Am Anfang war der Nachtdienst

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von W Lavendula (GRUND)
Online seit 23. 02. 2003
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Für Rekruten (erste Mission):
Sämtliche Rekruten müssen einmal über Nacht Dienst am Wachetresen machen. Zum Glück ist der Ausbilder beim ersten mal dabei.

Dafür vergebene Note: 10

An einer unbekannten Küste irgendwo auf der anderen Seite des Ozeans machte sich vor nicht allzu langer Zeit ein seltsamer Vogel auf den Weg nach Ankh-Morpork. Ein kleiner zusammengerollter Zettel klebte an seinem Fuß. Merkwürdig verschlungene Buchstaben waren darauf zu erkennen. Was hatten sie zu bedeuten? Und was wichtiger war. Für wen war der Zettel bestimmt? Fragen über Fragen. Doch Lavendula wird schon bald dieses Geheimnis lüften können. Lest selbst.

Kapitel 1.

Es war ein wunderbarer Tag in Ankh Morpork. Gerade erst mit dem Flüchtlingsschiff angekommen, schaute sich Lavendula neugierig um. Sie verließ den Hafen und lief frei nach Schnauze in eine Richtung, von der sie meinte, sie führe zur Wache. Eine Kreuzung machte diesem freimütigen Loslaufen ein Ende. Nach langem Zögern entschied sie sich schließlich für die linke Straße. Mit zufriedenem Blick bog sie um die Ecke. Doch was war das? Wie angewurzelt blieb sie stehen. Am Ende der Gasse erkannte sie drei schwarze Schemen und wenn sie schwarze Schemen genau definieren sollte, dann waren es drei sehr unfreundliche schwarze Schemen. Ausgerechnet gleich drei, dachte sie bei sich. Das könnte schwierig werden. Und während sie so überlegte, schmiedeten die Schatten erste Angriffspläne.
"Kreuzschtich jetzt wird es ernscht" sprach es mit rauchiger Stimme.
Ist das etwa ne Turistin?" piepste es zur Linken des Rauchers.
"Und si..si.. sind die gefährlich?" stotterte die Rechte.
Einen Augenblick zögernd, wurde ein Buch hervorgeholt. Neugierig blätterte jemand die Seiten um, bis er beim Wort Turist innehielt.
"Also hier schteht: Sind sehr neugierische fremde Leute aus fernen Ländern.
Erkennungsmerkmale: Großer Geldbeutel, schtellen neugierische Frachen und reden komisch.
"
"Hört sich doch gut an. Also worauf warten wir noch?" erklang das Piepsen.
Das Stottern erwiderte bedenkend "Ja a...aa...aber sind die denn nun gefä...gefä...gefährlich oder net?"
"Na ja. Diesbezüglich schteht hier ja nüscht. Aber wir sollten trotschdem vorsichdisch sein", antwortete die rauchig Stimme.
Gesagt getan. Die drei waren nun gut vorbereitet zu ihrem ersten Abenteuer. Mensch war das aufregend. Die Diebesgilde war das Beste was ihnen je passiert war. So dachten sie jedenfalls.
Keiner konnte ja damit rechnen, dass ausgerechnet Lavendula ihr erstes Opfer werden würde.
Das Schicksal hatte mal wieder alles geschickt eingefädelt und lehnte sich grinsend zurück.

Kapitel 2.

