Eine Hochzeit und vier Todesfälle

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von Wächterin Gina Van Dalismus (GRUND)
Online seit 30. 04. 2003
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Für Rekruten (erste Mission):
Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht "Das Lenken eines Eselskarrens während einer Einsatzfahrt".
Na das klingt doch mal nach Spaß!

Dafür vergebene Note: 11

Während Gina benommen von Ankh-Morporks Geruch durch dessen Straßen taumelte, verfluchte sie - wie so häufig - ihre Eltern. Sie schienen sich zwar gern in ihr Leben einzumischen, hatten es aber scheinbar nicht nötig, sich ihr vorzustellen. In dem Brief an Königin Magrat, der - bis auf eine beträchtliche Summe Geld - das einzige war, was sie ihrer Tochter bei deren Aussetzung vor Schloss Lancre hinterließen, hatten sie angeordnet, das Mädchen an seinem 21. Geburtstag nach Ankh-Morpork zu schicken. Ohne Begleitung,
ohne Geld und, was am wichtigsten war, auch ohne Ginas Zustimmung. Tja, und hier war sie nun. An einem Ort, den sie bereits nach 14,2 Sekunden [1] hingebungsvoll hasste.
Mal ganz abgesehen von der Luft, bzw. deren Abwesenheit gab es hier einfach zu viele Menschen, äh, besser gesagt Leute. Und mindestens die Hälfte davon waren auch noch Männer. Zum Glück gehörten die meisten nicht derselben Spezies an wie Gina und dürften
folglich auch kein allzu großes Interesse an der Paarung mit ihr haben (oder was auch sonst die Männer dazu Trieb, äh, trieb ihr wie geifernde, hirnlose - verzweifelt suchte sie nach einem Ausdruck, der ihrer Verachtung gerecht wurde - Männer hinterherzulaufen).
Aber Frau Wetterwachs hatte sie beruhigt: "In dem Brief stand nur, dass du hinfahren, dir einen Tschob und ein Zimmer suchen musst. Kein Wort von dableiben, oder?"
Erschöpft lehnte Gina sich an eine Laterne und vertrieb mit einem einzigen Blick einen Haufen geifernder, hirnlo... , na ihr wisst schon. Sie wollte zurück nach Lancre. Wütend verdrängte Gina das Gefühl und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Ein Tschob und ein Zimmer... Was das anbelangte war sie zuversichtlich. Solche Dinge fielen ihr meist in den Schoß.

"Kindchen, du befindest dich auf unserem Tärritoriom und gehörst nicht zur Gilde, oder?" die gepflegte ältere Dame, die sie das fragte, sah eigentlich ganz nett aus.
"Nein, ich bin nicht von hier, zum Glück! Von was für einer Gilde
sprichst du?"
Als Frau Palm es ihr erklärt hatte, beschlich Gina das Gefühl, Ankh-Morpok könne evtl. doch ungeahnte Vorteile haben. So eine Organisation sollte es ihrer Meinung nach überall geben, wenn es dazu beitrug, ihr deren Kunden vom Leib zu halten.
"Ich würde dir dann vorschlagen, dich woanders an eine Laterne zu lehnen oder es möglichst ganz bleiben zu lassen, das ist in Ankh-Morpork nämlich eine Aufforderung, die Mitgliedern meiner Gilde vorbehalten ist. Wie du siehst, machst du uns Kunden abspenstig", erklärte Frau Palm und deutete auf einige Männer, zwei Vampire und einen Zombie, die sich von den übrigen Näherinnen abgewandt hatten und nun in ihre Richtung kamen.
Frau Palm nahm Gina am Arm und zog sie mit sich fort. Die Interessenten verstanden diesen Wink und verzogen sich rasch, da keiner von ihnen Frau Palm verärgern wollte. Alle, bis auf einen...
Normalerweise konnte sie autoritäres Gehabe ganz und gar nicht leiden, aber erstens gefiel ihr die Frau irgendwie und Gina erkannte schnell, dass sie ihr vielleicht noch nützlich sein konnte.
"Wo gehen wir hin?"
"Du siehst mir ein bisschen verloren aus. Ich bring dich erst einmal zum Gildenhaus und dann schauen wir weiter."
Auf dem Weg dorthin unterhielten sich die beiden - begleitet von jeder Menge hämischem Gelächter und im besten Näherinnenschargong - darüber, dass mann es oft nicht hinkriegt, den Faden ordentlich ins Öhr zu stecken. Es war schön, mal mit jemandem zu sprechen, der sie so sehr an Nanny Ogg erinnerte.
Trotzdem fühlte sie sich einfach nicht wohl in ihrer Haut, falsch, mit ihrer Haut war alles in Ordnung, wie ihr die bewundernden Blicke der Leute zeigten.
Sie fühlte sich einfach nicht wohl in dieser Stadt!
"Weißt du, ein kluger Mann" - Frau Palm lachte über ihren eigenen Scherz - "also, irgendjemand hat mal gesagt, Glück sei, dumm zu sein und Arbeit zu haben. Auf dich trifft weder das eine noch das andere zu, hab ich nicht Recht?"
Sie hütete sich, Gina ein Stellenangebot in der eigenen Brongsche zu machen. Langjährige Erfahrung hatte Frau Palm gelehrt, unterscheiden zu können zwischen Nähnadeln und solcher für grausame Voodoorituale [2].
"So hier sind wir, das ist das Boucherie Rouge." Mit diesen Worten griff sie hinter sich und riss dem Zombie, der ihnen die ganze Zeit über gefolgt war, dabei versehentlich den Arm aus.
"Darf ich vorstellen: Ikari Gernetod, Dauergast, Wächter. Hm, merkwürdig, du bist doch gar nicht bei DOG, was suchst du dann hier, Im Dienst?" Frau Palm sah den Lance-Korporal durchdringend an und klopfte abwartend mit seinem Arm in ihre rechte Hand. "Nun, ich warte."
"Ich, äh, na ja, das war so, äh, also..."
"Egal, da du schon mal hier bist: diese junge Dame hier sucht Arbeit
und-"
"Ach, sie ist keine-?"
"Nein, bin ich nicht!" fuhr Gina ihn an. Was für ein widerlicher Kerl! Sie hatte Zombies immer sympathisch gefunden, da sie sich mit ihnen normal unterhalten konnte. Gewisse> Körperteile funktionierten einfach nicht mehr, wenn man erst einmal (un)tot war. Dieser bildete eindeutig eine Ausnahme.
"Tut mir leid, ähm.."
"Wie dem auch sei," versuchte Frau Palm die Situation zu retten, "sie sucht Arbeit und ihr von der Wache könnt doch immer neue Rekruten gebrauchen. Also, schlage ich vor, du zeigst ihr den Weg zu eurem Wachhaus und kümmerst dich ein bisschen um sie, alles klar?"
Ein derartiges Strahlen überzog Ikaris Gesicht, dass er Gefahr lief, damit einige Nähte zum Reißen zu bringen.
"Mit dem allergrößten Vergnügen werde ich mich um dich kümmern, es ist ganz wundervoll, dich kennen zu lernen." Begeistert streckte er ihr die Hand hin, bemerkte, dass sie sich nicht an ihrem gewohnten Platz, sondern noch immer in Frau Palms Besitz befand und beschloss, diesen Punkt zu überspringen.
"Du willst also Wächterin werden?"
"Will ich das? Ähm, ja, sieht so aus..." erwiderte Gina unsicher, wenn ich eine Ahnung hätte, was das genau bedeutet.
"Toll, dann sind wir in derselben Abteilung, komm, ich zeig dir alles!", freute sich der Zombie, schnappte sich seinen Arm und winkte Frau Palm damit fröhlich zu. "Bis bald!"
Gina warf ihr einen letzten verzweifelten Blick zu und ließ sich, nach ein paar aufmunternden Worten, dann von Ikari den Weg zu GRUND zeigen.
Während sie versuchte, seinem unaufhörlichen Redefluss keine Aufmerksamkeit zu schenken und sich stattdessen ein paar Straßennamen einzuprägen, fiel ihr Blick auf ein Schild im Fenster eines kleinen Hauses:

Zimma zu famiehtn
Billich un sauba

Wunderbar, erst mal besorg ich mir diesen Tschob, danach das Zimmer da und schon hab ich meine Pflicht getan und kann hier wieder verschwinden
"...sag mal, hast du mir eigentlich zugehört?" wollte Ikari wissen.
"Äh, klar, ich hab nur grad nach einem Zimmer geguckt, weißt du, ich bin ja erst heute angekommen und hab noch keinen Schlafplatz."
In diesem Moment bogen die beiden in die Kehr-lieber-wieder-um-Gasse ein. Zwielichte Gestalten huschten hin und her, beäugten das ungleiche Paar misstrauisch und versuchten abzuschätzen, ob die junge Frau den Uniformierten freiwillig begleitete oder, was ihnen wahrscheinlicher vorkam, verhaftet war.
Ikari senkte die Stimme: "So, wir befinden uns jetzt mitten in den Schatten, dem übelsten Viertel der Stadt, so zarte Wesen wie Du sollten sich hier eigentlich gar nicht rum treiben. Aber ich bin ja da, um dich zu beschützen, also mach dir keine Sorgen."
Gina warf ihm einen Blick zu, der besagte: wer die Enkelin des Sensenmanns als Kindermädchen hatte, Greifvögel als Spielgefährten, Nanny Ogg als Beraterin für Liebesangelegenheiten [3] und Esme Wetterwachs als charakterbildende Bezugsperson, dem konnte vermutlich GAR NICHTS mehr Angst einjagen. Nicht einmal dein Geruch kann das nach 573 Nächten (oh ja, sie hatte gezählt) im selben Bett mit Nannys Kater Greebo noch schaffen, dachte sie verbittert.

