Der endlose Streit

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von Gefreiter Vico van Vermeer (DOG)
Online seit 28. 02. 2003
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Vico und Ecatherina in einer Abteilung. Eine explosive Mischung mit schwerwiegenderen Folgen.

Dafür vergebene Note: 12

Eine sanfte Brise strich einem Jungen seine blonden Locken aus dem Gesicht. Er saß in einem kleinen Garten, nur bedeckt mit einem weißen Lendenschurz. Auf seiner rechten Schulter hatte er eine kleine Tätowierung. Sie schien in die Haut geritzt worden zu sein und die Stelle um diese Zeichnung war leicht gerötet. Sie zeigte eine Taube. Anscheinend das Wappentier der Familie des kleinen Jungen. Vor sich hatte der Kleine mehrere Lagen von samtweichen Stoff, seidigen Mustern und Fetzen aus Plüsch. Immer wieder wühlte er in diesem Haufen, ergriff einen beliebigen Stoff und führte ihn zur Wange. Langsam strich er über seine sanfte Haut, schloss die Augen und genoss das Gefühl. Es schien fast zu prickeln. Ein Schatten legte sich über den Jungen und er sah neugierig auf. Ein Mann, in Dienstbekleidung gehüllt, beugte sich zu dem Kleinen herunter und legte ihm noch mehr Stoffe dazu. Der Junge strahlte. Schnell packte er das Bündel, drückte es an seine nackte Brust und wiegte es, wie eine Mutter ihr Kind. Vorsichtig breitete er seine Geschenke vor sich aus und ordnete sie nach Farben. Entzücken stand ihm im Gesicht. Gedankenverloren strich er immer und immer wieder darüber. Nicht bemerkend, dass es über ihm gurrte. Leise Flügelschläge gesellten sich zu dem Geräusch. Der Junge wollte gerade wieder in dem Haufen seiner Schätze wühlen, als plötzlich etwas Weißes, Schmieriges auf seine Hand flutschte und von dort sich einen Weg nach unten bahnte, genau auf den Stoff hinab, den er am liebsten hatte..

"MAAAAAMMMMIIIIIIIIIIIIIIII.." Ein Schrei gellte durch das Boucherie Rouge und weckte ein paar, über ihren Akten oder auf ihren Betten liegenden, Wächter. Spieß Ecatherina Erschreckja, ihres Zeichen Abteilungsleiterin von DOG, war gerade dabei, eine Feder in ein Tintenfass zu stecken, um ihren Entschuldigungsbrief an die Alchimistengilde zu unterschreiben, als der Schrei ihr kalt über den Rücken kroch. Erschrocken stieß sie mit dem Federkiel an den Glasrand und brachte das Fass zum Wanken. Mit einer verzweifelten Geste, die das Fallen lassen der Feder und das versuchte Ergreifen des Glases beinhaltete, versuchte sie das Schlimmste zu verhindern, war aber zu langsam. Schwarze Tinte ergoss sich über ihren Zettel und verdeckte die Wörter, die sie gerade geschrieben hatte. Zorn keimte in ihr auf und ihre Hand bebte. Der Spieß stand abrupt auf, stieß ihren Stuhl zurück, stampfte zu ihrer Bürotür und riss diese auf.
"GEFREITER VERMEEEER!!!! ZU MIIIIIIIR!!!!"
Vico wohnte einen Stock über Ecas Büro, doch hatte der schrille Schrei sogar ihre Haare zum Stehen gebracht. Genau den gleichen Effekt hatte nun ihre Brüllerei auf den Gefreiten.

Vermeer öffnete Panik erfüllt die Augen. Statt der herrlichen warmen Sonne, seinen über alles geliebten teuren Stoffen und der herrlich duftenden (zumindest nach Ankh-Morporker Standard) Brise, lag er auf einer Art Matratze und starrte sich selbst entsetzt entgegen. Die Matratze war einen halben Meter hoch, flauschig gepolstert und verdeckte den größten Teil des freien Boden. Darüber hing ein Moskitonetz, welches durch den Wind des geöffneten Fensters ein wenig hin und herschaukelte. Eine ebenfalls sehr flauschige Decke (die aber farblich nicht zu dem Rest passte und anscheinend nachträglich dazu gekauft worden war) wärmte den darunter liegenden Körper. Einzelne Körner des hier einst massig vertretenden, ausländischen (so wurde es früheren Kunden jedenfalls mitgeteilt) Sandes bedeckten die Blätter der dürren Palme, die einsam in der Ecke stand. Ein paar Schritt entfernt war ein Schreibtisch [1] platziert, sonst war die rechte Seite leer. Zu dem Spiegel auf Augenhöhe an der Wand hinterm Schreibtisch gesellte sich noch ein Spiegel an der Decke und ein mannshoher auf einer Tür des Kleiderschranks [2] dazu. Der Rest des Bodens, der nicht durch die Matratze bedeckt wurde (ein, zum Verhältnis des Raumes, recht kleiner Teil) war sorgsam gefegt worden [3].
"SOFOOOOORT!!!!" Vico schreckte hoch. Er hatte sich vor kurzem noch in einer herrlichen Traumwelt befunden - wenn man vom Ende einmal absah - und nun wurde er von der Stimme geweckt, die er am liebsten nie hören wollte. Er warf seine Decke von sich und kroch mühevoll aus seiner Schlafstätte. Sein Bett war zwar sehr groß und vielleicht sogar bestens geeignet für eine Org.. - für ein Gemeinschaftskuscheln, doch sonst war der Raum, als er ihn das erste mal gesehen hatte, in einem miserablen Zustand gewesen. Überall hatte Sand gelegen und die Luft war ungewöhnlich warm gewesen. In einer Ecke hatte sich eine Feuerstätte befunden, die zwar isoliert und dessen Rauchfang aus dem Fenster geleitet worden war, doch dessen Hitze sogar der Palme, die an der gegenüberliegenden Seite stand, zu schaffen gemacht hatte. Es hatte viel Zeit in Anspruch genommen, die Klatschianische Ühberaschung - wie dieser Raum genannt wurde - zu einer halbwegs annehmbaren Wohnstätte umzufunktionieren. Ganz war Vico zwar noch nicht zufrieden, aber der Platz, der für seine Kleidung zur Verfügung stand und das Bett entschädigten ihn dafür.
"Du kommst zu späät..."
"Halte bitte deinen Mund." Gehetzt riss er eine Tür auf und blieb in der Matratze stecken. Der Nachteil des Bettes lag darin, dass man die Türen nur ganze vierzig Zentimeter öffnen konnte. Vico hatte sich zwar vorgenommen, sich von einem begabten Wächter Schiebetüren machen zu lassen, aber anscheinend hatte jedes Mal, wenn er jemanden fragen wollte, keiner Zeit für ihn.
"Du kommst zu späähäät..."
"Sei bitte leise, ich versuche mich zu konzentrieren." Der Gefreite stand im Seidennachthemd und ergriff einen Anzug nach dem anderen, welcher anschließend unsanft auf dem Bett landete. Dann steckte er den Kopf weiter ins Innere des Schrankes, sah sich um, holte ihn wieder heraus und sah im nächsten Abteil nach.
"Sie warteeeeet..."
"Hör auf damit." Erleichtert packte er nach einem dunkelgrauen Seidenanzug mit dunkelroten Streifen. Behutsam legte er ihn über die Lehne seines einzigen Stuhles und entledigte sich seines Schlafgewandes. Ein leises Pfeifen erklang von der Ecke, wo die Palme stand. Vico deutete das Zeichen falsch und zog sich statt schnell wieder an, weiter aus. Bis er nackt im Raum stand und sich dem Anzug zudrehte, als plötzlich die Bürotür aufschwang.
"Der Spieß will... oh." Robin stockte am Anfang des Satzes, als er Vicos Blöße erblickte. Aus Reflex hatte der Gefreite eine Hand schützend vor sich gehalten, doch als er bemerkte, dass gerade ein Höherrangiger vor ihm stand, salutierte er. Nämlich mit gerade der Hand, die vorhin als Schutz herhalten musste und das bewusst.
"Ich... werde jetzt gehen." Picardo verließ das Büro genau so schnell, wie er es betreten hatte. Vielleicht hätte ihn der Anblick nicht so gestört - er war ja immerhin selber männlich - wenn sich bei Vico nicht etwas gerührt hätte und ihm entgegenblickte. Zumindest in dieser Hinsicht hatte Vermeer etwas zu bieten.
"Sie wartet noch iiiiimmer..."
"Lenk mich nicht ab." Nachdem er seine Enttäuschung überwunden hatte, schlüpfte er schweren Herzens in seinen bis dato dunkelsten Anzug. Immer wenn er zu seiner Abteilungsleiterin gerufen wurde, versuchte er sich so unauffällig wie möglich zu kleiden und hoffte, sie würde ihn vielleicht übersehen. Doch die Antipathie - auf beiden Seiten - war stärker, als Kleidung dezent sein konnte. [4]
"Sie wird dir das Leben zur Hölle machen... an jeder Ecke wird sie lauern...."
"Änemi, würdest du jetzt bitte wieder in deine Behausung zurück gehen. Du fängst an, meine Nerven zu strapazieren." Der Gefreite setzte sich auf seinen Stuhl, nahm die Bürste in die Hand und versuchte, seine Haare nach hinten zu frisieren, um einen seriösen Eindruck zu erwecken. Während eine Hand seine Haare beisammen hielt, tastete die andere in einer Schublade und holte einen dicken Faden hervor. Ein wenig bedrückt - er mochte es nicht, wenn sein gut gepflegtes Haar zusammengebunden wurde - führte er ihn an seinen Hinterkopf und schnürte den Zopf zusammen.
"Sie wird deine Kleidung verätzen.... sie wird deine Haare ruinieren.... sie wird Tauben in deinem Büro halten...."
"Änemi! Ich unterbitte mir das! Wenn du länger in diesen Gefilden wohnen willst, dann zügle deine Zunge!" Erzürnt stemmte er seine Arme in die Hüfte und funkelte den Gnom, der am Rand des Palmentopfes saß und seine Füße baumeln ließ, böse an. Doch dieser grinste nur.
"Du solltest ihr mal die Stirn bieten. Die Kleine macht doch mit dir was sie will. Nur ihr Name oder ihre Stimme bringen deine Lippen zum Beben."
"Das ist gar nicht wahr." Schmollend tupfte er sein Gesicht mit Puder ab, sparte sich aber den Rest der Schminkerei.
"VICOOOOO!!!!" Erschrocken ließ er den Wattebausch fallen und musste heftig schlucken. Der Gnom lachte.
"Sie.. sie ist furchtbar..." Gedankenverloren kratzte er mit seinen Fingernägeln über die Tischplatte.
"Ich weiß. Du solltest ihr mal zeigen, wer der Mann.. oder so.. im Haus ist. Das Gör ist nicht einmal halb so alt wie du." Änemi griff hinter sich und holte einen Zahnstocher hervor. Dann einen zweiten und ein Blatt Papier, welches er in kleine Stücke zerriss.
"Aber.. sie.. ist meine Vorgesetzte... und sie ist soooo gemein." Tränen füllten seine Augen und seine Lippen fingen an leicht zu beben. Der Gnom sah Vico dabei zu, packte die Zahnstocher, steckte sie in die Erde und spießte je einen Zettel darauf.
"Ach hör auf. Du bist hier nicht im Theater oder siehst du hier irgendjemanden, den deine Spielerei interessieren würde? Sei lieber stark und mach was."
"Du bist sehr unsensibel, Änemi. Du solltest wirklich mal an deinen Manieren arbeiten." Seufzend strich er sich ein paar Fussel von der Kleidung und räumte den Sauhaufen hinter ihm so gut wie möglich wieder auf.
"Wenn sie glaubt, sie kann mich herumkommandieren, wie es ihr gefällt, dann hat sie sich gewaltig geschnitten!"
"Klar!" Wieder kicherte der Gnom, diesmal war aber etwas Hämisches dabei.
"Ich werde ihr zeigen, dass sie mit mir nicht so umgehen kann."
"Weiter so!" Änemi spießte weitere Zettel auf die Zahnstocher, beliebig viele.
"Ich werde nun runter gehen. Und diesmal stehe ich meinen Mann!"
"Zeig's ihr!"
"Genau, das werde ich tun!" Mit tiefer Entschlossenheit straffte er die Kleidung, sah sich noch mal prüfend in den Spiegel und stolzierte dann erhobenen Hauptes seinem Schicksal entgegen.
"Und bring mir etwas Käse mit!", schrie Änemi dem Wächter nach. Der Gnom konnte nicht mehr aufhören zu kichern. Er zählte bis drei und dann nahm er abwechselnd einen Zettel von einem Zahnstocher und dann vom anderen und fing an zu murmeln "Er überlebt es, er überlebt es nicht, er überlebt es, er überlebt es nicht...."

