Die Assassinengilde hat Rina eigentlich noch nie gekümmert, doch plötzlich wird sie von Lord Witwenmacher persönlich dorthin beordert. Gezwungenermaßen folgt die Wächterin dieser Einladung und wird in einen Fall verwickelt, von dem sie lieber nie etwas gewusst hätte..
Dafür vergebene Note: 12
Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben des Wachhauses am Pseudopolisplatz und bildeten interessante Muster, die nach und nach verliefen. Leutnant Irina Lanfear blickte mit einem tiefe Seufzer hinaus in das dunkle und kalte Naß und fragte sich zum wiederholten Mal, wie man an einem solchen Tag nur arbeiten konnte. Es war doch sowieso nichts los. Die meisten Verbrecher hatten sich von dem ungemütlichen Wetter abschrecken lassen und saßen sicher irgendwo, wo es warm und trocken war. Trotzdem musste sie hierbleiben und ein gutes Beispiel abgeben, obwohl sie viel lieber Roxy
[1] besucht hätte. Trübsinnig beschloss die Wächterin gerade, ihren Arbeitstag doch schon ein paar Stunden früher zu beenden, als ein plötzliches PLOPP in der Nachrichtenröhre sie hochschrecken ließ.
"Nein, bitte keine Arbeit..", unwillig drehte sich Rina vom Fenster weg und angelte sich mit einer geschickten Bewegung die Nachricht aus dem Kommunikationssystem. Der Brief war versiegelt und trug das Wappen der Assassinengilde.
"Nanu, was wollen DIE denn von mir? Der Schutzbeitrag für dieses Jahr ist doch von meinen Eltern bereits bezahlt worden?", irritiert kratzte sich die Wächterin am Kopf und drehte den Brief unschlüssig zwischen den Fingern.
Schulterzuckend griff sie nach einigem Überlegen nach ihrem Brieföffner und brach vorsichtig das Siegel auf. Im Inneren befand sich ein säuberlich gefaltetes Blatt weißes Papier, auf dem einige Zeilen in der ordentlichen Handschrift Lord Witwenmachers geschrieben worden waren.
"Fräulein Lanfear,
aufgrund einiger Ungereimtheiten ist die
sofortige Anwesenheit eines Wächters in der Assassinengilde nötig.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Lord Witwenmacher"
"Ähm?", Rina las den Brief noch ein zweites Mal, aber dadurch wurde er auch nicht klarer. Ungereimtheiten? Die Assassinen forderten ausgerechnet Wächter an? Warum gerade sie? Sie war doch kein DOG!
Seufzend erhob sich der Leutant und holte aus dem Kleiderschrank ihren schwarzen Regenmantel. Sie wusste nicht viel über die Assassinengilde, aber es war ihr zumindest klar, dass Lord Witwenmacher wohl ein "NEIN" nicht gelten lassen würde. Grummelnd zog sie sich die Kapuze über ihre dunklen Haare und fluchte leise. Ausgerechnet bei so einem Wetter hetzte man sie vor die Tür.
***Dunkle Regenwolken verdeckten die Sonne und stahlen so fast alles an Licht. Das Gebäude der Assassinengilde lag düster und bedrohlich im ständigen Regen, der Rina inzwischen bis auf die Knochen durchnässt hatte. Ein starker, kalter Wind sorgte zusätzlich noch dafür, dass die Wächterin ziemlich fror.
"Verflucht, so ein Sauwetter. Hätten die sich nicht wen anderen aussuchen können?", wütend stapfte der Leutnant auf die Tore der Assassinengilde zu und klopfe entschlossen an das von der anhaltende Nässe dunkel gewordene Holz.
Es dauerte ein wenig, bevor ein kleines Guckloch aufgeschoben wurde und ein misstrauisches Auge durch den Spalt linste.
"Dauert das noch lange? Mein Name ist Leutnant Irina Lanfear von der Stadtwache und wenn ich nicht SOFORT eingelassen werde, geh ich einfach wieder!", entnervt trat Rina von einem Fuß auf den anderen und versuchte, möglichst majestätisch auszusehen. Ein Pförtner war schließlich nichts besseres als ein Dienstbote und wie sie mit Dienstboten umzugehen hatte, wusste sie.
"Soso, das Fräulein Lanfear. Lord Witwenmacher erwartet sie bereits. Einen Moment..", ein leises Kratzen verriet, dass ein Riegel zurückgezogen wurde. Wenige Sekunden später öffnete sich das Tor und Rina schlüpfte schnell hindurch, bevor der Pförtner es wieder verriegelte.
"Ich dachte, das Tor steht immer offen?", fragend drehte sich die Wächterin um, blickte auf die beiden schwarzglänzenden Torhälften hinter sich und runzelte die Stirn.
"Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Aktionen. Wenn sie mir bitte folgen würden..", mit angemessen schnellen Schritten überquerte der Pförtner den Hof und ging auf einen Kreuzgang zu.
"Was heißt außergewöhnliche Umstände?", fröstelnd blickte Rina auf die Statue von Ellis Wilminius Nettlich, die mitten auf dem Hof stand und sich drohend gegen den dunklen Hintergrund erhob, und beschleunigte ihre Schritte.
"Das lassen sie sich besser von Lord Witwenmacher erklären, Fräulein.."
"Leutnant, wenn’s recht ist."
"Ja, Fräulein Lanfear.."
Seufzend und die Augen verdrehend folgte Rina dem Pförtner und betrachtete interessiert die Gemälde und Büsten, die sich zu ihrer Rechten und Linken befanden. Es schien so, als hätte die Assassinengilde einige sehr einflussreiche Mitglieder. Sie wollte gar nicht wissen, wie man zu der Ehre kam, ausgerechnet sein Gemälde in diesem Kreuzgang verewigt zu wissen. Derartig in ihre Betrachtungen vertieft, bemerkte die Wächterin nicht, wie der Pförtner vor ihr plötzlich scharf rechts abbog und einen kleinen Korridor betrat. Beinahe wäre sie vorbeigelaufen, wenn sie nicht plötzlich eine Stimme aus ihren Gedanken gerissen hätte.
"Fräulein Lanfear? Hier entlang bitte.."
Seufzend folgte Rina dem Pförtner in den Korridor. Irgendwie war das wirklich nicht ihr Tag.
***Lord Witwenmache korrigierte gerade ein paar Aufsätze, als es leise an seiner Arbeitszimmertür klopfte.
Mit einem unwilligen Kopfschütteln legte er die dicht beschriebenen Seiten auf einen nicht unbeträchtlich hohen Stapel und rief dann: "Herein!"
Der Pförtner öffnete vorsichtig die Tür und streckte den Kopf in das Zimmer.
"Leutnant Irina Lanfear ist hier, Herr."
"Gut, du kannst wieder zurück an deine Arbeit gehen, Stippler. Ich wünsche in der nächsten halben Stunde nicht gestört zu werden.", mit einem leichten Nicken entließ der Assassine den Pförtner und faltete nachdenklich die Hände.
Stippler lies die Türe leicht offen stehen, deutete mit dem Kopf darauf und meinte: "Er erwartet sie bereits."
Rina seufzte. Irgendwie hatte sie das ungute Gefühl, dass sie nicht wegen eines vergessenen Schutzbeitrages hergerufen worden war. Unwillig schüttelte sie den Kopf, öffnete die Tür und trat in den Raum.
"Leutnant Lanfear. Ich freue mich, dass sie meiner Bitte so schnell nachgekommen sind.", lächelnd deute Lord Witwenmacher auf einen Sessel vor seinem Schreibtisch.
"Naja, ich hatte nicht wirklich eine Alternative. Warum bin ich hierher gerufen worden?", misstrauisch sah sich Rina im Zimmer um. Die eichenvertäfelten Wände und der dicke, weiche Teppich wirkten nicht bedrohlich, aber im Arbeitszimmer eines Assassinen konnte man sich nie sicher sein. Langsam ging die Wächterin auf den Mahagonitisch zu und bestaunte die 4 großen schwarzen Granitsäulen, die sich mitten im Raum befanden und die Namen berühmter Assassinen trugen.
"Ich dachte, das könnten sie mir verraten. Erkennen sie das wieder?", das Oberhaupt der Assassinengilde zog eine seiner Schreibtischschubladen auf, holte ein winziges Stück Stoff heraus und wedelte damit herum.
"Was ist das?", vorsichtig trat Rina näher an den Schreibtisch und versuchte angestrengt, nicht auf das schmiedeeiserne Gestell für Ruten und Rohrstöcke zu starren, dass sich gleich daneben befand.
"DAS ist ein Stück von einer Wächteruniform. Und ich möchte von IHNEN wissen, was das in MEINER Gilde zu suchen hat."
"Ähm.. darf ich mal sehen?", mit spitzen Fingern griff die Wächterin nach dem Stofffetzen und blinzelte erstaunt.
