Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche, sie ist Kühnheit und Erfindung (Eugène Ionesco)
Dafür vergebene Note: 11
*Willkommenssequenz*
Hellgrau angestrichene Wände säumen den mit schwarzen, blank-geputzten Fliesen ausgelegten Flur. Der Geruch nach Medikamenten und Putzmitteln liegt in der Luft. Am Ende des Ganges befindet sich eine schlichte Holztür. Sie steht offen und wir werfen einen Blick hinein. Wir sehen einen Empfangstisch aus schwarzem Stein, dahinter zwei große Fenster, dessen Aussicht jedoch durch samtene, wiederum schwarze Vorhänge verhängt ist. Hinter dem Tresen, geschützt vor den ersten, rasch überfliegenden Blicken, stapeln sich fein säuberlich Ringbuchordner. Auf jedem in klammer Schönschrift ein Name notiert und einige Ecken weißen Papiers herausragend. In einem Regal ein rundes Glas, das bis zum Rand mit allerlei kleinen, billigen Spielzeugen gefüllt ist. Ein Eimer steht in einer Ecke des Raumes. Ein Putzlappen hängt über den Rand, von dem sich in unregelmäßigen Sekundenabständen lautlos ein Wassertropfen trennt und sich auf den Kacheln zu einer kleinen Pfütze sammelt. An einer Wand hängt ein gerahmtes Bild, das ein unförmiges Gebiss zeigt. Die Eckzähne scheinen unnatürlich verlängert. Darunter ein runder, kleiner Tisch, auf dem ein Stapel abgegriffener Fachzeitschriften liegt. Obenauf eine zerfledderte Ausgabe der "Zahngesundheit heute". Ein Summen erklingt und erfährt einen leisen Nachhall. Wir folgen dem Geräusch und gelangen zu einer weiteren Tür. Sie steht einen Spalt breit offen. Langsam nähern wir uns der Öffnung und erblicken einen übergewichtigen Mann mit langem schwarzem, rotgefüttertem Mantel. Ebenso schwarze Haare fallen strähnig bis auf den Rücken, der uns zugewandt ist. Die Gestalt verstaut einige silbern-glänzende Gerätschaften in Schubladen. In der Mitte des Zimmers befindet sich eine Liege mit metallic-schwarzem Überzug und einer überhängenden Konstruktion, in der eine blutrote Kerze steckt. An der Decke baumelt ein kindliches Mobile, das Käsewürfel und Mäuse zeigt. Der Mann lässt sein gesummtes Liedchen verstummen und schiebt mit einem zufrie!
denen Seufzer die Schublade zu. Stolz streicht er über die glänzenden Kommoden aus nachgebildetem Ebenholz. Er dreht sich um und zeigt sein großporiges Gesicht. Hinter ihm an der Wand hängt eine Ikonographie, auf dem er breit lächelt. Auch sein Gebiss ist von überlangen Eckzähnen geprägt. Zwei glitzernde Sternchen auf der Abbildung symbolisieren blitzende Weiße. Der Mann lässt seinen Blick durch das Zimmer schweifen und nickt zustimmend. Er reibt sich die Hände und geht mit geruhsamen Schritten auf uns zu. Wir weichen zurück und sehen, wie die Gestalt an uns vorbei schreitet und die Tür schließt. Der Mann nimmt den Eimer samt Lappen an sich und verstaut ihn in einem Schrank, dessen Türen sich mit durchdringendem Quietschen öffnen. Er streift mit seinen schwarzen Stiefeln die Pfütze und hinterlässt nun nasse Fußabdrücke auf den Fliesen. Der Mann entfernt sich. Die Schritte hallen laut in dem Flur. Wir folgen ihm, doch unsere Schritte sind lautlos. Die Gestalt öffnet die Haustür und tritt hinaus. Wir huschen hinter ihm ins Freie. Neben dem massiven Eingang aus Holz ist ein metallenes Schild angebracht, in dem mit klaren Buchstaben 'Zacharias Nathan Proth-Ese,
Vampirzahnarzt' eingraviert ist. Der Mann will die Tür gerade schließen - das volle, knarrende Geräusch des Zufallens klingt uns schon beinahe in den Ohren - als ein gehetzt wirkender Mann auf ihn zustürmt. Schweißtropfen springen von seiner Stirn auf die Straße. Wie in Zeitlupe hebt er ab zu einem Sprung. Mit voller Wucht stößt er den Zahnarzt zurück und stürzt mit ihm ins Haus. Die Tür fällt zu und endlich kommt der erwartete Klang. Wir stehen auf dem kleinen steinernen Absatz vor der Tür und lauschen den dumpfen Geräuschen dahinter. Doch lasst uns zurückblicken. Drücken wir auf die imaginäre Rückspultaste. Wir sehen Bilder. Vorbeirauschende Szenerien. Bunte Farben, die sich zu den verschiedensten Dingen formieren, um sich kurz darauf wieder in Wirbeln und Kreisen zu verlieren. Unterlegt von leisem Flüstern, abstrakten Tonfolgen und seltsam anmutenden Melodien. Die Abfolge der Bilder wird langsamer. Es wird schwarz. Mit einem leisen Knirschen geht es los...
