Wenn der Schein trügt oder: Ein mörderisches Stück

Bisher hat keiner bewertet.

von Obergefreiter Kolumbini (RUM)
Online seit 30. 09. 2003
PDF-Version

Um sein Dienstjubiläum nachzufeiern lädt Kolumbini alle seine R.U.M.-Kollegen zur Premiere eines Theaterstückes ein. Während der Vorstellung passiert jedoch ein Unfall, der sich als kaltblütiger Mord erweist...und den Ermittlern stellen sich einige schier unlösbare Fragen...

Dafür vergebene Note: 13

Die Nebel des frühen Herbstes hatten Ankh-Morpork fest im Griff, als eine in einen Kapuzenumhang gehüllte Person durch die Straßen der Metropole eilte und auf ein ganz bestimmtes Ziel zusteuerte.
Der Name der Gestalt war Sansini und normalerweise hielt er sich im Theater Scheibe auf, wo er seinem Beruf des Schauspielers nachging.
Doch nach dem Gespräch mit seinem Kollegen Felsneer vorhin war dies nicht mehr möglich. Er musste etwas unternehmen und er hatte seinen Entschluss bereits gefasst.
Die Straßen wirkten leer, was vor allem daran lag, dass der frühherbstliche Nebel die Straßen in einen graubraunen Umhang hüllte und kaum einer die eigene Hand vor Augen sah.
Klingelingeling, ertönte eine Ladenglocke, als Sansini in ein Geschäft trat und die Tür hinter ihm wieder zufiel.
"Disorganizer und Mehr: Magische Helfer für jeden Geldbeutel" verkündete das säuberlich gravierte Schild aus Messing neben dem Portal.

Eine Kutsche ratterte durch die nebligen Straßen. Ein Buckliger saß auf dem Kutschbock und hatte sich in einen Kapuzenmantel gehüllt, um der Kälte zu entgehen.
Der Herbst war so unangekündigt über die Stadt gekommen, wie eine verhasste Schwiegermutter, die immer dann auftauchte, wenn man eine Woche keinen Abwasch erledigt hatte.
Was das eben erwähnte Gefährt angeht, so muss beschrieben werden, dass es, abgesehen von den Rädern, vollkommen grau gestrichen war.
In einer Pfütze schwamm ein kleiner Flugzettel mit folgender Aufschrift:

Das Teather Scheibe präsenthiert:
Där grohße Magier
Aine Kriminalgeschichte


Als die graue Kutsche über das Papier fuhr, blieb selbiges an einem Rad hängen und reiste zusammen mit dem Gefährt in Richtung Götterinsel.

"Seid Ihr sicher, dass dies in Ordnung ist, Ma'am? Irgendwie komme ich mir etwas seltsam vor", meinte die Obergefreite Carisa von Schloss Escrow.
"Rogi hat ihr Bestes gegeben und im Theater sollte man sich fein anziehen", gab die Leiterin der Abteilung für Raub und unlizenzierten Mord, Irina Lanfear, als Antwort. Und damit hatte sie sogar Recht, denn ihre Bemerkung bezog sich auf das Kleid, dass Rogi für die Wasserspeierin genäht hatte.
Auch der Rest der R.U.M.-Mitglieder hatte sich mehr oder minder fein angezogen. Nur der eigentliche Initiator ihres Aufenthaltes hier vor dem Theater Scheibe war noch nicht eingetroffen.
Na, eine Minute hat er noch, dachte Irina, während sie auf ihre Uhr blickte.
Das Rattern einer Kutsche kam langsam aber sicher näher und als sich der Nebel teilte bemerkte die Abteilungsleiterin eine graue Kutsche, die auf sie zuhielt.
Knarrend kam das Gefährt vor der Gruppe zum Stillstand und der Bucklige, der bis vor kurzem auf dem Kutschbock gesessen hatte, versuchte die Tür zu öffnen, was der Insasse aber offenbar nicht bedacht hatte, da sie sich im selben Moment öffnete und dem Fahrer ins Gesicht schlug.
Das Ergebnis war ein von Herzen fluchender Igor.
Inspäctor "Fred" Kolumbini sprang aus dem Wagen und ging sofort zu seinem Diener.
"Oh entschuldige, Igor. Du weißt doch, dass ich an diese förmlichen Sachen nicht gewöhnt bin."
"Fon gut, Herr. Meine Nafe ift nift gebrochen."
"Dann bin ich ja beruhigt."
"Und felbft wenn, hätte if noch einige fu Haufe gehabt."
Ein Pärchen, das nahebei stand und aufgrund des Nebels keine Sprecher erkennen konnte und somit auf die hörenden Sinne angewiesen war, blickte sich kurz an und verschwand dann mit eiligen Schritten im Nebel.
"Guten Abend, die Damen und Herren", begrüßte Fred die Anwesenden. "Ich hoffe doch, dass ihr alle erschienen seid. Zur Feier meines Dienstjubiläums."
Der Nebel bereitete ihm starke Probleme, wenn es darum ging die einzelnen Personen zu erkennen. Er beschloss einfach bis zur Vorstellung zu warten und dann alle durchzuzählen.
"Nachfeier, Herr", ergänzte der Diener.
"Ja, Nachfeier, Igor. Wollen wir nicht unsere Plätze im Theater einnehmen?"
Allgemeine Zustimmung folgte und die Gruppe ging in Richtung des Eingangs.
Im Nebel zeichneten sich vage einige Personen ab und Kolumbini blieb stehen, um sie genauer zu betrachten.
Es war eine Straßenband, deren Mitglieder allesamt Kopfbedeckungen trugen, deren Hutkrempen man getrost auch als Obstschale verwenden konnte.
Als ihnen Inspäctor mit einem Lächeln eine Münze zuwarf, begannen sie sofort eine fröhliche Melodie zu spielen, woraufhin der Obergefreite den anderen Wächtern ins Theater folgte.

