Die Andersrum-Methode

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von Chief-Korporal Sillybos (SUSI)
Online seit 19. 05. 2004
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Warum Spurensicherer manchmal ihre Kompetenzen überschreiten.

Dafür vergebene Note: 12

Inhaltsverzeichnis


Vorwort
1. Die Aufgaben eines Spurensicherers
1.1. Vom Wesen der Spuren
1.2. Definition der Aufgaben eines Spurensicherers
1.3. Probleme bei der herkömmlichen Spurensicherung
2. Die Andersrum-Methode
2.1. Ursache und Wirkung
2.2. Von der narrativen Kausalität
2.3. Mathematische Analyse
2.4. Warum andersrum?
2.5. Mengentheoretische Betrachtung
2.6. Der Verbrechenskatalog
2.7. Der neue Spurensicherer
Schlusswort


Vorwort


Es gibt viele Gründe, warum ich es für notwendig hielt, eine Abhandlung über die Aufgaben eines Spurensicherers zu schreiben. Zum einen bin ich selbst seit über zwei Jahren Spurensicherer und kenne die Arbeitsabläufe inzwischen sehr gut. Viele Probleme, die immer wieder auftreten, brachten mich dazu, über andere Möglichkeiten der Spurensuche nachzudenken. Einige Probleme dabei waren allerdings grundsätzlicher Natur. Da ich aber auch Philosoph bin, machte ich auch vor denen nicht halt; ich begann, über die Spurensuche als solche nachzudenken, als Bestandteil des allgemeinen Vorgehens der Stadtwache bei dem Versuch, die Aufklärung eines Verbrechens zu bewältigen.
Der konkrete Anlass für diese Arbeit war jedoch die immer wieder aufkeimende Kritik anderer Abteilungen, dass Spurensicherer wiederholt ihre Kompetenzen überschreiten und selbstständig Ermittlungsarbeit leisten, anstatt sich auf das bloße Sichern der Spuren am Tatort zu beschränken. Ziel dieser Arbeit ist es, dieses Vorgehen der Spurensicherer zu erklären und die von der ursprünglichen Aufgabenstellung abweichenden Tätigkeiten zu rechtfertigen.
Ich werde zunächst die herkömmliche Spurensuche beschreiben. Im zweiten Abschnitt werde ich dann eine neue Methode entwickeln und mathematisch beweisen, dass diese Methode funktioniert. Im Schlusswort werde ich die beiden Vorgehensweisen vergleichen und eine Empfehlung aussprechen.

Sillybos
Spurensicherer



1. Die Aufgaben eines Spurensicherers


1.1 Vom Wesen der Spuren

Eine Spur ist zunächst ein Merkmal, das von einem Ereignis zeugt. Wenn man im Wald eine Spur eines Wolfes findet, so besagt das, dass sich dort zu einer zu bestimmenden Zeit ein Wolf befunden haben muss. Je nach Art der Spur ist die Aussagekraft über das Ereignis höher oder niedriger. Das Wesen einer Spur hängt dabei sehr eng mit dem dazugehörigen Ereignis zusammen. Eine wichtige Frage, die sich dabei stellt, ist, ob diese Abhängigkeit unbedingt einseitig ist oder ob es auch Spuren ohne dazugehöriges Ereignis geben kann.
Philosophisch ist dieser Punkt umstritten. Durch die Nichtlinearität der Zeit ist es möglich, dass die Spur vor dem dazugehörigen Ereignis existiert. Ist dadurch aber auch die Abhängigkeit umgedreht? Hängt dadurch das Ereignis von der Spur ab, wie manche Philosophen behaupten? Andere halten die Definition einer Spur dagegen, die die Existenz eines Ereignisses fundamental voraussetzt. Sie behaupten, dass ein Hinweis auf ein Ereignis in der Zukunft nicht als "Spur" genannt werden kann; der Begriff "Omen" wird hier oft ins Spiel gebracht. Und wiederum andere sagen, Definitionen seien ohnehin nur dazu gemacht, geändert zu werden.
Für diese Arbeit ist die traditionelle Definition ausreichend. Da Nichtlineare Vergehen und Verbrechen Mit Zeit eine grundsätzlich andere Ermittlungsweise erfordern, werde ich sie an dieser Stelle nicht behandeln. Sofern er also keine diesbezügliche Spezialausbildung bekommen hat, beschäftigt sich ein Spurensicherer nur mit herkömmlichen Spuren, die auf ein vergangenes Ereignis hinweisen.