"Ein
Webel???.. Also ich meine, ähm.. Das gehört definitiv einem Wächter, nur welchem?", kritisch betrachte Rina das abgerissene Stückchen Stoff. Es war gerade noch zu erkennen, dass der Besitzer aus den Rängen der "Webel" kommen musste, aber ob es nun ein Feld-, Ober- oder ein Hauptfeldwebel war, konnte man nicht mehr vernünftig erkennen, da ein nicht unbeträchtlicher Teil des Abzeichens fehlte.
"Das wüsste ich auch gerne."
"Wo wurde das Abzeichen denn gefunden?, irgendwo im hintersten Winkel meldete sich Rinas kriminalistische Spürsinn.
"Im Büro unseres Kassenwartes. Dort wo unter anderem sämtliche Bearbeitungsgebühren verschwunden sind."
"WAS?", fassungslos starrte die Wächterin den Assassinen an.
"Ich sagte doch gerade schon, dass unsere gesamten Einnahmen der letzten Woche verschwunden sind. Zusätzlich fehlt von unserem
Kassenwart Antonius Jenensis jegliche Spur. Deshalb habe ich ja nach einem Wächter geschickt."
"Äh, ja?"
Lord Witwenmacher bemerkte den immer noch fassungslosen Blick der Wächterin und seufzte. Er hatte scheinbar doch die falsche Wahl getroffen, diese Frau war irgendwie schwer von Begriff.
"Wächter, Geld gestohlen, Kassenwart verschwunden. Was ist denn so schwer daran?"
"Sie wollen doch nicht behaupten, dass ein Wächter.."
"Sicher war es ein Wächter.. . Wer soll es denn sonst getan haben?"
"Aber.."
"Und darum habe ich SIE rufen lassen. Ich kenne ihre werte Frau Mama und ich weiß, dass SIE das Geld sicher nicht genommen haben. Ich gebe der Wache bis heute Abend Zeit, diesen Fall aufzuklären und das auch nur, weil ich einen offenen Krieg zwischen uns vermeiden möchte. Politik und so, sie wissen schon. Sobald die Zeit abgelaufen ist, nehmen WIR uns dieser Sache an."
"Äh.."
"Haben sie noch Fragen, Leutnant?"
Rina überlegte. Irgendwie schien diese ganze Sache außer Kontrolle zu geraten.
"Ich muss auf jeden Fall den Tatort sehen und ein Spurensicherungskommando vorbeischicken."
"NEIN!"
"Was heißt nein?"
"Nein heißt, ich verdächtige JEDEN Wächter und ich lasse hier sicher keine Verdächtigen herein, die falsche Fährten legen. Sie können den Raum gerne sehen, aber damit ist auch schon Schluss."
"Äh.. Augenzeugen gibt es nicht zufällig? Ich meine, es fällt doch auf, wenn plötzlich ein Wächter hereinstapft und den Kassenwart überfällt, eine eventuelle Leiche verschwinden lässt und dann auch noch mit den Wocheneinnahmen.. Wieviel Geld war das?"
"Zweihunderttausend Ankh-Morpork Dollar. Wir haben diese Woche nicht schlecht verdient."
"Zweihunderttausend...", Rina wurde grün im Gesicht.
"Wenn wir Augenzeugen haben würden, hätten wir sicher niemand von der Wache gerufen sondern uns selbst der Sache angenommen.", Lord Witwenmacher gelang ein feines Lächeln, dass seine Mundwinkel umspielte.
"Ähm ja.. ", die Wächterin hatte das Gefühl, schon gar nichts mehr anderes als "Äh.." sagen zu können.
"Wenn ich dann bitte.."
"Natürlich, ich unterstütze doch gerne die Ermittlungen der Wache.", mit unbewegtem Gesicht stand das Oberhaupt der Assassinengilde auf und ging zur Tür.
Rina verdrehte heimlich die Augen und folgte ihm dann. Das war DEFINITIV nicht ihr Tag und wenn das so weiterging, war wohl ihre gesamte nächste Woche gelaufen.
***Lord Witwenmacher führte die Wächterin in ein kleines Büro, das versteckt zwischen der multikonfessionellen Kapelle und der Bibliothek lag.
"Hier befindet sich das besagte Büro", mit einem kleinen Schlüssel schloss er die Tür auf und ließ die Rina dann einen Blick ins Büro werfen.
"Uff", mit offenem Mund starrte die Wächterin das Chaos an, dass sich vor ihr ausbreitete. Es sah so aus, als hätte sich in das kleine Büro ein Wirbelsturm verirrt, der dort ziemlich gewütete hatte.
"Haben sie noch Fragen an mich, Leutnant? Es warten noch einige Aufsätze des Themas "Wen ich in meinen Ferien umbrachte" auf mich."
"Äh.. ja.. ich glaube..", Rina brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu fangen, zog ihren Notizblock und starrte Lord Witwemacher unverwandt an.
"Wann ist der besagte Kassenwart verschwunden und wie sah er eigentlich aus?"
"Antonius ist ziemlich genau 1,60 groß und stämmig.. Er hat braune, leicht gekräuselte Haare und grüne Augen. Ich habe, glaube ich, in meinem Büro noch eine Ikonographie, die lasse ich ihnen zukommen. Wir haben ihn das letzte Mal gestern Abend bei der Abrechung gesehen. Heute morgen wollte ihm jemand Geld bringen und wir fanden DAS hier vor."
"Ist diese Tür immer abgesperrt?"
"So gut wie immer. Es gibt nur zwei Schlüssel, einen trage ich bei mir und einen besitzt.. vielleicht besser besaß ..Antonius."
"Ist Herr Jenensis vertrauenswürdig? Kann es nicht passiert sein, dass er sich mit dem Geld einfach abgesetzt hat?"
Lord Witwenmacher schmunzelte.
"Antonius ist ausgebildeter Assassine. Ich bezweifle, dass er sich mit dem Geld der Gilde absetzen würde, da er schon sehr lange für uns arbeitet. Ungefähr zehn Jahre, würde ich sagen. Er weiß also, was passieren würde, wenn wir ihn dabei erwischen würden."
"Ich verstehe... Wo wohnt Herr Jenensis? Oder wo wohnte er?"
"Kirschblütenallee 27. Er hat dort eine kleine Wohnung."
"Gut. Das Zimmer wurde bereits gründlich durchsucht?"
"Ja, außer diesem Stückchen Stoff haben wir nichts auffälliges gefunden. Und wir sind ziemlich gut darin, auffälliges und unauffälliges zu finden."
"Kann ich mir vorstellen. Es gab also in letzter Zeit keine Auffälligkeiten? Hat sich Herr Jenensis anders als sonst verhalten? Gab es irgendwelche Anhaltspunkte, die auf das hier hätten hindeuten können?"
"Halten sie uns für so dumm, Leutnant Lanfear? Natürlich haben wir nichts entdeckt, sonst hätten wir sie nicht hinzugezogen. Sie beginnen, meine Zeit zu verschwenden."
"Äh.. ich glaube, ich habe ihre Zeit schon lange genug in Anspruch genommen, Lord Witwenmacher. Wenn sie mir den Schlüssel hier lassen könnten, gebe ich ihn nachher bei ihnen wieder ab, wenn ich mit dem Durchsuchen fertig bin."
"Das wird nicht nötig sein, sie können ihn bei Stippler abgeben. Ich vertraue ihm in dieser Hinsicht völlig. Wenn sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss weiter Aufsätze verbessern gehen."
"Ja, über das Thema "Wen ich in meinen Ferien umbrachte"", führte Rina den Satz in Gedanken zu Ende und schüttelte sich leicht. Sie hütete sich jedoch davor, den Satz auszusprechen und nickte stattdessen nur leicht, als sich Lord Witwenmacher zurück in Richtung seines Büros begab.
"Verflucht, noch weniger Zeit hätten die uns nicht geben können?", wütend musterte Rina das Chaos und begann, sich methodisch durch den Raum zu arbeiten. Sie glaubte zwar nicht daran, dass die Assassinen etwas übersehen hatten, aber vielleicht hatte sie Glück und entdeckte etwas, dass die Wache entlasten würde. Ihr war klar, dass sie mit dieser Aktion wohl sämtliche Spuren zerstörte, die SUSI eventuell noch hätte finden können, aber andererseits hatten die Assassinen den Raum auch schon durchsucht und die waren sicher nicht vorsichtiger umgegangen, als sie gerade.
*Kracks*
Ein leises Knacken ertönte, als Rina gerade einen am Boden liegenden Sack voller Münzen hochhob und einen Schritt zur Seite machte.
"Hm?", vorsichtig trat die Wächterin einen Schritt zurück, ließ sich auf die Knie nieder und untersuchte den dicken, weichen Teppich aufmerksam. Auf den ersten Blick entdeckte sie nichts, doch als sie mit dem Gesicht noch weiter hinunterging, entdeckte sie feine weiße Splitter, die sie scheinbar in den Teppich getreten hatte.