Änemi war ein nicht sehr alter, aber umso kleinerer Gnom, sogar für die Verhältnisse seiner Rasse. Er hatte kurze, weiße Haare und rötliche Augen. Auch seine Haut und seine Lippen waren sehr blass. Als er zur Welt kam dachte seine Familie, das er vielleicht krank wäre und wieder gesunden würde. Doch das war nicht so. Änemi bekam keine Farbe und vertrug auch kein Sonnenlicht. Nur im Dunklen durfte er sich nach draußen wagen, was ihn aber nicht sonderlich störte. Änemi war einer der faulsten Gnome die es je gab, doch wenn es darum ging, Schabernack zu treiben und andere Leute zu ärgern, konnte er erschreckend lang aktiv sein. Irgendwann, als der Älteste seiner Sippe wegen eines Streiches von ihm ungewollt ein Ende fand, wurde er des Dorfes verwiesen und durfte erst dann zurückkommen, wenn er sich gebessert hatte. Doch nach der Zeit und den Möglichkeiten, die er in Ankh-Morpork fand, wollte er es auch gar nicht. Am besten von allen gefiel es ihm in seiner eigenen Palme. Er lebte schon hier, als Vico noch nicht hier eingezogen war. Der Gnom wurde so gesagt eingeschleppt und seitdem hatte er das Zimmer nicht mehr verlassen. Der Topf der Palme war sehr groß und mit Erde gefüllt. In dieser hatte sich der Gnom eine Höhle gebaut, um sich zu verstecken. Da die Hitze die Erde sehr trocknen ließ, wurde die Erde sehr fest und stürzte auch nicht ein. Als die Näherin jedoch die Palme einmal gießen wollte, kam er heraus und protestierte lautstark. Er wollte hier nicht weg. Die Näherin fand den Kleinen aber so niedlich, dass sie die Palme dafür austrocknen ließ und stattdessen das Wasser und auch oft etwas zu essen dem Kleinen brachte. Bis sie merkte, dass er eigentlich ihre Kundschaft vergraulte. Doch, als es dazu kam, dass sie ihn rausschmeißen wollte, musste sie auch schon ihr Zimmer für die Wache räumen - seit dem hatte er hier sein Zuhause. Als Vico dann noch einzog, hatte er alles, was er brauchte. Ein besseres und naiveres Opfer konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Er war sogar dämlich genug, ihn weiterhin mit Nahrung und ähnlichem zu versorgen und damit Änemis Faulheit zu fördern. Vielleicht dachte er sogar, er wäre einer dieser dummen Wächter und erzählte ihm deswegen alles, was er am Tag so erlebt hatte. Was oft sehr erheiternd für den Gnom war.