1.2 Definition der Aufgaben eines Spurensicherers

Die Aufgabe eines Spurensicherers ist folgendermaßen definiert:
"Abgeschirmt durch Deinen Partner (rein theoretisch jedenfalls) ist es Deine Aufgabe, das Offensichtliche zu sichern und das Versteckte zu finden."
Das klingt recht vage. Durch jahrelange Praxis als Spurensicherer ist es mir jedoch möglich, eine präzisere Beschreibung der Aufgabe eines Spurensicherers zu geben. In der Routine hat sich eine Arbeitsweise durchgesetzt, die ich in folgender Aufgabenbeschreibung, die auch bei der Ausbildung neuer Spurensicherer verwendet wird, zusammenfasse:
"Deine Aufgabe ist es, den Tatort bis in die letzte Ecke auf wichtige und unwichtige Spuren zu untersuchen und die gefundenen Spuren zu sichern. Du hast darauf zu achten, dass der Tatort unverändert bleibt. Nachdem du den Tatort wirklich bis ins kleinste Detail durchforstet hast, schreibst du einen abschließenden Bericht und leitest ihn an die ermittelnde Abteilung weiter."
Bisweilen geht die tatsächlich geleistete Arbeit über diese Richtlinie hinaus. Doch wenn Spurensicherer ihre Kompetenzen überschreiten und selbst Ermittlungsarbeit leisten, verstoßen sie gegen Abteilungsrichtlinien und ziehen sich den Unmut der anderen Abteilungen zu. Dass diese von SUSI geleistete Ermittlungsarbeit jedoch kein Zeichen von Eitelkeit ist, sondern eine sinnvolle Ergänzung zur eigentlichen Spurensuche darstellt, werde ich in dieser Arbeit beweisen. Dazu werde ich zunächst die Probleme, die mit der bisherigen Arbeitsweise zusammenhängen, beschreiben.

1.3 Probleme bei der herkömmlichen Spurensicherung

Es gibt verschiedene Probleme, die sich dem Spurensicherer immer wieder stellen. Ich möchte diese Probleme in drei Klassen zusammenfassen.
Die erste Problemklasse bezieht sich auf die Spuren selbst. Selbst wenn es stets Spuren gibt (und in Abschnitt 2.2 werde ich beweisen, dass es tatsächlich immer Spuren gibt), so sind diese oft versteckt und schwer zu finden. Wie kann ein Spurensicherer sich die Arbeit einfacher machen? Oder das Problem, dass ein Spurensicherer bei vielen Spuren nicht weiß, welche zu dem Verbrechen gehören und welche nicht. Es ist oft nicht leicht, hier den richtigen Ansatz zu finden.
Eine weitere Problemklasse betrifft den Tatort. Der Tatort ist oft bewohnt, wird oft gewerblich oder zu anderen Zwecken genutzt. Die Spurensicherung sollte sich dort so wenig wie möglich aufhalten, um des Eigentümer des Tatorts willen, aber auch zu ihrem eigenen seelischen Wohlergehen. Denn man weiß nie, ob sich hinter einem bedauernswerten Opfer nicht vielleicht eine verkappte Frau Willichnicht verbirgt. Wie kann ein Spurensicherer möglichst gründlich arbeiten und dabei doch so wenig Zeit wie möglich am Tatort verbringen?
Die dritte Problemklasse betrifft die Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen der Wache. Obgleich kein SUSI-Bericht jemals Anspruch auf Vollständigkeit erhob, obgleich von den ermittelnden Abteilungen die Möglichkeit des Nachbesserns der Spurensuche nur selten in Anspruch genommen wird, sind jene Abteilungen mit ihren Schuldzuweisungen recht schnell bei der Hand, wenn etwas mit den Spuren nicht stimmt. Wie kann ein Spurensicherer seine Arbeit optimieren und die Spurensuche gründlicher gestalten, so dass das Nachbessern weniger erforderlich ist? Wie kann ein Spurensicherer für weniger Differenzen der Abteilungen untereinander sorgen und zu einem positiven Bild von SUSI beitragen?


