Meine Geisel, Deine Geisel, Unsere Geisel

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von Obergefreiter Araghast Breguyar (FROG)
Online seit 31. 03. 2003
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Ein aufgeregter Mann kommt in die Wache gestürmt und meldet eine Geiselnahme. Ein Fall für FROG!

Dafür vergebene Note: 12

Gleich würden sie kommen...
Bärbel Schalenobst rückte die letzten Stühle zurecht, setzte sich schnaufend und betrachtete zufrieden ihr Werk. Nun noch ein paar Kerzen und ein wenig Kaffee und Kuchen und der spartanisch eingerichtete Versammlungsraum würde richtig heimelig wirken. Erst kürzlich, erinnerte sie sich, hatte es in der 'Hausfrau und Familie' einen langen Artikel über das Thema gegeben. Zwar war ihr Ehemann strikt gegen diese Art von Lektüre, doch seitdem sie zu der Hausfrauenselbsthilfegruppe 'Sei Du Selbst' gestoßen war, hatte sie, wie sie zugeben mußte, einiges an Selbstbewußtsein gewonnen. Hachja, Hubert. Jahrzehntelang hatte sie seine Launen anstandslos erduldet, bis sie schließlich beim Einkaufen von einer Unbekannten angesprochen worden war, die sie motiviert hatte, der Gruppe beizutreten.
Und so war sie, Bärbel Schalenobst, 54, Hausfrau aus den Mobilien, Ankh-Morpork, schließlich im Laufe von anderthalb Jahren sogar zur Gruppenleiterin aufgestiegen und verwirklichte sich selbst in der Organisation von Kaffeeklatschrunden, Häkelkränzchen und Vorträgen über die moderne Ehefrau von Heute.
Die Tür des Raumes wurde geöffnet und eine dürre, etwa dreißigjährige Frau trat zögernd ein.
"Irmchen!" Bärbel war aufgesprungen und eilte auf sie zu. "Schön, daß du gekommen bist! Leg den Mantel ab und setz dich." Sie warf einen Blick in den Korb, den Irmchen vom Arm baumelte. "Ich sehe, du hast etwas zum Knabbern mitgebracht."
Die Angesprochene lächelte scheu. "Nur ein paar Käsestangen. Selbstgebacken." fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu. "Ich hoffe, sie sind nicht zu salzig geworden, mein Peter hat mich nämlich in genau dem Moment am Rock gezogen als ich das Salz dosiert habe..."
"Och, das wird schon nicht." lächelte Bärbel und geleitete Irmchen zu einem Tisch, auf dem bereits mehrere Kannen vor sich hindampften und den Raum mit einem angenehmen Kaffeearoma füllten. "Eine gute Prise Salz gehört schon rein in richtige Käsestangen. Welchen Käse hast du genommen? Den reifen Borgiunder aus Quirm?"
Irmchen verneinte. "Ich hab den Morporkianischen Roller verwendet. Den gabs gestern im Sonderangebot bei Soaks. Und ich fand ihn bisher eigentlich immer ziemlich lecker..."
"Wir werden es ja sehen." Bärbel lächelte ihr aufmunternd zu. "Aber eins muß ich dir sagen: Heute wird ein ganz besonderes Treffen. Wir werden nämlich heute einen Gast haben. Einen echten Püschologen."
"Klingt ja schön." Irmchen seufzte. "Vielleicht kann der mir ja mal zu etwas mehr Selbstbewußtsein verhelfen. Weißt du, ich habe mir ein richtig schönes Kleid gekauft. Mit ganz dünnen Trägern, die den Namen irgendeiner brindisianischen Nudel trugen."
"Ravioli?" warf Bärbel hilfreich ein.
"Nein, das wars glaube ich nicht... Jedenfalls habe ich dieses Kleid nun in meinem Kleiderschrank hängen und traue mich nicht, es anzuziehen. Eigentlich ist es eher ein Stück für junge Mädchen. Aber es gefiel mir so gut..."
"Wir werden sehen." Bärbel warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu. "Ah, Hildegard und Kunigunde! Schön, daß ihr kommen konntet!" Mit ausgebreiteten Armen lief sie auf die beiden Frauen zu, die soeben eingetreten waren und anerkennend die Raumdekoration musterten, und umarmte sie herzlich. "Nun fehlen nur noch Gustl, Lisbeth und Ilse. Und natürlich unser heutiger Ehrengast."
"Nein, der fehlt auch nicht mehr." erklang eine volltönende Männerstimme hinter dem Rücken der beiden Damen und ein schlanker Mann im dreiteiligen braunen Anzug, dessen Farbe hervorragend zu der seines Schnurrbartes paßte, trat ein und deutete eine leichte Verbeugung an. "Wenn ich mich Ihnen vorstellen darf: Alois Angstanfall, Püschologe und Experte für Phobien aller Art. Es freut mich, Ihnen heute ein wenig über die Bewältigung geheimer Ängste und Hemmungen erzählen zu dürfen."
"Bärbel Schalenobst." Die Vorsitzende reichte ihm ihre Hand. "Na dann kommen Sie mal rein. Wir sind schon sehr gespannt auf das, was sie uns vortragen wollen."
"Vortragen?" Angstanfall lächelte. "Nein, Frau Schalenobst. Ein bloßer Vortrag wird nicht auch nur ansatzweise deutlich machen, worauf ich hinauswill. Ich dachte da eher an eine praktische Demonstration."


"Und du bist dir wirklich sicher, daß wir so etwas brauchen, Ma'am?" Nachdenklich blickte Araghast Breguyar auf die Ikonographie, die auf dem Schreibtisch von Oberleutnant Venezia Knurblich lag.
Sie zeigte ein äußerst seltsames Gebilde, welches höchstens in Ansätzen als Kleidungsstück zu identifizieren war. Am ehesten ließ es sich mit einem aufgepumpten Ganzkörperanzug vergleichen, der soeben einen schweren Zusammenstoß mit diversen Metallteilen hinter sich hatte. Dort wo eigentlich der Kopf herausschauen sollte prangte ein überdimensionaler Helm in Form einer Glocke, in den ein kleines Glasfenster eingelassen worden war. Ein langer Schlauch führte aus der Spitze zu einer Pumpe.
"Was soll denn das sein?" Korporal Sidney schaute seinem Kollegen über die Schulter. "Ein trollsicherer Kampfanzug?"
Gold Moon kicherte. "Wer weiß, was das ist. Und bisher sind wir auch gut ohne ausgekommen."
"Das hier ist eine Taucherausrüstung, nach Abgaben des Herstellers auch für Tauchgänge im Ankh verwendbar." erklärte Venezia den versammelten FROGs. "Der Kommandeur meinte, wir sollten es uns einmal durch den Kopf gehen lassen."
"Wofu denn?" wollte Rogi wissen. "Um Leichen auf dem Fluff fu holen?"
"Leichen samelt man normalerweise von der Oberfläche auf." grinste Bregs.
"Eben. Und wenn ich mal so sagen darf, hat keiner gesagt, wie lange die Testperson darin im Ankh gesteckt hat." gab Kanndra zu bedenken. "Vielleicht hat das ganze ein paar Sekunden gehalten. Aber ab einer Minute könnte es eventuell schon kritisch werden."
"Trollsicherheit ich kann testen." schlug Malachit vor.
Veni räusperte sich. "Wenigstens können wir mal über alternative Verwendungsmöglichkeiten nachdenken." schlug sie vor. "Allerdings wird es als Kampfanzug nicht besonders zu gebrauchen sein fürchte ich. Es mag zwar schützen, doch schränkt es die Bewegungsfreiheit vermutlich ziemlich ein."
"Tauchen im Ankh." wisperte Charlie Zaddam ins Ohr. "Wie verrückt muß man sein, um zu glauben, mit solchen Ideen auch noch Geld verdienen zu können?"
Der Vampir zuckte mit den Schultern. "Irre gibt's in dieser Stadt genug. Da braucht man gar nicht lange zu suchen."
Es klopfte.
"Entschuldigung," Die Gefreite Will Passdochauf trat ein und salutierte. "Da draußen steht ein Mann, der eine Geiselnahme melden will, Ma'am. Ich habe ihn hinaufgebeten."
"Ohje." seufzte Venezia leise. "Na dann herein mit ihm."
Will nickte und zog sich zurück. Gleich darauf erschien ein älterer Mann auf der Türschwelle, der sich nervös umsah.
"Kommen Sie rein." ermunterte ihn die Gnomin. "Wir fressen hier niemanden."
"Egon Krawuttke ist mein Name. Aber alle nennen mich Opa." stellte sich der Besucher vor. "Hier bin ich doch richtig, wenn ich eine Geiselnahme melden will?"
Venezia musterte ihre versammelte Mannschaft. "Ja, doch, da sind Sie hier in der richtigen Abteilung. Aber erzählen Sie erst einmal, was ist passiert?"
"Nun, ich saß gerade gemütlich am Fenster und habe mein Pfeifchen geschmaucht." begann Opa Krawuttke seine Erzählung. "Sie müssen wissen, in meinem Haus wechseln öfter mal die Stockwerke. Das ist halt so wenn man mitten in den Mobilien lebt. Jedenfalls saß ich da und rauchte und auf einmal wurde aus dem Erdgeschoß der zweite Stock und ich befand mich plötzlich Fenster an Fenster mit einem Zimmer aus dem ziemliches Geschrei gekommen ist. Und da habe ich so Sachen wie 'Meine Geisel, also tut was ich sage', 'Lassen Sie sofort die Frau los, ich habe Zivilcourage, sehen Sie diese Handtasche, damit kann ich ganz schön Schaden anrichten' und 'Wenn ihr nicht tut was ich sage wird diese Frau sterben' gehört. Tja, und da bin ich dann sofort zu Ihnen, denn so eine Geiselnahme, das kann ja nicht angehen, sowas gehört sich doch nicht!"
Empört ließ sich der alte Mann in den Besucherstuhl sinken und strich sich über den grauen Rauschebart.
"Da haben Sie völlig recht. Sowas gehört sich nicht." Venezia erhob sich und stellte sich vor Araghast.
"Schulter?" fragte dieser.
"Schulter." nickte die Gnomin und ließ sich von dem Püschologen auf ihren bevorzugten Sitzplatz heben.
"Also," verkündete sie von dort aus, während Araghast schmerzvoll das Gesicht verzog weil die Gnomin ihm direkt ins Ohr schrie, "Dann werden wir mal ausrücken. Treffen in drei Minuten unten vorm Tresen. Und Sie, Herr Krawuttke," wandte sie sich an den alten Mann, der gerade damit beschäftigt war, seine Pfeife zu entzünden, "Werden uns den Weg zeigen."
"Jawollja." Opa Krawuttke nickte. "Wenn das Haus dann noch dort steht wo es vorher stand..."


