Außendienst wider Willen

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von Kommandeur Rince (SUSI)
Online seit 29. 06. 2003
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Kommandeur Rince macht seine Ausbildung zum S.U.S.I.-Laboranten. Gleich bei seinem Abschluss-Fall muss er jedoch feststellen, dass er sich selbst bei dieser als reinen Schreibtischtätigkeit vermuteten Spezialisierung, nicht auf seiner faulen Haut ausruhen kann.

Dafür vergebene Note: 12

"Die Abteilung S.U.S.I. ist eine Service-Abteilung für die restlichen Abteilungen. Sie kann immer zu Hilfe gerufen werden, wenn Rat und Tat im Bereich der Kriminaltechnik gefordert ist."
Rince lächelte und nickte bestätigend als er die Zeilen las. Er befeuchtete seinen Zeigefinger und blätterte zur nächsten Seite des Leitfadens für S.U.S.I.-Angehörige um.
"Die Aufgabe von S.U.S.I. ist es, die Spuren eines Tatortes zu schützen, zu sichern, auszuwerten und zu bewerten. Die gewonnenen Informationen sind den ermittelnden Abteilungen zukommen zu lassen, damit diese die Erkenntnisse in ihre Ermittlungen einfließen lassen können", las der chwergewichtige Wächter die letzten Worte der Einleitung zu Ende.
"Rince, ich weiß, das ist dein erster Tag bei S.U.S.I., aber du liest das jetzt schon zum dritten Mal", ertönte hinter Rince die Stimme von Lady Rattenklein.
Rince hatte Richt bemerkt, dass die Hauptgefreite sein neues Büro bei S.U.S.I. betreten hatte. Da sie eine Gnomin war, war das auch nicht weiter verwunderlich. Gnome waren nicht gerade bekannt dafür, dass sie immer und überall sofort auffielen.
"Die Einleitung ist gut", entgegnete Rince nur knapp, ohne sich umzudrehen.
Er mochte es nicht, wenn er ohne sein Wissen beobachtet wurde. Sein Kommandeursbüro hatte den Vorteil, dass nicht jeder einfach so hereinzuplatzen wagte, was wiederum zahlreichen ausgedehnten Mittagspausen zu Gute kam. Hier bei S.U.S.I. allerdings hatte er die Stellung eines Laboranten und es gab deshalb Mitarbeiter wie die fertig ausgebildete Laborantin Lady Rattenklein oder der Abteilungsleiter Pismire, die Rince in gewisser Weise
kontrollieren konnten.
"Die Einleitung hast du selber geschrieben, als die Abteilungen geschaffen wurden", erinnerte die Gnomin den Kommandeur unverblümt, woraufhin dieser sich schließlich doch noch umdrehte.
"Ich lese eben gerne Dinge, die mir vertraut sind. Das gibt mir Sicherheit."
"Vielleicht hättest du damals auch ein paar zusätzliche, nützliche Details über die Aufgaben in S.U.S.I. aufführen können."
Der vorwurfsvolle Ton in Lady Rattenkleins Stimme war nicht zu überhören. Der angehende Laborant betrachtete den Leitfaden in seiner Hand. Im Grunde genommen enthielt er nicht viel mehr als die Einleitung, die er eben gelesen hatte.
"Nun, vielleicht hättest du besser die Abteilungen geschaffen, Hauptgefreite!"
Nun war es an Rince, mit einem bissigen Unterton zu antworten. Lady Rattenklein schluckte. Es war aber auch wirklich eine komische Situation, den Kommandeur mit
in der Abteilung zu haben. Er arbeitete von nun an sozusagen "halbtags" als Laborant bei S.U.S.I., so wie er vorher halbtags bei Intörnal Affärs gearbeitet hatte,
nur dass der Job als Agent besser zu einem Kommandeur gepasst hatte, wegen dem Befehle geben, kontrollieren und so weiter. Eigentlich sollte sie Rince als Laborant einlernen. Jedoch waren die Positionen nicht richtig abgesteckt und es war sicher intelligenter, ein Austesten der Grenzen durch eine höfliche Behandlung ausgehend von beiden Seiten zu vermeiden. Das war hier in diesem Fall wohl gleich mal in die Hose gegangen.
"Nun gut", begann die Hauptgefreite in einem weicheren Ton.
"Wenn du etwas über die Laboranten-Tätigkeit lernen willst, dann kannst du die Bücher vergessen. In der Wache hat sich keiner die Mühe gemacht, alles aufzuschreiben und die Bücher von den Alchimisten. Nun ja, so gut können die nicht sein, wenn man bedenkt, wie oft diese Kerle es fertig bringen, sich in die Luft zu sprengen."
"Und das wollen wir natürlich vermeiden", Rince grinste.
"Unbedingt!", Lady Rattenklein grinste nun ebenfalls.
"Bei mir gäbe das ne Riesen-Sauerei."
Die beiden lachten. Die Laborantin vorsichtshalber nicht ganz so laut wie Rince. Auf jeden Fall war die Atmosphäre nun eindeutig besser. Dann konnte es ja losgehen.