Nun war auch Lavendula zu einem Ergebnis gekommen. Sie wollte so höflich wie möglich sein, um die Drei nicht zu verschrecken. Schließlich waren sie ihr erster Kontakt mit Ankh-Morpork. Und wer so aussah wie diese Drei, musste sich ja wohl in jedem Winkel der Stadt auskennen. Völlig überzeugt ging sie in Angriffsstellung und sauste mit einem solchen Tempo auf die drei zu, dass diese es mit der Angst zu tun bekamen.
"Hallo sie da. Hätten sie einen Augenblick Zeit für mich, bitte?" rief Lavendula aufgeregt von weitem.
" Bei * ... * wasch macht die da?" staunte eine rauchige Stimme. Äußerst verwirrt blickten sich die Diebe an. Eigentlich sollten doch sie angreifen oder so ähnlich.
Plötzlich verfinsterte sich der Himmel und irgendwo erklangen die gequälten Laute eines unbekannten Tieres. Leise heulte der Wind dazu im Takt, während sich ein wirklich bizarres Gefühl in die Gemüter einschlich. Wären die Drei etwas aufmerksamer gewesen, hätten sie all das bemerkt. Aber dem war nicht so und das war ein fataler Fehler. Endlich erreichte Lavendula die Schemen und identifizierte sie als drei Männer, mittleren Alters. Einer trug eine Brille und einen äußerst bemerkenswerten Knüppel in der Hand. Der Zweite grinste unaufhörlich und war etwas kleiner als die anderen. Der dritte und letzte jedoch war noch seltsamer. Seinen Gurt zierte ein zierliches aber scharfes Messer und er sabberte unaufhörlich. Mit großen Augen sahen die Drei ihr Gegenüber an. Lavendula schien nicht die Spur von Angst zu zeigen.
"Entschuldigen sie bitte. Könnten sie mir vielleicht sagen, wo ich die hier den Weg zur Wache finde?", legte Lavendula los.
Doch statt einer Antwort kehrte man ihr den Rücken zu.
"Dasch isch ja noch a Mädel", erklang ein Piepsen.
"Die si..si...sieht garnet aus wie eine Tu..Tu...Turistin", vernahm man ein Stottern.
"Ich hab mich, glaube ich, verlaufen.", versuchte sie sich ins Gespräch einzubinden.
Verblüffte Blicke machten die Runde.
"Sie will zur Wache. Bei ..."
"Wasch machen mir den jetscht? Hier im Buch schteht nüscht geschrieben über Angehörische der Wache und wie man sie behandeln muss."
Nun erfolgte nochmals eine kurze Beratungspause wobei ein bis zwei Seufzer zu vernehmen waren. Unser Neuankömmling war etwas verwirrt. War sie zu unfreundlich gewesen? Was hatte sie falsch gemacht? Und plötzlich kam ihr ein Einfall. Wie sagte ihr Vater immer? Regel Nr.183: 'Beim Erlangen von Informationen besinnt sich ein guter Wächter immer auf die spezielle Verhandlungsmethode.' Lavendula bedankte sich beim Einfallsreichtum und kramte vorsichtig in ihren Taschen. Schließlich fand sie was sie gesucht hatte. Den guten alten Klimperbeutel. Vorsichtig nahm sie ein paar Münzen heraus und sagte:
"Hey Jungens. Ich würde selbstverständlich für die Information bezahlen."
Augenblicklich wurde die Beratung unterbrochen und drei erhellte Gesichter starrten sie an.
Unheimliche Stille machte sich breit und wollte auch nicht so schnell wieder verschwinden.
Nervöses Knacken der Finger war zu vernehmen. Jemand hustete und plötzlich war da ein seltsames Geräusch. Etwas ähnliches wie das Schwingen von Flügeln. Nein, das war es nicht. Eher ein Krächzen und Schnaufen. Und irgendwo über den vier Akteuren flog ein seltsamer Vogel gen Wache.
Diese kurze Ablenkung genügte.
"Losch das is unser Schtichwort. Ist doch egal ob sie zur Wache will oder nicht."
Ein Messer wurde gezogen. Sehr sehr leise aber immer noch vernehmbar. Und ehe sich Lavendula sich versah wanderten die Münzen in die Taschen des Mannes mit der rauchigen Stimme.
"Gib mir den Rest des Geldes. Los, sach ich."
Lavendula aber starrte wie gebannt auf das Messer. 'Was für ein schönes Stück', dachte sie.
"Ich sachte, du sollscht mir all dein Geld geben." Die Stimme wurde ungeduldiger.
Gerade als Lavendula ihm den Beutel reichen wollte, brach ein regelrechter Tumult aus. Sätze wie "Gib mir lieber das Geld." und "Finger wech das gehört mir." fielen und machten deutlich das drei Diebe zwei zuviel waren. Lavendula nutzte diese Gelegenheit, überlegte nicht lang und sprintete los. Ahnungslos verstrickte sie sich zusehends in dem Straßengewirr von Ankh Morpork. Schließlich musste sie sich eine Atempause eingestehen und verweilte einen Moment als sie sich sicher war, die Verfolger abgehängt zu haben.
Auch die Diebe hatten es nicht einfach. Nachdem man sich geeinigt hatte, wie das Geld aufgeteilt wurde und wer welchen Verdienst daran geleistet hatte, wurde die Verfolgung aufgenommen. Man wollte schließlich gut dastehen bei der Gilde. Und so beschloss man nicht eher zu ruhen bis das Opfer zur Strecke gebracht worden war. Da aber die Einzelheiten nicht direkt geklärt wurden, machte ihnen ihre Uneinigkeit wieder mal einen Strich durch die Rechnung. Bald sah man ein, dass das Opfer ihnen entwischt war. Von Aufgeben war aber keine Rede. Höchstens von einer kleinen Rast.