2. Die Andersrum-Methode


Gibt es eine wirksame Methode, die in Abschnitt 1.3 beschriebenen Probleme zu lösen? Nun, zumindest teilweise, wie ich behaupte. Um den Umfang dieser Probleme zu mindern (vollständig beheben kann man sie nicht), habe ich die Andersrum-Methode entwickelt, die ich nun im zweiten Abschnitt vorstellen werde.
Die Andersrum-Methode besteht im Prinzip darin, dass man vom Verbrechen auf die dazugehörigen Spuren schließt. Das bedeutet, dass man sich überlegt, wie das zu untersuchende Verbrechen stattgefunden hat und sich dann überlegt, welche Spuren es hinterlassen hat.
In den nächsten drei Abschnitten werde ich mich zunächst der theoretischen Analyse dieser Methode widmen und beweisen, dass diese Methode funktioniert. Dann werde ich schließlich die praktische Umsetzung dieser Methode vorstellen und zeigen, inwiefern die in Abschnitt 1.3 angesprochenen Probleme vermindert werden können.

2.1 Ursache und Wirkung

Wir kennen zwei Arten von Kausalität auf der Scheibenwelt. Die eine folgt dem Prinzip, dass jede Wirkung eine eindeutige Ursache haben muss. Jede Handlung, die wir in der Gegenwart ausführen, hat eine bestimmte Wirkung in der Zukunft. Und jedes Ereignis in der Vergangenheit führte zu einem oder mehreren Ereignissen in der Gegenwart. Auf die Spuren bezogen bedeutet das, dass es zu jedem Verbrechen Spuren gibt. Oder andersrum: Wenn ein Verbrechen keine Spuren hinterlassen würde, so wäre es gar nicht existent, denn es kann keine Ursache (Verbrechen) ohne Wirkung (Spuren) geben.
Das Spurenverwischen ist übrigens insofern nicht sinnvoll, als dass es selbst natürlich auch wieder eine Handlung ist und Spuren hinterlassen wird. Der Verbrecher ist in einer logischen Kette gefangen, aus der er nicht spurenlos entkommen kann. Wenn ein Spurensicherer zu einem Tatort gerufen wurde, kann dieser also sicher sein: Es gibt immer Spuren!

2.2 Von der narrativen Kausalität

Die andere Art ist die narrative Kausalität. Auch mit ihr kann man beweisen, dass es immer Spuren gibt. Aber sie vermag noch viel mehr.
Stellen wir uns also einen Tatort vor. (Dass Spuren gefunden werden, ergibt sich sui generis, da bereits bewiesen wurde, dass immer Spuren existieren.) Es stellt sich die Frage, welches Verbrechen jene Spuren hervorgerufen hat. Man stelle sich verschiedene Verbrechen vor und überlege sich, wie die Spuren entstanden sein könnten. Es ist aber klar, dass nur ein Verbrechen richtig sein kann. Die Frage lautet also: kann man an Hand der Spuren auf das richtige Verbrechen schließen? Ich formuliere diese Frage um: Ist es möglich, dass zwei verschiedene Verbrechen exakt die gleichen Spuren hervorrufen? Ich behaupte, das ist unmöglich und werde das mit einem Widerspruchsbeweis belegen.
Angenommen, es gäbe zwei Verbrechen, auf die dieses zutrifft. Weil die Spuren der Verbrechen identisch sind, wäre es möglich, dass die Ermittler das falsche Verbrechen nachweisen, ohne eine Spur zu übersehen oder sonst einen Fehler gemacht zu haben. Nach der narrativen Kausalität ist es aber unmöglich, dass ein Verbrechen nachgewiesen wird, das nicht begangen wurde und dass das eigentliche Verbrechen ungeahndet bleibt. Also ergibt sich ein Widerspruch, und die Annahme, dass es zwei verschiedene Verbrechen geben kann, die die gleichen Spuren hinterlassen, muss falsch sein.
Daraus folgt, dass es zu jeder Spurenkonfiguration nur ein einziges und eindeutig bestimmtes Verbrechen geben kann, das jene hervorgerufen hat.