Nachdem sie zahlreiche schmale Gassen passiert hatten, in denen auch bei Sonnenschein stets Punkt Mitternacht zu sein schien, und erfolgreich zahllose und zahnlose Bettler abgewehrt hatten, erreichten sie schließlich das Wachhaus von GRUND.
Aufgeregt vor sich hin plappernd, schob der Lance-Korporal sie ins Innere des Gebäudes. Aufmerksam sah Gina sich um, mit dem sicheren Gefühl, dass Oma Wetterwachs zumindest mit der farblichen Gestaltung ihres neuen Arbeitsplatzes äußerst zufrieden wäre.
In Gedanken versunken, merkte sie kaum, wie sie in das Büro der stellvertretenden Abteilungsleiterin gezerrt wurde. Moment Mal, was stand da auf dem Schild an der Tür? fragte Gina sich stirnrunzelnd.
"Tricia McMillan", machte Ikari die beiden bekannt und salutierte, wobei er ein merkwürdiges Bild abgab, den abgerissenen Arm noch immer in der Hand haltend, "das ist Gina Van Dalismus, sie möchte bei uns anfangen."
"So so, freut mich, dich kennenzulernen, Gina."
"Ganz meinerseits". Ein leichtes Prickeln am Hinterkopf machte sich bemerkbar, ein deutliches Zeichen dafür, dass ihr Gegenüber ebenfalls magische Fähigkeiten besaß, keine großartigen, aber immerhin...
Neugierig geworden begann sie, dem Gespräch ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen.
"Tja, ich muss dir einige Fragen stellen, um sicher zu gehen, dass du nicht irgendeine schmierige Schmalspurganovin bist, die sich für besonders clever hält und sich nur bewirbt, um an die Uniform der Wache zu kommen und damit anderen schmierigen Schmalspurganoven ihre Beute abzunehmen, oder was einem verqueren Hirn sonst für Verwendungszwecke dafür in den Sinn kommen." Tricia schnappte nach Luft und lächelte
matt. "Nicht persönlich gemeint, reine Formsache. Du ahnst ja nicht..."
"Schon in Ordnung", das Ganze fing an, Gina Spaß zu machen.
"Gut, also erstens: Hast du irgendwelche speziellen Fähigkeiten, die uns hier nützlich sein könnten?"
"Na ja, ich kann ganz gut mit Tieren umgehen."
"Äh ja, sehr putzig, aber..."
"Ich beeinflusse ihren Willen. Was ich will, wollen sie auch. Ich befehle ihnen nichts, es passiert einfach." Gina horchte in sich hinein." Es ist übrigens auch nicht dasselbe wie borgen..."
Überrascht, dass die junge Frau ihre Abneigung gegen das Borgen kannte, zog der Leutnant eine Augenbraue hoch. "Du scheinst auch ganz gut mit Menschen klarzukommen."
Gedankenfetzen anderer Menschen empfangen zu können trug eher dazu bei, eine Abneigung gegen diese Leute zu entwickeln anstatt ein feines Gespür für den Umgang mit ihnen, fand Gina. Doch bevor die angehende Rekrutin abwehren und darauf hinweisen konnte, stand die Abteilungsleiterin auf und hieß sie herzlich bei der Stadtwache von Ankh-Morpork willkommen.
"Ich glaube, weitere Fragen sind nicht nötig, jemanden wie dich können wir hier gut gebrauchen. Die zoologischen Kenntnisse der meisten Wächter beschränken sich darauf, die Öffnung, in welche man das Futter hineinsteckt, von der unterscheiden zu können, aus der es wieder herauskommt. Einige können nicht mal das. Nein, stell es dir lieber nicht bildlich vor!" Tricia befürchtete den Faden zu verlieren "Du solltest dich neben der Grundausbildung also vor allem auf die Transportabteilung konzentrieren. Wie dem auch sei, ich hoffe, du lebst dich hier gut ein. Lance-Korporal Gernetod wird dir dabei helfen, er ist ab jetzt dein Ausbilder."
Ginas gute Laune verflüchtigte sich schlagartig.
"Also, Ikari, du weißt ja, wie das läuft. Ihr könnt jetzt gehen, ich hab noch 'ne Menge zu tun."
Sie verabschiedeten sich und schlossen die Tür. Das Namenschild, was dort angebracht war, hielt Ginas Blick gefangen. Tricia McMillan... Sie wurde das Gefühl nicht los, dass der Leutnant ein Problem mit Handtaschen hatte. Gina fand ihre Gabe, oder was es auch war, mitunter äußerst lästig, da sie sich oft nicht erklären konnte, woher ihre Eingebungen stammten und was sie zu bedeuten hatten [4] Aber bevor sie dem weiter nachgehen konnte, unterbrach Ikari ihre Gedanken, indem er sie aufforderte, mitzukommen und ihre Uniform in Empfang zu nehmen.

Zur selben Zeit in der feuchten, aromatischen Hitze eines Schweinestalls irgendwo in Lancre, erblickten vier gesunde Ferkel das schummrige Licht der Scheibenwelt.
"Gute Arbeit Esme", lobte Nanny Ogg, während die beiden Hexen sich in einem Wassertrog die Hände wuschen. "Aber du kamst mir etwas abwesend vor. Nicht, dass ich kein Verständnis dafür habe, wenn man es vorzieht, nicht so genau hinzuschauen, während man bis zu den Ellbogen in einer Sau steckt, aber..."
Oma Wetterwachs seufzte. "Es geht um das Mädchen."
"Was ist mit ihr, was hast du gesehen? Ist sie schon auf dem Rückweg?"
"Sie wird dableiben. Die Gründe bleiben mir verborgen, aber sie kehrt sobald nicht zurück, Gythia." Niemals hätte sie es sich eingestanden, aber sie vermisste Gina bereits jetzt. Zwar konnte sich Esme nie damit abfinden, dass ihr Lehrling es ablehnte, ebenfalls eine Hexe zu werden, doch die Wissbegierigkeit und der Eifer, mit denen das Mädchen lernte,
versöhnten sie wieder.
Außerdem war es vermutlich ungefährlicher, wenn Gina nicht lernte, wie sie ihr magisches Potenzial nutzen konnte. Die Mischung aus Macht und ihrem etwas explosiven Charakter könnte Konsequenzen haben, die nicht einmal Oma Wetterwachs abschätzen konnte.

Auf dem Weg zum ???- Raum erläuterte Ikari ihr kurz ein paar Regeln bezüglich Festnahmen, Verhören und schließlich der Rangordnung in der Wache:
"Vorgesetzte musst du als Rekrut siezen und mit Sir ansprechen. Ich nehm das aber nicht so genau, solange keine anderen Wächter in der Nähe sind, musst du das nicht unbedingt machen".
Das hatte ich auch nicht vor, du Witzfigur, dachte Gina spöttisch.
"Also," Ikari grinste anzüglich, "ich brauche jetzt deine Maße."
Angewidert nannte sie ihm ihre Größe und nahm die Uniform in Empfang.
"Könntest du vielleicht rausgehen, während ich mich umziehe?" fragte sie säuerlich und bedachte ihn mit einem Blick, der kochendes Wasser zu Eis gefrieren lassen konnte.
"Die Rekruten da drüben können uns hören, du musst mich mit dem nötigen Respekt behandeln, der mir als deinem Vorgesetzten gerecht wird. Sonst tanzen mir am Ende alle auf der Nase rum." flüsterte der Zombie.
"Na schön..., mit dem Respekt, der dir gerecht wird," murmelte sie. "VERSCHWINDEN SIE AUF DER STELLE; DAMIT ICH MICH UMZIEHEN KANN, SIR!!!
Die Rekruten sahen interessiert zu den beiden rüber und schienen sich bestens zu amüsieren.
"Und was euch anbelangt, würde ich mich äußerst glücklich schätzen, wenn ihr die Tür schließen könntet. UND ZWAR VON AUSSEN!"
Gina atmete einige Male tief durch und beglückwünschte sich zu ihrer Selbstbeherrschung. Sie war höflich gewesen, was ihr äußerst schwer gefallen war; die Erziehung von Oma Wetterwachs hatte schließlich doch gefruchtet!
Mühsam zwängte sie sich in den zu engen Brustharnisch und fragte sich, wie sie jemals darin atmen sollte. Schließlich war sie komplett angezogen und bereit, ihren ersten (und
hoffentlich letzten) Arbeitstag in der Wache anzutreten. Die neugierigen Blicke der anderen Wächter machten deutlich, dass Gerüchte sich hier schneller verbreiteten, als Bakterien auf Schnappers Würstchen.
Die Blicke ihres Ausbilders allerdings zeigten nur, dass der Brustpanzer diese eher nach oben presste, als sie zu schützen. Sie verschränkte die Arme.
"So, ich bin fertig. Zeigen Sie mir jetzt die Transportabteilung?" Sie registriert den flehentlichen Blick des Zombies und fügte widerwillig hinzu: "Sir?"
Auf dem Hinterhof des Gebäudes stand ein baufälliger Schuppen. Nur wenige Wächter betraten jemals diesen Teil der Wache, da sie eine Fahrt mit dem Eselskarren der Wache berechtigterweise für versuchten Selbstmord hielten.Weil der Patrizier das Motto vertrat, "Bewegung an der frischen Luft hat noch keinem geschadet [5]", fielen die Zuschüsse für die Instandhaltung der Transportmittel eher spärlich aus.
Gefolgt von Gina betrat Ikari den Schuppen. Rechts von ihnen stand der ominöse Eselskarren, der unter den Netzen einer prächtig gedeihenden Spinnenkolonie kaum noch als solcher zu erkennen war. Gina spürte die Anwesenheit eines anderen Lebewesens in der Nähe und wandte sich nach links.
"Das ist die Transportabteilung der Wache", sagte der Ausbilder und zeigte auf einen Esel, der seine besten Jahre bereits hinter sich hatte. "Er heißt Möhre."
"Nein, so heißt sie nicht." Es war so typisch. Man ging einfach davon aus, dass alle Esel Möhren für das Leckerste überhaupt hielten und aus Mangel an Originalität nannte man sie dann so. Warum nicht sein Kind Kalbsgulasch nennen, vielleicht wird das mal sein Leibgericht? Eigentlich hieß die Eselin "hi-ööh-öhh, klapp linkes Ohr nach vorne,
hiöh" [6]. Aber für Menschen zählten ja nur ihre eigenen Ansichten. Gina verkniff sich, das jemandem zu erklären, der nicht einmal wusste, welches Geschlecht das Tier hatte.
"Ähm, wie du meinst", erwiderte Ikari verwirrt. Mittlerweise konnten nicht mal mehr lange Beine und große schwarze Augen darüber hinwegtäuschen, dass seine frischgebackene Rekrutin ziemlich merkwürdig war. "Also, wie es aussieht, müssen wir hier ziemlich viel Arbeit reinstecken, daher sollten wir gleich damit anfangen."
"Ja, du hast recht und da ich für die Betreuung der Eselin da bin, fällt dir wohl die ehrenwerte Aufgabe zu, den Karren auf Vordermann zu bringen."

Sie arbeiteten den ganzen Tag über: Stall ausmisten, Karren von Spinnweben befreien, Esel striegeln, Speichen an den Rädern ausbessern...
Nebenher erklärte Ikari ihr ununterbrochen die Regeln der Wache, doch Gina hörte nur mit halbem Ohr hin.
Als er anfing, einige seiner Einsätze zu beschreiben und offensichtlich mit imaginären Heldentaten zu versehen, schaltete sie ganz ab und hing ihren eigenen Gedanken nach.
Nachdem sie mehrere Stunden geschuftet hatten, konnte sich die "Transportabteilung" von GRUND schon eher sehen lassen. Sie bestand zwar immer noch bloß aus einer altersschwachen Eselin und einem Karren, der im Jahrhundert des Flughundes eigentlich nichts zu suchen hatte, aber wenigstens waren sie sauber.
Es war bereits dunkel draußen und als der Zombie vorschlug, Feierabend zu machen, ließ Gina sich gerne überreden. Sie war todmüde. Immerhin hatte sie schon morgens um halb fünf (was für Lancre nicht allzu früh war) die Kutsche nach Ankh-Morpork genommen und nun war es fast neun. Demnach war sie nun seit, äh, nun seit vielen Stunden
auf den Beinen.
"Kommst du noch mit in den Eimer auf einen Begrüßungsumtrunk, oder zwei, oder 17?" erkundigte sich Ikari.
Nein danke", wehrte sie ab. "ich muss mir jetzt dringend ein Zimmer suchen, tut mir leid. Trotzdem viel Spaß und wir sehen uns morgen." Oder auch nicht, dachte sie zufrieden. Wenn sie nun das Zimmer bekäme, hatte sie ihre Aufgaben erfüllt und könnte gleich morgen früh hier wieder verschwinden.
Sie kraulte "Möhre" noch mal zärtlich hinter den Ohren und sandte ihr einen stummen Abschiedsgruß, dann verschwand sie hinaus in die Nacht.
Ikari blickte ihr nachdenklich hinterher...

Zur selben Zeit an einem Brunnen in Ufernähe...
Eine in Lumpen gehüllte Gestalt mit langen zottigen Haaren schlich durch die Dunkelheit, sah sich hastig um und beugte sich über den Rand des Brunnens. Sie streckte den Arm aus und ließ etwas hinein fallen...klirr Die kleine Ampulle zersprang am Ende des Schachts und hüllte die Gestalt in eine oktarine Dampfwolke.
Als diese sich verflüchtigte, war niemand mehr zu sehen...