Eine Straße weiter auf einem äußerst hübschen Balkon kam es derweil zu einem pikanten Zwischenfall. Ein Mann war gerade dabei über einen sehr schönen Balkon zu flüchten. Im Nacken saß ihm ein äußerst erzürnter Ehemann. Bei seiner Flucht über den Balkon passierte es dann. Ein Blumentopf fiel, wie nicht anders zu erwarten, der nichts ahnenden Lavendula auf den Kopf, welche gerade unter dem genannten Balkon ein kleines Päuschen eingelegt hatte. Das Schicksal klatschte zweimal in die Hände vor Freude, ehe Lavendula die Schwärze der nun mehr zweiten Ohnmacht begrüßten konnte.
Später sollte es sich herausstellen, dass es sich hier um den berüchtigten Ledamahn handelte. Einem Mitglied der Stadtwache.

Kapitel 3.

Der seltsame Vogel hingegen machte eine weit weniger schöne Erfahrung. Es passierte während eines Landemanövers. Aufgrund von schlechtem Sehvermögen verfehlte er die von ihm anvisierte Bank. Stattdessen erwischte er eine Fensterscheibe und torkelte benommen in den nächstbestem Suppentopf, der nahe am Fenster stand.
"Mondieu. Was für ein Katastroph. Mein Fiisch. Der is 'in." Louis Bernaisse war stinksauer.
Gerade erst hatte er eine wunderbare Fischsuppe aufgesetzt. Der Koch des Nobelrestaurants "Zum stinkenden Fisch" konnte nun nicht mehr an sich halten. Er angelte sich den Vogel aus der Suppe und wollte mit ihm gerade ein Hühnchen rupfen, als dieser wieder zur Besinnung kam. Nun versuchte der Vogel Louis die Augen auszuhacken. Das war natürlich nicht beabsichtigt, aber es ist bekannt das Vögel unter enormen Druck zu allem fähig sind. Als dieser Versuch missglückte und stattdessen der harte Schnabel auf Louis zarte Nase traf, war es um dessen Selbstbeherrschung endgültig geschehen. Mit einem Hackbeil bewaffnet, entschied er sich dem Vogel endgültig dem Garaus zu machen.
Die Gäste im Restaurant wunderten sich gerade über das laute Geschrei aus der Küche als der Koch mit einem Satz auf dem Tresen stand und wie am Spieß brüllte.
"Du kleines verflixtes Biest. Wenn isch disch in die Finger kriege, mach ich disch zum Fisch." Und während man versuchte Louis zu beruhigen, nahm ein seltsamer Vogel vor einem Restaurant namens "Zum stinkenden Fisch" Anlauf und schwang sich in die Lüfte. Er versuchte es zumindest.

Kapitel 4.