2.3 Mathematische Analyse

Zunächst mache ich ein paar begriffliche Vorbetrachtungen. Zu jedem Verbrechen gibt es eindeutige Spuren, und die Spuren, die zusammen ein eindeutiges Verbrechen nachweisen, heißen Spurenkonfiguration eines Verbrechens. Eine Spurenkonfiguration besteht also aus vielen einzelnen Spuren. Sämtliche Spurenkonfigurationen zusammen bilden den Raum der Spurenkonfigurationen, kurz S genannt. Analog dazu bilden sämtliche Verbrechen zusammen den Raum der Verbrechen.
Die wichtigen Ergebnisse der vorigen Abschnitte möchte ich in aller Deutlichkeit festhalten: Es gibt immer eindeutige Spuren. Die Tragweite dieser Feststellung wird erst bei einer mathematischen Betrachtung bewusst. Diese formuliere ich im folgenden "Satz von der Spurensicherung".

Satz. (Satz von der Spurensicherung)
Sei S der Raum der Spurenkonfigurationen und sei V der Raum der Verbrechen. Dann gibt es eine bijektive Abbildung f: S -> V: x -> f(x).

Beweis.
Zunächst muss ich überprüfen, ob diese Funktion wohldefiniert ist. Anfangs habe ich festgestellt, dass es zu jeder Spur genau ein Ereignis gibt, das jene hervorgerufen hat. Also kann man eine Funktion definieren, die jeder Spur sein Ereignis zuordnet, und somit ist diese Funktion wohldefiniert.
Fehlt noch die Bijektivität. Laut Definition ist eine Abbildung bijektiv, wenn sie sowohl injektiv als auch surjektiv ist. Diese beiden Eigenschaften muss ich nun noch überprüfen.
Als nächstes prüfe ich die Injektivität. In Abschnitt 2.2 bin ich auf die narrative Kausalität eingegangen und habe gefolgert, dass es nicht möglich ist, dass zwei verschiedene Verbrechen die gleichen Spuren hinterlassen. Also gilt: aus f(x) = f(y) folgt x = y. Somit ist die Injektivität bewiesen.
Nun komme ich zur Surjektivität. Surjektivität bedeutet, dass man mit der Funktion den kompletten Wertebereich abdeckt, sprich, dass man zu jedem Verbrechen auch stets eine Spur findet. Dies folgt aber unmittelbar aus dem Abschnitt über Ursache und Wirkung, wo ich festgestellt habe, dass es kein Verbrechen ohne Spur geben kann. Folglich ist das Bild Im f = V, daher ist die Funktion f surjektiv.
Die Funktion ist injektiv und surjektiv, demnach bijektiv. Und somit ist der Satz von der Spurensicherung bewiesen.
Ich habe also eine Bijektion zwischen den Spuren und den Verbrechen gefunden, was wiederum bedeutet, dass ich mit diesem Isomorphismus zu jedem Verbrechen eindeutige Spuren finden kann. Mit diesem Satz habe ich mathematisch bewiesen, dass die Andersrum-Methode funktioniert.

2.4 Warum andersrum?

Der Satz von der Spurensicherung besagt also, dass man nicht nur von der Spur auf das Verbrechen schließen kann, sondern auch vom Verbrechen auf die Spur. Was bedeutet das? Es besagt, dass man, wenn man das Verbrechen hinreichend genau kennt, auch weiß, welche Spuren es hinterlassen hat. Man geht die Spurensuche also sozusagen "andersrum" an, weil man die Spuren, nach denen man sucht, im Prinzip schon kennt.
Diese Methode hat mehrere Vorteile. Nicht nur, dass die oben angesprochenen Probleme bei der Spurensicherung reduziert werden, die Andersrum-Methode vermag sogar, ein Verbrechen zu beweisen. Wie das funktioniert und welche Konsequenzen das nach sich ziehen könnte, werde ich in Abschnitt 2.7 beschreiben.
Um ein Verbrechen beweisen zu können, ist jedoch zunächst eine weitere mathematische Überlegung notwendig.