"Interessant." Bärbel bedachte Angstanfall mit einem wohlwollenden Lächeln. "Aber sind Sie sich wirklich sicher, daß Zivilcourage in einem solchen Fall wirklich weiterhilft? Ich meine, dem durchschnittlichen unlizenzierten Verbrecher ist ein Menschenleben doch nicht viel wert."
"Eben darum ist die Zivilcourage so wichtig." Der Püschologe schien völlig in seinem Element. "Ein selbstbewußtes Opfer zeigt dem Täter, daß nicht alles was er tut einfach so hingenommen wird."
"Ich wünschte, Zivilcourage würde auch bei den Biestern helfen, die seit ein paar Monaten in meinem Briefkasten wohnen." seufzte Hildegard, eine resolute Frau in den sechzigern. "Ich habe alles versucht, sogar Rattengift. Aber sie sind einfach zu schlau, die kleinen Biester."
"Ratten in deinem Briefkasten?" fragte Kunigunde ungläubig. "In der Tat, ziemlich ungewöhnlich."
"Ich habe nicht von Ratten geredet." erklärte Hildegard und knabberte an einer von Irmchens Käsestangen. "Ich habe Gnome in meinem Briefkasten. Und sie werden immer frecher. In der letzten Woche haben sie mir Essig in mein Gesichtswasser geschüttet und Salz in die Zuckerbüchse gekippt!"
"Nun, meine Liebe, Gnome sind mindestens so intelligent wie Menschen und sie haben es nicht gern, wenn man ihnen Rattengift vorsetzen will." Alois Angstanfall hob die Augenbrauen und warf der entrüsteten Dame einen beinahe mitleidigen Blick zu. "Haben Sie es denn schon einmal mit Diplomatie versucht?"
"Diplomatie." schnaubte Hildegard. "Das hilft bei den Biestern auch nichts. Frech sind sie, jawoll. Aber wenn Sie einmal Zeit haben, Herr Angstanfall, dann kommen Sie doch einmal vorbei und entgnomen meinen Briefkasten mit guten Worten."
"Reg dich doch nicht so auf, Hildchen." versuchte Bärbel, sie zu beruhigen. "In einer Zeitschrift stand neulich mal, daß der Siedlungsraum für Gnome in der Stadt langsam knapper wird. Die armen Kerle haben doch nur ein Zuhause gesucht. Und wie würdest du es finden, wenn dir jemand absichtlich Rattengift vorsetzen oder dich ausräuchern würde?"
"Ich weiß nicht..." Hildegard zog angewidert die Nase kraus. "Ich meine, es sind doch keine Menschen. Kleine Wesen mit blauer Haut. So etwas ist doch unnatürlich."
"Meine ich da, einen Anflug von Speziesismus herauszuhören?" flötete Angstanfall und strich sich über den Schnurrbart. "Aber keine Sorge, meine Liebe. Ich kümmere mich gern um Ihr Gnomenproblem. Schließlich wollen wir doch alle gut miteinander auskommen, oder nicht?"
"Sicher." warf Gustl ein. "Tut mir leid wenn ich unterbreche, aber können wir nicht das Fenster zumachen? Ich finde, es zieht und das bekommt meinem Rheuma gar nicht gut..."
"Ich glaub, jetzt weiß ich wie es hieß, Irmchen." rief Bärbel plötzlich fröhlich. "Tortelliniträger?"


"Und das hier soll wirklich die Lautstärke der Stimme steigern?" skeptisch betrachtete Araghast das Gerät, welches ihm Venezia aufgeschwatzt hatte, von allen Seiten. "Es ist doch eigentlich nur ein Metallkegel mit einem Griff und einem Loch in der Spitze."
"Wenn du es weiter so schüttelst wirst du schon gleich merken, warum." Der Oberleutnant wickelte gemüßlich ein verdächtig aussehendens Würstchen aus einer Papiertüte und blickte hinter sich. Von ihrem Sitzplatz auf der Schulter des Püschologen beobachtete sie stolz, wie die komplette FROG-Truppe bewaffnet und uniformiert hinter ihnen und Opa Krawuttke, der wild mit seiner Pfeife gestikulierend den Weg wies, hermarschierte.
"He, du da draußen, würdest du gefälligst aufhören, mich andauernd durchzuschütteln?" keifte es plötzlich aus dem Metalltrichter, den Araghast vor Schreck daraufhin beinahe fallengelassen hätte. Langsam hob der Obergefreite das Gerät an und warf einen Blick in die Öffnung.
Ein kleiner, gelber Dämon hockte zwischen diversen Gummimembranen auf einem Metallhocker und warf Bregs einen vorwurfsvollen Blick zu.
"Ich werde ja noch seekrank hier drin." beschwerte er sich weiter. "Nicht genug, daß ich hier andauernd dem Mundgeruch diverser Wächter ausgesetzt werde, ganz zu schweigen wenn dieser Rote Beete-Fanatiker das Dämonophon benutzt, nein, ich werde auch noch andauernd herumgeschwenkt und irgendwo gegengeschlagen. Und ich dachte, es gäbe mittlerweile Gesetze zum Dämonenschutz!"
"Wer bist du eigentlich?" wollte der Obergefreite wissen.
"Gestatten, Spliff, der Dämonophon-Dämon." Das kleine, gelbe Wesen deutete eine spöttische Verbeugung an, nur um dem Wächter gleich darauf die Zunge herauszustrecken.
"Ist der immer so?" fragte dieser draufhin seine Vorgesetzte
Venezia nickte. "Spliff ist nun mal ein typischer Dämon. Aber immerhin tut er nach einigem Beschweren doch was man von ihm will, nachdem ich ihm gedroht habe, daß er in die Kaffeemaschine in der Kantine versetzt wird."
"Und nun links herum." Opa Krawuttke hieß die Wächter anhalten und wies mit dem Pfeifenstiel auf eine schmale Gasse. "Und ich möchte Sie noch einmal warnen: Hier beginnen die Mobilien, also machen Sie sich auf einiges gefaßt."
"Wir wissen, daß das Viertel auf einer ehemaligen Magieendlagerstätte steht." seufzte der Oberleutnant. "Hoffentlich haben sich die Geiseln oder der Geiselnehmer nicht mittlerweile in sonstwas verwandelt... Na dann mal los, FROGs!" Sie winkte energisch und der Trupp setzte sich wieder in Bewegung.