"*Klopf*"
"Komm rein!" Verärgert legte Ecatherina die Feder weg. Sie hatte die Entschuldigung nun zum zweiten Mal geschrieben und bereits damit angefangen, eine Pauschalentschuldigung für ihre Abteilung zu verfassen. Sie wusste nicht, welches Zeitgefühl manche Leute hatten, aber sie war sich sicher, dass "sofort" für jeden normalen Bürger eigentlich gleich definiert sein sollte. Nämlich nicht, dass man sie eine knappe halbe Stunde warten ließ. Die Tür schwang auf und Vico trat sicheren Schrittes in das Innere des Büros. Ecas Augen verengten sich und sie sah hinter ihn, ob er vielleicht Verstärkung dabei hatte und deswegen so siegessicher aussah.
"Hast du zuviel Duftzeugs draufgetan und brauchst deswegen mehr Luft oder hat es einen anderen Grund, warum du die Tür nicht zumachst? Von mir aus kann ich auch nach einem Rekruten schicken lassen, damit du dich nicht überforderst."
"Die Dunkelheit in diesen Raum verengt meine Sicht und behindert mich in meiner Freiheit." Der Gefreite setzte sich ohne zu fragen auf den Stuhl vor seiner Vorgesetzten und schlug lässig die Beine aufeinander.
"Sie behindert dich in deiner Freiheit... verstehe." Plötzlich fing Eca an zu husten und pustete somit die einzige Kerze im Raum aus.
"Oh, das tut mir aber leid. Zeigst du mich jetzt wegen Freiheitsberaubung an?" Vermeer ignorierte die Ironie in dieser Frage und sah sich in dem Büro um. Es war das erste mal, wo er darin saß. Sonst stand er nur im Türbogen und versuchte, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden.
"Anscheinend funktioniert die Kommunikation in dieser Abteilung sehr gut. Die Abteilungsleiterin hat das kleinste Büro von allen und dieses ist nicht einmal sehr vollgeräumt. Vor allem nicht mit Akten", stellte er fest und achtete darauf, Ecatherinas vernichtenden Blicke auszuweichen. Gerade, als Eca nach dem Tintenfass greifen wollte, ging draußen Mücke vorbei und sie überlegte es sich anders und blieb ruhig.
"Mein Stellvertreter hat ein paar zur Durchsicht. Aber ich glaube kaum, dass dich das etwas angeht. Immerhin bist du ja sowieso voll mit Arbeit ausgelastet oder wie kann ich es mir sonst erklären, dass ich noch immer keinen Bericht von deiner Ausbildung bei mir liegen habe?"
"Vielleicht ging er auf dem Weg hier her verloren?" Der Spieß haute auf den Tisch. Normalerweise war sie es, die Vico veralberte und ironische Meldungen schob. Dass er sie plötzlich nachahmte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie hatte das Tintenfass schon in der Hand und überlegte, wo sie ihm das am besten hinleeren konnte, als es an der Tür klopfte. Eca sah hinüber, sah aber niemanden. Dann war ihr auch klar, warum.
"Ja, Harry? Kann ich dir helfen?"
"Och, ich wollte nur fragen, ob ich dir was mitnehmen soll. Wir gehen einen trinken." Harry lächelte ihr entgegen, doch Eca winkte nur ab. Sie war nicht gerade in guter Stimmung.
"Danke, sehr lieb von dir. Aber vielleicht nächstes mal."
"Okay." Mit diesen Worten war er auch schon verschwunden.
"Also, Sie wollten mich sprechen, Madam?" Vico schob sich nun wieder in Ecatherinas Blickfeld und vertrübte ihr damit den Ausblick.
"Ja, vor genau einer halben Stunde. Wenn ich mich recht entsinne. Warst du sehr beschäftigt, ja?"
"Ich habe geschlafen, um mich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen."
"Geschlafen, verstehe. Warum, UM OFFLERS WILLEN, schreist du dann um diese Zeit nach deiner Mutter?? In dieser Lautstärke und vor allem in dieser Tonlage, verdammt noch mal?? Und wenn wir gerade dabei sind, welche Strapazen überhaupt? Ich hab dich schon länger nicht mehr bei der Arbeit gesehen. Man sieht dich kaum auf den Straßen und schon gar nicht in der Nähe von irgendwelchen Gilden. Ich will eine Antwort und das sofort! Und mit sofort mein ich jetzt - nicht erst in einer halben Stunde!" Sie verschränkte ihre Hände und starrte ihn auffordernd an.
"Oh, ich habe im Schlaf geschrieen?" Vico schien ernsthaft überrascht zu sein und hielt sich die Fingerspitzen von der rechten Hand vor den Mund.
"Vielleicht war es auch dein Zwillingsbruder, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich auch diesen hier reingelassen hätte. Einer von deiner Sorte ist ja schon zuviel, aber zwei hält sicher keiner aus." Der Gefreite wollte eine gehässige Bemerkung fallen lassen, entsann sich aber eines Besseren. Immerhin hatte er Manieren, im Gegensatz zu anderen Leuten in diesem Haus.
"Aber vielleicht hast du dir ja nur einen Fingernagel abgebrochen oder eine Haarspitze versenkt, während du dich für die Arbeit vorbereitet hast? Anscheinend betreibst du Heimstudien, ja?" Diesmal wurde Vico wieder nervös. Er dachte krampfhaft nach, was er als Entschuldigung nehmen könnte. Während er an die Wand starrte, führte er automatisch einen Finger zum Mund und fing an, daran zu kauen.
"Also? Ich höre."
"Ich... ich.."
"Ja? Ich will austreten? War es das, was du sagen wolltest?"
"Auf keinen Fall."
"Schade. Dann.. ich will die Abteilung wechseln?"
"Nein."
"Verdammt. Vielleicht... ich will Ermittlungen im Ausland durchführen?" Ein Leuchten entfachte in Ecatherinas Augen.
"Nein, nein. Lassen Sie mich doch ausreden. Es hat nichts mit meinem Beruf zu tun."
"Aber das könnte es bald. Dir ist bewusst, dass ich dich rauswerfen kann, wenn du keine gute Begründung hast, ja?" Überlegen lehnte sie sich zurück und lächelte ihn schief an. Sie hatte ihn in der Hand und darüber war sie sich mehr als bewusst.
"Ich.. ich.." Er schluckte. Er konnte es ihr nicht ins Gesicht sagen, dass er wegen ihr so schlecht drauf war und sich auch sonst nicht so ganz in der Abteilung zurecht fand.
"Ja? Kommt da heut noch was, oder soll ich dir bis morgen Zeit geben? Vielleicht ist dein Gehirn ja schon so durchnebelt von diesen penetranten Düften, und es deswegen länger dauern kann, bis du mal einen Gedanken fällen kannst?"
"Nein. Was ich sagen wollte, ist.. dass.. also.. ich hatte furchtbare Migräääne." Nervös biss er weiter an seinen Nägeln herum.
"Migräne? So, so." Ecatherinas Gesicht schien einzuschlafen. "Vielleicht soll ich dir einen Rekruten abstellen, der dich gesund pflegt? Du scheinst ja tot krank zu sein."
"Sie verstehen das nicht. Es ist Winter." Er zeigte nach draußen auf den Flur. Am Ende gab es ein Fenster und Schneeflocken trollten sich in der Luft herum.
"Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Man soll nicht glauben, was man nicht alles bemerkt, wenn man arbeiten geht."
"Aber es ist soooo kalt da draußen und.. und der ganze Schnee, furchtbar. Noch dazu ist es immer so, so dunkel. Und.. und.. ja"
"Und du willst mir jetzt damit sagen, dass...?"
"Dass ich eine Winterdepression habe."
"Eine Winterdepression?"
"Eine Winterdepression." Vico war stolz. Somit konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens konnte er seine Missmut gegenüber dem Wetter und das Arbeiten bei extremen Bedingungen kundtun und zweitens auch gleich seine Gefühlslage klar stellen.
"Das ist natürlich furchtbar."
"Genau."
"Im Grunde sogar überaus tragisch."
"Sie haben es erfasst!"
"Vollkommen... unwichtig."
"Jawo.. was?"
"Wir sind hier kein Erholungszentrum. Du bist hier um zu arbeiten und deinen Dienst für die Stadt zu tun.. oder so. Zumindest wirst du jetzt deine sieben Sachen packen und verschwinden,..."
"Aber.."
"... wenn - und das ist deine letzte Chance - du mir nicht bis Ende der Woche einen Bericht über die Gilde der Einbalsamierer bringst."
"Aber.."
"Ich werde dir ein Schreiben mitgeben. Ich verlange von dir gar nicht, dass du dich dort einschleichst. Ich bin schon zufrieden, dass du dort alles begutachtest, schreibst, welche wichtigen Leute es dort gibt. Was sie alles machen, ihnen zu Hand gehst.."
"Moooment.."
".. und ihr Vertrauen gewinnst. Diesmal wird es eine offizielle Verbindung zu einer Gilde werden. Die Wache findet oft Tote und SUSI ist auch öfters überfordert und so ist es ganz praktisch, wenn wir manche Tote gleich zu der Gilde bringen könnten und die uns dann sagen, was am Körper zur Todesursache führte, wie es Innen aussah und das Ganze halt."
"Iiiich..."
"Noch dazu ist es sicher sehr vorteilhaft für dich, ein wenig in die Anatomie hineinzuschnuppern. So kannst du auch gleich Erste Hilfe an Verletzten leisten, wenn du mal auf Tour bist. Oder siehst, wie eine Beerdigung durchgeführt wird und dergleichen."
"Aber.. aber.. Blut.."
"Keine Angst, die Toten, die sie dort behandeln, haben kein Blut mehr. Dort geht es mehr um die Organe, deren Entfernung und so etwas." Je bleicher Vico wurde, desto größer wurde Ecatherinas Lächeln. Als sie den Auftrag von Rince gelesen hatte, war ihr von Anfang an bewusst gewesen, wen sie an diesen Fall ansetzen würde und nun war auch der passende Zeitpunkt gekommen, diesem davon zu berichten. Nun war das Gleichgewicht wieder hergestellt. Vico war ihr gegenüber im Nachteil und sie genoss das in vollen Zügen.
"Madam! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Mein Befinden ist nicht das Beste und es ist mir unmöglich in diesem Zustand.. "
"Bei der Wache zu bleiben?"
"........."
"Gut, dann sind wir uns ja einig. Vergiss nicht, Ende der Woche will ich einen Bericht über die Geschehnisse, die dort ablaufen, wen du alles kennst, was du alles gemacht hast - und wehe du weigerst dich bei Arbeiten, die dir dort angetragen werden. Die Gilde wird dich nicht einfach so auf ein Pläuschchen einladen und dir alles zeigen. Es ist ein Geben und Nehmen. Sie geben dir Information und bekommen dafür für kurze Zeit Hilfe."
"........."
"Also, bereite dich vor. Stell dir deine Sachen zusammen, die du brauchst. Morgen früh geht's los. Ab dann hast du sechs Tage, keinen mehr und keinen weniger. Am letzten will ich dich hier vor mir sehen. Wenn nicht, brauchst du hier gar nicht wieder auftauchen. Haben wir uns verstanden?"
"Mhm."
"Gut, dann... schlaf und träum gut, Vicolein." Ecatherina grinste sich ins Fäustchen und fing an, ihren Brief aufzusetzen. Der Gefreite stand niedergeschlagen auf und taumelte die Treppen hoch. Normalerweise beeilte er sich auf diesem Weg, da die Treppe durch das Freie führte und es wahnsinnig kalt war. Doch irgendwie drang das zur Zeit nicht in sein Bewusstsein. Einzelne Schneeflocken kreisten über Vicos Kopf und legten sich dann auf seine Schultern. Wind spielte mit seinen Haaren und streifte seine freien Ohren. Oben angekommen öffnete Vermeer seine Bürotür, torkelte hinein, schloss die Tür wieder und ließ sich dann auf sein Bett fallen.
"Verdammt, falsch." Änemi sah Vico eine Zeitlang an und warf dann seine Zetteln hinter sich. "Tja, vielleicht beim nächsten Mal." Er kicherte und zog sich in seine Behausung zurück, da es wohl heute nichts mehr mit Essen würde. Er setzte sich in seinen kleinen Sessel und dachte nach, was die Frau, die er nur von der Stimme und Erzählungen her kannte, denn so mit Vico angestellt haben mochte. Doch bald verlor er das Interesse. Er hatte zwar verloren, aber vielleicht würde er nächstes mal besser tippen. Diesmal hatte der Zettel auf der linken Seite geprangte und am Ende seines Spiels war er auf "Er überlebt es" gekommen. Tja, musste er ihn nächstes Mal halt mehr anstacheln.