2.5 Mengentheoretische Betrachtung

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Spurenkonfigurationen. Sie bestehen aus vielen einzelnen Spuren wie z.B. einem Fingerabdruck auf der Türklinke (genauer müsste man sagen: ein bestimmter Fingerabdruck an einer bestimmten Stelle einer bestimmten Türklinke). Solche einzelnen Spuren nennt man auch Elementarspuren oder Spurenelemente. Die Menge aller Spurenelemente bilden sozusagen die Grundlage für jede Spurenkonfiguration. Oder mengentheoretisch ausgedrückt: der Raum der Spurenkonfiguration ist die Potenzmenge der Menge der Spurenelemente.
Wenn wir uns nun die Spurenelemente genauer betrachten, so ist leicht einzusehen, dass es nur höchstens endlich viele geben kann. Denn die Scheibenwelt ist endlich und die bisher verstrichene Zeit seit der Schöpfung ist ebenfalls endlich. Auch sämtliche Objekte und Personen sind endlich. Sprich: alles, worin sich Elementarspuren unterscheiden können, ist endlich. Somit gibt es nur endlich viele Unterscheidungsmerkmale, ergo kann es nur endlich viele Elementarspuren geben.
Und wie steht es mit der Potenzmenge der Menge der Spurenelemente? Die ist natürlich ebenfalls endlich. Damit ist gezeigt, dass der Raum der Spurenkonfigurationen endlich ist. Dies liefert die Grundlage für eine wichtige Folgerung aus dem Satz von der Spurensicherung.

Korollar.
Die Anzahl möglicher Verbrechen ist endlich.

Beweis.
Wir wissen, dass der Raum der Spurenkonfiguration endlich ist. Aufgrund der Bijektion aus dem Satz von der Spurensicherung zwischen dem Raum der Spurenkonfigurationen und dem Raum der Verbrechen muss natürlich auch der Raum der Verbrechen endlich sein. Gäbe es unendlich viele Verbrechen, so würde es entweder Verbrechen geben, die keine Spuren hinterlassen, was der Surjektivität widerspricht, oder es gäbe disjunkte Verbrechen, die die gleichen Spuren hinterlassen, was der Injektivität widerspricht. Also muss die Anzahl der Verbrechen endlich sein.

2.6 Der Verbrechenskatalog

Da die Anzahl der Spurenkonfigurationen und Verbrechen endlich ist, ist es möglich, einen Katalog mit allen möglichen Verbrechen und dazugehörenden Spurenkonfigurationen zu erstellen. Ziel der Spurensicherung muss es sein, ein solches Verzeichnis anzulegen und zu pflegen. Dieser Katalog ist ein wichtiges Werkzeug der Andersrum-Methode.
Ich will in diesem Aufsatz keine detaillierte Anleitung geben, wie man ein solches Verzeichnis anfertigt, sondern nur einen groben Überblick zeigen. Es sind einige tiefere Einblicke in die Verbrechenstheorie notwendig, um einen derart umfangreichen Katalog zu erstellen. Spurenanalyse, Motivtheorie und Rekonstruktionsmethoden spielen ebenfalls eine Rolle. Wenn man aus diesen Bereichen eine Auflistung zusammengestellt hat, folgt die schematische Katalogisierung der Verbrechen; dies geschieht mit einer mathematischen Methode, der Formalen Begriffsanalyse. Sie teilt die Verbrechen in Ober- und Unterbegriff ein (wie z.B. Mord (Oberbegriff) und Erdrosselung (Unterbegriff)) und sortiert die Spurenkonfigurationen nach den Elementarspuren. Der fertige Katalog ist dann nach Spurenelementen geordnet und zeigt zu jedem möglichen Verbrechen die zugehörige Spurenkonfiguration und umgekehrt.
Für diese Arbeit reicht aus zu wissen, dass es möglich ist, einen solchen Katalog zu erstellen (s. Abschnitt 2.5) und wie dieser Katalog aufgebaut ist. Im Folgenden gehe ich davon aus, dass ein solcher Katalog bereits angefertigt wurde.