Nicht unweit dieses Geschehens wurde Lavendula von einem großen Mann mit dunklen Haaren ins Leben zurückgeholt. Merkwürdigerweise begann es kurz darauf zu regnen.
"Alles in Ordnung?" fragte der Unbekannte.
"Ähm. Ich denke schon." erwiderte Lavendula und tastete nach der Beule auf ihrem Kopf, "Wo bin ich hier eigentlich? Und wer sind sie überhaupt?"
"Du befindest dich hier in der Kröselstraße. Vor dir siehst du das Wachehaus. Mein Name ist Daemon und ich bin Oberleutnant bei der Wache. So und jetzt stehst du erstmal auf.", er musterte sie kurz, "Du siehst aus, als könntest Du einen Kaffee vertragen."
Er half ihr beim Aufstehen und hakte sich unter ihren Arm. Als Stütze versteht sich. Mit vorsichtigen Schritten, denn Lavendulas Kopf zerbarst gleich vor Schmerzen, traten sie ins Wachehaus.
Im selben Augenblick in dem die Tür der Wache zuschlug, befand sich unser gefiederter Freund im Sturzflug aufs Wachehaus. Er verfehlte die Tür nur um Haaresbreite und machte stattdessen mit den kalten Steinen der Hauswand Bekanntschaft. Und wieder stellte sich die Frage, was dieser merkwürdige Vogel wohl für eine Botschaft zu übermitteln hatte. Und an wen diese gerichtet war. Und was hatte das nun alles mit der Wache zu tun?
Drinnen war es schön warm. Lavendula bemerkte, dass es ein wenig unordentlich war. Und irgendwie so. Naja. So anders halt. Sie hatte sich das eher pompöser vorgestellt. Schließlich war das ja hier die Stadtwache. Und wer großen Ansehen im Volk hatte, der musste doch zumindest in so einer Art Palast oder Festung leben. Aber das hier war eher erbärmlich für ein Wachehaus. Daemon und sie betraten das Büro des Wächters . Er setzte sie in einen Stuhl und gab ihr zu verstehen, dass er schnell den Kaffee holen ging.
Während sie wartete streifte ihr Blick durchs Büro. Als ihre Augen sich auf etwas hefteten, das wie ein riesiger Papierberg aussah. Lavendula konnte darunter so etwas wie eine Art Schreibtisch erkennen. Wow. Muss ja immer ganz schön was los sein in Anh-Morpork. Bei so viel Schreibkram wurde ihr ganz heimelich ums Herz. 'Ja, zuhause war das auch so', dachte sie bei sich und sagte laut:
"Das ist ja fast wie zu Hause." In diesem Moment kam Daemon, mit Kaffee bewaffnet, zurück. "Fast wie zu Hause sagst du? Wo kommst du denn her?" Daemon rangierte die zwei Kaffeetassen gekonnt auf eine freie Stelle seines Schreibtischs und machte es sich in seinem Sessel gemütlich. 'Ja. So konnte ein guter Tag anfangen', dachte er bei sich. Papierkram Papierkram sein lassen und sich stundenlang Geschichten anhören. Wobei gesagt, er doch lieber derjenige war der gern Vorträge hielt. Aber andersherum war es ihm heute auch mal Recht.