***



Lady Rattenklein führte Rince in das S.U.S.I.-Labor. Im Labor befand sich die Spurensicherin Gefreite Alice, welche gerade über einem Formular brütete, das sie ausfüllte. Neben dem Formular lag ein Berg von Papiertütchen auf dem Tisch. Darin mussten sich wohl gesicherte Spuren befinden, die sie nun für den Spurensicherungsbericht katalogisierte. An einem weiteren Tisch saß der Spurensicherer Korporal Sillybos, ein Philosoph aus Ephebe. Er bemerkte Rince nicht, denn er war in ein intensives Argumentations-Duell mit seinem dunkelhäutigen Sklaven Hegelkant vertieft. Die beiden waren Rince nur zu gut bekannt. Erst letztens hatte Rince die Beschwerde von einigen Rekruten bekommen, dass Sillybos bei ihnen durch einem Vortrag über die Erstellung von Berichten, starke Kopfschmerzen verursacht hatte.
Neben der Eingangtüre befand sich eine Reihe von Kleiderhaken, an denen weiße Laborkittel hingen. Auf Fußhöhe befand sich ein einzelner Nagel, an dem ein sehr viel kleinerer Kittel, wahrscheinlich von einer Puppe stammend, hing. Diesen schnappte sich Lady Rattenklein und zog ihn an. Rince tat es ihr gleich und zog einen der großen Kittel an.
"Erste Regel im Labor. Kittel an! Egal, ob du dich gut auskennst oder nicht, du siehst damit gleich doppelt so wichtig aus", sagte die Hauptgefreite und zwinkerte Rince zu.
"Das werde ich mir merken", antwortete dieser. Bei seinem derzeitigen Wissensstand konnte er dies durchaus gebrauchen. "Und trage ich den Kittel auch, wenn ich mich in der Stadt bewege?"
"Nein, dann tragen wir von S.U.S.I. die ganz normale Uniform, wie die S.E.A.L.S. und die Rekruten von G.R.U.N.D. auch. Das dient zur Prävention. Je mehr Uniformen man in der Stadt sieht, desto besser. Das da.", die Hauptgefreite zeigte auf eine sehr dicke Weste, die ebenfalls an einem der Haken hing, ".das ist eine Schutzweste. Die trägt unser Ballistiker Herr Made bei seiner Arbeit. Die Spurensicherer haben ihre Tatortkleidung in ihren Kleiderschränken in den Büros. Da sind dann weiße Overalls mit der Aufschrift S.U.S.I. auf dem Rücken. Die Anzüge bedecken, abgesehen vom Gesicht, den ganzen Körper. So hinterlassen die Spurensicherer am Tatort selber keine Spuren."
Rince nickte und hob dann den Zeigefinger "Und außerdem wird damit der Wichtigkeitsfaktor verdoppelt?"
"Du lernst schnell! Unterschätze niemals die Macht des Wichtigkeitsfaktors auf normale Bürger."
"Was ist das dort drüben?", Rince zeigte auf einen Schreibtisch, der mit Reagenzgläsern überfüllt war. Einige davon waren mit Flüssigkeiten gefällt, andere nicht. Außerdem befand sich ein Stapel mehrerer leerer Schälchen auf dem Tisch, sowie eine zentral platzierte Kerze.
"Das ist der Analysetisch für Blutproben. Hier wird das Anziehungsverfahren, das Katzenbringersche Nachweisverfahren, die Knurblich-Attacke, der Fackelmannscher Erl-Test und das Versetzen mit Mobilus Reliquidor durchgeführt", antwortete Lady Rattenklein beiläufig. Es war offensichtlich, dass sie schon eine Weile als Laborantin arbeitete, denn ihr fiel nicht auf, wie Rince bei der Aufzählung lediglich die Augenbrauen nach oben verzog.
"Aha", war seine knappe Antwort. Damit konnte er zumindest nichts Falsches sagen.
"Das erkläre ich dir alles noch ausführlich. Und natürlich wird der erste Test mit deinem Blut durchgeführt."
Zur Unterstreichung ihrer Worte zog Lady Rattenklein einen Brieföffner hervor, der zwar klein, aber definitiv scharf genug wirkte um die eine oder andere Blutprobe zu 'entnehmen'.
"Das ist ein Scherz, oder?", meinte Rince und hob abwehrend die Hände.
"Definitiv nicht. Das ist Brauch bei S.U.S.I.. Die Laborantin Isis habe ich bei ihrer Ausbildung damit auch schon gestochen."
"Lass dich nicht veralbern, Rince." Alice schaute von ihrer Arbeit auf. "Isis hatte als Mumie keinen Tropfen Blut mehr in sich. Außerdem spürt sie eh keine Schmerzen mehr."
Lady Rattenklein schenkte Alice den giftigen Du-Spielverderberin-Blick und fuhr dann mit ihrem Vortrag fort.
"Das hier", sie griff nach einem Ikonographen, "ist die wichtigste Waffe eines Spurensicherers. Fast jede Spur, die gesichert wird, wird vorher ikonographiert. Aber auch wir Laboranten müssen mit dem Ding umgehen können, weil wir zuständig für die S.U.S.I.-Erfassung sind. Nachdem wir den Straftätern mit dem Fingerabdrucksystem die Fingerabdrücke abgenommen haben, müssen wir mehrere Ikonographien für die Strafakte anfertigen. Das erkläre ich dir später auch noch."
"Sehr schön", entgegnete Rince.
"Das dort drüben ist übrigens das Fingerabdruck-System."
Die Gnomin zeigte auf einen dreieckigen Holzkasten, der ein paar Meter entfernt auf einem Tisch stand. Die lange Seite des Dreiecks bestand nicht aus Holz, wie der restliche Kasten, sondern aus einer Glasplatte. Kaum hatte die Hauptgefreite ausgesprochen, hob sich die Glasplatte etwas an und es kam eine kleine grüne Hand hervor, die einen einzelnen Finger ausstreckte, der sich verdächtig weit in der Mitte der Hand befand. Dann verschwand die Hand wieder.
Rince grummelte gereizt "Die Dinger hassen mich. Alle von ihnen!"
"Normalerweise habe ich keine Probleme mit Dämonen, aber der hier ist ein Sonderfall", stimmte die Laborantin zu und machte mit ihren Händen eine angedeutete Würge-Bewegung.
"Mit dem wirst du sicher auch noch deinen Spaß haben, Rince", ließ sich Alice vernehmen, ohne aufzuschauen.
"Da bin ich mir sicher, dass er das wird", stimmte Lady Rattenklein zu und fuhr dann fort. "Der Aktenschrank im Nebenraum beinhaltet die gesamten Strafakten der Straftäter. Mit Personalien, Bildern, Fingerabdrücken, ihren bisherigen Vergehen und so weiter. Für Recherchen sind wir Laboranten als Innendienstler hauptverantwortlich. Es sei denn, dass der Sachbearbeiter aus der ermittelnden Abteilung hier selber Hinweise auf einen Täter suchen sollte, aber."
".aber das ist noch nie vorgekommen", beendete Oberleutnant Pismire ihren Satz. Der Abteilungsleiter kam gerade ins Labor und schüttelte Rince dann die Hand. "Schön, dass du mit im Team bist, Rince."
"Danke. Ich bin auch froh, dabei zu sein. Es tut mir sicher gut, wenn ich die I.A.-Uniform ausziehe und nicht mehr die halbe Wächterschaft zusammenzuckt, wenn sie mich sieht."
Pismire nickte verstehend "Dann bekommt Rascaal jetzt die ganze Ladung Angst ab. Ich denke, er wird damit nicht das geringste Problem haben.", dann mit einem Seitenblick auf Lady Rattenklein "Ansonsten verläuft alles nach Plan?".
"Ja, Sir", entgegnete Lady Rattenklein sofort "ich führe den Kommandeur gerade ein wenig herum, bevor wir zur eigentlichen Ausbildung übergehen."
"Sehr gut. Ich bin in meinem Büro, falls ihr mich braucht", verabschiedete sich Pismire wieder.
Lady Rattenklein und Rince schauten Pismire hinterher, bis er verschwunden war, dann holte die Hauptgefreite tief Luft.
"Aaaaalso, wo waren wir stehen geblieben? Achja, der Aktenschrank mit den Strafakten."


***



Zwei Wochen später. Montag 9.00 Uhr

Zwei lehrreiche Wochen später saß Rince früh morgens in seinem S.U.S.I.-Büro. Die Hauptgefreite Lady Rattenklein hatte ihm viel beigebracht. Er kannte sich jetzt mit jeder Menge Spurenarten aus und wusste, was die Abteilung Suchen und Sichern für Möglichkeiten hatte, diese zu analysieren und auszuwerten. Er wusste Bescheid über Haare, Blut-, Finger-, Schuh-, Karren- und Werkzeugspuren. Zudem durfte er auch schon eine S.U.S.I.-Erfassung durchführen. Da kein Straftäter zur Verfügung stand, musste kurzerhand Hegelkant, der Sklave des Philosophen Sillybos den Straftäter spielen. Hegelkant hatte zwar schon öfters zu Ausbildungszwecken Leichen, Straftäter oder ähnliches spielen müssen, jedoch war er wegen der meist nicht gerade anspruchsvollen schauspielerischen Tätigkeiten gelangweilt.[1]. Insgesamt hatte Rince sich also mit sämtlichem theoretischen Wissen ausgestattet und er hatte fast jede Analyseart auch schon mindestens einmal durchgeführt. Doch die Ausbildung war noch nicht beendet.
In der Wache war es zum Abschluss der Ausbildungen zu den Spezialisierungen üblich, dass das gelernte Wissen kombiniert an einem echten oder gestellten Fall nachgewiesen werden musste. So auch bei der Ausbildung zum Laboranten.