"Was soll das heißen, das Zimmer ist schon vermietet?"
"Hamse watt anne Ohrn, Frollein? Et is schon wech un damit haddet sich!" Mit diesen Worten schlug die Frau Gina die Tür vor der Nase zu.
Es konnte doch einfach nicht sein, dass sie in der größten Stadt der ganzen Scheibenwelt nicht ein einziges Zimmer kriegen konnte!
Frustriert streckte sie ihre müden Glieder und überlegte, was sie jetzt tun sollte.
Sie vertraute zwar auf ihre Kampfkünste, wollte jedoch nicht das Risiko eingehen, im Schlaf überrascht zu werden.
Also fiel die Möglichkeit, auf der Straße zu schlafen aus.
Sie drehte sich resigniert um und schleppte sich zurück. Ihr blieb keine Wahl.
"Ein Tag mehr oder weniger ist nicht weiter schlimm", versuchte sich Gina einzureden, als sie sich in das frische Heu kuschelte. "morgen werd ich eins finden, morgen find ich eins, morgen..."
Ihre Augenlider fielen zu und ihr Kopf sank auf Möhres warme Flanke.

Am nächsten Morgen ging Gina, nachdem sie der Eselin zu fressen und zu trinken gegeben hatte (und zwar in die richtige Öffnung), auf einen Spaziergang durch die Stadt und sah sich bei der Gelegenheit nach freien Zimmern um.
Sie fühlte sich dreckig und klebrig.
Es musste doch irgendwo ein Zimmer mit Waschmöglichkeit geben.
Doch sie hatte kein Glück, als sie endlich ein Schild entdeckt hatte und an der Haustür klopfte, öffnete niemand.
Die meisten Bewohner von Ankh-Morpork waren erst eine Stunde zuvor ins Bett gegangen und befanden sich nun im Tiefschlaf. Daran konnte auch der Umstand nichts ändern, dass Gina ihnen fast die Tür einschlug.

Mit geballten Fäusten kehrte sie zur Wache zurück.
Auf dem Weg fiel ihr auf, dass die Luft erstaunlich frisch und selbst
der Ankh irgendwie flüssig erschien.
Nun, ihr sollte es recht sein. Offensichtlich hatte Ikari mit seinen Beschreibungen gestern ziemlich übertrieben.
Von weitem sah sie einige Wächter durch den Haupteingang ins Innere des Gebäudes strömen. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen war es erst halb sieben. Entweder hatte sich ihr Ausbilder, was den Dienstbeginn anbelangte, getäuscht, oder diese Leute konnten es einfach nicht erwarten, zur Arbeit zu kommen..., nun, Ikari war ihr von Anfang an
nicht sehr vertrauenswürdig vorgekommen.
Wie auch immer, ihr Ausbilder hatte gesagt, sie müsse erst um sieben da sein und sie beschloss, dass er sich bei ihrer Dienstzeit nicht geirrt hatte.
Demnach musste Gina erst in einer halben Stunde da sein. Sie verspürte keine große Lust, mit den anderen Rekruten zusammenzustoßen, daher benutzte sie eine kleine Nebengasse, die - wie sie vorhin entdeckt hatte- auch auf den Hinterhof führte.
Gina betrat den Schuppen und merkte gleich, dass mit "Möhre" etwas nicht stimmte:
Sie schlug unruhig mit dem Schwanz und stampfte mit den Hufen auf und ab.
Beruhigend strich sie der Eselin übers Fell, registrierte, dass es regelrecht glänzte und ein Blick auf die Schnauze des Tieres, wo sich am Tag zuvor noch etliche weiße Stellen, Zeichen ihres Alters befunden hatten, machte ihre Verwirrung komplett.
Sie hatte gestern bei der Fellpflege sicherlich gute Arbeit geleistet, doch so gut, das schaffte nicht mal sie.
Prüfend beäugte sie die Eseldame. Es war Möhre, da war Gina sicher und sie war auch nicht plötzlich jünger geworden, noch immer spürte sie die Erfahrung der
Eselin.
Doch deren herausragendste Eigenschaft war wie weggeblasen: Die Verbrauchtheit.
Die Resignation, Abgestumpftheit, wie auch immer das richtige Wort für das Gefühl lautete, das ihr am vorigen Tag beim Betreten des Stalls entgegen geschwappt war, es war weg!
Gina wusste zwar nicht, wie so etwas möglich war, doch es war ihr völlig egal, solange es dem Tier gut ging.
Beschwingt von dieser freudigen Überraschung betrat sie das Wachhaus. Drinnen herrschte arbeitsames Schweigen, Rekruten und Ausbilder huschten emsig hin und her, darauf bedacht, still zu sein, um niemanden bei seinen Aufgaben zu stören.
Verwundert begab sich die junge Frau zum Wachetresen, wo sie mit Ikari verabredet war.
Sie betrat den Raum und sah ihren Ausbilder dort schon stehen, sich mit einer etwas rundlichen Frau unterhaltend. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass sie fünf Minuten zu spät war. Eigentlich hatte sie noch gar nicht mit Ikari und seiner Pünktlichkeit gerechnet und sich eher
darauf eingestellt, noch eine Viertelstunde warten zu müssen.
So kann man sich irren, dachte sie und stellte sich hinter der Frau an den Tresen.
Nun konnte sie verstehen, was die beiden sagten: "Also, ich wollte bloß mal sagen, dass sich die Verbrechen in unserer schönen Stadt deutlich verringert haben, seit es die Wache gibt. Man fühlt sich als Bürger mittlerweile richtig sicher. Ihr leistet hier ganz tolle Arbeit! sagte Frau Willichnich herzlich. "Ich will euch jetzt auch nicht weiter aufhalten, macht weiter so!"
Mit einem strahlenden Lächeln verabschiedete sie sich und schloss die Tür.
Gina runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, was der Ausbilder ihr gestern über eine Frau gesagt hatte, deren äußerliche Beschreibung auf diese hier zutraf.
Vielleicht hätte sie besser zuhören sollen?
"Junges Fräulein, es ist sieben Uhr und neun Minuten, demnach bist du äußerst unpünktlich. Ich schätze so was nicht besonders. Was hast du zu deiner Entschuldigung vorzubringen?" Ikari blickte sie streng an.
"HÄ?!"
"Die richtige Antwort wäre gewesen: `Es tut mir aufrichtig leid, Sir. Ich hoffe, sie können nachsichtig sein, ich wurde aufgehalten. Es kommt nie wieder vor, Sir!` Merk dir das gefälligst!"
"Hör auf mich zu verarschen am frühen Morgen!"
Der Zombie verschluckte sich fast an seinem Kaffee. "Wie bitte ?! Was glaubst du eigentlich wer du bist, so ein unflätiges Benehmen an den Tag zu legen und das gegenüber einem Vorgesetzten!? Das wird Konsequenzen haben, meine Liebe, das kannst du mir glauben!!!!!"
Ein Hagel von Ausrufungszeichen prasselte auf die völlig verdutzte
Rekrutin herab.
"Im Übrigen", er tippte sich konsterniert an die Brust "dein Aufzug ist
alles andere als angebracht."
Sie blickte an sich herunter und stellte fest, dass der Brustpanzer hoch gerutscht war und so nur einen kleinen Teil ihrer Rundungen frei gab.
Was für ein Ekel, dachte Gina, die ganze Masche nur, um mich dazu zu bringen mit einem tieferen Ausschnitt rumzulaufen. Aber nicht mit mir...
"Das kannst du dir dahin stecken, wo die Sonne nicht scheint, du Perversling!"
Jetzt war es so weit: Ikari prustete seinen Kaffe durch den halben Raum und bekam einen eindrucksvollen Hustenanfall. Wäre er kein Zombie gewesen, sein Kopf hätte leicht mit einer Tomate konkurrieren können.
Verzweifelt nach Luft schnappend krächzte der Ausbilder: "Mit so etwas macht man keine Scherze, das wird leicht missverstanden und könnte meinem guten Ruf schaden!"
Allmählich beschlich Gina das Gefühl zu träumen. Entweder das, oder sie hatte den ganzen gestrigen Tag nur phantasiert.
Da fiel die Luft noch unter schwere Körperverletzung, der Ankh war etwa so flüssig wie Granit und die Eselin ein Wrack gewesen. Die Rekruten lungerten bloß herum und ihr Ausbilder, nun, der hatte sicherlich andere Dinge als seinen guten Ruf im Kopf gehabt!
Und heute, was war los mit allem? War das gestern irgendein Aufnahmeritual gewesen, mit dem man die Nerven der Rekruten testen wollte? Nach dem Motto: "Diejenigen, die nicht schreiend weglaufen, werden aufgenommen", oder so?
Ja, das musste es sein. Sie erinnerte sich daran, dass sie den Job noch etwas behalten musste, da ihr die Leute sonst bestimmt erst recht kein Zimmer geben würden und salutierte zögerlich. "Sir, es tut mir leid, war ein Missverständnis. Rekrutin Van Dalismus meldet sich zum Dienst"
Wenn die in diesem Verein soviel Wert darauf legten, bitteschön! Nur noch diesen einen Tag...
"Na, das hört sich doch schon ganz anders an, es geht doch! In deinem Alter ist man eben noch ein wenig aufmüpfig, aber das treiben wir dir auch noch aus, nicht wahr?"
Gina lächelte säuerlich und versuchte, die geballten Fäuste unter Kontrolle zu halten.
"Du wirst natürlich trotzdem von IA hören. So, dann komm mal mit, Kindchen."
Er winkte sie hinter sich her. Dabei fiel ihr auf, dass Ikaris spezielles Aroma deutlich weniger penetrant ihre Geruchsnerven strapazierte.
"RUM hat eine Taube geschickt, weil sie uns an einem Fall beteiligen wollen. Scheint recht ungewöhnlich zu sein. Ich verlange, dass du dir der Verantwortung bewusst bist, die mit einer so schwierigen Sache verbunden ist. Allein meiner Kompetenz hast du es zu verdanken, an deinem zweiten Arbeitstag gleich an so etwas teilnehmen zu können!"
Gina versuchte krampfhaft, etwas Dankbarkeit in ihre Züge zu legen. "Natürlich, Sir."
Mit zackigen Schritten marschierte der Ausbilder vor ihr her, in einem Tempo, dass sie Probleme hatte, hinterherzukommen. Die Sonne schien von einem wolkenlosen blauen Himmel und ließ ihr den Schweiß auf die Stirn treten. Außerdem hatte sie den ganzen Tag über noch nichts getrunken, geschweige denn gegessen.
Glücklicherweise kamen sie in diesem Moment am Tatort an, was den Gewaltmarsch für's erste beendete.
Ein Grüppchen von Ermittlern scharte sich um einen weißen Haufen, deren Umrisse Gina zwischen den Beinen ausmachen konnte.
Einige Passanten blickten flüchtig zu dem Geschehen herüber, sahen aber gleich wieder weg und gingen weiter, um die Wächter nicht bei der Arbeit zu stören.
Eigentlich hatte sie einen Menschenauflauf [7] erwartet, aber ihr Instinkt schien außerhalb von Lancre nicht zu funktionieren.
"...das ist jetzt der vierte Mordfall in Folge und wir stehen vor einem Rätsel. Uns ist einfach der Zusammenhang zwischen den Opfern nicht klar, nun, bis auf die Art, wie sie vorgefunden wurden", erklärte Humph
McDwerf gerade Ikari und fuhr sich affektiert durch das geölte Haar.
Gina blickte auf den toten, in Laken gewickelten Körper vor sich. Der Kopf schaute raus und die Augen des Jungen hielten hinter einer zerschlagenen Brille ihren stumpfen Blick auf sie gerichtet. Dem pickligen Gesicht mit den kindlichen Zügen nach zu urteilen, musste er etwa 16 Jahre alt gewesen sein.
Der Abteilungsleiter von RUM führte weiter aus: "Also, bisher haben wir herausgefunden, dass die Laken, in denen die Leiche gefunden wurde, mit einer Art Wachs getränkt waren, der jedoch größtenteils wieder entfernt wurde. Bei den anderen Fällen wurde das gleiche Wachs an Haut und Haaren gefunden, allerdings ohne Laken, Wir vermuten, dass der Täter unvorsichtig wird, wenn er so deutliche Spuren hinterlässt. Mit Sicherheit kann man jedenfalls sagen, dass keiner der Fundorte zugleich Tatort war."
"Ey Chef, Pismire will mit dir reden. Ich mach dat hier schon."
Selbstbewusst schob Thymian seinen Vorgesetzten zur Seite. "Also, wo liecht dat Problem?" Sein Blick fiel auf Gina. "Hallo!" Er pfiff durch die Zähne. "Da ham wir ja ma'n leckeren Neuzugang! Allet klar bei dir, Süße?"
Er legte ihr einen Arm um die Hüfte.
"...." Sie starrte den kleinen Wächter fassungslos an; jeder andere hätte schon längst einen Ellbogen im Magen gehabt, doch sie war so überrumpelt, dass sie nur mit offenem Mund dastehen konnte.
"Tja, tut mir leid, äh, wie war gleich dein Name, is' ja auch egal, dass ich nicht weiter mit dir plaudern kann, aber ich hab zu tun, das verstehst du sicher, ne?" Er gab ihr einen aufmunternden Klaps auf den verlängerten Rücken und zwinkerte gewinnend. "Wir holen das nach, Babe."
Thymian war bereits seit geraumer Zeit weg, als Gina sich endlich wieder gefangen hatte. Kopfschüttelnd sagte sie sich, dass sie ihre Menschenkenntnis offensichtlich in Lancre vergessen hatte und nahm sich vor, von nun an noch mehr auf der Hut zu sein.
"Rekrutin, hierhin, aber ein bisschen plötzlich! Steh da nicht einfach rum und starr Löcher in die Luft! Komm her und lern was!" bellte Ikari.
Seufzend stellte sie sich zu dem Zombie und Humph.
"Fingerabdrücke gibt es keine, weder Haare noch Blut des Mörders. Sitzt meine Uniform?" Er nestelte an sich herum und fuhr mit näselnder Stimme fort, als er Ikaris missbilligenden Blick bemerkte. "Wir haben bisher auch noch kein Motiv, da die Opfer keinerlei Gemeinsamkeiten aufweisen: eine Frau, Mutter zweier Kinder, 42 Jahre alt, ein zwölfjähriges Mädchen, ein kinderloser Geschäftsmann und jetzt," er wies auf die Leiche.
"Vermutlich handelt es sich um", er sah in seine Notizen. "Jonathan Schuster, letzte Woche ist eine Vermisstenanzeige aufgegeben worden. Wir prüfen das."
"Wie steht es mit Freizeitbeschäftigungen, z.B. einer Tanzgruppe oder so was? Vielleicht besteht da eine Verbindung zwischen den Opfern?" wollte Ikari wissen.
Humph schüttelte vorsichtig den Kopf, um seine Frisur nicht zu zerstören. "Nein, nichts. Wir kontaktieren jetzt die Mutter von diesem Schuster. Wenn sie ihn als ihren Sohn identifiziert, erfahren wir vielleicht was Neues. Könnt ihr das übernehmen, die anderen sollen sich
um die Indizien kümmern?"
Der Ausbilder salutierte energisch und brüllte: "Wird sofort erledigt. Rekrutin? Auf dem Absatz marsch!"
"Ähm Sir, vielleicht sollten wir erst mal nach der Adresse fragen?"
Ikaris Stimmlage stieg um drei Oktaven. "Meinst du vielleicht, da hätte ich nicht dran gedacht?!"