"Ich ähm. Naja. Ich komme aus dem Achaten Reich. Wissen sie. Ich war da auf so nem Flüchtlingsschiff und so...", fing Lavendula an zu erzählen und Daemon hörte interessiert zu. Ab und zu huschte ein Lächeln über sein Gesicht während sie von der Überfahrt mit dem Flüchtlingsschiff und ihrer Begegnung mit den drei Dieben berichtete. Lavendula bemerkte dies und ihr war die ganze Geschichte eher peinlich. Sollte sie ihm erzählen, dass sie auch zur Wache gehören will, wie er? Aber vielleicht hält er sie ja auch nach dieser Story für total durchgeknallt. Nervös zupfte sie an ihrem Wams. Vielleicht sollte sie einfach nur machen, dass sie hier wegkam. Aber als Daemon höflich fragte, was sie denn nun in Ankh-Morpork tatsächlich suchte, platzte es aus ihr heraus.
"Ja ich. Ich. Ich wollte...Ich möchte..."
"Ja was denn nun?", Daemon wirkte nervös. Warum reagierten alle nur so eingeschüchtert wenn er mal was fragte?
"Ich würde gern der Wache beitreten. Bitte." Endlich war es raus. Sie zog vorsichtig einen Stapel Papiere aus ihrem Wams hervor und reichte sie Daemon.
"Hier sind meine Bewerbungspapiere. Bitte sehr."
Hoffnungsvoll und auch ängstlich schaute sie Daemon an. Der hingegen bot einen nachdenklichen Anblick.
"Noch mehr Papierkram", brummte er leise.
Seine Finger trommelten im Takt auf dem Schreibtisch während er die Papiere mit engelsgleicher Geduld überflog. Lavendula nutzte die Gelegenheit und musterte ihn ausführlich. Daemon machte einen intelligenten, jedoch etwas zerstreuten Eindruck. Sie atmete hörbar ein als Daemon sich räusperte. Angespannt krallte sie sich im Stuhl fest.
"An mir soll es nicht liegen.", sagte Daemon schließlich.
"Wir verpassen dir schon den richtigen Schliff."
Lavendula verstand im ersten Augenblick nur Bahnhof.
Erst als er ihr feierlich die Hand schüttelte und sagte
"Herzlichen Willkommen bei der Wache", ging ihr ein Licht auf.
Noch etwas unsicher aber heilfroh schüttelte Lavendula seine Hand ebenfalls. Wenn das ihr Vater jetzt sehen konnte. Hier respektierte man wenigstens weibliche Wächter. Schon bald würde sie mit stolzer Brust und erhobenen Hauptes durch die Straßen von AM spazieren und jeder würde seinen Kopf neigen um ihr zu huldigen. Oh Mann. Das war mehr als sie verkraften konnte.
Sie griff nach der Tasse Kaffee und leerte sie in einem Zug. Daemon nickte anerkennend.
"Sir? Ich hätte da noch eine Frage, bitte."
"Ich bin ganz Ohr", entgegnete er.
"Ich wollte wissen wann Dienstbeginn ist, Sir. Ich habe nämlich noch keine Bleibe und so."
"Fürs erste kannst du hier in der Kröselstraße wohnen bis du etwas anderes gefunden hast. In Ordnung?"
Lavendula nickte verlegen.
"Übrigens werde ich persönlich deine Ausbildung leiten", fuhr Daemon fort.
"Die anderen Rekruten wirst du im Laufe der nächsten Wochen noch kennen lernen. Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg und denk dran, dass ich großen Wert auf Pünktlichkeit lege.", der Oberleutnant hustete nach diesem Satz kurz, "Dienstbeginn ist morgen um halb sieben. Wegtreten."
Lavendula atmete erleichtert auf.
"Jawohl Sir."
Noch etwas benommen von den Glückshormonen, die ihren Körper geradezu überschwemmten, verließ Lavendula das Büro. Etwas unsicher schaute sie sich um. Das also war die Wache. Und sie gehörte ab heute dazu. Ach, könnte ihre Familie das sehen. Ein kurzer Anflug von Heimweh überkam sie. 'Nein', sagte sie zu sich, 'Du wirst es ihnen allen zeigen. Frauen sind die bessern Wächter. Und vielleicht. Irgendwann. Wird auch mein Vater einsehen, dass das so ist.'