Kommandeur Rince schüttete den Inhalt der Papiertüte auf dem Schreibtisch seines Büros aus, woraufhin dieser mit mehreren Papiertütchen sowie einigen Ikonographien und Berichten bedeckt war. Rince öffnete eine Schublade und holte einen Apfel daraus hervor, von dem er hungrig ein großes Stück abbiss und danach die Wächterin vor sich betrachtete. Die Gefreite Will Passdochauf war nicht gerade dass, was man eine erfahrene Wächterin bezeichnete, denn tatsächlich war sie erst seit kurzem mit ihrer Grundausbildung fertig. Jetzt trug sie die Uniform der S.E.A.L.S., was an dem aufgenähten Seehund zu erkennen war. Ansonsten wirkte die Uniform noch sehr unbefleckt... beziehungsweise sehr schlicht, was mit Sicherheit die bessere Bezeichnung war, da Will's Uniform zwar von keinerlei Auszeichnungen geschmückt wurde, jedoch im Schulterbereich mit zahlreichen weißen "Flecken" versehen war. Die Gefreite war die neue Kommunikationsexpertin der S.E.A.L.S. und kümmerte sich um die Tauben. Sie hatte diese Ausbildung zwar ebenfalls hinter sich, aber der Taubenkot verriet, dass sie noch nicht ganz den Dreh bei ihrer Tätigkeit heraus hatte. Die Gefreite schaute sich nervös in Rince' Büro um.
"Keine deiner Tauben dabei, Will?", Rince zeigte auf die Kette die im Bereich der rechten Schulter an der Uniform befestigt war.
Diese diente Wächtern dazu, um eine Brieftaube anzuketten und so ohne einen Käfig oder ähnliche Gerätschaften auf Streife gehen zu können. Die Nachteile dieser Transportart lagen auf der Hand. [2]
"Nein, im Wachhaus trage ich keine Taube bei mir. Nur wenn ich auf Streife gehe", entgegnete Will.
Die Gefreite zeigte auf den auf dem Schreibtisch verteilten Inhalt der Papiertüte.
"Kannst du damit etwas anfangen? Das ist mein erster Einbruch und ich weiß noch nicht so recht, wie das mit den Spuren abläuft."
Rince biss nochmals vom Apfel ab "Hast du deinen Bericht schon geschrieben?"
Will nickte und überreichte dem Kommandeur ein Blatt und dieser warf einen flüchtigen Blick darauf.
"Gut, ich habe deinen Tatortbericht, dann den Spurensicherungsbericht des Spurensicherers und schließlich noch die gesicherten Spuren selber. Dann kann ich mich jetzt an die Arbeit machen und sende dir dann meinen Laborbericht per Rohrpost."
"Sehr gut. Danke"
"Ich danke auch"
Will war erfreut, dass sie dann wohl alles richtig gemacht hatte. Sie salutierte kurz, wand sich dann zum gehen, hielt dann noch mal inne und holte eine Zeitschrift aus einer der Taschen der Uniform heraus.
"Ach, ähm, Sir, ich habe mich gefragt, ob du vielleicht Interesse an der neuesten Ausgabe des Kommunikationsturms hättest?"
"Äh, Gefreite, hat nicht schon dein stellvertretender Abteilungsleiter Korporal Cim Bürstenkinn einmal ein Gespräch mit dir geführt, was das Verteilen von Broschüren während des Dienstes angeht?"
Die Gefreite war sichtlich überrascht, dass Rince davon wusste. Es war ihr wohl nicht bekannt gewesen, dass Cim an die ganze Wache weitergesteuert hatte, dass Will mit dem Verteilen von Broschüren über Om deutlich über die Stränge schlug, und dass sich die gesamte Wächterschaft nicht drauf einlassen solle.
"Äh, ja", stammelte sie etwas betreten. "Dann, äh, höre ich von dir wegen der Spuren?"
"Natürlich. Bis dann."
Die Gefreite salutierte nochmals und verließ dann hastig das Büro.
Rince grinste und schüttelte den Kopf.
"Also dann", seufzte er, griff zum Tatortbericht und las ihn sich durch


Tatortbericht

von der Gefreiten Will Passdochauf.
Datum 25. Juni.

Anlage: 1 Vernehmung des Geschädigten Hr. Feinschliff

In das Juweliersgeschäft Klunker in der schmalen Gasse Nr. 25 wurde in der Zeit vom 24. Juni 8 Uhr abends und dem 25. Juni 6 Uhr morgens eingebrochen.

Inhaber des Geschäftes ist Rudolph Feinschliff, wohnhaft Ankertaugasse 6, Ankh-Morpork.

Der Diebstahl wurde am Morgen des 25. Juni vom Besitzer selber bei der Wache angezeigt. Vor Ort wurde Spurensicherung durch den Obergefreiten Lupos Drachenflug durchgeführt. Zur Absicherung des Tatorts war der Gefreite Gnomen est Nomen anwesend. Zum Thema der aufgefundenen Spuren verweise ich auf den Spurensicherungsbericht des S.U.S.I.-Mitarbeiters.

Es konnten keine Zeugen des Einbruchs festgestellt werden auch sonst besteht keinerlei Tatverdacht. Um eine Endbearbeitung der gesicherten Spuren wird gebeten.

Gezeichnet
Will Passdochauf, Gefreite




Schließlich folgte dem Bericht noch eine Aufstellung der entwendeten Gegenstände, sowie die Vernehmung von Herrn Feinschliff, welche aber außer der Einschränkung des Tatzeitraums nicht wirklich viel hergab.

Rince nahm den Spurensicherungsbericht zur Hand.


Spurensicherungsbericht

vom Obergefreiten Lupos Drachenflug
Datum 25. Juni

Anlage: 2 Spuren im Original, 9 Ikonographien

Anlässlich eines Einbruchs in ein Juweliergeschäft in der schmalen Gasse wurde eine Spurensicherung am Tatort durchgeführt.

Spuren 1-5:
Im Bereich der Außenseite der Vitrinen, in denen sich die entwendeten Gegenstände befanden, wurden insgesamt per Russpulver 5 Fingerspuren gefunden und ikonographiert. An der Vitrineninnenseite waren keine Fingerspuren vorhanden.

Spur 6:
Bei einer Vitrine wurde die Scheibe eingeschlagen, wodurch ein rundes Loch entstanden ist. An den Schnittkanten des Glases wurden Blutanhaftungen festgestellt. Die blutigen Glasteile wurden im Original gesichert.

Spur 7:
Auf der Oberfläche besagter Vitrine wurde ein Haar gefunden und ebenfalls im Original gesichert.

Spur 8:
Der Besitzer des Juweliergeschäftes wurde zu S.U.S.I. verbracht, wo von der Laborantin Hauptgefreite Lady Rattenklein mittels Fingerabrucksystem Vergleichsabdrücke genommen wurden.

Anm.: Der Geschädigte wurde vom Fingerabdruckssystemsdämonen beleidigt mit folgenden Ausdrücken:

..reicher Sack
..Wurstfinger-Pottsau
......
......

Der Geschädigte verzichtet auf eine Verfolgung dieser Beleidigungen seitens der Ankh-Morpork Stadtwache und hat ein Verzichtsformular unterschrieben, welches beigefügt wurde.


Gezeichnet Lupos Drachenflug, Obergefreiter



Rince betrachtete grinsend den letzten Teil des Spurensicherungsberichts. Dieser war mit einem Stempel auf den Bericht gestempelt worden. An den gepunkteten Stellen waren handschriftlich die Beleidigungen eingetragen worden. Rince wusste aus seiner bisherigen Wache-Tätigkeit, wie lange man einige Standardsätze schreiben musste, bevor man aus Gründen der Zeitersparnis dafür einen Stempel gefertigt bekam.
Der Kommandeur legte die Berichte zur Seite und nahm die am Tatort angefertigten Ikonographien zur Hand. Es waren insgesamt 9 Ikonographien. 5 Stück davon waren formatfüllende Ikonographien von den Fingerspuren, die auf den Vitrinen gefunden worden waren. Dann war da die vom Fingerabdrucksystem gefertigte Ikonographie der Handinnenfläche des Ladenbesitzers Herrn Feinschliff. Als nächstes kam eine Übersichtsaufnahme des Juwelierladeninnenraums.
Rince nahm einen letzten Bissen von seinem Apfel und beförderte ihn dann in den Mülleimer. Kauend sah er sich das nächste Bild an auf dem eine Vitrine abgebildet war, die wie ein kleiner Tisch mit einem Glaskasten aussah. An der Front war sie eingeschlagen worden. Lupos hatte auf der Ikonographie einen Pfeil eingezeichnet, der in Richtung des Loches zeigte. Der Pfeil war mit dem Hinweis "Blut" gekennzeichnet.
Auf der nächsten Ikonographie befand sich eine Nahaufnahme der Vitrine. Es war deutlich Blut an den Schnittkanten im unteren Bereich des Loches zu erkennen.
"Hm, interessant", dachte Rince laut und griff zu der größten Papiertüte. Darin befand sich das gesicherte Glasstück. Rince zog sich kurzerhand ein Paar von Willi Keinesorges Handschuhen über [3] und holte das Glasstück raus.
"Verdammt", dachte Rince. "Da ist vielleicht nicht mal genügend Blut übrig, um den Blut-Test für eine der Rassen zu machen, geschweige denn für alle."
Grübelnd legte er das Glas wieder in die Papiertüte und schaute sich die letzte Ikonographie an. Auf dem Bild war das auf der Glasplatte liegende Haar abgebildet. Daneben befand sich ein angelegtes Maßband. Das Haar hatte laut Bild eine Länge von 4,5 cm.
"Na dann fangen wir doch mal damit an", meinte Rince.