Nachdem sie die Anschrift notiert hatten, machten sie sich gleich auf den Weg. Ginas Magen knurrte bedrohlich, sie musste unbedingt etwas essen.
"Können wir vielleicht kurz Stopp machen, ich habe Hunger."
"Du bist im Dienst Rekrutin. Im Übrigen: Wie hast du Vorgesetzte anzusprechen?"
"Ich habe furchtbaren Hunger, Sir und wenn ich nicht bald was zu essen kriege, bin ich nicht im Dienst sondern im A-, wenn sie verstehen, was ich meine. Sir!" Er hatte sicher keine solchen Probleme, schließlich hatte er nicht einmal eine Verdauung!
"Hör mir mal gut zu, junges Fräulein, wir haben eindeutig noch eine Menge Arbeit vor uns, bevor eine einigermaßen akzeptable Wächterin aus dir wird und ich werde solche Frechheiten hier nicht tolerieren!"
"Es war keineswegs meine Absicht, Sie zu verärgern, Sir, aber um ihren Ansprüchen zu genügen, muss ich mein volles Potential entwickeln können und dazu benötige ich Nahrung. Ich bin sicher, Sie als professioneller Ausbilder erkennen diese pädagogische Notwendigkeit auf Anhieb."
Lackaffe.
Sichtlich geschmeichelt wedelte Ikari gönnerhaft mit der
Hand. "Natürlich, ich will mal nicht so sein." Er machte ein derart selbstzufriedenes Gesicht, dass Gina, hätte sie nicht einen so leeren Magen gehabt, das Essen wieder hochgekommen wäre.
Gereizt sah sie sich um und entdeckte einen schüchtern wirkenden Obst-und-Gemüsehändler an einer Straßenecke.
Beim Anblick all der frischen duftenden Früchte lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Durch ihre angeborene Fähigkeit, die Beschaffenheit alles Lebenden zu spüren und wegen ihrer Kindheit auf dem Land, erkannte sie auf Anhieb die hohe Qualität der Ware.
"Wie viel kosten diese Äpfel?"
"Sind sie sicher, dass Sie die haben wollen, vielleicht schmecken sie gar nicht, oder sie würden doch lieber eine Birne haben. Aber die Birnen sind auch nicht so toll, ach, ich weiß nicht..." erwiderte der Verkäufer scheu. "Ich, ich könnte es nicht ertragen, Geld von Ihnen zu
nehmen für etwas, das Ihnen nicht gefällt!" Die Unterlippe des Mannes zitterte, er sah beinah so aus, als ob er gleich anfangen wolle zu weinen. "Nehmen Sie einfach was Sie wollen!" Schnapper fing an, händeweise Obst und Gemüse in eine Tüte zu packen. "Hier, bitte! Ich hoffe, es schmeckt nicht allzu schlecht, es tut mir leid."
Sie bekam die Tüte in die Hand gedrückt und wurde sanft weg geschoben. "Bitte gehen Sie jetzt, Sie wollen sicher nicht länger mit mir sprechen. Wenn ich Geld hätte, ich würde es Ihnen geben, dafür, dass Sie so freundlich waren, meine Sachen an sich zu nehmen. Danke."
Mit diesen Worten verschwand er in der in der Menge.
Verblüfft stand Gina da und verwendete all ihre Kraft darauf, den Mund wieder zuzuklappen. "Ich, aber.."
Misstrauisch griff sie nach einer Banane, schälte sie, roch daran und biss vorsichtig hinein. Irgendeinen Haken musste diese Freundlichkeit doch haben!
Doch während sie kaute, wurde sie vom Gegenteil überzeugt: die junge Frau konnte sich nicht erinnern, je so gut gegessen zu haben. Die Früchte waren so saftig, dass sie sowohl ihren Hunger als auch den Durst stillten.
"Wenn du dich jetzt bitte in Bewegung setzen würdest, wir haben nicht
den ganzen Tag Zeit!"
Schmatzend lief Gina neben ihrem Ausbilder her, genoss die frische Luft und ihr leckeres Frühstück.
Vielleicht konnte sie doch noch Gefallen an dieser Stadt finden.

Ikari klopfte energisch an die Tür des kleinen, etwas schäbigen Hauses.
"Wache, öffnen sie die Tür oder wir kommen so herein!"
"Wir sind nicht hier, um einen Verbrecher festzunehmen, sondern um einer Mutter die Nachricht vom Tod ihres Sohnes zu überbringen, du I...", sie schluckte das Wort herunter, was ein Gefühl von Sodbrennen hinterließ."...kari."
Gerade als er zu einer tadelnden Bemerkung ansetzen wollte, wurde die Tür aufgerissen. Eine hagere Frau mit eingefallenem Gesicht sah die beiden Wächter aus verquollenen Augen heraus erwartungsvoll an.
"Ha-haben sie ihn gefunden?" fragte sie mit zittriger Stimme.
"Dürfen wir eintreten, Mam?" Der Zombie wartete die Antwort nicht ab und schob sich entschieden an ihr vorbei.
Gina hätte ihn für seine trampelige Art erschlagen können. Sosehr sie Menschen auch verachtete, diese Frau war eine Mutter, das war etwas anderes. Sie selbst hatte nie eine gehabt...
Behutsam legte Gina ihr eine Hand auf die Schulter und schloss mit der anderen die Tür. "Ich schlage vor, wir setzen uns erst einmal, Frau Schuster." Sie folgte ihr ins Wohnzimmer, wo der Rekrutin sofort zahlreiche Ikonografien eines strahlenden Jungen ins Auge sprangen.
Gina erkannte den Toten auf Anhieb wieder. Damit war die Frage der Identität des Opfers wohl geklärt.
"Es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen etwas Furchtbares sagen."
Es schnürte ihr die Kehle zu, als sie sah, wie die Frau in sich zusammensackte und ihre verzweifelten Augen sich mit Tränen füllten. "Nein", hauchte sie. "Nein!"
Am ganzen Körper zitternd verbarg sie ihr Gesicht hinter den Händen.
Mit tonloser Stimme fragte sie: "Was ist passiert?"
"Das wissen wir nicht genau, Mam. Ihr Sohn wurde vor ca. einer Woche
brutal ermordet und heute tot aufgefunden. Zum Tathergang-", übernahm Ikari wieder das Gespräch, wurde jedoch von einem gezielten Tritt vors Schienbein abrupt zum Schweigen gebracht.
Gina funkelte ihn mit rasender Abscheu an und wandte sich wieder Frau Schuster zu, welche hemmungslos zu schluchzen begonnen hatte.
"Ich bin sicher, Ihr Sohn hatte keine Schmerzen", versuchte sie sanft, doch vergeblich das Leid etwas zu lindern. Rasch blickte sie sich in dem Raum um, konnte jedoch keine religiösen Symbole ausmachen und entschied sich daher für die allgemeingültige Methode. "Er ist jetzt bestimmt an einem besseren Ort, an dem er glücklich ist und auf uns herabschaut."
Gina hatte bei all den Leuten, die sie sterben sah, wenn sie die Hexen begleitete, nie etwas Schlimmes am Tod finden können. Er gehörte dazu, war sinnvoll [7a]. Das Leid und die Trauer der Angehörigen gehörten auch dazu, war in ihren Augen aber alles andere als sinnvoll. Sie hatte nie damit umgehen können.
"Er, er ist, ich meine, er war ein so guter Junge", presste Frau Schuster unter Tränen hervor.
"Dazu hätte ich einige Fragen", schaltete Ikari sich ein. "Können sie ausschließen, dass ihr Sohn irgendwelche Feinde hatte?"
"Was?" Schniefend blickte sie den Zombie an. "Ja, natürlich. Ich meine, ich glaube schon, er war doch ein so guter Junge..."
"Natürlich Mam. Sind sie das nicht alle? Aber wenn wir die Sentimentalität mal beiseite lassen, ist es nicht möglich, dass er gehasst wurde?" Prüfend blickte Ikari sie an.
"Ich weiß es nicht, Jon, er war in dieser Phase...ich meine, er war 16, da erzählen sie einem plötzlich nichts mehr von sich." Verzweifelt ließ sie den Kopf sinken. "Es ist alles meine Schuld!"
"Nun ja, da haben Sie wahrscheinlich re..." setzte er an, doch Gina unterbrach ihn barsch.
"Hören Sie, so was dürfen Sie nicht sagen, niemanden trifft irgendeine Schuld, nur den Mörder. Und um den zu kriegen, brauchen wir Ihre Hilfe. Wollen Sie uns helfen?"
Frau Schuster nickte energisch und wischte sich unvermittelt die nassen Wangen ab.
"Ja, das will ich! Wir kriegen dieses Schwein, nicht wahr?"
Gina lächelte matt. "Das verspreche ich Ihnen."
Auf sämtliche Fragen der beiden Wächter antwortete sie nun eifrig und gewissenhaft. Nachdem sie alles notiert hatten, standen sie auf, um sich zu verabschieden.
"Also dann", dröhnte Ikari. "Kopf hoch, wird schon wieder!" Er schlug der zierlichen Frau mit derart ermunternder Wucht auf die Schulter, dass diese fast zusammenbrach.
"Sie sehen aus wie eine Vogelscheuche, als hätten sie seit Tagen nicht geschlafen, nichts gegessen oder getrunken. Ruhen Sie sich aus!" fügte er hinzu.

