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Für Rekruten (erste Mission):
Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht "Schlendern...mehr als nur Streife gehn".
Was mag das bedeuten?
Dafür vergebene Note: 10
Valdimier van Varwald sah von einem Stapel Akten auf, als er vor der Tür zu seinem Büro jemanden laut niesen hörte. Er murmelte ein "Gesundheit", das aber verständlicherweise niemand außer ihm hören konnte, und wollte den Blick gerade wieder auf die Papiere richten, doch in diesem Moment klopfte der Jemand dort draußen kräftig an.
"Herein", sagte Valdimier und schob noch hastig eine kleine, mit Blut gefüllte Flasche von seinem Schreibtisch in eine Schublade und schloss diese, bevor sich die Tür öffnete.
"Hallo, ähm... Guten Abend, Sir!" Der junge Mann salutierte zackig und blinzelte dann ein paar Mal, da sich seine Augen erst einmal an die Dunkelheit im Zimmer gewöhnen mussten.
"Ach, du musst der neue Rekrut sein. Schaaf, nicht wahr? Komm, setz dich!", begrüßte Valdimier ihn.
"Äh, ja, genau. Ich sollte mich bei Ihnen melden."
"Gut, wir können dann auch gleich mit der Ausbildung beginnen, denke ich. Ich habe im Moment", sagte der Vampir mit einem Blick auf die Akten "sowieso nichts besseres vor."
"Jawohl, Sir! Ich...ha...hatschi!!!"
"Gesundheit! Hast du dich erkältet? Du wirst dich doch wohl nicht gleich nach deinem Eintritt in die Wache krankmelden wollen?"
"Nein, nein, Sir. Ich habe nur eine Hausstauballergie, Sir. Ich reagiere allergisch, wenn ich mich in zu staubigen Räumen aufhalte. Äh..." er wurde so rot, wie seine Nase. "Womit ich natürlich keineswegs sagen möchte..."
"Ach, das macht doch nichts", antwortete Valdimier und schaute sich um. Ja, das Büro war wirklich schon einmal sauberer gewesen. "Ich schlage vor, wir beginnen mit der ersten Ausbildungseinheit einfach an der frischen Luft."
"Ich weiß gar nicht, warum diese Übung noch auf dem Lehrplan steht.", sagte er kurz darauf, als sie gerade die Ulmenstrasse entlang gingen. "Sie stammt, soweit ich weiß, noch aus einer Zeit, als die Wache nur aus ein paar nutzlosen Waschlappen bestand."
"Inzwischen hat sie mehr Mitglieder, oder?"
"Ja, genau... wie? Na ja, egal. Auf jeden Fall geht es dabei um das richtige 'Schlendern' bei der Streife. Ähhhmm, du darfst dabei nicht zu schnell laufen, damit du nicht aus der Puste bist, falls du aus irgendeinem Grund einmal davonrennen müsstest (was ein guter Wächter natürlich niemals tun würde).
Außerdem solltest du dich beim Gehen nicht zu viel umschauen, da du ja sonst noch etwas sehen könntest, wegen dem du in irgendeiner Weise gezwungen wärst, dich körperlich anzustrengen oder womöglich dein Leben oder wenigstens deine Gesundheit zu riskieren. Schaue stattdessen lieber auf deine Füße oder sonst etwas Interessantes in deiner allernächsten Umgebung, so dass du deine Kräfte ganz auf das Schlendern konzentrieren kannst. Äh, genau! Und was du auf jeden Fall beachten musst, wenn du richtig schlendern willst, ist, dass du ein fröhliches Liedchen vor dich hin pfeifst. Natürlich nicht so laut, dass irgendjemand - und besonders niemand, der dir gefährlich werden könnte (womit ich auch verdächtig wirkende Händler meine, die dir noch viel verdächtiger wirkende Würstchen anbieten wollen) - auf dich aufmerksam wird, aber gerade noch so laut, dass du vermeiden kannst gewisse Geräusche zu hören, wie zum Beispiel Hilferufe oder ähnliches... Hm, ja das ist es eigentlich alles worauf du achten musst. Wie gesagt, völlig unnützes Zeug. Wenn's nach mir ginge, würde so etwas schon längst nicht mehr gelehrt, aber da kann man halt leider nichts gegen machen."