Währenddessen saß der Schauspieler Sansini in seiner Umkleidekabine unter der Bühne.
Ich habe meinen Entschluss gefasst, dachte er immer wieder und hielt dabei etwas krampfhaft in der Hand. Nun muss ich den Plan durchführen.
Seine Gedanken reisten einen Tag zurück.
...
Er klopfte an eine Tür, auf die unordentlich der Name "Peter Felsneer" geschrieben worden war.
"Herein", drang eine tiefe Stimme auf den Flur.
Sansini tat das Verlangte und begrüßte seinen Kollegen, der gerade am Schreibtisch saß.
"Hwel meinte, du wolltest mich sprechen, Peter", bemerkte er.
"Genau, Sansini. Setz dich doch bitte."
Als sein Kollege der Auforderung nachgekommen war, wedelte Felsneer mit einem Stück Papier vor dessen Gesicht herum.
"Das hier ist ein Brief, den ich gerade auf meinem Briefblock geschrieben habe."
"Interessant", sagte der Schauspieler mit dem brindisianisch klingenden Nachnamen kühl.
"Lies ihn."
Es dauerte eine Weile, bis Sansini reagierte, aber schließlich nahm er den Brief entgegen und las ihn.
Die Schrift war fein säuberlich, aber dennoch schien der Schreiberling große Mühe gehabt zu haben, den Federkiel nicht zu zerbrechen.
"Interessant", meinte Sansini noch kühler als zuvor und bedachte sein Gegenüber mit einem Blick, der die gesamte klatschianische Wüste in eine Eislandschaft hätte verwandeln können. "Woher...?"
"...ich meine Informationen habe? Sagen wir einfach, dass ich einen guten Freund in Sto Lat besitze und der mir einiges von seinen Problemen erzählt. Jemanden, der ein sehr hohes Tier in der dortigen Stadtwache ist."
Es folgte eine kurze Pause.
"Du weißt doch sicher, dass ich etwas knapp bei Kasse bin, oder, Sansi?"
Stille.
"Und ich bin mir sicher, dass du weißt, wie sehr sich die Wache über diesen Brief freuen würde."
Stille.
"Wie viel, Felsneer?"
"Zehntausend Dollar. Morgen nach der Premiere in meinem Büro, oder die Wache wird einen kleinen Umschlag mit einem Brief erhalten."
Stille.
"Soll ich dich vielleicht, Herr Kühl nennen, Sansi?"
...
Danach, so erinnerte sich Sansini, hatte er das Büro verlassen und war in sein Zimmer gegangen, um nachzudenken.
Nun saß er auf einem unbequemen Stuhl und blickte starr geradeaus.
Dann stand der Schauspieler auf und bereitete alles vor.

"Obergefreiter Kolumbini und Anhang", sagte Inspäctor zu der alten Dame an der Kasse.
"Wer?"
"OBERGEFREITER KOLUMBINI UND ANHANG, DIE DAME!" wiederholte Fred langsam.
"Das Segeln aufgegeben, was?"
Der Ermittler schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
"GEBEN SIE MIR EINFACH DIE KARTEN!"
"In Ordnung!"
Die Alte reichte ihm ein Bündel von Papierstreifen und, nachdem er sie verteilt hatte, machte sich die kleine Gruppe auf den Weg ins Theater.
Wie der Obergefreite festgestellt hatte, waren alle Eingeladenen anwesend.
Obergefreiter...Kolumbini würde nie den Tag vergessen, an dem er per Rohrpost die Nachricht erhalten hatte, dass er befördert worden war.
Nach den Ereignissen dieses Frühlings [1] hatte Inspäctor eher mit einer Degradierung, als mit einer Beförderung gerechnet.
Vielleicht hatte er aber auch beim Tresendienst so gute Arbeit geleistet, dass eine solche Belohnung gerechtfertigt war.
Die Wächter fanden sich im Theatersaal auf den ihnen zugeteilten Plätzen ein.
Grund für diesen Besuch war im Großen und Ganzen Kolumbini. Der Ermittler war der Meinung, dass er, um sein Dienstjubiläum zu feiern, seine Kollegen irgendwohin einladen sollte und da das Theater im Sommer kaum Stücke zeigte und Fred auf keine andere Idee kam, lud er die gesamte Abteilung R.U.M. zu der Premiere des Kriminalstückes "Där grohße Magier" ein.
Glücklicherweise hielt sich der Eintrittspreis in akzeptablen Grenzen, weshalb der nicht unbedingt große Geldbeutel Inspäctors nicht in starke Mitleidenschaft gezogen wurde.
Die Gruppe unterhielt sich kurze Zeit, bis ein dreimaliges Glockengeläut den Beginn des Stückes ankündigte.
Im Großen und Ganzen war selbiges nicht sehr kompliziert und die Geschichte schnell erzählt.
Ein Zauberer hatte jemanden umgebracht und ein Feldwebel der Wache mit dem Namen Stribel versuchte nun, dieses Verbrechen aufzuklären.
Der gesamte erste Akt beschäftigte sich mit dem Auffinden des Übeltäters, was auf der Bühne natürlich sehr einfach und unkompliziert dargestellt wurde. Der "grohße Magier" hatte anscheinend ein schwarzes Stück Stoff am Tatort verloren, wodurch Stribel den Bösewicht ausfindig machen konnte.
Für allgemeine Überraschung im Publikum sorgte die letzte Szene des ersten Aktes.
Feldwebel Stribel betrat gerade das geheime Versteck des hinterlistigen Schurken und stellte selbigen zur Rede.
"Oh fürchterlicher Unhold!" schrie der Schauspieler, der den Wächter verkörperte. "Deine Tage sind gezählet."
"Buhaha!!! Törichter Patrouillengänger!! Du wirst mich nimmermehr fassen!!!!"
Der "Magier" warf etwas auf den Boden, woraufhin die gesamte Bühne in eine Rauchwolke gehüllt war, die sich langsam verflüchtigte und einen verloren wirkenden Stribel freigab.
"Wo isset er hin, der hinterlistige Schuft?"
Dann glitten die Vorhänge zu.

"Wie die das wohl gemacht haben", fragte sich der Gefreite Romulus von Grauhaar laut, als die Gruppe im Foyer stand, um sich in der Pause etwas die Beine zu vertreten.
"Keine Ahnung", meinte Inspäctor. "Und ich bin mir sicher, dass sie es uns auch nicht sagen werden, wenn wir sie nach der Vorstellung fragen würden."
"Wieso?"
Kolumbini zuckte mit den Schultern. "Ich weiß, dass Beschwörer ihre Tricks nie verraten. Hat was mit einem Ereignis in Sto Lat zu tun."
"Hört sich interessant an. Was war in Sto Lat?"
"Ich erzähle es dir bei Gelegenheit."
"Wie du meinst."
Warum trägt dieser merkwürdige Kerl dieses geschmacklose Halstuch zu seinem Anzug?, dachte Inspäctor. Weiß er, wie beschissen das aussieht? Oder ist er einfach farbenblind?
Kolumbini sagte nichts mehr, sondern hörte den einzelnen Wächtern bei ihren Gesprächen zu.