"Na hallo, was haben wir denn da?", mit spitzen Fingen hob die Abteilungsleiterin eines dieser winzigen Stücke hoch und betrachtet es. Sie konnte zwar nicht sagen, WAS das war, aber vielleicht würden die bei SUSI das wissen. Mehr, als dass sie gerade ein Stück abgebrochenen Fingernagel oder so etwas ähnlich aufregendes gesichert hatte, konnte ihr wohl nicht passieren.
Vorsichtig klopfte Rina ihre Taschen ab, fand aber kein passendes Behältnis für das Beweisstück. Kurzerhand riss sie deshalb eine Seite aus ihrem Notizblock, faltete diese zu einem kleinen Kuvert und packte ein paar von den Bruchstücken ein. Wer wusste, wozu die noch gut sein konnten.
Nachdem sie ihren Fund gut verpackt hatte, machte sich die Wächterin daran, den Rest des Zimmers weiter zu durchsuchen. Doch Lord Witwenmacher hatte recht gehabt. Wenn hier irgendetwas zu finden gewesen wäre, dann hätten es wohl auch schon die Assassinen entdeckt. Rina zumindest fand nichts mehr, das auch nur ansatzweise wie ein Beweisstück aussah. Nach drei mühsamen Stunden richtet sich die Wächterin auf, streckte ihren schmerzenden Rücken und beschloss, dass sie hier genug gesucht hatte. Sorgfältig sperrte sie die Tür des Raumes wieder ab und trat in den schmalen Kalkkorridor. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie sich orientiert hatte, dann wandte sie sich in die Richtung, in der sie das Portierhäuschen vermutete und ging los. Auf ihrem Weg nach draußen entdeckte sie ein paar Assassinenschüler, die gerade in ihre Zimmer unterwegs zu sein schienen. Rina betrachtete die schwarzgekleideten Gestalten, die durch die Korridore schlichen und die Hände immer in den Hosentaschen hatten, mit einer Mischung aus Respekt und Humor. Es sah einfach zu lächerlich aus, wie sie einander im Auge behielten, doch sie wusste nur zu gut, dass aus einem Assassinenschüler von heute schon morgen ein fertig ausgebildeter Assassine werden konnte, der mit viel Pech auch noch gerade den Auftrag auswählte, bei dem es um IHREN kopf ging. Außerdem hatte sie ein paar gruslige Geschichten über einen brutalen
Gildeninitiationsritus gehört. Nein, sie beneidete die Assassinen keineswegs.
***Stippler befand sich in seinem Portierhäuschen und musste schon auf die Wächterin gewartet zu haben, denn er erschien, kaum dass Rina angekommen war, auch schon in der Türe und streckte die Hand aus, um den Schlüssel entgegenzunehmen.
"Äh, hier ist der Schlüssel. Es ist möglich, dass ich wegen meinen Ermittlungen nochmals vorbeikommen muss. Eine Frage hätte ich übrigens: Hatte Antonius Jenensis Feinde?"
Stippler schüttelte den Kopf.
"Herr Jenensis war immer ein freundlicher Mensch. Etwas einzelgängerisch vielleicht, aber immer nett. Ich habe hier eine Ikonographie, die ich ihnen von Lord Witwenmacher geben soll."
"Gut, danke. Dürfte ich jetzt bitte hinaus?", Rina deute auf das verschlossene Tor und steckte die Ikonographie nebenbei ein.
"Wie? Oh ja, ich vergaß. Natürlich.", der Pförtner eilte zum Tor, öffnete den Riegel und zog es einen Spalt breit auf.
Die Wächterin schlüpfte hindurch und hörte noch im gleichen Moment, wie hinter ihr der Riegel wieder vorgeschoben wurde.
"Naja, war nicht so schlimm..", Rina schaffte es nicht mehr, den Gedanken zu Ende zu denken, denn plötzlich donnerte es kurz und ein heftiger Regenguss setzte ein.
VERDAMMT!, wutentbrannt setzte die Wächterin die Kapuze ihres Regenmantels wieder auf und überlegte kurz. Der nächste Punkt war wohl, ihren Fund analysieren zu lassen und nebenher alle Abteilungsleiter zusammenzutrommeln. Denn egal, wie deutlich sich Lord Witwenmacher ausgedrückt hatte, allein konnte sie diesen Fall niemals rechtzeitig lösen. Seufzend setzte sich Rina in Bewegung und ging Richtung Pseudopolisplatz. Das würde ein LANGER Tag werden.
***Obergefreiter Thymian Pech saß gerade im Aufenthaltsraum und genoss eine Tasse mehr oder weniger warmen Kaffee, als die Tür aufgestoßen wurde und seine völlig durchnässte Abteilungsleiterin zur Tür hereinschaute.
"Thymian, wo sind alle?"
"Ähm, Mäm, ich weiß nicht..."
"Egal, ich will in 5 Minuten ALLE in meinem Büro sehen. Es gelten keine Ausreden, wer nicht kommt, darf im nächsten Monat bei SUSI aushelfen. Ich hab gehört, Pismire sucht wen, der die Labore ausfegt."
"Ja, Mäm!", Thymian war aufgesprungen und salutierte heftig, wobei er den Kaffee unabsichtlich verschüttete. Erstaunlicherweise traf ihn jedoch kein einziger Tropfen des dunkelbraunen Getränks.
"Gut, wir sehen uns in 5 Minuten!", energisch drehte sich Rina auf dem Absatz um, wobei einige Wassertropfen aus ihren Haaren spritzten und stürmte in ihr Büro.
Thymian stand verwirrt da und blinzelte. Wo sollte er bloß die anderen finden? Suchend drehte er sich im Kreis und beschloss dann, eine Runde durchs Wachhaus zu machen. Vielleicht hatte er ja Glück.
Es muss wohl nicht extra erwähnt werden, dass Thymian das Glück tatsächlich hold war. Binnen fünf Minuten standen er und der Rest der Abteilung RUM vor der Tür der derzeitigen Abteilungsleiterin und schauten sich nervös an.
"Was ist wohl jetzt schon wieder los?", Myra Schwertschleifer, die stellvertretende Abteilungsleiterin, schaute nervös zu Tricia McMillan hinüber, die unsicher die Schultern hob.
"Lasst uns einfach anklopfen!", schlug Dragor vor und setzte seine Worte gleich in die Tat um.
"Herein!", schallte es der versammelten Abteilung entgegen.
Lance-Korporal Nemod atmete einmal kurz durch, öffnet dann die Tür und trat langsam ein. Die anderen folgten ihm.
Als alle im Zimmer der Abteilungsleiterin standen, bemerkten sie erst, wie klein dieses wirklich war. Carisa versuchte, sie möglichst klein zu machen und Romulus trat gerade mit einem verlegenen Blick von Mefarinas Zehen. Nur Agnetha schien mehr als genug Platz zu haben, was vielleicht an dem ihr eigenen Geruch lag.
"So, ich freue mich, dass ihr es alle geschafft habt. Ich hätte nicht damit gerechnet und komme am besten gleich zur Sache, dann müssen wir diesen Platzmangel nicht allzu lange ertragen. Alle Fälle, die ihr gerade bearbeitet, müssen bis auf weiteres ruhen. Ich hab gerade einen hereinbekommen, der HÖCHSTE Priorität hat."
Ein erstauntes Murmeln begleitete Rinas Worte.
"Aber Mäm..!"
"Ich sagte, ALLE Fälle, Dragor. Ich kann euch nicht genau sagen, um was für einen Fall es sich handelt, aber ich bitte euch, die Aufgaben, die ich euch gleich übertrage, so gut wie möglich auszuführen. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
Diesmal war das Murmeln eher zustimmender Art und einige Abteilungsmitglieder nickten sogar.
"Gut, dann fangen wir einmal an. Tricia, Pyronekdan und Tunnelblick? Ich möchte, dass ihr alles über einen gewissen Herrn Antonius Jenensis herausbekommt. Ich will wissen, wo er wohnt, was er in seiner Freizeit so macht, wer seine Freunde sind, was er gestern zu Mittag aß, ich will ALLES wissen, klar? Er ist Kassenwart bei der Assassinengilde aber tut mir den Gefallen und ermittelt nicht gerade dort. Laut meinen Informationen wohnt er Kirschblütenallee 27. Quetscht die Nachbar aus, so gut ihr könnt. Kolumbini? Ich möchte, dass du, Igor und.. sagen wir Stump, zu SUSI gehen. Ich habe etwas gefunden, das dringend analysiert werden muss. Wenn sie euch mit irgendwelchen Ausreden abspeisen wollen von wegen ausgelastet oder so, erklärt ihnen, dass ihr eine sehr wütend Abteilungsleiterin habt, die jeden persönlich dafür verantwortlich macht, wenn sie nicht innerhalb von sagen wir 2 Stunden ein Ergebnis vor sich liegen hat. Soweit klar?"
Rina reichte Kolumbini das Papierkuvert mit den weißen Splittern sowie das lädierte Abzeichen.
"Außerdem sollen sie feststellen, ob das da wirklich einem Wächter gehört hat.", sie deutete auf das Stückchen Stoff.