Sehr geehrtiger Herr Lord Sarko Phag!

Ich habige Ihnen letzter Wohche einen Brief zukommigen lassen. Mit Froide habe ich gesehen, dass auch Sie einer Zusahmmenarpeit positiv gestimmt sind. Gerne nehme ich Ihr Angebot an und sende Ihnen einen Mietarbeiter. Ich werdige Ihre Informationen mit Interässe durchlesen und werde mich mit meinem Kommandheur über Ihre Forderung beraten. In dieser Zeit können sie unseren Mietarbeiter für jegliche Arbeit einsetzen, auch schwäre und krausliche. Sie brauchen keine Rücksicht nehmen, es wurde alles im vorhinein abkeklärt. Auch ist der Wächter lange Arbeitszeihten gewöhnt und wir sehen es sehr gerne, wenn sie ihn in tieser Hinsicht fördern. Hahrte Arbeit formt den Charaktär und ich hoffe, sie haben Glück bei ihm.

Auf guhte Zusahmmenarpeit,
Spieß Ecatherina Erschreckja
Abteilungsleiterin von DOG


Ecatherina faltete das Papier, zündete die Kerze wieder an und sah ihr zu, wie sie ein wenig vor sich hinzuckte. Die Tür stand noch immer offen, doch das war ihr egal. Sie stellte sich vor, was Vico dort alles so machen müsste und grinste innerlich. Wenn er das aushielt, hatte er es verdient, weiterhin da zu sein. Aber sie hoffte noch immer, er würde keinen Tag dort bleiben. Das wäre der optimale Grund, ihn aus der Abteilung zu schmeißen. Sie dachte weiter.
"Und wenn er sich dort drückt oder die ihm manche Arbeiten ersparen, wenn sie sehen, er packt das nicht? Hm..." Sie starrte weiter ins Licht, dann drehte sie sich um und musste feststellen, dass sie nichts sah. Ein wenig musste sie warten, bis sich die Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ging dann zu ihrem Chemikalienschrank, den sie sich hier einrichten hatte lassen. Immerhin wollte sie nicht immer alles in ihrem Mantel mitschleppen. Sie holte ihren Schlüssel aus der Hosentasche und schloss den Schrank auf. Mit den Fingern ging sie die Fläschchen durch und blieb dann bei einem stehen..
"Ja, das wäre passend." Noch immer grinsend holte sie das Fläschchen heraus, steckte es ein und verschloss den Schrank erneut. Dann setzte sie sich zurück an ihren Schreibtisch und holte die Unterlagen, die man ihr zugesandt hatte.
"Eine Kooperation mit einer Gilde, nicht schlecht", dachte sie, auch wenn sie nicht wusste, ob Rince ihren Antrag auf Zahlung von 200 Ankh-Morpork genehmigen würde. Aber immerhin hätten sie dann Helfer. Und wenn nicht würden sie so genug Informationen sammeln können, die sie später vielleicht brauchen könnten. Der Spieß blätterte auf die nächste Seite, las den ersten Absatz und stutzte plötzlich. Schnell blätterte sie zurück und las den letzten Absatz der vorigen Seite.
"Leiter der Organabteilung - Fä'kal Aritros, Spitzname: Der Mir-graut-vor-garnichts-Mann" Sie las sich den kleinen Absatz durch und lachte. DAS war genau das, was Vico brauchte. Ein wenig Durchblick konnte sicher nicht schaden. Sie nahm ihren Brief wieder zur Hand und entfaltete ihn.

P.S.: Ich habige gerade in Ihrigen Unterlagen geschmökert und würde mich sehr freuen, wenn Sie unseren Mietarbeiter nach anfänglicher Einführung Herrn Fä'kal Aritros unterstellen würden. Ich bin mir siecher, dass unser Kohlläge dadurch viel Neues lernen kann. Ich dankige Ihnen.

Zufrieden las sie ihr Geschriebenes noch mal durch, faltete das Papier wieder, tropfte ein wenig Wachs darauf und drückte einen Teil ihrer Wächtermarke hinein. Eigentlich war ihr Förmlichkeit sonst egal, aber sie wollte nicht, dass Vico den Brief zu lesen bekam und sich vielleicht noch beschweren konnte. Ein wenig wedelte sie das Papier in der Luft, damit das Wachs hart wurde, steckte es dann ein und machte sich daran, endlich schlafen zu gehen.



