vorstellig wurde. Die Abteilungsleiterin fragte sich, warum sie nicht gleich zur Wache gekommen waren, wenn doch so wenig Aufsehen wie möglich erregt werden sollte. Missmutig schlug sie den soeben eingetrudelten SUSI-Bericht auf, der bestimmt auch keine neuen Hinweise liefern würde.
"Blablabla... Stumpfer Gegenstand... blablabla... Platzwunde... blabla... Schädel gebrochen ... blablabla..." las sie murmelnd vor sich hin.
Plötzlich riss es sie vor Erstaunen in die Höhe und sie wiederholte den zuletzt gelesenen Satz vor Freude über ein neues Indiz lauter als nötig:
"Im Blut des Toten wurde eine hohe Konzentration des geläufigen Schmerzmittels Kasperin
[10] entdeckt!"
Leutnant Lanfaer nahm ihre Beine unter die Hand und flog förmlich durch die Tür.
Ein geheimes Treffen fand hinter verschlossenen Türen eines unbenutzten Abstellraums im Morpork Quadrat Garten statt. In dem düsteren Raum wechselte gerade ein größerer Geldbetrag den Besitzer. Ein heimlicher Lauscher hätte flüsternde Worte vernehmen können. Leider war kein heimlicher Lauscher anwesend, jedoch soll der Leser nicht im Unklaren gelassen werden, weshalb der Wortlaut des Geflüsterten hier trotzdem zur Erwähnung gebracht wird.
"Wie vereinbart, hier ist das Geld. Und wenn dir keiner von diesen unfähigen Wächtern auf die Schliche kommt, legen wir am Ende noch mal das Doppelte drauf. Andernfalls weißt du nichts von unserem Treffen. Haben wir uns verstanden?"
Der zweite Schatten nickte. Dann fiel ihm ein, dass sein Gegenüber diese Bewegung ja nur schwerlich sehen konnte wenn er nicht gerade über einen Wärmeempfindlichen Blick verfügte.
"Selbstverständlich," antwortete er flüsternd.
"Gut, und als nächstes ist dieser Überwalder dran. Verstanden?"
Die Befragung der einzelnen Musiker war weiterhin in vollem Gange. Romulus schaute auf seine Liste. Hinter den Gewürzmädchen, Melvin Presskopf und
der Musikgruppe mit dem seltsamen Namen "Ort-an-dem-nach-dem-Glauben-von-Bhangbhangduc-die-Seelen-der-Seligen-hingeraten" befanden sich bereits Haken. Ob die anderen auch schon so viele Gespräche geführt hatten? Jedenfalls blieb auf seiner Liste noch ein Mann übrig, vor dessen Garderoben-Tür er gerade stand. Er klopfte an. Eine nuschelnde aber dennoch kräftige Stimme aus der Garderobe rief. "Herein! Und mach die *piep* Tür hinter dir leise zu du *piep*!" Zögernd trat er ein. Eine dunkle Kammer empfing ihn und irgendwo in der Düsternis glaubte Romulus, das charakteristische Geräusch flatternder Fledermausflügel zu hören. Zögernd fasste sich Romulus ein Herz und trat auf den langhaarigen Schemen zu, der in der Mitte des Raumes mit etwas undefinierbarem beschäftigt war. "Guten Tag. Ich bin Hauptgefreiter von Grauhaar von der Wache. Habe ich die Ehre mit Säbbäs Bläck?" "Du bist also einer von den *piep* *piep* die hier den *piep* Radau veranstalten!" Romulus fragte sich, wie es sein Gegenüber schaffte, so seltsam zu piepen. Wahrscheinlich hatte er einen neuartigen Dämonen, der Flüche verhindern sollte
[11] oder *piep* war ein ganz besonders böses Universalschimpfwort. "Ihr ver*piep*ten Wächter habt uns *piep* Musiker mit euren *piep* Ermittlungen schon so weit getrieben, dass wir morgen in den Streik treten werden, wenn ihr nicht bald ein *piep* Ergebnis liefert! Johann Biege-den-Glauben-der-Ungläubigen-Zurecht und Wolfram Wo-Zwei-Oder-Drei-In-Oms-Namen-Versammelt-Sind von der *piep* omnianischen Musikgruppe Den-Ungläubigen-Vernichtet-Om-Die-Ernte haben sogar schon angefangen, *piep* Schilder zu beschriften!" "Nun gut, ich glaube wir müssen diese Musikgruppe sowieso noch befra..." Weiter kam der Werwolf nicht, denn von draußen erklang ein lauter Schrei, gefolgt von einem undefinierbaren Rumpeln.
Romulus vergaß seinen Gesprächsansatz und eilte nach draußen, dicht gefolgt von Säbbäs Bläck, der, wie sich jetzt bei hellerem Licht herausstellte, tatsächlich eine angeleinte Fledermaus mit sich herumtrug. Als die beiden vor dem Gebäude ankamen, trafen auch gerade einige weitere Wächter ein, die von dem Krach angezogen wurden, ebenso wie einige neugierige Musiker. Ihnen allen bot sich ein Bild des Grauens. Ein offensichtlich toter Mensch unbestimmbaren Geschlechts lag blutend auf der Straße. Die Spuren eines Eselskarrens liefen quer über seinen Körper.