Die zweite Hälfte des Stückes begann mit einem Schock.
Anscheinend war der Handlungsort nun der Hier-gibt's-Alles-Platz, denn auf der Bühne waren mehrere Händler und Verkaufstände, sowie eine gemalte Unsichtbare Universität, der sogar eine Kunstturmattrappe hinzugefügt worden war.
Der Feldwebel stand zusammen mit einigen aus dem ersten Akt bekannten Persönlichkeiten auf der Bühne und beriet sich, wie sie nun vorgehen sollten.
Natürlich war dies nicht das, was die Zuschauer schockte.
Der Schock bestand darin, dass der Schauspieler, der Stribel verkörperte, den Satz "Ich weiß, was wir jetzt tun" nicht zu Ende führen konnte.
Grund dafür war ein Sandsack auf seinem Kopf. Nun auf dem, was vorher sein Kopf gewesen war. Derzeit glich das eben angesprochene Körperteil eher einem aufgeplatzten Ballon, den man zuvor mit roter Grütze gefüllt hatte.
Um es kurz zu machen: Ein Sandsack, der aus dem oberen, für das Auditorium nicht sichtbaren, Teil der Bühne heruntergefallen war, hatte den Schauspieler erschlagen.
Hier und Dort erklang begeistertes Klatschen, das ein jähes Ende fand, als bemerkt wurde, dass dieses Ereignis nicht zum Stück gehörte, woraufhin das Handgeklapper einigen hysterischen Schreien wich.
Die Darsteller standen allesamt reglos auf der Bühne und diejenigen, die weibliche Personen verkörperten und nicht richtig aus ihrer Rolle hinauskamen, fielen mit einem lauten Seufzer in Ohnmacht.
Jemand war so geistesgegenwärtig, die Vorhänge zuzuziehen und als sich erregtes Getuschel im Saal ausbreitete, sprang Irina Lanfear auf und sprach zu ihrer Abteilung.
"Schnell! Wir müssen die Ausgänge sichern. Ich will, dass NIEMAND dieses Gebäude verlässt, bis nicht eindeutig bewiesen ist, dass das eben eingetretene Ereignis ein Unfall war, klar? Myra und Kolumbini, ihr geht auf die Bühne und seht euch den Tatort genauer an. Nefer und Romulus, ihr versucht die Leute etwas zu beruhigen, ja?"
"Jawohl, Frau Abteilungsleiterin!" erklang es von den Wächtern.
"Gnä' Frau?" fragte Inspäctor. "Soll ich Igor zu S.U.S.I. schicken?"
Die Abteilungsleiterin schien kurz zu überlegen.
"Nein, das mache ich. Er kann den anderen beim Absperren helfen, sofern sie Hilfe brauchen."
"Igor!"
"Ja, Herr?"
"Du hast die Abteilungsleiterin gehört. Hilf meinen Kollegen beim Absperren."
"Ja, Herr", humpelte der bucklige Diener fort.
Rina nickte den verbliebenen Wächtern zu und verschwand dann in Richtung Pseudopolisplatz.
Myra Schwertschleifer ging sofort auf die Bühne und, nachdem er noch ein schelmisches Grinsen an die Kollegen, die etwas Ruhe in die Menge bringen sollten, gerichtet hatte, folgte ihr der Obergefreite Kolumbini.

Hinter den Vorhängen herrschte seltsamerweise keine Panik oder hektische Unbeholfenheit. Einige Schauspieler waren damit beschäftigt, ihren feminineren Kollegen Luft zuzufächeln und an der Bühnenseite beobachteten ein Zwerg, der, wie Fred bemerkte, seltsamerweise kein Kettenhemd oder andere für seine Spezies typische Kleidung trug, und ein älterer Herr, der das Wort Vagabund auszustrahlen schien, das Geschehen.
Merkwürdig, dachte Inspäctor. Normalerweise sollte bei einer solchen Bande von Verrückten mindestens einer bei der Leiche stehen, sie mit der Schuhspitze anstoßen und sagen "Du kannst jetzt aufstehen, alter Kumpel. Du musst die Luft nicht mehr anhalten".
"Pass du bitte auf, dass niemand was mit der Leiche anstellt, Kolumbini", gab Myra als Befehl. "Ich werde mich mal nach dem Leiter des Theaters umsehen."
"Natürlich, Madam."
Inspäctor stand nun an dem Punkt, wo der Sandsack den Schauspieler erschlagen hatte, wobei er sich den Korpus nicht genau ansah, da selbiger schon aus der Ferne unappetitlich ausgesehen hatte. Leider konnte der Ermittler in der Dunkelheit über der Bühne nichts erkennen, weshalb er einen der Mitarbeiter anhielt, der nicht mit Zufächeln beschäftigt war.
"Entschuldigen Sie, der Herr", begann der Wächter.
"Was wollen Sie hier?"
"Ich bin Obergefreiter Kolumbini, der Herr. Von der Stadtwache."
Inspäctor kramte in den Taschen seines MANTELS, zog ein schwarzes Lederetui hervor, in dem er seinen Wacheausweis aufbewahrte, und hielt es dem Theatermensch vors Gesicht.
"Aha. Sie können gehen. Es war nur ein Unfall."
"Wieso sind Sie sich da so sicher?"
"Na, weil es gar nicht anders möglich ist."
Aha, dachte Fred. Einer von den "Nicht-Wahr-Haben-Wollern".
"Wir werden sehen, ob es ein Unfall war, oder nicht, der Herr. Könnten Sie mir sagen, was sich dort oben über der Bühne befindet?", forschte der Ermittler nach.
"Das kann ich, ja. Dort oben befindet sich die Technik, die zum schnellen Bühnenumbau verwendet wird. Wenn wir während der Aufführung ein Bühnenbild wechseln müssen, so können wir eines Mittels den Sandsäcken hochziehen und ein anderes herunterlassen. Aber bei der heutigen Vorstellung haben wir das nicht gebraucht, weshalb sich der Techniker nicht im Hause befindet."
Kolumbini blickte nachdenklich nach oben und hob den rechten Arm in einer komplizierten Bewegung zum Gesicht, um sich auf sein Glasauge zu klopfen.
"Hm", machte der Ermittler. "Das wäre vorerst Alles, der Herr. Ich danke ihnen."
Der Mann ging vom Wächter fort und in den hinteren Teil der Bühne.
"Wirklich interessant", meinte der halbe Überwaldianer zu sich selbst und machte eine Notiz auf seinen kleinen Schreibblock, worauf er die Pfeife aus einer seiner Taschen holte, kurz überlegte, sie zurücksteckte und sich stattdessen eine Tasse Tee eingoss.
Sieht mir etwas zu verdächtig nach einem Unfall aus, dachte der R.U.M.-Wächter.
Myra schien den Leiter gefunden und ausgefragt zu haben, denn sie kam zu dem kleinen Obergefreiten zurück und begann zu erklären: "Es war wohl doch kein Unfall. Herr Vitoller, der Chef hier, meinte, dass er selber die Festigkeit der Seile vor jeder Vorstellung überprüfe. Und sie saßen heute genauso fest, wie jeden Abend. Außerdem würde der Hausmeister ebenso die Seile überprüfen."
"Hausmeister?" fragte Kolumbini ungläubig.
"Ja so etwas in der Art gibt es hier. Vitoller meinte, dass ihn alle einfach Mark nennen würden und er so eine Art Männchen für alles wäre. Er bedient wohl auch die Schauspieler, wenn sie gerade Pause haben. Momentan durchsucht er die Umkleidekabinen. Wir sollten auf S.U.S.I. warten und dann mit dem Verhör beginnen."
"Gute Idee, Madam, aber vorher will ich noch etwas überprüfen."
Der halbe Brindisianer eilte in den hinteren Teil der Bühne und war sichtlich erfreut, als er das fand, was er gesucht hatte. Eine hölzerne Leiter führte in die oberen Technikbereiche. Als er sich über die Sicherheit der Kletterhilfe vergewissert hatte, begann er Sprosse für Sprosse emporzusteigen. Oben angekommen bemerkte der Obergefreite, dass der "Technikbereich" aus einigen Holzbalken bestand, an denen Seilzüge befestigt worden waren. Vorsichtig stand Fred auf und streckte beide Arme aus, um sein Gleichgewicht zu waren, während er langsam den größten Balken entlangging. Das Seil, an dem bis vor kurzem noch ein Sandsack befestigt gewesen war, hatte ganz offensichtlich jemand durchgeschnitten.
Kolumbini betrachtete die Szenerie noch ungefähr eine Minute, bevor er wieder herunterkletterte.