"... ich glaube.... Ohnmacht...." Bilder zuckten vor Vicos innerem Auge vorbei, wurden aber immer schneller und blasser, bis sie plötzlich alle weg waren.
"Ja.... Atmung...." Merkwürdige Laute drangen an sein Ohr, welche verzerrt sowie gedämpft klangen und nach hallten.
"Aber... Augen... langsam..." Mit ein wenig Anstrengung konnte er sie als einzelne Worte erkennen.
".... Begleiterscheinung... vielleicht.... Kopf gehauen..." Zu diesen Wortfetzen gesellten sich noch seltsame Empfindungen dazu. Vielleicht lag er im Meer und wurde von den Wellen geschaukelt.
"Sollten wir... cht Eca holen..." Der Name löste Panik in ihm aus und die Stimmen wurden lauter und klarer.
"Warte mal, es tut sich was. Vico? Hörst du mich? Gefreiter Vermeer! Aufwachen!" Langsam wurden die Wortfetzen zu ganzen Sätzen und er merkte, wie ihn jemand schüttelte. Eine schnalzende Ohrfeige verschreckte seine Benommenheit und er riss die Augen auf. Entsetzt starrte er an die Decke.
"Vico? Hallo?" Eine Handfläche drängte sich in Vicos Blickfeld, sie wankte hin und her und verschwand dann wieder.
"Vielleicht hast du ein wenig zu fest zugeschlagen?"
"Aber immerhin ist er doch wach, oder?" Die Stimmen waren eindeutig männlich.. männlich? Da war doch was.
"Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" Nachdem Vico endlich seine Gedanken ordnen konnte, setzte er sich spontan auf und sah seine Gäste an. Das war für die beiden Wächter anscheinend sehr unerwartet, denn als sie sich noch unterhielten, was ihm denn passiert sein könnte, sah er ihnen plötzlich mit breitem Lächeln und leuchtenden Augen entgegen. Es machte "plopp" und einer der beiden verwandelte sich kurzzeitig in eine Fledermaus.
"Geht es dir gut?" Robin musterte Vico, aber er schien keine Verletzungen zu haben.
"Ich fühle mich ausgezeichnet, danke der Nachfrage." Er schien zu überlegen und entschied sich dann aber anders.
"Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, mein Kopf tut mir weh." Er legte seine flache Hand auf die Stirn. "Und mein Herz." Die Zweite legte er auf seinen Brustkorb. "Und vor allem mein..." Gerade als Robin näher kommen und sich Vico genauer ansehen wollte, warf ihm der Gefreiter einen lüsternen Blick zu.
"Also ich... glaube, wir werden nun gehen. Komm Leo." Er packte seinen Kumpel am Arm und ging rückwärts nach draußen.
"Ach ja und die Abteilungsleiterin meinte, du solltest dich beeilen. Die Gilde wartet schon."
"......" Es traf ihn wie einen Hammerschlag. Er hatte zwar keine Ahnung gehabt, warum die Beiden sich in seinem Zimmer aufhielten - was natürlich nicht hieß, dass er sich nicht darüber freute - doch jetzt rieselte es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Gilde, der Auftrag, die gestrige Schmach. Er hatte gehofft, dass es nur ein Albtraum war, doch nun musste er sich eingestehen, dass er sich irrte. Gewaltig sogar.
"Sie war da."
"Was?" Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er wendete seinen Kopf.
"Sie war da."
"Jemand war hier? Wer denn?"
"Na deine Busenfreundin. Du weißt schon, die Göre." Vico wurde blass, noch blasser als er es gestern schon gewesen war.
"Was?? Hat sie..?" Er überlegte, ob seine Vorgesetzte ihm während des Schlafes irgendetwas eingeflösst haben könnte und er deswegen in Ohnmacht gelegen hatte. Zutrauen würde er ihr es auf alle Fälle.
"War heute früh hier. Hätte draußen keine Kerze gebrannt, ich hätte sie gar nicht rein kommen gesehen. Ziemlich flink."
"Was... was hat sie getan?" Nervös tastete er seinen Körper ab, ob noch alles da war.
"Keine Ahnung. Ich konnte Glasgeklimper hören, aber sehen konnte ich nichts. Es war zu dunkel." Gebannt sah Vermeer auf seinen Schreibtisch. Es standen mehrere seiner Duftfläschchen auf dem Tisch und ein Gläschen voll Puder.
"Vielleicht hat sie dir Gift hinein getan."
"Wahahahaaas?" Sein Zeigefinger wanderte zwischen die Zähne.
"Oder sie hat dir Säure hineingefüllt und deine Haut löst sich dann Stück für Stück auf."
"D.. dd.. d.. d.." Vicos Körper fing an zu zittern.
"Vielleicht war es sie auch nur ein Stinkmittel, dass seinen Gestank erst nach längerem Luftkontakt entfaltet und sich nur schwer abwaschen lässt." Änemi grinste von einem Ohr zum anderen.
"J.. j.. jetzt reicht es! Ich werde alle meine Fläschchen sofort zu SUSI bringen!" Er bebte, stand ruckartig auf und schmiss alle seine auf dem Tisch befindlichen Gläschen in eine Tasche.
"Aber es könnte natürlich auch sein, dass sie das Glas dabei hatte und dir irgendwo anders etwas hingespritzt hat." Der Albinognom lag auf der Erde und stützte seinen Kopf mit einer Hand ab, in der anderen hatte er einen Zahnstocher und ritzte damit Zeichen in die Erde. Sein Gesicht war noch immer eine Fratze der Schadensfreude.
"Du meinst..." Vico ließ seine Tasche fallen und nach dem Klirren zu urteilen, fanden die Fläschchen es nicht sehr angenehm, auf diese Weise mit dem Boden Kontakt auf zu nehmen. Penetranter Duft breitete sich aus und Änemi musste husten, Vico jedoch hatte ganz andere Probleme.
".. sie.. sie könnte etwas auf meine.. meine Kleidung geträufelt haben?" Gehetzt sah er von seiner Kleidung hin zum Bett und dann weiter zu seinem gefüllten Kleiderschrank.
"Wer weiß das schon, was ihr so alles in den Sinn kommt. Sie mag dich wohl nicht sehr gern. Aber egal, was sie getan hat, öffne sofort das Fenster! Das ist doch furchtbar!" Vico hörte Änemis Worte nicht einmal. Wie ein Hund schnüffelte er an sich herum. Von seinen Ärmeln angefangen bis hinunter zu seinen Füssen. Je nachdem, wo er überall hinkam (und er war sehr gelenkig, wie er erfreut feststellte). Nachdem er die Selbstkontrolle abgeschlossen hatte, eilte er zum Schrank und warf ein Kleidungsstück nach dem anderen aufs Bett, nachdem er es überprüft hatte.
"VIIICOOOOO! ANTRETEN! SOFOOOORT!" Den viertel Schrank hatte er bereits geräumt, doch er machte keine Anstalten, damit aufzuhören.
"VICOOOOOOO, VERDAMMT noch mal!" Änemi hatte mitgezählt. Genau zehn Minuten hatte sie sich Zeit gelassen und schrie noch einmal. Vergnügt und ohne den Gedanken daran zu verschwenden, Vico darauf hinzuweisen, dass er nach unten gerufen wurde, knabberte er an einem Stück Brot. Es war zwar schon älter, doch der Gnom hatte keine großen Ansprüche in Bezug auf Essen.
"VIIIIIIIIIIII...", fing der Ruf an, verstummte dann aber plötzlich. Änemi horchte auf. Nun könnte es interessant werden.

Ecatherina kochte vor Wut. Sie hatte bereits zweimal nach ihm schicken lassen und nun bereits dreimal nach ihm gerufen. Doch er fand es nicht der Mühe wert, herunter zu kommen. Sie bezweifelte, dass Vico ihren Traumwandler, Marke Vulkanausbruch bereits gefunden hatte und deswegen hatte er auch keine Ausrede, nicht zu folgen. Verärgert schnappte sie sich den Brief für die Gilde und stapfte missmutig die Treppen hoch. Im Hauptgebäude war es einfacher gewesen, doch leider gab es hier keine Rohrpost. Und anscheinend reichte es nicht, Robin und Leo zu veranlassen, ihn herunter zu holen. Leermach hatte zwar bereits angesucht, die Abteilung wieder zu verlassen, doch wollte er ja weiterhin hier wohnen. Insofern wäre so eine Aufgabe auch nicht zuviel verlangt gewesen. Sie murmelte in ihren nicht vorhandenen Bart und riss die Bürotür von Vermeers Büro auf. Ihr Mund war heruntergeklappt und bereit, einen Schrei hinauszulassen. Doch dieser blieb Eca in der Kehle stecken, als sie sah, wie es hier aussah und roch, welcher penetrante Duft in der Luft lag. Irgendwo auf dem Bett stand vermutlich Vico, immerhin konnte sie seine Hände gerade noch sehen. Die Türen des Schrankes standen offen und ein riesiger Wäscheberg versperrte ihr die Sicht. Sie griff sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. Sie wusste zwar, dass sie etwas zu streng zu Vico war, doch dass er deswegen gleich durchdrehte - mehr als sonst eben -, dass hätte sie nicht geglaubt.
"Vico?" Sie versuchte ruhig zu bleiben. In irgendeinem Buch von Angie [5] hatte sie gelesen, dass man mit Leuten, die möglichen Realitätsverlust hatten oder an irgendeinem Trauma litten (den Verdacht hatte Eca bei Vico schon des längeren), vorsichtig und sanft reden sollte.
"Gefreiter? Bist du anspruchsbereit?" Schritt für Schritt ging sie dem Wäscheberg, der nicht weit entfernt lag, entgegen. Immer mehr und mehr Kleidung flog durch die Luft und Vermeer schien sie zu ignorieren.
"Hallo? Würdest du bitte kurz herkommen?" Keine Antwort, nur ein hektisches Treiben und - Eca wusste nicht, ob sie es wirklich vernommen hatte, aber sie vermutete es zumindest - ein Kichern aus dem Inneren des Raumes.
"VICOOOOOOOO!!" Alles hatte seine Grenzen, auch Ecas Geduld.