2.7 Der neue Spurensicherer

Wenn die neue Methode Anwendung findet, wie würde dann die praktische Arbeit des Spurensicherers aussehen? Zunächst einmal ist der Spurensicherer immer noch Spurensicherer, und seine Hauptaufgabe bleibt bestehen. Für die Anwendung der neuen Methode müssten allerdings seine Kompetenzen erweitert werden, denn die Spurensicherung begleitet den Fall vom Anfang bis zum Ende, und viele Ermittlungen außerhalb der herkömmlichen Spurensuche sind bei der Andersrum-Methode notwendig.
Wie sieht die neue Spurensicherung im Detail aus? Gemeinsam mit Charlie Holm habe ich folgende Verfahrensweise entwickelt:
Zunächst werden die offensichtlichen Spuren gesichert. Als offensichtlich sind jene Spuren definiert, deren Sicherung nicht länger als fünf Minuten dauert oder mehr als zweifaches Bücken erfordert.
An Hand dieser Spuren werden im Verbrechenskatalog jene Verbrechen herausgesucht, von deren Spurenkonfiguration die bereits gefundenen Spuren eine Teilmenge darstellen.
Diese Verbrechen werden absteigend sortiert nach Anzahl und Art der noch nicht gefundenen Spuren. (Dieser Punkt ist wichtig. Denn es ist natürlich möglich, dass von zwei verschiedenen Spurenkonfigurationen die erste eine echte Teilmenge der anderen ist. Es ist also möglich, dass ein Verbrechen die gleichen Spuren wie ein anderes hinterlässt, und noch welche dazu. Darum muss bei der Andersrum-Methode darauf geachtet werden, dass zuerst diejenigen Spurenkonfigurationen mit der größten Mächtigkeit untersucht werden, die also die meisten Spurenelemente enthalten. Anderenfalls könnte man beim Vorfinden einer Spurenkonfiguration nicht sicher sein, ob es nicht vielleicht noch mehr Spuren geben könnte, die auf ein anderes Verbrechen verweisen.)
Dann versucht man, der Reihe nach von jedem Verbrechen Vi die noch fehlenden Spuren Si nachzuweisen. Dabei ist wichtig, dass man für jede Spur vermerkt, ob man sie gefunden hat oder nicht, denn eine nicht vorhandene Spur ist im Verbrechenskatalog natürlich auch eine Spur in Bezug auf die Spurenkonfiguration. Sobald zu einem Verbrechen eine Spur fehlt, muss das Verbrechen verworfen werden.
Dies wiederholt man, bis man von einem Verbrechen alle Spuren gefunden hat. Dieses Verbrechen ist dann eindeutig bestimmt, da weitere Spuren, die zu anderen Verbrechen führen, nicht gefunden werden können. Denn alle Verbrechen, die sämtliche gefundenen Spuren aufweisen und noch welche dazu, sind zuvor bereits ausgeschlossen worden.

Angesichts der großen Anzahl an möglichen Verbrechen ist es jedoch wichtig, dass jede Möglichkeit genutzt wird, um in Frage kommende Verbrechen auszuschließen, damit die Spurensuche schneller und zielorientierter arbeiten kann. Dazu ist eine Zusammenarbeit von allen Wachebereichen mit der Spurensicherung von Nöten: die klassischen SUSI-Aufgaben wie die Gerichtsmedizin, Ballistik und Laborarbeiten, aber auch die Püschologie für die Erstellung eines Täterprofils, die Szenekennung, um den Kreis der Verdächtigen zu verkleinern, und so fort. Denn jede zusätzliche Information über die Gestalt des möglichen Verbrechens verkleinert die Verbrechensliste und führt zu einem schnelleren Abschluss der Ermittlungen.
Die Verbrechensaufklärung liegt somit von Anfang bis Ende in den Händen der Spurensicherung. Durch kooperative Zusammenarbeit der anderen Abteilungen kann sie sehr effizient gestaltet werden und führt zu einem schnellen und eleganten Ergebnis.