Plötzlich zupfte jemand an ihrem Hosenbein.
"Hey du da. Biste neu hier?", ein breites Grinsen lief über das Gesicht des Gnoms.
"Ja eh. Ich bin neu hier und Daemon ist ganz nett. Ich darf sogar hier übernachten." erwiderte Lavendula.
"Das freut mich für dich. Wenn du Lust hast komm doch nachher mit in den Eimer. Da treffen sich meistens ein paar Wächter."
"Ja, gerne", konnte Lavendula gerade noch erwidern, als der Gnom auch schon verschwunden war. Merkwürdige Leute hier, aber Lavendula überglücklich. Endlich war sie eine Wächterin. Und ein Gnom hatte sie auch schon in irgendeinen Eimer eingeladen. In Gedanken versunken versuchte sie sich vorzustellen, wie sie in einen Eimer passen sollte. Nach einiger Zeit gab sie es auf, ohne zu einem vernünftigen Ergebnis gelangt zu sein.
Sie wollte sich gerade den Weg machen um nach diesem ominösen Eimer zu suchen, als die Tür von Daemon mit wütendem Knall aufschwang.
"Was um aller Welt denkt ihr euch alle eigentlich?", schrie er, "Soll ich hier eigentlich die ganze Woche Nachts sitzen? Immer nur Ärger mit diesen Rekruten." Daemon war auf Tempo 18[1].
Plötzlich hielt seine Stimme inne. Stur richtete sich sein Blick auf die völlig verunsicherte Lavendula.
"Du bist meine Rettung", murmelte er vor sich hin.
Verwirrt schaute sich Lavendula um.
"He du da!"
"Wer ich?", rief sie erschrocken.
"Ja, du. Wie wärs? Willst du dich heute schon als Wächterin zu versuchen? Wir könnten einen Wächter mehr am Tresen gebrauchen."[2]
Nun war Lavendula erst recht eingeschüchtert.
"Heute? Meinen sie das schaffe ich schon?"
"Ja selbstverständlich schaffst du das. Ist doch nur der Nachtdienst am Wachetresen. Den hat bis jetzt jeder hinbekommen."
Mit einem freundlichen Lächeln winkte er Lavendula zu sich und ging in Richtung Kleider- und Waffenkammer.
"Na, wenn sie meinen. Ich würde gern einspringen.", entschied Lavendula und hätte vor lauter Freude beinahe einen Luftsprung gemacht. Fröhlich grinsend folgte sie Daemon. Als sie an der Kammer angekommen waren, öffnete Daemon feierlich die Tür. Lavendula warf einen kurzen Blick hinein.
"Wow. Und das ist alles für die Wächter?"
"Ja. Und hier gebe ich dir jetzt deinen Waffenrock und deinen Helm sowie deine Waffe aus."
"Ja!", rief Lavendula voller Begeisterung.
"So hier hast du das ganze Zeugs. Pass gut darauf auf und pflege es ordentlich", riet ihr Daemon zum Schluss.
Lavendula schwor auf das Grab ihrer Großmutter, dass sie immer gut darauf Acht geben würde und machte sich daran, sich umzuziehen. Alles passte wie angegossen.
"Vielen, vielen Dank, Sir.", zufrieden betrachtete sie sich.
"Kann's jetzt losgehen? Wie ich sehe bist du fertig. Na, dann ab an den Tresen. Für diese Nacht werde ich selbstverständlich ein Auge auf dich haben. Also keine Bange. Ich denke, dass heute mal nicht so viel los sein wird.", sagte er etwas schelmisch und machte sich auf den Weg zum Wachetresen. Lavendula brav im Schlepptau.