Am Tatort waren inzwischen Korporal Sillybos, sein Sklave Hegelkant und Gnomen est Nomen am Werk. Myra, Irina und Romulus standen neben ihnen und beobachteten das Geschehen.
"Wo warst du, Obergefreiter?" fragte die Abteilungsleiterin den Ermittler scharf.
"Ich habe nachgesehen, ob jemand das Seil, an dem der Sandsack, durch den das Opfer erschlagen wurde, befestigt war durchgeschnitten hatte. Meine Idee stellte sich als wahr heraus."
"Und warum hast du nicht auf S.U.S.I. gewartet?"
"Mir ist es lieber, Sachen selber zu überprüfen, gnä' Frau."
"Ich darf dich bitten, beim nächsten mal zu warten, bis die Spurensicherer eingetroffen sind. Du könntest immerhin wichtige Spuren verwischen."
"Ja, gnä' Frau."
"Merk dir das. Und nun: Myra, Kolumbini und Romulus, ihr übernehmt die Ermittlungen in diesem Fall. Legt mir die Ergebnisse morgen vor. Viel Glück."
"Äh, entschuldigen Sie, gnä' Frau", rief Inspäctor.
"Was ist, Obergefreiter?"
"Ich wollte fragen, ob mir Igor helfen dürfte."
Die Abteilungsleiterin schien angestrengt nachzudenken.
"Na gut. Aber bedenke, dass er keine Narrenfreihet hat, sondern..."
"...nur ein Gehilfe ist", beendete der halbe Überwaldianer den Satz genervt.
Wenn ich jedes Mal einen Dollar bekommen hätte, wenn ich diesen Satz gehört hätte, so besäße ich nun...etwas über zwei Dollar, dachte Fred.
Er klatschte vergnügt in die Hände und rief: "Igor!"
Der Diener erschien in wenigen Millisekunden und fragte nach dem Anliegen seines Herren.
"Wir haben einen Fall. Zusammen mit Madam und dem Gefreiten Romulus hier."
Der Gehilfe bedachte Myra mit einem schiefen Lächeln[2] und nickte dem Werwolf zu.
"Aufgefeifnet", meinte er.
Rina verließ die Szenerie und schritt in Richtung Pseudopolisplatz davon.
"Schon etwas gefunden, Sillybos?" fragte Myra.
"Nichts", gab der Philosoph als Antwort. "Wir werden uns nun die Seilzüge etwas genauer ansehen."
"Gut." Die Hauptgefreite drehte sich zu den beiden Ermittlern um. "Lasst uns mit der Zeugenbefragung beginnen."

"Ich kann das Alles gar nicht fassen", meinte Vitoller einige Minuten später in seinem Büro. "Warum sollte ihn jemand umbringen? Er kam doch immer so gut mit Allen aus."
Der alte Mann war sichtlich verwirrt und murmelte immer wieder verstört vor sich hin. "Er war immer freundlich...immer nett."
"Äh, entschuldigen Sie, dass wir sie erneut stören müssen, Herr Vitoller, aber wir müssten ihnen noch einige Fragen stellen", sprach Myra Schwertschleifer für die kleine Gruppe.
"Was? Ach, jaja. Natürlich. Fragen Sie."
"Ist Ihnen heute irgendetwas Besonderes aufgefallen? Ein Fremder zu Beispiel."
"Nein, ich glaube nicht. Aber bei Premieren herrscht immer große Hektik hinter der Bühne. Ich hätte...wohl sowieso keine neuen Leute bemerkt."
Kolumbini schrieb fleißig auf seinem Notizblock mit.
"Und Sie sind sich sicher, dass Herr Felsneer keine Feinde hatte?" hakte Romulus nach.
"Sicher bin ich nicht, aber wenn er so etwas gehabt hätte, wäre eine ziemlich große Chance vorhanden gewesen..., dass ich das mitbekomme. Ich weiß viel über meine Leute, aber Hwel weiß wohl wesentlich...mehr, über das, was vor sich geht. Und er kennt die Neuen besser als ich."
Dem Alten schien das Gespräch Probleme zu bereiten, da er wieder in sein Zusammenhangloses Gemurmel verfiel.
Die Wächter verabschiedeten sich und gingen zur Tür hinaus.
Inspäctor wollte gerade das Portal hinter sich schließen, als er hörte, wie der Leiter sagte "Gestern habe ich ihm doch sogar noch einen neuen Federkiel gegeben".
Der halbe Brindisianer blieb abrupt stehen und drehte sich um.
"Wie bitte?" fragte er.
"Felsneer wollte gestern einen neuen Federkiel von mir haben. Er hat immer so fest draufgedrückt beim Schreiben, wissen Sie."
Es folgte das Kratzen eines Stiftes auf Papier und Kolumbini klappte den Notizblock wieder zu.
"War das wichtig?" fragte ihn von Grauhaar.
"Vielleicht", meinte der Obergefreite. "Ich lege Wert auf die Kleinigkeiten, weißt du. Fräulein Lanfear erwartet immerhin einen Bericht von uns."
Igor humpelte schweigend hinter den Ermittlern her, als diese sich zum Büro des Zwerges Hwel durchfragten.

"Felsneer war zusammen mit Sansini das neueste Mitglied der Gruppe", erklärte der Stückeschreiber und Regisseur kurz darauf. "Er kam aus Sto Lat und hatte eine Empfehlung einer Wandertheatertruppe."
"Wie war das Verhältnis der Beiden zueinander?" fragte Myra.
"Sie kamen gut miteinander aus, wenn Sie das meinen. Nie Probleme mit irgendwelchen Mitgliedern der Gruppe."
"Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein, Herr Hwel", meinte Inspäctor.
"Mir fällt nichts mehr ein."
"Woher kam dieser Sansini und wo ist er gerade?"
"Auf die erste Frage kann ich Ihnen keine Antwort geben, Herr Wächter, da das einzige, was er mir als Empfehlung gab eine Bescheinigung für seine Fähigkeiten als Zauberkünstler war, aber er dürfte sich momentan in seiner Garderobe unter der Bühne aufhalten."
"Dann werden wir wohl erst mit ihm und dann mit dem Hausmeister reden", schlug Fred vor.
Seine Kollegen stimmten zu und sie verließen den Raum, gefolgt von einem schweigenden Igor.