...
...Mindorah Giandorrrh drückte sich auf einem der lädierten Stühle in der Kantine herum. Mit halbem Ohr lauschte sie den Gesprächen der Wächter, die sich ebenfalls hier eingefunden hatten.
"Und wo genau hast
du jetzt eigentlich deinen
Webel?", erkundigte Daemon sich gerade am Tisch nebenan bei Oberfeldwebel Steingesicht. Ohne eine Antwort abzuwarten, tratschte er beiläufig: "
Ich musste ihn ja schon wieder abgeben, bevor ich ihn überhaupt gefunden hatte..."
"Und das ist der automatische Drehmechanismus", fand ein anderer Gesprächsfetzen den Weg zu Mindys Ohrmuschel. Er stammte aus dem verwesenden Mund Herr Mades, der gerade dabei war, Stump von Schwamp begeistert von seiner neu-entwickelten Armbrust vorzuschwärmen, was allerdings nicht auf großes Verständnis stieß.
Mehr in den eigenen Gedanken treibend, als den Gesprächen um sie herum zuhörend stützte sich Mindorah mit dem Ellbogen auf den Tisch. Ihre schwarzen Haare fielen ihr ins Gesicht und lustlos nippte sie an dem Mineralwasser, das vor ihr auf dem fleckigen Holz stand.
Plötzlich wurde die Tür mit einem Ruck aufgestoßen und ein vornehm gekleideter Mann machte ein paar energische Schritte in den Raum.
"Hier stecken Sie also alle", stellte er aufgebracht fest, "und so ein Haufen soll für die Sicherheit dieser Stadt sorgen, eine Unzumutbarkeit ist das! Meine 'Windhauch' wurde gestohlen und ich muss hier erst das halbe Gebäude absuchen, bis ich die Herren Wächter zu Gesicht bekomme!"
Kaum hatte das Wort 'gestohlen' ihr Bewusstsein erreicht, entspannte sich Mindorah und gab sich wieder ihren Gedanken hin. Diebstahl war nicht ihr Gebiet, so ließ sie es zu, dass sie die Situation nur durch den Schleier ihrer eigenen Tagträume vernahm...
...
...Der untersetzte Herr zupfte währenddessen mit vor Wut zitternden Fingern an seinem geraden Scheitel herum und ließ seine Pupillen über die Gesichter huschen. Schließlich erbarmte sich Cim Bürstenkinn aufzustehen und sich ihm zu nähern. "Setzen Sie sich doch erst mal und berichten Sie in aller Ruhe, was Sie zu uns führt", schlug er in beruhigendem Tonfall vor. Der Besucher wich zurück und warf einen entsetzten Blick auf das Mobiliar der Kantine. "Die 'Windhauch' wurde gestohlen", wiederholte er schnaubend. Stump von Schwamp verdrehte seine blauen Augen. "Wenn Sie so freundlich wären, uns zu informieren, um was es sich dabei handelt?", bat er übertrieben höflich. Verdutzt, als läge ihm nichts ferner als das Bestehen solch einer Unkenntnis, setzte der Mann zu einer Erklärung an: "Die 'Windhauch', ein fein gearbeitetes, mythenumwobenes Windspiel aus Klatsch. Es heißt, dass damals, als..." "Äh.. ja ja, das reicht", versicherte Cim schnell. "Außerdem ist es extrem wertvoll", fügte der Bestohlene hinzu. Der Vektor wechselte einige Blicke mit seinen Mitwächtern. Na bitte, das war es doch, was interessierte! "Wann haben sie den Verlust denn bemerkt?", fragte er weiter. "Na, vorhin erst, ich kam gerade zurück zu meinem