Kolumbini und Stump nickten verschüchtert.
"Carisa, Romulus und Mefarina, ihr klappert die nähere Umgebung der Assassinengilde ab. Wenn gestern Abend jemand dort einen Wächter gesehen hat, will ich genau wissen, wie dieser aussah und falls er sich identifizieren lässt, wer das war. Klopft an jede Tür, die Information ist ziemlich dringend!"
Romulus und Mefarina sahen sich ziemlich verständnislos an, während die Abteilungsleiterin weiter Arbeit zuwies.
"Agnetha, Thymian, Myra, Dragor! Ihr sucht euch sämtliche Unterlagen der nichtidentifizierten Leichen von gestern Abend bis jetzt heraus. Ich habe zwei Bitten an euch. Die erste ist, sucht nach einer Leiche, die diesem Mann ähnlich ist. Er war 1,60 groß, stämmig, hatte braune gekräuselte Haare und sah so aus..."
Rina zog ein Photo aus der Jackentasche und reichte es den Wächtern.
"Das ist die Ikonographie von Antonius Jenensis, die könnte auch für die Ermittlungen von Tricia und Pyro nützlich sein. Am besten, ihr lasst es den Ikonographiedämonen kurz abmalen."
Der Leutnant nickte dem anderen Ermittlungstrupp kurz zu.
"Wenn ihr niemand findet, auf den diese Beschreibung passt, dann sucht nach ungewöhnlichen Mordfällen. Ich weiß nicht, nach was genau, vielleicht findet ihr ja was. Wenn es zu viele Akten sind, fordert Unterstützung von GRUND an und falls Humph sich aufregen sollte, sagt ihm einfach, er möge sich bitte bei mir persönlich beschweren."
"Wird erledigt, Mäm!", Dragor salutierte zackig.
"So, dann bleibt noch Vinni über.."
Der Angesprochene schluckte heftig.
"Ich möchte, dass du dich auf den Weg ins DOG Hauptquartier machst und Dae erklärst, dass in einer Stunde hier eine wichtige Besprechung stattfindet, die er keinesfalls verpassen sollte. Ich will bei diesem Wetter keine Taube schicken, ich bin mir nicht wirklich sicher, ob sie ankommen würde.
Der Korporal nickte erleichtert. Das klang nicht nach allzu viel Arbeit.
"Gut, nachdem alle eingeteilt sind, fangt bitte mit der Arbeit an und wie schon erwähnt ist der Fall mehr als dringlich."
Sämtliche Abteilungsmitglieder nickten, salutierten mehr oder weniger und beeilte sich dann, aus dem Büro zu verschwinden. Nicht zuletzt wegen Agnethas Geruch war es in den letzten Minuten immer schwieriger geworden, tief Luft zu holen.
Rina seufzte, als der letzte die Tür hinter sich geschlossen hatte, stand auf und ging zu ihrer völlig überfüllten Pinnwand. Sie hatte das Ding früher immer genutzt, um all die kleinen Notizen für einen Fall zu sammeln, aber in letzter Zeit hatte sich darauf jede menge Unwichtiges angesammelt. Seufzend nahm die Wächterin die kleinen Zetteln von der Wand und warf sie alle auf einen großen Haufen. Sie würde sie nachher sortieren, derzeit brauchte sie den Platz für wichtigeres. Mit der ihr eigenen, charakteristischen Handschrift schrieb sie drei neue Zettel und hängte sie auf. Dann trat sie einen Schritt zurück und warf einen kritischen Blick darauf.
Verschwinden des Kassenwarts - Wächter/Webel - Geld Bis jetzt hatte sie noch wenige Hinweise, aber das würde sich hoffentlich innerhalb der nächsten Stunden ändern. Seufzend wandte sich die Wächterin ab. Sie musste noch die anderen Abteilungsleiter zusammentrommeln. Irgendwie war das Abteilungsleiterleben stressiger als sie sich das vorgestellt hatte.
***"Sie will was?", Daemon starrte Vinni erstaunt an.
"Sie will dich sehen. In einer dreiviertel Stunde, am Pseudopolisplatz. Es dürfte irgendwas mit der Assassinengilde zu tun haben."
"Und warum kann sie da nicht selber vorbeikommen?"
"Frag mich nicht, sie hat alle rumkommandiert."
"Ist das was Neues?", Daemon kapitulierte vor dem ungeheuren Arbeitseifer von Leutnant Irina Lanfear und erhob sich langsam.
"Na, gut, wenn’s denn unbedingt sein muss. Aber wehe es ist nichts wichtiges."
Vinni zuckte mit den Achseln. "Frag mich nicht. Es klang nach einer großen Sache."
***Exakt eine Stunde später hatten sich alle Abteilungsleiter im extra von Rina beschlagnahmten Aufenthaltsraum eingefunden und starren sich fragend an. Keiner wusste, was der Leutnant nun genau von ihnen wollte, sie war nur bei jedem von ihnen ins Büro geplatzt, hatte wegen der Besprechung Bescheid gegeben und war wieder verschwunden.
Venezia, die auf einem Würstchen herumkaute, aus dem das Fett nur so tropfte, wollte gerade irgendetwas fragen, als die Tür aufgerissen wurde und eine ziemlich derangierte RUM-Abteilungsleiterin hereingestürmt kam. Der sonst so ordentliche Haarknoten sah so aus, als hätten sich ein paar Vögel ein Nest darin gebaut und auf einer Wange war eine haarfeine blasse Linie zu sehen, die sonst immer sorgfältig versteckt war.
"Hallo allerseits, tut mir leid, dass ich euch warten ließ, aber ich bin derzeit etwas mit Arbeit eingedeckt. Darum werde ich auch gleich zum Punkt kommen und nicht lange drum rumreden. Hat irgendwer von euch einen seiner Webel verloren?"
Angespanntes Schweigen herrschte, das nur von Venezias Kichern unterbrochen wurde.
Daemon setzte sich aufrecht hin und sah Rina kühl an.
"Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst, Leutnant. Aber ich kann Dir versichern, dass alles in Ordnung war, als ich das letzte Mal nachgesehen habe."
Das Schweigen dauerte weiter an, während Venezias Kichern an Intensität zunahm.
Rina lief rot an.
"Ähm, nicht so einen Webel, Dae. Ich meinte die Feld- Oberfeld und Hauptfeldwebel. Geht irgendwem einer ab?"
Fassungslose Blicke wurden ausgetauscht.
"Kommt schon, ich meine das durchaus ernst. Wer hat einen der genannten Ränge in der Abteilung? Bitte Hand hoch!"
Venezia, Atera und Daemon hoben verwirrt die Hand.
"Schön. Fangen wir bei Dae an. Wer hat bei dir diesen Rang?"
"Oberfeldwebel Steingesicht. Warum?"
"Erklär ich später. Atera?"
"Feldwebel Swires. Ich glaube, sie besucht grade Verwandte in den Spitzhornbergen."
"Hm, sie ist eine Wichtelin, oder? Veni, wen hast du?"
"Hauptfeldwebel Zaddam Boschnigg. Zuletzt war er irgendwo Richtung Überwald unterwegs."
"Könnten wir jetzt endlich aufgeklärt werden?", Daemon rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her.
"Tja. Ich bin heute persönlich zu Lord Witwenmacher bestellt worden. Irgendwie ist ihm sein Kassenwart abhanden gekommen mitsamt 200.000 Ankh-Morpork Dollarn."
Irgendwer pfiff leise durch die Zähne.
"Wäre nicht unser Problem, wenn man nicht dummerweise ein halbzerrissenes Abzeichen dort gefunden hätte. Ich tipp mal drauf, dass es ein Webel, welcher auch immer, ist. Fakt ist, die Assassinengilde gibt mir bis heute Abend Zeit, den Fall zu lösen, dann kümmert sie sich drum. Das heißt, wir haben spätestens morgen Früh ein paar übellaunige Assassinen am Hals."
"Warum ist er ausgerechnet zu dir gekommen?", Venezia hatte aufgehört auf ihrem Würstchen herumzukauen und starrte Rina an.
"Tja, meine guten Beziehungen? Glaub mir, ich hab NICHT um diesen Fall gebeten, aber ich steck dummerweise mitten drinnen."
"Hm, also Steingesicht kanns kaum gewesen sein. Seine Uniform ist genauso geisterhaft wie er selbst.", Daemon lehnte sich zufrieden zurück.
"War es ein normalgroßes Abzeichen? Dann ist Swires auch aus dem Rennen!", rief Atera.
"Bleibt nur mehr Zaddam. Und du weißt wirklich nicht, wo der gerade steckt?", fragend sah Rina Venezia an.
"Nein, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich nicht in der Stadt aufhält."
"Dann fragt sich, wie unser.. nennen wir es einmal der Einfachheit halber
Dieb an ein Wächterabzeichen kam."
"Vielleicht hat er irgendwo eine Uniform gestohlen?", Pismire, der bisher nur still an seinem Kräutertee genippt hatte, schaltete sich in die Debatte ein.