Der Kommandeur stand auf, packte die ganzen Spuren und Formulare und begab sich von seinem Büro in das angrenzende Labor. Nachdem er alles auf einem Untersuchungstisch abgelegt hatte, angelte er sich einen Laborkittel vom Haken und zog ihn sich an.
Dann legte der angehende Laborant ein weißes Blatt Papier auf den Untersuchungstisch und machte es sich auf dem Stuhl bequem. Schnell nahm er sich eine Pinzette aus einem Becher auf dem Untersuchungstisch, in dem diverse Greifwerkzeuge aufbewahrt waren. Vorsichtig öffnete er das kleinere der beiden Papiertütchen und griff mit der Pinzette hinein. Nach einiger Anstrengung bekam Rince das einzelne Haar zu fassen, nahm es heraus und legte es auf das Blatt Papier.
"Puh, das wäre geschafft. Jetzt nur nicht niesen", dachte Rince während er sorgfältig ein Maßband neben das Haar legte.
Darauf achtend, dass er nicht zu stark ausatmete, öffnete er eine Schublade des Untersuchungstisches und holte eine Lupe heraus.
Die Lupe hielt er an beide Enden des Haares und errechnete die Länge.
"4,4 cm.Farbe.hm, würde rot sagen, oder rotbraun", murmelte Rince. "Von der Konsistenz des Haares her, sieht es nach Barthaar aus. Eventuell auch Haupthaar, leicht gewellt. Schamhaar ist auszuschließen."
Diese Ergebnisse trug er schnell in ein Formular ein, dann stand er auf und fuhr mit dem Finger an einer Reihe von Flaschen auf dem Tisch entlang, bis er die richtige gefunden hatte. Auf dem Etikett stand "Hundigs Haarwuchsmittel". Er nahm die Flasche vom Regal und öffnete den Verschluss. Mit einer Pipette zog er einige Tropfen auf und tropfte sie mit zittriger Hand auf das Haar. Schnell legte Rince die Pipette beiseite und schnappte sich wieder die Lupe, um die Geschehnisse genau beobachten zu können.
"Wie zu vermuten war", murmelte Rince, nachdem er einige Augenblicke gewartet und dann die Länge nochmals nachgemessen hatte.
Er nahm wieder das Formular zur Hand und machte beim Feld "Werwolf: ja/nein" ein Kreuz bei "Nein". Werwolfhaare unterscheiden sich durch ein erhebliches Wachstumspotential von anderen Haaren. Einige Tropfen des Haarwuchsmittels hätten bei Werwolfshaaren sofort eine Reaktion verursachen müssen. Aber die Tatsache, dass es sich bei dem ehemaligen Inhaber des Haares nicht um einen Werwolf handelte, half bei den Ermittlungen nicht sonderlich weiter. Diese Eigenschaft traf auf ca. 99,9999% der Bevölkerung Ankh-Morporks zu. Rötliche Haare hatten jedoch bei weitem nicht so viele. Rince packte kurzerhand mit der Pinzette das Haar wieder zurück in das Papiertütchen.
Als nächstes kamen die Ikonographien der Fingerspuren. Rince verglich unter der Lupe die Auffälligkeiten in den feinen Kapillarlinien bei den einzelnen Spuren mit dem Abdruck des Ladeninhabers. Es war ja schließlich gut möglich, dass einige Spuren von ihm stammten. Nach ausgiebiger Prüfung konnte Rince drei der fünf gesicherten Fingerspuren Herrn Feinschliff zuordnen. Die anderen beiden allerdings stammten nicht vom Ladeninhaber. Rince verglich die beiden nicht passenden Spuren miteinander und stellte fest, dass sie von der gleichen Person stammten.
Natürlich konnte man immer noch nicht sicher sagen, dass die Spuren vom Täter stammten. Schließlich waren die Spuren in einem Laden gefunden worden, der jedem öffentlich zugänglich ist. Zu schade, dass an der Innenseite der Vitrine keine Fingerspuren vorhanden waren, denn da fasste kein Kunde hin.
Aus den Notizen von Lupos auf der Rückseite der Ikonographien war ersichtlich, dass die beiden "fremden" Spuren an unterschiedlichen Vitrinen gesichert wurden. Die Person war also entweder ein sehr interessierter Kunde oder vielleicht doch der Täter. Leider ließ sich die Spur nicht mit sämtlichen Fingerabdrücken aus der Fingerabdruck-Kartei vergleichen. Dort waren inzwischen bestimmt schon an die 600 verschiedene Personen erfasst. Ein manueller Abgleich würde hier Tage dauern und leider gab es keinen Dämon, der diese Tätigkeit hätte beherrschen können. Beim manuellen Abgleich war lediglich der gezielte Vergleich mit einigen enger in Frage kommenden Personen möglich. Leider war die Verdachtslage momentan so dünn, dass man keine Eingrenzungen der zu vergleichenden Abdrücke vornehmen konnte.
"Hallo Rince!"
Rince, der ganz in seiner Arbeit versunken gewesen war, drehte sich um. Die Obergefreite nefer-pa-isis betrat in Begleitung von Lady Rattenklein und einer dritten Person das Labor, die sehr gut gekleidet war und nach gehobenerem Adel aussah.
"Hallo nefer, hallo Lady Rattenklein. Eine SE? [4]", grüßte Rince zurück.
"Richtig", antwortete nefer. "Ich habe den guten Mann hier des Mordes überführt."
"Gratuliere! Weiter so."
Rince zeigte der R.U.M.-Ermittlerin den Daumen nach oben und blickte danach fragend Lady Rattenklein an.
"Ich übernehme das mit der SE", sagte die Hauptgefreite und Laborantin.
"In Ordnung", meinte Rince. Ihm war es recht, dass er nicht gestört wurde. So konnte er sich wieder der Analyse der Spuren widmen.
Rince betrachtete nochmals die Ikonographie der Vitrine an der Blut gefunden wurde.
"Hmmmm"
Kurzerhand stand er auf und ging in das Büro von Lupos Drachenflug, welches ebenfalls an das Labor angrenzte. Der Spurensicherer schrieb gerade an einem Spurensicherungsbericht, als Rince ihm die Ikonographie in die Hand drückte.
"Kurze Frage, Lupos. Wie hoch ist diese Vitrine bei dem Einbruch von heute Morgen gewesen?"
"Nunja, ich habe die Höhe nicht gemessen."
"Grob geschätzt?", hakte Rince nach.
"Grob geschätzt würde ich sagen, dass der Glaskasten in einer Höhe von vielleicht 80 Zentimetern seine Unterkante hatte. Die Oberkante war dann vielleicht 30 Zentimeter höher, also auf einer Höhe von 1,10 Meter. Aber wie gesagt, das ist nur grob geschätzt. Ich übernehme keine Gewähr dafür, dass das auch stimmt. Um was geht's denn?"
Als der Obergefreite wieder von der Ikonographie aufschaute, war Rince bereits verschwunden.


***



09.56 Uhr

"Ich wusste es! Wahnsinn!"
Rince' Jubelschrei hallte durch die S.U.S.I.-Gemächer, so dass sich innerhalb von 10 Sekunden alle anderen im Dienst befindlichen S.U.S.I.-Mitglieder von der übermächtigen Neugier getrieben in Rince' Büro befanden.
"Was ist los, Rince?", platzte es Korporal Larius de Garde als erstem der Anwesenden raus.
"Ich hab's geschafft!", Rince war außer sich vor Freude.
"Sag schon! Was denn?!", Isis fuhr den Kommandeur ungeduldig an.
"Nachdem ich das Blut von diesem Glasstück mit Mobilus Reliquidor wieder flüssig gemacht hatte, hatte ich nur eine so geringe Menge, dass ich lediglich einen einzigen Test für eine der Spezies machen konnte. Und nun schaut euch mal diese Ikonographie an." Rince streckte den acht Wächtern in seinem Büro die zweite Ikonographie der Vitrine entgegen.
Keiner der Wächter sagte etwas. Inzwischen hatte sich die Neugier sichtlich gelegt.
"Und, fällt euch was auf?", fragte Rince aufgeregt. "Keinem? Na gut, ich sag's euch. Die Vitrine wurde an der Vorderseite eingeschlagen und nicht wie man denken könnte an der Oberseite. Deswegen habe ich geschlussfolgert, dass es sich um einen kleinen Täter handeln musste, der besser in die Vitrine fassen konnte, wenn er von der Seite aus hinein griff. Ein Mensch beispielsweise hätte sich auch, selbst wenn er sich dazu entschlossen hätte, die Seite einzuschlagen, niemals an der Unterkante des Loches verletzt, sondern an der Oberkante. Weil er so groß ist, versteht ihr?".
Rince blickte in lauter schweigende Gesichter. Der eine oder andere verzog gelangweilt den Mund. Manche tauschten Blicke aus und rollten dabei mit den Augen.
"Nunja, ist ja egal. Auf jeden Fall habe ich alles auf eine Karte gesetzt und das Blut auf die Spezies Zwerg getestet. Ich habe Eisenpulver hinzugefügt und BAMM!...", Rince klatschte plötzlich einmal laut in die Hände wodurch die Wächter, die ihm am nächsten standen kurz aufschreckten ".Volltreffer! Das Blut ist die Verbindung mit dem Eisen eingegangen und zu dem Magneten geflossen", fuhr Rince fort. "Der Täter ist ein Zwerg", beendete er seinen Vortrag und blickte erwartungsvoll in die Gesichter der versammelten Wächterschaft.
Der erhoffte Jubel blieb aus, ein Wächter weiter hinten räusperte sich, die anderen starrten Rince einfach nur an.
"Faszinierend", sagte Charly Holm schließlich trocken und meinte es nicht im Geringsten ernst. "Du hast soeben einen ersten Schritt in eine größere Welt getan."
Die anderen drehten sich mit einem allgemeinen leicht ärgerlichen Murren wieder um und drängten aus dem Büro. "Willkommen bei S.U.S.I.", hörte Rince noch von einem der Wächter, als sich die Tür auch schon wieder schloss und er enttäuscht und alleine zurückblieb.
"Dann halt nicht!", maulte er.