"Weiß jemand, wer das hier ist, beziehungsweise, wer das hier war?" ertönte die vertraute Stimme von Lance-Korporal Kolumbini, der Pfeife rauchend aus der Menge der entsetzten Zuschauer trat.
"Das war dieses überwaldische ... Etwas mit der hässlichen Brille. Keiner wusste so recht, ob es ein Mann oder eine Frau war," ereiferte sich sofort die herbeigeeilte Rita Polen und fiel in ihren gewohnten Redeschwall "Sein Name war Darius Eimerblök. Ein supppaaatalientierter junger ... Mensch. Ich finde das so suppppaaapeinläch von euch Wächtern, dass quasi vor eurer Nase ein weiterer Mord passieren kann. Und ihr habt wahrscheinläch wieder aaabsolut keine Anhaltspunkte. Alles Scheiße, oder wäääs?"
Eine völlig mit den untoten Nerven fertige Arunagena stand hinter der Musikproduzentin und beruhigte einen noch fertigeren Tommy Verkehrt.
"Entschuldige mal, Frau Polen, ich sehe sehr wohl einige Anhaltspunkte!"
Romulus, der diese Worte gesprochen hatte, während er einige Dinge in sein Notizbuch gekritzelt hatte, trat vor und deutete auf die Wand hinter Rita Polen, auf die bisher keiner geachtet hatte, weil sich ein Teil der rasch zunehmenden Menschenmenge davor platziert hatte. Die Blicke wandten sich um und sahen das Corpus Delicti: Die Reste eines gegen die Wand gefahrenen Eselskarrens waren zu sehen, jedoch keine Spur von Fahrer, Esel oder Nummernschild. Es schien sich um einen Fall von Unfallflucht zu halten. Erst jetzt fiel den umstehenden Leuten der seltsame Geruch auf, den der Werwolf natürlich sofort wahrgenommen hatte. Der Eselskarren hatte offensichtlich Gurken geladen gehabt, von denen eine grünliche Masse an der Wand zeugte.
In diesem Moment trafen die Leute von SUSI ein, die der ebenfalls zum Tatort geeilte Thymian Pech per Eiltaube benachrichtigt hatte. Die Menge wich beseite, zwar nicht freiwillig, aber Eisenpelz' drohende steinerne Fäuste waren respektgebietend genug, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen. Wenige Sekunden später hatte GeN den Tatort mit seinem Absperrband vor unbefugtem Zutritt gesichert und die Spurensicherer und Gerichtsmediziner konnten ihrem Werk nachgehen.
In diesem Moment erreichte Irina Lanfear in Begleitung von Mefarina den Unfallort.
"Alle RUM-Mitglieder sofort ins Hartfels-Café!" befahl sie und verschwand bereits wieder im provisorischen RUM-Quartier. Der Rest der Abteilung folgte ihr widerwillig, denn die meisten waren noch nicht mit ihren persönlichen Ermittlungen fertig.
Wenige Minuten später war die komplette Abteilung mit Ausnahme der verdeckten Ermittler, die aus verständlichen Gründen nicht einfach so mit den anderen kommen konnten, ohne ihre Tarnung zu gefährden, in Rinas Hartfels-Café-Büro versammelt.
"Der Grund, warum ich euch hierher beordert habe ist folgender," begann die Abteilungsleiterin. "Ich habe im SUSI-Bericht zur Ermordung des Zwerges gelesen, dass der Verstorbene vor der Tat mit einer großen Menge Kasperin betäubt worden ist. Dieses Mittel wird besonders bei Musikern häufig gegen die Kopfschmerzen eingesetzt, die man nach einen exzessiven Musik-mit-Steinen-drin-Konzert nun mal so hat. Versuchst also, bei euren weiteren Ermittlungen herauszufinden, ob ein Musiker davon eine besonders große Menge besitzt, oder besessen hat. Des Weiteren habe ich mich mit dem Erfinder des Schmerzmittels, Herrn Kasper Baijer gesprochen, der mir versichert hat, dass eine Überdosis dieses Mittels sogar tödlich enden kann. Allerdings glaube ich, im aktuellen Mordfall an dem Überwalder können wir eine derartige Todesursache ausschließen. So, und nun zu euch. Hat jemand irgendwelche wichtigen Ergebnisse bei seinen Ermittlungen vorzuweisen?"
"Ich habe jedenfalls eine Antwort von DOG auf unsere Anfrage über Rita Polens Vergangenheit erhalten, die mich stutzig gemacht hat," meldete sich Mefarina.
"Das wollte ich dir vorhin schon sagen, Rina, aber du bist so eilig in Richtung Quadrat-Garten gelaufen, dass ich nur noch hinterhersprinten konnte. Also: Die Musikergilde weiß nichts von der Vergangenheit der Produzentin. Allerdings hat Robin, der sich um die ganze Angelegenheit gekümmert hat, herausgefunden, dass es in der Vergangenheit mal einen Bestechungsskandal um einen Archivar der Musikergilde gegeben hat, bei dem, so vermutet er, wohl auch Frau Polen beteiligt gewesen sein könnte, die für Geld ihre kompletten Daten hat vernichten lassen."