"Oder das Abzeichen ist gefälscht?"
"Das versucht gerade das SUSI Labor zu eruieren..", Rina versuchte, den Überblick zu bewahren.
"Ach, das sind also deine Analysen, die gerade meine Experimente blockieren?"
"Immer mit der Ruhe, Leute.."
"Warum bin eigentlich nicht ich mit dem Fall beauftragt worden, immerhin sind wir die zuständigen für Gildenprobleme"
"RUHEEEEEEEEEEEEEE!", Rinas Kopf war rot angelaufen, als sie plötzlich losbrüllte.
"Tut mir leid, aber so wird das nie was. Veni, probier bitte herauszufinden, wo Zad steckt, ob er eine Zweituniform hat und wenn ja, ob die da ist. Dae, kannst du bitte so gut sein und meine Leute mit Informationen über die Assassinengilde unterstützen? Pismire, ich danke dir dafür, dass du deine Laborplätze so bereitwillig zur Verfügung stellst und Atera.. na ja, danke, dass ich jetzt weiß, dass es zumindest nicht dein WasauchimmerfüreinWebel war. Ich.."
Es klopfte zögerlich an der Tür.
"Ja bitte?", entnervt drehte sich Rina um. Ihre Laune verbesserte sich jedoch sprunghaft, als sie Kolumbini sah, der mit einem Stapel von Berichten winkte. Schnell drehte sie sich zu den Abteilungsleitern um und sagte: "Ich danke euch für eure Unterstützung und Aufmerksamkeit, wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet?"
Während die anderen ihr noch verblüfft hinterher starrten, stürmte Leutnant Lanfear aus dem Raum und rief Kolumbini zu: "In meinem Büro. In 5 Minuten!"
Dann verschwand sie um die nächste Ecke.
Kolumbini schaute ihr hinterher und schüttelte den Kopf.
"Immer diese Hektik!"
***Fünf Minuten später stand der Hauptgefreite im Büro der Abteilungsleiterin und hielt die Berichte, die er von SUSI erhalten hatte, fest in der Hand.
"Also, raus mit der Sprache, was haben du, Igor und Stump herausgefunden?"
"Die Splitter, die wir von Ihnen erhalten haben, Mäm, stammen eindeutig aus einem Vampirgebiss."
"Was?"
"Ein Vampirgebiss. Stump und Igor sind gerade dabei, jeden
Vampirzahnarzt und alle anderen Doktoren, die so etwas auch schaffen könnten, abzuklappern. Ich dachte mir, dass sie das vielleicht in Auftrag geben würden, wenn sie das Ergebnis hören würden."
"Gut mitgedacht, Hautgefreiter. Und das Stückchen Stoff?"
"Stammt eindeutig von einer Unform der Wache. Näher können es die Laborexperten von SUSI leider nicht eingrenzen. Aber es ist definitiv echt."
"Ist in Ordnung, danke trotzdem. Geh jetzt am besten Stump und Igor helfen."
"Werd ich machen, Mäm!"
Kolumbini salutierte kurz und verließ dann den Raum. Rina war gerade aufgestanden, um einen neuen Zettel an ihre Pinnwand zu heften, als es erneut klopfte.
"Ja?"
Tricia steckte vorsichtig den Kopf zur Tür herein.
"Wir haben dir ein paar Informationen mitgebracht. Darf ich hereinkommen?"
"Tu dir keinen Zwang an, ich bin sowieso beim Informationen sammeln. Was habt ihr herausgefunden?"
"Nun ja, wir haben die näheren Nachbarn befragt und haben herausgefunden, dass Herrn Jenensis Tochter Dora entführt worden ist."
"WAS? Warum hat das keiner gemeldet?"
"Nun, scheinbar hatte Herr Jenensis ziemlich Angst davor, dass seiner geliebten Dora etwas passieren würde, wenn er das täte. Er hat sich seiner Nachbarin, einer gewissen Lillian Blumenschneider anvertraut. Wir haben uns ausführlich mit Frau Blumenschneider unterhalten und festgestellt, dass Antonius ein sehr netter Mann ist, der sich rührend um seine Tochter kümmert, seit vor einigen Jahren seine Frau gestorben ist. Sie war übrigens selbst Assassine und verstarb ziemlich plötzlich. Genaueres wusste die gute Frau leider nicht.."
"Da schau einer an... "
"Ja, das haben wir uns auch gedacht. Weiters dürfte Antonius regelmäßig Kontakt mit einem Konsul aus Lancre haben, einem gewissen Frederick Krumenkenner. Frau Blumenschneider hat erzählt, dass Frederick alle zwei Wochen einmal abends vorbeikam und mit Antonius zu Abend gegessen hat. Sie meint, sie mag den Mann nicht, er riecht so seltsam."
"Er riecht seltsam?"
"Ja, frag mich nicht, sie konnte es nicht beschrieben."
"Ah ja, tut mir einen Gefallen und befragt mal diesen Herrn Krumenkenner. Vielleicht weiß der ja, wo Jenensis steckt."
"Geht klar, Chefin.", Tricia zwinkerte und verließ das Büro, wobei sie fast mit Romulus zusammenstieß.
"Hoppla, wenn du zu Rina willst, die ist grade da drin."
Romulus nickte nur und schlängelte sich vorbei an Tricia ins Zimmer.
Rina, die gerade erneut versucht hatte, ihre gesammelten Informationen aufzuhängen, ließ den Zettel sinken und blickte den Werwolf an.
"Was gibt es?"
"Mäm..", keuchend kam Romulus wieder zu Atem.
"Mefarina hat mich hergeschickt. Wir haben gerade ermitteln können, dass tatsächlich ein Wächter gestern in der Nähe der Assassinengilde gesehen wurde. Er soll groß gewesen sein, blonde Haare gehabt haben und ist den Auskünften zufolge über die Mauer der Assassinengilde geklettert."
"Hat ihn jemand wieder herauskommen sehen?"
"Nein, zumindest ist es keinem aufgefallen, aber gestern Nacht war es ziemlich bewölkt, da kann er die Gilde durchaus wieder unentdeckt verlassen haben."
"Tja, Pech für uns. Wenn ihr nichts mehr herausbekommen könnt, seht mal zu, ob ihr nicht Thymian, Dragor und.."
Es klopfte erneut.
"Hier geht es ja zu wie in einem Taubenschlag. Ja bitte?", Rina seufzte
Dragor steckte vorsichtig den Kopf durch den schmalen Türspalt und murmelte: "Wir haben Ergebnisse, Mäm!"
"Komm rein und erzähl mir, was du herausgefunden hast. Romulus, bleib bitte hier und hör zu."
Der Werwolf nickte und stellte sich bequemer hin.
"Wir haben uns sämtliche ungelöste Mordfälle der vergangenen Nacht angesehen, das waren übrigens gute zwanzig Stück und haben zumindest einen gefunden, der interessant sein könnte. Die Leiche ist männlich und ziemlich schwer verbrannt, aber sie hat die richtige Größe und war stämmig. Ist zwar nicht viel, aber vielleicht ist es der Gesuchte. Der Tote wurde in Hafennähe gefunden worden."
"Haben unsere Gerichtsmediziner auch die Todesursache feststellen können? Ist er an den Verbrennungen gestorben?"
"Naja, viel war von dem armen Kerl nicht mehr über, aber sie tippen auf einen Genickbruch. Die Leiche ist sicher erst nachher angezündet worden."
"Hm.. das heißt wohl, dass wir zumindest den Kassenwart aufgespürt haben. Aber wo ist das Geld?"
"Geld, Mäm?", Dragor runzelte die Stirn.
"Ähm, nicht so wichtig, Drag. Ich kann es dir nicht erklären, so leid es mir tut. Versucht noch ein wenig mehr über die Leiche herauszufinden, wenn das überhaupt noch möglich ist, ich muss jetzt einmal in Ruhe nachdenken."
Abwesend drehte sich Rina um und starrte auf ihre Pinnwand. Während die beiden Wächter das Zimmer verließen, schrieb sie ein paar weitere kleine Zettel und befestigte diese neben den ersten.
Verschwinden des Kassenwarts - TOT? - Entführung der Tochter - Wächter/Webel/blond und groß - Geld - Vampir/abgebrochener Zahn - Frederick Krumenkenner/riecht seltsam/Freund/ Konsul/Lancre - Frau Assassine - Dann trat sie einen Schritt zurück und starrte auf die Zetteln. Irgendwie ergab das alles keinen Sinn. Gerade als sie die Stirn runzelte, klopfte es erneut.
"Nein, was gibt’s denn jetzt?"
"Sag mal, begrüßt du jeden, der in dein Büro kommt, derart?", die Tür wurde aufgestoßen und Oberleutnant Venezia Knurblich spazierte herein.
"Oh, entschuldige Veni, ich bin ein bisschen.."
"Gestresst, man merkt es. Ich komme eigentlich nur vorbei, um dir mitzuteilen, dass wir vermutlich wissen, woher dein "Wächter" seine Uniform hat."