***



11.00 Uhr

Die Gefreite Will Passdochauf saß eine Stunde später in ihrem Büro vor ihrem Schreibtisch und war in den Laborbericht des Einbruchs vertieft. Nachdem sie ihn durchgelesen hatte, lehnte sie sich weit zurück, legte den Kopf in den Nacken und schaute in Gedanken versunken an die Decke. Diese Position hielt sie etwa zwei Minuten lang ein, bis.
"Ein Zwerg.... Eine Verletzung am Unterarm.... Ein möglicher Fingerabdruck des Täters.... Rote bis rotbraune Haare vom Bart- oder Haupthaar."
Nachdem die 18-jährige Kommunikationsexpertin sich die Fakten des Berichtes noch einmal laut vorgesagt hatte, schwieg sie wieder und blickte weiter an die Decke.
Weitere zwei Minuten später.
"Was zum Geier soll ich nur machen?"
Will hielt noch einen Moment inne und stand dann mit Schwung ruckartig von ihrem Stuhl auf, verließ das Zimmer, um beim Büro eines der anderen S.E.A.L.S.-Abteilungsmitglieder anzuklopfen.


***



11.08 Uhr

Rince ging mit der Ikonographie einer der am Tatort vorgefundenen und möglicherweise vom Täter stammenden Fingerspuren bewaffnet in den kleinen Aktenraum neben dem Labor. Der Raum war voll von Regalen, die alle bis zur Decke reichten. Hier befand sich die Fingerabdruckkartei mit den Strafakten sämtlicher überführter Täter Ankh-Morporks. Die Akten wurden angesammelt seit es die Abteilung Suchen und Sichern gab. Eine ganze Menge, wie Rince fand. Die Akten waren zuerst nach Rassen sortiert und innerhalb der Rassen dann nach den Nachnamen der Täter. Der Kommandeur ging langsam durch den Raum, bis er das Regal mit den Zwergen gefunden hatte. Dann seufzte er tief.
"Das sind bestimmt knapp einhundert Akten. Ohne weitere Hinweise dauert das zig Stunden, bis ich die durch habe", dachte er bei sich.
Rince seufzte wieder. Momentan hatte er neben diesem letzten Fall keine anderen Fälle und Dienstschluss war erst um 16.00 Uhr. Bei seinem "Abschlusstest" wollte er die Zeit bis dahin nicht mit Kaffee trinken verbringen, was ein normaler Wächter wohl tun würde.
Rince verließ wieder den Aktenraum um sich einen Stuhl zu holen. [5]


***



12.15 Uhr

Damien G. Bleicht stand der Schweiß auf der Stirn. Er presste sich mit dem Rücken an die Wand einer sehr, sehr schmalen Gasse. Eigentlich war es keine Gasse, sondern nur ein mit der Zeit entstandener Spalt zwischen zwei Häusern, die ursprünglich mal zusammen gestanden hatten. 10 Zentimeter vor seiner Nase befand sich die Wand des nächsten Hauses. Damien rang nach Atem. Seine von der Anstrengung geplagten Lungen leisteten Schwerstarbeit. Nicht jeder Wächter hätte in den Spalt zwischen den Häusern gepasst. Zum Glück war Damien nur 58 kg schwer und damit so dünn wie ein Junge.
Gerade als sich, ein aufmerksamer Beobachter zu fragen beginnen könnte , warum der Obergefreite eigentlich in dem Spalt steckte, versteifte sich Damien plötzlich, hielt die Luft an und schaute nach rechts in die einmündende Straße. Keine Sekunde später liefen eine Vielzahl von Männern und Frauen an dem Spalt vorbei. Manche von ihnen waren mit Heugabeln bewaffnet, andere trugen Fackeln. Damien hörte Rufe wie "Sieht jemand den Untoten?" und "Komm raus, wir wollen doch nur mit dir reden".
Als der Mob außer Sicht war, entspannte sich Damien und ließ die Luft mit aufgeblähten Backen wieder aus seinen Lungen entweichen. Er hasste es einfach, immer diesen wütenden Mobs entkommen zu müssen. Untote waren einfach auf deren Abschussliste, dabei war Damien nicht einmal untot. Gut, seine Haut war blasser als ein Stück Kreide und selbst blasser als die von Untoten selber, aber er tat immer sein Bestes, die Leute davon zu überzeugen, dass er ein ganz normaler Mensch war. Allerdings waren Ankh-Morporks Bürger nicht dafür bekannt, die besten Zuhörer zu sein.
Der Obergefreite kämpfte sich seitlich aus dem engen Spalt heraus und stand dann wieder auf der Straße, wo er sich kurz orientierte und dann weiter auf den Weg machte.
Als er noch Rekrut bei der Wache war, hatte er keine Probleme mit den Leuten gehabt, erinnerte sich Damien. Eine Uniform schien so etwas wie eine heugabel- und fackelfreie Zone um den Wächter herum zu erzeugen. Erst seitdem er bei den S.E.A.L.S. als Szenekenner tätig war und im Rahmen seiner Tätigkeit öfters ohne Uniform ermittelte, um seine "Kundschaft" nicht zu verschrecken, stellte sich wieder das alte Heugabel-Problem. Nunja, im Grunde genommen war Damien noch kein richtiger Szenekenner, sondern noch in Ausbildung, wenn man hier überhaupt von einer richtigen Ausbildung sprechen konnte, denn es kam lediglich darauf an, mit möglichst vielen "Leuten"[6] zu sprechen. Obwohl er also noch kein fertig ausgebildeter Szenekenner war, hatte Damien doch schon einige Kontakte geknüpft. Als er von dem wütenden Mob überrascht worden war, war Damien gerade auf dem Weg zu einem dieser Kontakte gewesen.
Inzwischen war der Obergefreite an seinem Ziel angekommen. Er stand vor einer Tür, über der ein Schild mit der Aufschrift "Pfandleihe H. Ehler" hing. Damien schaute sich noch einmal kurz verstohlen um und betrat dann den Laden.