Ein Schrei durchschnitt die Trance, in der Vico die ganze Zeit über gewesen war. Er ließ das Korsett, das er gerade beschnüffelte fallen und sah sich verlegen um. Änemi hatte die Hand vorm Mund gelegt und versuchte, nicht lauthals zu lachen. Nach seiner Gestik zu urteilen fiel ihm das sehr schwer.
"Eh, ja?" Er drehte sich zu Tür, stellte sich auf die Zehennägeln und lugte zu Ecatherina hinüber.
"Würdest du BITTE herkommen? Wäre das möglich?"
"Natürlich, ich.. ich muss hier nur kurz.. und dann hier und.."
"NEIN! Lass deine Kleidung BITTE heraußen. Du kannst sie von mir aus nach deiner Rückkehr einräumen, aber du hast schon GENUG Zeit vergeudet."
"Aber.."
"KEIN ABER, DU PACKST SOFORT DEINE SACHEN UND ZIEHST LOS!"
"......"
"Die passende Kleidung bekommst du dort, du brauchst dich nicht umziehen oder anziehen oder sonst was machen."
"......"
"Die werden auch Schminke dort haben, immerhin behandeln sie die Leichen damit. Also LASS auch das."
"......"
"Du nimmst einfach das Wichtigstes - und ich betone WICHTIGSTE - was du brauchst, steckst diesen Brief hier ein und BEEILST dich, verstanden?"
"......"
"ICH WILL EINE ANTWORT!!"
"Natürlich, Madam."
"DANN GIB MIR EINE!"
"Ich werde mich sofort auf den Weg machen." Er durchwatete den Kleidungshaufen an seiner niedrigsten Stelle und schenkte Änemi - der nun am Rücken lag und vor Lachen seine Beine in der Höhe hatte und in der Luft strampelte - einen bitterbösen Blick. Er sah an sich herunter und seufzte. Missmutig strich er seinen Anzug, in dem er geschlafen hatte, glatt. Vico sah einfach furchtbar aus, aber er hatte keine Zeit sich umzuziehen und vor allem dem, keine Lust, das vor dieser Person zu tun. Er sah in den Spiegel und richtete noch schnell seine Haare. Dann griff er in eine Lade und holte seine Handtasche heraus. Schnell überprüfte er, ob sich alles Notwendige darin befand - Offler sei Dank hatte er noch ein kleines, heiles Duftfläschchen eingepackt - doch etwas fehlte. Er sah sich um und blickte dann auf den rechten Rand des Spiegels [6]. Er hatte sein Seidentaschentuch wohl gestern hier hingehängt gehabt und das ganz vergessen. Froh, es wieder gefunden zu haben, steckte er es ein. Ein Schmunzeln huschte über Ecatherinas Lippen, verkniff es sich aber schnell wieder.
"Bist du endlich fertig?" War ihre drängelnde Frage. Seufzend und sich noch einmal umsehend trat er vor sie und nickte.
"Gut, dann nimm. Hier ist der Brief und wehe, wenn du nicht in höchstens einer halben Stunde dort angelangt bist." Sie schenkte ihm noch einen warnenden Blick, dann verließ sie das Büro und ging die Treppen hinunter, kurze Zeit später gefolgt von Vico.


"Halloooo?" Die Tür der Gilde stand offen. Anscheinend gab es eine weitere "Lieferung" oder man wartete immer auf neue Kunden. Vico hatte seine Stimme gesenkt und trug seine Handtasche schützend vor der Brust. Nicht nur der Gedanke an Blut brachte ihn zum Frösteln, auch die Vorstellung, was man hier machte und welche Säfte hier fließen würden. Hätte der Gefreite nicht noch Puder in seiner Handtasche gehabt, hätte man ihn dank seiner Blässe als baldigen Kunden einstufen können.
"Ja?" Vico zuckte zusammen. Jemand war hinter ihn getreten, ohne ihn vorher zu warnen. So etwas könnte zu Bösem führen, vor allem für sein Herz.
"Ich.. ich.. ich sollte mich hier melden." Vermeer drehte sich langsam um und blieb dann erstarrt stehen. Seine Augen waren groß und bannten sein Gegenüber. Sein Mund stand offen und andere Teile seines Körpers wollten sich bemerkbar machen.
"Bist du der Neue?" Der Unbekannte reichte Vico die Hand und dieser legte seine sanft darauf.
"Ich bin Lipito. Ich habe gestern meine Ausbildung beendet und nun volles Mitglied." Vico nickte nur, noch immer mit offnen Mund.
"Und du bist?" Wollte der Mann wissen, doch Vico nickte nur weiter.
"Eh.. ja?" Lipito sah Vico verwundert an und nahm seine Hand wieder weg. Erst jetzt konnte der Wächter sich wieder fangen.
"Ich bin Vico. Es ist mir eine Ehre, Herr Lipito." Vermeer merkte, wie das Wasser in seinem Mund zusammen ran.
"Du brauchst mich nicht Siezen. Im Angesicht des Todes sind wir alle gleich. Also, soll ich dir die Unterrichtsräume zeigen?"
"Bitte, wie?" Vico konnte noch immer nicht seinen Blick von seinem Gesprächspartner abwenden. Er hatte sich Einbalsamierer, Totengräber und der gleichen immer anders vorgestellt. Nicht so... göttlich schön.
"Du bist doch der Neue, der sich zur Ausbildung gemeldet hat, oder?" Vico schreckte zurück.
"Oh nein, oh nein." Er wedelte mit den Händen.
"Ich bin Vico van Vermeer. Gefreiter der Stadtwache und noch bei geistigem Verstand. Ich soll mich hier melden, wegen.. wegen.. eh.. ich soll diesen Brief hier abgeben." Er öffnete seine Handtasche und reichte ihn dem Schönling.
"Ah, ich verstehe. Ja, davon hab ich auch schon gehört. Komm einfach mit, Herr Phag ist in seinem Arbeitszimmer."
"Es wird mir ein Vergnügen sein." Mit einem gekonnten Augenaufschlag lächelte er Lipito an, bevor sich dieser umdrehte und in Richtung Treppenaufgang marschierte. Vico sah sich ungläubig um. Wo er hinsah, Leckerbissen über Leckerbissen. Ein Mann hübscher als der andere. Natürlich waren auch ein paar "Normale" dabei, doch die störten in dem Augenblick gar nicht. Nur der Geruch, der an dem Gebäude zu haften schien, störte ihn. Er war scharf und stach leicht in seiner empfindlichen Nase.
"So, warte hier. Ich werde Herrn Phag den Brief bringen und dir dann sagen, was zu tun ist." Vico lächelte ihm kurz entgegen und sah sich dann weiter um. In unmittelbarer Entfernung stand ein Haufen junger Auszubildender (man merkte das an den Büchern und den Notizen in ihren Händen und die Art, wie sie sich unterhielten, fand Vico), denen der Gefreite seine vollste Aufmerksamkeit lieferte. Wann hatte man schon die Gelegenheit, sich an ein paar Prachtexemplaren satt zu sehen? So schlecht fand er es hier eigentlich gar nicht.