"Wirklich?"
"ja, wir haben Zaddams Spind mal etwas näher untersucht und sind draufgekommen, dass er ziemlich professionell aufgebrochen wurde. Wer immer das war, es war auf jeden Fall kein
Gelegenheitsdieb."
"Ihr wisst nicht zufällig, wer das war und warum er sich grade Zaddams ausgesucht hat?"
"Nein, keine Ahnung, vielleicht ein Zufallstreffer. Vielleicht hat da aber auch einer ganz genau gewusst, wonach er suchen muss."
"Tja, wer weiß das schon. Derzeit komm ich irgendwie auf keinen grünen Zweig, es will alles nicht zusammenpassen. Warum entführt jemand die Tochter des Kassenwartes, nur um ihn nachher umzubringen?"
"Vielleicht hat der Kassenwart plötzlich nicht mehr mitgespielt? Entführungsgeschichten sind meist kompliziert.", Venezia zog aus ihrer Jackentasche ein Würstchen und biss herzhaft hinein.
"Ja, aber wo ist dann das Geld? Das Mädchen? Irgendwie stimmt hier was nicht."
"Bist du sicher, dass du dir das nicht einbildest? Du stehst derzeit ziemlich unter Stress.."
"Ich weiß nicht, mir sagt einfach mein Gefühl, dass die Geschichte komplizierter ist."
"Naja, musst du wissen, ich sollte jetzt wieder an meine Arbeit."
Die Gnomin ließ Rina wieder allein mit ihrer Pinnwand und spazierte aus dem Büro.
****KLOPF*
"Nicht schon wieder..", Rina massierte sich die schmerzenden Schläfen. Ihr wurde gerade bewusst, warum sie es liebte, selbst zu ermitteln. Da war sie die einzige, die in ihrem Büro ein- und ausging.
"Wer will jetzt wieder was?"
"Ich, Mäm", Stump steckte den Kopf zur Tür herein.
"Kolumbini und ich ermitteln doch in dieser Zahnarztsache und naja, wir haben scheinbar einen handfesten Hinweis. Gestern Nacht ist ein Vampir in die Praxis von Doktor Beissfest gekommen. Er klagte über einen ausgesplitterten Backenzahn, der durch den Biss auf ein Stück Metall entstanden ist."
"Perfekt, wie heißt der besagte Vampir?"
"Boguan Nantervas."
"Ein seltsamer Name. Habt ihr auch eine Adresse bekommen?"
"Ja, Allgutstrasse 3."
"Allgutstrasse? Wo liegt die denn?", Rina runzelte die Stirn.
"Das hab ich mir erklären lassen, Mäm . Die Allgutstrasse ist eine kleine Seitengasse, die sich hinter der ephebianischen Botschaft und dem Konsulat von Lancre befindet"
"Das Konsulat von Lancre?", hinter Rinas Stirn begannen ein paar Alarmglocken zu schrillen.
"Erstaunlich. Ich schlage vor, wir gehen zusammen dorthin und nehmen uns diesen Vampir mal vor. Kannst du Romulus und Mefarina suchen? Ich wäre mir sicherer, wenn ich zwei Werwölfe an meiner Seite hätte, die mit einem eventuell durchdrehenden Vampir fertig werden können. Theoretisch müssten die bei SUSI in der Leichenhalle zu finden sein."
"Gut, ich kümmer mich drum. Sobald ich sie gefunden habe, werde ich draußen warten. Ist das in Ordnung?"
"Ja, macht das. Ich komm dann gleich nach.", seufzend drehte sich die Wächterin um, starrte ihre Pinnwand nochmals an und warf dann einen gequälten Blick aus dem Fenster. Es schien noch immer zu nieseln, aber was tat man nicht alles, um ein bisschen Ruhe zu haben? Vor sich hingrummelnd ging Rina zu ihrem Kleiderschrank, zog den dunklen Regenmantel heraus und schlüpfte hinein. Die paar Stunden, die sie in der Wache verbracht hatte, hatten gereicht, um ihn trocknen zu lassen, aber sie fürchtete, dass das nicht lange so bleiben würde. Mit einem letzten Blick auf ihre Notiztafel verließ die Wächterin den Raum.
***Feiner Nieselregen durchnässte alles und jeden, der sich bei diesem Wetter nach draußen begab. Noch dazu herrschte ein diffuses Zwielicht, dass auch nicht gerade dazu beitrug, die Stimmung zu erhöhen. Leutnant Irina Lanfear stand vor dem Wachhaus am Pseudopolisplatz und zitterte unmerklich. Es war kalt, nass, ziemlich dunkel und sie hatte äußerst schlechte Laune. Gerade malte sie sich aus, was sie wohl mit ihren Mitarbeitern machen würde, wenn diese nicht sofort kämen, als die Wachhaustür hinter ihr aufgestoßen wurde.
"Verzeihung Mäm, hat ein wenig gedauert, bis ich sie gefunden hatte..", Stump salutierte halbherzig und deutete dann auf Romulus und Mefarina, die hinter ihm standen.
"Macht nichts, lasst uns losgehen. Es ist eindeutig zu nass, um lange Debatten zu führen.", mit langen ausgreifenden Schritten ging Rina los, sodass die anderen drei Mühe hatten, aufzuholen.
"Um was geht es eigentlich, Mäm? Stump hat gemeint, sie brauchen meine und Mefarinas Hilfe?"
"Ja, wir haben vielleicht Probleme mit einem Vampir und da ist es mir lieber, wenn ich zwei Werwölfe mithabe."
"Äh ja..", Romulus sah zu seine Kollegin hinüber und zuckte hilflos mit den Achseln. Wo waren sie da nur hineingeraten?
***Schneller als erwartet fanden die vier Wächter die Allgutstrasse. Wie Stump treffend beschrieben hatte, war die Strasse wirklich sehr klein. Um genau zu sein, war sie so klein, dass sie nur aus 4 Häusern auf beiden Straßenseiten bestand.
"Hm, Allgutstrasse 2, Allgutstrasse 3! Hier ist es Mäm!", Stump deutete aufgeregt auf ein kleines, schiefes Häuschen, an dem eine 3 angebracht war.
"Gut gemacht, dann lasst uns mal schauen, ob wer zuhause ist.", mit schnellen Schritten ging Rina die drei Treppenstufen zur Haustüre hinauf und klopfte schwungvoll an die Tür. Sie war nicht wenig erstaunt, als das Holz unter ihrer Hand plötzlich nachgab und die Tür leise nach innen aufschwang.
"Äh.. Hallo? Stadtwache??", vorsichtig blickte Rina in das Dunkel, dass sie hinter der Türe erwartete.
"HALLOOO? Hm, scheint keiner da zu sein. Romulus, geh bitte vor."
"Wieso denn ich?"
"Weil ich leider nicht über eine ausgezeichnete Sicht im Dunkel verfüge und deine Augen zumindest ein wenig besser sind als meine? Außerdem stirbst du nicht so schnell wie ich."
"Und wenn da drinnen jemand mit Silber wartet?"
"Dann wirfst du dich auf den Boden du ich kümmere mich um ihn."
"Äh, klingt nach keinem guten Plan.."
"Verdammt jetzt geh endlich vor. Wenn wir hier noch lange herumstehen, wird es auch nicht wirklich besser.", wütend stupste die Abteilungsleiterin den Werwolf vorsichtig an, worauf dieser ein paar unmotivierte Schritte in das Haus hinein machte.
"Siehst du was?", Stump beugte sich vor, um mehr mitzubekommen.
"Nein, hier ist es stockdunkel. AUA. Irgendwer dürfte die Vorhänge zugezogen haben.. Moment."
Ein Geräusch ertönte, dass mit etwas gutem Willen eventuell als ein Zurückziehen der Vorhänge interpretiert werden konnte.
"So, naja, zumindest etwas be... Äh, kommt mal schnell und schaut euch das an.."
"Was denn?", mit ausgreifenden Schritten stürmte Rina in den Raum und blieb dann abrupt stehen.
"Ohh..", es dauerte einen Moment, bis sich die Augen der Wächterin an das trübe Zwielicht gewöhnt hatten, doch sie hatte schon vorher erraten, auf was sie gerade stand.
Als sie einen Schritt zurücktrat, sah sie am Boden eine Wächteruniform liegen, die ein ziemliches Loch in der Herzgegend aufwies. Um die Uniform herum war eine wenig Asche verstreut, aber es sah nicht so aus, als würde vor ihr ein ganzer Vampir liegen.
"Ich, was stinkt denn hier so?", Mefarina war in den Raum getreten und verzog empört die Nase.
"Was denn, ich riech nichts.", Rina sah sich verwirrt um, während die Werwölfin weiterschnüffelte.
"Ja, du hast recht, jetzt riech ich’s auch.", Romulus hob nun ebenfalls die Nase. Beide Werwölfe suchten das Zimmer gründlich ab, bis Mefarina plötzlich einen Freudenschrei ausstieß und ein kleines Stückchen Käse hochhielt.