***



13.25 Uhr

"Da bist du ja!", rief Will Passdochauf und haute Rince gleichzeitig von hinten auf die Schulter.
"Aaaah!", Rince schreckte wie vom Blitz getroffen von seinem Stuhl auf, drehte sich um und schaute die Gefreite wütend an. Er arbeitete seit gut zwei Stunden im Aktenraum und das einzige Geräusch, das seine Ohren belästigt hatte, war das Rascheln der Seiten beim umblättern. [7]
"Wie kannst du dich nur so anschleichen! Siehst du nicht, dass ich hier arbeite?"
"Tut mir leid, Rince. Ich habe dich nur überall gesucht und war froh, dich endlich gefunden zu haben."
"Ist schon in Ordnung. Was gibt's denn so dringendes?"
"Nunja, wegen des Falls..."
"Achso, der Fall ja. Ich habe mir einige Akten angeschaut, aber keine Übereinstimmung mit den Fingerspuren vom Tatort feststellen können."
"Hm, schade, kann man nichts machen", meinte die Gefreite, dann hellte sich jedoch ihr Gesicht auf "Aber hey, ich habe eine neue Spur. Ich habe einen S.E.A.L.S.-Szenekenner gebeten, sich mal etwas umzuhören, ob jemand von dem Abschaum etwas über den Diebstahl weiß."
Rince hob die Augenbrauen. "Und?"
"Einem ortsansässigen Pfandleiher wurde Schmuck in größeren Mengen angeboten. Der Handel kam allerdings nicht zu Stande, weil der Verkäufer einen Preis verlangt hatte, der für heiße Ware nicht angemessen war. Der Verkäufer hat dem Pfandleiher gesagt, dass er ihn in der 'Goldgrube' erreichen kann, wenn er seine Meinung ändert. Ich habe mich erkundigt, die Goldgrube ist eine Zwergenkneipe in den Schatten."
"Ich kenne die Goldgrube. Die übelsten Gestalten, die die Zwergenrasse hervorgebracht hat, sind dort versammelt. Kein Wächter, der lange leben möchte, sollte dort einen Fuß reinsetzen", Rince kniff die Augen zusammen und nickte leicht, um Will seinen Standpunkt zu verdeutlichen.
"Deswegen habe ich uns beiden ja Verstärkung besorgt, die bereits tot ist", grinste die Gefreite etwas nervös. "Die Spur ist zu heiß, um sie zu ignorieren. Und wir haben nicht viel Zeit, bevor der Dieb sich einen neuen Hehler sucht."
"Moment, moment.", Rince hob abwehrend die Hände und lachte "Sagtest du gerade du hast uns Verstärkung besorgt?"
Rince sah sich in der Position, die Gefreite erst einmal herunterzubremsen. Motivation und Aufklärungswille waren eine gute Sache, jedoch waren sie auch eine tödliche Kombination für Wächter und Wächterinnen wie Will Passdochauf, die noch grün hinter den Ohren waren. Zu oft bekamen solche Wächter nicht mehr die Gelegenheit mehr Erfahrung zu sammeln. Ankh-Morpork konnte ein grausames Pflaster für Wächter sein, vor allem wenn sie noch lebendig waren, so wie Will und Rince.
"Ja, ich will dort reingehen. Und ich will, dass du mitgehst, Rince, um die Finger der Anwesenden mit den Tatortspuren zu vergleichen."
"Hör mal zu Gefreite, ich bin ein S.U.S.I.-Laborant. Diese Tätigkeit ist sehr vielseitig und anspruchsvoll, jedoch wenn ich einige Dinge aufführen sollte, die man nicht mit der Tätigkeit des Laboranten in Verbindung bringen sollte, dann wären 'Ermittlungen', 'Außendienst' und vor allem 'sich in einer Kneipe in den Schatten, die voller Kniescheiben zerteilender Schwerverbrecher ist als Wächter ausgeben' garantiert nicht dabei. Und jetzt solltest du besser machen, dass du verschwindest und nicht dein Leben und das von Mitwächtern gefährdest, Gefreite Will Passdochauf!"
Rince zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung des Ausgangs aus dem Aktenraum.
"Es ist bereits alles abgesprochen. Meine Abteilungsleiterin hat bei deinem Abteilungsleiter deine Hilfe angefordert und der hat sie zugesagt."
Rince funkelte die Kommunikationsexpertin noch einen Moment lang wütend an, dann ließ er jedoch wieder seinen Arm sinken und sein Gesicht wurde weich.
"Es gibt sicher noch andere Wege, den Fall zu lösen, Will. Wege, die weniger gefährlich sind", begann er in nachdenklichem Ton. "Zum Beispiel könnte dieser besagte Pfandleiher mit uns die Kneipe observieren und uns den Zwerg zeigen, der ihm die Klunker angeboten hat, sobald dieser rauskommt."
"Schon versucht. Das macht er nicht mit. Es ist eine Sache, für ein gewisses Entgelt, Informationen über einen geplatzten Deal herauszugeben. Mit der Wache eine gemeinsame Aktion in den Schatten zu veranstalten eine andere. Wenn den Mann die falsche Person mit der Wache zusammen sieht, ist sein Leben nicht einmal mehr so viel Wert wie eins von Schnappers Würstchen."
"Dann vielleicht ein verdeckter Zwergen-Ermittler, der sich in der Kneipe umsieht", schlug Rince als nächstes vor.
"Wir haben keine Zwerge, die verdeckte Ermittler sind. Die inzigen zwei Zwerge der Wache sind noch ganz frische Gefreite, die noch nicht einmal die Ausbildung ihrer Abteilung abgeschlossen haben."
"Kanonenfutter"
Will nickte.
"Dann hatte ich mir noch überlegt, ob wir mit der gesamten F.R.O.G. Einheit die Kneipe stürmen und alle festnehmen.", erzählte Will "Jedoch haben wir nicht das Recht, sämtliche Kneipenbesucher festzunehmen. Ganz zu schweigen von den praktischen Problemen, wie dass wir nicht genug Zellen haben oder dass es Tote geben könnte und das wäre ja nicht so toll."
"Spar dir deinen Sarkasmus", warnte Rince, dem der letzte Satz nicht gefallen hatte. "Aber in Ordnung, gehen wir. Wenn die Abteilungsleiter wollen, dass wir unser Leben riskieren... wer bin ich denn, dass ich ihnen widersprechen könnte?"
Jetzt war für Will der Sarkasmus nicht zu überhören. Jedoch beschlich sie der Gedanke, dass der Kommandeur nicht wirklich so sehr dagegen war, mitzugehen, wie er es vorgab zu sein. Vielleicht wollte er wieder auf die Straße, weil ihm die Büro- und Laborarbeit auf die Nerven ging. Vielleicht aber wollte er auch einfach nur, dass alle lebend aus der Sache raus kamen. Auch wenn Rince ziemlich gewichtig und mit Sicherheit keine Kampfmaschine war, so war er doch immerhin Kommandeur der Stadtwache geworden. Das wurde niemand, der unvorsichtig war oder nicht wusste, wie man in heiklen Situationen überlebte.
"Und deine Taube bleibt hier, Frau Kommunikationsexpertin!", Rince hielt Will den ausgestreckten Finger vor's Gesicht und schreckte diese damit aus ihren Gedanken auf. "Wenn die Kacke anfängt zu dampfen und wir Verstärkung bräuchten, dann ist es eh zu spät."
Die beiden verließen den Aktenraum. Rince legte seinen Laboranten-Kittel ab und ging dann in sein Büro. Dort öffnete er seinen Schrank und nahm eine Mini-Armbrust sowie sein Schwert heraus und befestigte beides am Gürtel. Schließlich schnappte er sich noch sein Stempelkissen vom Schreibtisch um vor Ort eine Überprüfung von Fingerabdrücken machen zu können. Dann nickte er Will zu. Er war bereit.


