Das Bett war viel zu weich. Und damit war nicht gemeint, dass dieses quietschende Konstrukt aus pieksenden Federn der Traum einer verwöhnten Märchenprinzessin war. Allerdings nicht. Nein, damit war gemeint, dass dieses von ihrem Ausbilder als "Bett" tituliertes Objekt eine solche Bezeichnung noch nicht mal im volltrunkenen Zustand verdient hatte. Es quietschte, es piekte und die Matratze war so dünn, dass man fast durchsehen konnte. Es zeichnete sich quasi durch eine dünne Weichheit aus, die man sonst nur von Zuckerwatte kennt.
Tussnelda grummelte, allerdings nur aus Prinzip. Als sie ausgezogen war, um ihre Sporen zu verdienen und um Quirm den Rücken zu kehren, hatte sie nicht ernsthaft mit einer Verbesserung ihrer persönlichen Lage gerechnet. Tatsächlich hatte sich kaum etwas geändert, nun bekam sie ihre Befehle eben nicht mehr vom Korporal (ihrem Vater), sondern von Valdimier van Varwald (auch Korporal). Genau der stand übrigens neben ihr.
"Aufgestanden!"
Tussnelda beeilte sich sehr, der Aufforderung nach zu kommen. Einige Schwierigkeiten bereiteten ihr dabei ihre Füße, die sich unvorteilhaft im Bettlaken verheddert hatten und sie nun mehr oder minder ans Bett fesselten.
"Aye, Sir, entschuldigen Sie bitte", versuchte Tussnelda die Situation zumindest teilweise zu retten.
"Wenn das Bett das nächste Mal ordentlich gemacht ist, wäre ich schon fast zufrieden", erwiderte Valdimier und grinste.
Ein grinsender Vampir konnte recht furcht erregend wirken ? vor allem, wenn man aus Quirm stammte. Dort gab es übrigens eine Blumenuhr. An besagter Uhr drängte sich der spärliche Touristenstrom, denn abgesehen von dem guten Stück gab es nur einen guten Grund nach Quirm zu gehen ? um dort seine Rente zu verleben. Also beileibe kein Ort, bei dem man auf Vampire, Trolle, sprechende Wasserspeier oder Werwölfe traf. Einmal hatte sich ein Barde aus Llamendos in Quirm verlaufen. DAS war seltsam gewesen, wunderlich, aufwühlend und so weiter. Ein Vampir war schockierend.
Dummerweise war es so, dass der Vampir ihr Ausbilder geworden war. Sie musste nun also damit leben, dass eine schockierende Kreatur der Nacht ihr Herr und Meister war, zumindest bis sie kein Rekrut mehr war. Es hätte schlimmer kommen können, nicht wahr? "Wenn du dann endlich deine Füße befreit haat...", brachte sich ihr Ausbilder in Erinnerung.
"Schon Geschen, Sir!"
Tatsächlich hatte es Tussi geschafft ? wer glaubt, sie hätte nun einen besseren Eindruck geliefert, soll eines Besseren belehrt sein. Gestern Nacht nämlich war sie im 'Eimer' gelandet und einem gründlichen Vollrausch erlegen. Infolge dessen hatte sie ihr Bett etliche Stunden später wie folgt aufgesucht: Auf dem Kopf ein Helm, etwas eine Nummer zu groß. Im Gesicht eine schmierige Dreckspur (vom Tisch auf dem sie kurz geschlafen hatte), gekleidet in einem Kürass inklusive Flugrost und beachtlicher Zahl an Dellen (vom Vorgänger), dazu kam ein verschwitzter Gambeson und Lederhosen, die ihr knapp bis über die Knie reichten. Ihre überaus teuren Stiefel lagen unter dem Bett, direkt neben ihrer überaus billigen Dienstmarke.
Nur damit keine Missverständnisse auftauchen ? niemand konnte behaupten, dass Tussi WIRKLICH hässlich war, in vorteilhafter Kleidung mochte sie sogar recht...VORTEILHAFT.. aussehen. Und die Nase war nicht WIRKLICH knollig und von Mitessern besetzt, dass musste an der Pubertät liegen. Was die Augen betraf ? ohne Frage waren sie ein Hingucker. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Valdimier dagegen, ganz Vampir von Welt, stand da wie aus dem Ei gepellt. Es fehlte nur noch die leichte Brise, die Haar und Umhang zum Wehen brachte. Und wenn er grinste, BLINKTEN seine spitzen Zähne.
Leider grinste er augenblicklich nicht, eher verzog er das Gesicht.
"Bring du erstmal Ordnung in deine Uniform! Danach melde dich bei mir", schimpfte er fatalistisch. Offenbar war ihm klar, dass da nicht mehr viel zu machen war.
***
"Eintreten", ertönte Valdimiers Stimme geistesabwesend.