Sansini hatte leicht gräuliches Haar und einen sorgfältig gekämmten Schnurrbart. In seinen eisblauen Augen schien sich die Kälte einer berechnenden Seele widerzuspiegeln. Momentan saß er in seiner Umkleidekabine, als es an der Tür klopfte.
Hastig steckte er das Ding, an dem er bis eben herumgewerkelt hatte in seine Hosentasche und rief "Herein".
Zwei Herren, eine Dame und ein Buckliger, der aussah, als wäre man mit einer besonders scharfen Waffe auf ihn losgegangen, um ihn nachher wieder zusammenzufügen, betraten den Raum.
"Guten Tag, Herr Sansini", begrüßte ihn die Dame. "Ich bin Hauptgefreite Schwertschleifer von der Stadtwache und dies sind meine Kollegen Obergefreiter Kolumbini und Gefreiter von Grauhaar."
"Guten Tag. Sie kommen wegen dem Unfall, nicht wahr? Eine tragische Angelegenheit."
"Mit dem kleinen Manko, dass es kein Unfall, sondern Mord war, der Herr", meinte Inspäctor. "Jemand hat das Seil, an dem der Sandsack befestigt war, durchgeschnitten."
"Das ist schrecklich", empörte sich der Schauspieler. "Haben Sie schon Verdächtige?"
"Bisher noch nicht. Aber wir forschen nach."
"Es ist beruhigend, wenn sich solch stattliche Frauen und Männer um unsere Sicherheit kümmern."
"Sie sprechen ziemlich gut Morporkianisch, Herr Sansini. Für einen Brindisianer meine ich", stellte Myra mit einem scharfen Unterton fest.
Das Gehirn des kalten Mannes reagierte schneller, als eine klatschianische Schwalbe eine Kokosnuss tragen konnte.
"Das ist nur ein Künstlername, wissen Sie. Aber mein richtiger Name wird nicht verraten, solange Sie mir keinen guten Grund dafür nennen. Ich stamme aus.. Sto Kerrig."
"Sto Kerrig", wiederholte die Hauptgefreite. "Interessant. Würden Sie uns vielleicht einige Fragen beantworten, Herr Sansini?"
"Wir müssen morgen einen Bericht abliefern, müssen Sie wissen", ergänzte Fred.
"Exakt. Kannten Sie den Ermordeten gut?" fragte die Ermittlerin.
"So würde ich sagen, ja. Er war immerhin ein Kollege von mir."
"Haben Sie vielleicht eine Idee, warum ihn jemand umbringen könnte?"
"Nein. Mir fällt absolut nichts ein. Höchstens vielleicht...jemand aus Sto Lat, der noch eine Rechnung mit Peter offen hatte."
Kolumbini nahm seine Pfeife heraus und stopfte sie sich. Gerade als er das Streichholz anzünden wollte fuhr in Sansini an, er vertrage keinen Pfeifenrauch und der Herr Wächter möge dies doch bitte unterlassen. Aufgrund der Plötzlichkeit dieser Aufforderung lies der Angesprochene das Streichholz fallen.
"Entschuldigen Sie, der Herr. Tut mir vielmals Leid."
Der Ermittler bückte sich und sah, dass das Streichholz unter einen Tisch gefallen war, der wohl ein Paradies für Kellerasseln darstellte.
Neben dem Zündutensil lag eine seltsam geformte Baumwollknospe, die wohl erst seit kurzem hier lag, da noch kein Staub daran zu sehen war.
Nachdem er sich die Knospe unauffällig in die Hosentasche gesteckt und das Streichholz aufgehoben hatte kam der halbe Brindisianer wieder unter dem Tisch hervor.
"Hab's gefunden", meinte er triumphierend.
Plötzlich ertönte ein schrilles Ding-Ding-Dingeling aus einer Hosentasche des Schauspielers.
"Was bei allen Göttern war das?" fragte Romulus erstaunt.
"Nichts, nichts", verteidigte sich Sansini. "Nur einer meiner Zaubertricks. Ich bin nämlich nicht nur ein Schauspieler, sondern auch ein erstklassiger..."
"Trickser?" fragte der Werwolf mit einem schelmischen Grinsen.
"Exakt, Herr Wächter. Obgleich ich glaube, dass man unsere Berufsgruppe hier in Ankh-Morpork Beschwörer nennt."
"Nun wir wollen nicht länger ihre Zeit in Anspruch nehmen, Herr Sansini", erklärte Myra freundlich.
Die Ermittler wandten sich zum Gehen und, als Kolumbini im Türrahmen stand, klopfte er sich an die Stirn drehte sich um und meinte: "Ach, noch eine Frage, der Herr. Wenn Sie gestatten."
"Natürlich."
"Wo befinden Sie sich, wenn Sie nach dieser Rauchwolke verschwunden sind?"
"Wir Beschwörer verraten nie unsere Geheimnisse."
"Es ist nur, dass ich nun annehmen muss, dass Sie zumindest die Möglichkeit gehabt hätten, Herrn Felsneer umzubringen."
Der Schauspieler lächelte.
"Sie sind mir ja ein ganz hinterlistiger, Herr...äh Kolumbini, nicht wahr?"
Der Angesprochene nickte.
"Mit ganz unschuldigen Worten unterstellen Sie mir den Mord an einem meiner besten Freunde."
Ein kühles Lächeln huschte über das Gesicht des Schauspielers.
"Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Sansini. Es ist nur für unseren Bericht, wissen Sie."
"In Ordnung, Herr Kolumbini. Ich befinde mich hier in meiner Garderobe."
Er zeigte dem Ermittler eine Falltür, die in die Decke eingearbeitet war und auf die Bühne führte.
"Vielen Dank, der Herr. Also steigen Sie durch die Falltür hier hinunter und bleiben die ganze Zeit hier."
"Ja. Der Hausmeister Mark bringt mir immer ein Glas Brandy, falls Sie jemanden suchen, der dass Alibi bestätigen kann."
"Danke sehr, der Herr."
Es ertönte das Kratzen eines Stiftes über Papier, als Fred etwas auf seinen Notizblock schrieb.
"Das wäre dann Alles. Entschuldigen Sie nochmals, dass ich Sie so sehr belästige."
"Sie belästigen mich doch nicht, Herr Kolumbini. Sie tun nur ihre Pflicht."
Der Wächter lächelte und ging aus dem Raum.
Man konnte die Anspannung aus Sansini entweichen können, wie die Luft aus einer Luftmatratze, wenn man gerade auf einer Lichtung nächtigt, die mehrere Dutzend Kilometer von den ersten Anzeichen der Zivilisation entfernt ist.
Gerade wollte er in eine seiner Hosentasche greifen, als sich die Tür erneut öffnete und sich Inspäctors Gesicht zeigte.
"Entschuldigen Sie, der Herr. Wissen Sie, manchmal bin ich wirklich zu vergesslich. Ich hätte da noch eine Frage."
"Tun Sie sich keinen Zwang an", meinte der Beschwörer monoton.
"Haben Sie einen Disorganizer?"
Wieder reagierte das Gehirn wie aus der Pistolenarmbrust geschossen.
"Nein. Für so etwas habe ich kein Geld."
"In Ordnung. Nochmals vielen Dank."
Vor der Tür hielt Fred inne und betrachtete den kleinen Tisch, der neben dem Eingang stand.
Auf ihm waren ein Glas Brandy und mehrere Gegenstände, die wohl zu irgendeinem Zaubertrick gehörten, wie zum Beispiel ein Totenschädel aus Ton, zu sehen.
"Willst du etwa noch einmal hineingehen?" bemerkte Romulus mit einem leicht sarkastischen Unterton.
"Nein", war die knappe Antwort des Kollegen, der den Tisch noch kurze Zeit weiter bedachte und sich dann den beiden anderen Ermittlern zuwandte.
"Wenn ihr mich fragt, hat er uns zumindest was seinen Herkunftsort angeht angelogen", meinte die Hauptgefreite Schwertschleifer. "Jemand, der aus Sto Kerrig kommt spricht nie und nimmer so feines Morporkianisch."
Die beiden anderen nickten nachdenklich.
Sie gingen den Gang hinunter und kamen, wie von den Schauspielern, die sie nach dem Weg gefragt hatten, beschrieben an eine Tür, die in ihrer Schlichtheit den anderen in diesem Hause gleich war.
"Markus Drack, Hausmeister" verkündeten die Schriftzeichen auf dem Portal und gerade, als die Wächter klopfen wollten öffnete sich die Tür und ein älterer Herr mit leichtem Bauchansatz trat heraus.
"Was machen Sie hier?" fragte der Mann in dem obligatorischen grauen Kittel. "Niemand hat hier etwas zu suchen, außer Mitarbeiter des Theaters..."
"...und der Wache", ergänzte Myra.
"Oh. Sie sind von der Stadtwache. Dann ist das natürlich was anders. Was kann ich für sie tun?"
"Vielleicht könnten Sie uns sagen, wo Sie zum Zeitpunkt des Mordes waren", fiel Romulus sogleich mit der gesamten Vorderwand ins Haus.
"Ich habe Herrn Sansi seinen Brandy gebracht. Wie jeden Abend seit den Proben."
"Aber er steht dort unberührt auf dem Tisch. Bringen Sie ihn denn nicht hinein?" hakte Kolumbini misstrauisch nach.
"Normalerweise schon, ja. Aber er führt mir immer einen kleinen Trick vor wissen Sie."
...
Mark klopfte an die hölzerne Tür, die zu Sansinis Garderobe führte.
"Ihr Brandy, Sansi", rief der Hausmeister.
"Warte Draußen Mark. Heute Habe ich mal einen besonderen Trick vor. Ich werde deine Gedanken lesen. Denke dir eine Zahl zwischen eins und vier...Hast du eine?"
"Ja."
"Gut. Du sagst mir jetzt gleich die Zahl und, wenn ich sie erraten habe, dann gehst du ohne ein Trinkgeld weg und stellst das Glas auf den Tisch. Wenn ich sie jedoch nicht errate, dann kommst du rein und holst dir das Doppelte ab, ok?"
"Geht klar, Herr Sansi."
"Also was war deine Zahl?"
"Die drei, Herr Sansi."
Es folgte eine kurze Pause.
"Heb den Tonschädel neben dir hoch, Mark."
Der Hausmeister tat wie verlangt und entdeckt unter dem Gegenstand einen kleinen Zettel auf dem stand: Ich wusste, dass Sie die drei nehmen würden.
...
Ich habe den Brandy also auf das Tischchen gestellt und bin weggegangen."
"Vielen Dank, Herr Drack", meinte Inspäctor. "Das wäre Alles."
"Bitte?" empörte sich Myra. "Es gibt doch wohl noch einige weitere Fragen."
"In Ordnung. Wie du wünschst, Madam."
"Wissen Sie, wer sich noch mit dem System der Seilzüge auskannte, außer ihnen und diesem Technikherren?"
"So ziemlich jeder hier wusste zumindest um die Existenz dieser Anlage. Aber wie gut kann ich Ihnen nicht sagen. Kann ich jetzt gehen?"
Die Ermittlungsleiterin nickte und, als der Hausmeister verschwunden war, wandte sie sich ihrem kleinen Kollegen zu.
"Was sollte das? Meinst du nicht, dass er der Hauptverdächtige ist? Er kannte sich am Besten damit aus, wie man die Technik zu Bedienen hatte."
"Das mag sein, aber er hat kein Motiv."
"Aber das hat keiner."
"Bisher, Myra. Bisher. Romulus? Überprüfe du doch bitte mal das Alibi von Drack und komm dann in das Büro von Felsneer, ja?"
"Und wo willst du nun hin?"
"Erst einmal will ich Sillybos suchen."