Platz und da war es weg", klagte der Mann leidvoll, um gleich darauf bissig fortzufahren: "und Sie sollten sich jetzt endlich aufraffen und es mir wiederbringen!" "Und was genau für ein Platz war das?", schaltete Stump von Schwamp sich wieder ein, nicht weniger genervt als zuvor. Der Fremde stieß einen haltlosen Seufzer aus. "Mein Sitzplatz auf dem zweiwöchentlichen Treffen des Vereins für fremdländische Kunst natürlich. Was glauben Sie denn?" Der Ermittler blieb seine Antwort schuldig. "Also, verstehe ich das richtig, Sie besuchten eine Versammlung dieses Vereins und hatten Ihr Windspiel dabei, um es vorzuzeigen", an dieser Stelle schickte Cim einen kurzen fragenden Blick zu dem Herrn, "verließen dann ihren Platz und fanden Ihren Besitz nicht mehr vor, als sie zurückkamen. Und jetzt wollen Sie, dass wir den Dieb finden", beendete er die Zusammenfassung. "Ja, ja, genau das und zwar schnell", bestätigte der Mann eifrig, untermalt von heftigem Nicken. Seine Hände begannen Gesten des Scheuchens zu formen. "Hopp, hopp", ermahnte er die Wächter. Niemand rührte sich, nur die Verachtung seitens der Angesprochenen wallte dem Bestohlenen entgegen. "Haben Sie irgendeinen Verdacht?", meldete sich Harry zu Wort, der sich auf seinem Tisch erhoben hatte, um seiner Körpergröße etwas nachzuhelfen. "Na, also wenn Sie so fragen, unser Kassenwart, dieser Kaspar, der ist bestimmt wieder in sein Diebesgewissen zurückgefallen", ereiferte der Mann sich, wobei sein Gesicht augenblicklich an Röte zunahm. "Man hört da ja so allerlei aus seiner sündigen Vergangenheit!" Krampfhaft ballte er die Fäuste. "Was erzählt man sich denn?", wollte der Gnom weiterhin gelangweilt wissen. "Der wollte mal in die Diebesgilde", die Augenwinkel des Mannes zuckten aufgeregt, "aber er war wohl nicht gewitzt genug, und so bestand er den Gildeninizjatons...äh...itinani...[1]",gestotterte Worte untermalten sein grüblerisch in Falten gelegtes Gesicht, "äh, das Aufnahmeverfahren nicht. Und dann besaß er die Frechheit", inzwischen hatte der Mann seine Unsicherheit besiegt und mit Verachtung aufgewogen, "ausgerechnet unserem ehrwürdigen Verein beizutreten!" "Aha", kommentierte Harry höchst erregt[2]. Cim schob geräuschvoll den soeben geleerten Teller aus seiner Reichweite und lehnte sch zurück. "Hinterlassen Sie doch Ihre Adresse am Tresen, wir kümmern uns dann drum", brummelte er mit einer abwinkenden Geste. Die Augen des Herrn quollen hervor und die Pupillen weiteten sich entsetzt. "Was?", hauchte er tonlos. Seine Arme baumelten hilflos an den Seiten hinab. "Was erlauben Sie sich?", wetterte er mit wiedergewonnener Fassung. Die Wächter kümmerten sich in keiner Weise um den hochroten Mann und nahmen stattdessen ihre Gespräche wieder auf. Sie schienen ihn gar nicht mehr wahrzunehmen. Jedoch, als der Bestohlene sich schließlich mit deprimiert - irritiertem Ausdruck im langen Gesicht aus der Tür schlich, zeigte sich so manches Grinsen und amüsiertes Zwinkern.