"Sir, melde mich wie befohlen", erwiderte Tussi nachdem sie eingetreten war. Mysteriöser Weise sah sie tatsächlich etwas besser aus, was der Korporal erleichtert zur Kenntnis nahm. So ein paar Stiefel konnten eine Menge ausmachen.
"Nun gut, Rekrutin. Wie du vielleicht weißt, gehört es untrennlich zu den Pflichten eines Wächters, Verhöre von Verdächtigen, Zeugen oder anderen Personen durchzuführen. Genau dieses wollen wir heute einmal probieren. Hierzu werde ich für dich einen Verdächtigen mimen und du bist ?natürlich- der Wächter. Ziel der Aufgabe ist selbstverständlich ein Geständnis. Und das Verbrechen um das es geht...", Valdimier unterbrach sich, schaute sinnend aus dem Fenster und grinste dann SCHON WIEDER.
"Das Verbrechen um das es geht, ist", Valdimier machte eine Kunstpause, schritt direkt vor seine Rekrutin und endete dann:
"Blutsaugerei."
***
Einen ausgeprägten Sinn für Ambiente musste man ihm lassen. Sie befand sich in einem Keller. Sechs Schritte musste ein ausgewachsener Mensch gehen, um ihn an jeder Seite zu durchmessen. Die Decke dagegen veranlasste jeden, eine leicht geduckte Haltung einzunehmen, außer er saß. Dafür standen zwei Holzstühle bereit, offensichtlich wurmstichig. Der eine stand mit dem Rücken zu dem schartenartigen Fenster, durch das ein einzelner, greller Lichtstrahl einfiel. Dann war da noch ein Tisch. Auf diesem lag der Bericht und fokussierte das weiße Tageslicht auf sich. Der andere Stuhl stand in einer Ecke des Raumes, unter einem Bein lag ein Stückchen Pappe.
Vor der Tür erklang Gepolter, dann ein Klopfen, dreimal und sehr deutlich.
"Bringt ihn rein", raunzte Tussi.
Wenn der Vampir einen gewissen dramatischen Effekt erzielen wollte, würde sie sicherlich nicht die Spielverderberin sein. Der Korporal wurde herein geführt, flankiert von zwei Wächtern, die ein gemeines Grinsen grinsten. Leider war nicht der Korporal das Ziel des Spotts, sondern sie selbst.
"Hinsetzen", bellte sie, um wieder Oberhand zu gewinnen.
Jetzt grinste Valdimier, was ihre Selbstsicherheit zerbröseln ließ, wie das logische Denkvermögen eines Frischverliebten. Dann nahm er Platz und Tussi entzündete den Docht der kleinen Petroleumlaterne, die sie mitgebracht hatte, um ein wenig Licht in die Angelegenheit zu bringen. Zusätzlich zu dem Licht gab es zwar auch Schatten, aber -Tussi seufzte- man konnte nicht alles haben. Sie hängte die Laterne an einen von der Decke hängenden Eisenring, dessen ursprünglicher Verwendungszweck sich ihrer Kenntnis, nicht ihrer Phantasie entzog. Dann endlich zog sie den Stuhl aus der Ecke, nahm ebenfalls Platz und warf einen Blick über den Bericht. Ihr Stuhl wackelte ein bisschen.
"Herr van Varwald!", begann sie und hüstelte die Verlegenheit aus ihrer Stimme.
"Sie wissen, dass Ihnen zur Last gelegt wird, in das Haus der schlafenden Gretchen Niedlich unter Verwendung des offen stehenden Fensters im ersten Stock eingebrochen zu sein, daraufhin an ihr Bett geschlichen zu sein und unter Zuhilfenahme ihrer Zähne besagtem Opfer eine beachtliche Menge Blut entzogen zu haben, woraufhin Gretchen Niedlich unglücklicherweise verstarb. Bekennen Sie sich schuldig?"
"Nein", sagte der Korporal ungerührt.
"Nein?", wiederholte Tussi fassungslos und schüttelte unwillig den Kopf. "Aber Frau Niedlich hat sie identifiziert", erklärte sie, mit dem Zeigefinger auf die entsprechende Stelle im Bericht tippend.
"Das ist richtig."
-"Richtig? Na, dann geben sie es ja doch zu?"
- "Nein."
Der Stuhl wackelte ein bisschen mehr. Missmutig erhob sich Tussi, holte das Stück Pappe aus der Ecke, schob es unter den Stuhl und nahm dann wieder Platz.
Valdimier räusperte sich leicht.
"Schließlich war das Fenster offen. Wer öffnet ein Fenster, wenn er keinen Besuch will?", erklärte er dann endlich und rückte seine Kleider zurecht.
"Was beweisen dürfte, dass ich des Einbruchs nicht schuldig bin", fügte er hinzu, nicht ohne selbstgefällig zu lächeln. Lächeln war noch schlimmer als Grinsen.