***



13.30 Uhr

Will und Rince gingen die Treppen im Wachhaus hinunter. Sie waren gerade im Erdgeschoss angekommen, als Rince die zwei von Will zur Unterstützung versprochenen Wächter bemerkte, die sich, offensichtlich wartend, rechts und links an den Flurwänden lässig anlehnten. Beide trugen mit grünen Einlegern versehene schwarze Hosen sowie die dunkelgrünen Hemden, auf deren rechten Brusttasche ein Bild des morporkschen Krustenbrecherfrosches, dem Abteilungszeichen der F.R.O.G.s, aufgenäht war. Sie waren jeweils mit zwei leichten Armbrüsten bewaffnet und am Gürtel trugen sie neben einer Halterung, aus deren Enden weitere Bolzen schauten, auch noch die eine oder andere Nahkampfwaffe.
Als Rince näher kam, erkannte er, dass es sich bei den F.R.O.G.s um Korporal Sidney und den Gefreiten Valdimier van Varwald, die beiden leichten Armbrustschützen der Retter ohne Gnade handelte. Beide Wächter waren Rince nur zu gut bekannt, weil er in seiner Zeit bei Intörnal Affärs gegen beide Ermittlungen geführt hatte. Korporal Sidney war ein äußerst aggressiver und schwer zu zügelnder Wächter. Er war verurteilt worden, weil er auf einen Bürger geschossen hatte, der ihm dumm gekommen war. Ebenso hatte er es auf dessen Sumpfdrachen abgesehen gehabt. Als Strafe sollte er Sozialdienst in einem Heim für Sumpfdrachen ableisten. Das Ende der Geschichte war, dass der Stall mit den Sumpfdrachen abbrannte und alle Drachen starben. Danach sollte er Küchendienst im Palast des Patriziers ableisten. Die Küche hatte er kaum gesehen, jedoch kämpfte Sid im Palast erfolgreich mit einem Assassinen[7a] und rettete so das Leben des Patriziers. Kein anderer Wächter hatte I.A. so viel Arbeit gemacht wie dieser Werwolf-Wächter. Trotzdem hatte Sid, eine der besten Aufklärungsquoten in der Wache.
Der Vampir Valdimier van Varwald war zwar noch relativ neu in der Wache, jedoch hatte er auch keine Schwierigkeiten damit, das Recht zu verbiegen um Ergebnisse zu erzielen, was seine rechtswidrige Durchsuchung einer Wohnung, bei der ihn Rince in seiner Eigenschaft als Agent auf frischer Tat ertappt hatte, bewies. Valds Ausbildung bei Sidney hatte mit Sicherheit ebenfalls ihre Spuren bei dem Neuling hinterlassen.
Rince war froh, die beiden dabei zu haben. Die Chancen, das Ganze zu überleben, waren gerade eben beträchtlich gestiegen.
Korporal Sidney stieß sich von der Wand ab und betrachtete dann mit einem Grinsen eine seiner leichten Armbrüste. Dann schaute er zu Rince und Will.
"Lasst uns gehen und in ein paar Hintern treten."


***



14.10 Uhr

"Noch ein Bier!"
Der Adressat dieser unfreundlichen Stimme war Josef Schüttnochnach. Josef war der Wirt der Goldgrube, der verruchtesten Zwergenkneipe von ganz Ankh-Morpork und damit auch der verruchtesten der ganzen Scheibenwelt. Und das machte Josef stolz.
"Kommt sofort", sagte er und schnappte sich ein Glas vom Regal.
Er suchte sich nicht das sauberste Glas raus, wie es in anderen Spelunken üblich war, sondern das durch das man die Farbe der Wand hinter dem Regal nicht mehr erkennen konnte. Bevor er das Glas mit Inhalt belohnte, beäugte er es noch einmal, wobei er ein Auge zukniff um besser ins Glasinnere schauen zu können. Scheinbar war er nicht mit dem Zustand des Glases zufrieden, denn er spuckte plötzlich etwas grünlich-gelbes hinein, um die letzten Reste von Sauberkeit daraus zu verbannen. So schätzten es seine Gäste und sie bekamen was sie gewohnt waren, schließlich hatte die Goldgrube einen Ruf zu wahren.
Josef Schüttnochnach zapfte das Bier und schob es dem Zwerg, der es bestellt hatte hin. Er war ein guter Kunde. Ein guter Kunde war für den Barbesitzer ein Kunde, der schon mindestens einen Mord auf dem Gewissen hatte. Ein normaler Kunde hatte nur geraubt, geschlagen, zerstört, gestohlen, vergewaltigt oder aber Schnapper gezwungen eins seiner Würstchen selber zu essen. Diese Gäste waren gut für den Ruf der Goldgrube und damit gut für's Geschäft. Außerdem sorgten sie dafür, dass es keine anderen Arten von Kunden gab. [9]
Josef betrachtete den Schankraum. Er war bereits gut gefüllt und das obwohl es erst früher Nachmittag war, was ihn zufrieden grinsen ließ. Auch seine Kundschaft hatte einen Ruf zu wahren, nämlich den, solche Leute zu sein, für die der Spruch 'Kein Bier vor Vier' extra erfunden worden war. Mütter sollten auf sie zeigen, um ihren Kindern Angst zu machen, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie sich nicht an die Regel hielten.
Er überlegte sich, ob er den Schmutz auf der Theke etwas verteilen oder etwa eine stinkende Zigarre anzünden sollte, entschloss sich dann beides gleichzeitig zu tun und griff gerade nach einem Streichholz, als die Eingangstüre der Goldgrube mit Wucht aufflog und einen kurzen Augenblick später vier bewaffnete Menschen im Schankraum standen.
"Keine Bewegung! Stadtwache!", schrie einer der Menschen, der in schwarz-grüner Kleidung steckte und schwenkte zwei Armbrüste herum, um möglichst viele Gäste im Visier zu haben, während er versuchte sich Überblick zu verschaffen.
Die anderen drei Menschen, die ihrem Aussehen nach ebenfalls Wächter waren taten es ihm gleich. Einer von ihnen war ebenfalls in schwarz-grüne Kleidung gehüllt und trug zwei Armbrüste. Die zwei übrigen Wächter waren ein Fettsack und eine Frau, jeweils mit einer Armbrust bewaffnet.
Im Raum war das Geräusch von Waffen zu hören, die bereitgemacht wurden. Die Wächter hatten offensichtlich Mühe, alles im Auge zu behalten, zumal sich ihre Augen noch nicht an die in der Spelunke herrschende Dunkelheit gewöhnt hatten.
"Wer sich bewegt, der stirbt!", rief einer der schwarz-grün gekleideten Wächter. Er war, genau wie sein Kollege riesig, nur dass er sehr bleich war.
Genau in diesem Moment holte ein Zwerg hinter ihm aus. Blitzschnell drehte sich der Wächter und schoss. Ein schmerzerfüllter Schrei durchbrach die angespannte Stille, gefolgt von einer Wurfaxt, die zu Boden fiel. Der Besitzer der Wurfwaffe hielt sich den Arm vor die Augen und schrie gequält. Der Bolzen hatte den Arm durchbohrt und Blut tropfte auf den schmutzigen Boden. Als der Wächter, der geschossen hatte das Blut sah, lächelte er gefährlich, wobei er für jedermann im Raum sichtbar seine spitzen Eckzähne entblößte.
Die Spannung im Schankraum war praktisch greifbar. Jeder der Gäste der Goldgrube brannte förmlich darauf, einen der Wächter zu töten. Es war eine Gelegenheit, die wie gerufen kam, um ein exzellenter Kunde zu werden. [10] Lediglich die schnellen Reflexe des Vampirs, dessen Augen im dunklen Raum aufgrund der Nachtsichtfähigkeit alles erfassen konnten, ließen bei den Zwergen Zweifel aufkommen, ob es vielleicht nicht doch besser war, sich zurückzuhalten. Tote Kunden konnten kein Bier mehr bestellen. Zumindest nicht in der Goldgrube.
"Wir sind von der Stadtwache", begann die weibliche Wächterin mit zittriger Stimme. Sie schluckte, atmete tief durch und fuhr dann mit etwas festerer Stimme fort "Wir ermitteln aufgrund eines Einbruchs in ein Juweliergeschäft. Ich fordere hiermit alle Anwesenden auf, mir ihre Unterarme zu zeigen!"
Zuerst folgte keine Reaktion seitens der Gäste, dann erhob sich langsam ein verachtliches Lachen, das sich unter den Anwesenden fortpflanzte, bis alle anwesenden Zwerge lauthals lachten. Die Wächter schienen zu spüren, wie ihnen die Situation langsam entglitt. Es war klar, dass lediglich die schussbereiten Armbrüste sie davor bewahrten augenblicklich von der Meute zerfetzt zu werden. Während die Zwerge lachten befestigte der Vampir-Wächter die leer geschossene Armbrust an seinem Gürtel und holte aus der Halterung an seinem Gürtel einen neuen Bolzen hervor. Gleichzeitig hielt er die Armbrust in der anderen Hand weiterhin auf die Gäste gerichtet und ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Mit nur einer Hand legte er den Bolzen in die leere Armbrust, spannte sie und entfernte die frisch geladene Armbrust wieder von seinem Gürtel, um sie sofort wieder auf die Gäste zu richten.
"Haltet die Schnauze!", schrie der dicke Wächter mit zornerfüllter Stimme. "Ich bin Kommandeur der Stadtwache und rate euch, zeigt mir eure Unterarme. Das ist eure letzte Chance!"
Es ging ein Raunen durch den Raum. Der Prämie war soeben drastisch gestiegen. Das Ansehen das man genoss, wenn man einen Wächter tötete, war beträchtlich. Aber es würde nichts sein im Vergleich zu dem Ruhm den man erlangte, wenn man den Kommandeur der Wache tötete.
Die Wächter spürten, wie die Menge kurz davor war loszuschlagen. Der andere Wächter in schwarz-grün rief plötzlich
"Halt stehen bleiben! Im Namen der Stadtwache!".
Niemand wusste, wen er meinte, denn noch hatte sich keiner der Zwerge gerührt. Der Wächter legte sich die Armbrust über die Schulter, so dass der Bolzen auf einen Bereich hinter ihm gerichtet war. Ohne sich umzudrehen, zog er den Abzug durch und der Bolzen sauste los.
"Gnrrrraaaafffff"
Ein Zwerg fiel vornüber und blieb mit dem Rücken auf dem Boden liegen. Der Bolzen steckte in seiner Brust und seine leblosen Augen blickten an die Decke.
Der Vampir grinste diabolisch und lud, ebenfalls einhändig, wie sein Kollege zuvor, die Armbrust neu.
"Die Unterarme! Sofort", sagte der dicke Wächter mit bedrohlicher Stimme.
Etwas im Raum hatte sich verändert. Die Zwerge zeigten den Wächtern ihre Unterarme. Nicht aus Angst, sondern. aus Respekt. Sogar der Zwerg mit dem vom Bolzen durchbohrten Arm zeigte fast freudig seine Arme. Er hatte nach relativ kurzer Zeit beschlossen, die Schmerzen herunterzuschlucken und nicht weiter zu schreien. Josef Schüttnochnach nickte dem Wächter, der geschossen hatte, anerkennend zu. Der Wirt erkannte Gleichgesinnte, auch wenn sie scheinbar für die andere Seite arbeiteten. Dieser Wächter hätte ein guter Kunde sein können, wenn er ein Zwerg gewesen wäre.
"Der da!", rief die Wächterin und zeigte auf einen der Gäste dessen Unterarm eine rote Linie aufwies, die auf eine frisch zugefügte Wunde schließen lies. "Was meinst du Rince?"
"Könnte passen. Außerdem hat er rote Haare. Hat sonst noch einer eine Verletzung?", fragte der Stadtwache-Kommandeur.
"Nein, Sir", sagte der Vampir. "Er ist der einzige mit einer Wunde."
"Ich nehme Sie im Namen der Stadtwache fest. Sie haben.", begann die weibliche Wächterin auf den betreffenden Zwerg einzureden.
"Will!", brachte der Dicke unter zusammengebissenen Zähnen hervor.
".das Recht zu sagen, was sie wollen oder aber auch das was sie nicht wollen, weswegen sprechen im Schlaf inbegriffen ist. Sie haben das Recht auf einen."
"WILL!", donnerte der Kommandeur, worauf hin, die Gefreite stockte.
"Ja, Sir?"
"Draußen. Okay?", sagte der Kommandeur zuckersüß und mit einem gezwungenen Lächeln.
"Okay"
Die Wächter zogen sich Schritt für Schritt rückwärts aus der Goldgrube zurück, wobei sie weiterhin die Waffen auf die Gäste gerichtet hielten. Der Festgenommene folgte mit erhobenen Händen. Als alle wieder draußen im Tageslicht standen, gaben sie der Eingangstüre der Spelunke einen Tritt so dass sie ins Schloss fiel.