Als die beiden das Haus verlassen hatten, setzte Gina das einzige Gesetz durch, das sie sich gemerkt hatte, in der Annahme, sie könne es öfter brauchen.
Sie schleuderte Ikari ihre Obsttüte an den Kopf, warf ihn zu Boden und riss ihm die Handschellen vom Gürtel, während sie mit der anderen Hand seine Arme hinterm Rücken festhielt.
"Im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork verhafte ich Sie wegen hoffnungsloser Dummheit!" Sie ließ die Handschellen zuschnappen. "Sie haben das Recht, zu schweigen!" schrie die Rekrutin ihn an. " Aber dafür ist es jetzt ein wenig spät, meinst du nicht?! Vielleicht hättest du da drin mal die Schnauze halten sollen!"
Die Antwort blieb aus, da Ikari bewusstlos geworden war (Äpfel können
ziemlich hart sein). Wütend blieb Gina auf ihm sitzen. Sie wusste nicht so recht, wie es
jetzt weitergehen sollte. Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht, manchmal ging einfach das Temperament mit ihr durch.
Jetzt, wo sie der Mutter von Jonathan Schuster versprochen hatte, den Mörder zu finden, machte es ihr plötzlich etwas aus, gefeuert zu werden. Irgendwie musste sie aus dieser Situation wieder herauskommen, ohne ihren Tschob zu verlieren.
In diesem Moment bog Charlie Holm um die Ecke, der beauftragt worden war, Ikari zu einer Lagebesprechung abzuholen. Er beobachtete verblüffte eine junge Rekrutin, die es sich auf ihrem Ausbilder gemütlich gemacht hatte und grüblerisch dreinblickte.
"Hallo... Ich bin Charlie", sagte er verunsichert. "Ähm, was tust du da?"
"Ich bewache einen Gefangenen", antwortete sie trotzig und strich sich das schwarze Haar aus dem Gesicht.
"Oh. Gut." Es folgte ein irritiertes Schweigen. "Nur, ist der Gefangene nicht dein Ausbilder?"
"Nein."
"Hm." Holm sah sich den am Boden liegenden Wächter genauer an. "Ich kann mich auch täuschen, aber es sieht mir doch sehr nach Lance Korporal Gernetod aus."
"Das ist er auch." Charlie sah aus, als stünde er am Anfang einer ausgewachsenen Migräne. "Er war mein Ausbilder, aber er kann ja schlecht gleichzeitig Ausbilder und Gefangener sein, oder?"
"Ähm, ich weiß es nicht. Weswegen hast du ihn denn festgenommen?"
"Dummheit im Dienst."
Charlie überlegte erst gar nicht, wie es dazu gekommen war, aber seinen Erfahrungen als Wächter nach zu urteilen, dürfte diese Begründung kaum ausreichen, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, eine ganze Stadt in Gewahrsam nehmen zu müssen.
"Aber ich würde von einer Anzeige absehen, wenn ich im Gegenzug besonders intensiv an dem Mordfall mitarbeiten kann."
Zögerlich nickte Charlie, es schien ihm ein faires Angebot zu sein, wenn man bedachte, dass auf hoffnungslose Dummheit die Todesstrafe stand. "Ich denke, das geht in Ordnung."
Gina lachte in sich hinein, was hatte sie nur für ein unverschämtes Glück, ausgerechnet auf einen Wächter zu stoßen, der offensichtlich die Regeln nicht kannte oder sie nicht einhielt und sich lieber auf das Praktische konzentrierte.
Sie ließ sich von ihm aufhelfen, gerade als Ikari wieder anfing, sich zu regen. Hastig klopfte sie sich den Staub von der Uniform und hockte sich neben ihn, während sie Charlie zuflüsterte: "In seinem eigenen Interesse sollten wir die ganze Sache vielleicht lieber nicht erwähnen, es wäre ihm sicher peinlich."
Der Ausbilder wälzte sich stöhnend auf den Rücken und schlug langsam die Augen auf. "Was ist passiert?" Er rieb sich den schmerzenden Schädel und blickte die beiden verschwommenen Gestalten an, die sich scheinbar besorgt über ihn beugten.
"Sie sind plötzlich ohnmächtig geworden, Sir, die Begegnung mit der Mutter des Opfers ist Ihnen wohl doch sehr nahe gegangen." Sie setzte ein zuckersüßes Lächeln auf.
Misstrauisch blinzelte er sie an und brummte: "Kommt mir so vor, als sei da noch was anderes gewesen, aber ich kann mich nicht erinnern." Er rappelte sich mühsam auf und erkannte in der zweiten Gestalt Charlie Holm von SUSI. Er bemühte sich rasch wieder Haltung anzunehmen. "Ah, schön Dich zu sehen. Habt ihr schon was Neues herausgefunden?" versuchte er die etwas unangenehme Situation zu überspielen.
"Ja, wir haben die Beweise untersucht. In den Wachsresten wurde ein Haar gefunden, das eindeutig nicht von der Leiche stammt. Es ist das Haar eines Werwolfs. "
In den Tiefen von Ginas Gedächtnis leuchtete eine kleine metaphorische Glühbirne auf und kämpfte sich tapfer durch die Finsternis ihres Unterbewusstseins.
"Hm, wann sind die Opfer noch mal getötet worden?" wandte sie sich an Charlie.
"Das wissen wir natürlich nicht ganz genau, wir können nur vermuten." Er nannte ihr die Daten.
"Täusch ich mich, oder sind das in etwa die letzten vier Vollmonde gewesen?"
"Da hab ich gar nicht dran gedacht, aber ich glaube, du hast Recht. Was folgern wir daraus?" fragte er ratlos.
"Na ja, der Täter ist ein Werwolf, die Morde wurden vermutlich in Vollmondnächten begangen..."
Charlie runzelte die Stirn "Ich weiß nicht, was du damit sagen willst. Hast du eine Theorie?"
Gina seufzte. "Der Täter mordet scheinbar nur, wenn er zum Wolf wird."
"Findest du das nicht etwas weit hergeholt?" warf Charlie skeptisch ein.
"Die Rekrutin hat Recht, Holm", unterbrach Ikari ihn ungeduldig. "Darauf wäre doch jeder Idiot gekommen." Er warf ihr einen säuerlichen Blick zu, den sie mit Freuden erwiderte.
"Tja, wie auch immer, ich bin eigentlich hier, um euch zu einer Lagebesprechung in Humphs Büro mitzunehmen."
"Na schön, dann Abmarsch."

Schon am anderen Ende des Pseudopolisplatzes, war aufgeregtes Geschrei aus dem Wachhaus zu hören.
"Was ist denn da los?" fragte Ikari und beschleunigte seinen Schritt.
"Ich hab nicht die leiseste Ahnung", gab Charlie zurück. "Aber es hört sich an, als würden die mit einem Drachen kämpfen."
Besorgt stürmten die drei durch den Eingang und prallten beinah mit Humph zusammen, der sich gerade nach draußen stehlen wollte.
"Ach, ihr seid's, hehe, wollte hier bloß mal nach dem rechten sehen", sagte der Abteilungsleiter von RUM leicht verlegen.
"Was geht hier vor?" fragte Ikari ungeduldig, er wollte sich nicht mit einem wandelnden Haufen Haarpomade herumschlagen.
"Ach, es ist nur Rascaal, der versucht, alle zu beißen. Er ist ziemlich ausgerastet, aber jetzt haben wir ihn erst mal ins Bad eingesperrt."
"Ihr?"
"Na schön, ich war nicht dabei, ich musste hier die Stellung halten. Sehr verantwortungsvoller Tschob! Du weißt ja, wie das ist." Der Zombie zog ein Gesicht, welches deutlich machte, dass er ganz und gar wusste, wie das war. "Genaugenommen hat Thymian die ganze Sache allein durchgezogen, die andern haben sich nicht an Ras herangetraut. Aber schaut es euch selbst an, wir müssen sowieso daran vorbei, wenn wir zu meinem Büro wollen. Ich geb euch Rückendeckung."
Erleichtert, sich hinter den drei Wächtern verstecken zu können, leitete Meck sie am Bad vorbei, aus dem die fürchterlichen Schreie kamen.
"Ich, Rascaal, Fürst der Finsternis, Gebieter der Dunkelheit, Herr der Verdammten, werde jeden Tropfen eures würdelosen Blutes trinken, werde euch aussaugen, bis eure jämmerliche sterbliche Hülle so weiß ist, wie der Mond, in dessen Glanz ich mich baden werde. Charakterlose Würmer, die ihr seid, werdet ihr mir die Stiefel lecken, dankbar ob der Ehre meines gnadenvollen Bisses, der eurer erbärmlichen Existenz ein Ende setzt", ertönte eine Grabesstimme, die geradewegs der muffigen Stille einer Gruft zu entspringen schien. "Wenn ihr mich endlich aus dem Pissoir hier rauslasst!"
Den tobenden Vampir hinter sich lassend, erreichten sie schließlich Humphs Büro.
Der Raum war angefüllt mit Wächtern, von denen Gina so gut wie keinen kannte.
Auf dem Schreibtisch in der Mitte türmten sich Bücher mit Titeln wie: "Was sich mit einem Kamm und drei Litern Schweineschmalz alles anstellen lässt - 100 ausgefallene Frisuren" und "Welche Frühlingsfarben passen zueinander".