"Interessant," kommentierte die RUM-Chefin. "Ich hoffe, Robs bleibt da am Ball. Weitere Ergebnisse?"
Kolumbini meldete sich zu Wort.
"Ich habe nach meinen Erkundigungen über Bäbäs Vergangenheit herausgefunden, dass er vor kurzem noch mit Helena Beh von den Gewürzmädchen eine Affäre hatte, die sich deshalb von ihrem damaligen Liebhaber Fleischklops getrennt hat. Deshalb war für mich eben dieser Kerl der Hauptverdächtige. Allerdings hat er ein hieb- und stichfestes Alibi, das ich überprüft habe."
Inspäctor klopfte gegen sein Glasauge, als er nachdachte, eher er fortfuhr.
"Außerdem wüsste ich nicht, wie der Tod von Eimerblök dazu passen soll. Ich glaube, Fleischklops können wir als Täter demnach ausschließen."
"Mir kam diese omnianische Band ein wenig suspekt vor," begann Agnetha vom Ankh als sich niemand anderes mehr zu Wort meldete. "Der Sänger hat das komplette Verhör nur aus seinem mit einem hässlichen Schmetterling auf dem Einband verzierten
Stundenbuch zitiert während der Gitarrist von Streiks gefaselt hat. Und außerdem haben sie mir nicht geglaubt dass ich eine geringe Göttin bin und wollten mich bekehren und mir den Unglauben austreiben. So jemand ist zu allem fähig, sag ich euch."
Die Wächter schwiegen, so eine lange Rede von Agnetha war man gar nicht gewohnt.
Schließlich ergriff Rina wieder das Wort:
"Nun gut, ich denke, wir sollten uns unsere Hauptverdächtigen mal vorknöpfen! Führt eure Ermittlungen weiter und schaut, dass ihr Dragor, Tricia, Carisa und Vinni informiert! Ich werde mich in der Zwischenzeit mal zurück ins Wachhaus begeben und dort mit Robin über diesen Bestechungsskandal sprechen. Worauf wartet ihr noch? An die Arbeit!"
Auf dem Weg zurück in den Quadratgarten kamen Romulus und Mefarina, die zusammen in die Kaffeeterria gehen wollten, um sich dort mit den beiden "Musikern" Tricia und Vinni zu treffen und das weitere Vorgehen zu besprechen, an der Unfallstelle vorbei, wo Jack mal wieder in den
Körperwelten einer Leiche nach Hinweisen suchte.
"Und, schon was Intressantes herausgefunden?" wandte sich Meffi an den Gerichtsmediziner.
"Diesmal ist nichts besonderes zu erkennen. Er scheint wohl wirklich nur von diesem Gurkenkarren überfahren worden zu sein."
Das Werwolfpärchen betrat die Kaffeterria. Um nicht aufzufallen, bestellten sie sich etwas zu essen. Kurz nachdem sie sich mit ihrer Mahlzeit an einen Tisch in einer etwas abgelegenen Ecke gesetzt hatten, betraten Vinni und Tricia, beide in ihrer verdeckten Ermittlerrolle als Musiker, die Kaffeterria und begaben sich zu ihren Ermittler-Kollegen.
"Entschuldigung, ist hier noch frei?" fragte der Leutnant, um nicht mit den Wächtern in direkte Verbindung gebracht zu werden.
"Natürlich," antwortete Mefarina.
Während des nun folgenden Essens entwickelte sich ein interessantes Gespräch, aus dem die beiden Werwölfe folgendes entnehmen konnten: Unter den Musikern herrschte größtenteils Neid und Eifersucht, sie versuchten sich häufig gegenseitig ein Schnippchen zu schlagen. Demnach war eigentlich fast jeder verdächtig. Im Laufe des Gesprächs wechselte heimlich ein Zettel mit den neuesten Instruktionen der Abteilungsleiterin den Besitzer von Romulus zu Vintongo, so dass die beiden verdeckten Ermittler im Klaren waren, was die Abteilung bereits herausgefunden hatte und wem man besonders auf den Zahn fühlen sollte. Die anschließende kurze Ruhepause nutzte Romulus, um in den Inseraten der Times nach einer geeigneten Wohnung zu suchen. Gerade als er ein Kreuz neben die Anzeige "Ruhige Wohnung in unmittelbariger Lage der verschiedensten bekannten Lokalitäten dieser schöhnen Stadte an ehrbaren Bürger zu verkaufigen, Adresse: Sirupminenstrahsse 137, meldige dich bei Frau Hausreich in der Teekuchenstrahsse 75" gemacht hatte wurde die Eingangstür der Kaffeeterria aufegrissen und ein atemloser Musiker stand im Türrahmen.
"Sind irgendwelche Wächter hier?" rief er.
Tricia und Vinni zuckten gleichzeitig mit Romulus und Mefarina zusammen, jedoch schafften sie es, zu vermeiden, dass jemand entdeckte, wie sie sich angesprochen gefühlt hatten. Lediglich die beiden Werwölfe sprangen auf und gingen schnellen Fußes auf den Mann zu, bei dem es sich um den scheibenbekannten Steinmusik-Star Melvin Presskopf handelte, den Romulus bereits zu den Ereignissen befragt hatte.