***



Auf dem Rückweg traute sich keiner der Wächter darüber zu reden, dass Sidney einen der Zwerge getötet hatte. Von sich aus würde mit Sicherheit auch keiner freiwillig davon erzählen, denn alle wussten, dass der Zwerg Sidney nicht angegriffen hatte und Sidney somit keinen wirklichen Grund gehabt hatte, ihn zu töten. Aber genauso wussten auch alle, dass, wenn niemand gehandelt hätte, ein paar Sekunden später die ganze Spelunke über sie hergefallen wäre, was zumindest für die beiden nicht untoten Wächter deren Tod zur Folge gehabt hätte.
Falls sie doch jemand danach fragen sollte, wie es kam, dass einer der Zwerge getötet wurde, dann bestand kein Zweifel daran, dass die Wächter Sidney decken würden. Dazu bedurfte es keiner Worte. Und so gingen sie schweigend weiter.

Schließlich waren die Wächter wieder im Wachhaus am Pseudopolisplatz angekommen, wo dem festgenommenen Zwerg mittels Fingerabdrucksystem die Fingerabdrücke abgenommen wurden. Ursprünglich hatte Rince vorgehabt, vor Ort eine behelfsmäßige Überprüfung mittels eines Stempelkissens und eines Blattes seines Notizblockes zu machen. Aber letztendlich war es doch besser gewesen, lieber schleunigst die Goldgrube zu verlassen.
Die abgenommenen Fingerabdrücke stimmten mit denen überein, die am Tatort gefunden worden waren. Eine Überprüfung seiner Identität ergab, dass es sich um Regor Fünfkerbe, einen kriminellen Zwerg, der bereits wegen mehrerer kleinerer Delikte aufgefallen war, handelte. Natürlich behauptete Regor, dass er lediglich als Kunde im Juweliergeschäft gewesen war und seine Abdrücke deshalb dort gefunden worden waren. Ihm das Gegenteil nachzuweisen wäre sicher nicht einfach. Aber die Wächter wussten genauso gut wie Regor selber, dass Regor nicht der Typ Zwerg war, der Schmuck in Juweliergeschäften kaufte. Und die Diebesgilde, an die er aufgrund des unlizensierten Diebstahls übergeben werden würde, wusste es mit Sicherheit auch. Und wenn nicht, dann war die Wache jederzeit bereit, ihre Ansichten mit anderen Institutionen zu teilen.
Die Diebesgilde brauchte keine Beweise die bis ins letzte Detail gingen. Sie baute vielmehr auf Geständnisse. Und weil sie diese immer bekam, egal ob die Beschuldigten nun schuldig waren oder nicht, war die Wache, im Interesse der Verdächtigen, darauf bedacht, nur solche Täter den Gilden zu übergeben, die auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tatsächlich die Straftat auch begangen hatten.
Regor musste also auch bei der Wache noch Verhöre über sich ergehen lassen. Außerdem war es die Aufgabe der Wache, noch das Diebesgut beschaffen, das ja irgendwo versteckt war. Doch das alles kümmerte Kommandeur Rince nicht mehr. Schließlich war er nur ein Laborant der Service-Abteilung Suchen und Sichern und kein Wächter aus den ermittelnden Abteilungen. Außerdem hatte er in fünfzehn Minuten Dienstschluss und der war heilig. Vielleicht sollte er heute etwas früher nach Hause gehen. seinen Abschlusstest hatte er wohl bestanden. Ja, das sollte er wohl tun.




[1] Dass bei der S.U.S.I.-Erfassung dem Ikonographen die schwarze Farbe ausging und mit beträchtlicher Zeitverzögerung wieder neue besorgt werden musste, trug auch nicht gerade zur guten Laune des Sklaven bei

[2] Oder wie in diesem Fall besser ausgedrückt: Auf der Schulter

[3] Tatsächlich sind seit Kurzem Handschuhe mit in Keinesorges Fabrikationsprogramm übernommen worden. Seitdem müssen sich die Mitglieder von S.U.S.I. allerhand Scherze von anderen Abteilungen gefallenlassen.

[4] SE war die Kurzform für S.U.S.I.-Erfassung. Wächter neigten gemäß dem PolAküfi [11] dazu sämtliche Wörter, die länger als 4 Silben waren abzukürzen.

[5] Und etwas zu essen, aber eigentlich sollte man das nicht extra erwähnen müssen

[6] Damiens Kollegen sprachen hier immer von "Abschaum". Das mag mit ein Grund sein, warum die Tätigkeit des Szenekenners in der Wache bisher nie so beliebt war.

[7] Und Rince' Verdauung, aber eigentlich sollte man das nicht extra erwähnen müssen

[7a] Das heißt nicht, dass er ihn besiegte. Erfolgreich bedeutet hier, dass Sid überlebte

[9] Schließlich waren alle normalen Kunden darauf scharf, guten Kunden zu werden. Man bekam dann das Getränk in den entsprechenden Gläsern.

[10] Exzellente Kunden unterschieden sich von guten Kunden darin, dass die Person, die sie getötet hatten ein Wächter war. So bekam man das Bier billiger

[11] polizeilicher Abkürzungsfimmel




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