Kapitel 5.

Die Uhr schlug genau elf Mal, als Lavendula es nicht mehr aushielt.
"Immer noch nichts los.", stöhnte sie. Sie hatte sich ihren ersten Arbeitstag doch etwas hektischer und vor allem spannender herbeigesehnt. Aber nichts da. Kein Mord. Kein Raub. Rein gar NICHTS. Wie sollte man da denn zu Ehre und Ruhm gelangen? Gelangweilt schüttelte sie den Kopf. Daemon hingegen holte schon zum zigsten Mal Kaffeenachschub. 'Er scheint das alles ja ziemlich gelassen zu nehmen', dachte Lavendula. Und durchaus war er recht zufrieden. Ihm kam nämlich eine sehr gute Idee in den Sinn. Entschlossen stand er auf und verkündete:
"Rekruten. Ich habe beschlossen ihnen den Dienst mit einem meiner brillanten Vorträge zu verkürzen.", stolz trat Daemon vor und stellte eine Tafel in den Raum. Ein Raunen ging durch die, zum Nachtdienst eingeteilten, Rekruten.
"Auch das noch", stöhnten alle.
Und Daemon begann von Waffen und ihren Anwendungsmöglichkeiten zu schwärmen.
Es waren erst ein paar Minuten vergangen, die den Rekruten jedoch wie Stunden vorkamen, als ein Kratzen von Richtung Tür zu hören war.
"Um Himmels willen was war das?", Lavendula sprang erschrocken auf.
"Pssst. Sei leise, sonst hört dich Daemon...Lass ihn ruhig erzählen. Wir kümmern uns darum.", mit leisen Sohlen schlichen sich einige mutige Rekruten zur Tür. Diese wurde dann auch vorsichtig geöffnet. Doch draußen war nichts zu sehen. Also machte man die Tür wieder zu. Schon bald danach kratzte es wieder. Hörbar lauter. Langsam wurde es unheimlich, denn auch dieses Mal war nichts zu sehen.
"Das Fenster", rief Lavendula auf einmal.
Daemon schaute erschrocken von seinen Ausführungen auf.
"Wie bitte?"
"Nichts Sir, da war nur...da war nur eine Spinne", rettete ein weiblicher Rekrut die Situation.
"Ach so. Ist doch kein Grund hier so zu schreien. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Das Schwert an sich ist..."
Unter leichten Ächzgeräuschen wurde das Fenster geöffnet. Und davor saß... Ja, da saß ein Vogel. Ein ziemlich seltsamer dazu. Es sah so aus, als ob er schielte. Vorsichtig hob ihn Lavendula ins Zimmer.
"Sieht aus wie einer von unseren daheim", brummete sie.
"Seht mal, er hat einen Zettel bei sich."
Neugierig umringten alle Lavendula und den Vogel.
Sie entfaltete das zusammengerollte Schriftstück und begann zu lesen.
"Das sind ja merkwürdige Zeichen. Kannst du die etwa lesen?"
"Ja. Und wisst ihr was daran komisch ist? Das ist ein Brief von meiner Mutter."
Doch bevor sie erklären konnte, was darauf stand, wurde ihr die Taube, es handelte sich hierbei um eine Brieftaube, aus den Händen gerissen.
"Mondieu. Da bist du ja du kleines Mistschtück von Vogel."
Das war alles was sie verstanden und weg war der komische Mann mit dem weißen Hut. Keiner hatte ihn bisher bemerkt. Wer war das und warum entführte er den Vogel?
"Hinterher." rief jemand.
"Schnappt euch den Entführer."
"Haltet den Dieb.", schrie der Nächste.
Alle Rekruten, Lavendula voran, stürmten aus der Wache und dem kleinen Mann hinterher.
"Den werden wir nicht ungeschoren davonkommen lassen. So ein armes hilfloses Ding zu entführen. Wie grausam."
Alle nickten zustimmend, während sie in die Nacht rannten. Daemon hingegen hatte von all dem nichts bemerkt. Gerade war er bei seinem Vortrag bei der Abteilung DOG angekommen und dies erforderte besondere Aufmerksamkeit. Zufrieden lächelnd sah man ihn allein im Wachhaus mit sich selbst reden.