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...die dunklen Schlieren auf dem Tisch verwandelten sich vor ihren halbgesenkten Lidern in schattenhafte Ungeheuer, die zwischen den runden Felsen ehemaliger Kaffeeränder umherwaberten. Schritte erklangen hinter ihr, gefolgt von der ruhigen Stimme Cim Bürstenkinns: "Setzen Sie sich doch erst mal und berichten Sie in aller Ruhe, was Sie zu uns führt." Die Gefreite streckte den Schattenmonstern ihre imaginäre Faust entgegen. "Genau", forderte sie in einem lautlosen Schrei. Eines der fleckigen Wesen wich zurück und schien einen entsetzten Blick auf das ihm angebotene Mobiliar zu werfen. "Die 'Windhauch' wurde gestohlen", wiederholte es schnaubend. "Wenn Sie so freundlich wären, uns zu informieren, um was es sich dabei handelt?", bat Stump von Schwamp wagemutig in übertrieben höflichem Tonfall. Verdutzt, als brächte ihn das Bestehen solch Unkenntnis aus seinem bösartigen Konzept, setzte das Ungeheuer zu einer Erklärung an, während seine Schattenextremitäten wild gestikulierten: "Die 'Windhauch', ein fein gearbeitetes, mythenumwobenes Windspiel aus Klatsch. Es heißt, dass damals, als..." "Äh.. ja ja, das reicht", versicherte Cim schnell, ohne sich über das damit verbundene Risiko im Klaren zu sein, wie sich Mindorah sicher war. "Außerdem ist es extrem wertvoll", fügte das Drecksungetüm hinzu, wobei es sich den Wächtern wieder um einige schwebend zurückgelegte Schritte näherte. Furchtlos setzte der Vektor seine Befragung fort. "Wann haben Sie den Verlust denn bemerkt?" "Na, vorhin erst, ich kam gerade zurück zu meinem Platz und da war es weg", Löcher der Tragik stahlen sich in das Schattenwesen und leise Klagerufe klangen als leidvolle Melodie mit. Doch gleich darauf zeigte das Monster wieder seine blitzenden Zähne, umwabert von schwarzem Rauch. "Und Sie sollten sich jetzt endlich aufraffen und es mir wiederbringen", zischte es drohend. "Und was genau für ein Platz war das?", schaltete Stump von Schwamp sich wieder heldenhaft ein. Dem körperlosen Ungeheuer entwich ein Seufzer, dem die Tiefe des Universums beizuwohnen schien. "Mein Sitzplatz auf dem zweiwöchentlichen Treffen des Vereins für fremdländische Kunst natürlich. Was glauben Sie denn?" Darauf wagte der Ermittler nichts zu antworten. "Also, verstehe ich das richtig, Sie besuchten eine Versammlung dieses Vereins und hatten Ihr Windspiel dabei, um es vorzuzeigen...?", an dieser Stelle hob Cim seine Stimme und ließ dem Wesen die Frage entgegen klingen. "Verließen dann Ihren Platz und fanden Ihren Besitz nicht mehr vor, als sie zurückkamen. Und jetzt wollen Sie, dass wir den Dieb finden", beendete er die gewagte Zusammenfassung. "Ja, ja, genau das und zwar schnell", ließ das immaterielle Ungetüm grimmig verlauten. Seine schattenhaften Ausläufer bewegten sich zu den Wächtern und drohten, sie zu durchwandern. "Hopp, hopp!" Heroisch rührten sich die Angesprochenen nicht vom Fleck. Mit funkelnden Augen sahen sie dem Aufrührer entgegen. "Haben Sie irgendeinen Verdacht?", traute sich Harry zu fragen, der sich in tugendhafter Pose auf einem Felsen streckte. "Na, also wenn Sie so fragen, unser Kassenwart, dieser Kaspar, der ist bestimmt wieder in sein Diebesgewissen zurückgefallen", die Schattenpartikel im 'Gesicht' des Geschöpfes verdichteten sich zu einer tiefen Zornesschwärze. "Man hört da ja so allerlei aus seiner sündigen Vergangenheit!" Die düsteren Extremitäten zogen sich zu schemenhaften Ballungen zusammen. "Was erzählt man sich denn?", wollte Harry weiterhin tapfer wissen. "Der wollte mal in die Diebesgilde", das Schattenwesen wallte in sich durcheinander, "aber er war wohl nicht gewitzt genug, und so bestand er den Gildeninizjatons...äh...itinani...[3]", eine Spur Unsicherheit lichtete den Schatten, "äh, das Aufnahmeverfahren nicht. Und dann besaß er die Frechheit", dunkle Verachtung vertrieb die ausgedünnten Stellen, "ausgerechnet unserem ehrwürdigen Verein beizutreten!" "Aha", erwiderte Harry mit rebellisch gelangweilter Stimme. Cim schob gleichgültig ein Steinchen[4] hin und her, was ein kratzendes Geräusch verursachte, und schlug übermütig vor: "Hinterlassen Sie doch Ihre Adresse am Tresen, wir kümmern uns dann drum." Das irreelle Ungetüm bäumte sich auf. Nebelhafte Schattenschwaden umwirbelten das Wesen. "Was?", brüllte es entsetzt. "Was erlauben Sie sich?" Doch die Wächter schienen eine stumme Einkunft der Ignoranz getroffen zu haben. Die Blicke waren einander zugewandt und genau darauf bedacht, das Monster nicht zu streifen. Leises Gemurmel ertönte. Die schattenhafte Kreatur schrumpfte. Trübe Stellen erhellten sich. Der immaterielle Körper wurde transparenter. Eine leise Klage schwang beim Zurückgang des Geschöpfes mit. Von Desinteresse bezwungen, verpuffte es und löste sich in dünne Schlieren auf... |
...