"Ah der Hauptgefreite mit dem Halstuch, yeah! Folgt mir, ihr beiden."
Presskopf führte das Ermittlerteam zu einer dunklen Kammer.
"Ich wollte das nicht allzu laut sagen, sonst wären uns wahrscheinlich alle Gäste der Kaffeeterria gefolgt. Jedenfalls ist noch jemand gestorben."
"Noch jemand gestorben? Und warum sagst du das erst jetzt?"
"Ruhig, ruhig. Es scheint sich um Selbstmord zu handeln. Wußtest du übrigens das ich einStück geschrieben habe namens 'Wachhaus-Rock'"?
"Was tut das zur Sache?" fragte Romulus.
"Eigentlich nichts. Hier geht's hinein. Und Vorsicht: Tritt nicht auf meine blauen Wildlederschuhe, sonst werd ich sauer."
Die beiden Ermittler betraten die düstere Kammer, in der es deutlich nach Blut roch. Romulus zog instinktiv sein Halstuch über die Nase und Mefarina nahm ein mit Minzöl getränktes Taschentuch, was sie sich vors Gesicht hielt. Als Presskopf hinter ihnen eine Lampe entzündete, konnten sie sich etwas besser orientieren. Auf dem Boden lag eine Leiche in ihrem eigenen Blut. Romulus erkannte an der blonden Mähne deutlich den Sänger der Gruppe "Ort-an-dem-nach-dem-Glauben-von-Bhangbhangduc-die-Seelen-der-Seligen-hingeraten", Kurt Kronbein. Neben ihm lag eine ziemlich große Armbrust, von der die große, hässliche Wunde in Kronbeins Schläfe zu stammen schien. Auf einem Tisch in der Nähe lag ein Zettel, offenbar ein Abschiedbrief, auf dem die Worte in einer zittrigen Handschrift standen "Ich hassige mich selbigst und ich möchte sterbigen."
"Scheint so als hätte er sich mit dieser Armbrust hier erschossen. Was machen wir jetzt?" fragte Mefarina.
"Bleib du mal hier, ich hole SUSI," erwiderte Romulus und verschwand durch die Tür.
In dem bereits erwähnten Abstellraum im Quadrat Garten fand mal wieder ein geheimes Treffen statt.
"Das mit dem Überwalder hast du gut hinbekommen," flüsterte lobend eine Stimme. "Allerdings frage ich mich ob du mit dem Kronbein nicht ein wenig zu weit gegangen bist."
"Ich habe mit dem Tot von Kurt Kronbein absolut nichts zu tun," echauffierte sich eine zweite flüsternde Stimme. "Gib mir jetzt mein Geld und du siehst mich nie wieder."
"Du glaubst, ich gebe dir das Geld? Hast du mich wirklich für so blöd gehalten, jetzt nachdem du meine gesamte Drecksarbeit erledigt hast? Nein, mein Freund, da kennst du mich aber schlecht!"
Die Ermittlungen waren weiterhin in vollem Gange und brachten doch keine großen Neuigkeiten ein. Die Musiker fühlten sich langsam deutlich von der Dauerpräsenz der Wache belästigt, und das Wort "Streik" wurde an vielen Stellen mittlerweile immer lauter. Immerhin waren mittlerweile drei der Ihren umgekommen, ohne dass es bisher die geringste Spur eines Täters gab. Zudem war Rina jetzt schon seit mehreren Stunden unterwegs um sich Informationen über diesen Bestechungsskandal zu besorgen und der Rest der Abteilung fühlte sich wie auf glühenden Kohlen. Zudem war gegen Abend ein vampirischer Musiker in der Kaffeeterria aufgetaucht, der sich beschweren wollte, dass er nicht bei dem Konzert dabei war, und das, obwohl sein Ehren-
Kodex es ihm verbieten würde, solchen neumodischen Schnickschnack wie D-Gitarren
[12], D-Pianos
[13], D-Udelsäcke und andere
Dämoneninstrumente zu benutzen, wie es doch mittlerweile in der Musik mit Steinen drin Gang und gebe war. Zudem wurde es langsam spät und am nächsten Abend war bereits das Konzert, so dass der Fall schnellstmöglich zu einem Ende gebracht werden musste, wenn das ganze nicht in der größten Blamage für die Stadtwache enden sollte, die es je gegeben hatte.
Von SUSI lagen in der Zwischenzeit die Berichte der beiden neuerlichen Todesfälle vor, die Kolumbini, der momentan Rinas Platz im Hartfels-Café eingenommen hatte, derzeit in den Händen hielt. Bei dem überwaldischen Sänger war die Todesursache ganz klar, es wurden auch keine Betäubungsmittel oder ähnliches dabei verwendet. Anders jedoch sah die Sache beim offensichtlichen Selbstmörder Kronbein aus, der bis zum Rand mit den verschiedensten Betäubungs- und Rauschmitteln vollgepumpt gewesen zu sein schien.
Eigenartig, dachte sich Inspäctor.