Humph drängelte sich durch die Menge und ließ die Bücher mit einem
verlegenen Grinsen in einer Schublade verschwinden. [9]
"So, sind alle da? Sieht so aus. Also, was habt ihr herausgefunden?"
Nachdem alle darüber in Kenntnis gesetzt worden waren, dass es sich bei dem Täter um einen Werwolf handelte und Ikari sich mit seiner Erkenntnis gebrüstet hatte, dass die Morde sämtlich auf Vollmondnächte fielen, waren die Erkenntnisse auch schon erschöpft.
"Das ist alles?" Humph seufzte. "Na toll, das heißt im Klartext: Wir suchen jemanden, der aussieht, wie jeder andere und nur einmal im Monat die Gestalt annimmt, an der wir ihn als potentiellen Täter erkennen können. Wann ist das nächste Mal Vollmond?"
"In drei Wochen."
"Das dauert zu lange, habt ihr schon mal die Werwölfe im Verbrecherarchiv geprüft?"
"SEALS hat denen schon einen Besuch abgestattet, aber an den Alibis lässt sich nix rütteln", bemerkte Thymian lässig.
"Na schön, dann lasst alle Gilden überprüfen, die mit Wachs arbeiten. Mehr können wir im Moment nicht tun. Die von DOG werden euch die Adressen zukommen lassen. Der Fall hat im Moment äußerste Priorität, Anweisung vom Patrizier persönlich. Ich möchte, dass alle, egal, was ihr sonst zu tun habt, daran arbeiten. Alles klar? Gut, dann könnt ihr
wegtreten."

Gina und Ikari war die Überprüfung eines im Ruhestand befindlichen Einbalsamierers zugeteilt worden. Der bärtige Greis hatte den beiden freundlich einen Sitzplatz und etwas zu essen angeboten.
"Alte Angewohnheit", lächelte er, als er eine Schale mit Trockenobst auf den Wohnzimmertisch stellte. "Hab ein Faible für Konserviertes. Ich trinke auch nur destilliertes Wasser, möchten Sie?"
Gina, die den ganzen Tag über noch nichts getrunken hatte, stürzte drei Gläser hintereinander herunter, während Ikari den Mann befragte. Er beschrieb dem Wächter, wie ein Leichnam einbalsamiert wurde und händigte Gina eines seiner weißen Haare aus, um zu beweisen, dass er kein Werwolf war.
"Ich denke, aufgrund dieser Erklärungen können wir ausschließen, dass die Leiche einbalsamiert wurde", murmelte Ikari. "Können Sie sich einen anderen Verwendungszweck für die Laken und den Wachs vorstellen; wo wird so was noch verwendet?"
Der alte Herr überlegte kurz. "Parfumeure gewinnen auf diese Art den Duft aus Blumen oder Kräutern, der Geruch wird durch Pressen in Wachs getränkten Tüchern erhalten." Ikari blickte interessiert auf.
Gina konnte sich zwar nicht vorstellen, dass irgendjemand in dieser Stadt Parfüm benutzte, aber mittlerweile überraschte sie gar nichts mehr.
"Wir werden das überprüfen. Halten Sie sich für etwaige Rückfragen bereit", sagte Ikari und stand auf. "Rekrutin, Abmarsch!"
Als sie nach draußen traten, war es bereits dunkel geworden.
"Na schön, du kannst jetzt Feierabend machen, sonst klopft IA bei mir an. Wenn es nach mir ginge..."
Gina wartete das Ende des Satzes nicht ab und verschwand so schnell sie konnte um die nächste Ecke in Richtung Bett, bzw. Stall.
Die Schatten schienen wie ausgestorben zu sein, nicht eine dunkle Gestalt, kein Bettler, ja nicht einmal Ratten oder Müll waren auf der Straße zu sehen. Erschöpft schleppte Gina sich weiter und erreichte schließlich die Kröselstraße. Mit letzter Kraft versorgte sie die
Eselin und sank ins Stroh. Mit den Gedanken bei den Erlebnissen des Tages, fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Alles war still, die Nacht umarmte mit samtener Schwärze die Stadt.
Kein Lüftchen regte sich, als die angelehnte Tür des Stalls vorsichtig aufgestoßen und die Kapuze des pechschwarzen Mantels tiefer in ein von dunklen Schatten verborgenes Gesicht gezogen wurde. Es quietschte kaum hörbar, aber in solchen Nächten scheint das Quietschen einer Tür, die nicht geöffnet werden sollte, das Trommelfell zu zerreißen.
Gina jedoch warf sich in beklemmenden Träumen von einer auf die andere Seite und bemerkte nichts von alldem.

Die junge Frau schreckte hoch. Bilder von Frau Schuster liefen vor ihrem inneren Auge ab. Wie sie mit tränenüberströmten Gesicht vor ihr kniete und mit gebrochener Stimme wieder und wieder flehte: "Hilf mir Gina, bitte hilf mir, du hast es versprochen." Und Gina konnte nichts tun.
Das war das Schlimmste. Für sie musste es immer eine Lösung geben, etwas, das sie tun konnte, um die Situation zu meistern. Ihr größter Alptraum war Hilflosigkeit.
Sie sprang auf und schüttelte den Kopf, um die Traumbilder zu vertreiben.
"Ich finde diesen Scheißkerl", flüsterte sie entschieden.
Um auf andere Gedanken zu kommen, fing sie fieberhaft an, den Stall auszumisten. Möhre war noch immer so merkwürdig aufgedreht, es wurde Zeit, dass sie etwas Auslauf bekam. Vielleicht konnten sie heute die Ermittlungen mit dem Eselskarren machen.
Gerade als sie gehen wollte, fiel ihr, in dem Haufen mit altem Stroh, ein kleiner Zettel auf, den sie in ihrer Hast vorher nicht bemerkt hatte.
Sie hob ihn auf und las:
Schöne Frau mit großem Mut,
sei heut lieber auf der Hut,
denn ohne Wissen seiner Braut,
die ihm voll und ganz vertraut,
wird der Mann zu ihrer Rechten
in besonders hellen Nächten,
nicht mehr sanft und voller Duft,
zu einem HUNDsgemeinen Schuft!


Was sollte das nun wieder heißen? Seit wann lag der Zettel hier?
Er schien an sie gerichtet zu sein, aber es konnte genauso gut einer dieser sinnfreien Zettelchen sein, die schlitzäugige Ausländer ständig in ihrem Keksteig vergaßen.
Stirnrunzelnd wollte Gina ihn wieder wegwerfen, doch irgendetwas ließ sie innehalten und den Zettel im Ausschnitt ihres Brustpanzers verstauen.

Grübelnd kam sie am Wachetresen an, wo Ikari bereits wartete, obwohl sie diesmal überpünktlich war.
"Morgen, Sir."
Er nickte ihr ungeduldig zu. "Wir haben viel zu tun, Rekrutin. Fünf verdächtige Objekte müssen untersucht werden."
"So verdächtig wie der freundliche Opi gestern, Sir?"
"Genau so!"
Gina fragte sich, woran es lag, dass militärische Eiferer Ironie nicht wahrnehmen konnten und beschloss, so jemandem nichts von dem Zettel zu sagen.
"Nun, Sir, wir könnten den Karren nehmen. 'Möhre' wäre für etwas Auslauf sicherlich dankbar und uns würde es einige Beinarbeit abnehmen."
Ikari blickte sie missbilligend an. "War das bisschen Herumschlendern gestern schon zuviel für dich?"
Gina ignorierte die Tatsache, dass sie am Tag zuvor etwa die Strecke von Ankh-Morpork nach Klatsch zurückgelegt hatte und sagte: "Durchaus nicht, aber da uns die Verantwortung für das Tier übertragen wurde, war ich mir sicher, dass sie mit ihrer Erfahrung und Vernunft auch dafür plädieren würden, Sir."
"Da hast du mich natürlich richtig eingeschätzt. Also, spann den Esel an, ich erwarte dich mit dem Karren vorne."
Sie verabscheute es zwar, aber anderen Leuten den Kopf in den A...allerwertesten zu stecken, war nun mal der schnellste Weg zum Erfolg.
Und was diesen Fall anbelangte, hatte sie keine Zeit zu verlieren, wenn sich Träume wie letzte Nacht nicht wiederholen sollten.

Zurück im Stall, stellte es sich trotz ihres Geschickes mit Tieren als schwierig heraus, die überreizte Eselin vor den Karren zu spannen.
Mit Müh und Not schaffte sie es schließlich.
Gina hielt die Zügel straff in der Hand und konzentrierte sich darauf, Möhre zu beruhigen, da sie entgegen aller Klischees vom störrischen Esel ganz heiß darauf war, loszulaufen.
Vorsichtig bugsierte sie den Wagen auf den Hof, durch die enge Gasse, vor den Eingang des Wachhauses.
Endlich erschien der Ausbilder und stieg steif und betont würdevoll, als wolle er an einer fürstlichen Parade teilnehmen, die Treppe hinunter und auf den Karren.
"Richtung Hügelgasse, Abfahrt marsch!"
Gina ließ die Zügel durch ihre Finger gleiten, woraufhin die Eselin aus dem Stand in einen ausgreifenden Trab fiel.
Ikari krallte sich krampfhaft fest, seine ohnehin nicht sehr gesunde Hautfarbe wurde noch eine Spur weißer.
"Ist es Ihnen zu schnell, Sir?" erkundigte Gina sich mit honigsüßer Stimme und ließ Möhre noch etwas an Tempo zulegen.
"Mir? Mir kann es gar nicht schnell genug gehen!" gab der Ausbilder mit zittriger Stimme zurück.