Kapitel 6.

Die Verfolgungsjagd war nun im vollen Gange. Der Koch mit der Taube rannte vorneweg, während Lavendula und die anderen Rekruten lautstark lärmend hinter ihm herliefen. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Die kleine Gruppe Rekruten wurde durch die Wirren der Straßen zerspreng. Nur Lavendula konnte dem Koch folgen. Gerade als sie glaubte, den Koch zu schnappen, stellte ihr jemand im Laufen ein Bein. Sie fiel und schrammte sich leicht das Gesicht. Erschrocken blickte sie auf die etwas verdreckten Stiefel, die sich vor ihrem Gesicht aufbauten.
"Haben wir disch endlich."
"Ja. war do..do..doch genial von mi..mi ..mir ihr ein Bein zu ste...ste..stellen."
Lavendula setzte sch auf und blickte in drei zufriedene Gesichter.
"Ach, ihr seid es. Schön euch zu treffen. Übrigens habe ich die Wache irgendwie selbst gefunden." Dabei hielt sie den Dreien ihre Marke unter die Nasen. Ehe diese sich von dem Schock erholt hatten, war sie auch schon verschwunden.
"Schon wieder entwischt. Los, hinterher."
Und schon reihten sich drei unerschrockene und äußerst wütende Diebe in die Verfolgungsreihe ein. Gerade als Lavendula schon aufgeben wollte, sah sie eine weiße Mütze um eine Ecke trotten. Anscheinend fühlte er sich durchaus sicher. Lavendula entschloss, sich von hinten anzuschleichen. Sie bemerkte jedoch nicht, das auch andere Augen den Koch entdeckt hatten.
"Herrje. Heute scheint unser Glückstag zu sein.", erklang wieder das Piepsen.
"Ja. Gleisch zwei auf einen Schtreich."
Doch auch die Diebe übersahen etwas. Hinter ihnen machte sich bereits eine Gruppe Rekruten fertig für einen Angriff. Alle waren in Angriffsstimmung und diese entlud sich so schnell wie ein Orkan. Lavendula schnappte sich den Koch und die Diebe hingen an Lavendula. Als die anderen Rekruten dieses Knäuel erreichte war das Chaos perfekt.
Als schließlich eine alte Dame auf den Haufen zu gerannt kam und energisch mit dem Regenschirm wedelte, sah jeder zu, dass er fort kam. Nur Lavendula verpasste diesen Zeitpunkt. Aus Unwissenheit. Aber das war ihr egal. Schließlich hielt sie den etwas gerupften Vogel in den Händen.
"Nun hören sie gefälligst auf, hier so einen Lärm zu machen, mein Fräulein."
Lavendula starrte sie ungläubig an. Sie setzte gerade zu einer Antwort an als noch mehr Schimpftriaden auf sie niederprasselten.
"Hab ich’s mir doch gedacht. Schon wieder ein Mitglied der Wache. Unnütze Bande. Und seit wann dürfen so junge Hüpfer wie du zur Wache? Wo kommen wir denn da hin?"
Lavendula hatte nun genug gehört. Verlegen senkte sie den Kopf.
"Entschuldigen sie vielmals, meine Dame. Es war nicht meine Absicht ihre Nachtruhe zu stören."
"Ja, das will ich wohl meinen. Das nächste Mal machst du Bekanntschaft mit meinem Freund hier.", und dabei wedelte sie wieder mit ihrem Schirm. Das entsetzte Gesicht von Lavendula nahm sie zufrieden zur Kenntnis. Während sich Frau Willichnicht mit ihrem Gemurmel Richtung nach Hause machte, tat es ihr Lavendula gleich und schlug den Weg zur Wache ein.
Lavendula stand mal wieder vor einer schwierigen Aufgabe. Wo bitte war nun wieder das Wachehaus? Plötzlich kam ihr die Idee, die Taube einfach dorthin zu schicken und ihr dann zu folgen. Von irgendwo schallte Gelächter und das Schicksal lag auf dem Boden und hielt sich den Bauch. Lavendula konnte ja nicht ahnen, dass das Sehvermögen der Taube so schlecht war. Nach einigen Anläufen und unter Einbeziehung einiger Steinmauern kamen sie völlig erschöpft bei der Wache an. Die anderen Rekruten trudelten auch nach und nach ein und nahmen wie Lavendula ihre Plätze in der Wache ein. Man einigte sich still nichts davon je Daemon zu erzählen. Daemon indessen war immer noch mit seinem Vortrag beschäftigt. Als er einen Blick durch die Runde wagte, wunderte er sich doch etwas.
"Sagt mal, hab ich was verpasst? Ihr seht alle so fertig aus", fragte er nachdenklich.
"Nein Sir. Alles bestens. Der Vortrag war nur etwas anstrengend.", gab Lavendula an und lächelte ihm ihr bestes Lächeln entgegen.
"Dann ist ja alles in Ordnung", befand er und schaute auf seine Uhr.
"Rekruten sie können sich nun in ihre Unterkünfte begeben. Die Nachtschicht ist hiermit offiziell beendet. Guten Morgen."



[1] Was für einen Karren schon verdammt schnell ist

[2] Bei einer genaueren Betrachtung des Dienstplanes hätte man sehen können, dass in dieser Nacht alle Rekruten Daemon's gemeinsam ihren Nachtdienst absolvierten und der Oberleutnant danach an keinem der Dienste mehr teilnehmen mußte.




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