Eigentlich hätte er in seinem Zustand gar nicht in der Lage sein können, die große schwere Armbrust in der Hand zu halten.Einmal mehr klopfte er sich an das Glasauge und machte sich ein paar Notizen. Er stopfte seine Pfeife mit einem leicht betrübten Gefühl. Nun, an einer guten Pfeife gab es nichts auszusetzen, allerdings musste innerlich weinen, als er die vom Patrizier kürzlich eingeführte
Tabaksteuer dachte, die an seinem nicht gerade hoch dotierten Wächter-Sold nagte. Dann beschloss er, eine Taube zur Wache zu senden, um sich zu erkundigen, wie lange er noch auf die Abteilungsleiterin warten musste.
Flavius Ernestus Johann Sebastian Amadeus Illjitsch Maria Strawinskovitsch war kein gewöhnlicher Vampir. Er war ein ehemaliger Graf, ein ehemaliger Schwarzbandler und nach einer etwas ungewöhnlichen Begebenheit wieder zum Bluttrinker geworden. Was aber viel Ungewöhnlicher war, ist die Tatsache, dass er mit einer Gitarre durch die Straßen Ankh-Morporks zog und seine selbstkomponierten Lieder zu Besten
[14] gab, begleitet von einer alten, ramponierten Gitarre. Er hatte es jedoch dennoch zu einigem Ruhm in der Musikergilde geschafft, wohl hauptsächlich mit Hilfe eines durch ein großes Familienerbe und den Verkauf seines überwaldischen Schlosses erlangten Vermögens. In den Untoten-Tavernen der Stadt war er jedenfalls vielen Gästen ein Begriff und deshalb fragte er sich zu recht, warum er als bekannter einheimischer Künstler nicht zu einem derartig großen Musikereignis eingeladen worden war. Nun, derzeit hatte Strawinskovitsch andere Sorgen. Seine Existenz beschränkte sich nämlich im Augenblick auf einen kleinen, hübschen Haufen Asche, der in einem abgelegenen Winkel des Morpork Quadrat Gartens, in unmittelbarer Nähe der Tür einer unauffälligen, unbenutzten Abstellkammer herumlag, ohne näher beachtet zu werden. Der Aschehaufen, neben dem die obligatorische ramponierte Gitarre herumlag, wartete auf einen Tropfen Blut, denn er hatte der Stadtwache das ein oder andere zu erzählen. Jedoch brauchte er nicht allzu lange warten, denn unter der Tür der bereits mehrfach erwähnten Kammer floss ein dünnes rotes Rinnsal hervor.
Ein neuer Morgen brach an am Rande von Ankh-Morpork. Das träge Licht der Scheibenwelt bot einen interessanten Anblick, als es um den Morpork Quadrat Garten floss, wie Wasser um den Bug eines Schiffes. Einige Leute hatten die Nacht nicht mit Schlafen verbracht: Die Ermittler von RUM, die die ganze Nacht mit ihren weiteren Ermittlungen beschäftigt waren, und in erster Linie dafür sorgen sollten, dass sich über Nacht keine weiteren Todesfälle ereigneten. So wurden aus Ermittlern Patrouillengänger in den Korridoren des Quadrat Gartens. Irina Lanfear war bisher nicht zum Hartfels-Café zurückgekehrt und es war auch bisher keine Taube vom Wachhaus angekommen, mit der Begründung ihres lang andauernden Fernbleibens. Kolumbini machte sich ernsthafte Sorgen und saß auf Rinas Stuhl wie auf glühenden Kohlen. Warum musste ausgerechnet er jetzt die gesamte Verantwortung auf seinen Schultern tragen? Mussten eigentlich alle höheren Dienstgrade von RUM mit dem verdeckten Ermitteln beschäftigt sein? Fred lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete erneut die Ausführungen der Gerichtsmedizin über den vermeintlichen Selbstmord des blonden Sängers. Bei den Ermittlungen seiner Kollegen war herausgekommen, dass er schon seit längerer Zeit Rauschmittel zu sich nahm, in größeren Mengen sogar, und sich eigentlich ständig in einer depressiven Laune befand. Es sah eigentlich alles danach aus, als wäre es der klassische Fall von Selbstmord, jedoch passte die Armbrust da nicht ins Spiel. Sie war einfach zu groß und schwer, als dass ein drogenbetäubter Mann sie hätte nehmen und sich damit selbst erschießen können. Vielleicht sollte hier ein Selbstmord nur vorgetäuscht werden. Kolumbini seufzte und wandte sich der frisch gedruckten Ausgabe der Times zu, in der die aktuellen Geschehnisse glücklicherweise noch nicht erwähnt waren. Es hatte durchaus seine Vorteile, dass sich die ganze Angelegenheit ein wenig außerhalb der Stadtmauern ereignet hatte, so dass es noch nicht zur Bevölkerung durchgedrungen war, was eigentlich eher untypisch für Ankh-Morpork war, aber auf alle Fälle sehr gut für die Ermittlungen der Wache war. Wenigstens
ein positiver Aspekt.
Kolumbinis Gedankengang wurde von dem Flattern einer Taube unterbrochen, die sich durch das geöffnete Fenster näherte und sich ihm auf die Schulter setzte um dem nachzugehen, was jede Wachetaube nach einem längeren Flug tun muss. Inspäctor entfernte die Hinterlassenschaften des Vogels und nahm sich den kleinen Zettel vor, den die Taube am Bein hatte.