Vor dem Haus des ersten Verdächtigen brachte sie den Karren zum Stehen.
Das Gespräch verlief nicht sehr aufschlussreich. Als Täter kam der Kerzenmacher nicht in Frage und auch sonst konnte er ihnen nicht weiterhelfen.
Etwas entmutigt klapperten die beiden noch zwei weitere Adressen ab - erfolglos.
Die ganze Zeit über strahlte die Sonne und ein frischer Wind fuhr angenehm kühlend über die Stadt und den munter plätschernden Ankh. Die Wächter wurden von den Menschen auf der Straße respektvoll und herzlich gegrüßt, waren überall gern gesehene Gäste. Es ließ sich sogar ganz gut neben dem Zombie sitzen, er stank überhaupt nicht mehr, verströmte eher
einen zarten Rosenduft. Es hätte also ein wirklich schöner Tag sein können, wären Gina nicht
die nächtlichen Bilder immer wieder durch den Kopf geschossen.
"Der nächste wohnt in Ankh, Marktstraße."
Über die Messingbrücke, links am Patrizierpalast vorbei näherten sie sich der Marktstraße. Diese war jedoch gesperrt, so dass sie den parallelen Fahrweg nehmen mussten, um dann auf die richtige Straße abzubiegen.
Gina, die noch nie in diesem Teil der Stadt gewesen war, beobachtete aufmerksam die Szenerie, besah sich Menschen und Gebäude. Zwei Touristen standen etwas verloren am Straßenrand und murmelten etwas davon, dass diese Großstädte sich ja so rasend schnell veränderten.
Eine Lücke zwischen zwei Häusern gab den Blick auf einen wunderschönen, geschmückten Garten frei. Zwischen blütentragenden Bäumen waren jede Menge Stühle aufgebaut. Die Leute, die dort mit dem Rücken zur Straße saßen, schauten auf einen Priester, der wohl gerade dabei war, das Pärchen, das vor ihm stand, zu trauen.
"Da vorne ist die Marktstraße, bieg rechts ab", lenkte Ikari sie von der Hochzeit ab.
Moment mal! Hochzeit? ...denn ohne Wissen seiner Braut...
Gina riss ruckartig die Zügel herum und wendete den Karren mit halsbrecherischer Geschwindigkeit inmitten der engen Gasse, sodass Ikari beinah den Halt verlor.
Unbeirrt trieb Gina die Eselin zurück und brachte sie erst zum Stehen, als sie das Brautpaar wieder im Blick hatte.
"Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?!" brüllte Ikari sie an.
Eilig presste Gina ihm die Hand auf den Mund und legte den Zeigefinger an ihre Lippen. "Pscht!" zischte sie. "Hör auf zu schreien! Sieh dir lieber das hier mal an, das hab ich heute im Stall gefunden." Sie zog den Zettel hervor und hielt ihn dem Zombie vor die Nase. "Findest du es nicht auch etwas merkwürdig, dass gerade heute die Straße gesperrt ist, sodass wir an dieser Hochzeit vorbeikommen und auf der Nachricht hier von einer Braut die Rede ist?"
Sie nahm die Hand von seinem Mund.
"Du hättest mir das nicht verschweigen dürfen! Ich hab genug von dir, noch heute Abend sorge ich dafür, dass du gefeuert wirst", fauchte Ikari wutentbrannt.
Gina zuckte die Schultern. "Von mir aus. Können wir uns jetzt endlich den Bräutigam vorknöpfen, anstatt hier ein Schwätzchen zu halten?" gab sie zurück, rutschte vom Kutschbock und betrat leise den Garten.
"Warte gefälligst!" Der Ausbilder beeilte sich, ihr nachzukommen.
"Wenn irgendjemand einen triftigen Grund vorbringen kann, weshalb die hier Anwesenden nicht rechtmäßig getraut werden sollten, soll er jetzt sprechen oder für immer schweigen."
"Stadtwache von Ankh-Morpork, keiner verlässt seinen Platz!"
Ikaris Geschrei ließ die Hochzeitsgesellschaft zusammenzucken. Das Brautpaar wirbelte herum und starrte den auf sie zustampfenden Wächter an.
Mit einemmal sprang der Bräutigam über den Altar und raste fluchtartig davon.
"Hey, stehen bleiben, sie sind verhaftet!"
Ihren Ausbilder verfluchend kehrte Gina um und erkletterte hastig den Karren. Sie schnalzte mit der Zunge und trieb die Eselin zum Galopp an. Mit einer engen Rechtskurve schlitterte der Wagen über den Rasen.
Die Leute sprangen auf und brachten sich kreischend in Sicherheit, als das Gespann auf sie zuraste.
Stühle unter sich zermalmend, wichen sie dem Altar und dem erschütterten Priester aus und hielten auf Ikari zu, der die Verfolgung aufgenommen hatte und gerade über den Zaun sprang, welcher die Anlage von der Straße trennte.
Der Karren donnerte über den Zaun hinweg auf die Straße und verfehlte um Haaresbreite zwei Passanten und eine Kutsche. Gina lehnte sich zur Seite, bekam Ikaris Uniform zu fassen und riss ihn mit aller Kraft hoch. Er griff nach der Sitzbank und schaffte es, mit der Kraft eines Untoten, sich auf den bedrohlich schlingernden Wagen zu stemmen.
"Nennst du so ein Gebrüll unauffällig?" schrie Gina ihn an, bekam jedoch keine Antwort, da ihr Ausbilder damit beschäftigt war, sich angsterfüllt festzukrallen.
Inzwischen hatte der Flüchtende, in knapp hundert Metern Entfernung, die Brustwehrgasse erreicht. Zu Fuß konnte er sich einfacher durch die Menge drängen, als die Wächter mit ihrem Karren, der mit waghalsigem Tempo von einer auf die andere Seite der engen Straße schleuderte, um den zahllosen Hindernissen auszuweichen. Da er auf diese Weise seinen
Vorsprung weiter ausbauen konnte, entschied die Rekrutin, rechts an der Brustwehrgasse vorbei über den Platz der Gebrochenen Monde hinweg zu fahren, um ihm den Weg abzuschneiden. Sie dachte, auf dem Platz könne sie besser manövrieren als in den engen Straßen.
Doch der Platz war angefüllt mit Menschen, es herrschte ein buntes Treiben, das von dem rasenden Karren aufgeschreckt wurde. Hühner flatterten panisch umher, Menschen sprangen zur Seite, Verkaufstische wurden umgeworfen und Waren auf dem Boden verstreut. Die Kulisse flog in schemenhaften Bildern an Ikari und Gina vorbei, der Fahrtwind trieb
ihnen die Tränen in die Augen.
Es knarrte bedrohlich, als sie eine so scharfe Linkskurve nahmen, dass der Karren nur noch auf zwei Rädern fuhr.
"Sch...!" Gina sah den Verdächtigen gerade aus der Gasse heraus rennen, ihr Plan, ihn abzufangen war fehlgeschlagen. Sie spornte die Eselin noch weiter an, um den Mann in Richtung Patrizierpalast zu treiben, sodass er nicht wieder eine Gasse nahm, die für den Wagen zu eng war. Es klappte, er nahm die Straße, die Gina und Ikari vorhin gekommen
waren. Dort würde genügend Platz für den Karren sein.
"Du musst jetzt kurz übernehmen, kriegst du das hin?"
"Muss ich dafür die Hände von dieser Sitzbank nehmen?" Er hielt sich noch immer krampfhaft fest.
"Ja, verdammt, jetzt mach schon!" Sie löste brutal seine Finger von dem Holz und drückte ihm die Zügel in die Hand. Dann lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Ruhig ein und aus atmend, ignorierte sie das Ruckeln und Schleudern ihres
Gefährts und konzentrierte sich auf den Bräutigam. Nach kurzer Zeit spürte sie das Bewusstsein des Flüchtenden. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Brücke.
"Er will über die Brücke!" rief sie Ikari zu, löste ihre Gedanken von dem Mann und streckte sie weiter aus in Richtung Brücke. Dort befanden sich scheinbar zwei Pferde, sie konnte es spüren. Gina formulierte klar ihren Wunsch und öffnete dann wieder die Augen.
"Er wird von der Brücke nicht mehr runterkommen."
"Woher willst du das wissen, Fräulein Neuenmalklug?" fragte Ikari erbost, der mit zitternden Händen die Zügel hielt.
"Glaub mir einfach!"
Der Karren rumpelte um die Ecke zur Front des Palastes, von wo man die Messingbrücke überblicken konnte, die der Verdächtige gerade erreichte.
Gina bat die Eselin in Gedanken, noch ein Mal alles zu geben und ihre letzten Kräfte zu mobilisieren. Möhre reagierte prompt und preschte mit angelegten Ohren vorwärts.
Der flüchtende Mann wollte gerade an einer Kutsche vorbei, um die Brücke zu verlassen, als die Wächter sie bereits überquerten. In diesem Moment scheuten die beiden Pferde der Kutsche und stellten sich quer, sodass der Weg versperrt war. Panisch sah der Mann sich um. Er kletterte auf das Geländer und sah unentschlossen in den reißenden Ankh
hinab. Bevor er sich entscheiden konnte zu springen, erreichten die Wächter die Stelle. Ikari sprang vom Wagen auf den Mann zu, riss ihn auf den Boden und warf sich auf ihn.

Lord Vetinari sah aus dem Fenster, beobachtete die Verhaftung und lächelte schmallippig. Er goss etwas aus einem Fass in zwei Gläser.
"Keine Sorge, das Wasser ist nicht von hier. Importiert", sagte er, reichte der Gestalt mit dem Kapuzenmantel eines der Gläser und prostete ihr zu. "Gute Arbeit."