Einige Straßenecken und wunderliche Erscheinungen später blieb Opa Krawuttke stehen.
"Hier isses." erklärte er und stutzte kurz. "Oh je." seufzte er schließlich. "Anscheinend wohne ich derzeit mal wieder unterm Dach... meine armen Gelenke... Na ja, warte ich halt bis meine Wohnung wieder runterkommt..."
"Und wo stecken nun die Geiseln?" unterbrach ihn Venezia ungeduldig und sah sich suchend um.
"Nebenan im zweiten Stock." Opa Krawuttkes Pfeifenstiel zeigte auf einige Fenster, hinter denen warmes Licht schimmerte.
"Äh... neigt das Haus auch zum akuten Stockwerkwechsel?" erkundigte sich Araghast vorsichtig. "Wer weiß, wo die Geiselnahme mittlerweile steckt..."
"Nein, eigentlich sind die Wohnungen dort drüben recht stabil." erklärte Opa Krawuttke. "Nur ab und zu fühlen sich die Wände für ein paar Stunden weich wie Pudding an."
"Klingt ja lecker..." wisperte Kanndra Gold Moon ins Ohr. "Na hoffentlich wird es nicht gerade hart, wenn wir dran hochklettern müssen."
Der Oberleutnant unterzog das Gebäude zwischenzeitlich einer gründlichen Musterung. Hinter den Fenstern im zweiten Stock schien sich nichts zu rühren.
Die Gnomin seufzte leise. Nun ging es darum, das Eindringen in das Haus und die Befreiung der Geiseln zu koordinieren. Warum gab es bloß nie einen Truppführer wenn man einen brauchte...
Nach einer Minute gründlichen Nachdenkens räusperte sie sich.
"FROOOGS, hergehört!"
"Entschuldigung, Ma'am." Araghast griff an seiner Vorgesetzten vorbei und schob sich einen Wattebausch ins Ohr. "So, nun kannst du reden."
Ein wenig irritiert blickte die Gnomin auf das weiße Bällchen, welches aus dem Ohr des Püschologen ragte und richtete sich schließlich zu ihrer vollen Größe auf.
"Also, der Einsatzplan lautet wie folgt:
Zad, du begibst dich auf das Dach des Hauses gegenüber und nimmst von dort aus den oder die Geiselnehmer ins Visier. Aber schieß auf gar keinen Fall, bevor ich dir nicht Nachricht gebe!"
"Meinst du das Haus, von dessen Dach gerade die Blasen aufsteigen?" Stirnrunzelnd betrachtete der Hauptfeldwebel das betreffende Gebäude.
"Von dort aus hat man schätzungsweise die beste Sicht." Venezia klang ungeduldig und deshalb schulterte Zaddam ohne weiteren Kommentar seine Armbrust, auf der der Zieldämon Richie hockte und sich festklammerte, und machte sich auf den Weg zu seinem Posten.
"Vergiff die Taube nicht!" Rogi setzte den Käfig ab, den sie auf dem Rücken getragen hatte, griff hinein und reichte dem Triffinsziel eine kleine, graue Taube, die dieser mit einem Nicken an sich nahm.
"Okay." fuhr der Oberleutnant fort. "Kanndra nimmt sich das linke Fenster vor, Goldi das rechte. Malachit, du wartest mit der MUT unten. Es ist zwar unwahrscheinlich, daß wir sie brauchen werden, aber sicher ist sicher. Das Gleiche gilt für Charlie. Val, du bleibst bei Kanndra und Goldi und dringst notfalls durchs Fenster ein. Sid, Rogi und Bregs, ihr kommt mit mir ins Haus. Tauben gibt's bei Rogi, und wenn ihr etwas Wichtiges seht, sofort Nachricht an mich. Alles klar?"
Ein vielfaches "Ja, Ma'am!" erscholl aus den Kehlen diverser Spezies und die Wächter begaben sich auf ihre Positionen.
"Viel Glück auch!" Opa Krawuttke lehnte entspannt am Gartenzaun des Gebäudes, in dem Zaddam soeben verschwunden war. "Oder wie sagt man bei euch? Gut Verhafte?" Er schob seinen Hut in den Nacken und nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife.
Oder vielmehr hatte er es vorgehabt.
Irritiert starrte er auf die ein wenig verwirrt in die Gegend schauende Eidechse in seiner Hand. [1]
"Ach verflixte Thaumverseuchung!"

Genau dasselbe dachte sich auch Zaddam Boschnigg, als er die Dachluke aufstemmte, die zu seinem Posten führte. Eine orangerote Blase löste sich direkt vor seinen Augen aus den Ziegeln und zerplatzte mit einem leisen 'pling'.
Der Hauptfeldwebel rümpfte die Nase, als sich ein intensiver Rosenduft ausbreitete, und war froh, nicht auf Atemluft angewiesen zu sein. Vorsichtig, um mit der Armbrust auf seinem Rücken nicht steckenzubleiben, schlängelte er sich vollends durch die enge Luke und kletterte auf das flache Dach, von dem sich soeben eine weitere, dieses Mal lilafarbene, Blase löste und beim Zerplatzen einen durchdringenden Maiglöckchengeruch verbreitete.
Seltsam, was thaumaturgische Strahlung so alles mit ihrer näheren Umgebung anstellen konnte, dachte Zad, als er auf den Dachschindeln in Richtung Regenrinne balancierte. Eine gelbe Blase schwebte an ihm vorbei.
Der Vampir ließ sich auf den Bauch nieder, rückte Nightwing zurecht, brachte die Armbrust in Position und blickte über Richies Rücken hinweg durch die Fenster des zweiten Stockes des Zielgebäudes.
Einige Kerzen tauchten das Zimmer in ein warmes, gemütliches Licht. Sieben Frauen verschiedensten Alters saßen in einem Halbkreis um einen Mann herum, der lautstark auf sie einzureden schien. Vermutlich der Geiselnehmer, dachte Zad bei sich. Doch wo war seine Waffe? Hatte er sie irgendwo in einem toten Winkel versteckt?
Hastig zückte der Vampir sein Notizbuch, kritzelte eine Nachricht und befestigte sie am Bein der Nachrichtentaube, die unverzüglich von der Regenrinne startete.