"Binne mit meinen Ermittlungen noch nicht fertig geworden. Passt auf den brindisianischen Sänger auf. Er wird wahrscheinlich das nächste Opfer sein. Gruß, Rina."
Woher weiß sie das schon wieder, fragte sich der Lance-Korporal, ehe er seinen Posten am Schreibtisch verließ, um den Kollegen die Instruktionen weiterzuleiten.
Auf dem Weg zum Quadrat Garten kam ihm ein bekanntes Gesicht entgegen, das er hier gar nicht erwartet hätte.
"Oh, guten Morgen Inspäctor!" grüßte Robin Picardo.
"Morgen Robin. Was machst du denn hier?" erwiderte Fred.
"Nun, ganz einfach. Nachdem ich von DOG für diesen Fall abgeordnet wurde, weil wir momentan niemanden haben, der für die Musikergilde zuständig ist, ist es meine Aufgabe, euch ein wenig bei den Ermittlungen zu helfen, genauer gesagt, bei Frau Polen, die uns mittlerweile nicht mehr so unschuldig vorkommt, wie sie immer tut."
"Na dann viel Spaß. Sie hat es mittlerweile geschafft, die Nerven unserer halbe Abteilung zu ruinieren. Arunagena wird sich jedenfalls freuen, dass sie sich nicht mehr alleine um diese schreckliche Person kümmern muss."
"Du machst mir ja richtig Mut. Naja, bis später."
Zögernden Schrittes verschwand Chief-Korporal Picardo im Gebäude der Produzentenfirma Polen & Co. während Kolumbini den Quadrat-Garten betrat.
Bisher war Flavius nur sauer gewesen, dass er nicht an dem Musikfestival teilnehmen durfte, mittlerweile war er richtig wütend, denn es ist alles andere als angenehm, auf der Schliche eines Verbrechens zu sein, nur um dann zu einem Haufen Asche zu zerfallen, weil jemand eine dunkle Kammer verließ und dabei mit einer hellen Lampe herumleuchten musste. Wussten die Verbrecher heutzutage nicht mehr, was sich gehört? Als er wieder zu neuem untoten Leben erwacht war, wollte er einen Blick in die Kammer werfen, aus der der rettende Blutstrom geflossen kam, aber sie war versperrt. Allerdings machte das bei einem wütenden Vampir nicht sonderlich viel aus und nach wenigen Sekunden gab es dort keine Tür mehr, sondern nur noch ein Loch in der Wand, an dem einige Holzreste hingen. Das düstere Licht in der Kammer kam Strawinskovitsch gerade recht, in einer derartigen Umgebung sah er verständlicherweise am besten. Und was er sah, bot auch einem Vampir einen nicht gerade erfreulichen Anblick: Mit einem Grillspieß an die Wand genagelt blutete dort ein für den Vampir nicht bekannter Toter seine letzten Tropfen Lebenssaft aus.
In diesem Moment kamen Schritte den Gang entlang. Flavius wandte sich um und sah zwei Menschen den Korridor entlang kommen. Ein kleiner Mann mit Halbglatze und eine braunhaarige Frau, beides offenbar Musiker. Die beiden, es handelte sich, wie der Leser vielleicht schon ahnt, um Vihl Gedöns und Tricia McMillan, staunten nicht schlecht, als sie den Vampir erkannten, der noch am Tage zuvor in der Kaffeeterria einen mittleren Aufstand wegen seiner Nichtberücksichtigung beim Festival geprobt hatte und unmittelbar vor ihm eine unbekannte Leiche.
"Wache!" schrie Vihl, nachdem er sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte. "Ich glaube, wir haben den Mörder auf frischer Tat ertappt!"
Doch mit einem "Plopp" war von dem Musiker nichts mehr zu sehen und eine Fledermaus flatterte durch die düsteren Gänge davon.
"Hinterher!" rief Tricia und die verdeckte Ermittlerin und der Informant nahmen die Beine in die Hand und folgten dem flüchtigen Vampir.
Nach einigen Metern stießen sie mit Romulus und Agnetha zusammen, die den Ruf des Schlagzeugers vernommen hatten und sich eilig zum Tatort begeben wollten. Nachdem sich die vier wieder aufgerappelt hatten, war die Fledermaus schon entflogen und keiner hatte mitbekommen wohin.
"Was ist passiert?" fragte Romulus die beiden mutmaßlichen Zeugen des Verbrechens.
"Wir haben gesehen wie dieser Vampir-Musiker vor einer an die Wand gespießten Leiche stand, die er offenbar zuvor umgebracht hatte," berichtete der Leutnant. "Beim Versuch ihn zu verfolgen kamt ihr uns in die Quere."
"Nun, wir wollen erstmal sehen, wer der Tote ist oder besser gesagt war. Den Vampir kriegen wir schon, so viele vampirische Musiker gibt es nicht in unserer Stadt und die Musikergilde sollte da eine brauchbare Auskunft geben können."
Die vier begaben sich zurück zum Tatort Abstellkammer und begutachteten die Leiche näher.
"Scheint keiner der Musiker gewesen zu sein," bemerkte Agnetha. "Sieht eher aus wie ein unlizensierter Dieb, wenn ihr mich fragt."