"Außerdem", fuhr er triumphierend fort, als wäre es ihm gerade jetzt eingefallen "sind diejenigen, die ein Haus durch das Fenster betreten zumeist Vampire oder ähnliches. Was Widerrum beweisen dürfte, dass Frau Niedlich durch Zeichen ausdrücklich darauf hinwies, ausgesaugt werden zu wollen." Tussnelda schüttelte den Kopf.
"Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, oder? Wer würde schon ausgesaugt werden WOLLEN?" -"Oh, da könnte ich mir einige Leute vorstellen. Schließlich hat es immense Vorteile ein Vampir zu sein." -"Sicher?" -" Selbstverständlich", antwortete Valdimier im Brustton der Überzeugung.
Enerviert stand Tussi auf.
"Mensch, van Varwald! Jetzt mal Klartext!"
-"Ich muss doch sehr bitten - ich bin kein Mensch", antwortete er empört und zog dabei eine Augenbraue hoch.
"Und wenn ich mir Sie so sehe, bin ich auch ganz froh, keiner geworden zu sein. Sinn für Stil und Ästhetik scheint Ihnen nicht in den Genen zu liegen. Verboten, wie sie ausschauen." Sprach's und setzte sich ungeachtet der schlechten Lichtverhältnisse eine original Elmani-Sonnenbrille auf. Tussi stieß den Stuhl beiseite, der polternd zu Boden fiel, und stützte sich mit den Händen auf dem Tisch auf.
"Aber Sie SIND ein Vampir und wurden eindeutig identifiziert!" donnerte sie und langsam wallte gerechter Zorn in ihr auf. Sie wusste selbst, dass sie niemals den Titel der "Miss Ankh"
[1] gewinnen würde und das der Vampir ihr gegenüber kein krasseres Gegenteil würde bilden können, aber sie verlangte doch wenigstens ETWAS mehr Respekt.
"Diese Vermutung stellen SIE auf. Vielleicht bin ich ja gar kein Vampir sondern. nur ein Mensch mit spitzen Zähnen und blasser Haut, der ZUFÄLLIGERWEISE ein Cape trägt und die Sonne schlecht verträgt", führte Valdimier an, schob die Sonnenbrille einige Zentimeter höher auf die Nase und verschränkte zufrieden die Arme.
Da platzte der Knoten endgültig. Der Ärger färbte Tussi's Gesicht so rot wie... Blut... und eine deutlich blau hervortretende Ader an ihrem Hals pochte im zweidrittel Takt. Ihre Hände verkrallten sich derart in dem Tisch, dass ihre Knöchel weiss hervortraten. Sie schöpfte Atem und blähte dabei so viel Luft in ihre Lungen, wie ein Tiefseetaucher. Dann ging es los. "Jetzt hör mir mal zu: Ich habe zwar keine Ahnung von Vampiren, Untoten oder Trollen aber ich weiß ziemlich gut, wie Menschen aussehen. Und zwar Menschen jeder Klasse! Mit Macke! Ohne Macke! Ich kenn' sie alle! Ich kenn die Feinen und die Armen und DU gehörst nicht dazu! Du bist ein grausiger, blutsaugender Vampir und DU hast Gretchen Niedlich das Blut ausgesaugt! Und DU wirst das jetzt umgehend gestehen und zwar ausführlich oder ich verlege dieses hübsche Gespräch in den Laden mit der Knoblauchauslage!" brüllte Tussnelda.
Dem hatte sie's gegeben, wie sie bemerken musste. Dummerweise musste sie auch bemerken, dass sie eben nicht mit einem Verbrecher, sondern mit ihrem unmittelbaren Vorgesetzten gesprochen hatte.
"Einverstanden", sagte da Valdimier von Varwald gänzlich unerwartet.
"Ich gestehe also, dass ich Gretchen Niedlich ausgesaugt habe und zwar mit ausführlichem Vergnügen." Der Korporal erhob sich, nahm die Sonnenbrille wieder ab und steckte sie in eine Seitentasche seines Capes.
"Eine Weile harten Trainings und du könntest wirklich brauchbar sein", sagte er und wandte sich zur Tür.
"Das nächste Mal aber, bei dem du MICH so anmachst, könnte für dich den Rauswurf bedeuten. Klar soweit?" Tussi nickte geknickt. Etwas zu sagen traute sie sich nicht ? pflichtbewusst salutierte sie und sah dem ziehenden van Varwald hinter her. Ihre erste echte Begegnung mit ihrem Ausbilder hätte wirklich besser laufen können. Andererseits - es ginge auch schlimmer. Er hätte sie zum Essen einladen können...
[1] Die Konkurrenzveranstaltung "Miss Morpork" würde sie als Mensch ohne echtes Geschwür sowieso ablehnen
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