Johan nickte seinem Ausbilder zustimmend zu, obwohl er eigentlich nicht unbedingt dieser Meinung war. Vielleicht würde das Leben als Wächter nicht ganz so stressig werden, wie er es sich vorgestellt hatte...
Die nächsten Wochen zeigten ihm allerdings, wie sehr er sich in dieser Hinsicht geirrt hatte: zum Teil allein mit seinem Ausbilder, zum Teil zusammen mit den anderen Rekruten lernte und übte er Armbrustschießen, das Vernehmen von Verdächtigen, Klettern, Schleichen, Spurensichern, Eselskarrenfahren, das Auflösen von Menschenmengen, Verfolgen von Verbrechern und anderes. Man gönnte den Rekruten keine freie Minute, den ganzen Tag über wurden sie von einer Übung zur nächsten gescheucht und selbst nachts sollten sie in ständiger Alarmbereitschaft sein - warum auch immer, denn sie durften wohl kaum schon so früh in ihrer Ausbildung an wichtigen Fällen mitarbeiten. Deshalb waren Johan und die anderen auch sehr erleichtert, als Valdimier van Varwald ihnen eines Tages mitteilte, dass heute der "Unterricht" ausfallen werde: "Wie ihr ja alle wisst, war ich vor meiner Abordnung zu G.R.U.N.D. - und werde es danach hoffentlich auch wieder sein - als leichter Armbrustschütze bei F.R.O.G. eingestellt. Nun, die F.R.O.G.s haben heute einen Einsatz, bei dem sie nicht auf mich verzichten können, weshalb wir heute leider nicht mit eurer Ausbildung weitermachen können. Ich hoffe ihr seid nicht allzu enttäuscht." Natürlich war niemand enttäuscht. Alle freuten sich auf einen freien Tag und sie wollten sich schon verabschieden, als Valdimier noch etwas hinzufügte. "Aber damit ihr nicht aus der Übung kommt...", grinsend nahm er die Reaktion seiner Rekruten zur Kenntnis, die durch diese wenigen Worte hervorgerufen wurde "...habe ich beschlossen, dass ich euch heute zum ersten Mal selbstständig auf Streife gehen lassen werde. Ich werde euch dafür in zwei Gruppen einteilen. Hm, mal sehn: Malochax, Tibor, Silikatfrosch und Johan, ihr geht die Strecke zwischen der Kröselstrasse und der Sirupminenstrasse ein paar Mal ab; und Erik, Henning, Boger und Xerxces, ihr lauft in die andere Richtung, die Strecke zwischen der Kröselstrasse und dem Zwiebeltor. OK, auf geht's. Um neun dürft ihr Feierabend machen. Macht's gut!"
Mit diesen Worten verließ er das Wachhaus und auch die Rekruten machten sich murrend auf den Weg.
"Mir is langweilig", sagte Malochax, als die Gruppe gerade zum fünfzehnten Mal die Ulmenstrasse verließ und in die Sirupminenstrasse einbog. "Wie lang isses denn noch bis neun?"
"Noch so eineinhalb Stunden, schätz ich" antwortete Tibor.
"Wie wär's, wenn wir einfach Schluss machen? Morgen können wir ja sagen, wir wären bis neun durchgelaufen."
"Ja, genau, wir machen noch die Runde zu Ende und dann geh'n wir nach Hause", schlug Johan vor. Dort würde er wahrscheinlich gleich ins Bett gehen, denn seit seinem Eintritt in die Wache war er von morgens bis abends voll ausgelastet und er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal richtig ausgeschlafen hatte.
"Das aber sein illi... illa... sein verboten!", wandte Silikatfrosch ein. "Wir Ärger kriegen werden mit ... Intörnal Affärs."
Er schaute sich ängstlich um, als befürchte er, dass im nächsten Moment ein Intörnal-Affärs-Agent aus einer dunklen Seitengasse springen und sie alle festnehmen werde, wegen Inbetrachtziehens einer Befehlsverweigerung.
"Ach was!", Tibor klopfte dem Troll kameradschaftlich auf die Schulter und rieb sich gleich darauf seine schmerzende Hand. "Die werden gar ni..."
Weiter kam er nicht, denn plötzlich ertönte rechts von ihnen ein Schrei: "Hilfe! Ein Dieb! Unlizenzierter Diebstahl!"