Und sie hatte nicht Unrecht. Der Tote hatte eine zorroartige Maske vor den Augen und Dietriche und Dolche im Gürtel.
"Wisst ihr, was eigenartig ist?" fragte Tricia. "Ein Vampir, der jemanden tötet, ohne sein Blut dabei zu saugen."
Robin Picardo war nicht gerade gut gelaunt. Warum musste immer er diese Aufträge bekommen, die irgendwelche Randgruppengilden betrafen, für die bisher kein zuständiger Dobermann angeheuert worden war. Er war doch eigentlich für die Alchemistengilde zuständig, was seiner Meinung nach ein wesentlich dankbarerer Tschob war, als in den Vergangenheiten von Musikern zu graben. Und dann musste er sich auch noch mit dieser scheußlichen Musikproduzentin befassen. Seit mittlerweile einer halben Stunde befanden sich Rita Polen und ihr Mann Tommy Verkehrt im Kreuzverhör. Bisher jedoch ohne Ergebnis. Die auszubildende Püschologin Arunagena Verstecktsichgern saß dabei, warf ab und zu eine Frage ein und machte sich unentwegt Notizen. Bisher hatte es das Produzentenpärchen erfolgreich geschafft, komplizierten Fragen auszuweichen, in dem sie einfach anfingen, über belanglose Dinge zu streiten. Schließlich wurde es Robin wirklich zu bunt und er entschloss sich dazu einen Schuss ins Blaue zu wagen:
"Wieviel habt ihr eigentlich damals an den Archivar der Musikergilde gezahlt, damit deine Daten aus den Archiven verschwinden, Frau Polen?"
"Wer hat dir das erzählt?" platzte es aus Tommy Verkehrt heraus. "Ich wusste doch dass wir irgendwo einen Fehler..."
"Wirst du wohl aufhören wirres Zeug zu reden?" blaffte die Produzentin ihren Ehemann an. "Wir wissen nichts von irgendwelchen supahinterhältigen Bestechungen bei der Musikergilde."
"Schon klar," erwiderte Robin, der innerlich jubelte. Er hatte gehört, was er hören wollte.
Auf dem Platz vor dem Quadrat Garten hatte sich eine größere Menschenmenge eingefunden, allesamt Musiker, Angestellte und sonstige Personen, die am Festival beteiligt waren. Sie trugen Schilder mit sich herum auf denen solche einfallsreichen Texte wie "Wir wollen keine Toten zwischen unsren Noten!" oder "Musiker ja – Opfer nein" standen. Der befürchtete Streik war ausgebrochen und behinderte die Ermittlungen, da die Wächter alle Hände voll zu tun hatten, dafür zu sorgen, dass es inmitten dieses Streiks nicht noch mehr Tote geben würde.
Wenigstens ein positives Ergebnis konnte die Abteilung melden. Flavius Strawinskovitsch, der derzeitige Hauptverdächtige, war in vorläufiges Gewahrsam genommen worden und befand sich in einem verschlossenen Raum des Hartfels-Cafés vor dessen Türen und Fenstern Knoblauch in rauen Mengen ausgelegt worden war. Die Verhaftung ging eigentlich ganz leicht vonstatten, da man ihn kurz nach seinem Verschwinden in seiner Stammkneipe "Knochen" aufgefunden hatte, zu dessen Kundschaft auch einige Wächter zählten.
Mittlerweile wurde es auch wirklich höchste Zeit, Ergebnisse vorzulegen, denn das Konzert begann in wenigen Stunden und die Musiker waren alles andere als bereit dazu, dieses überhaupt von Statten gehen zu lassen.
Und zu allem Überfluss kam jetzt auch noch Rita Polen hinzu und fing an, sich lautstark über die Unfähigkeit der Wächter zu beschweren. Kolumbini war gerade damit beschäftigt, die wütende Produzentin zu besänftigen, als es plötzlich merklich ruhiger auf dem Platz wurde. Der Grund war ganz einfach: Schwer bewaffnete Wächter in grünen Uniformen betraten den Ort des Geschehens. Einige FROGs waren als Verstärkung hinzugekommen, genauer gesagt, die furchteinflößenderen von ihnen. Madame Massiv und Felsspalter hielten ihre schweren MUTs direkt auf den Hauptteil der streikenden Musiker, während Skilla und Sidney ihre Armbrüste drohend von einem
Streikposten zum nächsten schweifen ließen. In den momentanen Kreis der Ruhe und Angespanntheit trat eine sichtlich amüsierte Irina Lanfear. Ihr folgten Robin Picardo, Romulus von Grauhaar, Flavius Strawinskovitsch und ein bisher unbekannter vierter Mann. Die Abteilungsleiterin machte eine auffordernde Geste in Romulus' Richtung, der auf Rita Polen zutrat und ihr Handschellen anlegte mit den Worten:
"Rita Polen, ich verhafte dich im Namen des Gesetzes unserer Stadt, für die Ermordung der Musiker Ditschäj Bäbä, Darius Eimerblök und des unlizensierten Auftragskriminellen Leonard Langfing, der die ersten beiden Morde für dich durchgeführt hat."