"Okay, dem Schreiben deiner Abteilungsleiterin wurde statt gegeben. Ich führe dich jetzt in die Organabteilung. Herr Phag findet, er kann dir auch alle anderen Informationen geben, die du brauchst. So kannst du dich gleich an die Arbeit machen." Lipito strahlte ihn freudig an, doch der Wächter hatte irgendwie keine Ahnung, wovon er überhaupt sprach.
"Organabteilung?", fragte er vorsichtig nach.
"Ja, natürlich. Die Abteilung vom Mir-graut-vor-garnichts-Mann." Er lächelte noch immer, doch das spendete Vico nur begrenzt Trost.
"Natürlich. Und was genau mach ich dort?"
"Das wird dir dann Herr Aritros selber sagen." Lipito schien Vicos Besorgnis nicht zu bemerken, stattdessen drückte er ihm einen weißen Mantel in die Hand und zeigte ihm den Weg in die Abteilung.
"Wir sind gleich da. Die Abteilung ist deswegen im Keller, da die meisten Neuen den Geruch, der von dort ausgeht, noch nicht vertragen. Man braucht einige Zeit, um sich daran zu gewöhnen."
"........."
"Du schaffst das schon. Aber hüte dich davor, Wasser in der Nähe des Hydrophoben zu trinken. Er reagiert darauf sehr sensibel. Aber er ist eh nur halbtags da, keine Bange."
"Wer?"
"Har ZweiO. Er ist ein Assistent von Aritros. Von Geburt an ist er ein Hydrophober und war früher auf der UU. Doch dann geschah irgendein Unfall mit Wasser durch einen Streich eines Studenten und seitdem arbeitet er hier. Im Trockenteil."
"Verstehe." Auch wenn das nicht ganz zu traf, aber Vico wollte es nicht so genau wissen. Er seufzte und sah sich die trostlosen Wände an. Das einzige, was ihn dafür entschädigte, dass er sich das antat, war die Tatsache, dass allein der Anblick mancher Gildenmitglieder ein Entzücken bei ihm auslöste.
"So, wir sind da. Bist du bereit?" Vico schüttelte den Kopf, doch Lipito ging nicht näher darauf ein und öffnete die dicke Tür.
"Oooh, bei OFFLER!" Der Gefreite musste sich die Hand vor den Mund halten. Es war einfach unaussprechlich grausam. Verwesungsgeruch, gepaart mit Chemikaliengeruch und anderen, markzerreißendem Gestank peitschte ihm entgegen.
"Geht es dir nicht gut?" Vico wechselte die Farbe, von bleich rosa auf blass grün.
"Ich.. glaube.. mir.. wird.. schleecht." Er schluckte und war froh, heute noch nichts gegessen zu haben. Es würde sicher nicht bei diesem Gestank im Magen bleiben wollen.
"Halt dir die Nase zu. Mit der Zeit spürst du es gar nicht mehr."
"Ich.. glaube.. ich.. muss.. sterben." Anscheinend wollte nicht einmal sein Magen hier bleiben. Er drehte und wendete sich, sein Kopf war kurz vorm Explodieren und seine Lunge überlegte, ob sie nicht auf Urlaub gehen sollte.
"Atme tief durch. Wenn dein Geruchssinn erst mal abgehärtet ist, merkst du nichts mehr."
"$%&/%$!"
"Glaub mir, es hilft wirklich. Mir ging es am Anfang genau so." Lipito versuchte Vico, die Hand vom Mund zu nehmen, doch dieser wäre lieber tot umgefallen. Der Wächter drehte sich ruckartig um und sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Blöderweise war die einzige Tür, die hier rausführte, eine schwere Eisentür. Es hieß zwar immer, in der Not würde man extreme Kraft entwickeln, doch sogar Vico bezweifelte das bei sich. Er drehte sich ein paar mal im Kreis, bevor er stoppte. Plötzlich war ihm die rettende Idee eingefallen. Mit einem gekonnten Griff öffnete er seine Handtasche mit einer Hand, holte sein Seidentaschentuch heraus und führte es an seine Nase und an seinen Mund.
Mit einem tiefem Atemzug saugte er die Luft gierig ein. Irgendetwas auf diesem Taschentuch brachte seine Nase dazu, ihre Funktion als Geruchsorgan aufzugeben. In dieser Situation war er ihr sogar dankbar deswegen. Erleichtert atmete er noch einmal tief ein und stellte fest, dass plötzlich rote Punkte in der Luft schwebten. Seine Reflexe schienen ein wenig nach zu lassen und als Lipito fragte, ob er denn nun bereit wäre, zog sich der Satz ziemlich in die Länge. Der Gefreite wollte etwas erwidern, doch bevor er nur den Mund aufbrachte, hatte Lipito ihn schon gepackt und führte ihn in den Raum hinter der Tür.

"... und das ist ein sogenanntes Nashorn." Ein Mann, der mit dem Rücken zu Vico stand, hielt eine Art lange und biegbare Zange in der Hand. Eine Schar von jüngeren Männern umringte ihn und manche machten sich sogar Notizen.
"Es wird dazu verwendet, allfällige Splitter, die durch das Auge, die Schläfen oder der gleichen, in das Hirn gelangt sind, herauszuholen. Meistens sind diese zu weit drin, um sie einfach mit einer Pinzette herausholen zu können. Noch dazu darf das Gesicht des Toten nicht weiter verstümmelt werden, da es sonst zu einem Schock der Hinterbliebenen kommen könnte. Deswegen führt man das Nashorn ein - so in etwa - und lenkt es mit ein wenig Druck - aber nicht zu viel, man sollte nicht zuviel verletzen - in die richtige Richtung." Kleine rote Kleckse bildeten sich vor Vicos Augen, die langsam hin und her diffundierten. Eigentlich hätte er glauben können, dass es Blut wäre, aber immerhin arbeitete sein Gehirn so langsam, dass er nicht auf diesen Gedanken kam. Im Gegenteil. Ihm kam gerade etwas anderes in den Sinn. Lipito hatte sich zu den anderen Auszubildenden gestellt und Vico mitgenommen. Da er das erste mal hier war, wurde ihm ein Platz in der ersten Reihe gewährt. Nun stand er vor einer Leiche, die nichts mehr anhatte, als einen Lendenschurz und ihn mit offnen Augen und blauen Lippen entgegenblickte. Er öffnete den Mund und wollte schreien, doch bevor er das machen konnte, wurde ihm ein Draht in die Hand gedrückt.
"Diesen Splitter sollte man deswegen vor der Einbalsamierung entfernen, denn, wenn man das Gehirn nach der Aufbahrungszeit entfernen will, kann es sein, dass sich der Splitter verheddert und man eine anschließende Sauerei bekommt." Der Vortragende holte das Nashorn wieder heraus, packte Vicos Hand und führte den Draht - der, wie er anschließend feststellte, heiß war und nur da, wo er ihn festhielt, isoliert war - durch die Nasenlöcher hinauf zum Hirn. Der Draht war am Ende im rechten Winkel umgeknickt. Vico spürte, wie der Draht gegen eine weiche Substanz gedrückt wurde, bis beide Hände knapp vor der Nase waren. Dann wurde der Draht hin und her gewirbelt und mit einem schnellen Ruck wieder herausgeholt.
"Und das sieht dann genau so aus." Es brauchte zwar eine Weile, bis das Gesehene in Vico Gehirn vordrang, doch als es so weit war, läutete es die Warnglocken.
"Natürlich kann man in diesem Fall die Herausholung des Gehirns auch oktal bewerkstelligen. Dazu werden Drähte gleichzeitig durch die Ohren und durch die Nasenlöcher geschoben und das Gehirn richtig zermatscht. Dadurch bleibt aber die Nase selber unbeschädigt, nicht so wie in diesem Fall. Sollte man aber..." Ein Würgen kam aus den hinteren Reihen, als er nun auch noch das vorführte. Zwei andere Schüler gönnten sich eine Pause und gesellten sich zu Har, dem Assistenten. Er war es, der die Werkzeuge bereit hielt und präparierte. Durch das Gespräch wurden die beiden wenigstens ein wenig abgelenkt.
"AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHH!" Nun war es auch bei Vico angelangt. Die Bilder schienen regelrecht vor seinem Auge zu explodieren und die Kleckse verwandelten sich zu einem kleinen Hagel.
"Haltet ihn fest, er hat noch den heißen Draht in der Hand!" Drang es dumpf an sein Ohr, doch sein Gehirn war noch nicht bereit, dass aufzunehmen.
"Lasst ihn ja nicht zu dem Wasserspender!!" Er merkte nur, dass sich alles drehte und er wankte.
"Bringt ihn vor Har in Sicherheiiiit!!!"