Schlusswort


Zwei Arten der Spurensicherung stehen sich gegenüber: die herkömmliche Methode und die Andersrum-Methode. Gibt es eine dominante Methode, die man – vernünftiges Handeln vorausgesetzt – bei einer beliebigen Prioritätensetzung auf jeden Fall der anderen vorziehen würde?
Um zu vergleichen, muss man bestimmte Kriterien anlegen. Ich wähle dazu zum einen die in Abschnitt 1.3 angesprochenen Probleme, zum anderen betrachte ich natürlich auch die Ergebnisse, die die beiden Methoden liefern.
Zur Erinnerung: die angesprochenen Probleme waren Probleme mit Spuren, Probleme mit dem Tatort und Probleme mit anderen Abteilungen.
Probleme mit Spuren können bei der Andersrum-Methode nicht auftreten. Man weiß, nach welchen Spuren man sucht, man weiß, wie man welche Stelle des Tatorts zu prüfen hat; dass eine Spur übersehen wird, ist nicht möglich. Die Andersrum-Methode ist diesbezüglich unbedingt vorzuziehen.
Probleme mit dem Tatort wären ebenfalls minimiert, denn eine gezielte Suche nach Spuren reduziert die benötigte Zeit natürlich enorm. Ein positiver Effekt wäre zudem das Bild des Wächters in der Öffentlichkeit, denn das zielstrebige und methodische Vorgehen bei der Spurensuche erzeugen bei Zivilisten das Bild einer gut organisierten und kompetenten Stadtwache, so dass der Zivilist denkt: Hier sind meine Steuergelder gut angelegt. Die Stadtwache arbeitet gut, schnell und präzise. Ich werde einen Antrag beim Patrizier stellen, den Wachehaushalt zu erhöhen.
Probleme mit anderen Abteilungen können – bei rationalem Vorgehen aller Beteiligten – ebenfalls nicht Auftreten. Da die Spurensicherung die Hauptkoordination für die Verbrechensaufklärung inne hat und andere Abteilungen durch ihre unterstützende Maßnahmen lediglich assistierende Arbeit leisten, aber selbst keine Hauptverantwortung erhalten, gibt es keine Streitigkeiten über Handlungskompetenzen, Zuständigkeiten oder Ähnliches; es muss nicht entschieden werden, welcher Abteilung der Fall zugewiesen wird. Die Bearbeitung wäre effizienter, da nicht viele Akten von einer Abteilung zur anderen geschoben werden, sondern lediglich im Rahmen der Spurensicherung Arbeitsaufträge an die Abteilungen vergeben werden, deren Ergebnis direkt an die Spurensicherer zurückgegeben werden. Die anderen Abteilungen wären somit gewissermaßen Dienstleister, die verschiedene Dienstleistungen (wie z.B. Erstellung eines Täterprofils) den Spurensicherern zur Verfügung stellen.
Durch den in Abschnitt 2.7 beschriebenen Ermittlungsablauf weiß ein Spurensicherer stets, was er zu tun hat; Leerlauf (z.B. durch Überlegen, wo man noch nach Spuren suchen könnte) kann nicht entstehen. Mit zunehmender Erfahrung in der Anwendung der Andersrum-Methode wird es den Spurensicherern gelingen, viele Routinearbeiten zu automatisieren und somit den Ermittungsablauf zu optimieren, so dass die Untersuchungen relativ schnell (abhängig von den offensichtlichen Spuren) zum Abschluss gebracht werden.
Das Wichtigste bei der Spurensuche ist jedoch das Ergebnis, ihm haben sich sämtliche methodischen Vorgänge unterzuordnen. Wie ich aber im Abschnitt 2 bewiesen habe, liefert die Andersrum-Methode das bestmögliche Resultat, nämlich die eindeutige, vollständige und unanfechtbare Aufklärung des Verbrechens! Bei der herkömmlichen Methode ist ein solches Ergebnis äußerst selten der Fall, und zudem ist bei ihr das Verbrechen dadurch noch nicht bewiesen, da die herkömmliche Methode andere Verbrechen mit den gleichen Spuren + x nicht ausgeschlossen hat.
Es besteht für mich kein Zweifel, dass die Andersrum-Methode mit großer Eindeutigkeit die wesentlich sinnvollere Methode zur Spurensuche darstellt. Meine Empfehlung lautet daher, den Wachebetrieb umzustellen und eine Strukturreform durchzuführen. Die Hauptverantwortung bei der Ermittlung von Verbrechen sollte in die Hände der Spurensicherung gegeben werden. Andere Dienstposten (wie z. B. der Püschologe) sollten der Abteilung SUSI unterstellt werden, da sie – im Dienste der Spurensicherung – assistierende Arbeiten zur Verbrechensaufklärung leisten, wie es auch die Gerichtsmediziner, die Laboranten und die Ballistiker tun. Durch die neue Aufgabenverteilung muss natürlich geprüft werden, ob andere Abteilungen nach ihrem Kompetenzverlust nicht verkleinert oder aufgelöst werden sollten.
Ich denke, die beschriebenen Vorteile der Andersrum-Methode, vom effizientem Vorgehen über das Bild der Wache in der Öffentlichkeit bis zum optimalen Ergebnis, rechtfertigen einen solchen Schritt. Wenn alle Wächter die Überlegenheit dieser Methode erkennen und an einem Strang ziehen, könnte die Verbrechensaufklärung zum Wohle Ankh-Morporks revolutioniert werden.

Zählt als Patch-Mission.



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