"Haaalt! Wie kannst du das wagen? Du bist so suupaa..."
"Frrau Polen, wirr haben deinen Plan durrchschaut!" unterbrach sie der offensichtlich wieder freigelassene vampirische Musiker. "Du wolltest dieses Festival heimlich nutzen, um Musikerr von Konkurrenzunterrnehem loszuwerrden."
"Das stimmt doch überhaupt nicht! Wie meeegabescheuert muss man eigentlich sein um so etwas zu glauben? Kurt Kronbein war zum Beispiel bei mir unter Vertrag. Ebenso wie Darius Eimerblök. Und wie kommt ihr darauf, dass ich mit diesem ... Langfing etwas zu tun hatte?"
"Nun das ist ganz schnell erklärt," meldete sich die RUM-Schäffin zu Wort. "Herr Kronbein hat sich wahrscheinlich wirklich selbst ermordet. Die genauen Umstände sind noch zu klären. Und Darius Eimerblök hatte bereits einen Vertrag bei einem überwaldischen Konkurrenzunternehmen unterschrieben, von dessen Existenz wir erst bei der Befragung des ehemaligen Archivars der Musikergilde, Herrn Seitig hier," sie deutete auf den unbekannten Mann in ihrem Gefolge, "erfahren haben. Dieser Mann wurde vor einem Jahr wegen eines Bestechungsskandals entlassen und weilte seither in einem städtischen Gefängnis. Und durch die Zeugenaussagen von Herrn Strawinskovitsch, der das Gespräch vor deinem Mord an Herrn Langfing zufälligerweise belauscht hatte, Herrn Seitig und nicht zuletzt Herrn Verkehrt, der einige interessanten Dinge über den Bestechungsskandal gestanden hat, nachdem ihn Chief-Korporal Picardo noch mal ohne deine Anwesenheit befragt hat. Du siehst, wir haben ein Motiv, alles passt zu den Fakten, und wir haben Zeugen und Beweise. Die Grillgabel, mit der Herr Langfing erstochen wurde, ist von der Spurensicherung mittlerweile untersucht worden, und sie enthält eindeutig deine Fingerabdrücke, Frau Polen. Es ist vorbei!"
Am Abend saßen die RUM-Wächter allesamt im Quadrat-Garten und lauschten den Klängen des Konzerts. Tommy Verkehrt hatte die Produzentenfirma kurzfristig als Geschäftsführer übernommen, so dass das Musikfestival trotz allem stattfinden konnte. Es war ein voller Erfolg. Die Musiker hatten einstimmig beschlossen, keinen Wettbewerb daraus zu machen und den Granny-Preis den Hinterbliebenen der verstorbenen Musiker zu stiften.
Die Umstände, die zum Tod von Kurt Kronbein geführt haben, sind bis heute nicht geklärt worden und der Fall hat sich in eine der vielen unabgeschlossenen Akten verwandelt, die im Regal von Rina langsam verstauben.
Und schließlich bleibt nur noch zu sagen, dass sich Romulus die Wohnung in der Sirupminenstraße 137 gekauft hat und seitdem auch nicht mehr so extrem von Alpträumen geplagt wird.
ENDE
In Gedenken an Kurt Cobain, einen großen Musiker, dessen Todesumstände bis heute nicht geklärt sind
[1] Wenn Rina das sehen würde...
[2] Vielleicht stand ja noch etwas Interessantes zum Fall darin, und wenn nicht, eröffnete sich vielleicht eine Gelegenheit, nach Wohnungsinseraten zu blättern
[3] siehe "Rollende Steine"
[4] in den unzivilisierten Teilen hatte man wahrscheinlich sowieso noch nichts von diesem Beruf gehört
[5] Das Scheibenwelt-Äquivalent zu goldenen Schallplatten
[6] Den Wortlaut will der Autor dem Leser ersparen und sieht deshalb von einer genaueren Schilderung ab.
[7] Den Namen erhielt es, weil es erstens auf hartem Fels gebaut worden war und zweitens zwar keinerlei brauchbare Innenausstattung, aber einen funktionsfähigen Kaffee-Dämonen besaß
[7a] Die sich als erstaunlich einfach herausgestellt hatten, weil eine Taube an DOG, in der Musikergilde nach Informationen zu fragen, und ein kurzer Aufenthalt in seinem Stammlokal "Pferdestall" um auf das Ergebnis zu warten, gereicht hatten
[9] Der Name stammt daher, weil man dort Kaffee und Kuchen bekam und der Raum sich im Erdgeschoss befand
[10] Das Mittel wurde von einem Alchemisten namens Kasper Baijer durch Zufall erfunden. Bei der Namensgebung war, wie es bei den meisten Alchemisten der Fall ist, er nicht sonderlich kreativ. Eigentlich wollte er ein Mittel gegen Haarausfall entwickeln.
[11] Spätestens seit "Alles Sense" wissen die Bürger Ankh-Morporks zumindest teilweise, dass Flüche auch mal lebendig werden können.
[12] Dämonenbetriebene Gitarren
[13] Dämonenbetriebene Klaviere
[14] oder jedenfalls bestmöglichen, denn Flavius war entgegen seiner eigenen Meinung kein besonders guter Musiker
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