"Ha, ich habs. Puh, das stinkt."
"Was hast du denn gefunden?", Rina, die gerade eben die Vampirasche untersucht hatte, erhob sich mühsam und ging zu der Werwölfin.
"Käse. Riecht einfach nur schrecklich. Ich versteh nicht, wie jemand freiwillig so etwas essen kann."
"Wie kommst du denn darauf?"
"Hier sind Zahnspuren drauf, Mäm!"
"WAS?"
"Sie hat gesagt..", Stump, der auch etwas zu der Unterhaltung beitragen wollte, suchte nach Worten.
"Ich weiß, was sie gesagt hat. Einer von euch bringt das Ding hier zu SUSI. Vielleicht können die ja was damit anfangen. Ich kenn mich nicht so mit den modernen Spurensicherungsmethoden aus, aber irgendwas wird man schon feststellen können."
"Ok, ich übernehme das.", Mefarina steckte den Käse ein und wandte sich zum Gehen.
"Moment! Falls du uns suchst, wir sind im Konsulat gleich um die Ecke!"
Mefarina nickte ihrer Abteilungsleiterin zu, um zu bestätigen, dass sie verstanden hatte und verschwand dann hinaus in den Regen.
"Welches Konsulat denn, Mäm?", Stump starrte Rina verwirrt an.
"Na das von Lancre. Ich hab so das Gefühl, dass wir dort auf ein paar Antworten stoßen werden."
"Ist das noch immer etwas geheimes, dass sie uns nicht mitteilen dürfen?"
"Mal sehen, folgt mir einfach und wir finden es heraus."
Mit neuem Elan schritt Rina durch de Tür in den noch immer anhaltenden Regen hinaus. Sie hatte das Gefühl, dass der Fall mit rasender Geschwindigkeit auf eine Lösung zustrebte.
Knappe zwei Minuten später hatte sich besagter Elan ziemlich verflüchtigt und war einer unbändigen Wut gewichen, als die Wächterin patschnass im stärker gewordenen Regen stand und mit dem Pförtner des Konsulats stritt.
"MEIN NAME IST LANFEAR! LEUTNANT LANFEAR! ICH WÜNSCHE SOFORT HERRN KRUMENKENNER ZU SEHEN!"
"Tut mir leid, Frau Leutnant, aber es sind schon zwei Wächter bei ihm und er hat mich deutlich darauf hingewiesen, dass er nicht gestört werden will."
"DAS SIND MEINE LEUTE, SIE SCHWACHKOPF!"
"Können sie das bitte beweisen? Ansonsten würde ich ihnen raten, nach Hause zu gehen und ihren Kopf in einen Eimer voller kaltem Wasser zu stecken."
"ICH BIN BEREITS NASS UND JETZT LASSEN SIE MICH ENDLICH HINEIN!"
"Es tut mir leid, aber das hier ist Lancre'scher Boden. Und Herr Krumenkenner..."
"Mäm? Vielleicht wäre es besser, wenn sie nicht so schreien..", Stump versuchte vorsichtig, Rinas Wut zu bremsen.
"ICH SCHREIE, WENN ES MIR PASST UND ICH HABE EIN RECHT DARAUF, HERRN KRUMENKENNER ZU SPRECHEN, SONST..."
"Was sonst? Wie gesagt, wir unterstehen hier nicht den Gesetzen von Ankh-Morpork sondern denen von Lancre. Und da sie sich nicht als lancre'sche Wächter ausweisen können, da es keine Wächter bei uns gibt.."
In diesem Moment wurde glücklicherweise die Tür des Konsulates geöffnet und Tricia McMillan trat in Begleitung von Pyronekdan und Tunnelblick ins Freie.
"Hallo Rina, was tust du denn hier?", rief sie ihrer Abteilungsleiterin entgegen.
"Versuchen, hier hineinzukommen. Aber dieser sture Kerl will mir die Türe nicht öffnen.", die Abteilungsleiterin schäumte fast vor Wut.
"Ging uns genauso, aber Tunnelblick hat das Problem für uns auf seine ganz spezielle Art und Weise gelöst. Nach 10 Minuten Diskussion wusste der Pförtner nicht mehr, mit welcher seiner unzähligen Persönlichkeiten er gerade redet und kapitulierte."
"Sie gehören also zusammen?", mischte sich in diesem Moment der Pförtner in das Gespräch ein.
"DAS SAG ICH DOCH SCHON DIE GANZE ZEIT SIE DUMMKOPF!", Rinas Kopf lief fast sofort wieder hochrot an.
"Das hätten sie doch gleich sagen können..", missbilligend schüttelte der Pförtner den Kopf und öffnete das Tor.
Stump zupfte seine Abteilungsleiterin leicht am Ärmel, flüsterte: "Nur die Ruhe" und schob sie schnell hinein, bevor sie sich noch mehr in Rage reden konnte.
Tricia, die noch immer verwirrt in der Tür stand, fragte erneut: "Warum seit ihr eigentlich hier? Ich dachte, WIR sollten Herrn Krumenkenner verhören."
Hinter der Wächterin erklang wütendes Gebell und ein großer langbeiniger Hund stürzte ins Freie.
"Oh nein, jetzt haben sie auch noch Herrn Krumenkenners
Windspiel hinausgelassen. Sehen sie zu, dass sie hineinkommen!", wütend wedelte der Pförtner mit den Händen und rannte dem Hund hinterher.
"Windspiel?", echoten Rina, Romulus und Stump ziemlich fassungslos.
"Ja, ein großer Rennhund, der in Lancre sehr beliebt ist. Aber kommt besser schnell rein, bevor wir endgültig her rausfliegen.", Tricia sah sich schnell um und trat dann wieder zurück ins Konsulat.
Rina, sowie ihre beiden Begleiter folgten dem Leutnant ins Innere des Hauses und starrten sekundenlang fassungslos die Pracht an, die sich ihnen darbot.
"Ich wusste gar nicht, dass ein Konsul so gut verdient..", Stump hatte als erstes die Sprache wiedergefunden und betrachtete erstaunt die dicken, flauschigen Teppiche, die überall ausgelegt waren.
"Laut unseren Informationen gibt sich Lancre Mühe, seinen hiesigen Vertreter mit möglichst viel Stil hier residieren zu lassen", Pyronekdan, der bis jetzt stumm danebengestanden hatte, meldete sich zu Wort.
"Und wo finde ich den Botschafter?", Rina hatte sich von dem Schock, den ihr der Anblick versetzt hatte, erholt und sah sich suchend um
"Da kommt er schon.", Tunnelblick deute auf eine reichlich verzierte Tür, die eben aufschwang. Ein Mann mittleren Alters, der ein wenig wohlbeleibter war, trat heraus und eilte ihnen entgegen.
"Leutnant McMillan, ich dachte, sie wollten eben gehen.."
"Wollte ich an sich auch. Darf ich vorstellen, das ist meine Chefin, Leutnant Irina Lanfear." Tricia deutete auf Rina und hüstelte leicht.
Rina trat vor, zauberte ein charmantes Lächeln auf ihr Gesicht und erklärte: "Es dauert nur ganz kurz, Herr Krumenkenner. Könnten wir uns vielleicht in ihrem Büro unterhalten?"
In Gedanken notierte die Wächterin den strengen Geruch, der von dem Mann ausging. Romulus rümpfte leicht die Nase und flüsterte Stump etwas ins Ohr, der daraufhin nickte.
"Wenn es denn unbedingt sein muss. Ich verstehe aber nicht, wie ich ihnen noch weiterhelfen kann, Leutnant McMillan war mit ihrer Befragung sehr gründlich. Der arme Antonius... Haben sie schon herausgefunden, wo er steckt?"
"Nein, leider noch nicht. Wenn wir dann bitte.."
"Achja, mein Büro, wie dumm von mir. Wenn sie mir bitte folgen wollen..", der Konsul drehte sich auf dem Absatz um und schritt hocherhobenen Hauptes auf die Tür zu, aus der er vorhin gekommen war.
Rina gab ihren Kollegen einen unauffälligen Wink, dass sie warten sollten und schritt dann langsam hinter dem Mann her.
Als sie das Büro betrat, musste sie kurz die Luft anhalten, so derartig stank es dort. Es roch, als hätte jemand eine Woche lang vergessen, seine Socken zu wechseln. Ein kurzer Blick in die Runde zeigte der Wächterin außer einem Schreibtisch ein paar Gemälde, wohinter sich garantiert mindestens ein Safe befand, eine große Bücherwand, eine Schale voller kleiner, gelbliche Käsestücke, sowie ein seltsames Gebilde, dass in der Mitte des Zimmers von der Decke baumelte.
"Her Krumenkenner? Darf ich ihnen eine Frage stellen?", stirnrunzelnd betrachtete Rina weiterhin dieses seltsame Etwas.
"Selbstverständlich, Leutnant Lanfear. Ich nehme doch an, deswegen sind sie hier.."