"Herr Wächter!" rief jemand hinter Kolumbini und Myra, als diese durch die engen Gänge des Theaters in die Richtung der Bühne gingen.
Als sich die Ermittler umdrehten sahen sie Hwel, der mehr oder minder schnell auf sie zukam.
"Mir ist da noch etwas eingefallen, dass ich vorhin vergessen habe."
"Erzählen Sie", meinte die Hauptgefreite Schwertschleifer.
"Und zwar ist mir wieder eingefallen, dass Felsneer gestern Sansini sprechen wollte. Er hatte mich nämlich darum gebeten, Sansi bescheid zu sagen, da er noch einige Sachen mit den Finanzen erledigen müsse. Peter hat Vitoller nämlich immer bei den finanziellen Dingen geholfen, wissen Sie."
Es folgte eine kurze Pause und anscheinend hatte die Ermittlerin gerade eine Art Geistesblitz.
"Ach sagen Sie, Herr Hwel. Könnte ein Motiv für den Mord vielleicht Eifersucht auf eine bessere Stellung innerhalb der Theaterhierarchie sein?" fragte Myra nach.
"Das ist sehr unwahrscheinlich. Wir arbeiten nach einer Art Rotationsprinzip, müssen Sie wissen. Zumindest was die Rollenverteilung angeht. Jeder spielt einmal eine Hauptrolle in einem Stück und in einem Anderen dann eine Nebenrolle. So entstehen keine Zwiste. Aber wie wir von der Scheibe immer sagen:
Es gibt keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler."
"Wir danken ihnen für diese Information Herr Hwel", bedankte sich Fred, um danach weiter durch die Gänge zu eilen.