"Und was ist jetzt noch mal mit deinem Webel?", hakte Daemon bei Steingesicht nach.
Mindorah blinzelte etwas verstört und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Einmal mehr tröstete sie sich mit dem Ausspruch
Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt[5]. Trotzdem gebot sie ihrer Einbildungskraft vorerst Einhalt, indem sie mit Schwung ihr Glas Mineralwasser leerte und ruckartig aufstand. Die Erinnerung an längst vergangene Mittagessen, die sich in Form von unzähligen Flecken und Krümeln auf dem Tisch äußerte, bedachte sie mit einem letzten Blick, bevor sie das kurzweilige Ungeheuer endgültig aus ihrem Kopf verbannte und sich schlurfend auf den Weg in ihr Büro machte.
...
Verschwommen ziehen die Stunden vorbei. Sekunden, Minuten dehnen sich, getränkt von Langeweile, die sich zur Aufgabe gemacht hat, jegliche Phantasie und Idee zu ersticken. Langsam und träge wie eine Schildkröte mit den Ausmaßen Groß-A'Tuins schleicht die Zeit dahin. Zähe Eintönigkeit füllt die Stunden.
Langeweile
Zähe Stunden langsam fließen
Sodass kaum Ideen sprießen
Träge Leere macht sich breit
Kommt einher mit trister Faulheit
Monotones Einerlei
Unendliche Schinderei
Belastung durch endlose Zeit
So scheint es für ewig gefeit
Sind es auch nur ein paar Stunden
Minuten nur, oder Sekunden
Dehnen, strecken, spreizen sich
Gleich lahmer Wellen über dich
Nehmen dich gnadenlos ein
Meinen, unbesiegbar zu sein
Doch in weiter, weiter Ferne
Leuchten der Hoffnung Sterne
Die Phantasie liegt auf der Lauer
Begrenzt der langen Weile Dauer
Aber noch ist sie nicht da
Wartet noch, harrt still und starr...
Vorerst schleicht die Nacht mit ähnlich trägem Tempo über Ankh-Morpork. Die Sonne flüchtet vor der rauen Welt, gleitet langsam hinter dem Horizont hinab. Einige rosa Lichtstreifen hängen noch zwischen der Dunkelheit und wollen den Himmel nicht so recht verlassen. In einer kleinen Gasse ereignet sich eine Szene, die noch wie ein matter Schleier in unserem Gedächtnis hängt. Mitten in der Abenddämmerung stürzt ein Mann in die offene Tür einer Zahnarztpraxis...
...doch dieses Ereignis ist nur eines unter so vielen in Ankh-Morpork, der Scheibenwelt gar. Außer den Betroffenen zollt ihm deshalb niemand Beachtung und das Interesse wird sich wohl in selbigen Grenzen halten. Oder? Lassen wir unseren Blick über die Stadt schweifen, die nun endgültig von Dunkelheit eingehüllt ist, jedoch ist sie gleichwohl von Geräuschen bevölkert. Von Geräuschen, die den Opfern und Tätern von Verbrechen gelten. Von Geräuschen der Nachtwächter, die ihre Streife ablaufen. Von Geräuschen der Wesen, die sich des nachts schlicht wohler fühlen. Von Geräuschen, die sich in den verschiedensten Tönen, Lautstärken, Klängen und Stimmen äußern. Schreie, Klagerufe, Bellen, Flüstern, Drohungen, Jaulen, das Schlagen von Füßen auf Pflastersteine, Gemurmel, Pfeiflaute, Weinen, Wispern, Zischen, Kreischen oder das leise Wimmern, das aus dem Dachfenster eines kleinen Hauses dringt, dessen Schornstein als vage Kontur in den finsteren Nachthimmel ragt...
...
Lothar van Valling wälzte sich unruhig in seinem Bett, was seine Frau nun schon zum unzähligsten Male seufzen ließ.