"Los, den schnappen wir uns!", rief Malochax und rannte los, dicht gefolgt von Tibor und kurze Zeit später begriff auch Silikatfrosch, was los war und lief den beiden hinterher.
Der einzige, der ungerührt weiterging und sich auf einmal brennend für seine Füße zu interessieren schien, war Johan. Er hatte sich gerade so davon abhalten können, ebenfalls hinterher zu rennen, weil er sich noch rechtzeitig an seinen ersten Tag bei der Wache erinnerte. Hatte nicht ihr Ausbilder, Lance-Korporal van Varwald, ihm damals genau erklärt, wie man sich beim Streifegehen zu verhalten hatte? Nun, er würde ihn auf jeden Fall nicht enttäuschen. Ein fröhliches Lied auf den Lippen ging er weiter die Straße entlang und schaute nicht nach links oder nach rechts.
Inzwischen hatte der von Tibor und Malochax verfolgte Dieb - Silikatfrosch war bei der alten Frau, der jener die Handtasche entrissen hatte, geblieben um sie zu beruhigen, was ihm auch prächtig gelang: aus Angst vor dem grauen Riesen traute sie sich nicht, auch nur ein Wort zu sagen - die Kreuzung Schimmerstrasse-Ankertaugasse erreicht und bog nach links in letztere ein. Zu seinem großen Pech bemerkte er in seiner Eile nicht den leise vor sich hin pfeifenden Johan Schaaf, der einige Meter weiter unterhalb entlangschlenderte und wurde auch nicht von ihm bemerkt, da Johan gerade die Pflastersteine der Sirupminenstrasse genauer begutachtete. Die Folge war, dass der Dieb Johan über den Haufen rannte und beide kurz darauf fluchend und schimpfend übereinander auf der Strasse lagen.
Als die anderen beiden Wächter ankamen, hatte der Dieb sich immer noch nicht aufgerappelt.
"Aha, da haben wir ja diesen gemeinen, unschuldige alte Frauen überfallenden, unlizenzierten Dieb!", Malochax legte ihm grinsend die Handschellen an.
"Gute Idee, dem Kerl den Weg abzuschneiden", lobte Tibor seinen anderen Kollegen, als er ihm aufhalf. "Aber woher wusstest du, dass er hier entlang kommen würde?"
"Ich, ich... äh... nun ja, der Trick ist es, sich in den Verbrecher hineinzuversetzen. Du musst denken: Was würde ich tun, wenn ich ein gemeiner, unschuldige alte Frauen überfallender, unlizenzierter Dieb wäre und ich vor der Stadtwache flüchten müsste. Ich, öhm... dachte mir, sicher will er in die Schatten flüchten, denn wenn ich ein gemeiner, unschuldige alte Frauen überfallender, unlizenzierter Dieb wäre, dann würde ich denken, die Idioten von der Wache, das sind doch alle Feiglinge, die trauen sich bestimmt nicht, mir in die Schatten zu folgen."
"Interessant! Kommt, wir bringen der Dame ihre Tasche wieder und holen Silikatfrosch ab. Ich bin mir sicher, wenn wir den Typ jetzt auf die Wache bringen, dann können wir uns den Rest des Abends frei nehmen", meinte Malochax.
Am nächsten Tag hatten sich alle in van Varwalds Büro versammelt.
"Rekruten, ich bin stolz auf euch! Ihr habt das Hab und Gut einer aufrechten Bürgerin Ankh-Morporks gerettet und dabei noch einen gemeinen, unschuldige alte Frauen überfallenden, unlizenzierten Dieb dingfest gemacht. Ihr habt wieder einmal bewiesen, dass die Wache mehr ist, als ein Haufen feiger Waschlappen, und dass ihr durchaus fähig seid, tapfer für das Wohl unserer Stadt zu kämpfen und, wenn es nötig sein sollte, selbst euer Leben zu riskieren, wenn es darum geht ihre Bürger vor Unrecht zu schützen. Ich würde sagen, für diese Leistung habt ihr euch einen freien Tag verdient. Also, alle Mann abtreten und amüsiert euch gut!"
"Zu Befehl, Sir!", riefen die Rekruten einstimmig und salutierten.
ENDE
"Ähm, Johan! Warum wir freien Tag? Heute nicht sein Sonntag?" "Wie? Verdammt, du hast Recht!"
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