Der Vernehmungsraum war dunkel, nur eine Kerze brannte auf dem Tisch und ließ gespenstische Schatten auf dem Gesicht des Verhafteten tanzen. Der Abteilungsleiter von RUM stand in der Ecke und feilte sich unauffällig die Nägel, Gina saß dem mutmaßlichen Täter gegenüber, neben ihr stand der Ausbilder und versuchte seit einer halben Stunde, den
Mann zu verhören.
"Sie wollen also nicht aussagen?" Ikari beugte sich über den Tisch. "Das Schweigen wird Ihnen nicht viel bringen, wie wir ja jetzt von ihrer Noch-Braut erfahren haben, sind Sie Parfumeur und benutzen bei ihrer Arbeit Laken und Wachs, wie sie bei den Opfern gefunden wurden. Die Haaranalyse hat ergeben, dass Sie ein Werwolf sind, genau wie der Täter und sowohl Farbe, Länge, als auch Struktur ihres Haares stimmen mit dem überein, das bei dem letzten Toten gefunden wurde. Zu allem Überfluss sind Sie geflohen, als Sie mich gesehen haben; und:" - Ikari sah ihn triumphierend an. "Sie haben kein Alibi für die besagten Vollmondnächte."
Der Mann schwieg beharrlich und starrte in die Flamme der Kerze.
"Na schön", Humph klatschte in die Hände. "Er wird so oder so verhaftet, bei der Beweislage. Also brauchen wir seine Aussage nicht. Es wird spät und es war ein harter Tag. Kommt ihr Lieben, wir brauchen doch alle unseren Schönheitsschlaf, nicht wahr?" Er kicherte und winkte
die anderen beiden Wächter hinaus.
Gina blieb sitzen und fragte: "Kann ich noch fünf Minuten bleiben, Sir?" Sie sah Humph aus großen, dunklen Augen an. "Bitte!"
"Na ja, es ist dein letzter Arbeitstag, hab ich gehört", sagte Humph.
Ikari lächelte grimmig und nickte. "Wenn du unbedingt willst. Aber sei vorsichtig. Wenn irgendwas ist, sag Bescheid, Malachit ist draußen." Er öffnete die Tür. Draußen stand Alice und versuchte den Troll zu überreden, sie in das Zimmer zu lassen.
"Komm schon, Malachit, jetzt sei doch nicht so! Ich kann mit Werwölfen besonders gut umgehen." Sie warf verführerische Blicke in die Richtung des Mörders und lächelte ihn gewinnend an.
"Krieg dich wieder ein", fuhr Ikari sie an. "Ich habe langsam genug von deiner Vorliebe für Werwölfe. Das ist ja nicht mehr normal."
Die Tür wurde zornig zugeworfen.
Die Schritte und Stimmen der Vorgesetzten verklangen und für einen langen Moment herrschte Stille. Gina hatte ihr Versprechen eingelöst, sie hatte den Mörder von Jonathan Schuster gefasst. Mit Hilfe der anderen Wächter und, nicht zu vergessen, einem Esel und zwei Pferden, saß der Täter nun vor ihr.
Warum reichte ihr das nicht? Warum nahm sie nicht einfach ihre Sachen, vergaß diesen Fall, diesen Tschob, diese Stadt und ging zurück nach Lancre?
"Ich will wissen, warum", sagte sie ruhig. "Und Sie werden es mir sagen. Ich finde es sowieso heraus. Sie sind selbst in Ihrer menschlichen Gestalt zum Teil ein Wolf.
Und der Wolf in Ihnen wird es mir verraten, ob Sie wollen oder nicht."
Der Mann sah sie skeptisch und wortlos an.
"Muss ich erst beweisen, dass ich es kann, soll ich mit Gewalt in Ihr Bewusstsein eindringen?" fragte Gina. "Was meinen Sie, weshalb die Pferde sich Ihnen in den Weg gestellt haben? Zufall? Das glauben Sie selbst nicht, dafür haben Sie zu gute Instinkte."
Er brach sein Schweigen. "Sie würden es nicht verstehen. Sie hassen diese Stadt nicht sosehr wie ich."
"Ich habe sie am Anfang gehasst, aber sie gefällt mir immer besser."
"Nicht mehr lange...", murmelte er.
"Und was hat Ihr Hass auf die Stadt damit zu tun, dass Sie unschuldige Kinder brutal ermorden?" Gina funkelte ihn an.
"Was soll's, morgen werden Sie es sowieso vergessen haben. Wie Sie wissen, stelle ich Parfüm her, ich liebe Düfte", er bekam einen verträumten Gesichtsausdruck. "Rosen, Jasmin, Lavendel, Flieder, Maiglöckchen..."
"Herr Grenullje, weiter!"
"Und diese Stadt, sie stinkt, ich konnte hier kaum atmen, sie stinkt so furchtbar. Es war entsetzlich hier zu leben, wenn man eine so feine und empfindliche Nase hat wie ich. Und die Leute, so vulgär, solche Banausen, niemand wollte mein Parfüm haben! Das Schlimmste war mein, na ja, mein zweites Ich", Er warf ihr einen verlegenen Blick zu.
"Sie meinen den Wolf in Ihnen?"
Er blickte finster drein und spuckte das Wort förmlich aus. "Wolf! Ja, genau den meine ich. Ein Tier, ein stinkendes Tier! Der Gestank, jedes Mal nach Vollmond haftet er an mir, ich rieche es selbst. Widerlich! Die Leute haben mich gemieden, verspottet. Ein Parfumeur, der zum Himmel stinkt, ich war für jeden nur eine Witzfigur. Mir wuchsen in Windeseile die Haare nach, sie waren immer lang und struppig. Außerdem warich zu arm, um mir etwas anderes als Lumpen zum Anziehen leisten zu können. Meine Verlobte war die einzige, die mich mochte. Ein hässliches, dummes Mädchen ohne Manieren, was besseres konnte ich nicht bekommen. Aber jetzt, jetzt ist alles anders!"
"Ich verstehe immer noch nicht, was das mit den Morden zu tun haben soll!"
"Ich komme gleich darauf zurück. Vor einigen Wochen fand ich einen Brief neben meinem Bett, ich weiß nicht, wie er dahin kam, aber er enthielt ein Rezept. Greifen Sie mal in meine Hosentasche."
"Wie bitte? Im Traum vielleicht!" erboste sich Gina. "Ihr Männer seid doch alle gleich."
"Was denken Sie denn, ich bin Parfumeur,
so was unfeines käme mir nie in den Sinn!" Er schüttelte pikiert den Kopf. "Ich habe den Zettel da drin und Handschellen um, also, wenn Sie ihn sehen möchten..."
Grummelnd kramte sie in seinen Taschen und holte den abgegriffenen Zettel hervor. Sie faltete ihn auseinander und hielt den Atem an. Dieselbe Schrift! Es war dieselbe Schrift, wie auf der Notiz, die sie bekommen hatte! Was war das für ein Spiel?
"Die Essenz der Wechseljahre", las sie.
"Erst hab ich versucht, dieses Rezept zu ignorieren. Man musste schließlich morden dafür! Das ist eigentlich viel zu brutal und dreckig für mich. Aber eines Nachts, es war Vollmond, da ist es einfach so passiert." Er hielt inne und schluckte.
"Was ist passiert?"
"Die Essenz der Wechseljahre, die erste Zutat, die Frau."
"Sie haben die Mutter zweier Kinder getötet?"
Er nickte niedergeschlagen. "Ja. Ich roch die Veränderungsprozesse in ihr, brachte sie um und gewann die Essenz. Es war ganz einfach, dasselbe wie beim Parfümherstellen. Ich schlug sie in wachsgetränkte Tücher ein, nach einiger Zeit ist dann sozusagen ihr Charakter in dem
Wachs gespeichert. Man entfernt und verfeinert ihn: Die Essenz der Wechseljahre."
"Der Sud der Mitte-des-Lebens-Krise", las Gina weiter.
"Nächster Vollmond, nächster Mord", flüsterte Grenullje. "Der alternde Geschäftsmann ohne Kinder. Er fragt sich, was das Leben ihm gebracht hat, nimmt sich vor, es zu ändern. Dasselbe Prozedere, die zweite Zutat."
"Die Extrakte der Pubertät", Gina blickte schwer atmend von dem Zettel auf. "Die Kinder?"
Der Mörder sah sie an. "Es gab kein Zurück mehr. Zunächst kam das Mädchen an die Reihe. Sie hatte das erste Mal, na, Sie wissen schon, den monatlichen Besuch. Eine einschneidende Veränderung. Und zuletzt der Junge, er machte die Entwicklung des Mannwerdens durch. Da wurde ich nachlässig, das Haar... Ich war dem Erfolg so nahe, dass ich nicht mehr klar denken konnte."
"Ach, und vorher konnten Sie es? Nennen Sie vierfachen Mord klar denken?" fauchte sie. Sie versuchte die Fassung zu bewahren und las: "100%iger Alkohol."
"Die letzte Zutat, Alkohol verändert den Menschen."
"Und wozu das alles?" Gina verstand noch immer nicht.
"Veränderung! Nicht mehr und nicht weniger. Man mischt die Zutaten und zusammen ergeben sie ein hochwirksames Mittel, alles zu verändern. Die Magie kann sich sehr schnell entfalten, denn jeder Mensch verspürt tief in sich den Wunsch, ganz anders zu sein, als er eigentlich ist. Das Problem war, dass die ganze Stadt verändert werden sollte und das
Mittel nur wirkt, wenn es oral eingenommen wird. Na, klingelt's? Die städtische Trinkwasserversorgung, der größte Brunnen der Stadt. Der Trank sickert ins Grundwasser und nach und nach ist sämtliches Wasser der Stadt damit durchsetzt. Die Menschen trinken, kochen, putzen sich die Zähne und schon hat man eine komplett andere Stadt."
Gina ging in Windeseile die Ereignisse der letzten Tage durch und begriff, dass er die Wahrheit sagte.
"Sie sind völlig irre!" schrie sie.
"Da haben Sie vermutlich recht, aber wenn Sie sich daran erinnern könnten, wie diese Stadt vorher war, wären Sie mir dankbar."
"Wie meinen Sie das, wenn ich mich erinnern könnte?"
"Das Mittel sorgt dafür, dass die Veränderung unbemerkt vonstatten geht, sie kommt den Leuten normal vor, weil sie nicht wissen, dass es jemals anders war."
Gina erinnerte sich sehr wohl, aber sie sagte nichts davon.
"Ich habe natürlich vorgesorgt, so dass ich selbst nicht von den Veränderungen betroffen war und habe daher immer destilliertes Wasser vorrätig. Durch die Destillierung neutralisiert sich die Wirkung des Mittels. Ich wollte das Mittel nur bei Vollmond zu mir nehmen, um zu verhindern, dass ich mich in einen Wolf verwandle"
Destilliertes Wasser! Sie hatte die letzten zwei Tage nichts bis auf das Wasser des Einbalsamieres getrunken.
"Ist die Veränderung endgültig?"
Der Mörder schüttelte betrübt den Kopf. "Leider nicht, durch die starke Verdünnung im Trinkwasser hält der Effekt nur vierundzwanzig Stunden an. Ich muss es jede Nacht erneuern. In etwa einer Stunde ist alles wie vorher. Die Leute werden eine Art Filmriss haben und sich nicht an die letzten Tage erinnern. 100%iger Alkohol hinterlässt seine Spuren", Er kämpfte mit den Tränen. "All die Arbeit umsonst!"
"Ihr Vorrat wäre bald aufgebraucht gewesen, was hätten Sie getan? Wieder gemordet?"
"Ich war glücklich, das erste Mal in meinem Leben. Ich hätte es in Kauf genommen, dass weitere Menschen sterben müssen."
Sie musterte den Mann mit gemischten Gefühlen, gab sich schließlich einen Ruck und durchsuchte seine Taschen. Sie fand die kleine Ampulle mit einem Band um sein Fußgelenk gebunden und steckte es ein. Gina ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke
"Wenn Sie diese Geschichte morgen jemandem erzählen, wird niemand Ihnen glauben. Sie werden wegen vierfachen Mordes verurteilt und in einer stinkenden Zelle vor sich hin vegetieren. Sie haben zwei Kindern die Mutter genommen!" sagte sie kalt und verließ den Raum.

Der Patrizier saß an seinem Schreibtisch und schrieb. Er hielt inne, sah auf die Uhr und verfolgte den Sekundenzeiger auf seinem Weg, den Kreis zu vollenden.
54, 55, 56, 57, 58, 59- Jetzt hatte er seine Stadt wieder und war nun völlig sicher, dass er sie genau so, wie sie war, haben wollte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich wieder zu schreiben begann. Der Mann mit der Kapuze hatte natürlich kein
importiertes Wasser bekommen und er würde dafür sorgen, dass auch der Täter selbst seliges Vergessen genießen konnte, somit war Vetinari der einzige, der sich an diese kurze Episode seiner Unsicherheit erinnerte.

Der einzige? Gina saß im Stroh, den schweren Kopf an die Stallwand gelehnt und dachte nach. Sie konnte den Tschob behalten, wenn sie wollte. Niemand würde von ihrer Entlassung noch etwas wissen. Aber sie wollte nach Lancre zurück, gleich morgen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht zurück konnte! Bei dem Trubel um den Mordfall hatte sie ganz vergessen, dass sie sich ein Zimmer suchen musste. Grimmig lächelnd zog sie die Ampulle mit dem Trank hervor. Wenn es mal ganz unerträglich wurde...
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und Ikari steckte den Kopf in den Raum. Sie ließ das Mittel schnell verschwinden und sah zu ihm auf.
"Hey Gina, wie geht's dir, ist alles in Ordnung?" fragte er leise.
So abscheulich, wie er sich in den letzten Tagen verhalten hatte, musste er ja, wenn er in Wahrheit das genaue Gegenteil war, ziemlich nett sein. Sie gab ihm in Gedanken einen Pluspunkt.
"Wie ich sehe, hast du immer noch kein Zimmer. Du kannst gerne bei mir übernachten", sagte Ikari mit einem anzüglichen Grinsen.
Na schön, vielleicht doch kein Plus, das Punktekonto stand auf Null. Bereit für einen Neuanfang...

-ENDE-

[1] allgemeine morporkanische Zeiteinheit für "Luft holen und mittelschweren bis lebensbedrohlichen Erstickungsanfall erleiden"

[2] Wenn ein Bewohner Ankh-Morporks erst einmal eine Metapher gefunden hatte, die ihm gefiel, ließ er sie so schnell nicht mehr los

[3] ob man um Rat gebetenhatte, war eine ganz andere Sache

[4] Sollte es dem geneigten Leser hier ähnlich ergehen, kann ich ihm nur empfehlen, mal ganz ketzerisch was anderes als Pratchett zu lesen: Douglas Adams; "Per Anhalter durch die Galaxis", es lohnt sich nicht nur, um meine geistreichen Anspielungen zu verstehen ;)

[5] ...was Ankh-Morpork betraf, war das eine äußerst dreiste Lüge

[6] Für den menschlichen Leser soll hier einfachheitshalber der fälschliche Name benutzt werden

[7] Hiermit ist nicht das Gratin von S.37 des Bestsellers "Aus die Maus, Kannibalenschmaus" gemeint!

[7a] eigentlich war er sogar recht sympathisch, wenn man sich erst mal mit ihm unterhielt

[9] Wobei das lebendig zarte Rosa seiner Wangen wunderhübsch zu den erquickend gelben Zähnen passte




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