"Morgen gehst du aber endlich zum Zahnarzt", forderte sie bestimmt, bevor sie sich ein Kissen auf die Ohren presste.
Lothar jammerte kläglich als Antwort und fuhr zum x-ten Mal über den rechten oberen Backenzahn, von dem ein entsetzlicher, pochender Schmerz ausging.
Mit gequältem Blick starrte er aus dem kleinen Dachfenster und schwor im Stillen, sich beim ersten morgendlichen Sonnenstrahl zu überwinden und seiner Frau zu gehorchen.
Und tatsächlich machte sich der Vampir nach Stunden ruhelosem Wälzens schweren Herzens auf den Weg zum Zahnarzt. Im Rhythmus des ab- und anschwellenden Wehleidens setzte er einen Fuß vor den anderen. Seine Gedanken waren einzig von den Schmerzschüben beherrscht.
~~~
Schmerz, pochendes Leid
Hüllt sich in des Zahnes Kleid
Stichelt, schlägt, tost wild umher
Lässt mir keine Ruhe mehr...
~~~
Endlich war er in der Gasse angelangt, dessen Bewohner Heilung versprach. Umständlich nestelte Lothar eine zerknitterte Visitenkarte aus der Hosentasche seines faltigen Anzugs.
"Dr. Za. N. Prothese", murmelte er leise und ging suchend die Straße entlang.
Vor einer großen, dunklen Holztür blieb er stehen. Unsicher sah er sich um, bevor er auf den Treppenabsatz trat und vorsichtig anklopfte. Das Klopfgeräusch verhallte und ließ gnadenlose Stille zurück. Gequält starrte Lothar auf die Holzmaserung der Tür. Der pochende Schmerz lähmte sein Handeln, so dauerte es einige Zeit, bis er erneut seine Hand erhob und an den Eingang schlug. Doch wieder wallte nur Stille aus der Praxis. Hilflos prüfte der Vampir die Öffnungszeiten, über die ein Schild neben der Tür informierte. Dieses versprach, der Zahnarzt würde seit einer Stunde behandeln. Seufzend presste Lothar seine Hand gegen die Backe, hinter der der schmerzende Zahn lauerte.
So schnell gebe ich nicht auf, dachte er entschlossen und donnerte seine Faust gegen die Tür.
"Ein Notfall", rief er so deutlich, wie es ihm in der gegenwärtigen Situation möglich war.
Endlich regte sich etwas und ein leises Murren drang durch die Tür.
"Hau ab", ertönte es schroff.
Lothar stutzte. "Was haben Sie gesagt?", nuschelte er ungläubig.
"Der Arzt behandelt heute nicht", behauptete der Mann mit belegt klingender Stimme.
Entsetzt und unbeweglich stand der Vampir vor dem Eingang. Gedämpfte Laute schlichen sich in seine Ohren. Lothar kämpfte mit den Zweifeln an seiner Wahrnehmung. Es schien ihm, als habe das dumpfe Geräusch hilfesuchend geklungen. Schließlich fasste er einen Entschluss und machte sich eilig auf den Weg zum Pseudopolisplatz.
...
Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Die Zahnräder des Schicksals drehen sich, gehemmt von den Schranken des Zufalls. Die Erzählstränge des Lebens verweben zu einem dichten Geflecht aus Geschehnissen...
...
Venezia schlug mit der flachen Hand neben sich auf den Schreibtisch, um das Gemurmel einzudämmen, das aus hypothetischen Theorien über den Grund der Einberufung bestand.
"Endlich mal wieder was los", tuschelte Mindy gerade noch Kanndra zu, dann verstummten die FROGs.
"Es gibt einen Verdacht auf Geiselnahme", setzte die Abteilungsleiterin dem Raten ein Ende. Ein neugieriges Raunen zog sich durch die Wächterreihen.
"Herr van Valling hier hinter mir bemerkte einige Seltsamkeiten in einer Zahnarztpraxis", die Gnomin wartete einen Moment ab, welcher mit den Blicken gefüllt war, die sich auf den Vampir richteten.
Suchend streifte ihr Blick über die FROGs. "Bregs, Sidney, Mindorah, ihr guckt euch das mal an. Der Rest bleibt in Bereitschaft, falls das 'ne größere Sache ist. Mindy, du schickst dann notfalls eine Taube. Alles klar?"
Vereinzeltes Nicken und zustimmendes Brummeln quittierte keine Einwände.