Vico öffnete die Augen. Noch immer drehte sich alles, doch nicht mehr so stark und er konnte die Ereignisse auch in Echtzeit wahrnehmen. Er war sich bewusst, dass das, was er jetzt sah, auch gerade passierte. Auch die roten Punkte waren verschwunden und vor allem, der Geruch und die ganzen Organe waren nicht mehr da. Er atmete tief ein. Ja, eindeutig. Er konnte riechen und das, was er roch, war gerade zu angenehm. Er roch Kaffee.
"Na, wieder munter?" Der Gefreite drehte langsam den Kopf und sah Änemi bei seiner Palme sitzen und aus einer Tasse schlürfen.
"Was ist passiert?" Er griff sich an den Kopf, noch alles da.
"Die Gilde hatte dich zurück gebracht. Sie meinten, sie hätten genug zu tun. Es wäre doch nicht so klug, eine Geschäftsbeziehung aufzubauen." Der Gnom grinste. "Woran das wohl liegt."
"Du kannst dir deinen Sarkasmus ruhig sparen. Ich habe die schlimmste Erfahrung meines Lebens gemacht."
"Die da wäre?"
"...... Ich will nicht darüber reden." Noch immer entsetzt starrte er an die Decke.
"Die Abteilungsleitertussi schien sauer gewesen zu sein."
"Ecatherina!!" Es schoss ihm wie ein Blitz in die Gedanken. SIE war es gewesen, die ihn in diese Situation gebracht hatte. Und dann noch mit irgendeinem Zeug versetzt, damit er sich nicht hatte wehren können und dies alles hatte mitbekommen müssen. Abrupt stand er auf, torkelte bei dem Kleiderberg vorbei zu seinem Schreibtisch und wühlte alle Läden durch.
"Na warte, diesmal werde ich es ihr zeigen!" Der Gnom sah ihn kurz an, stellte die Tasse weg und holte wieder zwei Zahnstocher und ein Blatt Papier.
"Genau! Setz dich durch!"
"Das wird sie mir büßen!"
"Auf jeden Fall! Mach sie zur Schnecke!" Mit Genuss zeriss er das Papier in kleine, rechteckige Fetzen.
"Wo haben sie es denn hingetan.. aaah, ja!" Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nahm er das Fundstück und trippelte durch die Tür.
"Und bring mir ein Stück Käääseee mit!"

Ecatherina las den Bericht von der Einbalsamierergilde. Eigentlich wollte sie Vico zur Rechenschaft ziehen, doch dann hatte sie die Beschimpfungen des Abteilungsleiters gelesen. Er hatte nicht ihn sondern die ganze Wache verurteilt und DAS war natürlich nicht sehr nett. Deswegen hatte sie sich vorgenommen, bei Vico ein Auge zuzudrücken. Ausnahmsweise.
"Du!" Vico riss ohne Anzuklopfen die Tür auf.
"Seit wann duzt du mich?" Ecatherina war überrascht. So kannte sie ihn gar nicht.
"Du unartiges, unerzogenes Balg!" Er war blutrot im Gesicht und stampfte mit den Füßen.
"Sag mal, willst du Ärger? Du kannst froh sein, dass ich dich nicht aus der Abteilung schmeiße. Du hast den ganzen Auftrag zunichte gemacht." Sie sah hinter ihm, ob jemand da war und griff dann an ihren Gürtel.
"Gift! Du hast mein Tuch vergiftet!" Er hielt ihr sein Seidentuch von vorhin vor die Nase.
"He, was unterstellst du mir? Und gib das weg, dass ist sicher wieder von dir zugeduftet worden!" Sie schlug seine Hand weg und holte mit ihrer anderen ein kleines Pfeilchen hervor.
"Du bist Schuld! Das Gehirn, die Nase! Alles du!"
"Beruhig dich doch, du kriegst noch einen Herzanfall." Sie stand auf und ging auf ihn zu.
"Auf keinen Fall! Du wolltest mich vergiften! Er hatte es gesehen!" Er zeigte auf die Decke in Richtung seines Büros.
"Wer ist er?"
"Das geht Sie nichts an!"
"Na geht doch. Immerhin findest du dein "Sie" wieder." Sie blieb vor ihm stehen.
"Pah!" Vico verschränkte die Hände. Immerhin hatte er sich nun etwas beruhigt und der Spieß legte das Pfeilchen neben sich auf den Tisch. Der Gefreite bemerkte es, obwohl sie es versteckt getan hatte und griff danach.
"He! Finger weg! Das gehört mir!"
"Da! Da schon wieder! Sie wollen mich vergiften!"
"Vico! Das ist ein Befehl! Leg das weg! Ich wollte nichts tun, außer, du hättest die Kontrolle verloren und so sahst du aus! Leg es weg!" Erschrocken von seinem Wahn, trat Ecatherina ein paar Schritte zurück. Der Gefreite deutete das als Fluchtversuch und diesen als ein Schuldbekenntnis. Er wollte sie am Arm packen, damit sie nicht weglaufen konnte, doch die Abteilungsleiterin befürchtete einen Angriff. Der Spieß wehrte sich mit Händen und Füßen und - wurde von der Pfeilspitze unabsichtlich gestochen.
"Du.. du.." Sie sank auf die Knie. Ihre Beine wurden schwer und fühlten sich plötzlich so ledrig an. Ihre Zunge wurde bleiern und ihr Kopf dumpf. Kurze Zeit später war sie bewusstlos und knallte auf den Boden.
"Oh, eh, also.." Vico ließ das Pfeilchen fallen, beugte sich hinunter und schüttelte sie. Doch die Abteilungsleiterin bewegte sich nicht. Er stand auf und drehte sich gehetzt um - und blickte in die Augen von Hatscha, die Harry auf der Schulter trug. Beide waren durch den Lärm angezogen worden.
"Ich.. wollte.. nicht.." Wieder sah er auf den Körper vor ihm, dann zu den beiden sprachlosen Wächtern - wobei Harry bereits herunter geklettert war und sich nun darauf machte, zu Eca zu eilen - und rannte dann ohne ein Wort zu sagen auf sein Zimmer.
[1] Der eher an einen Schminktisch erinnerte, aber Vico bestand darauf, dass er die Lippenstifte, Puder und Duftfläschchen für seine Arbeit als Gildenexperte unbedingt benötigte, sonst hätte Ecatherina ihm das schon längst verboten.

[2] Das Büro war zweimal so lang wie breit. Während auf der rechten Seite nur der "Schreibtisch" und die Palme standen, füllte der Kasten die ganze linke Seite und war bis oben hin gefüllt mit allen möglichen Kleidungsstücken und Accessoires.

[3] Vico hatte versucht durch hartnäckige Überredungskunst einen Wächter dafür zu engagieren, doch als er dabei scheiterte, musste er eben jemanden dafür bezahlen.

[4] Ecatherina und Vico sind seit jeher nicht die besten Freunde. Kleinere Differenzen haben sie dazu gebracht, sich gegenseitig zu meiden. Als Vico jedoch erfuhr, dass Eca neue Abteilungsleiterin von DOG geworden war, hatte er erst einmal eine Weile gebraucht, um diesen Schock zu überwinden. Doch als seine Bewerbung bei RUM gescheitert war, hatte er sich dann schweren Herzens doch bei DOG vorgestellt und war auch aufgenommen worden. Seit diesem Zeitpunkt bereuen beide diesen Umstand.

[5] Bevor Angie LeFay aus irgendeinem Grund nicht mehr zum Dienst erschien, waren die beiden gute Freundinnen gewesen. Sie verbrachten GRUND miteinander und trafen sich auch sonst öfters. Da Angie sich für Püschologie interessierte, kam auch Eca indirekt damit in Kontakt, da sie ihre Bücher las. Sie fand diese zwar immer sehr, nun sagen wir, nicht gerade spannend, aber Buch blieb Buch.

[6] Der Spiegel hatte einen Holzrahmen, der an der rechten und linken Seite ein paar kleine Häkchen hatte.




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