"Nein, ich glaube, Linguiniträger hieß es auch nicht, Bärbel." Irmchen schüttelte den Kopf. "Es war irgendwas anderes. Miracoliträger vielleicht..."
"Miracoli ist keine Nudelsorte." warf Lisbeth ein. "Mein Mann und ich reisen in jedem Winter für zwei Wochen nach Brindisi. Mit Nudeln kenne ich mich also bestens aus."
"Hachja, der Segen des modernen Tourismus." seufzte Ilse schwärmerisch. "Vierzehn Tage Brindisi inklusive Kutschfahrt hin und zurück und morporkianischen Abendessen im Hotel. Dieses ganze ausländische Zeug kann man doch nicht essen. Und vor allem, wie kann man bloß auf die Idee kommen, denselben Nudelteig in hunderte verschiedene Formen zu pressen und jeder dann einen anderen Namen zu geben, den man noch nicht mal aussprechen kann. Das macht doch keinen Sinn!"
"Spielt es denn eine Rolle wie sie heißen? Hauptsache es schmeckt gut." stellte Hildegard ihren Standpunkt dar.
"Ach laß sie doch." Bärbel zuckte mit den Achseln. "Lisbeth ist nun mal ein Gewohnheitstier." Dann hob sie ihre Stimme. "Aber um noch einmal auf die Zivilcourage zurückzukommen- Ich meine, mir ist immer noch nicht ganz klar, inwiefern so etwas dem Opfer eines Verbrechens wirklich weiterhelfen soll. Ob, um auf das Beispiel zurückzukommen, die Geisel eines Verbrechers nun herumjammert oder laut verkündet, daß sie stark sei, kann dem Täter doch letztendlich egal sein. In diesem Fall wäre doch eher ein wenig aktive Selbstverteidigung eine Hilfe."
"Damit haben Sie in einem gewissen Punkt sogar recht." dozierte Angstanfall, nachdem er hektisch nachgedacht hatte, was sich nach außen durch nervöses Streichen über seinen Schnurrbart bemerkbar gemacht hatte. "Aber die allererste Voraussetzung für das aktive Angreifen des Täters ist immer noch die Bereitschaft, es überhaupt zu tun." Er griff Irmchen am Arm. "Wenn ich einmal demonstrieren darf... Stellen Sie sich vor, Dieser Bleistift hier," Er zog ein schon recht abgenagtes Schreibgerät aus der Tasche seines Jackettes und hielt ihn Irmchen an den Hals, "Ist mein Messer. Und ich bin jetzt der böse, böse Verbrecher, der Sie gefangengenommen und diverse böse Sachen mit Ihnen vorhat. Also, was tust du, Irmchen. Hast du fürchterliche Angst oder wärest du eher bereit, mir ordentlich eins vors Schienbein zu treten?"
"Ich glaube, ich hätte fürchterliche Angst." gab Irmchen zu. "Und wenn ich einen Gauner trete oder so hat er mir doch schon die Kehle durchgeschnitten bevor ich auch nur irgendwas richtig unternehmen kann."
"Haben Sie schon mal was vom Überraschungseffekt gehört?" fragte Angstanfall und griff Irmchen fester. "Stellen Sie sich vor, ich würde gleichzeitig Sie bedrohen und darüber nachdenken müsen, wie ich am Besten aus dieser Situation wieder herauskomme, besonders wenn sich schon ein paar Schaulustige versammelt haben, was in dieser schönen Stadt ja, wie Sie alle wissen, immer ziemlich schnell geht. Also stehe ich dort mit meiner Geisel, rede und rede und versuche, meine Haut zu retten. Der durchschnittliche Geiselnehmer beabsichtigt nicht wirklich, seine Geisel zu töten. Sie ist ja quasi seine Lebensversicherung. So lange die Geisel noch am Leben ist, kann er drohen, hat er ein Druckmittel in der Hand. Doch hat er sie umgebracht, steht er, wenn ich das einmal folgendermaßen ausdrücken darf, ziemlich dumm da. Also folglich kann einem in einer solchen Situation eigentlich gar nichts passieren. Aber wo ich eigentlich hinauswill ist, daß der Täter, abgelenkt von der Menschenmenge o!
der der Wache die mit ihm verhandelt eigentlich gar nicht mehr richtig auf die Geisel achtet und diese somit zumindest theoretisch in der Lage wäre, sich zu befreien."
"Hm." Bärbels Blick ließ immer noch deutliche Skepsis erkennen. "Und Sie sind sich da wirklich sicher, Herr Angstanfall? Und wenn Ihre Überlegungen doch nicht stimmen? Ein morporkianischer Geiselnehmer kommt vielleicht noch auf ganz andere Gedanken, was er mit seinem Opfer anstellt..."
"Äh... wenn Sie mich bitte wieder loslassen würden..." bat Irmchen zögernd. "Sie bedrohen mich immer noch, Herr Angstanfall."
"Oh." Als würde er aus einer Art Trance erwachen, wanderte der Blick des Püschologen zu seiner Hand, die immer noch den Bleistift gegen Irmchens Kehle drückte. "Oh je, das war mir gar nicht bewußt." entschuldigte er sich und ließ seine Demonstrationsgeisel los. "Ich war so in meinem Vortrag gefangen, daß ich es gar nicht gemerkt..."
Mit einem Schrei war Irmchen zurück in seine Arme geflüchtet, das Gesicht vor Angst verzerrt.
"Da... am Fenster..." kreischte sie mit zitternder Stimme. "Ein vermummtes Gesicht..."
"Wo?" Bärbel sprang auf. "Machen die Assassinen etwa schon wieder Kletterübungen? Die weichen Wände scheinen ihnen ja ziemlich zu gefallen."
"Das war kein Assassine!" jammerte Irmchen. "Ganz bestimmt nicht!"
"Wer soll es dann gewesen sein? Ein klatschianischer Terrorist?" Bärbels Stimme triefte nur so von Ironie. "Mein liebes Irmchen, wir befinden uns hier mitten in den Mobilien, in einem Haus dessen Wände zeitweilig weich wie Pudding werden."
Die angesprochene starrte derweil weiter panisch aus dem Fenster. "Und da drüben!" rief sie plötzlich. "Da hockt jemand auf dem Dach!"
"Ja, und?" entgegnete Bärbel. "Was ist so schlimm daran, daß jemand auf einem Dach sitzt, auch wenn es, wie das gegenüber, gelegentlich Blasen schlägt?"
"Er... hat eine Armbrust auf uns gerichtet..." stammelte Irmchen panisch.


Zuerst hatte Kanndra es lediglich für eine Übertreibung Opa Krawuttkes gehalten. Doch dann mußte sie feststellen, daß die Wände wirklich stellenweise die Konsistenz von Pudding aufwiesen. Einerseits erleichterte es die Kletterei ungemein, doch andererseits war das Gefühl an den Händen nicht gerade ein angenehmes. Seufzend rückte sie ihre Tarnhaube zurecht und spähte hinüber zu Gold Moon. Die Elfe war mittlerweile am Fenster angelangt und spähte vorsichtig in den Raum.
"Und?" deutete Kanndra die Frage mit einer Hand an.
Gold Moon deutete mit dem Daumen nach unten.
Sieht schlecht aus, deutete Kanndra das Signal für sich. Sie beobachtete, wie Gold Moon etwas auf einen Zettel schrieb und es am Bein ihrer Nachrichtentaube befestigte.
Von unten sah Valdimier fragend hoch.
Kanndra deutete mit dem Daumen nach unten und beobachtete, wie der Leichte Armbrustschütze daraufhin eine frustrierte Grimasse schnitt.

"Nein, hier ist abgeriegelt." Wie ein Berg versperrte Malachit die Straße. "Hier sein wichtiger Einsatz und deshalb abgesperrt."
"Wir wollen gefälligst was sehen!" rief ein Mann in der Menge.
"Was ist hier eigentlich los?"
"Gibt's hier was umsonst?"
"Würstchen! Heiße Würstchen! Garantiert vom Schwein!"
"He, laßt mich durch, ich will auch was sehen!"
"Hilfe, meine Handtasche wurde geklaut!"
"Wo liegt denn die Leiche?"
Charlotta seufzte. Selbst mitten in den Mobilien ließ der typische Ankh-Morpork-Mob nicht lange auf sich warten. Und wie es schien lag es nun an Malachit und ihr, sich um die Menge zu kümmern.
"Bleiben Sie ruhig." schrie sie über das Stimmengewirr hinweg. "Es handelt sich lediglich um einen Routineeinsatz. Es gibt hier nichts zu sehen!"
"Und warum habt ihr dann die Straße gesperrt?" fluchte jemand. "Ich habe hier eine Wagenladung Fisch und wenn ich noch länger hier stehenbleibe wird sie entweder faul oder verwandelt sich in wer weiß was in diesem verdammten Viertel."
"Glauben Sie, ich kann etwas dafür?" rief Charlie genervt. "Beschweren Sie sich meinetwegen bei dem Kerl der hier die Geiseln genommen hat!"
"Geiseln?" kam es aufgeregt auf der Menge. "Wo?"
Charlie biß sich auf die Lippen. Auf diese Weise würde sie die aufdringliche Menge Schaulustiger niemals loswerden. Sie mußte sich etwas einfallen lassen.
"Zurückbleiben!" dröhnte derweil Malachits Stimme durch die Straße. "Es hier nichts Interessantes zu sehen gibt."
"Denkste." kicherte Opa Krawuttke leise und ließ die Beine vom Gartenzaun herabbaumeln.