"Sehr schön", meinte Venezia zufrieden, "Herr van Valling begleitet euch am besten und erzählt noch mal alle Einzelheiten."
Damit endete ihre Auskunft und sie wandte sich einem besonders fettigen Exemplar von Schnappers Würstchen zu, das neben ihr auf einem Aktenberg auf den Verzehr gewartet hatte. Mindorah rappelte sich gespannt hoch und trat zusammen mit Bregs, Sid und dem Vampir auf den Flur hinaus.
....
Worte werden zwischen den Beteiligten umher getragen. Die Rekapitulation der Wahrnehmungen flirrt durch die Luft. Erklärungen und Beschreibungen finden ihren Weg zu den Ohrmuscheln. Bilder formen sich in den Gehirnen, Vorstellungen werden geboren.
....
Als die FROGs endlich ankamen, sahen sie ihrem Ziel mit gerunzelter Stirn entgegen. Vor der Praxistür lungerten zwei Gestalten herum. Der eine hämmerte wie wild gegen das Holz und fluchte lauthals vor sich hin, während der andere seine Blicke apathisch über das Haus schweifen ließ.
"Guten Tag, die Herren", holte Bregs sie beide aus ihren weilenden Beschäftigungen, "wir sind von der Stadtwache. Es scheint, als habe der Zahnarzt immer noch nicht aufgemacht?"
Mit Zornesröte im Gesicht schnaufte der eine Vampir Bregs ins Gesicht: "Nein, aber wenn dieser verdammte Pseudomediziner sich nicht bald zeigt und diesen grässlichen Schmerz killt, trete ich ihm eigenhändig die Bude ein!" Wütend bleckte er die spitzen Zähne und ballte die Faust, während die andere Gestalt nur stumm nickte und trübsinnig dreinblickte.
"Nicht nötig", erklärte Sidney grinsend, "das erledigen wir schon..."
Als Untermalung entsicherte er die Armbrust, die er in der rechten Hand hielt und sprang mit einem entschlossenen Satz auf den Treppenabsatz.
Keck klopfte er mit der Spitze des Armbrustbolzens gegen die Holztür.
"Aufmachen, Stadtwache Ankh-Morpork", brüllte er grob.
Stille begrub die Heftigkeit seiner Worte.
Der Werwolf hob seine Faust und wummerte gegen die Tür, sodass sie in den Angeln bebte.
Araghast verdrehte die Augen. "Lass mich mal", forderte er und zwängte sich an Sidney vorbei.
"Hören Sie, diese mickrige Tür, die Sie von uns trennt ist kein nennenswertes Hindernis für meinen Kollegen hier. Und glauben Sie mir, es käme Ihnen nur zu Gute, wenn Sie unsere Arbeit nicht unnötig erschweren", redete er auf den Belagerer der Arztpraxis ein.
Ein Fluchen drang durch das Holz.
"Und Sie liefern mich nicht an die Diebesgilde aus?", kam schließlich die jammernde Frage aus dem Haus, begleitet von sich nähernden Schritten.
Bregs warf seinen Kollegen triumphierende Blicke zu, während er schnell beschwichtigte: "Nein, nein, bei uns sind sie sicher." "...schlimmstenfalls in einer hübschen, kleinen Zelle", murmelte er leise. "Warum befürchten Sie das denn?", hob er seine Stimme wieder.
"Ich konnte mich nicht zusammenreißen", antwortete es zögernd hinter der Tür.
Bregs runzelte die Stirn. "Lassen Sie mich am besten erst mal herein..."
Nach einer kurzen Pause, die von Stille geprägt war, hörte man das leise Klicken eines Schlüssels, der sich im Schloss drehte und die Tür schwang auf. Auf Araghasts Gesicht zeigte sich ein Lächeln, während Sidney murrend seine Armbrust sinken ließ. Hinter der Tür tauchte ein schmales, von Sorgenfalten geprägtes Gesicht auf. Der Vampir, der zuvor so rumgetobt hatte, stürmte sofort auf den Mann zu, der ihm schützend seine recht stämmigen Arme, die nicht so recht zu dem Gesicht passen wollten, entgegen streckte.
Araghast jedoch hielt den Vampir dezent zurück, indem er ihn am Zipfel seines schwarzen Hemdes packte. Nacheinander marschierten die FROGs und die drei Vampire samt ihren Zahnschmerzen ins Haus. Am Ende des gefliesten Flures saß zusammengesunken der Zahnarzt und blickte seine Retter mit großen Augen an. Ein breites Klebeband verlief über seinen Mund und ein raues Seil schnitt tief in seine Handgelenke ein.
Die Vampire tummelten sich sofort um ihn, befreiten ihn von den Fesseln und überhäuften ihn mit Bitten um Behandlung ihrer Schmerzen, während Bregs, Sidney und Mindorah sich weiter den Belagerer vornahmen.
"Also, mal langsam, warum sind Sie hier eingedrungen?", hakte Araghast nach.
"Ich sagte doch schon, ich konnte mich nicht beherrschen", druckste der Mann herum und nestelte an seinem Pullover rum.
"Und das heißt?", fragte Sidney schroff und verdrehte die Augen.
"Naja, ich hab was von so 'nem reichen Schnösel mitgenommen. Das Ding kostet ein Schweinegeld und der hat doch genug davon", berichtete er abschätzig.
"Und was hat das mit dieser Praxis zu tun?", erkundigte Bregs sich mit gerunzelter Stirn.
"Soll ich mal ne Taube an SEALS schicken?", raunte Mindy dazwischen.
Der Püschologe nickte, behielt allerdings den
Gelegenheitsdieb fest im Blick und wartete auf eine Antwort.
"Mir ist ziemlich schnell aufgegangen, was für eine schlechte Idee das war. Die Diebesgilde kennt mich ja, weil ich eigentlich eintreten wollte, aber nicht angenommen worden bin, und die ist nun mal nicht so gut auf Leute zu sprechen, die ohne Quittung klauen. Deshalb bin ich abgehauen und hab was gesucht, wo ich mich verstecken kann. In Panik wie ich war, bin ich dann in die erstbeste Tür gestürzt, die offen stand...", erklärte der Mann schließlich zähneknirschend.
Mindorah schrieb währenddessen bereitwillig eine Nachricht auf ein kleines Stück Papier, das sie aus ihrer Hosentasche gefischt hatte, rollte es zusammen und steckte es in eine Nachrichtenkapsel. Vorsichtig befestigte sie diese am Bein der Taube, die sie auf der Schulter trug. Schließlich ließ sie sie durch die offene Tür davonfliegen.
"Los, zum Pseudopolisplatz, meine Süße", murmelte sie ihr zu.
Die Gefreite warf einen kurzen Blick auf ihre Kollegen und den Dieb, der immer noch befragt wurde und betrat dann neugierig den Empfangsraum, der an den Flur angrenzte. Nach emsigem Umschauen öffnete sie die nächste Tür und blickte ins Behandlungszimmer. Interessiert schweifte ihr Blick über die Instrumente und wanderte schließlich nach oben auf das
Käsemobile, zwischen dessen Pappgehängen kleine, blanke Glassplitter aufblitzen. Stirnrunzelnd trat sie einen Schritt näher. Als sie erkannte, was da zwischen den gebastelten Käsestücken baumelte, flammte eine verschwommene Erinnerung vom Vortag in ihr auf.
"Ich hasse es, wenn Vorurteile Recht behalten", zischte sie.
...
*Schlussszene*
Durch erhabene Fensterflügel fällt schimmerndes Licht auf ein Windspiel, das von der Decke in einen kahlen Raum hängt. Die Sonnenstrahlen brechen sich in geschliffenen Glassplittern und werfen Flecken auf die raue Tapete. Das Glas funkelt und glitzert in blendendem Licht. Rauschende Farben scheinen in der gleißenden Helle aufzublitzen. Schließen wir die Augen - ein schummriger Fleck bleibt zurück, den wir nicht einzufangen vermögen...
...ein Faden des Geflechts löst sich an dieser Stelle, eine der unzähligen Geschichten, die das Leben bereit hält,
ENDEt hier...
[1] Ihr fordert nicht, dass ich einen
Bewohner Ankh-Morporks solch ein Wort sprechen lasse, oder? ;o)
[2] Wem die Ironie dieses Satzes entgangen sein sollte, dem sei sie hiermit garantiert
[3] Ihr fordert nicht, dass ich ein Schattenwesen aus Mindys Tagtraum solch ein Wort sprechen lasse, oder? ;o)
[4] Das betrechtliche Ähnlichkeit mit einem Brotkrümel hatte...
[5] Dieses Zitat
Albert Einsteins ist wohl sogar von der Rundwelt bis hierher gelangt...
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