Sillybos befand sich noch immer im Bühnenbereich und schien auf die Rückkehr seines Sklaven zu warten, der sich nicht am selben Ort aufhielt.
"Was Neues?" fragte Myra neugierig.
"Leider nicht. Hegelkant überprüft gerade das Büro des Opfers. Ich habe mir noch einmal die Bühne und auch die Seilzüge angesehen, aber Nichts gefunden."
Kolumbini trat vor und kramte dabei in seinen Taschen.
"Ich habe hier etwas, wozu ich gerne deine Meinung als Spurensicherer hätte. Einen Moment...ich habe es hier irgendwo", begrüßte er den Philosophen.
Kurz darauf zog der Ermittler mit hörbarer Erleichterung ein seltsam geformtes weißes Ding aus einer seiner MANTEL-Taschen.
"Weißt du, was das hier ist?"
"Eine Baumwollknospe. Ich habe diese Form aber schon einmal, wo gesehen. Ah, natürlich. Diese Dinger verwendet man zur Gedächtnislöschung von Disorganizern.[3] Wo hast du das her?"
"Ich habe es bei jemandem gefunden, der angeblich so ein Gerät nicht besitzt."
In diesem Moment kam Hegelkant zurück und berichtete, das Büro habe auch keine Beweismittel oder etwas Ähnliches preisgegeben.
Das werden wir gleich sehen, dachte Inspäctor.
"Igor?"
"Ja, Herr?"
"Ich habe eine Wichtige Aufgabe für dich."
"Waf, Herr?"
"Du musst zu David Dunkelkrähe und etwas für mich überprüfen."

Langsam nimmt alles Gestalt an, dachte der Ermittler. Wenn Igor Erfolg hat mit seinen Nachforschungen hat und ich in dem Büro von Felsneer das finde, was ich zu finden erwarte, dann haben wir unseren Mörder...

Eigentlich hatte der Raum, in dem Felsneer tagtäglich arbeitete die Bezeichnung "Büro" nicht verdient. Das einzige, was ihn von den anderen kleinen Umkleideräumen der Schauspieler unterschied war ein alter, wackliger Schreibtisch.
Auf selbigem war ein Tintenfass und ein Federkiel zu sehen. In der Ecke stand ein kleiner Ofen, dessen Klappe offen stand und einige verloren wirkende Kohlen preisgab.
Kolumbini begann sich in dem Raum umzublicken und kroch manchmal sogar auf dem Boden rum, um unter den Tisch blicken zu können.
Die Hauptgefreite betrachtete das Geschehen fasziniert. Nach einigen Minuten klopfte jemand an die Tür und der Gefreite von Grauhaar betrat das Zimmer.
"Was macht er da?" fragte der Neuankömmling seine Kollegin.
"Ich schätze, er sucht irgendwas, aber bisher habe ich ihn nicht gefragt", flüsterte die Angesprochene zurück.
"Wenn es euch interessiert: Ich suche den Briefblock von Felsneer", sprach der Obergefreite zu den Anwesenden. Darauf klopfte er sich gegen die Stirn, sah in einer der Schreibtischschubladen nach und holte eine lose zusammengeheftetes Bündel von unbeschriebenen Blättern hervor.
"So ein verfluchter Mist", empörte sich der Obergefreite. "Der Mörder war anscheinend so schlau, das oberste Blatt abzureißen."
"Fehlt nur das oberste?" fragte Romulus.
"Ja."
Der Werwolf lächelte und nahm Kolumbini den Block ab. Dann ging er zu dem kleinen Ofen und holte ein Stück verkohltes Holz heraus.
"Was willst du denn jetzt machen?" fragte Kolumbini und fügte sarkastisch hinzu: "Dich schminken?"
"Das hätte doch gar keinen Sinn, Kollege."
Und so was darf sich Ermittler nennen, dachte Fred. Wenn man Sarkasmus nicht erkennt, so sollte man in Ankh-Morpork nicht einmal auf die Straßen gelassen werden.
Der Gefreite zuckte mit den Schultern, legte den Briefblock auf den Schreibtisch und begann das oberste Blatt mit der Kohle zu schraffieren. Größtenteils schwärzte er damit einfach das Papier, doch an ganz bestimmten Stellen blieben weiße Linien zurück.
"Achso", rief Myra aus. "Jetzt weiß ich, was du machen willst."
"Siehe da! Wir haben unseren Mörder und sein Motiv."

Genau in diesem Moment ertönte von Draußen ein furchtbarer Lärm und keiner der Gesetzeshüter brauchte länger als einige Sekunden, um den Entschluss zu fassen, dass dies interessant werden könnte und rauszustürmen.
Vor dem Eingang des Theaters lag eine graue Kutsche, wie ein gestrandeter Wal. Beulen und Kratzer waren noch die geringsten Schäden.
Aus dem "Wal" kam langsam eine fluchende Gestalt.
"Fo ein verluchter Mift. Können die Leute fif nift einmal an die verdammte Gefwindigkeitfbegrenfung halten?" meckerte Igor aus vollem Herzen.
"Was ist denn passiert, Igor?" fragte Inspäctor erschrocken.
"If weif ef auch nift genau. Irgend ein Efelfkarren kam von der Feite und hat mif gerammt. If kam inf Fleudern und...nunja daf Ergebnif fiehft du ja."
"Ich glaube, das sollten wir S.E.A.L.S. melden", meinte Myra.
"Eine Gute Idee, Fräulein Fwertfleifer."
"Hast du wenigstens etwas herausgefunden, Igor?" fragte der Dienstherr.
"Ja, daf habe if, Herr. Herr Dunkelkrähe meinte, ef gäbe ein neuef Modell, mit dem die von dir angefprochenen Fachen möglif wären."
"Das ist sehr gut."
"Was ist sehr gut, Kolumbini?" fragte Myra neugierig.
"Wir haben unseren Mörder und die Beweise ihn hinter Gitter zu bringen", grinste der Ermittler.