"Warum habe ich bloß das Gefühl, daß sich die Treppen anfühlen wie Gummi?" stöhnte Araghast, den Blick fest auf das Dämonophon gerichtet, in dem sich Spliff wieder einmal lautstark darüber beklagte, langsam seekrank zu werden.
"Das ist die verdammte magische Hintergrundstrahlung." fluchte Sidney und hielt sich nur mühsam im Gleichgewicht nachdem die Treppenstufe, die er soeben betreten hatte, sich gleich einer Gummimembran nach unten bog.
"He, wartet!" Rogi blieb plötzlich stehen und streckte den Arm aus. Eine kleine, graue Taube landete auf ihrer Hand und entleerte ihren Darm. "Die habe ich Faddam gegeben." erklärte die Gefreite nachdem sie ihre Hand stillschweigend mit einem Taschentuch gesäubert hatte, entfernte den Zettel vom Bein der Taube und reichte ihn Venezia, die ihn auseinanderfaltete.
"Hmmm." brummte die Gnomin, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte. "Hier steht:
Geiselnehmer hat insgesamt sieben Frauen in seiner Gewalt. Einzeltäter, keine Waffe in Sicht. Eventuell verborgene Sumpfdrachenbombe? Situation scheint derzeit entspa... igitt!"
Veni schleuderte den Zettel, beziehungsweise, das Etwas, welches vorher Zaddams Nachricht dargestellt hatte, weit von sich, woraufhin es mit einem Platschen an der Wand zerschellte.
"Wie lecker." kommentierte Sidney nur, als etwas entfernt krakenförmiges, Blaues in einer schleimigen Spur über die Tapete rutschte.
"Ich verstehe nicht, wie manche Leute es aushalten, hier zu leben." seufzte der Oberleutnant und klammerte sich an Araghasts Schulter fest, als dieser den Aufstieg in den zweiten Stock fortsetzte, mit einer Hand das Geländer und mit der anderen das Dämonophon festhaltend.
"Ich weiß nicht." stöhnte er, als sein Fuß ein weiteres Mal bis über den Knöchel in einer Stufe versank. "Warum marschiert hier jemand mitten in diesem Viertel in ein Haus und nimmt einen Haufen Frauen als Geiseln? Etwas Wertvolles wird es hier wohl kaum geben. Was sein mag ist, daß eine der Geiseln ihn bei einem Verbrechen beobachtet hat. Aber was soll dann eine Geiselnahme, die wir eigentlich nur durch Zufall mitbekommen haben?"
"Frag mich nicht." brummte Venezia. "Die Hauptsache ist erst einmal, daß wir das Ganze unblutig über die Bühne bekommen."

"Das hier muß es sein." wisperte Sidney und wies auf eine schlichte Holztür, die am Ende eines muffigen Korridors lag.
"Na wenigftenf ift der Boden hier wieder begehbar." flüsterte Rogi und rückte den Taubenkäfig auf ihrem Rücken zurecht. "Daf war ja wirklich flimm eben."
"Bist du bereit?" Venezia zog Araghast an Ohrläppchen.
"Was?" fragte dieser verwundert.
"Ob du fertig bist!"
"Wie bitte?"
Die Gnomin griff zu und zerrte ein weißes Büschel aus dem Ohr des Püschologen. "Nimm gefälligst die Watte aus dem Ohr wenn ich mit dir rede." zischte sie.
"Oh... Tschuldigung. Also was ist los?"
"Ob du fer-tig bist?" Der Oberleutnant klang deutlich gereizt.
"Ja." gab Bregs zurück. "Also, meinetwegen kann es losgehen."
"Okay." gab Venezia flüsternd Anweisungen. "Wir werden erst einmal versuchen, zu verhandeln. Wenn das nicht den gewünschten Erfolg hat, werden Vorbereitungen für das Stürmen getroffen. Verstanden?"
Die übrigen nickten stumm.
Araghast hob das Dämonophon und betete stumm zu eventuell anwesenden Göttern, daß Spliff sich benehmen würde. Dann begann er mit dem, was er für eine vernünftige Verhandlungstaktik hielt.
"Hier spricht die Stadtwache von Ankh-Morpork." erklang seine Stimme zu seiner großen Überraschung klar und deutlich und um einiges lauter als er erwartet hatte. "Wir haben Sie umstellt, also wird Ihnen Widerstand nichts mehr nützen. Geben Sie auf und kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!"
Hinter der Tür herrschte Grabesstille.
"Und das sollen wir Ihnen glauben?" erklang schließlich eine Männerstimme.
"Wieso glauben?" flüsterte Sidney verwirrt.
Das Rauschen von Taubenflügeln unterbrach ihn und ein unterdrücktes Fluchen kündete von der Tatsache, daß ein weiterer gefiederter Nachrichtenträger sich auf Rogis Hand erleichtert hatte. Es raschelte leise, und ein weiteres Mal wanderte ein Zettel zu Venezia.
"Von Goldi." wisperte sie leise. "Hm, interessant. Hier steht, daß der Geiselnehmer gerade dabei war, eine Frau mit einem spitzen Gegenstand zu bedrohen, indem er ihn ihr an die Kehle hielt."
"Ohje." Araghast hob erneut das Dämonophon.
"Sie haben gehört, Sie sind umstellt." verstärkte Spliff mit seinem komplizierten Membranensystem erneut die Stimme des Püschologen. "Wenn Sie die Damen jetzt einzeln nacheinander gehen lassen, können wir eventuell auf eine Stürmung verzichten."
Wieder eine Pause, die einzig und allein durch ein leises Schluchzen unterbrochen wurde.
Dann kam die Antwort der männlichen Stimme:
"Niemals!"


"Wie war es noch..." flüsterte Gustl zitternd vor Angst. "Wenn man vom Dämonen spricht..."
"Ja, aber warum?" Hildegard kroch unter das Fensterbrett und kauerte sich dort zusammen. "Warum gerade hier? Und warum gerade wir? Wir haben nichts getan, wir wissen nichts von irgendwelchen Verbrechen, wir sind von keiner politischen Bedeutung- Also was soll das Ganze?"
"Frag mich nicht." Irmchen blickte ängstlich zu der Barrikade aus Tischen und Stühlen, welche sich vor der Tür auftürmte. "Und Sie sind sich wirklich sicher, daß das hält?"
"Sie müßten schon mit einem Sumpfdrachen kommen wenn sie da durchwollten." versuchte Angstanfall sie zu beruhigen. "Zumindest für die nächste Zeit wird es halten. Sie haben noch nicht versucht, durchzubrechen."
"Noch nicht." seufzte Lisbeth und knabberte abwesend an einer Käsestange. Sie schien nicht zu registrieren, daß sich das Gebäckstück bereits vor einigen Sekunden in ein Stück Holzkohle verwandelt hatte.
"Aber was sollen wir nun tun?" jammerte Gustl. "Wir können doch nichts machen, außer zu versuchen, möglichst aus der Schußlinie des Schützen auf dem Dach zu bleiben."
"Wir könnten die Gardinen zuziehen und die Kerzen ausblasen." schlug Bärbel vor, die von den Damen als einzige nicht von blanker Angst gepackt geworden zu sein schien. "Dann kann der Armbrustkerl wenigstens nicht mehr sehen wo wir nun genau sind und wir können uns wieder frei bewegen."
Sie trat aus ihrer Deckung zwischen den beiden Fenstern, bückte sich und lief geduckt in die Zimmerecke, wo der Anfang der Gardine hing. Auf der entgegengesetzten Seite der Fensterfront tat Alois Angstanfall genau dasselbe.
Auf ein Zeichen Bärbels hin ergriffen beide jeweils einen Zipfel des Vorhangs und eilten, den Stoff hinter sich herziehend, auf die Mitte der Fensterfront zu, wo sie sich erleichtert niederließen.
"So, das wäre geschafft." seufzte die Hausfrau erleichtert. "Nun nur noch die Kerzen."
Immer noch geduckt huschte sie durch die Gegend und löschte die Lichter. Der Raum lag nun in diffusem Halbdunkel.
Irmchen atmete heftig. "Ich... ich finde es so noch schlimmer..." Ihre Stimme war zu einem panischen Fiepen geworden. "Die Dunkelheit... Da bekomme ich nur noch mehr Angst..."
"Farfalleträger." rief Bärbel plötzlich. "War es das?"
"Bärbel!" zischte Hildegard aus ihrem Versteck. "Also wirklich! Wir sitzen hier in der Falle wie die Ratten und du denkst an Kleider!"
"Nun, immerhin weißt du nun, wie die armen Gnome in deinem Briefkasten sich fühlen müssen, wenn du ihnen mal wieder mit Schwefeldampf oder sonstwas auf den Leib rückst." giftete Bärbel zurück.
"Frieden!" wisperte Angstanfall hektisch. "Unsere Lage ist doch schon schlimm genug, da können wir wirklich keinen Streit brauchen!"
Bärbel schnaubte. "Trotzdem... Die armen, kleinen Geschöpfe..."


Immer mehr Schaulustige drängten in die Straße und das Stimmengewirr nahm langsam aber sicher an Lautstärke zu. Malachit hatte seine liebe Mühe, sie zurückzuhalten und Charlotta schoß für kurze Zeit der Gedanke durch den Kopf, sie mit einer vorgehaltenen MUT nachdrücklich aufzufordern, zumindest die unmittelbare Nachbarschaft zu räumen. Doch dummerweise hatte die intensive magische Hintergrundstrahlung selbst vor dem gigantischen Bolzen nicht haltgemacht und ihm Wurzeln und eine Krone wachsen lassen. Der Troll sah aus, als würde er einen Baum auf seinem Rücken tragen.
Schaulustige, dachte die Knallpulverexpertin verächtlich. Der natürliche Feind eines jeden Wächters. Und deren Bändigung war eigentlich die Aufgabe eines Verkehrsexperten oder Tatortsicherers, doch von beiden war weit und breit niemand in der Nähe.
Da kam ihr eine Idee.
Nimm mich auf deine Schultern Mala." bat sie den Troll.
Als sie in luftiger Höhe die Menge überblickte, mußte sie schlucken. Die Schaulustigen stauten sich bereits bis zur nächsten Kreuzung.
"Hallo?" Verzweifelt ruderte sie mit den Armen, um sich Gehör zu verschaffen.
"Was gibt's denn?" rief eine Frau in der fünften Reihe. "Wurde das Schmugglernest endlich ausgeräuchert?"
Charlie seufzte. Die allgemeine Gerüchteküche schien seltsames mit bisher dürftigen Fakten anzustellen.
"Eine wichtige Nachricht!" rief sie. "Soeben hat AEKI bekanntgegeben, die Restbestände der Wintermöbel zu Preisen wie vom Damit-unterbiete-ich-Schnapper-Achmed zu verkaufen!"
Dies war natürlich eine glatte Lüge, doch in diesem Fall heiligte der Zweck die Mittel.
"Sonderpreise? Ist ja klasse! He, laßt mich durch!" Ein junger Mann begann, sich teils schwimmend, teils über andere Personen hinwegkletternd, durch die Menge der Schaulustigen zu bewegen.
Und langsam, wie Wellen auf einem Teich, breitete sich die Nachricht aus.
Und ebenso langsam löste sich die Menge auf und der gesamte Troß machte sich erst gemessenen Schrittes, dann immer einiger in Richtung der tollen Schwestern auf.
Bis schließlich nur noch Opa Krawuttke auf seinem Platz auf dem Gartenzaun saß und in Ermangelung seiner Pfeife eine hastig aus Tabak und altem Zeitungspapier improvisierte Zigarette rauchte.
Erleichtert ließ sich Charlotta in den Blätterwald des ehemaligen MUT-Bolzens sinken und rückte sich ihre Sonnenbrille zurecht.
"Wir auch haben wollen Sonderangebote?" fragte Malachit plötzlich.
"Nein!" sofort sprang die Werwölfin wieder auf. "Das war doch lediglich ein Trick um die ganzen Leute loszuwerden!"
"Achso." Leichte Enttäuschung schwang in der Stimme des Trolls mit. "Dann es gar kein Sonderangebot geben?"
"Genau." nickte Charlie. "Und nun laß mich bitte wieder runter."
"Hehe, nette Idee." kicherte Opa Krawuttke und kratzte sich in den Tiefen seines Bartes. "Und, wie geht's der Geiselnahme mittlerweile?"


Ein scharrendes Geräusch über ihrem Kopf ließ Kanndra aufhorchen.
Die Späherin sah auf und konnte gerade noch erkennen, wie jemand im Zimmer die Gardinen vor die Fenster zog.
Mist, fluchte sie innerlich. Nun kann gar keiner mehr sehen, was da drinnen los ist. Und Zad kann auch nichts mehr machen. Der arme, hockt da drüben auf seinem blasenschlagenden Dach und hofft, daß sich seine Armbrust nicht in wer weiß was verwandelt. Und langsam scheint die Wand hier steif zu werden...
Auf der gegenüberliegenden Seite deutete Gold Moon ebenfalls auf die Mauer.
Ein leises 'plopp' erklang unter Kanndra und kurze Zeit später schwebte eine Fledermaus auf ihrer Augenhöhe.
"Val!" flüsterte die Späherin. "Flieg zu Veni und Co und sag ihnen, daß wir hier nichts mehr machen können. Die Vorhänge sind dicht und das Licht ist aus. Und Goldi und ich müssen langsam von der Mauer runter, sie fängt an, steif zu werden."
Die Fledermaus schug mit dem Flügel gegen Kanndras Tasche, die verdächtig leer von ihrem Gürtel hing.
"Du meinst, ich soll die Taube benutzen? Ich fürchte nur, da gibt es ein Problem, weil sie sich schon vor einer ganzen Weile in eine Karotte verwandelt hat. Also flieg! Bitte!"
Die Fledermaus schoß davon, und Kanndra machte sich an den Abstieg.

"Da drin scheint sich ja eine ganze Menge zu tummeln." flüsterte Araghast. "Ein Getrappel und Geflüstere ist das..."
"Vermutlich bringt er seine Geiseln an strategisch wichtigen Stellen unter." mutmaßte Venezia. "Er scheint zu ahnen, daß wir vorhaben, zu stürmen."
"Warum glaubt er uns bloß nicht, daß wir von der Wache sind und redet einfach nur herum, daß er seine Gefangenen auf keinen Fall rausrückt?" wunderte sich Sidney und überprüfte wohl schon zum zehnten Mal seine Armbrüste, von denen sich eine, begleitet von den unterdrückten Flüchen ihres Besitzers, bereits in einen Schmetterling verwandelt hatte und davongeflattert war. "Normalerweise hätte er schon längst Forderungen stellen müssen, von wegen freies Geleit und ein Schiff nach Klatsch oder so. Das machen Geiselnehmer doch normalerweise."
"Eigentlich schon." nickte der Oberleutnant. "Rogi, schick ein paar Tauben und gib den anderen Bescheid. Wir stürmen in von Ankunft der Nachrichten an gezählt drei Minuten. Klar?"
Die Igorin nickte und begann, sich mit ihren gefiederten Schützlingen zu beschäftigen.
Plötzlich flatterte etwas direkt an ihrem Ohr vorbei und Valdimier van Varwald materialisierte sich mit einem leisen 'plopp' direkt zwischen ihr und Sidney.
Der Werwolf sprang aus reinem Reflex heraus hinter das Treppengeländer und hielt seine Armbrüste im Anschlag.
"Ich bin es." wisperte Val und trat auf Araghast und seine auf dessen Schulter stehende Vorgesetzte heran.
"Von draußen sind wir abgeschnitten, Ma'am. Die Wand scheint ihre Puddingphase beendet zu haben und von innen wurden die Gardinen zugezogen, so daß Zad nun kein Ziel mehr hat. Aber immerhin sind Charlie und Malachit die Schaulustigen losgeworden, indem sie ihnen weisgemacht haben, daß AEKI die Lagerbestände zu Schnäppchenpreisen räumt."
Venezia verkniff sich ein Grinsen.
"Rogi, Planänderung." rief sie leise. "Schick Kanndra, Goldi und Zad die Nachricht, daß sie aufpassen sollen, daß sich niemand aus dem Fenster abseilt, und gib Charlie und Malachit Bescheid, daß sie sich weiterhin um die Straße kümmern sollen. Und Sid und Val, ihr macht euch bereit zum Stürmen. Bregs, wenn du mir bitte das Dämonophon auf Mundhöhe halten würdest..."
Ein leises Rascheln verkündete, daß Rogi ein Blatt aus ihrem Notizblock, welches die gewünschten, hastig hingekritzelten Nachrichten enthielt, in kleine Stücke riß. Kurz darauf starteten drei Tauben aus dem Flur des zweiten Stockes.
Währenddessen postierten sich Valdimier und Sidney links und rechts neben der Tür.
Venezia gab ein Handzeichen und Araghast hob das Dämonophon für sie auf Mundhöhe. Die Gnomin hob ihrem Arm.
Eins, zählte sie lautlos.
Zwei.
"Jetzt!" schallte ihre dämonophonverstärkte Stimme durch das gesamte Haus und die beiden leichten Armbrustschützen warfen sich gegen die Tür.


Die Erschütterung ließ die vor der Tür gestapelten Möbel erbeben und entlockte dem mittlerweile völlig hysterischen Irmchen einen spitzen Schrei.
"Ich habs doch gesagt, sie brechen durch!" Lisbeth, den Mund mit Holzkohle verschmiert und eine Kaffekanne fest umklammert, schluchzte leise.
"Sie werfen sich nur gegen die Tür." stellte Angstanfall mit in Lisbeths Augen bewundernswerter Ruhe fest. "Ich habe zweimal abgeschlossen und der Tisch dürfte eigentlich auch ziemlich masiv sein."
"Ha!" rief er laut in Richtung Tür. "So leicht kriegt ihr uns nicht."
Ein weiteres Krachen war die Antwort.
"Ich hoffe nur, unsere Barrikade verwandelt sich nicht gleich auch noch in irgend etwas Schreckliches." wimmerte Gustl. "Das wäre unser aller Ende!"
Bärbel saß währenddessen mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf dem Fußboden und murmelte vor sich hin.
"Tagliatella... nein, das kann es auch nicht gewesen sein. Maccaroni vielleicht? Irmchen, waren es Maccaroniträger?"
"Bärbel!" schnappte Hildegard hysterisch. "Hör- endlich- mit- diesem- Unsinn- auf!"
"Warum?" Die Angesprochene verzog ihre Lippen zu einem Lächeln. "Wer dreht denn hier gleich durch? Ich lenke mich wenigstens ab."
"Du!" kreischte Hildegard. "Du bist ja auch nicht normal! Und außerdem warst du es, die uns hierher in dieses... verseuchte Viertel eingeladen hat! Du bist schuld, daß wir hier festsitzen!"
Bärbel beugte sich vor und versetzte Hildegard eine schallende Ohrfeige.
Deren Kinnlage klappte wie mechanisch herunter und sie hielt in ihren Bewegungen für einen Augenblick inne.
Dann begann sie leise zu weinen.
"Das haben Sie gut gemacht, meine Liebe." wandte sich Angstanfall an Bärbel. "Einen hysterischen Anfall beendet man am Besten durch einen kurzen Schreck. Ich hatte schon befürchtet, daß Ihre Freundin auf Sie losgehen würde. Doch Sie haben instinktiv richtig gehandelt. Sie scheinen diese Situation eh weitaus besser zu durchzustehen als ihre Bekannten."
"Danke." flüsterte Bärbel und lächelte schwach.
Der Püschologe warf einen sorgenvollen Blick zur Tür. "Es ist ziemlich ruhig dort draußen." sagte er leise. "Und ich fürchte, daß das nichts Gutes bedeutet."


"Verdammt. Wir kommen nicht durch." fluchte Sidney und rieb sich die schmerzende Schulter. "Der Kerl scheint ein halbes Möbellager vor der Tür gestapelt zu haben."
"Na super." Valdimier lehnte sich gegen die Wand. "Mir scheint, als würden wir Charlies Substanzen doch noch brauchen."
Venezia nickte. Rogi, hol Charlie her. Nein, keine Taube, das Fenster tuts auch. Mittlerweile weiß der Geiselnehmer eh, daß wir hier sind, da brauchen wir nicht mehr leise zu sein. Und wehe, der Sprengstoff hat sich nun auch noch in grüne Spinnen verwandelt." angewidert betrachtete sie das Exemplar, welches sich zu ihrem Erstaunen urplötzlich in ihrer Würstchentüte befunden hatte und ließ es auf den Boden fallen, wo es in einer Ritze zwischen zwei Holzbrettern verschwand.
Rogi trat ans Fenster, öffnete es und rief etwas hinab.
Kurze Zeit später stand Charlotta neben den übrigen im zweiten Stock.
"Ich soll euch alle noch von Opa Krawuttke grüßen." berichtete sie. "Er wünscht uns viel Glück."
"Sag bloß der hockt immer noch auf seinem Zaun und raucht..." brummte Val.
Charlie grinste nur und wickelte ihre Sprengstoffvorräte aus. "Holztür." murmelte sie. "Irgendwelche sonstigen Hindernisse?"
"Vermutlich ein ziemlicher Stapel Möbel auf der anderen Seite." erklärte Araghast.
"Gut." Die Knallpulverexpertin zog einige rote Fläschchen aus den Tiefen ihrer Tasche. "Mal sehen. Ein wenig Pulver Nummer eins für das Türschloß. Dann für die Angeln ein wenig von dem Flüssigzeug auf das die Alchimistengilde neuerdings so stolz ist nachdem es ihnen wieder einmal das Gildenhaus gesprengt hat."
"Ich möchte nicht wiffen fum wievielten Mal in diesem Jahr fon..." murmelte Rogi.
"Frag Robin, der ist da der Experte." wisperte ihr Valdimier ins Ohr.
"Hmm..." Nachdenklich blickte Charlie auf die Tür. "Eine Möbelbarriere könnte schwierig werden. Man bräuchte ein paar lange, flache Päckchen an einer Schnur..."
Sie kramte in ihrer Tasche und förderte schließlich das Gesuchte zu Tage. "Und nun..."
Mit einem leisen Rascheln rieselte das Pulver Nummer eins ins Türschloß. "Sei vorsichtig mit der Schnur!" warnte die Werwölfin Valdimier, der ihr ein wenig zur Hand ging. "Und nun gib mir die Flasche mit dem Flüssigdetonationsmittel."
Wenige Minuten später ragten diverse Zündschnüre aus den verschiedensten Ecken der Tür, die schließlich von Charlie zu einer einzigen zusammengedreht wurden.
"So, wenn ihr nun etwas zurücktreten würdet." Stolz betrachtete die Knallpulverexpertin ihr Werk.
Venezia nickte. "Rogi, du hältst hier die Tauben in Bereitschaft. Val und Sid, haltet euch bereit. Bregs, du bewaffnest dich besser auch. Aber denkt daran: Wir wollen den Geiselnehmer überwältigen, nicht töten."
Mit einem scharrenden Geräusch, welches Araghast kurz befürchten ließ, bald so ohrlos zu enden wie Vico, zog sie ihren Gnomensäbel aus der Scheide.
"Alle bereit?"
"Ja, Ma'am!" kam es vielstimmig zurück.
"Also gut. Charlie, ich bitte um Zündung."


Glücklich, das unselige, blasenschlagende Dach endlich verlassen zu dürfen, marschierte Zaddam Boschnigg über die Straße und gesellte sich zu seinen beiden Kolleginnen, die stumm zu den verhangenen Fenstern des zweiten Stockwerkes aufblickten, während Malachit versuchte, einen Eselskarrenlenker zu überzeugen, doch lieber einen Umweg zu fahren.
"Zu schade, daß er die Gardinen vorgezogen hat." erklärte der Triffinsziel. "Ich hatte ich so richtig schön im Visier gehabt."
"Die anderen werden's schon richten." Kanndra trat einen Schritt zurück. Die dunkelgrüne Kapuze mit den Sehschlitzen baumelte an ihrem Gürtel herab. "Obwohl ich natürlich gern dabei wäre wenn sie stürmen."
Gold Moon und Zaddam nickten. Es gab wirklich Aufregenderes, als mitten auf der Straße zu stehen und darauf zu warten, daß sich jemand aus einem Fenster im zweiten Stockwerk abseilte.
"Wann wird denn nun endlich gesprengt?" Ungeduldig wippte Opa Krawuttke auf seinem Gartenzaun. "Ich hab sowas noch nie gesehen. Gibt es da eine pilzförmige Rauchwolke oder so etwas?"
"Wer weiß." Gold Moon zuckte mit den Schultern. "Hier ist es vermutlich sogar möglich, daß dabei ein Schwarm rosaroter Papageien entsteht."
"Hehehe, das wäre doch schön!" kicherte Opa Krawuttke und drehte sich eine weitere Zeitungspapierzigarette, die sich bereits vor der endgültigen Fertigstellung in einen Regenwurm verwandelte und davonkroch, um im nächsten Gebüsch ein völlig neues Leben zu beginnen.

KRA-RUMMS


Eine der Fensterscheiben des zweiten Stockes zersplitterte durch die Wucht der Explosion und ein lediglich halb substantielles Känguruh fiel durch die so entstandene Öffnung mit einem lauten Platschen auf die Straße, wo die Überreste schließlich in einer übelriechenden Wolke verpufften. Mehrere Frauenstimmen schrien aus Leibeskräften.
"Au Backe." murmelte Kanndra. "Das hört sich gar nicht gut an..."


Laute Stimmen ertönten auf dem Flur.
"Sie führen tatsächlich etwas im Schilde." erklärte Angstanfall wissend. "Entweder Sprengstoff oder einen Rammbock."
Ein leises Rieseln ertönte aus der Richtung der Tür.
"Vermutlich Pulver Nummer eins." Der Püschologe robbte langsam an die Barrikade heran. Damit wollen sie das Türschloß kaputtkriegen. Oh und nun schieben sie etwas unter der Tür durch."
"Reißen Sie es ab!" flehte Gustl. "Schneiden Sie die Zündschnur durch! Tun Sie doch etwas!"
"Ich bin nicht lebensmüde..." Angstanfall begab sich auf demselben Weg wieder zurück, auf dem er sich vorgewagt hatte. "Ich berühre doch keinen frisch ausgelegten Sprengstoff... Aber was wir tun können ist uns zu bewaffnen." Suchend sah er sich um.
"Wir könnten mit Kaffeekannen werfen?" schlug Lisbeth zaghaft vor und streichelte die ihrige, die sie immer noch auf dem Schoß hielt."
"Ich glaube ich hab's." erklärte Bärbel fröhlich.
"Was?" rief Gustl erregt.
"Spaghettiträger. Das wars." verkündete Bärbel.
In diesem Moment explodierte die Tür mitsamt der Barrikade.


"Hineiiiin!"
Sidney warf sich in den Raum, rollte sich ab, ignorierte die dicht an seinem Kopf vorbeifliegende Kaffeekanne und richtete seine Armbrüste geradewegs auf den Mann, der dort völlig verwirrt und umgeben von Möbeltrümmern mitten im Raun stand und dem Känguruh nachstarrte, welches soeben durch die Fensterscheibe geschmettert war.
Neben ihm vollführte Valdimier genau dasselbe Manöver, abgesehen davon, daß er lediglich einer geworfenen Untertasse ausweichen mußte.
Araghast und Veni kamen hinterhergelaufen, warfen sich auf den Geiselnehmer und rissen ihm zu Boden, während Charlotta ein Paar Handschellen vorbereitete.
Der Gefangene wehrte sich verzweifelt und Bregs mußte einige Hiebe einstecken, bis schließlich der kalte Stahl des Gnomensäbels an der Kehle des Mannes glänzte.
Eine weitere Kaffeetasse zerschellte dicht neben Charlies Kopf am Türrahmen.
"Geht weg, ihr bösen Terroristen!" kreischte eine ältere Frau und sah sich hektisch nach einem neuen Wurfgeschoß um.
Venezia grinste breit von einem Ohr zum anderen und ließ ihre kleine Dienstmarke vor den Augen des Gefangenen hin- und herpendeln hin- und herpendeln.
"Im Namen der Stadt Ankh-Morpork, ich verhafte Sie wegen eines Falles schwerer Freiheitsberaubung und versuchter Körperverletzung. Sie haben das Recht eine Gerichtsverhandlung einzufordern. Charlie, die Handschellen bitte."
Es klickte zweimal.
"Du kannst ihn loslassen, Bregs."
"Wie, Stadtwache..." stamelte eine der Frauen verwirrt. "Wo sind die Terroristen geblieben? Haben Sie den Armbrustschützen auf dem Dach besiegen können? Und den vermummten Mann vor dem Fenster? Und die Kerle die unsere Tür gesprengt haben?"
"Terroristen?" Die Wächter sahen sich fragend an.
"Wovon reden Sie?" wunderte sich Venezia, die mittlerweile ihren angestammten Platz auf Araghasts Schulter wieder eingenommen hatte. "Vielleicht war er hier," Sie wies auf den Gefangenen, "Ja ein Terrorist, aber da draußen... Nein, sowohl der Mann auf dem Dach als auch die übrigen Personen die Sie dort gesehen und gehört haben gehörten alle zu unserer Truppe."
Valdimier lehnte sich derweil aus dem zerbrochenen Fenster.
"Alles klar hier oben!" rief er zu den übrigen herunter. "Wir haben ihn!"
"Gestatten, Bärbel Schalenobst." Die Frau trat vor. "Leiterin der Hausfrauenselbsthilfegruppe 'Sei Du Selbst'. Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was der ganze Einsatz sollte, wenn sich überhaupt keine Terroristen oder sonstige Verbrecher draußen befunden haben. Wir haben hier friedlich unsere püschologische Gruppensitzung abgehalten und auf einmal krochen Sie um uns herum und daraufhin haben wir es natürlich mit der Angst bekommen und uns verschanzt."
"Sie meinen... es gab überhaupt keine Geiselnahme?" stammelte Araghast verwirrt. "Und wer ist das dann?" Er wies auf den Gefangenen, der von Sidney bewacht wurde.
Dieser lächelte gequält. "Alois Angstanfall, praktischer Püschologe." stellte er sich ein wenig säuerlich vor. "Ich habe lediglich versucht, den Damen ein wenig das Prinzip der Zivilcourage anhand des Beispiels der Geiselnahme nahezubringen."
"Ohje..." seufzte Bregs. "Opa Krawuttke idyllisch pfeifchenschmauchend am Fenster und dabei immer ein offenes Ohr dafür, was die Nachbarn so alles interessantes treiben. Na dann ist ja einiges klar..."
"Sid, Charlie, befreit unseren werten Püschologen doch bitte einmal." bat Venezia. "Und was unsere lieben Damen betrifft: Ein wenig frische Luft wird Ihnen allen sicherlich gut tun."
"Habt ihr ihn verhaftet?" Kanndra, Gold Moon und Zaddam kamen ins Zimmer gestürzt, während schwere Schritte auf der Treppe Malachit ankündigten.
Schnell wurden sie über die wahren Geschehnisse in Kenntnis gesetzt.
"Au weia, was hat der gute Opa Krawuttke da nur angerichtet." seufzte Gold Moon.
Kanndra nickte. "Ich weiß nur, daß ich jetzt nicht in seiner Haut stecken möchte..."

"Hallo?" quäkte eine miespetrige, blechern klingene Stimme durch den Flur. "Hört mich hier irgendjemand? Ihr könnt mich hier doch nicht einfach so stehen lassen! Ich hoffe bloß, ihr nehmt mich nachher wieder mit. Und wenn nicht... Ich werde streiken, jawohl. Ihr werdet noch euer blaues Wunder mit mir erleben ihr... ihr... Wächter!"


Anmerkung der Autorin: Diese Single basiert auf einer wahren Geschichte. Etwas ähnliches trug sich im Sommer 2001 in Buenos Aires zu.


[1]  Wer wäre wohl nicht verwirrt wenn er bis vor wenigen Augenblicken noch ein Rauchgerät gewesen wäre?




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