"Was ist dieses Fing dort?", die Wächterin zeigte auf die Konstruktion aus Stäben, Fäden und Käsestückchen, die mitten im Zimmer hing.
"Das ist das absolut einzigartige und unbezahlbare Käse Perpetuum Mobile, eine Erfindung des berühmten A.B. Johnson. Leider funktioniert es nicht, aber wie ich gehört habe, sollen einige seiner Erfindungen nicht so wirklich funktionieren...", Besitzerstolz strahlte aus Herrn Krumenkenners Gesicht.
"Äh ja, ein
Käsemobile also.."
"Nicht ganz, ein Käse Perpetuum Mobile. Das ist eine..."
"Äh, um auf meine Fragen zurückzukommen, Herr Krumenkenner..", Rina unterbrach den Redefluss des Konsuls und zog ihren Notizblock aus der Tasche.
"Sicher, die Fragen. Möchten sie ein Stück Käse?", der Mann hob die Schale, die auf seinem Schreibtisch stand, hoch und hielt sie der Abteilungsleiterin vor die Nase.
Im ersten Moment musste sich die Wächterin beherrschen, um nicht grün anzulaufen, doch dann überwand sie sich und nahm mit spitzen Fingern ein Stück Käse.
"Interessant. Ihr Käse sieht nicht so aus wie die normalen Käsesorten, die ich gewöhnt bin."
Nein, es ist ein sehr seltener und extrem teurer Käse, den ich mir aus den Spitzhornbergen kommen lasse. Wissen sie, ich bin ein Gurmeeh!"
"Soso..", einen Moment betrachtete Rina den Mann abschätzend und beschloss dann, einen Schuss ins Blaue abzugeben.
"Ich wollte fragen, wie ihr Verhältnis zu dem inzwischen wohl leider verstorbenen Boguan Nantervas war."
Die Gesichtszüge des Konsuls entgleisten kurz, doch innerhalb von ein paar Augenblicken hatte er sich wieder im Griff.
"Es tut mir leid, Madam, aber diesen Mann kenne ich überhaupt nicht."
"Tja, dann fragt sich, wie ein Stückchen ihrer Lieblingskäses an den Tatort gekommen ist und wenn ich mich nicht sehr täusche, werden wir ihre Zahnabdrücke darauf sicherstellen können.", selbstzufrieden lehnte sich Rina zurück.
"WASS? SIE WAGEN ES? DAS IST EINE UNTERSTELLUNG! ICH HABE NIEMANDEN UMGEBRACHT!", mit hochrote Kopf sprang der Konsul auf und stürzte auf die Wächterin zu.
In diesem Augenblick ging jedoch die Türe auf und Romulus, Tunnelblick und Stump sprangen fast gleichzeitig herein, um den Mann aufzuhalten. Innerhalb weniger als einer Sekunde hatten sie Herrn Krumenkenner zu Boden gerissen. Stump setze sich auf ihn und sah seine Abteilungsleiterin beifallheischend an.
Diese stellte sich vor den am Boden liegenden Mann und erklärte: "Ich verhafte sie im Namen der Stadtwache Ankh-Morporks wegen des Mordes an Antonius Jenensis und des Mordes an Boguan Nantervas. Alles was sie von jetzt an sagen, kann gegen sie verwendet werden."
"Aber ich wars doch nicht!", stöhnend versuchte sich der Konsul aufzurichten, schaffte es aber nicht.
"Wenn sie uns sagen, wo das Geld ist, haben sie vielleicht Glück und kommen mit dem Leben davon.", die Abteilungsleiterin sah Herrn Krumenkenner streng an und zog eine Augenbraue hoch.
"Ich wars nicht. Ehrlich. Ich hab keine Ahnung, wovon sie reden.."
"Nicht? Hm, wo würde ich Geld verstecken.. vielleicht im Safe?"
Rina unterzog das Zimmer einer kurzen Musterung und nahm dann eines der Bilder von der Wand. Dahinter erschien eine kleine Metallplatte mit einem Zahlenrad.
"Verraten sie uns die Kombination, Herr Krumenkenner?"
"Fahren sie zum Teufel, das hier ist Lancre'scher Boden und sie können mich nicht verhaften!"
"Kann ich nicht? Nunja, ich kann der Assassinengilde verraten, WER ihr Geld gestohlen hat. Ich bin mir sicher, die kümmern sich sehr wenig darum, auf welchem Boden sie inhumieren."
"Sie.. sie sind Wächterin, das können sie nicht tun."
"Oh doch, das kann ich sehr wohl. Wie ist die Kombination?"
"1-5-4-6-2", presste der Konsul zwischen seinen Zähnen hervor.
Rina drehte an dem Zahlenrad und öffnete anschließend den Safe. Sie sah sich kurz die Unterlagen an und stieß dann einen leisen Pfiff aus, als sie ein Kuvert voller Wechselscheine fand.
"Ich nehme stark an, dass das natürlich nicht ihre Wechsel sind, oder?", dekorativ wedelte sie damit vor der Nase des am Boden liegenden Mannes herum.
"Nein, ich hab sie noch nie gesehen."
"Sie haben zwei Möglichkeiten, Herr Krumenkenner. Entweder sie bleiben hier und berufen sich auf ihre Immunität, was sie allerdings über kurz oder lang auf die Liste der Assassinen bringt, oder sie gestehen freiwillig, dann verhaften wir sie und ich sorge dafür, dass sie mit dem Leben davonkommen."
"Man hat mich reingelegt!"
"Entscheiden sie sich..", Rina verdrehte die Augen. Warum konnte der Kerl nicht endlich gestehen?
"Ok, ok, ich wars. Ich hab die beiden umgebracht.."
"Und das Mädchen?"
"Ist auch tot! Ich habe ihre Leiche im Ankh versenkt. Nur bitte, bitte nicht an die Assassinen ausliefern!"
"Das lässt sich arrangieren. Jungs? Verhaftet ihn!"
Stump, Romulus und Tunnelblick zogen den Mann auf die Beine und schleiften ihn hinaus. Tricia, die irgendwann zwischendurch in den Raum gekommen war, meinte: "Gratuliere. Fall gelöst und das wohl auch noch in Rekordzeit."
Rina grinste.
"Ja, aber jetzt bin ich hundemüde. Sei doch mal so lieb und bring statt mir den Umschlag in die Assassinengilde. Die sollen sehen, dass es nicht nur einen vertrauenswürdigen Wächter gibt."
"Geht klar, Chef. Was machst du?"
"Ich geh in mein Büro und halte ein Nickerchen. Der Tag war stressig genug."
Müde verließ Rina den Raum und machte sich auf den langen Heimweg zum Pseudopolisplatz.
***Eine gute Stunde später, Rina hatte es sich inzwischen in ihrem Bürostuhl gemütlich gemacht und war eben eingenickt, ging die Tür auf und Tricia betrat leise den Raum. Auf Zehenspitzen schlich der Leutnant zum Schreibtisch, legte einen dicht beschrieben Bogen Papier auf den Aktenstapel, der sich darauf türmte und verließ dann den Raum wieder. Ein leises Schnarchen begleitete sie auf dem Weg nach draußen.
Liebe Rina!
Unser Verdächtiger weigert sich noch immer, die nähere Umstände zu dem Tod von Antonius Jenensis und seiner Tochter preiszugeben. Wir wissen inzwischen sicher, dass Antonius Jenensis ebenfalls aus den Spitzhornbergen stammte und wie ich dir schon erzählt habe, sehr gut mit Herrn Krumenkenner befreundet war. Vermutlich ist unserem Verdächtigen irgendwann die Idee gekommen, dass man aus dieser Freundschaft durchaus Kapital schlagen kann. Der Tote Boguan Nantervas war Bodyguard im Konsulat und wird wohl auf diesem Wege in die Sache reingerutscht sein. Mit ein wenig Phantasie konnten wir rekonstruieren, dass Boguan als Wächter verkleidet in der Assassinengilde aufgetaucht ist, um Geld für die Freilassung von Jenensis Tochter zu fordern, dieser sich jedoch gewehrt hat und dem Vampir im Kampf ein Stückchen Zahn ausschlug. Warum er jedoch als Wächter verkleidet dort aufkreuzte, verstehen wir nicht ganz. Außerdem ist noch unklar, ob Antonius Jenensis in der Gilde starb oder außerhalb und wie der doch sehr unsportliche Herr Krumenkenner es geschafft hat, den Vampir und vielleicht auch noch den Assassinen umzubringen. Er schweigt zu dem Thema ziemlich beharrlich. Ich soll dir auf jeden Fall ein Lob von Herrn Witwenmacher ausrichten, er meinte, schneller hätten seine Leute die Sache auch nicht aufklären können, obwohl du vermutlich eine Menge Glück gehabt hast.
Schlaf schön weiter, wir klären dann morgen die weiteren Einzelheiten des Falles.
Liebe grüsse
TriciaENDE
[1] Ihren Lieblingsschneider
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