Sansini war noch nie im Wachhaus von Ankh-Morpork gewesen und deshalb ging er recht ziellos durch die Gänge, weshalb es eine Zeit dauerte, bis er das Büro des Obergefreiten Kolumbini gefunden hatte, wo er sich melden sollte.
Dieser merkwürdige, zerstreute Wächter konnte ihm doch nicht etwa auf die Schliche gekommen sein, oder?
Das war einfach unmöglich.
Schließlich fand er das Büro und gerade als er an die Tür klopfen wollte kam von drinnen die Stimme des Ermittlers.
"Sind Sie das, Herr Sansini?"
"Ja", antwortete der Beschwörer kühl.
"Würden Sie bitte draußen warten? Ich würde gerne einen Zaubertrick an ihnen ausprobieren."
"Gerne, Herr Kolumbini. Ich freue mich immer, wenn unsere Berufsgruppe Zuwachs erhält."
"Denken Sie sich bitte eine Zahl zwischen eins und vier."
"Hab eine."
"Gut. Sagen Sie mir jetzt ihre Zahl."
"Es war die eins."
"Gut."
Es folgte eine Pause.
"Bitte schauen Sie unter dem Aschenbecher, der neben ihnen auf dem kleinen Tisch steht nach."
Der Schauspieler tat wie verlangt und hob den angesprochenen Gegenstand hoch.
Darunter war ein Zettel angebracht worden auf dem unsauber geschrieben die Worte "Ich wusste, dass Sie die eins nehmen würden" standen.
"Ein guter Trick."
"Und wissen Sie, was passiert wäre, wenn Sie eine andere Zahl genannt hätten?"
Der Beschwörer blieb still.
"Ich hätte einfach den entsprechenden Gegenstand gesagt", sagte plötzlich die Stimme von Inspäctor hinter Sansini.
Der Angesprochene zuckte zusammen und drehte sich ruckartig um.
Der Ermittler drehte einige andere Dinge auf dem Tisch um unter denen drei andere Zettel waren. Die Botschaft war bis auf ein Wort genau gleich den anderen. Aber wenn das Wort eine Zahl darstellt kann es große Unterschiede geben.
"Wie...?"
"Ich das gemacht habe, Herr Sansini? Bitte tun Sie doch nicht so, als ob Sie das nicht wüssten. Sie haben den selben Trick angewandt. Nur mit Mark und nicht zum Spaß, wie ich es eben getan habe. Sie haben es getan, um sich ein Alibi zu verschaffen. Ein Alibi für den Mord an Peter Felsneer."
"Meiner Meinung nach, haben Sie keinerlei Erklärung geliefert, wie ich meinen Freund umgebracht haben soll."
"Oh, das ist schnell erklärt."
Myra Schwertschleifer trat vor und begann mit der Erklärung.
"Sie haben sich gestern einen Disorganizer gekauft. Wo wissen wir noch nicht, aber es ist nur eine Frage der Zeit."
"Wissen Sie denn nicht mehr, dass ich Ihnen versichert habe, dass ich kein solches Gerät besitze?"
"Oh, doch, aber wir kamen etwas ins Grübeln, wie denn eine Baumwollknospe zur Gedächtnislöschung von Disorganizern in ihre Garderobe kommt. Außerdem war dieses "Dingeling" mit Sicherheit kein Zaubertrick, sondern der Beginn einer Ansage eines Dämons, die Sie gerade im rechten Moment noch abgewürgt haben. Aber nun zu der Erklärung: Es gibt ein neues Modell von Disorganizern, die Sprachnachrichten aufnehmen können und sogar mit Leuten "reden" können. Das heißt, dass sie eine Stimmenerkennungsautomatik haben und mehrere Antwortmöglichkeiten besitzen, sofern man sie einspeichert. Das haben Sie mit ihrem Modell getan, um den Hausmeister Mark mit dem eben gezeigten Trick zu täuschen und sich somit ein Alibi zu verschaffen. Sie haben sozusagen ihren Dämon als Doppelgänger verwendet."
"Nachdem Sie durch die Falltür in ihre Garderobe gegangen waren", fuhr der Gefreite von Grauhaar fort. "Haben Sie sich verkleidet, damit Sie nicht auffallen, wenn Sie in den hinteren Bereich der Bühne gehen und dort auf die Leiter klettern, um am Anfang des zweiten Aktes das Seil durchzuschneiden. Sie kletterten wieder herunter und kehrten in ihre Umkleide zurück, wo Sie sich schnell umzogen und der nette aber kühle Sansini waren. Leider kamen wir gerade in dem Moment, wo Sie das Gedächtnis ihres Dämonen löschen wollten, weshalb Sie die Knospe vor Schreck fallen ließen und Kolumbini sie entdeckte."
Es folgte eine kurze Pause und der Schauspieler begann zu Klatschen.
"Also eins muss man Ihnen lassen: Sie haben Fantasie. Selbst wenn es so gewesen wäre...wo bitteschön ist mein Motiv, Peter umzubringen."
"Das werde ich erklären", lächelte der halbe Brindisianer den Beschwörer an. "Hwel erzählte uns, dass Felsneer Sie einen Tag vor seinem Tode zu sprechen verlangte. Von Vitoller erfuhren wir, dass ihr Kollege einen neuen Federkiel haben wollte, was nahe legen ließ, dass er einen Brief schreiben wollte. Ich nahm mir die Freiheit heraus, so stark zu spekulieren, dieses Schriftstück habe etwas mit ihrem Gespräch zu tun. Wir mussten also unbedingt diesen Briefblock finden. Natürlich taten wir das auch, doch war leider ein Zettel bereits entfernt, weshalb mir ein alter Trick meines Freundes Phillipe Poiret einfiel. Wenn jemand, wie Felsneer die Angewohnheit hat, mit seinem Federkiel fest zu schreiben und nur die erste Seite eines Papierstapels fehlt, so kann man auf dem zweiten Blatt mit ein bisschen Kohle die ursprüngliche Schrift durch Schraffieren sichtbar machen."
Nach diesen Worten hielt der Ermittler ein Stück Papier hoch, auf dessen schwarzer Oberfläche deutlich feine weiße Linien zu erkennen waren.
"Hier haben wir ihr Motiv, Herr Sansini. Felsneer hatte jede Menge in der Hand, um Sie hinter Gitter zu bringen, weshalb er sie versuchte zu erpressen. Sie kommen nicht aus Sto Kerrig. Wenn sie dort herkommen würden, wäre ihr Morporkianisch mit Sicherheit nicht so fein. Sto Kerrig ist ein kleines Dörfchen und wie jedes kleine Dörfchen spricht man dort einen ziemlich merkwürdigen Dialekt. Sie kommen aus Sto Lat, Herr Sansini. Genau wie Herr Felsneer. Nur waren Sie kein ehrenwerter Bürger, wie ihr toter Kollege, sondern haben sich wohl nicht ganz an die Gesetze gehalten. Da Peter Felsneer gute Kontakte zur Wache von Sto Lat hatte, erfuhr er, dass jemand, zu dem Zeitpunkt zu dem er hierher reiste, aus dem dortigen Gefängnis entkommen und, wie die neuesten Ermittlungen ergaben, vermutlich nach Ankh-Morpork geflüchtet sei. Felsneer hat Ihnen gedroht zur Wache zu gehen. Oder?"
Der Beschwörer war die ganze Zeit still gewesen, hatte aber nicht einmal mit auch nur einer Wimper gezuckt.
Langsam streckte er die Hände nach vorne.
"Sie haben mich enttarnt, Herr Kolumbini", gestand er.
"Ich weiß, Herr Sansini."
"Was war mein Fehler?"
"Sie hätten mehr Seiten von dem Block entfernen sollen."
"Aber was bin ich nun? Schauspieler, Beschwörer oder Verbrecher?"
Kolumbini lächelte schelmisch.
"Ich verhafte Sie, Herr Sansini. Was immer Sie sind."

[1] siehe Single Shadow of the Past 2 oder: Tot macht erfinderisch (Anm. d. Autors)

[2] Egal wie gut es ein Igor auch meinte, sein Lächeln war immer schief, da es aufgrund der Nähte gar nicht anders möglich war

[3] Siehe den Scheibenweltroman The Truth/Die volle Wahrheit Anm. d. Autors

Zählt als Patch-Mission.



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung